Wie soll man Urkunden ediren?

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Autor: Karl Heinrich Roth von Schreckenstein
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Titel: Wie soll man Urkunden ediren?
Untertitel: Ein Versuch von Dr. K. H. Freiherrn Roth von Schreckenstein
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag der H. Laupp’schen Buchhandlung
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[1]

Wie soll man Urkunden ediren?


Ein Versuch


von


Dr. K. H. Freiherrn Roth von Schreckenstein,

Vorstand des fürstlich Fürstenbergischen Hauptarchives
zu Donaueschingen.




Tübingen 1864.

Verlag der H. Laupp’schen Buchhandlung.

— Laupp & Siebeck. —


[2]
Druck von H. Laupp.


[3] Einer unserer tüchtigsten Historiker, Professor Georg Waitz in Göttingen, hat sich in der Sybel’schen Zeitschrift 4, 438 ff., unter der dem wirklichen Inhalte seiner kurzen Andeutungen nicht völlig entsprechenden Überschrift, „Wie soll man Urkunden ediren?“, über einige zu jener Zeit, das heisst im Jahre 1860, neuerschienene Urkundenbücher, insbesondere aber über Joh. Friedrich Böhmer’s nur als Manuscript gedruckte Acta Conradi regis geäussert, nicht aber, was wir sehr zu bedauern haben, seine sicherlich gediegenen und auf vielfältiger Erfahrung beruhenden Ansichten über das Gesammtgebiet der Urkundenedition mitgetheilt. Man wird nicht behaupten wollen, dass die schon so oft in Erwägung gezogene Frage durch jene Erörterung sonderlich gefördert worden sei. Wesentlich Neues – das getrauen wir uns zu begründen – wurde durch die kurze Kritik einiger Bücher nicht dargeboten. Man vergleiche z. B. nur die von Kausler im Vorworte zu Bd. I. des Wirtembergischen Urkundenbuches, pag. X. f. [4] schon im Jahre 1849 aufgestellten Regeln; Mone’s Zeitschrift 1, 3 ff.; Böhmer’s, in Friedemann’s Zeitschrift für das Archivwesen 2, 131 ff. gegebene Ansichten über die Anfertigung von Regesten, sowie Lappenberg’s Beurtheilung des Verfahrens der englischen Recordcommission, letztere in der Zeitschrift von Erhart, Höfer und v. Medem 2, 318 ff.

Und doch ist die Frage hinreichend wichtig und von solcher Beschaffenheit, dass vor allem eine gründliche Discussion der in Betracht kommenden Hauptgesichtspunkte am Platze zu sein scheint, während feste Schulregeln, und kämen sie auch von hochcompetenter Seite, noch verfrüht sein dürften. Wie wenig man im Allgemeinen geneigt ist, octroyirte Gesetze als vollberechtigt anzuerkennen, zeigt die tägliche Erfahrung. In der Wissenschaft aber, man verzeihe mir diesen Gemeinplatz, wird durch Ordonanzen sicherlich sehr wenig erzielt werden.

Die Sybel’sche Zeitschrift ist bekanntlich das Organ einer Partei. Hiedurch soll kein Urtheil sondern nur eine Thatsache ausgesprochen werden. Eine andere zur Besprechung des fraglichen Gegenstandes völlig geeignete und ihre Spalten öffnende Zeitschrift existirt wol nicht. Daher möge denn, ferne von aller Anmassung, in einer selbständig erscheinenden, kleinen [5] Schrift der Versuch gemacht werden, zur endgültigen Lösung des immer noch vorhandenen Problems, durch Anregung einiger unabweisbarer Vorfragen, einigermassen beizutragen.

Bestünde die Frage, wie man Urkunden ediren solle, nur für mehr oder minder scharfbegränzte fachgenossenschaftliche Kreise, so dürfte allerdings eine Besprechung wie die hier beabsichtigte ganz überflüssig sein. Jeder Gelehrte kennt ja, nach dem Ausspruche unseres grossen Dichters, sein eigenes Brevier. Auch ist an bestimmten, nicht etwa nur auf subjectives Belieben sich stützenden, sondern bei möglichster Objectivität gewonnenen Grundsätzen, unter den berufenen Editoren wahrlich kein Mangel vorhanden, während der Versuch ein vollständiges Gleichmass der Überzeugungen herbeizuführen, ein ungemein gesteigertes Selbstgefühl voraussetzen dürfte. Äussert sich Waitz a. a. O. S. 445 dahin „Die Ausgaben unserer Quellen müssen sich als die Arbeit durchaus kundiger, ihre Aufgabe völlig beherrschender Männer der Wissenschaft darstellen, grösste Genauigkeit und Urkundlichkeit angestrebt, aber principlose Pedanterie vermieden sein“, so ist gegen diesen Ausspruch gewiss nicht der leiseste Einwurf zulässig, es wäre denn, dass die Urkundenedition, im Interesse der Wissenschaft, als ein noli me [6] tangere erklärt, die Wissenschaft selbst aber, mit der Schule identificirt werden sollte. Waitz ist eine solche Auffassung des wissenschaftlichen Berufes nicht zuzutrauen. Er reagirt vielmehr, gewiss in vollkommen berechtigter Weise, gegen dilettantische Unfertigkeit und ähnliche Gebrechen. Man wird ihm auch hierin unbedenklich beipflichten können, aber freilich immer nur unter der einen Voraussetzung, dass sogar eine kümmerliche Publication zuweilen im Stande sein könne die Wissenschaft zu fördern. Während aber die das Gepräge einer specifischen Schulrichtung an sich tragende Schroffheit vornehm absprechender Kritiker, nicht sowohl den unbesorgten und vergnüglichen Dilettantismus zurückschreckt, macht sie vielmehr, sogar unter den Berufenen, die so wünschenswerthe Vereinbarung über keineswegs unwichtige Punkte nahezu zur Unmöglichkeit.

Desgleichen wird man mit Waitz einverstanden sein können, wenn er a. a. O. S. 439 darüber klagt, dass bei der heutzutage durch Einzelne und Gesellschaften, Corporationen und Regierungen mit löblichem Eifer ins Werk gesetzten Publication von Urkunden „so wenig gleichförmige Grundsätze zur Anwendung kommen, sondern jeder (?) Herausgeber nach subjectivem Belieben verfährt, das er manchmal mit [7] ein paar Worten zu rechtfertigen sucht, in anderen Fällen aber nur so ohne weiteres walten lässt.“ Erwägt man indessen, dass wir in Deutschland, aus allbekannten Gründen, keine Centralanstalt besitzen, welche, gleich der Pariser École des chartes, durch Lehre und Beispiel, eine gleichmässige Behandlung der zu edirenden Archivalien zu vermitteln im Stande wäre, bleibt man fernerhin des Umstandes eingedenk, dass es noch in jüngster Zeit berühmte Universitäten gab, an welchen Palaeographie und Diplomatik gar nicht oder überaus mangelhaft vorgetragen worden sind, so wird man wol, ohne die Sache auf Spitze und Knopf treiben zu wollen, einen höheren Grad von Gleichmässigkeit, als den in den gutgearbeiteten Urkundenbüchern denn doch vorhandenen, nicht voraussetzen und namentlich gewisse nur die Form betreffende Abweichungen von Regeln, deren allgemeine Gültigkeit noch immer disputabel ist, keineswegs mit Unwillen rügen dürfen. Sagt Waitz a. a. O. „es hat den Anschein, als wenn in dieser Beziehung keinerlei Regeln Geltung hätten, da doch seit lange Vorbilder gegeben waren, die wohl auf Beachtung und, wenn nicht dringende Gründe dagegen sprachen, auf Nachfolge Anspruch machen konnten“ so möchten wir ihm entgegenhalten, dass in den Hauptsachen denn doch eine grössere Übereinstimmung [8] unter den Herausgebern herrsche, als er anzunehmen scheint.

Es ist vieles besser geworden. Namentlich was, im Grossen und Ganzen genommen, die Zuverlässigkeit betrifft. Die Zeit, in welcher die Editoren von Urkundenbüchern, oder die Verfasser von Schriften, welche Urkunden als Beilagen enthalten, mysteriös, unfleissig und kritiklos sein durften, ohne sich gerechtem Tadel sofort auszusetzen, ist glücklicher Weise jetzt vorüber. Steht man doch auf dem Punkte etwas ins andere Extrem zu verfallen, durch Hyperkritik und gelehrte Kleinmeisterei, oder durch das mit dem Zwecke der Archive nicht völlig vereinbare Streben nach unbedingter Publicität ihres Inhaltes. Allerdings fehlt es auch jetzt nicht ganz und gar an Publicationen, die, man könnte sagen, wildgewachsen sind; allein selbst die verfehltesten Urkundenbücher unserer Tage pflegen in Rücksicht auf Brauchbarkeit der Texte und Zuverlässigkeit der denselben zu Grund gelegten Urschriften, denn doch über jenen beinahe sprichwörtlich gewordenen und fortwährend als warnende Exempel citirten, schwachen Elaboraten des 18. Jahrhunderts zu stehen.

