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ADB:Döllinger, Ignaz von

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Artikel „Döllinger, Johann Joseph Ignaz von“ von Johann Friedrich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 1–19, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%B6llinger,_Ignaz_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 15:56 Uhr UTC)
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Döllinger: Johann Joseph Ignaz von D., dem die Allgemeine Deutsche Biographie ihre Entstehung mitverdankt, wurde am 28. Februar 1799 in Bamberg geboren. Das Geschlecht der Döllinger (auch Dellinger) stammte aus dem Fürstbisthum Würzburg und kam erst durch die Ernennung des Großvaters zum Stadtphysicus und Professor der Medicin, fürstlichen Leibarzt und Hofrath in Bamberg 1769 nach der oberfränkischen fürstbischöflichen Hauptstadt. Sein Verdienst ist die Gründung und Organisation einer medicinischen Facultät an der damaligen Universität in Bamberg, die, mit dem von Fürstbischof Franz Ludwig erbauten, zu jener Zeit in Deutschland einzig dastehenden Krankenhause verbunden, noch kurz vor ihrem Untergang unter Röschlaub einen über Europa hinausgehenden Ruf erlangte. Zugleich mit dem Großvater († 1800) wirkte seit 1794 an ihr als ordentlicher Professor der Vater Döllinger’s, der später so berühmte Anatom und Physiolog. Infolge der Ernennung des Vaters zum Professor der Medicin an der Universität Würzburg (1803) verbrachte D. seine Jugendjahre in dieser Stadt. D. war ein ungemein fleißiger Knabe. Schon frühe, schreibt er selbst, habe ihn der Vater Französisch gelehrt, so daß er bereits im 10. Jahre in Corneille und Molière gelesen und alles Französische, dessen er habhaft werden konnte, verschlungen habe. Mit 16 Jahren hatte er mehr französische als deutsche Bücher gelesen. Am Gymnasium lernte er, wol nicht ohne Beihülfe des Vaters, der in Pavia studirt hatte, Italienisch und bei einem Schottenmönch Englisch. An der Universität kam noch Spanisch hinzu, und gerade wegen dieser in Franken damals ungewöhnlichen Sprachkenntnisse näherten sich ihm während seiner Universitätszeit der Dichter Graf Platen und Victor Am. Huber, mit dem er auch später freundschaftliche Beziehungen unterhielt.

Nach seinem Uebertritt an die Universität (1816) widmete sich D. neben Geschichte und Philosophie mit gleichem Eifer der Philologie und den Naturwissenschaften, hauptsächlich aber der Botanik, Mineralogie und Entomologie, welche letztere er, unterstützt von seinen Brüdern im Kaukasus und in Brasilien, bis in die 30er Jahre in ausgedehntester Weise betrieb. 1817 traf er seine Berufswahl. Sie fiel auf den geistlichen Stand. Als Motive gerade dieser Wahl gibt er an, daß keiner der philosophischen Professoren ihn zu Wahl seines Faches „lockte“, und daß die Convertiten Eckhart, Werner, Schlegel, Stolberg, Winkelmann große „Einwirkungen“ auf ihn übten. Es lag ihr jedoch auch ein anderes Motiv zu Grunde, das er mit den Worten angibt: [2] „Fast allen Andern war die Theologie nur ein Mittel zum Zweck. Mir war dagegen die Theologie (oder die auf Theologie gegründete Wissenschaft überhaupt) der Zweck, und die Wahl des Standes nur das Mittel“ – eine Auffassung, der er auch später treu blieb, so daß er jeden Versuch, ihn seinem Lehrstuhl zu entziehen, zurückwies. Gleichwol betrieb er im Wintersemester 1817/18 seine philosophischen Studien weiter und hörte einzig und allein „biblische Philologie“, im Sommersemester 1818 nur „Exegese der Bibel“ und „biblische Philologie“. Der Grund dieser Erscheinung war wol, daß er nicht viel von den Würzburger Theologen hielt, da er in einer Aufzeichnung bemerkt, daß dort Niemand war, an den er sich um theologischen Rath hätte wenden können, und daß er schon im Sommersemester 1818 um Aufnahme in das geistliche Seminar in Bamberg, wohin er seiner Geburt nach gehörte, nachgesucht hatte, um seine Studien an dem dortigen, mit besseren Lehrern besetzten Lyceum fortzusetzen. Doch oblag er mit großem Eifer dem theologischen Privatstudium und las, wie er selbst hervorhebt, die um den Maculaturpreis erworbenen Annalen des Baronius, die Dogmata theologica des Petavius, an denen ihn auch das schöne Lateinisch entzückte, die 1818 gekaufte Historia del Concilio Trident. des P. Sarpi. Es war, nach einer Bemerkung in einem seiner zahlreichen Notizbücher, überhaupt seine Eigenart, mehr aus Büchern als aus zusammenhängenden Kathedervorträgen lernen zu können. Erst als sich die Aufnahme in das Bamberger Clericalseminar von Jahr zu Jahr verzögerte, fing er in Würzburg die theologischen Vorlesungen eifriger, doch immer noch sehr wählerisch zu besuchen an, hörte aber merkwürdiger Weise nur ein Semester Kirchengeschichte. Im J. 1819 hielt der Vater, gegen das Priestercölibat schon aus physiologischen Gründen eingenommen und ohnehin mit der Berufswahl des Sohnes unzufrieden, ihn auch an, juristische Vorlesungen zu hören; aber die Professoren, deren Vorlesungen er frequentirte, verleideten ihm die Jurisprudenz so gründlich, daß er die Collegien vernachlässigte. Endlich im Herbst 1820 wurde er in das geistliche Seminar in Bamberg einberufen und holte bis Ostern 1822 fleißig in den Vorlesungen am Lyceum nach, was er in Würzburg versäumt hatte. Er fand indessen auch dort nicht, was er eigentlich suchte – eine Anleitung zur kirchenhistorischen Forschung, und nannte sich daher später selbst einen Autodidacten, der zehn Jahre seines Lebens nicht wußte, wo er anpacken sollte. Doch erhielt er nach seinem eigenen Geständnisse schon hier das dogmatische Gepräge in den Fragen, welche die letzten Jahrzehnte seines Lebens beunruhigen sollten. Aber auch insofern war sein Bamberger Aufenthalt interessant, als eben damals der ihm persönlich bekannte Fürst Alexander von Hohenlohe seine „Wunderheilungen“ ausführte, von denen er später sagte: „Es gab allerdings Heilungen, aber solche Erscheinungen kommen öfter in der Kirchengeschichte vor; die außerordentlichen Gemüthsaffectionen sind hinreichend, sie hervorzurufen“.

Am 22. April 1822 wurde D., da Bamberg ohne Bischof war, in Würzburg zum Priester geweiht und scheint, weil man in der Bamberger Diöcese nicht sogleich eine Stelle für ihn hatte, im Sommer bei seinen Eltern in Würzburg geblieben zu sein. Denn nicht das Lehramt, sondern eine Pfarrei, nahe an einem Walde und mit so viel Einkommen, um sich eine Bibliothek anschaffen und ungestört studiren zu können, war damals sein Ideal. Im Herbst kehrte er, nachdem er, um Platen zu besuchen, nach Erlangen gegangen und dort von Pfaff, Schubert und Schelling, einem Freunde seines Vaters, sehr freundlich aufgenommen worden war, nach Bamberg zurück. Schon im November 1822 wurde er aber als Caplan nach Marktscheinfeld in Mittelfranken [3] geschickt, wo auch Platen, der mit ihm Sanscrit lernen wollte, zwei Mal ihn besuchte und in eifrigem Studium fand. D. war mit seinen Verhältnissen ganz zufrieden und dachte an keine Veränderung derselben. Aber anders urtheilte sein Vater, der längst erkannt hatte, daß sein Sohn nicht für die Seelsorge, sondern für die Wissenschaft geschaffen sei. Lediglich auf des Vaters Zuthun wurde denn auch D. im November 1823 zum Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts am Lyceum zu Aschaffenburg ernannt. Hier entstand auch seine erste Schrift: „Die Eucharistie in den drei ersten Jahrhunderten“ (1826), vom Mainzer „Katholik“ als „classisch“ bezeichnet und noch in neuester Zeit als „mustergültig“ gerühmt, während andererseits Höfling in Erlangen noch seit 1839 gegen sie als den „Typus katholischer Beweisführung“ mehrere Universitätsschriften schrieb und Zezschwitz in der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche die in der Schrift vorgetragene Auffassung von der Arcandisciplin bekämpfte. Auf diese Schrift hin promovirte die theologische Facultät in Landshut D. 1826 auch zum Doctor.

