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ADB:Wilhelm IV. (Landgraf von Hessen-Kassel)

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Artikel „Wilhelm IV., Landgraf von Hessen“ von Walther Ribbeck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 32–39, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_IV._(Landgraf_von_Hessen-Kassel)&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 17:30 Uhr UTC)
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Wilhelm IV., Landgraf von Hessen. Geboren am 24. Juni 1532 zu Kassel als ältester Sohn Philipp’s des Großmüthigen und der Christina, Tochter des Herzogs Georg von Sachsen. Bis zum achten Jahre stand er vorwiegend unter weiblicher Aufsicht, was ihn nach Ansicht des Vaters etwas verweichlichte, weshalb ihn dieser 1540 ausschließlich männlicher Leitung anvertraute. Außer seinen bisherigen Lehrern Justus Winther und Peter Rigidius dem Aelteren erhielt er damals den M. Johannes Buch zum Erzieher und Volprecht von Riedesel zum Hofmeister. Einige Jahre später trat der aus Frankreich zurückkehrende Dr. Nicolaus Rhoding hinzu, während Riedesel später durch Adolf W. von Dörnberg ersetzt wurde. Seine Ausbildung war dem Charakter der Zeit entsprechend, eine theologisch-lateinische, während er die Kenntniß des Griechischen erst später nachholte, auch an die exacten Wissenschaften, in denen er so Großes leisten sollte, trat er erst später heran. Beim Beginn des schmalkaldischen Krieges im Juli 1546 vertraute der Vater den Vierzehnjährigen der Fürsorge der Stadt Straßburg an, er wohnte im Hause des berühmten Arztes Dr. Johann Winther aus Andernach. Hier förderte ihn der Verkehr mit Jakob und Johann Sturm, Martin Bucer und Johann Garnier aus Avignon, der erst sein Lehrer in der französischen Sprache, dann Professor der Theologie in Marburg und sein Hofprediger in Kassel wurde. Als der Krieg am Oberrhein eine bedenkliche Wendung nahm und Wilhelm’s persönliche Sicherheit bedroht schien, eilte er auf Wunsch des Vaters nach Hause (April 1547). Hier stellte ihn Philipp, als er nach Halle zog, um sich dem Kaiser zu übergeben, neben seiner Mutter an die Spitze der Regierung, die aus dem Statthalter Rudolf Schenk und den Räthen Wilhelm von Schachten, Simon Bing und Heinrich Lersner bestand. Nachdem Philipp in die Gefangenschaft abgeführt worden war, widersetzte sich die Regierung mit Standhaftigkeit den mannichfachen kaiserlichen Anmuthungen; gegen die Einführung des Augsburger Interim, die sogar der gefangene Landgraf empfahl, gab W. ein entschiedenes Gutachten ab. Am 15. April 1549 verlor er seine Mutter durch den Tod. Die Erledigung des gefangenen Vaters betrieb er mit Feuereifer, war neben seinem Schwager Moritz von Sachsen die Seele des hierauf gerichteten Bündnisses, das selbst die Beihülfe Frankreichs nicht verschmähte, und nahm an der Spitze der hessischen Truppen an dem Feldzuge gegen den Kaiser theil, der zur Erledigung des Vaters und dem Vertrage von Passau führte. Nach Philipp’s Rückkehr trat er in die Stellung eines Unterthanen zurück, wurde von diesem jedoch in allen wichtigeren Fragen zugezogen. Er vertrat ihn auf dem Wahltage zu Frankfurt, wo er von Kaiser Ferdinand den Ritterschlag erhielt (1562), bei den Verhandlungen mit den Hugenotten und auf der Conferenz zu Stuttgart mit dem Herzoge Christoph von Württemberg (1565). Bei dieser Gelegenheit erhielt er, nachdem so manches frühere Eheproject sich zerschlagen hatte, das Jawort der Prinzessin Sabine, Tochter des Herzogs Christoph und der Anna Maria von Brandenburg-Ansbach, geboren am 2. Juli 1549. Seinen Bruder Ludwig hatte der alte Landgraf, um den Sohn, der gleich allen seinen Brüdern etwas von der väterlichen Sinnlichkeit geerbt, den Verführungen des Kasseler Hofes zu entziehen, [33] schon vor einigen Jahren der Aufsicht des Herzogs Christoph anvertraut und Ludwig 1563 Hedwig, die ältere Schwester Sabinens geheirathet. Wilhelm’s Hochzeit, die mit großem Prunk begangen wurde, fand am 12. Februar 1566 zu Marburg statt.