Und doch würde man in Gefahr kommen sich zu einem viel zu harten Urtheile hinreissen zu lassen, wenn man nur die Mängel und Gebrechen, die allerdings in [9] einigen Werken, wie z. B. in den Monumenta Boica, so ziemlich in allen Schriften Schöpflin’s und vor allem bei Lünig in ganz erstaunlich grosser Menge vorhanden sind, scharf ins Auge fassen wollte. Man kann es geradezu heraussagen, dass von den älteren Urkundenbüchern auch nicht ein einziges allen Anforderungen entspreche, die wir jetzt mit Fug und Recht zu stellen gewohnt sind. Freuen wir uns immerhin, dass wir weiter gekommen, aber vergessen wir doch ja den Dank nicht, den wir jenen bei ungleich mangelhafterem Apparate unternommenen Arbeiten schuldig sind. Die Erath, Gercken, Gudenus, Moritz, Neugart, Ried, Würdtwein, Zapf u. s. w., sollten stets Respectspersonen für uns bleiben.

Wie es nun aber eine allbekannte Thatsache ist, dass wir in Deutschland kein mit Lehrmitteln und sonstigem Bedarfe ausgerüstetes Centralinstitut zur Pflege des Urkundenwesens besitzen, so ist es auch nicht minder constatirt, dass die seit einigen Decennien bei der Publication von Archivalien zur Anwendung kommende bessere Methode, nicht sowohl das Verdienst einer dominirenden Schule, als vielmehr einzelner, in der Hauptsache allerdings die gleichen Überzeugungen hegender, aber in Nebendingen doch verschiedene Auffassungen vertretender Herausgeber von grösseren, bahnbrechenden [10] Urkundenbüchern ist, oder, falls man dieses zuzugeben nicht geneigt sein sollte, jedenfalls das Resultat vielfacher auf sehr verschiedenen Gebieten unternommener Studien, keineswegs allein der mit dem Anspruch auf völlige Selbständigkeit auftretenden, und die Beihülfe anderweitiger Disciplinen in spröder Vornehmheit abweisenden, modernen Geschichtswissenschaft. Es sind die jetzt im Wesentlichen allenthalben als gültig anerkannten Regeln – und nur auf diese wird es zunächst ankommen – zuerst auf empirischem Wege gewonnen, nicht a priori construirt worden. Sie ergaben sich zum Theile erst während der Arbeit selbst und wurden dann, zuweilen unter ausdrücklicher Berufung auf den Meister und öfter noch stillschweigend, auch von Anderen in Anwendung gebracht. Bahnbrechende Werke sind: Böhmer’s Codex Moenofrancofurtanus, Lacomblet’s Niederrheinisches und Lappenberg’s Hamburgisches Urkundenbuch, Mone’s Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, die Monumenta Germaniae historica, das Wirtembergische Urkundenbuch von Kausler u. a. m. Die Zahl der mehr oder minder von den genannten Werken beeinflussten Publicationen ist eine so bedeutende, dass eine Aufzählung hier unterlassen werden muss. Auch gestattet es der Raum nicht, auf die grösstentheils [11] gediegenen Leistungen der gewissermassen eine eigene Schule bildenden k. Akademie in Wien im Einzelnen zu verweisen. Die pünktlichen Arbeiten eines Birk, Chmel, v. Meiller u. a. m. sind allbekannt.

Wie soll man Urkunden ediren? Uns scheint es, dass diese Frage, in ihrer beinahe abstract zu nennenden Allgemeinheit, einen viel zu weiten Spielraum lasse. Daher versuchen wir eine Analyse der an die Editoren von Archivalien zu stellenden Anforderungen und zwar innerhalb jener Gränzen, die sich unter der Voraussetzung ergeben, dass die zu edirenden Urkunden deutsche Geschichte und Vorzeit betreffen. Selbstredend wird es vom Grade der linguistischen Befähigung eines Editors abhängen, ob er sich zutrauen dürfe, solche Urkunden, die zwar Quellen der deutschen Geschichte, aber in ausländischen Sprachen abgefasst sind, seiner Sammlung einzuverleiben. In Provinzen, in welchen derartige Urkunden häufig vorkommen, ist allerdings die Aufgabe des Editors eine ungleich schwierigere. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen sich nur auf lateinische und deutsche Archivalien erstrecken.

Die erste Pflicht, welche einem jeden Herausgeber von Urkunden obliegt, ist: eine möglichst getreue Reproduction der vorliegenden Urschrift zu bewerkstelligen, und zwar unter Berücksichtigung der einerseits [12] durch die typographische Technik, anderseits aber durch die Bedürfnisse der Leser gesteckten Gränzen. Der Editor von Urkunden muss gewissenhaft und vollständig wiedergeben, was sich ohne Künstelei durch den Druck sicher und leicht erkennbar wiedergeben lässt; doch erstreckt sich dieses ihm auferlegte oberste Gesetz nur auf einen für wissenschaftlich-praktische Zwecke genügenden Text und keineswegs auf die graphischen und sonstigen Eigenthümlichkeiten der Urschrift, von denen der Herausgeber unter gewissen Voraussetzungen allerdings Act nehmen muss, während eine dem Facsimile verwandte Methode des Abdruckes, als etwas halbwüchsiges, verwerflich sein dürfte. Hierüber ist man, im Gegensatze zum Verfahren der englischen Recordcommission, in Deutschland so einig, dass sogar das von Sudendorf eingeschlagene, von Waitz a. a. O. S. 443 besprochene Verfahren völlig zu den Ausnahmen gehört. Man giebt nunmehr, wie sich Waitz ausdrückt, dem Text den äusseren Charakter, den wir gewohnt sind in unsern Drucken zu finden.

Dass dem Editor die grösstmöglichste Treue obliege, darüber ist wol keine Meinungsverschiedenheit vorhanden, dagegen giebt es allerdings noch ziemlich weit auseinandergehende Ansichten über die Beschaffenheit und Ausdehnung dieser Treue. Es werfen sich [13] hiebei verschiedene Fragen auf. Erstlich: ist ein Herausgeber dazu berechtigt, ja verpflichtet, das, was man eine Bearbeitung des Textes nennt, zu vollziehen? Bejahet man diese Frage, was wol ziemlich allgemein geschehen wird, so handelt es sich nunmehr um die erlaubten Gränzen und die Methode eines solchen Verfahrens. Dass man nicht so weit gehen dürfe, auf Kosten der charakteristischen Eigenthümlichkeiten bestimmter Zeiten, Landstriche und einzelner Urkunden, einen die Unebenheiten der Sprache und Schreibart verwischenden, möglichst lesbaren Text zu geben, versteht sich wol von selbst.

Über den ersteren Punkt, nämlich die Nothwendigkeit die Texte so zu liefern, wie ein richtiges Verständniss derselben es an die Hand giebt, hat sich Waitz in eben so bündiger als überzeugender Weise ausgesprochen, anknüpfend an Beyer’s Urkundenbuch zur Geschichte der, jetzt die Preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden Territorien, also an eine sonst sehr verdienstliche Arbeit, in welcher indessen der Herausgeber von der Ansicht ausgieng, sich ganz streng an die Urschriften halten zu sollen. Beyer’s Verfahren scheint allerdings beanstandet werden zu müssen. Nur in wahren Ausnahmsfällen sind die Urschriften so beschaffen, dass sie sich zu einem ohne [14] alle Nachhülfe zu bewerkstelligenden Abdrucke eignen. Man muss nachhelfen, zum Behufe des besseren Verständnisses, der Übersichtlichkeit ja der Sauberkeit des Druckes. Das nunmehr von der Mehrzahl der Editoren in Hinsicht auf die Redaction der Urkundentexte in Anwendung gebrachte Verfahren erstreckt sich 1) auf die Auflösung aller Abbreviaturen, 2) auf die Beseitigung der Willkühr in Anwendung der grossen Anfangsbuchstaben, 3) auf die Verbesserung offenbarer Schreibfehler und 4) eine Interpunction, wie sie der Sinn der Urkunde verlangt.