Im Herbst 1826 wurde D. als a.-o. Professor „namentlich für Kirchengeschichte und Kirchenrecht“ an die zu eröffnende Universität München berufen, 1827 zum ordentlichen Professor befördert, und da sein Vater, schon 1823 als Nachfolger Sömmering’s an die Akademie nach München berufen, 1826 ebenfalls in die Universität eintrat, fand er nicht bloß Wiederaufnahme ins Vaterhaus, sondern mit ihm auch den anregenden Verkehr zahlreicher Münchner und auswärtiger Naturforscher. Sonst schloß er sich besonders Franz von Baader, der ihm auch einige Zeit imponirte, und seit 1827 Joseph v. Görres an. Trotz seiner vielen Vorlesungen (auch über Dogmatik und neutestamentliche Exegese) konnte er schon 1828 den von ihm übernommenen Schlußband der Hortig’sche Kirchengeschichte (von der Reformation bis zur Säcularisation) erscheinen lassen, der freilich wegen seiner Darstellung der Anfänge der Reformation, des Wesens des Ablasses und des Papst Leo’s X. nur eine getheilte Aufnahme fand und in der Kerz’schen Kirchenzeitung sogar einen heftigen Angriff erfuhr. Andere weitaussehende Arbeiten, die er mit Räß, dem späteren Bischof von Straßburg, plante oder allein ausführen wollte, wurden hauptsächlich dadurch unterbrochen, daß ihn Baader und Görres, die ein öffentliches Organ zur Vertretung der katholischen Interessen für nothwendig erachteten, in die journalistische Thätigkeit hineinzogen. Er nahm auch in der „Eos“ lebhaften Antheil an den Kämpfen jener Tage (insbesondere gegen H. Heine, damals in München) und verfaßte zur Beschaffung eines Betriebsfonds für das Blatt die Schrift: „Umrisse zu Dante’s Paradies von P. von Cornelius“ (1830). Man nannte den Kreis um Görres Congregation, die mit der französischen „Congregation“ in Verbindung stehen sollte, Ultramontane, Jesuiten, Obscuranten u. s. w., welcher Ehre sich jedoch auch Protestanten, wie Fr. Thiersch wegen seiner Schulpläne, der Oberconsistorialpräsident Roth wegen seines Kirchenregiments u. A., zu erfreuen hatten, und als 1832 in der II. Kammer über die Congregation und ihre staatsgefährlichen Umtriebe eine erbitterte Debatte stattfand, hieß es ausdrücklich, daß auch Protestanten zu ihr gehören. Die Beziehungen, welche der Görreskreis und in ihm besonders D. in der That nach Frankreich hatten, hatten nur nichts mit der dortigen „Congregation“ zu thun, sondern waren mit Lamennais angeknüpft, der sogar ein Oeuvre des études allemandes zu dem Zwecke gründen wollte, junge Schriftsteller nach München zu schicken, die zu den Füßen eines Görres und Baader Philosophie hören und sich zum Kampfe besser vorbereiten sollten. Und wie eng diese Beziehungen waren, [4] zeigt der Umstand, daß Lamennais, als er 1832 in Rom aufs höchste bedrängt war, von da nach München kam, um am Görreskreis eine Stütze zu suchen. D. selbst zog sich aber durch seine journalistische Thätigkeit und auf Zuthun Hormayr’s, der an dessen Darstellung der Bartholomäus-Nacht in der Hortig’schen Kirchengeschichte Anstoß genommen hatte und in deutschen und französischen Blättern die Hetze gegen die Congregation leitete, die Ungnade König Ludwig’s I. in so hohem Grade zu, daß dieser ihn 1829, als er einen Ruf nach Breslau erhalten hatte, durchaus aus seinem Lande haben wollte. Eine andere Anfrage aus Freiburg i. B. beantwortete er sogleich ablehnend.

Ein heftiger Streit entbrannte 1831 in Baiern über die gemischten Ehen, weil die katholischen Pfarrer auf Weisung ihrer von Rom instruirten Ordinariate zu der strengeren Praxis zurückkehrten und gemischte Ehen ohne katholische Kindererziehung nicht mehr einsegneten. Da man nun der Meinung war, gemischte, nur vor dem protestantischen Pfarrer geschlossene Ehen seien ungültig und nur die vor dem katholischen Pfarrer gültig, blies die Presse zum Sturm und wollte die II. Kammer, welche (auch nach Sicherer’s Urtheil) „mit Leidenschaft und theilweise mit geringer Sachkenntniß“ die Frage behandelte, unter Berufung auf die bairische Verfassung die katholische Einsegnung gemischter Ehen auch mit protestantischer Kindererziehung erzwingen. Da stand auch D. wieder in der vordersten Reihe der Kämpfer für die Rechte der katholischen Kirche und vertheidigte sie sowol in Artikeln in der „Eos“ als in einer anonymen Schrift: „Ueber die gemischten Ehen“ (1831). Aber sein Standpunkt unterscheidet sich doch wesentlich von dem seiner Mitstreiter. Denn trotz des tobenden Lärms ließ er sich nicht abhalten, mit der theologischen Facultät zu erklären, die Meinung, daß vor dem protestantischen Pfarrer geschlossene Mischehen ungültig seien, sei unrichtig, und es öffentlich in der „Eos“ auszusprechen: „Ist die Staatsgewalt mit der kirchlichen Ehegesetzgebung unzufrieden, so liegt das Mittel der Abhilfe ganz nahe, nämlich Trennung der bürgerlichen Ehe von der kirchlichen Einsegnung, wie dies im Rheinkreise, in Frankreich, in Belgien und anderen Ländern schon längst eingeführt ist. Viele dürften sich wundern, daß dieses einfache Mittel, wodurch allen Collisionen zwischen Staat und Kirche in Ehesachen am sichersten vorgebeugt wird, dem ‚Inland‘ nicht beigefallen ist“. Nach diesem Streit, seit 1832, ist D. auch Defensor matrimonii beim Ehegericht I. Instanz und später auch bei der II. Instanz bis in die ersten sechziger Jahre.

Nunmehr begab sich D. wieder an seine kirchengeschichtlichen Arbeiten. 1833 erschien der 1. und 1835 der 2. Theil des I. Bandes seines „Handbuchs der Kirchengeschichte“; 1836 der I. und 1838 der II. Band seines „Lehrbuchs“, von denen aber keines weiter fortgesetzt wurde. Es waren andere Arbeiten, welche ihn anzogen. Dennoch hatte er sich schon in diesen Jahren einen weit verbreiteten Ruf erworben, und als der spätere Cardinal Nikol. Wiseman, damals noch Rector und Professor in Rom, daran dachte, eine engere Verbindung des englischen und deutschen katholischen Clerus zur Kräftigung des ersteren herbeizuführen, war es D., den er vor allen Andern zu Hülfe rief. Wiseman kam zu diesem Zwecke 1835 auch nach München und D. reiste 1836 nach England. Da D. Zeit seines Lebens nichts mehr haßte, als den Bureaukratismus in Staat und Kirche, so hegte er seitdem für England mit seiner umfassenden autonomen Selbstverwaltung die größten, manchmal sogar zu weitgehenden Sympathien. Auch blieb er bis zu seinem Ende in der regsten Verbindung mit diesem Lande, unterzog sich Jahre lang der Mühe, eine Colonie junger studirender Engländer in seinem Hause zu [5] haben und andere, welche er nicht aufnehmen konnte, wenigstens zu beaufsichtigen und zu leiten. Einem Rufe an ein englisches College (1839) zu folgen hinderte ihn schon die Anhänglichkeit an seine Facultät, für die er, um Möhler zu gewinnen, sogar das Opfer gebracht hatte, ihm die Kirchengeschichte abzutreten und selbst 1835–89 „historische Dogmatik“ zu lesen. Im J. 1838 erschien: „Muhammeds Religion. Eine historische Betrachtung“, die er in der Festsitzung der Akademie der Wissenschaften vorgetragen hatte. Daneben lief ein durch den Kölner Kirchenstreit veranlaßtes anonymes Schriftchen her: „Ueber gemischte Ehen. Zugleich Beurtheilung der ‚Darlegung‘ des Geh. Rathes Bunsen. Eine Stimme zum Frieden“ (Jan. 1838), durch die er in eine langwierige, in der Augsb. Allgem. Zeitung geführte Polemik mit dem Philologen Thiersch gerieth, die aber gleichwol den m. E. damals allein gangbaren Weg zum Frieden zeigte, wenn sie ausführte, zur kirchlichen Gültigkeit sei die Einsegnung der Ehe überhaupt nicht nothwendig und auch die nur vor dem protestantischen Pfarrer geschlossene Ehe sei „kirchlich völlig gültig und ebenso unauflöslich, als ob sie nach allen Regeln und mit allen Gebräuchen der katholischen Kirche abgeschlossen wäre“. Auf einer Reise durch Holland, Belgien und Frankreich (1839) ergänzte er seine Quellen zu einer „Geschichte der mittelalterlichen Ketzereien“, deren Druck er jedoch 1841 unterbrach, weil seine Quellensammlung dafür noch nicht umfassend genug war.

Mittlerweile (seit Novbr. 1837) hatte das Ministerium Abel begonnen, dessen eben erst kirchlich gewordener Chef sofort mit dem Görreskreis in Verbindung trat, so daß der Haß gegen jenen auch diesen und umgekehrt traf. Den Haupteinfluß auf den Minister hatten aber die Convertiten Professor Phillips in München und der oft hier anwesende Secretär Metternich’s Jarcke, die auch den Haß gegen den Protestantismus im Görreskreise steigerten und ihn in den von ihnen hauptsächlich infolge des Kölner Streites gegründeten „Historisch-politischen Blättern“ in weitere Kreise trugen. Beide vertraten in dem Münchener Freundeskreise auch die Ansicht von der Selbstauflösung des Protestantismus, der man zu Hülfe kommen müsse. D., mehr oder weniger ebenfalls in diesen Taumel hineingezogen, unterzog sich zunächst allen Ansinnen Abel’s, der ihm nicht nur 1838 Schelling und dem papstfeindlich gewordenen Baader gegenüber das Fach der Religionsphilosophie innerhalb der philosophischen Facultät auflud, sondern verlangte, er solle außer Kirchengeschichte neben Klee auch Dogmatik fortlehren und nebenbei eine Weltgeschichte und ein Religionslehrbuch für die katholischen Schüler der Gymnasien abfassen. Denn auch die Geschichte sollte nur confessionell gelehrt werden. Aber gerade an der Ausarbeitung einer katholischen Weltgeschichte ernüchterte D., wie er es später in der Reichsrathskammer selbst erzählte, wieder. „Ich fing an“, sagte er, „und arbeitete mich hinein, und nachdem ich einen Theil der Geschichte ausgearbeitet hatte, fand ich, daß es mir rein unmöglich sei, weiter auf diesem Wege zu gehen und solchen Anforderungen, daß nämlich dieses Lehrbuch ganz confessionell gehalten sein, ganz dem angeblich katholischen Standpunkte entsprechen solle, irgendwie Genüge zu thun, und ich habe daher den Auftrag der Regierung zurückgegeben und gebeten, mich davon zu entheben“. Die Aufgabe übernahm nun C. Höfler, der den Standpunkt der Abel’schen Regierung für richtig hielt, daß „katholische Gymnasien einer dem Positiven entgegengesetzten Auffassungsweise der Geschichte nicht huldigen dürfen“. Dann mußte D. auch als Vertheidiger einzelner Regierungsacte auftreten.

