BLKÖ:Messerschmidt, Franz Xaver

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Meßmer, Alois
Band: 17 (1867), ab Seite: 441. (Quelle)
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Messerschmidt, Franz Xaver (Bildhauer, geb. zu Wiesensteig in Bayern 20. August 1732, gest. zu Preßburg auf dem sogenannten Zuckermantel 21. August 1783). Sein Vater war ein Weißgärber, der aus zwei Ehen 32 Kinder hatte. Aus der zweiten stammte [443] Franz Xaver. Im Hause des Vaters herrschte Mangel, und Franz mußte fünf Jahre den Sommer über das Vieh hüten und im Winter Brot betteln, und Nachts spinnen. Als Franz 9 Jahre alt war, starb sein Vater, und die Mutter zog mit ihrem reichen Kindersegen zu ihrem Bruder, dem Hofbildhauer Johann Straub nach München, der den Knaben sogleich zu sich in die Lehre nahm. In kurzer Zeit machte derselbe zur Freude seines Lehrers schöne Fortschritte und bekundete ein sichtliches Talent in der Kunst, zu deren Erlernung mehr Zufall als Absicht mitgewirkt hatte. Straub ließ nun auch dem Knaben volle Freiheit, und dieser begann die verschiedenartigsten Gegenstände aus Erde zu formen, dabei vernachlässigte er die Lectüre, namentlich solcher Bücher, nicht, die mit seiner Kunst einigermaßen in Verbindung standen. Besondere Freude empfand er an anatomischen Werken, zu deren Studium er oft Nächte opferte, und sich so in dieselben vertiefte, daß er darüber den Mittagstisch vergaß. Als M. achtzehn Jahre alt war, ließ ihn sein Oheim fort, und M. begab sich zu einem anderen Bruder seiner Mutter, der in Gratz lebte, dort blieb er zwei Jahre; da sich ihm aber daselbst für die Ausübung seiner Kunst keine günstigen Aussichten zeigten, begab er sich nach Wien, mit dem Entschlusse, sich an der dortigen Akademie der Künste vollends zum Bildhauer auszubilden. An der Akademie lenkte er durch seine außerordentliche Geschicklichkeit im Formen, wobei er der Natur in einer Weise nahe kam, wie kein anderer seiner Mitschüler, die Aufmerksamkeit des damaligen Akademie-Directors auf sich. Auf Selbsterhaltung angewiesen, brachte er sich anfänglich sehr kümmerlich durch, stählte aber durch Entbehrungen seinen Körper und eignete sich eine Genügsamkeit an, die ihm bei seinem vorherrschenden Künstlerstolze später vortrefflich zu Statten kam. Indessen nahm sich auch Director Meytens, als er die Fortschritte, welche M. machte, gewahrte, seiner mit Vorliebe an, und verschaffte ihm eine kleine Anstellung, die ihn wenigstens vor Noth sicherte. M. kam als sogenannter Stuckverschneider in das k. k. Zeughaus. In dieser Zeit vollendete er die schöne, sieben Schuh hohe Statue der Kaiserin Maria Theresia in ungarischer Tracht, welche noch immer im Belvedere aufgestellt ist. Mit seinen Ersparnissen und einer durch Meytens bewirkten Unterstützung des kais. Hofes unternahm er nun im Jahre 1765, damals bereits 33 Jahre alt, die Reise nach Rom. In dieser neuen, den Künstler fesselnden und seinen Geist förmlich berauschenden Welt wurde ihm, wenn er zu arbeiten anfing, die Zeit zu wenig. Er wollte Alles machen, alle die herrlichen Werke nachbilden, und in der That copirte er aus Lindenholz mehrere der berühmtesten Statuen in einer Höhe von anderthalb bis zwei Schuh, mit einer Leichtigkeit und Genauigkeit, daß er die Bewunderung Aller erregte, die ihn bei seiner Arbeit beobachteten. Dabei zeigte sich schon damals in seinem ganzen Wesen jene Naturwüchsigkeit, aus welcher der spätere Sonderling sich herausbildete. So lebte er in Rom in der einfachsten Weise und