RE:Galeoi 2

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Galeotai, Wahrsagergeschlecht aus Sizilien, erweitert die Nr. 1
Band VII,1 (1910) S. 592593
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2) Γαλεοί oder in abgeleiteter Form Galeotai (Γαλεῶται), ein sizilisches Weissagergeschlecht oder -innung (Philistos FHG I 190, 47 bei Cic. div. I 39. Aelian. v. h. XII 46. Phanodemos FHG I 369, 23. Rhinthon bei Kaibel CGF 188, 17. Steph. Byz. s. Γαλεῶται). Von dem Ruhm dieser sizilischen Seher zeugen nicht nur die Erzählungen bei Aelian und Cicero, bzw. Philistos a. a. O., von ihrer Befragung durch den älteren Dionysios von Syrakus und seine Mutter, sondern auch ein Fragment eines attischen Komödiendichters. Der als Nachahmer des Aristophanes bekannte Archippos (s. oben Bd. II S. 542f.), hatte in seinem wahrscheinlich bald nach 403/2 aufgeführten Lustspiel Ἰχθύες, die Doppeldeutigkeit der Seherbenennung Γαλεός, mit welchem Worte man unter anderem auch eine fleckige Haifischart bezeichnete, zu einem der von ihm beliebten Wortspiele benützt: A) Τὶ λέγεις σύ; μάντεις εἰσὶ γὰρ θαλάττιοι. Β) Γαλεοί γε πάντων μάντεων σοφώτατοι (Meineke I 207. II 720f. Kock I 681f. Kaibel Herm. XXIV 49f.). Es leuchtet ohne weiteres ein, daß in den angeführten Komödienversen keine Anspielung auf irgend eine Realität, wie etwa die Verwendung der Haifische in der griechischen Mantik, vorliegt, sondern daß wir es hier lediglich mit einer der von der literarischen Kritik in Athen gerügten Archippeischen Kalauer zu tun haben (vgl. Schol. Aristoph. Vesp. 481: τὰ τοιαῦτα παρὰ τὰς φωνὰς παίζει ... ἐφ' οἷς μάλιστα τῶν ποιητῶν σκώπτονσιν Ἄρχιππον). Etwas verwickelter ist die Frage, die gleichfalls in einer Doppeldeutigkeit der Namen jener sizilischen Wahrsager begründet ist, ob diese nämlich wegen einer von ihnen gepflegten Eidechsenmantik, ihre Namen erhalten hätten, da γαλέος und γαλεώτης auch eine Art gefleckter Eidechsen bedeutete (Steph. Byz. s. Γαλεῶται. Aristoph. Nub. 174. Paus. VI 2, 4), oder die äußere Identität der betreffenden Wörter nur als ein Spiel des Zufalls aufzufassen sei. Diese letztere Alternative würde dann die fremde, nichtgriechische Herkunft jener Benennungen der sizilischen Seher zur Voraussetzung haben. Nun wissen wir, daß diese ihren Stammsitz in Klein-Hybla, Ὕβλα ἡ μικρά oder ἡ Γερεᾶτις oder Γελεᾶτις, hatten (vgl. Hybla). Diese Stadt war von Sikelern bewohnt, die von dem syrakusanischen Geschichtschreiber Philistos als der Zeichen- und Traumdeutung besonders kundig bezeichnet worden sind (FHG I 190, 49 bei Paus. V 23, 6: τεράτων γὰρ σφᾶς καὶ ἐνυπνίων Φίλιστος ὁ Ἀρχομενίδου φησὶν ἐξηγητὰς εἶναι καὶ μάλιστα εὐσεβείᾳ τῶν ἐν Σικελίᾳ βαρβάρων προσκεῖσθαι; vgl. Thuk. VI 4, 1. 62, 5. 94, 3. Holm Gesch. Siciliens I 132. Freeman Hist. of Sicily Ι 514ff. Orsi Monumenti antichi I 691ff. Frazer Paus. III 632). Die Galeoten waren also ein in Hybla ansässiges sikelisches Sehergeschlecht (vgl. Phanodemos und Rhinthon aa. aa. OO.). Daß diese [593] einheimischen sizilischen Wahrsager wegen ihrer Eidechsenmantik Γαλεοί oder Γαλεῶται benannt worden seien, ist zwar allgemein angenommen worden (O. Müller Dorier I2 344, 6. Welcker Alte Denkm. I 410. Preller Gr. Mythol. II3 477. Bouché-Leclerq Hist. de la div. I 147f. Drexler in Roschers Mythol. Lex. s. Galeos. Frazer Paus. IV 5. Hitzig-Blümner Paus. II 537), hat aber trotzdem wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Sie scheinen nämlich hauptsächlich Traumdeuter gewesen zu sein (vgl. Philistos bei Cic. div. I 39. Paus. V 23, 6). Von einer Verwendung der Eidechsen zu mantischen Zwecken seitens der Galeoten ist nichts überliefert. Man hat die Existenz einer Eidechsenmantik bei den Griechen aus einer Pausaniasstelle erschließen wollen (VI 2, 4), wo der Perieget die in Olympia aufgestellte Statue eines berühmten elischen Sehers Thrasybulos aus dem Geschlecht der Iamiden beschreibt. Eine an der Schulter hinaufkriechende Eidechse, die Pausanias γαλεώτης nennt, soll den Thrasybulos, der im 3. Jhdt. v. Chr. lebte (Paus. VI 14, 9. VIII 10, 5. Bouché-Leclerq Hist. de la div. II 67f. Beloch Herm. XXXV 264f.), als Wahrsager charakterisieren (Frazer a. a. O. Hitzig-Blümner a. a. O.). Aber hat denn wirklich die Eidechse eine so hervorragende Rolle in der griechischen Mantik gespielt, daß jeder antike Beschauer sich sofort durch das bewegliche Tierchen an diese Kunst und ihre Meister erinnert fühlte? Diese Frage muß entschieden in Abrede gestellt werden. Denn wäre das der Fall gewesen, würde man sich das Schweigen der literarischen Überlieferung in diesem Punkte kaum erklären können. Über die Art und Weise, in der die Iamiden ihre Kunst ausübten, sind wir übrigens durch Herakl. Pont. bei Schol. Pind. Ol. VI 111 unterrichtet. Aber von Eidechsen ist dort nicht die Rede. Ja, die angeführten Manipulationen schließen ihre Verwendung von den Iamiden geradezu aus. Thrasybulos war überdies schon durch den neben ihm dargestellten Hund mit bloßgelegter Leber als Seher genügend gekennzeichnet. Die Hinzufügung der Eidechse zu demselben Zweck wäre nur eine müßige Tautologie gewesen. Welches die Absicht des Künstlers war, als er dies Detail schuf, entzieht sich unserer Erkenntnis. Vielleicht hat man darin nur ein plastisch wiedergegebenes Wortspiel zu sehen, analog dem des Archippos, das zugleich ein Kompliment für die dargestellte Persönlichkeit bedeutete. Denn das Wort Γαλεώτης kann infolge des Ruhms der Galeoten einen appellativischen, und zwar ehrenden Sinn erhalten haben. Und dem Geist des hellenistischen Zeitalters würde ein derartiger Scherz kaum widersprechen.