Es waren die Jahre des Kniebeugungs-Streites, den König Ludwig I. dadurch hervorrief, daß er 1838 als schönes militärisches Schauspiel die Kniebeugung [6] des Militärs, auch des protestantischen, vor dem Allerheiligsten der Katholiken befahl; denn daß der König dabei keinen confessionellen Hintergedanken hatte, versicherte D. noch im J. 1879. Begreiflicher Weise wurden die Protestanten dadurch in hohem Grade beunruhigt und suchten wenigstens für die protestantischen Soldaten eine Dispensation von der ihr Gewissen beschwerenden Ceremonie zu erlangen. Ihr Bemühen war umsonst; der König beharrte darauf, die Kniebeugung sei lediglich ein militärischer Act, und die Regierung mußte diesen Standpunkt vertheidigen. Im J. 1843 erhoben endlich die protestantischen Abgeordneten in der II. Kammer darüber Beschwerde, die Professor Harleß als Referent vertrat. Sofort veröffentlichte D., der sich an einzelnen theologischen Aeußerungen Harleß’ stieß, anonym eine, offenbar officiöse, Schrift: „Die Frage von der Kniebeugung der Protestanten von der religiösen und staatsrechtlichen Seite erwogen. Sendschreiben an einen Landtagsabgeordneten“ I. II. (Jan. 1843). Die unglückliche Schrift fand nicht einmal bei den Katholiken ungetheilte Zustimmung: die Einen hielten sie überhaupt nicht für nothwendig, den Anderen hatte sie noch zu wenig gethan. Einige unvorsichtige oder ungeeignete Aeußerungen konnte auch Harleß unmöglich unerwidert lassen und zahlte D. mit gleicher Münze heim. Eine noch heftigere Antwort erfolgte seitens Döllinger’s: „Der Protestantismus in Bayern und die Kniebeugung. Sendschr. an Prof. Harleß“ (1843). Während aber der Adressat schwieg, griff Fr. Thiersch D. in drei Sendschreiben an, in denen er sich, bei aller Anerkennung seiner ungewöhnlichen Begabung, seiner umfassenden Gelehrsamkeit und seines außer allem Zweifel stehenden Handelns nur aus voller Ueberzeugung, recht bittere Dinge sagen lassen mußte. Auf höheren Wink schwieg D., der übrigens unterdessen selbst zur Einsicht gekommen war, daß die Verordnung, wenn die Protestanten in ihr eine Gewissensbeschwerung erkennen, aufgehoben werden müsse, bei welcher Behauptung er auch stehen blieb, als der König, dem die Aeußerung hinterbracht worden war, ihn deswegen zu sich befahl. Die Verordnung fiel auch, aber unbegreiflicher Weise erst, nachdem man es zur leidenschaftlichsten Aufregung hatte kommen lassen. Aehnlich verfuhr Abel auch mit den anderen Beschwerden der Protestanten über einzelne seiner Acte. Er sah voraus, daß sie auf dem bevorstehenden Landtage zur Verhandlung kommen würden, und traf seine Dispositionen. Harleß wurde zum Consistorialrathe in Baireuth ernannt, damit er sein Mandat, das ihm die Universität Erlangen übertragen hatte, verliere, und D., der keineswegs blindlings alle Acte Abel’s billigte und in seiner zweiten Schrift gegen Harleß die Einmischung der Regierung in den Streit der Protestanten wegen der symbolischen Bücher nachdrücklich gerügt hatte, mußte sich, gegen seinen Willen, von der Universität München zum Abgeordneten wählen lassen. Erst als die protestantischen Abgeordneten auf dem Landtag 1845/46 ihre Beschwerden eingebracht hatten, zog Abel seine Verordnungen bis auf eine zurück und versprach auch in diesem Punkte, das Discretionsjahr betreffend, eine Gesetzesvorlage für den nächsten Landtag. Es half nichts. Die protestantischen Abgeordneten, die dem Versprechen mißtrauten, bestanden auf der Verhandlung dieses Punktes, und hier griff auch D. ein, den Standpunkt vertretend, die Uebertretung des Discretionsjahres (das 21.) durch vorherige Aufnahme in die Kirche, um die sich die protestantische Beschwerde drehte, könne nicht gestraft werden, weil die Verfassungsurkunde keine Strafe daraufsetze; es könne Fälle, z. B. Todesfall, geben, in denen man nicht bis zum 21. Jahre warten könne, und überhaupt sei das 21. Jahr willkürlich und nicht den Verhältnissen entsprechend angesetzt. Außerdem vertheidigte er gegen einen Beschluß der Reichsrathskammer die Regierung, [7] daß sie eine Wiederberufung der Jesuiten begünstigt, oder selbst geplant habe, hinzufügend, daß er persönlich stets gegen eine Berufung der Jesuiten, deren Leistungen in der Schule ungenügend seien, gesprochen habe, was ihm wieder die Anfeindung der Jesuiten zuzog. Endlich trat er für die Erleichterung der in der That drückenden Verordnungen gegen die Juden, die um Emancipation gebeten hatten, unter der Bedingung ein, daß den christlichen Unterthanen, besonders den christlichen Landbewohnern, deren Aussaugung durch die Juden er in beredten Worten schilderte, der gehörige Schutz gegen sie gewährt werde.

In dieser Zeit erschien auch sein Werk: „Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des lutherischen Bekenntnisses“ (3 Bde., 1846–48), von denen nur der I. Band eine größere Beachtung fand, die beiden anderen in den stürmischen Jahren 1847 und 1848 beinahe unbeachtet blieben. Das Werk, das die innere Entwicklung des Protestantismus bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts fortführen sollte, wurde nicht fortgesetzt, wie auch das Gegenstück, das in ähnlicher Weise die Zustände der katholischen Kirche darstellen sollte, wegen dringenden Widerrathens seiner Freunde nie geliefert wurde. Das Werk fand selbstverständlich je nach dem Lager auch eine verschiedene Aufnahme, aber es läßt sich nicht leugnen, daß die beiden ersten Bände (der III. gibt die Geschichte der Rechtfertigungslehre), weil sie nur ein Bild voll Schatten ohne Licht bieten, einseitig sind. Indessen hat neuerlich Nippold anerkannt: „Es ist schlechterdings kein wirkliches Verständniß dieser gewaltigen Gährungszeit zu gewinnen, wenn man Döllinger’s großes Werk über die Reformation außer Acht läßt“.

Schlimme Zeiten traten für D. und seine Freunde ein, seitdem die spanische Tänzerin Lola Montez „ihren Fuß von einer wunderbaren Schönheit der Form“ auf den Münchener Boden gesetzt und ihr Unwesen zu treiben angefangen (Nov. 1846 bis Febr. 1848). Abel fiel darüber, die Professoren Lasaulx, Moy, Phillips, Höfler, Deutinger und eine Reihe von Freunden in anderen Stellungen wurden theils quiescirt, theils versetzt, und D. selbst (seit 1839 Kanonikus, seit 1. Januar 1847 infulirter Propst am Hofcollegiatstift S. Cajetan) ereilte einige Monate später das gleiche Schicksal der Quiescirung in seiner Eigenschaft als Professor (Aug. 1847), weil man verhindern wollte, daß er als Abgeordneter der Universität auf dem einzuberufenden Landtag Beschwerde über diese Quiescirungen führe. Er wurde dafür zugleich mit einigen seiner Freunde 1848 in das Frankfurter Parlament gesandt, bei dem er bis Mai 1849 aushielt.

Man betrachtet D. in diesen Jahren als einen Ultramontanen. Er selbst gab das nie zu und sprach sich sogar öffentlich gegen diese Charakterisirung aus: was er und seine Freunde betrieben, sei nur, wie er in einem Briefe an den Marchese Gino Capponi in Florenz es nannte, ein catholicisme zélé gewesen. Und er hat Recht, wenn man unter Ultramontanismus das curialistische oder jesuitische System versteht. Dieses hat er, wie ich in seiner Biographie gezeigt habe, zu keiner Zeit seines Lebens gelehrt. Zwar hätte er, wie er später an den Erzbischof Steichele einmal schreibt, in den Jahren nach 1836 und in den folgenden aufrichtig gewünscht, das sogenannte Papalsystem annehmen und beweisen zu können. Denn damals habe er gesehen, daß der Jesuitenorden mit seiner ganzen, rasch wachsenden Macht diese Doctrin zur ausschließlichen Geltung zu bringen strebte, und dabei von Rom und einem großen Theile des Episcopats unterstützt und ermuntert ward. Zugleich habe er bemerkt, daß in Frankreich ganz besonders die alte gallikanische Lehre immer mehr verdrängt und verrufen wurde, während zugleich der völlige Unglaube [8] riesenhafte Fortschritte machte. Eine Ahnung, welchen Ereignissen und Zuständen wir entgegengehen könnten, habe ihn überkommen, und er habe das Bedürfniß empfunden, zu seiner eigenen Belehrung und Sicherstellung, der Frage ein gründliches und umfassendes Studium zu widmen und vor allem die Quellen selbst zu studiren. Das Ergebniß aber sei ein negatives gewesen. Als daher in der ersten Hälfte der 40er Jahre Phillips das Papalsystem in den ersten Bänden seines Kirchenrechts vertrat, „führte dieses Werk zu einer sich fortan stets erweiternden Scheidung ihrer Ueberzeugungen, die bald keine Verständigung mehr gestattete“ (Ak. Vortr. II, 185); und im letzten Jahre vor seiner Quiescirung sprach er sogar mehrere Stunden über, bezw. gegen die päpstliche Unfehlbarkeit, von welchen, offenbar gegen Phillips gerichteten Vorträgen noch die von seiner Hand geschriebene Skizze vorhanden ist. Doch steht er auch sonst in dieser Zeit schon mit der von der Curie und den Jesuiten betriebenen Gläubigkeit in mannichfacher Opposition. So antwortete er, als Harleß 1843 auf den Streit über die Immaculata Conceptio Mariae hinwies: „die Kirche dulde einen Zwist in einer untergeordneten Frage, über welche ihr nichts geoffenbart und nichts überliefert worden ist“; und als seine Zuhörer ihm 1847 an seinem Namenstag eine Adresse im Hörsaal überreichten, sprach er in seiner Danksagung, wie Reusch als Zuhörer bezeugte, über die Bedeutung einer deutschen katholischen Kirche (oder Nationalkirche), als deren specielle Aufgabe er die Pflege der theologischen Wissenschaft bezeichnete. Endlich erklärte er, wie in seinen Vorlesungen, in einer zu Frankfurt geschriebenen und erschienenen Broschüre, daß die Kirche nicht über dem Staate stehe, die mittelalterliche Herrschaft der Kirche über Fürsten und Völker unwiederbringlich dahin sei.