Was die Auflösung der Abkürzungen betrifft, so ergeben sich aber doch mancherlei Schwierigkeiten, die Waitz nicht mit einem Worte berührt. Darauf, dass es ungewöhnliche, irrationelle Abkürzungen giebt, deren Lösung auch für Kenner, ja Altmeister, zweifelhaft bleiben kann, darf freilich kein Gewicht gelegt werden, denn in solchen Fällen würde es doch nichts nützen, wenn man die Abbreviatur beim Abdrucke beibehalten wollte. Kann der Editor, trotz der ihm vorliegenden Urschrift, eine Abkürzung nicht auflösen, so wird der Leser, dem die Autopsie fehlt, in eine noch schlimmere Lage versetzt, selbst dann, wenn er die nöthigen diplomatischen Kenntnisse besitzt, was man doch unmöglich beim ganzen Leserkreise von Urkundenbüchern [15] voraussetzen darf. Glücklicher Weise kommen solche Fälle nicht sehr häufig vor. Ein dem Übelstande völlige Abhülfe gewährendes Auskunftsmittel wird sehr schwer zu finden sein, denn es würde kaum genügen, wenn die betreffenden Worte in getreuem Facsimile dem Leser vorgelegt würden, weil es sich dann doch darum handeln dürfte, nicht nur die fragliche Abkürzung sondern das vollständige Schriftstück, in seiner ganzen graphischen Eigenthümlichkeit, zur Vergleichung vor sich zu haben. Durch die Beigabe von getreuen Nachbildungen würden die Herstellungskosten sehr vergrössert werden, abgesehen von dem Umstande, dass ein wirklich genügendes, das Original beinahe vollständig wiedergebendes Facsimile, nur auf photographischem Wege und unter Beibehaltung des vielleicht störenden Formats der Urschrift erzielt wird. Demgemäss wird sich der Editor dazu bequemen müssen, die Conjectur, für welche er sich zuletzt entscheidet, seinem Texte einzuverleiben. Doch sollte er niemals versäumen, in einer besonderen, ins Auge fallenden Note, auf seine Zweifel aufmerksam zu machen und seine Lesart zu rechtfertigen. Die eigentlichen und zwar sehr zahlreichen Schwierigkeiten bei der Auflösung der Abbreviaturen ergeben sich aber in jenen Fällen, in welchen der Editor über die Bedeutung des abgekürzten Wortes [16] keinerlei Zweifel hat und dasselbe demgemäss sofort aussprechen könnte, dagegen aber nicht mit völliger Sicherheit weiss, wie der Schreiber der Urschrift das betreffende Wort ausgeschrieben hätte, wenn er es nicht in der Abkürzung sondern vollständig hätte geben wollen. Dass z. B. gra, dns, lra, mit den betreffenden Abkürzungszeichen, gratia, dominus, litera heissen, weiss zuverlässig jeder Anfänger; ob aber nicht in conkreten Fällen gracia, domnus, littera gesetzt werden müsse, um sich der Schreibart des Originals völlig gerecht zu erweisen, kann Gegenstand ernstlicher Bedenken sein. Noch grössere Zweifel stellen sich bei Orts- und Personennamen ein. Wer will mit Zuversicht sagen, ob man Babenberg oder Babenberch u. s. w. zu setzen habe, wenn die Urschrift nur Babnb, mit dem Abkürzungszeichen, giebt, oder die Lesart Brunswik gegen andere ähnliche Lesarten festhalten, wenn nur die bei Baring in der Clavis diplomatica zu findende Abkürzung vorliegt?

So kann man sich bei vielen auf burg und berg, hein und heim endigenden Ortsnamen nicht einmal auf das Herkommen berufen, weil beide Formen zu gleicher Zeit vorkommen. Der das n bezeichnende Strich gilt bekanntlich in Ausnahmsfällen wol auch für m, und die Abkürzungszeichen für er und ur sehen [17] sich zuweilen ungemein ähnlich. Sodann kömmt es vor, dass in ein und derselben Urkunde ein Wort in zwei verschiedenen Weisen ausgeschrieben, und drittens auch in Abkürzung steht. Wie löse ich dieselbe? Auch die richtige Auflösung der für con gebrauchten Abkürzung kann Schwierigkeiten bereiten, – conmunis, conmutatio oder communis, commutatio? Man wird vielleicht sagen, das seien lauter Kleinigkeiten und ein verständiger Editor wisse sich schon zu helfen. Allerdings muss er sich zu helfen wissen, aber sicherer wird er jedenfalls gehen, wenn er in jedem Falle, in welchem ihm auch nur der leiseste Zweifel hinsichtlich der Auflösung einer Abkürzung bleibt, in einer Note kurz Rechenschaft giebt. Man wird bei Eigennamen, um ganz sicher zu gehen, die zur Ergänzung der Urschrift beigefügten Buchstaben in Klammern setzen müssen, auch dann, wenn man sich nicht täuschen zu können glaubt. Wesentlich trägt es zur Begründung der in zweifelhaften Fällen gewählten Lesarten bei, wenn man sich auf gleichzeitige Urkunden, aus der gleichen Gegend, oder gar vom gleichen Schreiber, beziehen kann.

Hinsichtlich des zweiten Punktes, nämlich der Anwendung der grossen Anfangsbuchstaben, herrscht, wenige Ausnahmen abgerechnet, die nöthige Übereinstimmung. Man bedient sich des grossen Buchstabens nur [18] bei Beginn eines neuen Satzes und bei allen Namen. Diejenigen welche sich ganz und gar an die Urschrift halten wollen, unterscheiden nicht zwischen Sprache und Schreibweise, wie schon Mone in der Zeitschrift 1, 4 bemerkt hat, und ahmen nur die Willkühr der letzteren nach, ohne wesentliches Resultat für Praxis und Wissenschaft. Orts- und Personennamen müssen gross gedruckt sein, damit sie gehörig ins Auge fallen. In Beziehung auf die adjectivischen Formationen schwankt man noch; wie mir scheint ohne hinreichenden Grund. Auch den Adjectivbildungen ohne Ausnahme den grossen Buchstaben zu geben, scheint praktisch zu sein. Der grosse Anfangsbuchstabe soll ja dem betreffenden Worte keine höhere Dignität gewähren, sondern nur dasselbe leichter bemerkbar machen. Noch mag bemerkt werden, dass diejenigen, welche, mit dem Anspruche auf besondere Pünktlichkeit, grosse und kleine Buchstaben nach Massgabe des Originals setzen wollen, zuweilen in die fatale Lage kommen müssen, nicht mit völliger Bestimmtheit sagen zu können, was sie denn eigentlich vor sich haben, einen dem kleinen Alphabete angehörigen aber etwas gross geformten, oder einen wirklich dem grossen Alphabete angehörigen Buchstaben.

Der dritte Punct betrifft die Verbesserung offenbarer Schreibfehler, denen man auch, wenigstens [19] bedingtermassen, die zumal in späteren Zeiten vorkommende, nutzlose Verdoppelung und Häufung von Consonanten beigesellen könnte. Wenigstens wird man den Vorwurf der Ungenauigkeit nicht daraus ableiten wollen, wenn man, um bei dem von Mone a. a. O. gewählten Beispiele zu bleiben, statt ffal und ffund, fal und fund gedruckt findet. Offenbare Schreibfehler, lapsus calami, sinnlos doppelt gesetzte Worte, müssen im Texte allerdings beseitigt werden. Mir scheint indessen doch, dass auch dieses niemals brevi manu geschehen sollte. Was die im Originale ausgestrichenen (zuweilen interpunctirten) Worte betrifft, so kann es unter Umständen wesentlich sein, dieselben kennen zu lernen. Sie sind daher in einer Note anzugeben, im Texte aber zu beseitigen. In Rücksicht auf die Interpunction existiren verschiedene Meinungen. Man wird aber wohl daran thun, lieber etwas zu wenig als zu viel zu interpungiren, oder, wie sich Arnold in seiner interessanten Forschung zur Geschichte des Eigenthums in den Städten Seite XIII. ausdrückt, wenn man keine strenge Interpunction durchführt, vielmehr auf leise Nachhülfe sich beschränkt, insoweit das Verständniss der Urkunde eine solche fordert. Die Interpunction der Originale beizubehalten, ist nur in Ausnahmsfällen zulässig, wenn man nämlich Werth darauf legt, ein [20] drastisches Beispiel des in der Mehrzahl aller mittelalterlichen Urkunden obwaltenden, regellosen ja sinnstörenden Verfahrens zu geben. Auf meine Veranlassung steht, in A. L. J. Michelsen’s Beitrag zur Geschichte der Landfrieden Nürnberg, 1863. 4°, der Fränkische Landfrieden K. Karls IV. d. d. Nürnberg 4. Oct. 1349 diplomatisch getreu und mit Beibehaltung der geradezu wunderlichen Interpunction abgedruckt. Namentlich bei den Zeugenkatalogen ist Vorsicht anzuwenden, auf dass nicht ein dem Originale fremdes Abtheilungszeichen zusammengehörige Namen trenne und hiedurch eine grössere oder kleinere Zahl von Personen schaffe, als in der That vorhanden und anwesend war.