Die unglückselige Doppelehe Philipp’s des Großmüthigen trübte natürlich das Verhältniß zu seinen Söhnen, besonders als die Söhne der Margarethe heranwuchsen und entgegen dem bei der Vermählung ihrer Mutter eingegangenen Reverse ihren Antheil an den väterlichen Besitzungen forderten. Dem Widerstande, den vorzugsweise W. den Ansprüchen der „Ismaeliten“, besonders der beabsichtigten Erhebung derselben zu Reichsgrafen von Nidda entgegensetzte, hatte er es zu danken, wenn der Vater die zu seinen Ungunsten getroffenen Umänderungen seines letzten Willens nicht zurücknahm. Während nach den früheren Bestimmungen W. erst fast alle väterlichen Besitzungen, später wenigstens ganz Ober- und Niederhessen erhalten sollte, theilte das Testament vom 6. April 1562 das Land in vier Theile. W. erhielt Niederhessen mit dem größten Theile der Grafschaft Ziegenhain und der hessischen Hälfte der Herrschaft Schmalkalden mit der Hauptstadt Kassel, Ludwig Oberhessen mit der Grafschaft Nidda, Philipp die Nieder-, Georg die Obergrafschaft Katzenelnbogen. Nach dem Tode des Vaters (31. März 1567) trat die Versuchung an W. heran, mit Zustimmung der Brüder den letzten Willen desselben anzufechten, er widerstand ihr aber. Durch die Ziegenhainer Einigung vom 28. Mai 1568 regelten die Brüder die Theilung der Regierung und den Gang der gemeinsam bleibenden Angelegenheiten. Gemeinsam waren die Landstände, das Samthofgericht zu Marburg, das Samt-Revisions- oder Ober-Appellationsgericht zu Kassel und für kirchliche Dinge die jährlich zusammentretenden Generalsynoden. Die Universität Marburg unterstand Wilhelm’s und Ludwig’s gemeinsamer Leitung.

Jene unglückselige Ländertheilung, welche seine Macht bedeutend geringer erscheinen ließ, als die des Vaters – er betont es selbst wiederholt, daß er nur ein kleiner, schwacher Fürst sei – verhinderte, daß W. eine gleich hervorragende Rolle spielte wie Philipp, wie sehr die beiderseitigen Tendenzen die gleichen waren. Zu der geringeren Macht gesellte sich freilich auch ein größeres Maß von Vorsicht und Bedächtigkeit. So kam es, daß die Stellung eines Vorkämpfers des Evangeliums von Hessen auf die Nassau-Oranier in den Niederlanden, die Pfälzer in Deutschland überging. Wilhelm’s Bedeutung beruht vor allem darin, daß er das Bindeglied darstellte zwischen jenen thatkräftigen Elementen und den theologisirenden lutherischen Fürsten, wie August von Sachsen und Julius von Braunschweig. Das leidliche Vernehmen, welches eine Reihe von Jahren zwischen Friedrich von der Pfalz und August von Sachsen bestand und der Sache des deutschen Protestantismus erhebliche Dienste leistete, war zum guten Theil sein Werk. Wie bei seinem Vater waren die Hauptgesichtspunkte seiner Politik Sicherung und Ausbreitung des Protestantismus, Einigung der verschiedenen Spielarten desselben auf einer Grundlage, welche unbeschadet der Verschiedenheit im einzelnen das gemeinsame festhielt und anerkannte und endlich Zusammenhalten mit den Glaubensgenossen im Ausland.