ging fast in Taglöhnertracht umher; den Klotz Lindenholz auf der Schulter, ging er damit dorthin, wo er eine Arbeit vorhatte. Wer ihn nicht kannte, blieb verblüfft stehen, wenn er ihn nun vor einer antiken Statue den Klotz niederlegen und ohne Tasterzirkel und sonstige Werkzeuge als einfache Schnitzmesser mit einer kaum glaublichen [444] Schnelligkeit kreuz und quer in das Holz schneiden sah. Ein paar spanische Künstler, als sie ihn auf diese Art eine ganz herrlich gelungene Copie des farnesischen Herkules ausführen sahen, beschuldigten ihn, daß er mit dem Teufel im Bunde stehe, und es kam darüber, wie auch bei anderen ähnlichen Anlässen, zu argem Streite. Schon im ersten Jahre seines Aufenthaltes in Rom vollendete er eine Copie des Crucifixes von Michael Angelo in Alabaster und überreichte das Werk dem heiligen Vater. Dieser gab ihm als Gegengeschenk eine nach der Natur vollendete Antike aus Metall, deren hier nur in sofern gedacht wird, weil sie ihm in späteren Jahren als Maßstab zu seinen berühmten Büsten der menschlichen Leidenschaften diente. Eine andere Arbeit, welche er in Rom vollendete, war das von der Haut entblößte Pferd in verjüngtem Maßstabe. Er hatte es in Alabaster ausgearbeitet, nahm davon die Form ab und machte es noch zwei Mal in Metall, das eine Exemplar für die Kunstkammer in Stockholm, das zweite soll in irgend einem Winkel einer Wiener Kunstsammlung unbeachtet liegen. Den Vorwurf einiger Collegen, die ihn seiner Geschicklichkeit wegen neideten und seines wenig zugänglichen Naturells wegen verspotteten, daß er wohl in Holz, aber nicht in Stein zu arbeiten verstehe, erwiederte er durch eine That, mit welcher er wohl den Vorwurf in glänzender Weise widerlegte, die es ihm aber zugleich räthlich machte, Rom alsbald zu verlassen. Er vollendete nämlich aus Stein einen antiken Apollo in Zeit von nur drei Tagen. Dieser Apollo stand auf einem Postamente, welches von einem Gitter eingeschlossen und sorgfältig verhüllt war. Das Postament zeigte in erhabener Arbeit eine Menge kleiner Figuren mit Eselsohren, welche auf verschiedenen Instrumenten spielten. In dem Allen lag nichts Verfängliches, wenn man aber diese kleinen Figürchen mit ihren großen Eselsohren genau in’s Auge faßte, so erkannte man darin lauter Porträte seiner Feinde, die ihn immer verspottet, und bekrittelt hatten. Der Streich war ihm vollends gelungen und hatte die Lacher auf seine Seite gebracht, aber nun war auch die letzte Zeit, Rom zu verlassen, was Messerschmidt, ohne zu zögern, that. Einen ihm um diese Zeit von der französischen Akademie gestellten vortheilhaften Antrag zur Uebernahme eines Postens in Paris lehnte M. ab und begab sich nach Wien. Es scheint übrigens, daß M. diesen Streich ausgeführt, nachdem er seine Berufung nach Wien bereits in der Tasche hatte, M. war nämlich als Lehrer an der kais. Akademie der bildenden Künste in Wien angestellt worden. Bald nach seiner Ankunft in Wien erhielt er den Auftrag, den Gemal der Kaiserin, Franz Stephan, im kaiserlichen Krönungsornate auszuführen. Diese sieben Schuh hohe Statue, ein Seitenstück zu der oberwähnten der Kaiserin, ist gleichfalls im Belvedere aufgestellt. In diese erste Zeit seines Wiener Aufenthaltes fallen mehrere Werke, darunter sind besonders bemerkenswerth: „Die Büste Kaiser Joseph’s II.