Einige und zwar sehr geachtete und verdienstvolle Editoren erstrecken nun freilich die den Texten zu gewährende Nachhülfe auch auf die unserer jetzigen Schreibweise entsprechende Verwendung des u und v, die aber keineswegs allgemein angenommen worden ist. Dass dieselbe zur Bequemlichkeit der Leser beitrage, soll nicht in Abrede gezogen werden, doch müsste man, wie schon Waitz bemerkt hat, consequentermassen ein gleiches Verfahren in Hinsicht auf j und i eintreten lassen. Wesshalb nicht auch in Hinsicht auf t und c? (gratia, nicht gracia u. s. w.). Böhmer, [21] Kausler u. a. m. haben u und v nach, jetzigem Gebrauche verwendet, in Mone’s Zeitschrift dagegen wird die Schreibart des Originals beibehalten. Einen bedeutenden Nutzen der Modernisirung vermag ich nicht zu sehen. Die Leser von Urkundenbüchern wissen sich schon zurecht zu finden, wenn sie uestris, vnâ oder gar uult, vniuersis u. s. w. vor sich haben. Missverständnisse werden hiedurch nicht leicht herbeigeführt werden können, obgleich es allerdings im lateinischen Sprachschatze nicht an Worten fehlt, bei denen e oder ae den Sinn sehr wesentlich alteriren können, z. B. equus und aequus. Denjenigen welche auf die dem jetzigen Gebrauche des u und v entsprechende Verwendung dieser Buchstaben grossen Werth legen wollten, würde man mit Recht entgegenhalten, dass alsdann gar nichts sie dazu berechtige, dem jetzigen Gebrauche in Hinsicht auf e und ae; i und j; c und t zuwider zu handeln und z. B. equaliter, iuris, euidencia u. dgl. drucken zu lassen. Jenen aber, welche ein möglichst treues Festhalten an dem Originale für rathsam erachten, wird man immerhin zugeben müssen, dass ihre Manier den Vorzug habe, gewisse Äusserlichkeiten der Urschrift dem Leser zur Anschauung zu bringen, ohne denselben zu stören. Dagegen scheint es bedenklich, wenn man „Kriterien zur Beurtheilung der Ächtheit [22] und Ursprünglichkeit der Stücke“ hiedurch gewinnen zu können glaubt. Die Gewähr für die Ächtheit der betreffenden Stücke zu leisten, ist Sache des Herausgebers. Stellen sich aber gleichwohl Bedenken ein, so muss denn doch auf das Original zurückgegriffen werden. Es fragt sich in erster Linie, ob der Editor zuverlässig und hinreichend seiner Aufgabe gewachsen war. Ist dieses der Fall, so kann derselbe füglich auch in Hinsicht auf die Redaction Glaubwürdigkeit beanspruchen. Die auch von Waitz gebilligten Worte aus der Vorrede zu Grotefend’s und Fiedeler’s Urkundenbuch der Stadt Hannover, dürften den Standpunkt eines zuverlässigen Editors sehr richtig bezeichnen. „Wir glaubten versichert zu sein, dass jeder der uns die richtige Auflösung der im Drucke nicht wiederzugebenden Signaturen zutraut, bei uns auch über das richtige Vertauschen eines grossen mit einem kleinen Anfangsbuchstaben, eines langen ſ mit einem kurzen s, eines i mit einem j, eines u mit einem v keinen Zweifel hegen werde.“ Sollte dagegen der Herausgeber flüchtig und kritiklos zu Werk gegangen sein, so würde seine Arbeit schlecht bleiben, wenn sie auch äusserlich vollkommen schulmässig gehalten wäre. Wir erlauben uns die Ansicht auszusprechen, dass im Grunde genommen die Behandlung [23] des u, v, i, j, c, t, e, ae, nicht hinreichend wichtig sei, um Lob oder Tadel hierauf zu basiren und einem sonst zuverlässigen Editor desshalb Ausstellungen machen zu dürfen. Welche von beiden Arten anzuwenden sei, wird man füglich dem wissenschaftlichen Ermessen – ja sogar dem subjectiven Belieben – des Herausgebers überlassen können, denn der Inhalt der Urkunde bleibt ja, für alle möglichen Zwecke, unverkürzt bei der einen wie bei der anderen Manier. Übrigens scheint es uns doch, dass für die urkundliche Beibehaltung des u und v, bei deutschen Texten, auch sprachliche Gründe geltend gemacht werden könnten. Ist freilich in der Urschrift selbst keine consequente Verwendung ersichtlich, so dürfte der Editor schon durch diesen Umstand dazu berechtigt sein, eine, seinen Ansichten entsprechende, gleichmässige Orthographie eintreten zu lassen. Dieser Fall wird auch in Hinsicht auf cz und tz eintreten, die sich, abgesehen von der offenbaren Willkühr in einzelnen Urkunden, oftmals nicht einmal graphisch hinreichend sicher unterscheiden. Eine Unterscheidung des langen ſ und kurzen s, scheint lediglich nur schreibartlich zu sein. Will man aber dieselbe eintreten lassen, so wird der Leser kaum ein Recht dazu haben, hiegegen etwas einzuwenden. Bei Abschriftnahme von Urkunden empfiehlt sich die [24] durchlaufende Verwendung des kurzen s, weil dasselbe nicht mit f verwechselt wird. Es wurde bereits bemerkt, dass die bewährtesten Editoren sich dem Urtexte möglich genau anschliessen, und demgemäss die Orthographie der zu edirenden Stücke nicht verändern, auch wenn dieselbe offenbar fehlerhaft ist. Nur solche Fehler werden berichtigt, die ganz entschieden zur Gattung der Schreibfehler gehören, die also der Schreiber der Urkunde, bei einer sorgsamen Revision, selbst berichtigt haben würde. Dass man diese berichtigen müsse, unterliegt wol keinem Zweifel, dagegen fragt es sich, wo diese Berichtigung am füglichsten gegeben werde, im Texte oder in einer Note. Wo die Verstösse so beschaffen sind, dass ein aufmerksamer Leser selbst die Berichtigung sofort vollziehen kann, also z. B. wenn der Schreiber der Urkunde, aus der Construktion fallend, die Casus verwechselt hat, da mag statt einer Note ein (sic!) genügen.

Brevi manu, das heisst ohne irgend eine Angabe hierüber, sollte man freilich im Texte gar nichts abändern, denn es kann in einzelnen Fällen für den Leser von Werth sein, feste Anhaltspunkte darüber zu besitzen, welche Urschrift einem Abdrucke zu Grunde gelegt worden sei. Weitaus nicht alle Duplicate sind vollständig gleichlautend und manche wichtige Urkunde [25] liegt sogar in einer grösseren Zahl von Originalausfertigungen vor, von denen sich mehrere im gleichen Archive befinden können. Beseitigt man also ohneweiteres vitiöse Kleinigkeiten im Abdrucke, so geht hiedurch, unter Umständen, zugleich auch ein Kennzeichen der benützten Urschrift verloren. Ich weiss aus eigener Praxis, dass ich ein Mal eine mir mitgetheilte Abschrift einer Urkunde für sehr ungenau zu halten geneigt war, nachdem ich sie mit dem, wie ich glaubte, einzigen Originale verglichen hatte. Die Gattung der Urkunde und deren Inhalt liessen eine in duplo erfolgte Ausfertigung nicht voraussetzen. Gleichwohl war ein zweites Original vorhanden, welches einige nicht ganz unbedeutende Varianten gab. Ein Editor welcher sich erlaubt schadhafte Stellen brevissime zu verbessern, kann daher in die Lage kommen, dass man auf die Vermuthung verfällt, er habe gar nicht nach dem Originale edirt. Vielleicht wäre sogar für alle im Texte vollzogene Emendationen die gesperrte Schrift anzuempfehlen, damit die erfolgte Abänderung auch typographisch bemerkbar gemacht werde. Die im Texte beseitigten vitiösen Worte kann man dann, ohne weitere Bemerkung, in eine Note setzen. Nur dann wird es nöthig werden, sich über die im Texte gewählte Lesart [26] in etwas ausführlicherer Weise zu äussern, wenn dieselbe einer näheren Begründung bedarf.

Trägt die zu edirende Urkunde Spuren einer an einzelnen Stellen vollzogenen Fälschung, oder aus Unverstand vorgenommenen Schlimmbesserung an sich, sind Rasuren vorhanden und ist auf dieselben, zumal von anderer Hand und Tinte, wieder geschrieben worden, so muss der Herausgeber hierauf aufmerksam machen, indem er zugleich sein unvorgreifliches Urtheil über die dem betreffenden Schriftstücke überhaupt zukommende Glaubwürdigkeit abgiebt. Will man ganz exact verfahren, so wird man es nicht einmal mit Stillschweigen übergehen dürfen, wenn einzelne Worte, wie es scheint gleichzeitig und durch die erste Hand, als Nachtrag über die Zeile gesetzt sein sollten. Überhaupt liegt es dem Herausgeber ob, seine Ansicht über die Ächtheit oder Unächtheit zweifelhafter Urkunden auszusprechen, wobei freilich grosse Behutsamkeit dringend anempfohlen werden muss. So hat seiner Zeit Dümgé, bei der Bearbeitung seiner Regesta Badensia, hyperkritischen Zweifeln Raum gegeben.

Sind einzelne Worte durch Feuchtigkeit, Moder, Brand, oder wie immer, ganz unlesbar geworden, so genügt es wol nicht dieses zu bemerken. Man wird wohl daran thun, die Grösse der Lacune durch Puncte [27] bemerkbar zu machen. Sehr wesentlich ist es auch, niemals Angaben darüber zu unterlassen, ob man eine Urkunde, oder ein sonstiges in Urkundenbüchern Raum findendes Archivstück, nach dem Originale herausgegeben hat, oder nur nach einer andern, minder glaubwürdigen Aufzeichnung. Geschah die Publication nach dem Originale, so pflegt man vielfach, einer ursprünglich von Pertz aufgestellten Regel entsprechend, die Länge der drei ersten Zeilen durch senkrechte Striche beim Abdrucke anzudeuten, was den Vortheil hat, über die Identität des benüzten Stückes nicht leicht einen Zweifel aufkommen zu lassen. Habent sua fata libelli, – auch die Urkunden. Der Fall dass Urkunden, die man zuverlässig in einem bestimmten Archive zu finden glaubt, weil sie von früheren Editoren dort benützt worden sind, später an ganz anderen Orten auftauchen, ist keineswegs unerhört.

Auch wenn von sträflicher Unachtsamkeit und Verschleuderung der Archivalien nichts zu befürchten wäre, würde die Rücksicht auf die Duplicate die Anwendung der drei Striche sehr zweckmässig erscheinen lassen. Das von J. E. Kopp, bekanntlich einem der sorgfältigsten und gewissenhaftesten Herausgeber, beobachtete Verfahren, vermöge dessen, die ganze Urkunde hindurch, die Länge der Originalzeilen beim Abdrucke [28] durch Striche angedeutet wird, hat meines Wissens wenig Nachahmung gefunden und scheint auch eine solche kaum zu verdienen.