Für die Ausbreitung des Evangeliums kamen in erster Reihe in Betracht die geistlichen Stifter, namentlich Norddeutschlands. W. hat dazu beigetragen, daß entgegen dem geistlichen Vorbehalt Osnabrück und Bremen der neuen Lehre gewonnen wurden, in Paderborn dagegen vermochte er weder 1568 seinem Bruder Georg, noch 1576 seinem Mündel, dem Grafen Philipp von Waldeck zum Bisthum zu verhelfen. Er war vorurtheilslos genug, wenn es sich um die Gewinnung ganzer Stifter für die evangelische Lehre handelte, zwar von jeder wirklichen Concession an den Moloch des Papismus, aber nicht von der [34] Unterwerfung unter an und für sich gleichgültige Bräuche und Ceremonien abzurathen, ja dem Candidaten um das Bisthum Osnabrück, dem Grafen Bernhard von Waldeck, gab er 1585 den etwas jesuitischen Rath, er möge sich nur ruhig auf die Fides Romana verpflichten, könne er doch darunter den „Glauben“ des Römerbriefes verstehen. Dazu stimmt denn freilich sehr wenig, daß er den Herzog Julius von Braunschweig, der sich für seinen Sohn um das Bisthum Hildesheim bemühte, vor den Ränken des Antichristes warnte, da kein Gedeihen dabei sei, wenn man die Kinder so jung auf die papistischen Stifte stecke (1573). Die protestantischen Fürsten ließen es denn auch ruhig geschehen, daß Bischof Ernst von Freising, ein Sohn des Herzogs Albrecht von Baiern, das norddeutsche Bisthum erlangte. Für das Stift Hersfeld wußte W. die Wahl eines protestantischen Abtes und die Befestigung der hessischen Schutzherrschaft durchzusetzen. Die Bedeutung des Streites um das Erzstift Köln für die protestantische Sache verkannte er zwar nicht völlig, aber er war weit davon entfernt, etwa wie Pfalzgraf Johann Casimir, mit den Waffen hier einzugreifen und rieth in gewohnter Vorsicht auch seinem Bruder Ludwig ab, sich in diesen „Klausenkrieg“ einzulassen. Er beschränkte sich auf Vorstellungen und gute Rathschläge, die in diesem Falle wie so oft ohne Erfolg blieben. Zuweilen war er damit glücklicher, wie mit den Vorstellungen, die er gemeinsam mit seinen Brüdern und einigen Pfalzgrafen 1586 beim Kaiser gegen die Bedrohung der damals evangelischen Reichsstadt Aachen durch den Herzog von Jülich erhob. Auch geschah es auf seinen Rath, daß bei dem Tode des Herzogs Wilhelm von Jülich (1592), der einen geisteskranken Nachfolger hinterließ, die evangelischen Erbinteressenten sich am Hofe zu Düsseldorf einfanden, was zwar zunächst der protestantischen Sache keinen nachhaltigen Gewinn brachte, vielleicht aber doch die Besitzergreifung des Landes durch die Spanier verhindert hat. Gegen die ersten Regungen der Gegenreformation stand W. tapfer auf der Schanze. So unterstützte er Ritterschaft und Bürger zu Fulda gegen die katholischen Tendenzen des Abtes Balthasar von Dernbach, zugleich mit dem Nebengedanken, die Schirmvogtei über die Stadt Fulda für sich zu gewinnen. Es gelang auch die Entfernung des Abtes durchzusetzen, aber daß die Verwaltung des Stiftes in die Hände erst des Bischofs Julius von Würzburg, dann kaiserlicher Commissare kam, brachte der Sache des Evangeliums keinen Gewinn. Ebenso war W. auch ein eifriger Fürsprecher der von dem Mainzer Erzbischof bedrängten Eichsfelder. Ein wesentlicher Erfolg ließ sich aber auf diesem ganzen Gebiete nur dann erreichen, wenn es gelang, die Ferdinandeische Declaration zur allgemeinen Anerkennung zu bringen, welche den Ständen und Unterthanen geistlicher Fürstenthümer den Uebertritt zur neuen Lehre gestattete. W. that sein möglichstes, um die Fürsten des Reiches zu bewegen von der Aufnahme der Declaration und der Freistellung der Religion in die