RE:Terentius 92

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Varro Murena, A., cos. ord. 23 v. Chr.
Band V A,1 (1934) S. 706710
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92) A. Terentius A. f. Varro Murena, Consul ordinarius im J. 23 v. Chr.

a) Name: A. T[erentius ...] V[ar]ro Murena (CIL I2 1,[1] 28 Fasti Capitolini), mit anderem Praenomen und ohne Nomen gentilicium L. Murena (Vell. II 91, 2), ohne Praenomen und nur ein Cognomen Τερέντιος Οὐάρρων (Strab. IV 205. Cass. Dio LIII 25, 3), mit dem Gentilnamen Licinius Λικίνιος Μουρήνας (Cass. Dio LIV 3, 3), nur beide Cognomina Suet. Aug. 19. Tib. 8, nur das Cognomen Varro (Sen. clem. I 9, 6. Tac. ann. I 10. Οὐάρρων Strab. IV 205), nur das Cognomen Murena (Horat. carm. III 19, 11; sat. I 5, 38. Senec. [707] brev. vit. 4, 5. Vell. II 93, 1. Suet. Aug. 56. 66. Μουρήνας Strab. XIV 670. Cass. Dio LIV 3, 4. 5).

b) Abstammung. Über seine Abkunft läßt sich nach der derzeitigen Quellenlage nichts Genaues ermitteln und daher sind die Ansichten der Forscher, wer sein Vater gewesen sei, widersprechend. Drumann-Groebe IV2 206 irrt offenbar, wenn er den Legaten des L. Lucullus im dritten Mithradatischen Kriege L. Licinius Murena für seinen Vater hält. Münzer o. Bd. XIII S. 449 meint, daß der von einem Terentier adoptierte und darum A. Terentius Varro Murena (Nr. 91) genannte Sproß dieses Zweiges der Licinier ein Sohn dieses Mannes gewesen sei. Mommsen S.-Ber. Akad. Berl. 1892 2. Band 848 und im Anschluß an ihn Gardthausen Augustus II 392 halten nun diesen unter anderem in der Inschrift einer in Rhodus gefundenen Statuenbasis (IG XII 1, 48 = Syll.3 745 = Dess. 8772, vgl. o. Bd. IV S. 1369ff.) genannten A. Terentius A. f. für den Vater unseres T. Nach Cichorius Herm. XXXIX 466 allerdings war dieser nicht sein Vater, sondern sein Großvater; er sieht vielmehr in dem in Briefen Ciceros aus den J. 49 u. 46 (fam. XVI 12, 6. XIII 22, 1) und von Caes. bell. civ. III 19, 4 als Offizier in der Armee des Pompeius in Epirus erwähnten A. Varro (bzw. Varro Murena und A. Terentius Varro) den Vater unseres T. (ebenso Dessau PIR III 303 nr. 74). Das Praenomen Aulus unseres T. (vgl. übrigens o. unter a) läßt es auch bei seinem Vater vermuten.

c) Leben. Auch über sein Leben und seine Ämterlaufbahn geben uns die Quellen nur mangelhaften Aufschluß. Aus der Tatsache, daß er im J. 23 v. Chr. den Consulat inne hatte, ergibt sich als sein Geburtsjahr mit einiger Bestimmtheit das J. 56 v. Chr. Im Bürgerkriege verlor er sein Vermögen und sein Stiefbruder Proculeius ersetzte es ihm, soweit er konnte (Porphyr. zu Horat. carm. II 5, 5, das Gedicht im J. 27 v. Chr. verfaßt; vgl. auch Gardthausen Augustus I 776). Maecenas kehrte anläßlich des Iter Brundisinum, wobei er sich in Gesellschaft des Horaz, Cocceius und Fonteius Capito im J. 37 v. Chr. befand (Horat. sat. I 5, 27ff. o. Bd. III S. 2847 Nr. 20. IV S. 130 Nr. 12), im Landhause des T. in Formiae ein (Horat. sat. I 5, 38 Murena praebente domum, Capitone culinum); für Dessau PIR III 304 ist die Identifizierung dieses Murena mit unserem T. nicht ganz sicher. Ob er mit dem in einer stadtrömischen Inschrift (CIL VI 1324[2] = Dess. 6075 = Bull. inst. 1865, 85) genannten aed(ilis) cur(ulis) Varro Murena gemeint ist oder ob sich die Inschrift auf seinen Vater bezieht (so schon Zumpt Comm. epigr. II 78), ist fraglich (so u. a. auch Dessau zu CIL VI 1324).[2] Sicher ist der in einer Inschrift von Lebranda genannte Αὖλος Τερέντιος Αὔλου Οὐάρρων πρεσβευτής (Le Bas-Waddington I 2, 320 = Cousin Bull. de corr. hell. XXII 1898, 374) mit unserem T. nicht identisch (Gardthausen II 392) und auch der in einem an Mytilene gerichteten Senateconsulte vom J. 729 = 25 v. Chr. (IG XII 2, 35 = IGR IV 33) als Urkundszeuge angeführte [Μᾶρκος Τερέντ]ιος Oὐάρρων, der wahrscheinlich mit dem bei Joseph. bell. Iud. I 20, 4; ant. XV 10, 1 genannten Legaten Oὐάρρων eine [708] Person ist (s. Nr. 86), hat mit unserem T. nichts zu tun.