“, welche im Naturalien-Cabinete aufgestellt ist; – „Die Büste Gerhard’s van Swieten“ aus Bronze, im Universitäts-Gebäude im ehemaligen Hörsaale der Mediciner; – eine „Immaculata mit zwei Engeln“, in der Capelle des savoyischen Damenstiftes in der Johannesgasse; – eine Gruppe von vier Figuren: ein Weib, Kinder waschend, eines derselben stürzt in’s Wasser, wird aber von der Mutter an den Kleidern erfaßt und herausgezogen, dieses Werk, [445] welches sich als Brunnengruppe auf der Landstraße in dem ehemaligen Mesmer’schen Garten befindet, erregte die Bewunderung des Kaisers Joseph, der sie dem Künstler in den huldvollsten Worten aussprach. Viele kleinere Figuren und halberhabene Arbeiten befinden sich im Privatbesitze und Sammlungen. Für die kaiserliche Akademie der Künste arbeitete er die lebensgroßen Büsten seines Wohlthäters, des Directors Meytens, und des Archäologen Franz von Scheyb, beide aus weichem Metall und im großen Akademiesaale aufgestellt. Im Jahre 1769 erhielt M. den Titel eines akademischen Rathes. Das Erscheinen des in seiner Art einzigen und nie gehörig gewürdigten Werkes von Lavater über die Physiognomik fällt eben in jene Zeit; das Werk regte M. in ungewöhnlichem Maße an, und gar bald gerieth er auf die Idee, Lavater’s Ansichten in seiner Art auszuführen. Zuerst begann er verschiedene Leidenschaften in Wachs zu formen. Bereits hat er eine kleine Sammlung von solchen Wachsbildern, jedes 18–24 Zoll hoch, vollendet, jedoch nicht mit Absicht auf den Verkauf, als vielmehr zu eigenem Studium. Ein Engländer, der von dieser Sammlung gehört, wollte sie sehen, besuchte den Künstler, und fand an einzelnen Charakteren solches Gefallen, daß er einige derselben käuflich erstehen wollte. M. nannte den Preis. Der Engländer fand denselben zu hoch. Das verdroß unseren Künstler so sehr, daß er, um dem Engländer zu beweisen, es sei ihm nicht an dem Preise gelegen und er nur im Bewußtsein des Werthes seiner Arbeiten einen überhaupt angegeben habe, die Wachsfiguren nahm, und eine nach der andern vor den Augen des verblüfften Engländers zertrümmerte. In diesem Vernichtungswerke unterbrach ihn sein eben eintretender Freund Mesmer [s. d. S. 427], der noch deren einige und die merkwürdigste Wachsgruppe: „Wie Gott den ersten Menschen aus Erde geformt, einen lebendigen Odem in die Nase blies“, rettete. Diese soll noch irgendwo vorhanden sein, nur ist es nicht bekannt, wo sie sich befindet. Er begann nun mit der Ausführung der bereits erwähnten Idee von Neuem. Theils um sich ganz seiner Arbeit widmen zu können, theils weil seine Stellung an der Akademie seit Meytens’ Ableben durch die Unbeugsamkeit seines Charakters und die Unverträglichkeit mit den übrigen Collegen, wenn nicht gerade unhaltbar, so doch unangenehm wurde, legte er die Professur nieder und erhielt eine lebenslängliche Pension von 200 fl., aber auch diese nahm M. nur unter der Bedingung an, daß er jährlich zwei Stück seiner Arbeit, die den Werth von 200 fl. zum mindesten erreichen sollten, der Akademie zuschicken wolle. M. verkaufte nun Alles, Kunstsachen, Bücher, Kupferstiche, und begab sich nach seinem Geburtsorte Wiesensteig, in dessen Nähe, da ihm selbst das kleine stille Städtchen nicht genug einsam erschien, er sich eine Hütte kaufte. Dort setzte er nun seine Lieblingsarbeit, die plastische Darstellung der Leidenschaften, fort. Fünf Büsten hatte er aus Wien mitgebracht. Da es ihm an Modellen fehlte, bediente er sich seines Kopfes dazu. Indem es mit seiner Verpflegung in der abseits gelegenen Hütte schlecht bestellt war, kaufte er sich Kühe und Schafe, die ein armer Junge hüten mußte, und pflanzte auf dem das Häuschen umgebenden Grunde alle für seine Bedürfnisse