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Der dumme Xailun

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Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Der dumme Xailun
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 165–190
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[165]
20. Der dumme Xailun.

Der Xailun nämlich war hübscher Leute Kind zu Bagdad, und fehlte ihm eben gar nichts als ein wenig Menschenverstand, oder so Etwas Aehnliches, was wie Verstand aussahe, womit viele vornehme und gelahrte Leute sich gar gut durch die Welt helfen, und für gar witzig gehalten werden. So Etwas hatte er aber nicht, und weil er demnach so gar dumm war, daß er sich auch nicht einmal klug stellen konnte, so gaben ihm die Aeltern ein verständiges [166] und braves Weib, die Oithba, und meinten, die werd ihn schon anders machen, und den Kopf zurechtsetzen.

Sie fand denn auch bald, daß er eine grundgute Seele sei, und wär er nur nicht so faul, so verschlafen, so gefräßig und so grunddumm gewesen, hätte kein Mensch an ihm Etwas aussetzen können. Aber er schlief bis gegen den Mittag, aß für sechs oder acht Mann, und lief dann überall in Bagdad umher, und wo ein Zusammenlauf Volks war, mußte er auch mit darunter sein, schauete und gaffte mit seinem aufgesperrten Maul mit drein, wußte niemals, was es gab, bekam aber oft seine tüchtigen Püffe mit ab, und kam mit blauem Auge und verbundenem Kopfe nach Hause.

Sein Bißchen Vermögen war bald drauf gegangen. Oithba liebkosete und bat ihn, er möge doch ein anderer Mensch werden, und Etwas durch Arbeit verdienen, das wollte aber nicht helfen, wiewohl er sonst sehr folgsam war.


Eines Tags sollte er Wäsche aufhängen und trocknen; als aber seine Frau nachsahe, lag die Wäsche an der Erde; er aber sprach mit einem Karduon[1], der an einem Steinhaufen saß, und zu Xailuns Worten mit dem Kopfe nickte, welches diesen Thieren eigen ist.

„Was machst du da?“ fragte Oithba. – „Ich spreche ein Bißchen mit meinem Vetter;“ antwortete er. – „Ist denn der Karduon dein Vetter?“ fragte Oithba weiter; und er antwortete: [167] „Ei ja freilich!“ und wendete sich zum Thiere und fragte: „Nicht wahr, du bist mein Vetter?“ und der Karduon nickte dazu mit dem Kopfe.

Oithba wurde ungeduldig, gerbte ihm das Fell ziemlich mit einem da liegenden Stecken durch, und befahl ihm die Wäsche aufzuhängen. Das that er und sahe ganz verdutzt dazu aus.

„Wart! dachte Oithba. Es ist gut, daß du dich fürchtest. Furcht regiert die Welt, sonst würde sich kein Mensch um den Khalifen kümmern. Wart! du sollst arbeiten, und die Kinder mit ernähren lernen, du stämmiger Schlunks.“

Sie befiehlt ihm tausend Dinge im Hause zu thun und zu ordnen, und wo er säumen will, macht der Stecken ihm Lust. Als er aber einen Augenblick Luft hat, entwischt er aus dem Hause, läuft in Bagdad umher, gerathet in ein Menschengedränge und kommt, wohl zerbläut und zerprügelt, spät Abends nach Hause, wo er von Oithba nicht mehr mit dem Stecken, sondern mit einem Prügel, noch einige Nachhülfe bekam.

Oithba verband ihm darauf die Wunden und predigte ihm des andern Morgens lang und breit vor, er müße ein anderer Mensch werden und vor allen Dingen Arbeit suchen, und wo er künftig keinen Verdienst ins Haus bringe, soll er keine Kost weiter haben als Prügelkost.

Während der drei oder vier Tage, daß er noch braun und blau blieb, und sich inne halten mußte, klang die ewige Predigt: „werde ein anderer Mensch und arbeite, oder du bekommst Prügel.

So jagte sie ihn denn eines Tages heraus, nachdem er wieder heil war, und befahl ihm Brodt mitzubringen, wenn er nicht geprügelt sein wollte.


[168] Er geht suchend umher und kommt vor einem Beckerladen vorbei. Das Brod roch und sahe so niedlich und appetitlich, Becker und Beckersbursche waren rothwangig und wohl genährt – und Xailun geht in den Laden hinein, und meinte, wenn er hier so ein vierzehn Tage nach Herzenslust von dem schönen Brodte eßen könnte, würde er werden wie der Becker, so schön und feist; dann wäre er ja ein ganz anderer Mensch.

Der Becker findet einen tüchtigen stämmigen Burschen an ihm, und nimmt ihn in Arbeit. Er muß mit dem Handbeil kleine Reisigbündel zum Heitzen hacken, bekommt ein schönes großes Brodt zu Mittage, und da der Becker hört, daß Xailun Weib und Kinder zu Hause habe, gibt er ihm des Abends drei Brodte mit, die bringt Xailun nach Hause und wird von Oithba nicht wenig gelobt.