Sind die verschiedenen Stücke eines Urkundenbuches – und dieses wird in der Regel der Fall sein – verschiedenen Archiven oder sonstigen Urkundensammlungen entnommen, so muss beim Abdrucke stets bemerkt werden, wo sich die Urschrift der betreffenden Numer befinde und zwar unter kurzer, aber genügender Bezeichnung der Gattung jenes Schriftstückes, z. B. aus dem Orig. im Generallandesarchive zu Carlsruhe; aus einem Copialbuche des 15. Jahrhunderts im Reichsarchive zu München. Man fügt bei den Copialbüchern füglich die nähere Bezeichnung bei, unter der sie in den Repertorien und Katalogen der betreffenden Archive, Bibliotheken u. s. w. stehen; auch das Material auf welches sie geschrieben sind. Auch bei Originalurkunden wird man kurz angeben sollen, ob sie auf Pergament oder Papier u. s. w. gefertigt sind. Die kürzeste Bezeichnung ist wol genügend, z. B. Orig. pap. – Orig. perg.

Nützlich ist es auch, wenn man, zumal wenn die Urkunde grossen Archiven entnommen wird, die Section in der sie sich befindet angeben kann. Nähere Angaben scheinen mir überflüssig zu sein. Die Leser welche nach Schrank und Fascikel zu fragen wirklich [29] den Beruf haben, werden sich auch die weiteren Angaben verschaffen können. Editoren desshalb der Ungenauigkeit bezüchtigen zu wollen, weil nur auf das betreffende Archiv, nicht aber auch auf den betreffenden Schrank u. s. w. genau hingewiesen ist, wäre ein der Pedanterie sehr nahe verwandtes Gebahren.

Muss man Abschriften benützen, so wird es nöthig deren Qualität näher zu bezeichnen. Eine Copia vidimata verdient denn doch den Vorzug vor einer sog. copia vaga, wenn auch nicht unbedingt. Die letztere kann von einem durchaus zuverlässigen und überaus kenntnissreichen Manne gefertigt und daher zu reinwissenschaftlichen Zwecken ungleich brauchbarer sein, als ein von handwerksmässig verfahrenden Tabellionen, auf Grund unrichtiger Lesung und ungenügender Collationirung, in optima forma mit dem Amtssiegel versehenes Vidimus. Namentlich leidet der sprachliche Gehalt der Urkunden bei Copien nicht selten Noth. Ich besitze Dronke’s Handexemplar von Grimm’s Weisthümern. Der genannte Mitherausgeber des berühmten Werkes war in der Lage, an der Stelle später Copien oder Abdrücke, mit denen man sich zur Zeit der Herausgabe dann und wann begnügen musste, in der Folge mehrere der ursprünglichen Aufzeichnung näher stehende Ausfertigungen benützen zu können. [30] Seine Marginal- und Interlinearnoten weisen daher nicht unwesentliche Abweichungen mehrfach nach. Natürlich ist bei Benützung von Copien darauf zu sehen, dass man deren Alter so genau als möglich angebe, also bei gänzlichem Mangel an Angaben hinsichtlich der Zeit in welcher die Abschrift gefertigt wurde, wenigstens das aus den Schriftzügen u. s. w. zu bestimmende Jahrhundert.

Entnimmt man Abschriften aus Copialbüchern, so muss deren Alter und Beschaffenheit bezeichnet werden, was füglich im Vorworte geschehen kann, namentlich wenn man eine ganze Reihe von Stücken dem nämlichen Chartularium zu verdanken hat. Immerhin dürfte es aber zweckmässig sein, wenn man auch beim Abdrucke selbst eine Verweisung auf das Vorwort giebt. Bemerkt man nur im Vorworte welche Numern man aus dieser oder jener Sammlung genommen habe, so bürdet man doch wol dem Leser eine unnöthige Mühe auf. Sehr häufig enthalten die Copialbücher Einträge aus ziemlich verschiedenen Zeiten. Ist dieses der Fall, so wird der Herausgeber auch diesen Punkt berücksichtigen müssen.

Oftmals verlangt es die beabsichtigte Vollständigkeit einer Urkundensammlung, dass man auch solche Stücke neuerdings wieder zum Abdrucke bringe, die [31] schon längst edirt sind. Abermalige Abdrücke werden namentlich dann vollauf gerechtfertigt sein, wenn die älteren mangelhaft waren oder sich in seltenen Werken befinden. Sind die Originale noch vorhanden und kann man dieselben benützen, so darf man sich der Mühe, eine sorgfältige Revision vorzunehmen, kaum entschlagen. Die Ausstellungen welche Waitz, in dieser Hinsicht, gegen die niemals in den Buchhandel gekommenen, sondern vom hochverehrten Herausgeber nur mit Auswahl an Freunde und Bekannte vertheilten Acta Conradi regis vorgebracht hat, würden allerdings ganz begründet sein, wenn es nicht eine bekannte Thatsache wäre, dass Böhmer in jenem Probedrucke hauptsächlich nur das ihm passend scheinende Format anschaulich vorlegen wollte und zwar im Gegensatze zu den Monumenta Germaniae historica, sowie auch unter Berücksichtigung des, durch überflüssigen Luxus in der Ausstattung erwachsenden, der Verbreitung eines für gar viele Benutzer bestimmten Werkes, leidig in den Weg tretenden, hohen Preises.

Wenn die Urschrift nicht mehr vorhanden oder dem Herausgeber nicht bekannt, nicht zugänglich ist, so bleibt freilich nichts übrig als ein Nachdruck, der natürlich, wenn die Urkunde an mehreren Orten abgedruckt sein sollte, nach jenem Texte gefertigt werden [32] muss, der der beste zu sein scheint. Hiebei stellt sich aber ein fataler Umstand ein. Die äussere Form des alten Abdruckes will insgemein nicht mehr zur neueren Methode passen und der Editor hat also nur zwischen zwei Übelständen die Wahl. Entweder nimmt er die ihm nöthig scheinenden formellen Veränderungen vor, was ihn aber in die Lage versetzt, bei Abmangel des Originals, seine Correcturen nur auf Aussendinge erstrecken zu dürfen, oder er behält die ältere Redaction unverändert bei, wodurch dann eine gewisse Ungleichmässigkeit entsteht. Sollte aber nicht gleichwohl das letztere Verfahren vorzuziehen sein? Ich erlaube mir auf ein Analogon zu verweisen. Man hat ja insgemein keinen Anstand genommen, späte deutsche Versionen verloren gegangener, in lateinischer Sprache abgefasst gewesener Urkunden, in neuere Urkundenbücher aufzunehmen, obgleich man in diesem Falle ganz bestimmt weiss, dass man, unter Voraussetzung richtiger Übersetzung, zwar den Inhalt, aber von der Form der Urkunde nur ungemein wenig erhält.

Die Verbesserungen welche man sich bei älteren Drucken, deren Urschrift wie gesagt nicht mehr vorhanden oder nicht zugänglich ist, allenfalls erlauben darf, werden sich höchstens auf die Beseitigung überflüssiger grosser Anfangsbuchstaben, des ae wenn [33] dasselbe der Zeit nicht entspricht, auf die unserem Gebrauche entsprechende Verwendung der u und v, eine sachdienliche Interpunction und auf grobe, leicht zu beseitigende Druckfehler erstrecken dürfen.

In dieser Art verfuhr unter anderen auch Huillard-Bréholles in der Historia diplomatica Friderici II. In sehr vielen Fällen dürfte aber der Vollständigkeit einer diplomatischen Quellensammlung gar wenig entzogen werden, wenn man, statt vielfach und in sehr bekannten Werken schon abgedruckte Stücke nochmals in extenso zu geben, sich mit einem ausführlichen Regeste begnügen wollte.

Zu den Pflichten von denen kein Herausgeber von Urkunden entbunden werden kann, gehört fernerhin die Auflösung der chronologischen Daten. Dass dieselbe eine sichere, richtige sein müsse, versteht sich von selbst. Wer indessen die eigenthümlichen Schwierigkeiten kennt, auf die man zuweilen stossen kann, der wird wol mit dem Verfasser dieser Abhandlung bedauern, dass Waitz diesen Punct nur kurz berührt hat. Wäre es nicht am Platze, endlich einmal offen zu bekennen, dass wir ein den Anforderungen strenger Wissenschaftlichkeit völlig genügeleistendes Calendarium medii aevi zur Stunde noch nicht besitzen und auch, wegen der [34] mühsamen Vorarbeiten, die ein Einzelner kaum unternehmen kann, nicht besitzen können.

So ist, um hier nur Eines zu erwähnen, die in einzelnen bekannten Fällen, z. B. in Hinsicht auf die Tage des heiligen Georg und der heiligen Margaretha, sattsam constatirte und bei anderen Heiligentagen mit grosser Wahrscheinlichkeit zu vermuthende Verschiedenheit der Feier, je nach den einzelnen Kirchensprengeln und Provinzen, nicht Gegenstand einer neueren exacten und umsichtigen Forschung gewesen. Pilgram hatte seiner Zeit hiezu den Anfang gemacht. Will man aber ganz ins Reine kommen, so bleibt wol nichts anderes übrig, als zuerst eine umfassende Sammlung von zweifellos ächten Calendarien aus verschiedenen Sprengeln und Jahrhunderten zu veranstalten. Dem Weidenbach’schen Calendarium medii aevi, einem zum Handgebrauche anzuempfehlenden und sehr verständig angelegten Buche, soll durch diese Bemerkung nichts entzogen werden.