Wahlcapitulation oder den Reichstagsabschied die Wahl des Königs Rudolf (1575) oder die Bewilligung der Türkensteuer auf dem Reichstage zu Regensburg (1576) abhängig zu machen, aber beide Mal scheiterten diese Bemühungen an der Lauheit des sächsischen Kurfürsten. Die Rolle eines Vermittlers zwischen den verschiedenen Richtungen des Protestantismus zu spielen befähigte W. wie vor ihm seinen Vater die Weite seiner religiösen Anschauungen. Man hat ihn eine im Grunde untheologische Natur genannt, aber wie u. a. das Zeugniß eines Mannes wie Languet beweist, mit Unrecht. Richtig ist nur, daß ihm die Zänkereien der Theologen verhaßt waren und er sie abgestellt wissen wollte. Er wollte Luther nicht zum Abgott machen und war gegen ihn verstimmt wegen der Betheiligung an der Doppelehe seines Vaters. In dogmatischer Beziehung meinte er, daß sich die Parteien näher stünden, als sie glaubten. Nur auf die wirkliche Gegenwart [35] des Fleisches und Blutes Christi im Abendmahl komme es an, nicht auf die Art und Weise dieser Gegenwart. Die neu aufgekommene Ubiquitätslehre der Lutheraner war ihm ein Greuel, weil er von ihr eine Verschärfung der Gegensätze befürchtete. Er wollte nicht zwinglisch heißen und war auch kein Calvinist, obwol er zu den Anhängern dieses Bekenntnisses immer ein gutes Verhältniß unterhielt. Am nächsten stand er wol der Anschauung Melanchthon’s. Aus theoretischen wie praktischen Gründen befürwortete er die Duldung Andersdenkender, die Juden nicht ausgeschlossen, wol aber die Wiedertäufer. Jeder Versuch, die Protestanten unter Beiseitelassung der trennenden Unterschiede religiös zu einigen, fand seine Unterstützung. Wiederholt bemühte er sich, eine religiöse und militärische Union der deutschen Protestanten zu Stande zu bringen. So unterstützte er Andreae bei seinen ersten Concordienversuchen, bis er zu erkennen glaubte, daß diese nur dem ubiquistischen Lutherthum zur Förderung dienten (1571). Dem großen Concordienwerke desselben Mannes, das in dem Bergischen Buche oder der Concordienformel gipfelte, brachte er hohes Interesse entgegen, aber die Concordienformel selber, die das deutsche Lutherthum von den in- und ausländischen Glaubensgenossen hermetisch absperrte, unterschrieb weder er noch die niederhessische Kirche, während die Oberhessen, die unter dem Einflusse des Marburger Professors Aegidius Hunnius standen, eine andere Stellung einnahmen.

Mit den Vorkämpfern des Protestantismus, Wilhelm von Oranien, dessen Gemahlin Anna von Sachsen seine Nichte war, und seinen Brüdern Ludwig und Johann von Nassau stand W. schon als Prinz in regem Briefwechsel. Den Rath, auf den er immer wieder zurückkam, sie sollten die Niederländer zur Annahme der Augsburger Confession bewegen, damit das Reich sie unterstützen könne und die lutherischen Fürsten mehr Interesse für sie gewännen, konnten sie freilich nicht befolgen. Ob Unterthanen befugt seien, der Religion halben sich ihrer Obrigkeit thätlich zu widersetzen, schien ihm zweifelhaft zu sein, doch erkannte er andererseits an, daß die Niederländer wol guten Grund dazu haben möchten. Bei der Taufe des Prinzen Moritz zu Dillenburg (Jan. 1568), der er beiwohnte, damit es nicht den Anschein habe, als verlasse er seine Freunde, will er dem vertriebenen Oranien dringend vom Kriege abgerathen haben. Doch unterstützte er nach Ausbruch desselben die Aufständischen durch Geld und Gestattung von Werbungen und trat nebst Pfalz bei August von Sachsen lebhaft für Oranien ein. Als aber Ludwig von Nassau bei Jemmingen eine Schlappe erlitten (Juli 1568), tadelte W. die ganze Erhebung gegen einen so