Mythologisch haben die Griechen den Namen der Galeoten, ihre Weissagekunst und ihre fremde Herkunft durch ihre angebliche Herstammung von Galeotes oder Galeos, einem Sohne des Apollon und der Themisto, der Tochter des Hyperboreerkönigs Zabios, in ihrer Weise zu erklären gesucht (Steph. Byz. s. Γαλεῶται). Dieser Hyperboreer Galeotes oder Galeos, wie ihn Clem. Al. Strom. I c. XXI 134, 3 St. nennt, sollte nach der Legende in Dodona das Orakel erhalten haben, nach Westen zu ziehen, wie Telmessos nach Osten, und einen Altar dort zu bauen, wo beim Opfern [594] ein Adler ein Schenkelstück raubte. Galeotes kam nach dieser göttlichen Fügung nach Sizilien, Telmessos nach Karien. Wenn die Galeoten ihren Namen von den Eidechsen erhalten hätten, würde man mit Recht erwarten können, daß die Legende dieser Tatsache und den ihr zu Grunde liegenden Verhältnissen in irgend einer Weise Rechnung getragen hätte. Die von Kaibel CGF 188, 17 gegebene Erklärung der Bedeutung von Γαλεοί, nach der es eine Art Spitzname der sizilischen Wahrsager gewesen sei, ist wenig einleuchtend. Sie stützt sich auf den durch nichts bewiesenen Parallelismus in der Bedeutungsübertragung des lateinischen Wortes stelio (= Gauer) und des griechischen γαλεός.

Nach Steph. Byz. s. Γαλεῶται kannte man auch einen teils in Attika, teils auf Sizilien ansässigen Stamm mit dem Namen Γαλεῶται. Ob zwischen diesem Stamm und dem Sehergeschlechte von Hybla irgend ein ethnischer oder geschichtlicher Zusammenhang bestanden hat, mag dahingestellt sein. Mit diesem Namen die Vermutung zu begründen, wie Frazer es tut, Paus. IV 5, daß die Eidechse das Totem dieses sonst unbekannten Volkes gewesen sei, scheint mir nur ein müßiges Spiel zu sein. Für die hier vorliegende Frage, ob die Eidechse eine Rolle in der griechischen, bezw. sikelischen Mantik gespielt und den Wahrsagern von Hybla ihren Namen gegeben habe, ist es jedenfalls belanglos, ob ein sikelischer oder griechischer Stamm die Eidechse als Totem gehabt hat, solange das Verhältnis zwischen den mantischen und den totemistischen Tieren noch nicht näher untersucht worden ist. Daß eine solche Untersuchung noch aussteht, wird durch die mangelhafte Behandlung der interessanten Frage durch Frazer Totemism 23f. und S. Reinach Cultes, mythes et religions I 24f. zur Genüge bewiesen.

Erwägenswert scheint dagegen die vorgeschlagene etymologische Beziehung des Wortes Γαλεώτης zu Γελεᾶτις bzw. Γερεᾶτις, dem Beiwort der Stadt Hybla (vgl. Holm Gesch. Siziliens I 68. Freeman Hist. of Sicily I 514. Frazer Paus. III 632). Für die Vokalassimilation vgl. Brugmann Griech. Gramm.3 70, für den Vokalwechsel im Suffix vgl. z. B. ion. Μαιῆτις, Μαιῶτις u. ä., Hoffmann Griech. Dial. III 357. Für die Bedeutung des Wortes ist aber mit dieser schon an sich problematischen Zusammenstellung nicht viel gewonnen. Nur würde es, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, als sehr wahrscheinlich gelten können, daß das Wort selbst nicht-griechischen Ursprungs ist (vgl. Schoemann-Lipsius Gr. Alt. II 316).