Im Frankfurter Parlament gehörte D. eine Zeit lang dem Club zum „steinernen Haus“ an wegen freundschaftlicher Beziehungen zu den Männern, die ihn leiteten und preußische Staatsmänner und Beamte waren, trat jedoch aus demselben wieder aus, als die erbkaiserliche Frage eintrat. Er hatte aber in diesem Umgang aus dem Munde der Bestunterrichteten erkannt – und darin stimmten auch die sonst am weitesten auseinandergehenden Männer überein – daß Preußen seiner geographischen Lage nach darauf bedacht sein müsse, sich zu arrondiren, zu seiner weit ausgestreckten Gestalt einen Inhalt, einen Leib durch Incorporation Hannovers, Sachsens etc. zu sichern, daß es in dieser Politik nur einer gewissen Naturnothwendigkeit gehorche, und daß die Geschicke Preußens vielleicht mehr als die irgend eines anderen europäischen Staates unabhängig seien von dem persönlichen guten oder schlimmen Willen des Monarchen und seiner Rathgeber. Es erfülle sich in dem Gang, den Preußen einschlägt, eine durch die vorausgegangene Geschichte dieses Staates fast unvermeidlich gewordene Nothwendigkeit, und man müßte ihm eine in der Geschichte fast unerhörte Verleugnung aller seiner Interessen, ja vielleicht seiner Lebensbedingungen zumuthen, wenn es, besonders in der Lage, wie die gegenwärtige, diese Versuche nicht machen, diese Bahn nicht einschlagen sollte. Das Interesse dieses Staates beeinflusse aber vorzugsweise die künftige Gestaltung Deutschlands. Döllinger’s und seiner Freunde Hauptthätigkeit ging aber dahin, nicht bloß die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu vertheidigen, sondern auch die Aufnahme der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und der Gleichberechtigung sämmtlicher religiösen Gesellschaften in Art. III der Grundrechte des deutschen Volkes durchzusetzen. Er schrieb zu dem Zwecke auch ein anonymes Schriftchen: „Kirche und Staat. Betrachtungen über Art. III der Grundrechte“ etc. (1848), und vertheidigte diesen Standpunkt auch in der Paulskirche in einer Rede, die ihm, obwol an dem gleichen Tage [9] die meisten Redner ausgezeichnet gut gesprochen hatten, auch von gegnerischer Seite die Anerkennung eintrug, „daß seine ganz aus dem Stegreif gesprochene Rede – sie hielt sich beinahe Schritt für Schritt an die unmittelbar zuvor gehaltenen Reden – die künstlerisch und dialektisch am meisten vollendete war“. Dann stimmte er zu, daß General v. Radowitz im Namen der katholischen Abgeordneten die Erklärung im Parlament abgab: die Orden, auch der Jesuitenorden, gehören nicht zu dem lebendigen Organismus der katholischen Kirche; ein Bedürfniß nach Jesuiten bestehe für Deutschland in keiner Weise; der deutsche Episcopat, der deutsche Clerus bedürfe dieser Hülfe nicht, um ihre Aufgabe zu erfüllen, die deutsche Wissenschaft keiner Unterstützung dieser Art. Der Nutzen, welchen man sich aus dem Jesuitenorden für die katholische Kirche versprechen könnte, würde daher in gar keinem Verhältnisse zu den tiefen Störungen und Gefahren stehen, welche seine Gegenwart hervorrufen müßte. Wir würden, wenn uns von irgend einer Seite der Vorsatz entgegenträte, in irgend einem deutschen Lande den Jesuitenorden einzuführen, aus höherem Interesse der katholischen Kirche gegen die Ausführung eines solchen Planes uns mit vollster Entschiedenheit aussprechen. Im October ging er von Frankfurt nach Mainz, um im Auftrage der als Gäste erschienenen katholischen Parlamentsmitglieder auf der ersten Generalversammlung der katholischen Vereine über ihre Thätigkeit in der Kirchen- und Schulfrage zu referiren. Ende October und Anfang November ist er zu der Würzburger Bischofsversammlung als Theolog zugezogen und führt er das Referat über Nationalkirche und Nationalsynode in so überzeugender Weise, daß er die ganze Versammlung bis auf den Münchener Erzbischof Graf Reisach für sich hatte. Im Mai 1849 kehrte er aus Frankfurt nach München zurück.

Es ist begreiflich, daß man auch öfter an den hochangesehenen Mann dachte, wenn es sich um die Besetzung erledigter Bischofssitze handelte. So erwarteten Freunde und Schüler schon 1845 seine Ernennung zum Erzbischof von Bamberg. 1850 gedachte ein Theil der Salzburger Domcapitulare ihn zu ihrem Erzbischof zu wählen, 1851 sollte er dem greisen, beinahe erblindeten Erzbischof Urban von Bamberg als Coadjutor mit Nachfolgerecht beigegeben, und 1855 Nachfolger Reisach’s in München-Freising werden. Er wollte nie etwas davon wissen, da, wie er zu sagen pflegte, „pompam facere nicht seine Sache sei“. Freilich würde er wahrscheinlich auch in Rom nicht mehr bestätigt worden sein. Denn seine Ansichten von Nationalkirche, Nationalsynode und Freiheit der Kirche, die ihn noch einige Zeit beschäftigten und von ihm auch auf den Generalversammlungen zu Regensburg (1849) und zu Linz (1850) unter Ablehnung des Ultramontanismus ausgesprochen wurden, waren nicht die Ziele der seit 1849 beginnenden römischen Kirchenpolitik, und seitdem ihn der Jesuitenschüler Erzbischof Graf Reisach gerade wegen dieser nationalkirchlichen Tendenzen in Rom denuncirt hatte, betrachtete man ihn dort mit großem Mißtrauen. Seine bisherige, als ultramontan bezeichnete theologische Richtung war veraltet gegenüber der nunmehr geltenden curialistisch-jesuitischen. Zwar zog man ihn 1850 noch zu der Freisinger Conferenz der bairischen Bischöfe bei, aber schon hier gerieth er mit dem der neueren Richtung zugethanen Generalvicar Windischmann wegen der Erziehung des Clerus in Seminarien statt an Universitätsfacultäten, die dieser befürwortete, in Collision; ebenso wurde er jetzt bereits seinen mehr oder weniger der jesuitischen Doctrin sich ergebenden früheren Freunden verdächtig. Dennoch galt er noch 1849/50 als der Führer der Katholiken in der II. bairischen Kammer, zog sich aber auch hier deren Verdruß zu wegen seiner Vertheidigung der Judenemancipation. Den Kammerverhandlungen 1851 ging er im Mai durch eine Reise nach [10] England und Frankreich aus dem Wege, und als sie nach seiner Rückkehr wieder aufgenommen wurden, legte er sein Mandat ganz nieder. Er wollte sich, seit 1. Januar 1850 von König Maximilian II. als Professor reactivirt, wieder ausschließlich seiner lehramtlichen und gelehrten Thätigkeit widmen, da, wie er, seine parlamentarischen Erfahrungen zusammenfassend, 1866 sagte, „weder die (Universitäts-)Corporationen noch ihre Glieder berufen und geeignet sind, sich in das Gewühl und die Ränke der politischen Parteiungen zu stürzen, und wo dies geschieht, oder wo sie wider ihren Willen sich hineingezogen finden, da werden sie stets unterliegen“.