guten König in den härtesten Ausdrücken und wollte, bestimmt durch ein abmahnendes Schreiben des Kurfürsten von Sachsen, den Eintritt des Obersten v. Rollshausen in oranische Dienste nicht zugeben, eine Haltung, die von Zweideutigkeit nicht freizusprechen ist. Doch förderte er nach wie vor im geheimen die Sache des Prinzen durch Geld und Fürsprache, und selbst der Bruch desselben mit seiner Gemahlin und seine Heirath mit Charlotte von Bourbon, die den Kurfürsten August dauernd verstimmten, vermochten W. dem Prinzen nur zeitweilig zu entfremden. Johann von Nassau nennt den Landgrafen einmal ein instrumentum Dei und gibt ihm das Zeugniß, daß er Alles thue, um eine Concordie unter den Protestanten herbeizuführen. Wären die Prinzen freilich allen Rathschlägen des weisen Landgrafen gefolgt, so würde die Erhebung wol im Sande verlaufen sein. Als die Staaten Johann von Nassau in ihren Dienst zu ziehen wünschten und dieser sich Wilhelm’s Rath erbat (1577), rieth dieser ihm dringend ab, sich in so unsichere Verhältnisse hineinzubegeben, man thäte besser, sich dem neuen Statthalter Don Juan d’Austria zu unterwerfen, als durch ferneren Widerstand neues Blutvergießen [36] heraufzubeschwören. – Sogar der schrecklich große Komet, der gerade am Himmel stand, mußte dazu herhalten, das Gewicht dieser Warnung zu verstärken. Freilich muß zu Wilhelm’s Ehre hinzugefügt werden, daß er zu gleicher Zeit den Gesandten Don Juan’s den Rath gab, die Aufständischen durch Gewährung von Glaubensfreiheit zum Frieden zu bewegen. Daß aber die Pfalzgrafen Christoph und Johann Casimir die Aufständischen mit Heeresmacht unterstützten, hat er immer für Thorheit angesehen.

Noch weniger als die Niederländer war W. die Hugenotten mit den Waffen zu unterstützen geneigt. Aussichtsreicher schien ihm der andere Weg, die französische Krone zu größerer Duldung gegenüber ihren evangelischen Unterthanen und zur Unterstützung der aufständischen Niederländer zu veranlassen. Neben den Pfälzern war er derjenige, der am meisten die Annäherung der deutschen Fürsten an Frankreich betrieb und sich mit Eifer an mehreren hierauf gerichteten Gesandtschaften betheiligte. Doch darf man ihn, obwol er wenigstens zeitweilig eine französische Pension bezog, nicht einen Parteigänger Frankreichs nennen; Wenigstens sind die Berichte des französischen Agenten Schomberg aus dem Jahre 1572, daß W. die Wahl des Herzogs von Anjou zum römischen König befördere und den Frieden zwischen Spanien und den Niederlanden im Interesse Frankreichs zu verhindern suche, sehr übertrieben, sie beruhen wol auf Aeußerungen des Landgrafen, die dessen wahrer Gesinnung nicht entsprechen; denn die Frage der Kaiserwahl schien ihm keineswegs brennend und die Beendigung des Krieges wünschte er im Interesse seines Landes, dem dieser in einem Jahre über 100 000 Gulden Schaden gethan hatte. Das von der französischen Krone den deutschen Fürsten angebotene Bündniß suchte er aus Scheu, gegen die Gesetze des Reiches zu verstoßen, zu einer wenig bedeutenden Correspondenz herabzusetzen. Doch trug an der unseligen Wendung der französischen Politik nicht sowol das Zaudern der deutschen Fürsten, als vielmehr die Zweideutigkeit der Königin von England und andere unglückliche Umstände die Schuld. Die Greuel der Bartholomäusnacht, die er vorhergeahnt zu haben behauptete, tadelte der Landgraf gegenüber dem französischen Könige und seinem Bruder, dessen Wahl zum polnischen Könige er beförderte, in nicht mißzuverstehender Weise. Wie gegen ein Bündniß mit den Niederländern und Hugenotten, so hegte W. auch gegen ein solches mit England, im