Wie soll sich aber der Editor verhalten, wenn er auf gänzlich irrationelle Daten stösst? Es ist allbekannt, dass durch die den Jahrszahlen zuweilen beigefügten Indictionen, Epacten, und sonstigen Zeitangaben, insofern sie unter sich in wirklichem oder scheinbaren Widerspruche stehen, die Schwierigkeiten [35] nicht nur nicht beseitigt, sondern offenbar vermehrt werden. Ein gleiches gilt von den Regierungs- und Pontificatsjahren.

Wie steht es um die Lehre von den Indictionen, nachdem bekanntlich durch Ideler starke Bedenken gegen die landläufigen Annahmen längst vorgebracht worden sind? Wo soll man sich in ganz genügender Weise über die verschiedenen Jahresanfänge Raths erholen? Gewiss, es wäre zuerst noch manche Vorfrage zu lösen, bevor man sich bemüssiget finden könnte, so etwas wie eine stramme Ordonanz für Editoren von Urkundenbüchern zu erlassen.

Unverkennbar ist, dass es sich nicht rechtfertigen lasse, wenn die an Originalurkunden befindlichen Siegel von den Herausgebern von Urkundenbüchern gar nicht oder nicht gehörig beachtet werden. Leider fehlt uns aber eine allgemein recipirte Nomenclatur. Man kann sich sehr leicht hievon überzeugen. Hiedurch wird die Beschreibung der Siegel schwerfällig und unverständlich. Zuerst dürfte es sich darum handeln, sich über die Annahme eines sphragistischen Systems zu verständigen und das zweite Erforderniss dürfte eine exacte Blasonirung der heraldischen Theile der Siegel sein. Ein praktisch durchführbares, nach strengwissenschaftlichen Principien gearbeitetes und sich durch seine [36] Bündigkeit und Kürze empfehlendes System der Sphragistik, besitzen wir durch den Fürsten Friedrich Karl zu Hohenlohe-Waldenburg. Ein Urkundeneditor welcher dieses System benützen wollte, würde nur das leichtverständliche Schema, in Form einer Übersichtstabelle, seinen Lesern zur Anschauung zu bringen haben. Der Nutzen wäre ein bedeutender. Es liegt diesem Systeme eine sehr reichhaltige sphragische Sammlung zu Grunde und es ist dasselbe durchaus das Ergebniss des die vorhandenen Hindernisse glücklich beseitigenden Strebens, jedes Siegel mit wenig Worten classificiren zu können. Verwechselungen sind nicht möglich. Grösser sind die Schwierigkeiten hinsichtlich der Blasonirung der Wappen, obgleich auch hier ein Ausweg ohne übergrosse Mühe gefunden werden kann. Der betreffende Editor gebe uns eine Tafel mit den seine Blasonirung kurz und praktisch erläuternden Figuren und bleibe dann nur sich selbst getreu. Die von Dr. O. T. v. Hefner vertretene Blasonirung erfüllt ihren Zweck, denn man kann nach derselben jedes heraldische Siegel kurz und genügend beschreiben. Man wird ja in einem Urkundenbuche keine ausführliche Beschreibung von Siegeln verlangen. Es genügen vielmehr kurze Andeutungen, wie sie z. B. auch in Mone’s Zeitschrift gegeben sind. Den Nutzen derselben [37] wird Niemand verkennen wollen, er müsste denn der Ansicht sein, den genealogischen Theil des historischen Wissens über Bord werfen zu können, was gewiss keinem wirklichen Historiker beifallen kann.

Eine erschöpfende Ausführung dieses Themas würde hier nicht an ihrem Platze sein. Noch mag aber in Kürze bemerkt werden, dass die alten und grossentheils ziemlich einfachen Wappen des Mittelalters leichter zu blasoniren sind, als die complicirten heraldischen und zuweilen auch sehr unheraldischen Schöpfungen der Neuzeit. Beachtung verdient der Umstand, dass man bei den Wappen, die uns nur aus alten Siegeln bekannt sind, die Farben nicht kennt, also zuweilen anders blasoniren muss, als der Fall wäre, wenn man die Farben kennen würde.

Ist es möglich einem Codex diplomaticus die Abbildung der interessanteren Siegel beizugeben, wie z. B. im Zeerleder’schen Urkundenbuche von Bern geschah, so dient eine solche Beigabe allerdings zur Zierde. Verlangen wird man sie gewiss nicht dürfen, schon desshalb nicht, weil wirklich charakteristisch gefertigte Abbildungen viele Mühe verursachen und demgemäss auch bedeutende Kosten, während der Nutzen von mittelmässigen Zeichnungen kaum im richtigen Verhältnisse zu dem durch sie veranlassten Aufwande [38] stehen dürfte. Giebt der Editor eines Urkundenbuches, durch kurze, wo möglich nach einem wissenschaftlichen Systeme vollzogene Charakteristik der ihm vorliegenden Siegel, dem Sphragistiker die nöthigen Winke vom Vorhandensein der betreffenden Originale, so ist es dann doch wol Sache der Sphragistik, die erhaltenen Notizen zu prüfen und weiter zu verwerthen. Je mehr man eine Aufgabe durch Nebenaufgaben complicirt macht, desto weniger ist Aussicht auf genügende Erfüllung derselben vorhanden. In Berücksichtigung dieses wol kaum zu beanstandenden Satzes, dürften auch diplomatisch-kritische Excurse einem Editor eines Urkundenbuches nimmermehr zur Pflicht gemacht werden können, ja vielmehr wo sie sich zur Ungebühr einstellen sollten, als ein Eingriff in ein zwar nicht völlig fremdes, aber doch im Interesse der Wissenschaft gesondert zu erhaltendes Gebiet zu betrachten sein. Daher hält man auch insgemein die Beigabe von Schriftproben keineswegs für unbedingt nothwendig, ja nicht einmal für besonders zweckmässig, was auch damit zusammenhängen mag, dass wir nunmehr, besonders durch Sickel’s Monumenta graphica, die Photographie als das einzig genügende Mittel zur Beschaffung wirklich instructiver Nachbildungen allgemeiner kennen gelernt haben.

[39] Hat der Herausgeber eines Urkundenbuches, in der bisher besprochenen Weise, durch Beschaffung zuverlässiger und brauchbarer Texte, das seinige gethan, so fragt es sich noch, ob ihm nicht auch hinsichtlich der Erklärung der gelieferten Urkunden einige Obliegenheiten zuzuweisen seien. Obgleich sich Waitz auch über diesen Punct nur in aller Kürze ausgesprochen hat, so dürften seine Andeutungen doch genügen. Er unterscheidet je nach dem Zwecke der betreffenden Publication und verlangt daher bei Urkundenwerken, die einen provinciellen Character haben, dass in denselben das Mögliche für Erklärung von Ortsnamen geschehen solle, eine Anforderung, die gewiss vollauf gerechtfertigt erscheint, und füglich auch auf die sich etwa ergebenden genealogischen Anstände erstreckt wird. Wer Land und Leute nicht kennt, der sollte sich der Herausgabe solcher der Provincialgeschichte dienstbarer Quellen unbedingt enthalten. Ich glaube nicht, dass man zu weit geht, wenn man in solchen Fällen, in denen es sich, wie gesagt, um die Edition specialgeschichtlicher und oftmals nur über einige Gaue Aufschlüsse spendender Urkunden handelt, vom Editor unbedingt verlangt, dass er Alles dasjenige kurz zu erläutern suche, was dem nicht localkundigen Leser dunkel bleiben würde, also auch solche Worte [40] und Wortformen, über welche die gangbaren und als allgemein bekannt vorausgesetzten Glossarien, keine oder nicht die richtige Auskunft ertheilen. Dass man aber auch in dieser Richtung seine Anforderungen nicht überspannen dürfe, ist unbezweifelt. Böhmer äussert sich hierüber, es sei unverständig bereits bei dem Abdrucke den Besitz und die Anwendung von Kenntnissen zu verlangen, die eben durch die Herausgabe grossen Theils erst gewonnen werden sollen. Irrthümer werden niemals ganz vermieden werden können. Man sollte sich aber davor hüten, ein allzugrosses Wesen daraus zu machen, wenn einige geographische, genealogische, chronologische oder etymologische Erklärungen missglücken, denn auch die exacteste Publication bleibt niemals ganz frei von solchen sublunarischen Gebrechen. Man hat gewiss alle Ursache, über die mustergültige und gediegene Arbeit, welche man in den Monumenta Germaniae historica fast ohne Ausnahme findet, mit patriotischem Stolze sich zu freuen und doch ist es ja Thatsache, dass auch in diesem klassischen Nationalwerke gänzlich verunglückte Erklärungen nicht zu den ganz unerhörten Dingen gehören.

Auch in Hinsicht auf die Verschiedenheiten, die bei der Edition lateinischer und deutscher Urkundentexte [41] Platz greifen müssen, findet man in der vielerwähnten Abhandlung so gut als nichts. Nur ein einziges Mal ist gelegentlich davon die Rede, dass es sich mit dem ij in deutschen Urkunden etwas anders verhalte, während es in den lateinischen eine reinkalligraphische Gewohnheit gewesen sei, wenn man, statt zwei i zu schreiben, das zweite, oder ein am Ende des Wortes stehendes, i (j) lang herabzog.