Nachdem D. noch der früheren protestantismusfeindlichen Richtung in dem Artikel „Luther“ im Freiburger Kirchenlexikon (1851) ein Opfer gebracht, nahmen ihn die in den letzten Jahren aufgefundenen Philosophumena in vollen Anspruch. Das Ergebniß seiner Studien war das Buch: „Hippolytus und Kallistus, oder die römische Kirche in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, mit Rücksicht auf die Schriften und Abhandlungen der Herren Bunsen, Wordsworth, Baur und Gieseler“ (1853), ein Meisterwerk historischer Kritik, sofern es sich um die Feststellung des Verfassers der Philosophumena handelt, das noch 1893 Gerh. Ficker einen Bau nannte, „der durch die Kühnheit und Sicherheit seiner Construction die lebhafteste Bewunderung hervorrufen muß“. Durch seine in den Historisch-politischen Blättern veröffentlichten „Betrachtungen über die Frage der Kaiserkrönung“ (1853) trug er wesentlich dazu bei, daß Pius IX. Napoleon III. nicht zum Kaiser krönte. Nicht das Gleiche gelang ihm und Anderen in der Frage der unbefleckten Empfängniß Mariä. Die Münchener und Tübinger theologischen Facultäten hatten sich, zu Gutachten darüber von ihren Bischöfen aufgefordert, zwar dagegen ausgesprochen, D. selbst in dem Artikel „Dun Scotus“ des Freiburger Kirchenlexikons (1852) die Geschichte des ursprünglichen Streits dargelegt und die Worte des Carmeliten Joh. Bacon angeführt: es sei dies eine „haeresis adulatoria et nimis devota“ oder ein neuer phantastischer Wahn (nova opinio et phantastica), wie sich Alvarus Pelayo ausdrückte; aber die Jesuiten, deren Wortführer Perrone dem Papst Pius IX. dargelegt hatte, zu einer dogmatischen Definition brauche er weder Bibel noch immerwährende Tradition, siegten: am 8. December 1854 wurde das neue Dogma verkündigt. D. hatte schon Anfangs 1854 an Michelis geschrieben: Wenn diese Meinung Dogma werde, müssen wir die Lehre von der Tradition, das Quod semper etc. aufgeben. Man glaubte aber damals über den Vorgang noch hinwegsehen zu können, da die alte katholische Theologie die Lehre von den sogen. „kanonischen Glaubensartikeln“ entwickelt hatte (Stadlbauer, Regula fidei, Monach. 1851, p. 73. 125) und die päpstliche Unfehlbarkeit noch kein Dogma war. D. sah aber so gut, als der Jesuit Schrader ein, daß durch die Definition vom 8. December 1854 thatsächlich die päpstliche Unfehlbarkeit vorausgesetzt und in Anspruch genommen war, und daß von nun an alles zur Definition auch dieser theologischen Meinung hindrängen müsse, zumal bei der immer mehr steigenden Macht der Jesuiten und ihrer Schüler, denen nach und nach alles zufiel.

Trotzdem ging D. unverdrossen an die Ausführung des schon länger gefaßten Planes einer großangelegten Kirchengeschichte, während er zugleich fortfuhr, den Stoff für eine ausführliche Papstgeschichte zu sammeln. Es erschien aber von jener nur: „Heidenthum und Judenthum, Vorhalle des Christenthums“ (1857) und „Christenthum und Kirche in der Zeit der Grundlegung“ (1860), und die Papstgeschichte gab er, obwol der Stoff vollständig gesammelt war, ganz auf, weil er infolge der Entwicklung der kirchlichen Dinge unter [11] Pius IX. fürchten mußte, sie würde doch sofort auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt werden, mit der Folge, „entweder einen lügenhaften Widerruf leisten oder seine akademische Lehrthätigkeit, an der er mit ganzer Seele hing, aufgeben zu müssen“ (Briefe etc. S. 134). Um so mehr beschäftigte ihn wieder die Geschichte der mittelalterlichen Ketzereien, wozu er schon auf mehreren Reisen nach Ober- und Mittelitalien (1852 und 1854) neues Material gesammelt hatte, bis er endlich 1857 zu gleichem Zwecke seine schon öfter geplante Reise nach Rom ausführte. Mit reicher Quellenausbeute kehrte er heim, aber außerordentlich ernüchtert durch das, was er dort gehört und gesehen hatte, und überzeugt, daß der Kirchenstaat dem Untergang geweiht sei.

Die Zustände des Kirchenstaates waren längst ein allgemeines Aergerniß und das Streben der Italiener nach einem geeinigten Italien schien ihn zu verschlingen. Auch Napoleon III., der ihn noch hielt, war schwankend in seiner Haltung. Ohne Kirchenstaat hielt man aber die Regierung der römisch-katholischen Kirche für unmöglich, und die Jesuiten behaupteten gar, es gehöre zum katholischen Glauben, den Kirchenstaat für nothwendig für die Kirche zu halten. D. beobachtete längst aufmerksam diese Bewegung, und als an Ostern 1861 hochgestellte Damen ihn angingen, ein aufklärendes Wort darüber zu sagen, faßte er in seinen Odeons-Vorträgen auch die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit des Unterganges des Kirchenstaates ins Auge. Das war unerträglich. Der Nuntius Chigi verließ demonstrativ mitten im Vortrage den Saal, und die katholische Welt gerieth darüber in Entsetzen, während Napoleon sich den Inhalt der Vorträge telegraphisch übermitteln ließ. Zur Beruhigung schrieb D. binnen wenigen Monaten sein Buch: „Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat“ (1861), und auch Pius IX. war versöhnt, als man ihm mittheilte, welch ein schmeichelhaftes Bild von ihm D. in seinem Buche entworfen habe. In den jesuitischen Kreisen, deren Zirkel er gestört hatte, blieb Döllinger’s Ansehen erschüttert.

Daneben war auch ein heftiger Krieg zwischen den immer zahlreicher und mächtiger werdenden Jesuitenschülern und ihren Anhängern, die ihre Centren in Mainz, Würzburg, Köln und Regensburg und ihre Organe im Mainzer „Katholik“, „Mainzer Journal“ u. s. w. hatten, und den deutschen Theologen andererseits ausgebrochen. Kein nichtscholastischer Theolog oder Philosoph galt mehr als correct, keine theologische Facultät, welche die Jesuitenschüler nicht besaßen, als katholisch, und überhaupt sollte der Clerus nur noch in Seminarien erzogen werden. Die Denunciationsssucht griff immer weiter um sich und brachte beinahe alle litterarischen Erzeugnisse der deutschen Philosophen und Theologen auf den Index. Da hielten manche deutschen Theologen zum Ausgleich eine Gelehrtenversammlung für nothwendig, und D. sollte sie berufen. Es kostete viele Mühe, um sie zu Stande zu bringen. Endlich, nach Ueberwindung noch mancher Hindernisse, die namentlich der Nuntius Gonella, von seinem Secretär, einem Jesuiten, geleitet, erhoben hatte, eröffnete D. am 28. September 1863 die Versammlung mit seiner berühmten Rede: „Die Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie“. Sie gab schon den Anstoß zu einem unerhörten Sturme der erschienenen Jesuitenschüler auf D., und von einer Aussöhnung zwischen den Neuscholastikern und den deutschen Theologen konnte selbstverständlich auch keine Rede sein. Im Gegentheil, die Kluft war vergrößert, Pius IX. wollte die seinen Segen für die Versammlung begleitenden Worte nicht gesprochen haben, der Nuntius Gonella gab, wenn er nicht Genugthuung erhalte, seine Demission, ein äußerst heftiger Federkrieg, an dem sich auch die römischen Jesuiten in ihrer Civiltà cattolica betheiligten, verbitterte noch mehr, und im Syllabus vom 8. December 1864 wurde [12] Döllinger’s Rede durch These 13 verdammt. Da weitere Gelehrtenversammlungens durch ein päpstliches Breve an Bedingungen geknüpft wurden, auf welche die deutschen Theologen bei einiger Selbstachtung nicht eingehen konnten, so unterblieben dieselben nach dem ersten Versuche ganz, was sofort wieder als „ein geradezu trotziger Widerstand gegen den heiligen Stuhl“ bezeichnet wurde. Dazu mißfielen auch Döllinger’s eben erschienene „Papstfabeln des Mittelalters“ (1863) und riefen heftige Erwiderungen der Jesuiten und Jesuitenschüler hervor, theils wegen der darin zum ersten Mal mit wissenschaftlichem Ernste und kritischer Schärfe behandelten Constantinischen Schenkung, theils wegen der ausführlichen Darstellung des Falles des Papstes Honorius I., die man gegen die päpstliche Unfehlbarkeit gerichtet betrachtete.

Die Anfeindung Döllinger’s, auch durch groteske Verleumdungen aller Art, wurde so heftig, daß er ganz entmuthigt auf die litterarische Thätigkeit überhaupt verzichten wollte, „bis sich die aufgeregte und bittere Stimmung wieder etwas abgekühlt habe“; denn „ich kann, scheint es, nichts mehr drucken lassen, was mir nicht sogleich übel gedeutet und auf das Schlimmste ausgelegt würde“. Auch dachte er daran, nach Rom zu gehen, gab aber die Absicht wieder auf und zog sich auf seine Studien zurück, die ihm eine ganz neue Richtung geben sollten. Da eben (1863) die neue Ausgabe des Pseudo-Isidor von Hinschius erschienen war, widmete er sich nämlich dem gründlichen Studium dieses großen Papstfabelbuches, von dem er einst in seiner Kirchengeschichte gesagt hatte, „daß der Verfasser nur die damals schon vorhandenen Verfassungszustände durch seine Dichtung gleichsam habe codificiren und ihnen eine geschriebene Unterlage geben wollen, und daß auch ohne seinen Betrug die Entwicklung der kirchlichen Verfassungszustände denselben Gang genommen haben würde“. Jetzt, an der Hand der Neuausgabe, erkannte er, daß ihn einst nur „eine ganz unzureichende Kenntniß der Dekretalen“ so habe sprechen lassen, und daß im Gegentheil durch sie, „wenn auch langsam, allmählich eine vollständige Umwandlung der kirchlichen Verfassung und Verwaltung herbeigeführt“ worden sei. Bei der weiteren Forschung nach dem Gebrauch und Einfluß Pseudo-Isidor’s durch das ganze Mittelalter bis in die Neuzeit stellte sich ferner heraus, daß Pseudo-Isidor nicht bloß eine Hauptquelle des Gratianischen Decrets, der Gregorianer und des kanonischen Rechtes überhaupt ist, sondern auch in die theologische Doctrin überging, auf dem Concil von Florenz den Griechen entgegengehalten, von dem Jesuiten Bellarmin der Theologie der Neuzeit vermittelt und von diesem und Baronius sogar in das römische Brevier eingeführt wurde, obwol zu ihrer Zeit die Unechtheit desselben bereits nachgewiesen war. Noch entscheidender wirkte auf ihn seine damals gemachte Entdeckung einer zweiten großen Fälschung, des sogen. Pseudo-Cyrillus, „eine erdichtete Traditionskette von griechischen Konzilien und Kirchenvätern, des Chrysostomus, der beiden Cyrille, von Jerusalem und Alexandrien, und eines Maximus“, der, von einem Dominicaner erdichtet, dem Papst Urban IV. (1261–1264) in die Hand gespielt und von ihm dem Thomas von Aquin übergeben worden war. „Auf Grundlage von Erdichtungen eines Ordensgenossen also, unter welchen sich auch noch ein Canon der chalcedonischen Synode befand, der allen Bischöfen ein unbeschränktes Recht der Appellation an den Papst gewährte, und dann aus den Fälschungen bei Gratian hat Thomas sein Papalsystem, mit den beiden Hauptsätzen, daß der Papst erster unfehlbarer Lehrer der Welt, und daß er absoluter Beherrscher der Kirche sei, aufgebaut.“ Diese Entdeckung wirkte auf D. überwältigend, und seine ganze kirchengeschichtliche Anschauung war durch sie eine andere, neue geworden: der „Janus“ von 1869 stand bereits damals vor seinem [13] Geiste fertig da. Nun versteht man es auch, daß er, als ihm Manz von einer Neuauflage und Vollendung seines Lehrbuchs der Kirchengeschichte sprach: zu mir äußern konnte: „das ist keine Aufgabe mehr für mich; von meiner früheren Kirchengeschichte könnte keine Zeile mehr stehen bleiben“. Es läßt sich aber auch vermuthen, mit welchen Gefühlen und Gedanken er die Bulle Quanta cura und den damit verbundenen Syllabus vom 8. December 1864 aufgenommen haben mag, dieses „wunderbare Document“, nach dem Monarchen, Regierungen, Nationen „nichts Besseres, Dringenderes zu thun haben, als ihre Verfassungen zu stürzen, ihre Gesetzbücher zu vernichten, den Entwicklungsgang von vier Jahrhunderten plötzlich abzubrechen und die Zustände und Ordnungen des vierzehnten wieder aufzurichten“. Man ist hier aber nicht einmal auf bloße Vermuthungen angewiesen, da D. schon im Januar 1865 sich in einem Artikel: „Die Speyerische Seminarfrage und der Syllabus“, ganz offen darüber ausgesprochen hat, den aber leider die Redaction der Allgemeinen Zeitung zurückwies, weil „wir vorsichtig sein müssen, wenn wir nicht in Rom verboten sein wollen“, so daß er erst nach Döllinger’s Tod in dessen „Kleinen Schriften“ (S. 197–221) erschienen ist.