Gegensatze zu seinem Vater allerhand Bedenken. Den von Elisabeth angeregten Tag zu Erfurt im J. 1569 beschickte er zwar, doch hatten seine Gesandten die Instruction, sich nach den Andern zu richten. Wol beklagte er dann die Ergebnißlosigkeit des Tages, meinte aber, er als kleiner Fürst könne daran nichts ändern. Von den Vorschlägen, welche Elisabeth im J. 1577 den deutschen Fürsten unterbreiten ließ, befürwortete er rückhaltlos nur den ersten, welcher sich gegen die Verdammung der Andersdenkenden in der Concordienformel aussprach, den vorgeschlagenen Bund mit England dagegen glaubte er ohne Zustimmung seiner Brüder und anderer Fürsten nicht eingehen zu können. Erst in den letzten Zeiten seines Lebens, als die drohende Stellung der Spanier am Niederrhein und die Lage der französischen Dinge den deutschen Protestanten, Sachsen nicht ausgeschlossen, ein Sichaufraffen aus ihrer bisherigen Lethargie nahe legten, betrieb W. in Gemeinschaft mit Johann Casimir auf das eifrigste ein Bündniß mit Heinrich von Navarra und Elisabeth von England und streckte dem Ersteren zur Werbung von Truppen 100 000 Gulden vor. Infolge verschiedener ungünstiger Umstände kam aber die geplante große Union zu Wilhelm’s Lebzeiten nicht mehr zu Stande. Im allgemeinen kann W. von dem Vorwurf, der fast alle deutschen protestantischen Fürsten der damaligen Zeit trifft, der Thatenscheu, nicht ganz freigesprochen werden. Nicht confessionelle Befangenheit war es freilich, was ihm so häufig den Arm lähmte, sondern übergroße Vorsicht. [37] Mit Schmerzen erkannte er selbst, daß es mit der protestantischen Sache seit 50 Jahren stetig rückwärts gegangen sei. Die Hauptschuld daran, daß dem so war, fällt unzweifelhaft auf Sachsen, aber Philipp der Großmüthige hatte es seiner Zeit doch besser verstanden, die zaudernden Gesinnungsgenossen mit sich fortzureißen, als sein vorsichtiger Sohn, der das Bessere wohl erkannte, aber sich immer für zu schwach hielt es durchzusetzen. Den Muth seiner Jugend, der ihn um der Befreiung des Vaters willen in den Kampf gegen den Kaiser trieb, hat er in späteren Zeiten nicht mehr wiedergefunden.

So geschmälert Wilhelm’s territorialer Besitz im Vergleich zu dem seines Vaters war, so vergrößerte sich derselbe doch während seiner Regierungszeit in nicht unbeträchtlicher Weise. 1571 fiel ihm die ganze Herrschaft Plesse, bei Göttingen an der Leine gelegen, als eröffnetes Lehen anheim, 1582 nach Absterben des Grafen Otto von Hoya die Aemter Uchte und Freudenberg, ebenfalls als hessische Lehen, ebenso 1585, nach dem Tode des Grafen Friedrich von Diepholz, Auburg und Wagenfeld, die W. an seinen natürlichen Sohn Philipp Wilhelm von Cornberg gab. Nach dem Tode des Grafen Georg Ernst von Henneberg (27. Dec. 1583) fiel die hennebergische Hälfte der Herrschaft Schmalkalden an W., den Besitzer der hessischen. Bei der Theilung der Hinterlassenschaft seines am 20. Novbr. 1583 kinderlos verstorbenen Bruders Philipp’s II. erhielt er die ganze Grafschaft Katzenelnbogen, mit Ausnahme von Braubach und Rhense, wogegen er seinem Bruder Ludwig seine Hälfte der Grafschaft Itter und das Amt Lißberg, seinem Bruder Georg die Aemter Schotten, Stormfels und Homburg v. d. H. überließ. Durch den Vertrag von Merlau (8. September 1583) vertrugen W. und seine Brüder sich mit Mainz über die Einlösung verschiedener mainzischer Pfandschaften. Durch Vergleich mit demselben und der Familie von Linsingen erwarb er 1586 für sich das Amt Jesberg. Am Ende seiner Regierung dehnte sich seine Herrschaft über ein Gebiet von 110 Quadratmeilen aus, welches 160 000 Einwohner zählte.