Was die deutschen Urkunden betrifft, so scheint doch unzweifelhaft zu sein, dass die mundartlichen Eigenthümlichkeiten derselben auch im Abdrucke möglichst vollständig wiedergegeben werden müssen. Daher ist es aber auch ganz unerlässlich der Vocalisirung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Bahnbrechend ist in dieser Hinsicht das Verfahren in Mone’s Zeitschrift. Wo die angewendeten Doppelvocale durch den Schreiber ganz deutlich geformt und consequent angewendet worden sind, da ist auch eine besondere Schwierigkeit für den Abdruck nicht vorhanden. Der Editor muss sich eben mit der Druckerei ins Einvernehmen setzen und die nöthigen Typen giessen lassen, nicht nur das beinahe in allen Officinen vorräthige ů, sondern auch eine ganze Reihe ähnlicher Zeichen, die dadurch entstanden sind, dass man, zur Modification des Grundlautes, einen zweiten Vocal über den ersteren [42] stellte. Wo freilich die Scriptur undeutlich und die Lesung daher unsicher ist, oder wo offenbare Willkühr die Anwendung bestimmter, grammatikalischer Regeln heischt, da wird der Herausgeber sich vor Allem exacter Studien über die betreffende Mundart zu befleissigen haben, wenn er nicht ganz und gar Verkehrtes zu Tage fördern will. Mone’s rühmlichst bekannte und Frommann’s leider eingegangene Zeitschrift, geben manchen nützlichen Wink. Nicht überall wird der Bedarf von besonderen Typen der gleiche sein, sondern es richtet sich derselbe natürlich ganz nach der Beschaffenheit der Dialekte. Ob man wohl daran thue, für die in deutscher Sprache geschriebenen Urkunden deutsche Lettern zu wählen, oder vielmehr die lateinischen auch hiebei in Anwendung zu bringen, wird vielleicht auch ein Gegenstand reiflicher Überlegung sein müssen. Übrigens haben wir für das eine wie für das andere Verfahren vollwiegende Beispiele der Durchführbarkeit.

Ein in älteren Urkundenbüchern zuweilen sich vorfindender Übelstand, nämlich der nicht nur relativ, sondern für jedes auf Schonung gerechte Ansprüche machende Auge, absolut zu kleine oder schlechte Druck, bedarf nunmehr kaum noch der Erwähnung, da man sich so ziemlich allenthalben gebessert hat und [43] ein halbwegs einsichtsvoller Editor auch die typographische Ausstattung eines von ihm zu publicirenden Quellenwerkes zu beeinflussen, nicht unter seiner Würde zu halten pflegt. Selbstredend ist, nebst den zu kleinen Lettern, auch schlechtes oder nicht dauerhaftes Papier gänzlich zu verpönen. Verfällt man ab und zu in das entgegengesetzte Extrem, so haben wir selten die Befugniss mit dem Editor zu rechten. Man kann und wird es wol bedauern, wenn einer luxuriös zu nennenden Ausgabe nicht eine gleiche Sorgfalt in der Bearbeitung der Texte u. s. w. entspricht, aber in der Regel auch annehmen dürfen, dass eine weniger ins Auge fallende Edition den Wünschen derjenigen nicht entsprochen haben würde, welche die Geldmittel bewilligten. Der deutsche Gelehrte ist in der Regel kein Krösus. Man sollte daher, mehr als zuweilen der Fall ist, hierauf Rücksicht nehmen und auch monumentale Druckwerke, die freilich nicht sehr wohlfeil sein können, wenigstens nicht sehr theuer werden lassen, durch einen die wissenschaftliche Trefflichkeit nicht erhöhenden Luxus in der äusseren Ausstattung. Noch sind vier Puncte zu besprechen, bevor ich die als Überschrift gewählte Frage nicht etwa erschöpft zu haben glaube, sondern vielleicht hoffen darf, durch eine der unbestreitbaren Wichtigkeit des Gegenstandes wenigstens [44] einigermassen entsprechende Behandlung, neuerdings wieder in Anregung bringen zu können.

Der erste betrifft die Überschriften, die man den einzelnen Urkunden zu geben pflegt und mit denen man, herkömmlicher Weise, die Auflösung des Originaldatums verbindet. Die Beibehaltung dieser in den besseren Urkundenbüchern nicht leicht fehlenden Überschriften ist gewiss wünschenswerth. Allzukurz dürfen dieselben nicht sein. Wollte man die Überschriften beseitigen, so würde eine solche, vielleicht durch die Spärlichkeit der zu Gebot stehenden Geldmittel entschuldigte, knappe Kürze jedenfalls nicht mit der dem Leser billiger Weise zu gewährenden Übersichtlichkeit harmoniren.

Der zweite Punct betrifft die Beigabe guter Register, durch welche die Brauchbarkeit von Quellensammlungen ungemein erhöht wird. Eine Theilung dieser Register nach Personen, Orten und Sachen, scheint nicht unbedingt nothwendig zu sein. Auch ist es zuweilen recht schwierig, im Register die Orte und Personen ganz scharf zu trennen, weil sich letztere vielfach nach den ersteren nennen, ohne dass man dazu berechtigt wäre, das Vorhandensein eines eigentlichen Familiennamens anzunehmen.

Die gut gearbeiteten Register zu den Monumenta [45] Germaniae, dem Wirtembergischen Urkundenbuche, und zu Huillard-Breholle’s Historia diplomatica Friderici, werden hinreichende Anhaltspuncte gewähren, obgleich das Verfahren bei Anlegung derselben nicht durchaus das gleiche war, noch sein konnte. Ich erlaube mir – salvo meliori – meine diesen Registern abstrahirten Ansichten in Kürze vorzutragen.

Jede in den Urkunden vorkommende Form eines Namens, sie betreffe nun Personen- oder Ortsnamen, muss im Register nachgewiesen sein und zwar so oft, als sie sich in dem betreffenden Urkundenbuche vorfindet. Sie muss aber auch auf jene Form verwiesen werden, welche gegenwärtig die gebräuchliche oder überhaupt die üblichste ist. Am letzteren Orte sind fernerhin alle jene Formen anzugeben, unter welchen der Name im Urkundenbuche und Register vorkömmt. Ein concretes Beispiel: Ich würde im Register unter Basel nur jene Fälle bemerken, in welchen diese jetzt allgemein und allein übliche Form auch in den betreffenden Quellen steht, und unter Basil, Basilea, Basvl u. s. w. jene Fälle aufführen, in welchen diese Formen im Codex diplomaticus angewendet sind. Um aber eine leichte Übersicht zu erzielen, würde ich, abweichend von der streng alphabetischen Ordnung, die [46] Formen Basil, Basilea, Basvl u. s. w. im Index unmittelbar auf Basel folgen lassen, dagegen aber an den Stellen, wo sie vermöge des streng durchgeführten Alphabets stehen müssten, nur kurz auf Basel verweisen. Dieses Verfahren würde ich unbedenklich auch auf solche Fälle ausdehnen, in welchen man Formen beiziehen müsste, die unter einen ganz anderen Buchstaben zu stehen kommen, wie vielfach bei B und P; D und T; bei C und K; U und V u. s. w. wird geschehen müssen. Um dieses Verfahren mehr ins Auge fallen zu lassen, kann man die dem gegenwärtigen Namen untergestellten älteren Formen beim Abdrucke etwas weniges hereinrücken.

Die Beibehaltung aller, in den Originalen befindlichen Formen, ist desshalb nöthig, weil sie allein gegen Irrthum hinreichende Sicherheit gewährt, während man sich denn doch zuweilen täuscht, auch wenn man eine gründliche Localkenntniss für sich in Anspruch nehmen kann. Bei zweifelhaften Örtlichkeiten ist man ohnediess dazu genöthigt, die nicht mit Sicherheit zu erklärenden alten Namen, wie im Texte so auch im Index, beizubehalten. Man wird vielleicht entgegenhalten, es verlohne sich nicht, namentlich wenn die Deutung eine sichere sei, alle Varianten aufzuführen. Ist man in der That ganz sicher, sich nicht irren zu [47] können, so mag es allerdings genügen, wenn man nur die jetzt geläufige Form im Register anführt, hegt man aber auch nur den leisesten Zweifel, so empfiehlt sich die Beibehaltung der Formen der Originale. Auch ist zu erwägen, dass man sich der Register zu bekannten Urkundenbüchern auch dann bedient, wenn man in unedirten Originalen Orte findet, die man nicht zu deuten weiss. Nun liegen aber die alten und neuen Formen zuweilen so weit auseinander, dass man sie kaum vereinigen kann. Wer denkt z. B. bei Buesenheim sofort an Biesingen? Nimmt man nur die neue Form in das Register auf, so dürfte es schwer halten, sich davon zu überzeugen, ob sich Urkunden solcher Orte, die ihren Namen auffallend verändert haben, in dem betreffenden Codex diplomaticus befinden.