Trotz seiner Zurückhaltung stieg der Argwohn gegen D. immer mehr. Denn auch daß König Maximilian II., namentlich wegen seiner Berufungen von Gelehrten und Litteraten den Ultramontanen verhaßt, ihn an sich heranzog, zum Ritter des Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst etc. machte, für die weitere Ausbildung junger Theologen Stipendien und für die Herausgabe der (Döllinger’schen) „Beiträge zur politischen, kirchlichen und Kulturgeschichte der sechs letzten Jahrhunderte“ (3 Bde.) Summen anwies, mißfiel, noch mehr aber die Trauerrede, die D. als Stiftspropst in der Theatinerkirche auf den verstorbenen König zu halten hatte, sowie seine akademische Rede auf ihn (1864), die von einem höheren Gesichtspunkte viel Rühmenswerthes von ihm zu sagen wußte. Insbesondere erregte aber, was er in der Trauerrede über die Parität und in der akademischen über die Hoffnungen und Wünsche des Königs bezüglich einer künftigen kirchlichen Wiedervereinigung Deutschlands gesagt hatte, großen Unwillen in der Nuntiatur. Als dann unter König Ludwig II. der Cultusminister Koch gegen die jesuitische Richtung vorzugehen anfing, dem Bischof von Speier die eigenmächtige Errichtung und Eröffnung eines bischöflichen Lyceum verbot und dem König einen Vortrag über die Jesuitenschüler, Romanismus, Scholastik u. s. w. hielt, um die Nichternennung eines Jesuitenschülers an der theologischen Facultät in Würzburg zu begründen, mußte auch dies von D. ausgehen, und fingen einzelne Bischöfe, wie Melchers in Köln, Senestrey in Regenssburg, an, ihren jungen Theologen den Besuch der Münchener Facultät zu verbieten. Gleichwol hatte D., wie er in einem seiner Notizbücher bemerkte, keinen Einfluß auf Minister Koch, und griff er erst, als ein Regensburger Jesuitenschüler, der Secretär Senestrey’s, gegen den inzwischen gestorbenen Minister die anonyme Schrift erscheinen ließ: „Zur Belehrung für Könige“ (1866), mit drei Artikeln in der Allgemeinen Zeitung: Die Broschüre „zur Belehrung für Könige“ (1867) in den Streit ein, um einen Ueberblick über die Geschichte der deutschen Theologie im 19. Jahrhundert, über ihre Erfolge und ihre Bekämpfung durch die Jesuiten und ihre Schüler zu geben.

Die im Juni 1867 bevorstehende Kanonisation des Menschenschlächters Pedro Arbues, eines spanischen Inquisitors, und die damit verbundene Verherrlichung der Inquisition veranlaßte D. in der Allgemeinen Zeitung am 6. Mai einen kleinen Artikel darüber bezw. dagegen zu veröffentlichen. Sofort war die Meute hinter dem noch unbekannten Verfasser her. Um sie abzuwehren, [14] verfaßte D. die umfangreichen Artikel: „Rom und die Inquisition“, die wegen ihrer ausgebreiteten und gründlichen Gelehrsamkeit von den Einsichtigeren alsbald ihm zugeschrieben wurden, die aber wegen des peinlichen Aufsehens, das sie machten, auf Einspruch der ultramontanen Einflüssen zugänglichen Eigenthümer der Allgemeinen Zeitung abgebrochen werden mußten und erst 1868 in der Wiener Neuen Fr. Presse beendigt werden konnten.

Es war eine unheimliche Spannung, welche nicht nur in München, sondern in der ganzen römisch-katholischen Welt herrschte. Denn schon im August 1866 hatte ein deutscher Bischof in einem vertraulichen, von Rom eingeforderten Gutachten über das zu berufende Concil die Denunciation eingesandt: in München „ist in den jüngsten Zeiten eine Schule von Theologen entstanden, die in allen ihren Schriften hauptsächlich darauf ausgeht, das historische Gebiet auszubeuten, um den apostolischen Stuhl, seine Autorität und seine Regierungsweise zu erniedrigen, ihn der Verachtung preiszugeben, vor allem aber die Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er ex cathedra lehrt, zu bekämpfen“. Erzbischof Manning in London meldete am 25. Februar 1866 nach Rom, Döllinger schreibe gegen die Prärogation des hl. Stuhles, der Nuntius Meglia in München führte in seinen Depeschen die gleichen Klagen, und in Rom selbst erklärte Cardinal Reisach, „der Chorage der Jesuitenpartei, der größte Gegner der deutschen Theologie, der Universitäten und theologischen Facultäten“, als Cardinal d’Andrea in einer Congregation D. als den größten katholischen Theologen citirte, wüthend, „ein Cardinal dürfe Döllinger’s Namen nicht nennen“. Der Erzbischof Scherr von München aber, ein geistig beschränkter, durchaus unwissender und unselbständiger Mann, der ohnehin die gelehrten Geistlichen haßte, gab den von Rom und der jesuitischen Partei erhaltenen Impulsen nach und hätte, wie auch einzelne Mitglieder der Facultät, es als die glücklichste Lösung der Schwierigkeiten betrachtet, wenn D. an der Lungenentzündung, die ihn 1866 befallen hatte, gestorben wäre. Was aber alle diese Männer und die ihnen Gleichgesinnten bestimmte, das war die Furcht vor einer „Germanisirung“ der Kirche, die ein römischer Correspondent des Londoner Weekly Register 1867 als „ihre tödtlichste Gefahr“ bezeichnete, weshalb schon „der bloße Schatten des Verdachts des Germanisirens das Vertrauen zu einem Manne, so groß und berühmt er auch als Katholik dastehen mag, merklich erschüttere“.

Immerhin war auch in dieser trüben Zeit sein Leben nicht ohne einzelne Lichtblicke. D. hatte es schon immer beklagt, daß die Deutschen nicht ein ähnliches Werk wie die Franzosen in ihrer Biographie gén. besäßen, und bereits 1861 dem Buchhändler Herder „einen deutschen Plutarch, eine Reihenfolge von Biographien und Schilderungen der großen und bedeutenden Deutschen, etwa seit dem 8. Jahrhundert“, auch „Biographische Geschichte Deutschlands“ von ihm genannt, vorgeschlagen. Aber so freudig Herder den Plan aufgriff, er wollte ihm nicht gelingen. Kaum war daher D. 1863 in die von Maximilian II. begründete Historische Commission als ordentliches Mitglied gewählt, so dachte er daran, dieses Unternehmen, das ohnehin nur eine Erweiterung des von König Maximilian geplanten bairischen Plutarchus war, zu beantragen. Die Sache zog sich aber hinaus, zunächst wahrscheinlich, weil nach dem Tode des Königs Maximilian wegen der Abneigung des Cabinetssecretärs der Fortbestand der Commission selbst in Frage stand, im Kriegsjahr 1866 eine Sitzung der Commission überhaupt nicht stattfand, und Ranke ein gewisses Prioritätsrecht hatte. Doch ließ D. die Sache nicht aus dem Auge, und regte Ranke, als er auch 1867 nicht auf sie zurückkam, 1868 an, „seinen bereits im J. 1858 bestellten, damals aber als unausführbar zurückgestellten [15] Antrag, die Herausgabe der Allgemeinen Biographie der Deutschen, wieder aufzunehmen“. Die Commission ging nun auch darauf ein, und heute steht unter der umsichtigen und ausdauernden Leitung v. Liliencron’s das große Nationalwerk wie ein Ehrentempel (bis auf die Nachträge) abgeschlossen da.