erforderlichen Lebensmittel[WS 1]. In dieser Abgeschiedenheit von Welt und Menschen hatte er bereits 18 Köpfe vollendet [das Verzeichniß dieser merkwürdigen [446] Büsten folgt S. 448], als er den Ruf als Hofbildhauer an den churfürstlichen Hof nach München mit einem ansehnlichen Gehalte erhielt. War er der Einsamkeit müde, oder schmeichelte es seinem Stolze, daß der Ruf seiner Kunst auch dann in der Welt fortlebte, nachdem er aus derselben sich zurückgezogen, kurz er nahm den Posten an und ging nach München. Aber nur ein halbes Jahr hielt er es dort aus. Zwei Berufungen, die Friedrich II. von Preußen hatte an ihn ergehen lassen, lehnte er gleichfalls ab, und nachdem er schon aus der Einsamkeit wieder in das öffentliche Leben zurückgekehrt war, begab er sich nach Wien. Sein Abschied aus München mahnt an jenen aus Rom. Ein Hofcavalier, der sich mit M. über verschiedene Gegenstände der Bildhauerkunst berieth, stellte, wie es scheint, von dem Selbstbewußtsein M.’s, das sich aus allen seinen Antworten und Ansichten aussprach, eben nicht angenehm berührt, die zweideutige Frage, ob er denn auch im Stande sei, ein Pferd von englischer Race plastisch darzustellen? M., von diesem Spotte auf das Tiefste erregt, erwiederte, ohne jedoch seine Miene zu verändern: „Er könne im Augenblicke die Ausführung eines Pferdemodells englischer Race um so weniger übernehmen, als er eben mit einer Gruppe, den Einzug Christi in Jerusalem darstellend, beschäftigt, nach langem Suchen endlich gerade jetzt so glücklich sei, das Modell des zu dieser Gruppe erforderlichen Esels aufgefunden zu haben“. Daß bei solchen Antworten, überhaupt bei solcher Weise, mit den Menschen zu verkehren, seines Bleibens unter ihnen nirgends lange war, begreift sich wohl leicht, er machte sich also rasch von München, indem er seinem in Preßburg als Bildhauer lebenden Bruder vorhin noch den Auftrag gab, ihm in seinem Hause eine stille Wohnung einzuräumen. In Preßburg brachte nun M. drei Jahre im Hause seines Bruders zu, einzig mit der Fortsetzung seiner Charakterbüsten beschäftigt. Anderes arbeitete er nur, wenn er Geld brauchte, um die Auslagen für seine Lebensbedürfnisse zu bestreiten. So beschäftigte ihn der damals in Preßburg weilende Locumtenens Albert Herzog von Sachsen-Teschen, der auch mehrere seiner fertigen Arbeiten ihm abkaufte. Für die zu jener Zeit vollendeten Charakterbüsten – sie betrugen etwa 40 Stück – bot ihm der kunstsinnige Fürst 40.000 Gulden. M. schlug aber dieses Anerbieten aus, weil er die Sammlung auf hundert Büsten bringen wollte. In der Wirklichkeit hatte er sie nur auf 49 gebracht und von diesen sind zwei unvollendet. Nach drei Jahren kaufte er sich auf dem sogenannten Zuckermantel bei Preßburg ein einsam gelegenes Häuschen, das er seinen höchst einfachen Bedürfnissen gemäß einrichtete und daselbst bis an sein Lebensende zubrachte. Dieses ereilte ihn nach kurzer Krankheit im Alter von 51, ja wenn die Angabe Einiger, daß er nicht im Jahre 1732, sondern im Jahre 1737 geboren sei, richtig wäre, von gar erst 45 Jahren. Außer den bereits angeführten Arbeiten Messerschmidt’s sind noch bemerkenswerth: „Die Wasser schöpfende Samaritanerin und der sie beobachtende Christus“, im ehemaligen Palast des Prinzen Eugen in der Annagasse, die Büste des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen, in Marmor, jene des Grafen Philipp Batthyány, in Alabaster, ein schöner Altar zu Austerlitz in Mähren in der Schloßcapelle, das Senkenberg’sche Grabmal auf einem der Wiener