Im J. 729 = 25 v. Chr. schickte Augustus unseren T. gegen die Salasser, deren Widerstandskraft er brach (Strab. IV 205. Cass. Dio LIII 25, 2–4); an der Stelle, wo er sein Lager aufgeschlagen hatte, gründete der Kaiser später die Zwingburg Augusta Praetoria Strab. IV 205; Genaueres bei Gardthausen I 709. Philipp o. Bd. I A S. 1849 (irrtümlicherweise spricht Mommsen RG V 18 und Ges. Schr. VI 177 von einer Schlacht, in der er einen Sieg über die Salasser davontrug). Um diese Zeit (nach Howe fast. sac. 27, V 8 vor dem J. 731 = 23 v. Chr.) erfolgte seine Aufnahme in das Augurencollegium; anläßlich dieser Ehrung des T. schrieb Horaz die Ode III 19 (Z. 10f. ... da, puer, auguris Murenae). Das persönliche Ansehen, das er sich durch den Kriegszug gegen die Salasser verschaffte, beförderte sicher seine Ernennung zum Consul, ein Amt, das er im J. 731 = 23 v. Chr. mit Augustus bekleidete (fast. Capit. I2 1, 28); vielleicht wurde der Kaiser zu der Wahl seines Kollegen auch durch beabsichtigte verwandtschaftliche Beziehungen zu diesem Zweige der Terentier (seine eigenen zu Terentia, der Gemahlin des Maecenas, o. Bd. XIV S. 215, Proculeius, ein Stiefbruder des T. [s. unter d.], als Gemahl der Iulia in Aussicht genommen, vgl. Stein D. röm. Ritterstand 305) bestimmt. Dessau Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 50, 1 betont im Anschluß an Herzog Gesch. u. System d. röm. Staatsverf. II 1, 173, 1 mit Recht, daß die Erwähnung des Consulates des T. einzig und allein in den capitolinischen Fasten auffallend sei (sein Name findet sich nicht einmal in dem sonst mit den capitolinischen Fasten übereinstimmenden Consularverzeichnisse des Chronographen von 354, vgl. Klein fast. cons. zu dem J. 731), wenn er es wirklich angetreten und eine Zeitlang bekleidet hat, und Bedenken sind, da sich sein Name auch in den capitolinischen Fasten nur fragmentarisch erhalten hat (CIL I2 1,[1] 28 A. T[erentius A. f(ilius)] ... n. V[ar]ro Murena [in magistratu mort(uus)] est), wohl am Platze (in allen übrigen Consularfesten erscheint als Kollege des Augustus Cn. Calpurnius Piso). Kießling-Heinze Oden d. Horaz7 198 bezweifelt die Identifizierung unseres T. mit dem Adressaten des Gedichtes II 10, 1 Licinius (in einigen Handschriften Licinius Murena), da er dem Dichter nicht die Taktlosigkeit zumutet, den amtierenden Consul an keineswegs ausgezeichneter Stelle und dazu mit unrichtigem Gentilnamen anzureden und eine etwa früher an ihn gerichtete Empfehlung der aurea mediocritas (carm. II 10, 5) gerade in diesem Zeitpunkte zu veröffentlichen; von den Einwänden ist allerdings der bezüglich des Gentilnamens nicht richtig (vgl. o. S. 706). Um diese Zeit war oder wurde er in die gegen Augustus gerichtete Verschwörung des Fannius Caepio (o. Bd. VI S. 1993) verwickelt (von Sen. clem. I 9 nur aus rhetorischen Gründen die beiden Komplotte von einander getrennt, ähnlich Sen. brev. vit. IV 5; vgl. Vell. II 91, 2. 93, 1. Cass. Dio LIV 3, 4. Suet. Aug. 19, 1. 56, 4. 66, 3. Tib. 8. Strab. XIV 670. Sen. brev. vit. 4, 5); möglicherweise wurde nur ein Vorwand zu einem Einschreiten gegen ihn gesucht [709] (Cass. Dio LIV 3, 4 ὁ Μουρήνας σὐνομωμοκέναι, εἴτ' οὖν ἀληθῶς εἴτε καὶ ἐκ διαβολῆς, ἐλέχθη); denn durch sein freimütiges Wesen, das in Anmaßung und Frechheit ausartete (Cass. Dio LIV 3, 4 καὶ ἀκράτῳ καὶ κατακορεῖ τῇ παῤῥησίᾳ πρὸς πάντας ὁμοίως ἐχρῆτο), hatte er sich namentlich während des Prozesses gegen M. Primus, der als Proconsul Makedoniens ohne Befehl des Augustus mit den thrakischen Odrysen Krieg geführt hatte (Cass. Dio LIV 3, 2 fälschlich zum J. 732 = 22 v. Chr.; Mommsen St.-R. II3 263, 3. Gardthausen Augustus I 631. II 530, 51. v. Premerstein Österr. Jahresh. I Beibl. 154. Patsch S.-Ber. Akad. Wien 214. Bd. 1. Abh. 82), die Mißgunst des Kaisers zugezogen. Die Beschuldigten wurden nicht vom Kaiser abgeurteilt, sondern vor ein ordentliches Gericht zitiert (Suet. Tib. 8. Cass. Dio LIV 3, 5. 6. Macrob. Sat. I 11, 21) und des Hochverrats schuldig befunden. Doch keiner von ihnen war erschienen, sie wurden auf der Flucht ergriffen und die Strafe der Hinrichtung an ihnen vollzogen (Sen. clem. I 9. Tac. ann. I 10. Vell. II 91, 2. Cass. Dio LIV 3, 5), auch an T. trotz der Fürsprache des Proculeius und des Maecenas bei dem ihnen gewogenen Kaiser (Plin. n. h. XXXVI 183 Proculeium Augusti Caesaris familiaritate subnixum. Cass. Dio LIV 3, 5 οὐδὲ ἐπήρκεσαν τῷ Μουρήνᾳ οὔτε ὁ Προκουλήιος ἀδελφὸς ὢν οὔτε ὁ Μαικήνας τῇ ἀδελφῇ αὐτοῦ σὐνοικῶν καίπερ ἐς τὰ πρώτα ὑπὸ τοῦ Αὐγούστου τιμώμενοι). Aus dem Berichte des Cassius Dio (LIV 3, 5) geht hervor, wie ernst Augustus die Verschwörung genommen hat; im Gegensatz zu Cassius Dio behandelt Vell. II 91 den T. im Vergleiche zu seinem Mitverschworenen Caepio besonders schonend (Murena sine hoc facinore videri bonus, Caepio et antehoc erat pessimus, vgl. Cichorius 467, 1). Wenn die Hinrichtung des T. tatsächlich in magistratu (fast. Capit. vgl. o. S. 708) erfolgt ist, muß seine Amtsführung, die Verschwörung und ihre Entdeckung, die Verurteilung und die Hinrichtung der Täter in die erste Hälfte des J. 731 = 23 v. Chr. fallen. Immerhin gibt Herzog II 1, 173, 1 die Möglichkeit zu, daß sich bei der Verwendung der Ausdrucksweise in magistratu für das durch seinen Namen mitbezeichnete Jahr auch noch die zweite Hälfte des J. 23 für diese Ereignisse in Anspruch nehmen lasse. Dessau's (Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 50, 1) Bemerkung, daß Cassius Dio, der die Angelegenheit ziemlich eingehend erzählt, auffallenderweise ebensowenig wie Velleius Paterculus der Tatsache gedenke, daß T. als Consul gestürzt und noch als Consul hingerichtet wurde, wie aus den capitolinischen Fasten gefolgert werden kann, findet meines Erachtens vielleicht durch die unrichtige Einreihung der Vorgänge unter die Begebenheiten des J. 732 = 22 v. Chr. (zu diesem Jahre auch bei Gardthausen II 1241) eine Erklärung.