Die Vorarbeiten für das vaticanische Concil, von denen man trotz der Mahnung des Cardinals Schwarzenberg D. auf Betreiben Reisach’s absichtlich fernhielt, hatten begonnen, und die Eröffnung desselben stand bevor. Da nichts bestimmtes über den Zweck der Berufung verlautet hatte, war alle Welt voll Spannung, bis endlich die Civiltà cattolica im Februar 1869 den Schleier lüftete und eine der von Cardinal Antonelli amtlich durch die Nuntiaturen eingeforderten Correspondenzen veröffentlichte, die als Zwecke des Concils bezeichnete, daß es die Unfehlbarkeit des Papstes und die leibliche Himmelfahrt Mariä zu Glaubenssätzen machen und die negativen Thesen des Syllabus in positive Sätze fassen sollte. Sofort griff D. zur Feder und veröffentlichte in der Allgemeinen Zeitung seine berühmt gewordenen März-Artikel, welche in den Ende August erschienenen „Janus, der Papst und das Konzil“, übergingen. Das im „Janus“ verarbeitete umfassende Detail aus der Papstgeschichte ließ sogleich daran denken, daß nur D. der Verfasser sein könne, der seit Jahren die eingehendsten Vorarbeiten für eine Papstgeschichte gemacht hatte. Zugleich veranlaßte er die sogen. Hohenlohe’schen Thesen, und folgten kurz darauf, ebenfalls anonym, seine „Erwägungen für die Bischöfe des Konzils über die Frage der Unfehlbarkeit“, die auch ins Französische übersetzt und an die Bischöfe versandt wurden. Beide Schriften hatten nur den Fehler, daß sie nicht, oder nicht in ausreichender Weise zugleich auch die Quellen boten und deshalb für die wenig oder gar nicht unterrichteten Bischöfe wenig brauchbar waren. Zwar suchte Cardinal Schwarzenberg D. zu bewegen, und wurde es auch von französischer Seite gewünscht, daß er sich wenigstens als Privatmann während des Concils in Rom aufhalten möge; er blieb aber lieber in München und redigirte aus dem ihm ununterbrochen, auch von Bischöfen, aus Rom zugehenden Material die „Briefe vom Konzil“ der Allgemeinen Zeitung, deren jeder gleich einer Bombe in Rom einschlug, deren wirklichen Verfasser aber Niemand kannte. Als D. aber mit seinem Namen in der Allgem. Zeitung die Artikel „Einige Worte über die Unfehlbarkeitsadresse der Konzilsmajorität“ und „Die neue Geschäftsordnung im Konzil“ erscheinen ließ, nannte man ihn in Rom bereits einen Ketzer, erließ Bischof Ketteler einen in brüskem Stil gehaltenen offenen Brief an ihn, und drängten andere Bischöfe ihn zum Schweigen. D. fügte sich – und am 18. Juli 1870 wurden die persönliche Unfehlbarkeit des Papstes und sein Universalepiscopat als Glaubenssätze verkündigt, hatten die Jesuiten die römische Kirche unter das Joch ihres Systems gebeugt, das sich schleunigst auch die widerstrebende Minorität des Concils auflegen ließ.

D. stand vor der Alternative: entweder seine bisherige Lehre, die er durch eindringendes Studium zur festesten Ueberzeugung vertieft hatte, aufzugeben und sich ohne Glauben an die neuen Dogmen der das Quod semper etc. nach Anleitung der Jesuiten opfernden römischen Kirche zu unterwerfen, oder seiner Lehre und Ueberzeugung treu zu bleiben und es auf einen Bruch mit der, eine andere gewordenen Kirche ankommen zu lassen. Er wählte, wie sein Gewissen es ihm gebot, das letztere, und schrieb am 29. März 1871 an den ihn drängenden Erzbischof Scherr: „Als Christ, als Theologe, als Geschichtskundiger, als Bürger kann ich diese Lehre nicht annehmen. Nicht als Christ; denn sie ist unverträglich mit dem Geiste des Evangeliums und mit den klaren Aussprüchen Christi und der Apostel; sie will gerade das Imperium [16] dieser Welt aufrichten, welches Christus ablehnte, will die Herrschaft über die Gemeinden, welche Petrus allen und sich selbst verbot. Nicht als Theologe; denn die gesammte ächte Tradition der Kirche steht ihr unversöhnlich entgegen. Nicht als Geschichtskenner kann ich sie annehmen; denn als solcher weiß ich, daß das beharrliche Streben, diese Theorie der Weltherrschaft zu verwirklichen, Europa Ströme von Blut gekostet, ganze Länder verwirrt und heruntergebracht, den schönen organischen Verfassungsbau der älteren Kirche zerrüttet und die ärgsten Mißbräuche in der Kirche erzeugt, genährt und festgehalten hat. Als Bürger endlich muß ich sie von mir weisen, weil sie mit ihren Ansprüchen auf Unterwerfung der Staaten und Monarchen und der ganzen politischen Ordnung unter die päpstliche Gewalt, und durch die eximirte Stellung, welche sie für den Clerus fordert, den Grund gelegt hat zu endloser, verderblicher Zwietracht zwischen Staat und Kirche, zwischen Geistlichen und Laien. Denn das kann ich mir nicht verbergen, daß diese Lehre, an deren Folgen das alte deutsche Reich zu Grunde gegangen ist, falls sie bei dem katholischen Theil der deutschen Nation herrschend würde, sofort auch den Keim eines unheilbaren Siechthums in das eben erbaute neue Reich verpflanzen würde“.

Am 18. April 1871 erklärte der Erzbischof Scherr, selbst ein Gegner der Unfehlbarkeit auf dem Concil, den Bruch vollzogen und ließ die Excommunication Döllinger’s von den Kanzeln verkündigen. Eine ungeheure Aufregung war die Folge der erzbischöflichen That: auf der einen Seite Kundgebungen der Verehrung und der Zustimmung aus allen Ländern mit Ausnahme Frankreichs und Spaniens, auf der römischen der Ausbruch zügelloser Schmähsucht und Leidenschaft, welche nach der Mittheilung der Polizeidirection sogar ein Attentat auf Döllinger’s Leben geplant haben soll (Briefe S. 140. 153). Er selbst anerkannte das Factum der Excommunication, wenn er sie auch für ungerecht und aus dem Grunde für nichtig erklärte, stellte seine theologischen Vorlesungen ein, las nur noch zwei Semester auf besonderes Ansuchen über neueste Geschichte und gab auch seine geistlichen Functionen auf, obwol der König Ludwig II., der außerordentlich viel auf ihn hielt und ihn 1868 zum Reichsrath der Krone Baiern ernannt hatte, zur Fortsetzung derselben aufgefordert hatte. D. und alle, welche sich ihm angeschlossen, betrachteten sich immerwährend als Katholiken in einer außergewöhnlichen Nothlage, welche die zum größten Theile von D. verfaßte Pfingsterklärung von 1871 auseinandersetzte, insbesondere betonend, daß weder die Gläubigen ihr gutes Recht auf die Gnadenmittel Christi, noch die Priester ihre Befugniß, dieselben zu spenden, durch die Bannungen verlieren, und daß sie auch entschlossen seien, durch Censuren, welche zur Förderung falscher Lehre verhängt worden sind, ihr Recht sich nicht verkümmern zu lassen. Ein Laiencomité, welches in München zusammengetreten war, verlangte von der Regierung eine Kirche für altkatholischen Gottesdienst, welches Gesuch auch D. unterzeichnete.

Das Vorgehen der Ordinariate gegen diejenigen, welche die vaticanischen Decrete verwarfen, drängte rasch zur Vornahme geistlicher Functionen. Aber noch vor dem 1. großen Altkatholikencongreß in München im Herbst 1871, dessen Programm bei und mit D. entworfen wurde, hatte Minister Lutz D. den Gedanken beigebracht, die Altkatholiken sollten keine besondere Seelsorge einrichten, sondern ihr Recht als Katholiken dadurch bethätigen, daß sie recht fleißig in die römisch-katholischen Kirchen gehen, und so verstand es die Regierung auch, daß die Altkatholiken die Rechte der Katholiken haben, und überhob sich damit zugleich der Verpflichtung, für die Altkatholiken mehr, als die Gewährung polizeilichen Schutzes, zu thun. Während der Congreß das [17] Gegentheil beschloß, blieb D. auf seinem Standpunkt stehen, nahm aber gleichwol an allen anderen Schritten der Altkatholiken den lebendigsten Antheil. Die durch das vaticanische Concil geschaffene Lage hatte aber plötzlich auch seinen Blick in vielen anderen Fragen geklärt, und er fühlte es wie ein von Gott geschenktes Glück, „daß er erst jetzt vollkommen wahrhaft sein, der gegenwärtigen Wirklichkeit sowohl als der kirchlichen Vergangenheit unverwandt ins Antlitz schauen und eine an der anderen messen konnte“. Das nächste, was ihm klar wurde, war aber, daß die römische Kirche unmöglich die katholische, die von Christus gewollte und von Paulus beschriebene Kirche sein kann, sondern daß sie selbst, wie es in der Pfingsterklärung heißt, der längst ersehnten und unabweisbar gewordenen Reform sowol in der Verfassung als im Leben bedürftig ist, während dagegen das höchste Ziel christlicher Entwicklung die Vereinigung der jetzt getrennten christlichen Glaubensgenossenschaften ist, die von dem Stifter der Kirche gewollt und verheißen ist, die mit immer steigender Kraft der Sehnsucht von unzähligen Frommen, und nicht am wenigsten in Deutschland begehrt und herbeigerufen wird. Dieser Gedanke lebte indessen schon lange in ihm, und bereits in der Paulskirche hatte er geäußert, es müsse doch noch zu einer kirchlichen Vergleichung und Vereinigung im deutschen Volke kommen, da ohne sie an eine feste und dauerhafte politische Einigung nicht zu denken sei. In seinem Buche „Kirche und Kirchen“ führte er den Gedanken weiter und um ihn drehten sich die Unterredungen König Maximilian’s II. mit ihm. Als dann in den 60er Jahren von Pusey und seinen Freunden eine Bewegung zur Wiedervereinigung der Kirchen ausging, lieh auch er ihr seine Unterstützung. Jetzt nahm er aber den Gedanken viel energischer wieder auf und hielt neben einigen seiner altkatholischen Freunde 1872 seine, so mächtiges Aufsehen erregenden sieben Vorträge über die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen (englisch 1872, deutsch 1888). Auf dem II. Altkatholikencongreß zu Köln im Herbst 1872, auf dem D. selbst anwesend war, wurden Unionsconferenzen beschlossen, die 1874 und 1875 unter seiner Leitung in Bonn stattfanden, um dann abzuwarten, welche Stellung die kirchlichen Autoritäten zu ihnen einnehmen würden. Er wurde hierin zwar enttäuscht, da, wie er sagte, Indolenz und politische Rücksichten die kirchlichen Autoritäten nichts thun ließen, tröstete sich aber damit, den Gedanken an eine Union der christlichen Bekenntnisse wenigstens neu angeregt zu haben, und mit der Hoffnung einer doch noch kommenden Wiedervereinigung aller Kinder Gottes. Endlich betheiligte sich D. auch an allen schwierigeren und wichtigeren Fragen, die in Menge auftraten, in den Sitzungen des Münchener Altkatholikencomités, hatte er das größte Interesse an dem Bestand und Gedeihen des „Deutschen Merkur“ und unterließ es nie, bei heiklen Punkten, wie Beichtzwang, Aufhebung des Cölibats, sich gutachtlich der altkatholischen Synode gegenüber zu äußern. Freilich unter die Jurisdiction des Bischofs Reinkens ist er nicht getreten; aber das that auch ich vor dem Jahre 1890 nicht, theils weil wir als Professoren der theologischen Facultät und Hofgeistliche uns unter eine andere bischöfliche Jurisdiction nicht begeben konnten, theils weil die bairische Regierung dem Bischof Reinkens die Anerkennung für Baiern mit Rücksicht auf das Concordat verweigerte.