Friedhöfe, und [447] viele Statuen und Basreliefs auf den Schlössern und Herrschaften des Fürsten Wenzel Liechtenstein, der den Künstler mit besonderer Vorliebe beschäftigte. Die Sonderlingsnatur M.’s hinderte ihn, daß er sich nicht zu jener Größe und Bedeutenheit erhob, für die er seinem Talente nach angelegt war. Schon der Umstand, daß er nur arbeitete, wenn er gerade Geld brauchte, trug wenig dazu bei, ihn für die Ausführung großer Werke, wozu eben er, wie Wenige, geeignet war, zu gewinnen. Insbesondere seit er sich in den Kopf gesetzt, die mehrerwähnte Folge von hundert Charakterköpfen zu vollenden, von dieser Zeit an war er mit Ausnahme eben dieser Köpfe im Ganzen fast unthätig geblieben. Diese Köpfe freilich geben Zeugniß von seiner Meisterschaft, und sind wahre Musterstücke psychologischer und anatomischer Studien, aber es war denn doch eine verschrobene Einbildungskraft, die ihn auf diesen Gedanken brachte und ihn bei demselben durch eine ganze Reihe von Jahren beharren ließ. Die Wahrheit, mit welcher er die Charaktere darstellte, und die Kenntniß des Mechanismus des Kopfes, entschädigt nicht für den Mangel aller Schönheit. M., dieser Meister in der Aesthetik des Häßlichen, kann mit gutem Fug und Recht als der „Hogarth der Plastik“ bezeichnet werden, und er muß eben nur in Deutschland gearbeitet haben, um – um nicht zu sagen vergessen, so doch – so wenig beachtet zu sein, wie es der Fall ist. M. arbeitete ungewöhnlich rasch und vollendete oft in tadelloser Weise in Stunden, wozu andere mindestens doppelt so viel Tage, wenn nicht noch mehr Zeit brauchten. Mit seiner Liebe zur Kunst ging ihm die Zeit über Alles, und diese ließ er sich nicht nehmen. Jede Minute war ihm kostbar, jeder Besuch lästig, und wenn er einen solchen erhielt und derselbe sich gegen alle Gebühr ausdehnte, so frug er seinen Besucher nicht selten: Haben Sie viel Zeit? und wenn die Antwort lautete: Ja, erwiederte er: das sehe ich, aber ich habe keine. In seiner Häuslichkeit war er, um nicht zu sagen cynisch, aber aszetisch, von einer kaum glaublichen Einfachheit. Sein Hausgeräth bestand aus einem Bette, Tische, einigen schlechten Stühlen, einer Flöte, einer Tabakspfeife, einem Wasserkruge und einem alten italienischen Buche, von den Verhältnissen des menschlichen Körpers. Nebstdem besaß er noch drei Zeichnungen, eine davon stellte eine egyptische Statue ohne Arm vor, die er nie ohne Bewunderung und Ehrfurcht ansah, auch Niemanden die eigentliche Bedeutung dieser hieroglyphischen Figur entdeckte; vielleicht war es jene merkwürdige Figur, welche das alte egyptische Naturmaß darstellte, mit dessen Hilfe, wie uns Plinius erzählt, Polyklet seinen Canon der vollkommensten menschlichen Figur aufgestellt hatte und nach welchem die griechischen Meister, so z. B. Vitruvius und dann später Leonardo da Vinci gearbeitet haben. Ebenso einfach wie in der Einrichtung seiner Wohnung war er in seinen täglichen Nahrung; diese bestand aus einem einzigen Gerichte, das ihm sein Diener zubereitete. Vermögen besaß er keines, obwohl er bei seiner mäßigen zurückgezogenen Lebensweise und bei seiner Gesuchtheit ein nicht unbedeutendes hätte erwerben können; Alles aber, was er erwarb und was ihm nach Befriedigung seiner wenigen Lebensbedürfnisse übrig blieb, verwendete er auf die Ausarbeitung seiner Köpfe, denen ein eben nicht beneidenswerthes Los [siehe weiter [448] unten] zu Theil geworden. Im Umgange mit den Menschen war er geradezu schroff, und wenn Einer mit ihm nicht übereinstimmte