Möglicherweise war unser T. Patron der Stadt Ptolemais in Cyrene (CIL XIV 2109[3] = Dess. 897 = IGR I 399); Borghesi Oeuvr. VII 488 bezieht allerdings mit Rücksicht auf die Schriftzeichen (nach Dessau PIR III 303 indes nicht richtig) die Inschrift auf seinen Vater und Dess. 897 hält diese Ansicht für möglich. [710]

d) Familie. Von seinen Verwandten kennen wir seine Stiefbrüder Proculeius (Porphyr. zu Horat. carm. II 2, 5. Cass. Dio LIV 3, 5) und Scipio (Porphyr. [u. Ps.-Acro] zu Horat. carm. II 2, 5. o. Bd. II A S. 823 Nr. 1); jede seiner beiden Schwestern hieß Terentia, die eine war die Mutter des Praefekten von Aegypten L. Seins Strabo und Großmutter des Seian (Stein o. Bd. II A S. 1125; Ritterstand 303. 349f.), die andere die Gemahlin des Maecenas (Cass. Dio LIV 3, 5. Cichorius 469f. Stein Ritterstand 305). Vgl. außer der im Text angeführten Literatur Kießling-v. Wilamowitz Philolog. Untersuch. 2, 55f. Schiller Gesch. der röm. Kaiserzeit Ι 181. Gatti Atti accademie dei Lincei Scienz. Morali Ser. V 6, 550ff.

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. a b Corpus Inscriptionum Latinarum I, 1.
  2. a b Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 1324.
  3. Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 2109.