Namen, welche dadurch entstanden sind, dass einem ursprünglich einfachen Namen die Worte Ober, Unter, Mittel u. dergl. vorangestellt worden sind, hat man füglich doppelt anzuführen und die beiden Formen, die einfache und die zusammengesetzte, gegenseitig zu verweisen. Wo die Gränzen dieses Verfahrens zu finden seien, ist die Aufgabe einer verständigen Praxis. So sind z. B. Donaueschingen und Donauwörth sicher unter dieser Form anzuführen, aber auch unter Eschingen und Wörth.

[48] Bei den Personennamen, die, seit dem 13. Jahrhunderte, in der Regel nicht einfach sondern doppelt, als Vor- und Zunamen (Tauf- und Familiennamen) erscheinen, entsteht die Frage, welcher Theil einer solchen zur Bezeichnung eines Individuums dienenden Benennung dem andern folgen müsse. Entscheidet man sich dafür, dem Vornamen (Taufnamen) im Register den Vorzug einzuräumen, wie z. B. Huillard-Bréholles gethan hat, so ist hiegegen nichts einzuwenden, wenn man nicht unterlässt, beim Familiennamen auf alle jene Vornamen zu verweisen, welche im betreffenden Urkundenbuche mit dem fraglichen Familiennamen verbunden erscheinen, ein Verfahren, welches in den Registern der Monumenta Germaniae historica zur Anwendung kömmt.

Dass ein nachlässig gearbeitetes, unzuverlässiges Register beinahe schlimmer sei, als gar keines, bedarf kaum einer besonderen Versicherung. Ein vollständiges Sachregister wird Niemand bei einem Urkundenbuch zu verlangen geneigt sein, wenigstens sicherlich Niemand, welcher die Hindernisse kennt, welche einer solchen Anforderung entgegenstehen würden. Doch scheint es zweckmässig, wenigstens auf besonders wichtige oder seltene Dinge hinzuweisen.

Was drittens die Nachweisung der von einzelnen [49] Urkunden bereits vorhandenen Abdrücke betrifft, so möge es erlaubt sein, einen Ausspruch Böhmer’s anzuführen. Dieser, leider viel zu früh dahingeschiedene, hochverehrte Mann, sagt mit dürren Worten: zu wissen, ob eine bestimmte Urkunde bereits abgedruckt sei oder nicht, sei zuweilen nicht sowohl Sache menschlicher Gelehrsamkeit, als göttlicher Allwissenheit. Man wird es daher dem Herausgeber eines Urkundenbuches, zumal wenn derselbe nicht an einem Orte wohnt, wo sich eine grosse Bibliothek befindet, nicht übermässig verübeln dürfen, wenn die Nachweisung der älteren Abdrücke etwas zu wünschen übrig lassen sollte. Dagegen sollten freilich solche Abdrücke, die sich in einer allbekannten Urkundensammlung befinden, nicht übersehen werden, denn ein Editor, welcher dieselben zu übersehen im Stande wäre, würde hiedurch den Beweis liefern, dass er es sich nicht angelegen sein liess, seinen Stoff möglichst zu beherrschen.

Endlich dürfte noch die Frage aufgeworfen werden, bis zu welchem Grade es zulässig sei, Originale in einer dem Editor zweckmässig erscheinenden Kürzung herauszugeben. Man beruft sich zu Gunsten eines solchen Verfahrens auf die Möglichkeit, eine grössere Anzahl von Stücken in ein durch die oftmals nur sehr spärliche Gewährung der Geldmittel begränztes Volumen [50] unterbringen zu können, und setzt voraus, dass die vom Herausgeber unterdrückten Theile der Urkunde nur reinformelle und unwesentliche Dinge enthielten. Gleichwohl werden durch diese Voraussetzungen nicht alle Bedenken entkräftet. Es ist oftmals kaum möglich, mit sicherem Griffe das Unwesentliche vom Wesentlichen zu trennen, eine Schwierigkeit welche um so grösser wird, je grösser der Leserkreis ist und je manigfaltiger die an urkundliche Quellensammlungen gerichteten Anforderungen. Die älteren Editoren hatten, wenige Ausnahmen abgerechnet, in der Regel bei ihren Publicationen ganz bestimmte Zielpuncte vor sich. Man veröffentlichte die Urkunden lediglich ad splendorem eines Fürstenhauses, lediglich zum Behufe der historisch-juristischen Erhärtung angezweifelter Rechte einer Corporation, lediglich zur Vertheidigung der bedrohten Selbständigkeit und Gerechtsame einer Reichsstadt, eines Ordens, Klosters u. s. w. Ein den Urkunden an und für sich geltendes, reinwissenschaftliches Interesse war demgemäss auch bei den Lesern nicht vorauszusetzen. Die älteren Urkundensammlungen sind nicht selbständig erschienen, nicht als nothwendige Vorarbeiten für umfassende, die historische Genesis ganzer Länder – und demgemäss auch die verschiedenartigen Factoren dieser an Land und Leuten sich [51] vollziehenden Gesammtentwickelung – im Auge behaltende Darstellungen, sondern gewissermassen nur als Beilagen und Beweismittel für im Wesentlichen schon festgestellte, wenn auch nicht allseitig zur Anerkennung gebrachte Ansichten.

Nunmehr hat sich aber, selbst für die bescheidenste Publication, ganz allgemein eine Erweiterung des Gesichtskreises eingestellt. Man veröffentlicht jetzt insgemein Urkunden nicht zu Gunsten eines Thema probandum, sondern in der mehr oder minder klar erkannten Absicht, den ganzen Gehalt dieser Quellen zur Verfügung zu stellen. Was dem Genealogen werthlos erscheint, ist vielleicht von grosser Bedeutung für den Rechtshistoriker. Was diesem keine Ausbeute gewährt, kann für die Sprachforschung von höchster Wichtigkeit sein. Und selbst allbekannte Formen und Formeln werden unter Umständen wichtig, wenn es sich um deren örtliche Verbreitung und zeitliche Dauer handelt.

Welcher Herausgeber will nun sicher ermessen können, welche Theile einer Urkunde füglich ganz hinwegfallen oder verstümmelt gegeben werden dürfen? Ist man in Rücksicht auf die Kosten, die denn doch eine grosse Rolle spielen, da auch die gediegensten Urkundensammlungen kaum ohne Subvention erscheinen [52] können, zu grosser Sparsamkeit verurtheilt, so dürfte es rathsamer sein, statt verstümmelter Abdrücke, nur ausführliche Regesten zu veröffentlichen. Ganz unzulässig aber erscheint es uns, wenn ein Editor Kürzungen vornehmen wollte, ohne sich hierüber, nicht nur im Allgemeinen, sondern auch in jedem einzelnen Falle, in genügender Weise auszusprechen. Er ist es sich selbst schuldig dieses zu thun, wenn er sich nicht in die Lage älterer Editoren begeben will, denen man auch solche Auslassungen, die sie gewiss bona fide vollzogen haben, als tendenziöse ja dolose Massregeln, vorwirft. Hiedurch soll, begreiflicher Weise, nicht in Abrede gezogen werden, dass, bei gewissen an relevanten Stellen vollzogenen Auslassungen, nicht nur mangelhafte Kenntnisse und Sorglosigkeit, sondern ganz andere Dinge mit im Spiele gewesen sein mögen.

Vielleicht dürfte ich jetzt schon die Geduld meiner Leser zu sehr auf die Probe gesetzt haben. Eine kürzere Behandlung des Themas schien mir aber nicht zulässig, weil die von Waitz seiner Zeit gegebenen kurzen Bemerkungen hinreichend zeigen dürften, dass gar wenig dadurch gewonnen wird, wenn man nur einzelne, und grössten Theils schon von vielen Herausgebern practisch geübte Sätze zur Sprache bringt, sich [53] aber auf die in der That noch offengehaltenen Fragen wenig einlässt.

Berichtigungen meiner Ansichten, die indessen den sehr fraglichen Vorzug der Neuheit oder Originalität nicht im Mindesten beanspruchen, werden mich zu lebhaftem Danke verpflichten. Bietet auch meine kleine Schrift den Fachgenossen wenig oder gar nichts Neues, so dürfte sie doch vielleicht nicht ohne allen Werth sein für solche Leser, die zwar das nöthige Interesse für eine sachgemässe Publication urkundlicher Quellen besitzen, aber nicht den Beruf in sich fühlen, sich hiebei selbstthätig zu betheiligen. Auch ziehe ich nicht in Abrede, dass ich den von der hochnothpeinlichen, gestrengen Wissenschaft zuweilen in so gar unliebenswürdiger Weise behandelten sogenannten Dilettanten und Autodidacten, das Recht einräumen möchte, ex corona mitzuwirken, bei der Erledigung einer Frage, die nur dann im Sinne einer sich völlig exclusiv gerirenden Schule wird entschieden werden können, wenn sich diese wirklich als im Besitze der allein gültigen Methode zu legitimiren im Stande ist und daher mit Fug und Recht ein herbes odi profanum vulgus et arceo aussprechen darf.

Andere will bedünken, es handle sich um jenen Weinberg, zu dessen Urbarmachung die nöthige Zahl [54] von Arbeitern noch immer nicht vorhanden ist. Wer sich zu dieser letzteren Ansicht bekennt, der giebt wol auch zu, dass eine, zumal nur in formeller Rücksicht, mangelhafte Publication denn doch ihre Verdienste haben könne und daher nicht in völlig liebloser Weise abgeurtheilt werden dürfe.