oder ihn ohne Absicht verletzte, unhöflich. Die kleinen, in dieser Skizze erzählten Lebenszüge beruhen auf Wahrheit und charakterisiren ihn ganz. Diese im Verkehre mit Menschen, auf den ein Künstler mehr wie ein anderer angewiesen ist, befremdliche, ja unerträgliche Umgangsweise war die Ursache seines Widerwillens gegen den Umgang mit Menschen, die ihm seine Malicen und Fußtritte eben auch nicht mit Artigkeiten und Bitten um Nachsicht erwiederten. Trotz aller dieser menschlichen Schwächen und Schrullen war er aber ein großer Künstler, dessen Arbeiten Zeugniß geben von einer Bedeutenheit, die nicht täglich und überall anzutreffen, und der nur durch eine bedauerliche Gemüthsanlage in der Geltendmachung seines herrlichen Talentes durch großartige Werke gehindert worden war. Professor Schroer in Preßburg hat den Künstler zum Helden eines Dramolets gemacht.

Merkwürdige Lebensgeschichte des Franz Xaver Messerschmidt, gewesenen k. k. öffentlichen Lehrers der Bildhauerkunst in Wien und Hofbildhauers in München. Mit kurzen Bemerkungen über dessen neun und vierzig Original-Charakter-Büsten (Wien 1852, 39 S. 12°.) [nach diesem gest. im Jahre 1784; es soll noch eine ältere „Lebensgeschichte des F. Messerschmidt“ (Wien 1808, 8°.) vorhanden sein, mir aber ist es nicht gelungen, sie aufzufinden]. – (Füßli) Annalen der bildenden Künste für die österreichischen Staaten (Wien 1801, Schaumburg, 8°.) II. Theil. S. 21–28 [schreibt ihn auch Messerschmied und läßt ihn 1733 geboren und im August 1783 gestorben sein]. – Ballus (Paul v.), Preßburg und seine Umgebungen (Preßburg 1823, A. Schwaiger und J. Landes, 8°.) S. 190 u. f. [nach diesem gest. im J. 1784]. – Adler (polit. Blatt), von Groß-Hoffinger (Wien, gr. 4°.) 1839, Nr. 286. – Gräffer (Franz), Wiener Dosenstücke; nämlich Physiognomien, Conversations-Bildchen, Auftritte u. s. w. Wien und die Wiener betreffend u. s. w. (Wien 1852, J. F. Groß, 8°.) Bd. II, S. 251: „Der Hogarth der Plastik“.– Allgemeine Theater-Zeitung, herausgegeben von Adolph Bäuerle (Wien, gr. 4°.) 28. Jahrg. (1835), Nr. 66, S. 264, u. Nr. 73, S. 292. – Oesterreichischer Zuschauer, herausg. von Ebersberg (Wien, 8°.) Jahrg. 1837, Bd. III, S. 1168: „Der österreichische Bildhauer F. X. Messerschmidt“, von Silas. – (De Luca) Das gelehrte Oesterreich. Ein Versuch (Wien 1778, v. Trattnern, 8°.) I. Bds. 2. Stück, S. 333. – Meusel (Joh. Georg), Miscellaneen artistischen Inhalts, 13. Heft, S. 43; 18. Heft, S. 349; 26. Heft, S. 74. – Dlabacz (Gottfried Johann), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Haase, 4°.) Bd. II, Sp. 311. – Lipowsky, Bairisches Künstler-Lexikon, Bd. I, S. 204. – Nagler (G. K. Dr.), Neues allgemeines Künstler-Lexikon (München 1839, E. A. Fleischmann, 8°.) Bd. IX, S. 162 [nach diesem geb. im J. 1737]. – Die Künstler aller Zeiten und Völker. Begonnen von Prof. Fr. Müller, fortgesetzt von Dr. Karl Klunzinger (Stuttgart 1860, Ebner u. Seubert, gr. 8°.) Bd. III, S. 80 [schreibt ihn Messerschmied statt Messerschmidt; läßt ihn im J. 1737 geboren sein, was unrichtig ist]. – Tschischka (Franz), Kunst und Alterthum in dem österreichischen Kaiserstaate (Wien 1836, Fr. Beck, gr. 8°.) S. 23, 53, 54, 254, 379. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 647. – Franz Xav. Messerschmid’s Büsten-Charakteristik von Dr. G. H. (Wien 1858, Mechitaristen-Druckerei, 8°.). – Porträt. Unterschrift: Franz Xaver Messerschmidt. M. Z. L. Schmid fec. (Kupf., 8°.). – Messerschmidt’s Charakterköpfe. Das Andenken an diesen bedeutenden Künstler hat sich noch am meisten durch die Charakterköpfe erhalten, deren Ausführung er, zum Nachtheile der Kunst, sich zur Lebensaufgabe gestellt. Es ist dieser Charakterköpfe schon in der Lebensskizze gedacht, wie auch dort erwähnt worden, daß er durch Lavater’s physiognomische Untersuchungen auf diese Idee gerathen war. Hundert Büsten zu vollenden, hatte er sich vorgenommen, eine fehlte von dem halben Hundert, das er zu Stande gebracht. Füßli betrachtet diese Büsten als Werke einer verwirrten [449] Einbildungskraft, und argumentirt über ihre Genesis in folgender Weise: „Die inländische Kunst würde außerordentlich gewonnen haben, wenn M. die Einsamkeit, die ruhige Muße, die ihm jene gewährte, und seine Forschungsbegierde auf Gegenstände in der Natur angewandt hätte, die der Nachahmung und der wahren Darstellung eines Künstlers von großem Talente würdig gewesen wären. Allein, da er von Natur eine feurige Einbildungskraft, eine blutreiche starke Complexion und ein cholerisches Temperament hatte, und der Mangel an der ihm nöthigen Bewegung des Körpers sein Geblüt in Stockung, folglich auch seinen Mechanismus in Unordnung brachte; da ferner seine Abneigung gegen den Umgang mit Menschen – eine Folge der in Wien erlittenen Chikanen – ihn in seiner Einsamkeit immer sich selbst überließ, ihm immer nur sich selbst im Spiegel zeigte, und er daher endlich nur sich selbst zum Muster seines Studiums machte – da er über das vorher schon gewisse schwärmerische Grundsätze, von besonderen, aus analogen Verhältnissen zweier Körper oder Gestalten entspringen sollenden außerordentlichen Wirkungen eingesogen hatte, die er auf die Kunst anwendbar zu sein wähnte; so fiel er, durch seine verwirrte Einbildungskraft verführt, auf den Einfall, diese bisher verborgenen Verhältnisse in seiner eigenen Gesichtsform zu finden, und verfertigte daher mit fast unglaublicher Beharrlichkeit eine zahlreiche Folge von lebensgroßen Köpfen in Stein und Metall, die durchaus sein Bildniß, aber in allen nur möglichen Spannungen, Verzerrungen und Drehungen der Muskeln und Sehnen vorstellen, und von denen endlich die allerletzten bis in das Uebernatürliche und Chimärische getrieben sind. Wenn man jedoch diese Köpfe mit Aufmerksamkeit betrachtet und bemerkt, daß in den meisten auch die in Convulsionen nachgeahmte Natur mit ganz außerordentlicher Wahrheit und Kunst dargestellt ist, und da man darin, bei den gewaltsamsten Verzerrungen doch immer den gründlichen Kenner des Mechanismus eines Kopfes findet; so bedauert man den Menschen, den seine verwirrte Einbildungskraft auf diesen Gegenstand brachte, bewundert aber den Künstler, der uns zeigt, was er unter anderen Gemüthsumständen zu leisten fähig gewesen wäre. M. hatte sich die Ausführung dieser Büsten zur Lebensaufgabe gestellt und derselben seinen ganzen Erwerb geopfert. Diese 49 Stücke, darunter 32 aus Erz, 16 aus Stein und 1 aus Holz, in natürlicher Größe, sind, bildeten auch, als M. starb, seine ganze Hinterlassenschaft. Sie hatten auch eigene Geschicke, sie wurden zuerst von einem Garkoch des Wiener Bürgerspitals, Namens Stantz, von Messerschmidt’s Erben um 6000 fl. gekauft und von Preßburg nach Wien gebracht. Dann kamen sie in Besitz eines Großhändlers, Namens Baruch, dieser verpfändete sie an einen polnischen Juden, der sie wieder an einen Particulier versetzte. Dieser, so erzählt Gräffer, brachte die Köpfe zu Anfang der Zwanziger-Jahre des laufenden Jahrhunderts in den Prater, wo man sie gegen Eintrittsgeld