Als Regent seines Landes nimmt W. unter den Fürsten seiner Zeit einen hervorragenden Rang ein. Mit großer Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit verband er einen scharfen Blick für das Praktische und eine glückliche Hand in der Wahl seiner Diener und Beamten. Ordnungen mannichfacher Art, eine Kirchen-, Kanzlei-, Rentkammer- und Feuerlöschordnung regelten die verschiedenen Gebiete des öffentlichen Lebens. Einer weiteren Theilung seiner Lande wurde durch Einführung der Primogenitur (1576) vorgebeugt. Rechtspflege und Rechtssicherheit wurden gefördert. Zu einer Zeit, da ganz Deutschland unter dem Uebel der Münzverfälschung litt, ließ sich W. auf dem Reichstag zu Worms (1582) die Verbesserung des Münzwesens angelegen sein und sorgte für Ausprägung und Umlauf vollwichtigen Geldes in seinem Lande. Die Sparsamkeit und Wirthschaftlichkeit, die in seinem eigenen Haushalt herrschten, und die er nicht müde ward, den Seinigen anzuempfehlen, übertrug er auf den öffentlichen Dienst. Die wirthschaftlich Schwachen unterstützte er in den Zeiten der Noth durch Ausfuhrverbote, Vertheilung von Getreide, den Verkauf billigen Brotes. Die Hülfsquellen seines Landes, Waldungen, Bergwerke, Glashütten wußte er mit Hülfe tüchtiger Fachleute zu entwickeln. Der „ökonomische Staat“, ein auf seinen Befehl 1585 zusammengestelltes statistisches Handbuch, enthält eine genaue Beschreibung des Landes und seiner Einkünfte, eine Steuertafel, ein Verzeichniß der Dörfer, Domänen, Waldungen u. s. w. Unter dem Beirath des Rochus von Lynar vollendete er die von seinem Vater begonnenen Kasseler Festungswerke, betrieb in seiner Hauptstadt neben dem Ausbau des fürstlichen Schlosses die Errichtung neuer Gebäude, wie der Kanzlei, des Marstalles, des Zeughauses und des Elisabeth-Hospitales und erbaute das Schloß zu Rotenburg [38] und die Wilhelmsburg bei Schmalkalden. Kunst und Kunsthandwerk erfreuten sich seiner verständnißvollen Pflege. Eine Sammlung von Porträts berühmter Männer schmückte den goldenen Saal seines Schlosses. Die erste Ordnung des Hof- und Regierungsarchivs, die Anfänge der Kasseler Landesbibliothek sind ihm zu verdanken.

Neben den materiellen Interessen seines Landes auch die geistigen zu fördern war Niemand mehr geeignet als der Mann, der unter den Gelehrten seiner Zeit eine bedeutende Stellung einnahm. Der Briefwechsel des Landgrafen mit einer Reihe der ausgezeichnetsten Zeitgenossen, einem Beza und Tycho de Brahe, einem Hotoman und Lynar legt Zeugniß ab von der Vielseitigkeit seiner Interessen. An seinen eigenen Briefen erfreut eine kernige, oft derb humoristische Ausdrucksweise, die immer den Nagel auf den Kopf trifft und von gesundem Menschenverstand Kunde gibt. Neben der Theologie, der beherrschenden Disciplin des Zeitalters, sind es vor allem die exacten Wissenschaften, denen seine Neigung gehörte. In der Mathematik war Rumold Mercator, der Sohn des berühmten Gerhard, sein Lehrer. Durch die Bekanntschaft mit dem 1540 erschienenen Astronomicum Caesareum des Peter Apian, das die Planetenbahnen durch bewegliche Scheiben oder Kreise von Pappe wiedergab, wurde sein Hauptinteresse auf die Astronomie gelenkt. Den Kometen von 1558 sah und beobachtete er zuerst. Erst allein, dann in Gemeinschaft mit dem Astronomen Christoph Rothmann bestimmte er auf der von ihm errichteten Sternwarte auf dem Zwehrer Thor zu Kassel im Laufe von 30 Jahren den Ort von 900 Sternen. Neben diesem Sternenverzeichnisse geben eine astronomische Kunstuhr, nach dem Ptolemäischen System eingerichtet, und ein metallener Himmelsglobus, erstere zu Kassel, letzterer zu Marburg befindlich, beide nach Wilhelm’s Anweisung von dem kunstfertigen Mathematiker und Mechaniker Jost Byrgi verfertigt, noch heute Zeugniß von diesen Bestrebungen. Von dem astrologischen Aberglauben der Zeit, den an Kometen freilich ausgenommen, hielt sich W. frei, während er nach Aussage seines Vaters in früheren Jahren der Nekromantie gehuldigt haben soll. Der gregorianischen Kalenderreform widersetzte sich W. aus politisch-kirchlichen Gründen und wollte in seinem von den Kurfürsten eingeforderten Gutachten höchstens soviel einräumen, daß man, um den bisher seiner Ansicht nach nicht eben bedeutenden Fehler der alten Berechnungsweise nicht allzusehr anwachsen zu lassen, für das Jahr 1600 und dann alle 132 Jahre je einen Schalttag weglassen dürfe.