Der „innere kritische Proceß“, der ihn drängte, „seit 1870 sein ganzes kirchengeschichtliches und patristisches Wissen einer großen, durchgreifenden Revision zu unterziehen und alle Hauptresultate seiner früheren Studien noch einmal, die Quellen in der Hand, zu prüfen“, währte ziemlich lang, und erst [18] 1878 konnte er an Gladstone schreiben: „Die Zeit liegt nun hinter mir“. Dieser Proceß sowol als seine Stellung an der Spitze der Universität im Jahre ihrer 400jährigen Jubiläumsfeier (1872), bei der er eine ungewöhnlich glänzende Figur machte, wie an der der Akademie der Wissenschaften hinderten ihn auch, die mancherlei damals geplanten Schriften auszuführen. Seit 1837 außerordentliches und seit 1843 ordentliches Mitglied der Akademie, leitete er seit 1860 als Secretär die historische Classe, und erregte schon als solcher durch die feingezeichneten Charakteristiken der verstorbenen Mitglieder dieser Classe ein ungewöhnliches Interesse (Akademische Vorträge II). Nach dem Tode des genialen Chemikers Liebig (1873) vom König Ludwig II. zum Präsidenten der Akademie und Generalconservator der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates ernannt, hielt er in ihren öffentlichen Sitzungen seine vielbewunderten akademischen Vorträge, deren letzten, den Untergang des Templerordens, er noch zwei Monate vor seinem Tode als 90jähriger Greis, zum Theil sogar frei, mit bewunderungswürdiger geistiger und körperlicher Frische vortrug. Endlich ging er daran, abzuschließen. Mit Hülfe des Professors Reusch in Bonn veröffentlichte er die von ihm längst besessene Autobiographie Bellarmin’s (1887), seine Jesuitica unter dem Titel: „Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert mit Beiträgen zur Geschichte und Charakteristik des Jesuitenordens“ (2 Bde., 1889 u. 1890), und kurz vor seinem Tode „Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters“ (2 Bde). Von seinen „Akademischen Vorträgen“ erschien der III. Band erst nach seinem Tode.

Jetzt verstand D. auch Luther, „diesen Titanen der Geisterwelt“, wie er ihn nannte, und die Reformation besser zu würdigen. Als er 1851 seine Skizze „Luther“ schrieb, hatte er nur einzelne seiner Schriften gelesen, später erst studirte er sie sämmtlich und mußte bereits in seinem Buche „Kirche und Kirchen“ (S. 10. 386) sein früheres Urtheil über ihn sehr modificiren. Das Jahr 1870 und das was damit zusammenhing, ließen ihn noch tiefer blicken, und seine schönen Worte über Luther in seinen Vorträgen „Ueber die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen“ 1872 sind allgemein bekannt: „Nur zum Theil lag diese Macht und Stärke der Reformation in der Persönlichkeit des Mannes, welcher in Deutschland ihr Urheber, ihr Sprecher war. Luther’s überwältigende Geistesgröße und wunderbare Vielseitigkeit machte ihn allerdings zum Manne seiner Zeit und seines Volkes: es hat nie einen Deutschen gegeben, der sein Volk so intuitiv verstanden hätte und wiederum von der ganzen Nation so ganz erfaßt, ich möchte sagen eingesogen worden wäre, wie dieser Augustinermönch zu Wittenberg. Sinn und Geist der Deutschen waren in seiner Hand wie die Leier in der Hand des Künstlers. Hatte er ihnen doch auch mehr gegeben, als jemals in christlicher Zeit ein Mann seinem Volke gegeben hat: Sprache, Volkslehrbuch, Bibel, Kirchenlied. Alles was die Gegner ihm zu erwidern oder an die Seite zu stellen hatten, nahm sich matt, kraft- und farblos aus neben seiner hinreißenden Beredsamkeit; sie stammelten, er redete. Nur er hat, wie der deutschen Sprache, so dem deutschen Geiste das unvergängliche Siegel seines Geistes aufgedrückt, so daß selbst diejenigen unter uns, die ihn von Grund der Seele verabscheuen als den gewaltigen Irrlehrer und Verführer der Nation, nicht anders können: sie müssen reden mit seinen Worten, denken mit seinen Gedanken“. Ueber die Reformation aber sagte er 1882 in seinem Vortrag „Die Beziehungen der Stadt Rom zu Deutschland im Mittelalter“: „Für mich, ich muß es gestehen, ist eine lange Zeit meines Lebens hindurch das, was in Deutschland von 1517 bis 1552 sich begeben, ein unverstandenes Räthsel gewesen, und zugleich ein [19] Gegenstand der Trauer und des Schmerzes; ich sah nur das Ergebniß der Trennung, nur die Thatsache, daß die zwei, wie durch scharfe Schwerthiebe getheilten Hälften der Nation, zu ewigem Hader verurtheilt, sich feindlich gegenüberstanden. Seit ich die Geschichte Roms und Deutschlands im Mittelalter genauer erforscht und betrachtet habe, und seit die Ereignisse der letzten Jahre das Ergebniß meines Forschens so einleuchtend mir bestätigt haben, glaube ich auch das, was mir vorher räthselhaft war, zu verstehen, und bete die Wege der Vorsehung an, in deren allwaltender Hand die deutsche Nation ein Werkzeug, ein Gefäß im Hause Gottes, und kein unedles geworden ist“ (Ak. Vortr. I, 76). Und nicht ganz ein Jahr vor seinem Tode schrieb er an Nippold: „Sie haben ganz recht. Die erzwungene Einheit der Papstkirche gewährt mancherlei Vortheile, aber diese werden weit überwogen von den vielen schlimmen Folgen. Und die fortgehende Bildung von neuen kirchlichen Körperschaften in der protestantischen Welt ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von lebendiger Triebkraft“.

Selbstverständlich wurden vielfache Versuche, auch von höchsten Personen, gemacht, D. wieder für die römische Kirche zu gewinnen, da man es doch schwer empfand, daß man ihren angesehensten und gefeiertsten Theologen excommuniciren mußte wegen der Attentate auf das Christenthum im Jahre 1870. Es hieß auch oft, daß er sich unterworfen habe, oder daß er zur Unterwerfung bereit sei. Einige Male dementirte er selbst, gegen seine Gewohnheit, energisch solche Aeußerungen, dann schwieg er. Wie er sich übrigens zur römischen Kirche bis zu seinem Tode stellte, das erfährt man aus seinem Schreiben an den Erzbischof Steichele von München und an den Nuntius Ruffo-Scilla, die, zugleich mit Bischof Hefele, ihn 1886 und 1887 zur Unterwerfung auffordern zu sollen glaubten (Briefe S. 129. 147). „Soll ich“, heißt es in ersterem, „(wenn ich Ihrer Zumuthung folge) mit der Last eines doppelten Meineids auf dem Gewissen vor dem ewigen Richter erscheinen?“ und sein Schreiben an den Nuntius schließt er mit den Worten: „Was ich hier geschrieben habe, wird meines Erachtens genügen, um Ihnen begreiflich zu machen, daß man bei solchen Ueberzeugungen im Zustande eines inneren Friedens und einer geistigen Ruhe selbst an der Schwelle der Ewigkeit sein kann“. In diesem inneren Frieden und dieser geistigen Ruhe entschlief er auch nach achttägiger Influenza am 10. Januar 1890.

Luise von Kobell, Ignaz von Döllinger. Erinnerungen. München 1891. – J. Friedrich, Ignaz von Döllinger. Sein Leben auf Grund seines schriftlichen Nachlasses. 3 Theile, München 1899–1901. – Von gegnerischer Seite: Emil Michael S. J. Ignaz von Döllinger. Eine Charakteristik. Innsbruck.