etlicher Kreuzer sehen konnte. Dann wären sie in Besitz des Mechanikers Mälzel gekommen, mit dem sie nach New-York in Amerika gewandert sind. Dieses Faktum aber wird bestritten und so erklärt: ein Fürst, der bereits gestorben, hätte mit nicht geringen Kosten Gypsabdrücke dieser Büsten anfertigen lassen, und diese Abdrücke sind vielleicht im Prater und in New-York zu sehen gewesen. Die Originale befanden sich zu Anfang der Fünfziger-Jahre im Besitze des Herrn Jos. Jüttner, Besitzers eines Auskunfts-Comptoirs in Wien, und bei demselben, in seiner Wohnung auf der Freiung, im Hause, das im Volksmunde den Namen Schubladekasten hat, sah sie Herausgeber dieses Lexikons um das Jahr 1850. Schon Gräffer machte den Vorschlag, daß die Büsten, die zum größten Theile in Preßburg gearbeitet sind, als ungarisches Landesgut von dem Pesther National-Museum als Unicum angekauft werden sollten. Eine noch passendere Stelle fänden sie aber jetzt im österreichischen Museum, das nicht unterlassen sollte, dieselben zu erwerben. Von sämmtlichen Büsten erschien eine Lithographie, welche eine Beilage zu Nr. 286 des von Groß-Hoffinger in Wien herausgegebenen Journals „Der Adler“, Jahrg. 1839, bildete. Es sind Erläuterungen der Charaktere erschienen, welche diese Büsten darstellen, denen wahrscheinlich Aufzeichnungen des Künstlers selbst zu Grunde liegen dürften. Die Darstellungen der Büsten sind: 1) der Künstler selbst, lachend, eine Büste, welche in verschiedenen Größen vielfach in Gyps abgeformt worden; 2) ein wollüstig abgehärmter Geck; 3) ein naseweiser spitzfindiger Spötter; 4) der rücksichtslose Ausdruck des Hohnes; 5) der Gähner; 6) der Ausdruck des Hohnes, mit einem Zuge des Verlangens [450] nach dem Verhöhnten; 7) ein „rastvoller heiterer Mann; 8) der sanfte ruhige Schlaf; 9) die Einfalt im höchsten Grade; 10) der Bekümmerte; 11) das hohe Alter; 12) der Nieser; 13) der Speier; 14) der Melancholische; 15) das abgezehrte Alter mit Augenschmerzen; 16) der kindisch Weinende; 17) der Dummkopf; 18) der Mißmuthige; 19) ein schmerzhaft stark Verwundeter; 20) der erboste und rachgierige Zigeuner; 21) der Verdrießliche; 22) der Edelmüthige; 23) der starke Geruch [es sind noch drei Büsten in der Sammlung, welche die Wirkungen der erregten Geruchsnerven darthun, Nr. 31, 41 u. 49]; 24) der weinerliche Alte; 25) ein Erhängter; 26) der Satyricus; 27) der Zuverlässige; 28) der unfähige Fagottist; 29) ein aus dem Wasser Geretteter; 30) ein an Verstopfung Leidender; 31) Geruch, der zum Niesen reizt [siehe auch 23, 41 u. 49]; 32) der Künstler selbst, mit ernstem Gesichtsausdrucke [die unter 1 angeführte Büste zeigt ihn lachend); 33) ein Erzbösewicht; 34) ein düsterer finsterer Mann; 35) ein kindischer Schalk; 36) ein Hypochondrist; 37) ein hämischer Schalk; 38) ein alter mürrischer Soldat; 39) ein Heuchler und Verleumder; 40) ein starker Arbeiter; 41) der widrige Geruch [siehe auch 23, 31 u. 49); 42) der Feldherr; 43) das tiefe Geheimniß; 44) das zurückgehaltene Lachen; 45) der Gelehrte, der Denker; 46) ein Trotzkopf; 47) innerlich verschlossener Gram; 48) ein alter fröhlicher Lacher; 49) der heftige Geruch [vergleiche auch 23, 31 u. 41]. Schließlich sei noch bemerkt, daß er die meisten Leidenschaften, die er an Anderen bemerkte, entweder in einem Spiegel oder in einer Wasserquelle durch seine eigene Gesichtsbildung sich lebhaft darstellte, nachher die Zeichnung davon entwarf und in Modell brachte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Lebensmitttel.