Mit seiner Gemahlin Sabine von Württemberg lebte W. in fünfzehnjähriger glücklicher Ehe. Sie war eine durch wohlthätigen Sinn ausgezeichnete Frau, die sich durch Stiftung der freien Hofarznei zu Kassel nicht nur für alle Angehörigen des Hofes und der fürstlichen Gäste, sondern auch für alle Armen und Hülfsbedürftigen der Hauptstadt ein dankbares Andenken gesichert hat. Als sie ihm im 32. Jahre ihres Alters am 17. August 1581 zu Rotenburg durch den Tod entrissen wurde, war er nicht zu bewegen, sich wieder zu verheirathen, auch darin seinem Zeitgenossen, dem Kurfürsten August von Sachsen, sehr unähnlich. Von den 12 Kindern, die sie ihm geboren, überlebten ihn ein Sohn und vier Töchter. Nur die älteste Tochter, Anna Maria, vermählte sich zu Lebzeiten des Vaters mit dem Grafen Ludwig von Nassau-Weilburg. Für die Erziehung seines Nachfolgers Moritz trug W. eifrig Sorge. In den Jahren seines Alters von schweren körperlichen Gebrechen geplagt, schied er am 25. August 1592 aus dem Leben. Dem trefflichen Fürsten und großen Gelehrten gab die Nachwelt den Beinamen des Weisen.

Die älteste Biographie Wilhelm’s ist Treutler, Oratio de vita et morte Wilhelmi Hassiae Landgravii. Marburg 1592. Von späteren sind zu [39] nennen Justi in Strieder’s Grundlage einer hessischen Gelehrtengeschichte. Bd. 17, S. 73–81 und in der von ihm herausgegebenen Vorzeit, Jahrg. 1825 und Rommel im 5. Bande seiner Geschichte von Hessen. Von seiner politischen Correspondenz sind viele Stücke veröffentlicht bei Groen van Prinsterer, Archives de la maison d’0range-Nassau; Kluckhohn, Briefe Friedrich’s des Frommen; von Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir; Blok, Correpondentie van en betrefende Lodewigk von Nassau; Keller, Geschichte der Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein; Lossen, Cölnischer Krieg; Ritter, Briefe und Acten I, Einleitung; Wallé, Lynars Briefwechsel mit dem Landgrafen Wilhelm von Hessen. Einzelnes bieten Schmidt-Phiseldeck: Historische Miscellaneen II und die Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte. Seine kirchliche Politik behandelt Heppe in der Geschichte des deutschen Protestantismus und einer Reihe anderer Schriften, und v. Egloffstein, Fürstabt Balthasar von Dernbach und die katholische Restauration im Hochstift Fulda. Stamford bespricht in der Zeitschrift Band 31 seinen Aufenthalt in Straßburg. Seine wissenschaftlichen Bestrebungen behandelt Duncker, Landgraf Wilhelm IV. und die Gründung der Bibliothek in Cassel; R. Wolf, Geschichte der Astronomie; Keßler, Landgraf Wilhelm IV. als Botaniker (Programm der Realschule zu Cassel, Cassel 1859); v. Drach, Die Globusuhr Wilhelm’s IV. Derselbe hat die Förderung von Kunst und Kunsthandwerk durch Wilhelm in einer Reihe kleinerer Aufsätze behandelt.