Als er andern Tags zu lang schlafen wollte, wird er mit dem Stecken aufgeweckt, und muß zum Becker. So ging es acht Tage hintereinander. Das Brodt des Beckers wollte ihm aber nicht mehr so gut schmecken als am ersten Tage, und ein anderer Mensch war er auch nicht geworden, denn er bekam noch alle Tage seine Schelte und auch wohl Prügel.


Er sucht herumlaufend ein anderes Unterkommen und kommt zu einem berühmten Speisewirth, der ihn in Dienst nahm. Da gab es nette, wohlgekleidete Leute, welchen die Behaglichkeit und das Fett auf dem Angesicht glänzten, und er denkt hier in kurzer Zeit ein ganz anderer Mensch zu werden. Des kostbaren Eßens geht von den Neigen genug ab, sich recht voll zu stopfen; ein Bißchen Tisch auf und abdecken, Schüßeln auftragen und abtragen und dergleichen, ist gar keine Arbeit, und des Abends bringt er eine große, hoch aufgehäufte [169] Schüßel mit den Ueberbleibseln von mancherlei Speisen spät nach Hause. Da es so viel, und kein Brodt ist, denkt Oithba, er habe gestohlen und fängt in ein wenig umgekehrter Ordnung an, ihn erst ganz ordentlich auszuprügeln, und sodann auch ordentlich auszufragen. In ihrem Verdachte geht sie mit Xailun zum Speisewirthe, und dieser voll Achtung gegen so große Ehrlichkeit gibt ihnen noch mancherlei Geschenke mit.

Jetzt gab es weder Schelte noch Prügel. Xailun ging gern zu seinem Herrn, und brachte immerdar genug mit, um seine Familie zu erhalten. Auch wollte er durchaus ein anderer Mensch werden, und eben so vollwangig aussehen wie die Andern im Speiseladen, deshalb er sich auch öfters in dem Metallspiegel besahe, der im Laden hing.

„Was machst du da vor dem Spiegel?“ fragte sein Herr. „Ja! sagte er, da will nun meine Frau haben, ich soll ein anderer Mensch werden, und da besah ich mich im Spiegel, aber es will nicht und will nicht!“

„Hm! sagte der Speisewirth, der ein Spaßvogel war, wenn du dich ändern willst, so könnt ich dir dazu verhelfen. Der Küchenjunge ist gestorben, und du kannst in seinen Dienst treten!“

Ja, meinte Xailun, wenn er die Kleidung mit bekäme, so wollte ers wohl, denn er habe den lieben Gott ja schon so lang gebeten, ihn zum andern Menschen zu machen.

Er wurde Küchenjunge und bekam die rußige Kleidung deßelben zur Lust aller Leute im Hause. Er aber war vergnügt wie ein Eichhörnchen, wenns Nüße knackt, und dachte, nun sei er mit der Kleidung zugleich ein anderer Mensch geworden.

Er muß aufwaschen in schmieriger Kleidung und durch eine Ungeschicklichkeit kommt der Ruß von den Geschirren an seine Hände [170] und in sein Gesicht, und als er einen Augenblick Zeit hat in den Spiegel zu sehen, kommt er sich so abscheulich vor, daß er in der Angst nach Hause läuft. – Doch! denkt er, nun bin ich ja wohl ein anderer Mensch und Oithba wird mich nicht kennen.

Sie kannte ihn auch nicht gleich, als er kam, und nahm als ein entschloßenes Weib den Prügel, um den schmierigen Rüpel aus dem Hause zu treiben; allein da er schrie und da sie seinen Bart sahe, erkannte sie ihn bald, aber weil er aus dem Dienst gelaufen war und nichts mitgebracht hat, bekommt er der Prügel noch mehr. Man sieht, sie hielt einige Stücke auf die Hauptgrundwißenschaft, durch Prügeln Alles zu beßern.


Xailun bekommt seine Kleidung wieder, und im Verlangen ein anderer Mensch zu werden, kommt er bei einem Pastetenbecker an, in deßen Laden die höchste Nettigkeit war. Die Arbeit, die man ihm aufgibt, kann er verrichten, und die Pasteten schmecken gut! schmecken aus dermaßen gut, und er darf so viel davon eßen, als ihm beliebt, deßen aber sehr viel war. Hier hofft er so ganz anders zu werden, daß seine Frau ihn bald nicht mehr wieder erkennen soll. Des Abends bringt er gar liebliche Pasteten mit nach Hause und erzählt, wie er nun auf dem Wege sei gewiß ein anderer Mensch zu werden.

Es kam das große Fest der Musulmänner, der Rhamadan, und Xailun mußte nun Pasteten herumtragen und verkaufen. Man machte ihm begreiflich, welche Münze er für diese und für jene Pastete nehmen müßte. Es ging Alles gut und die Rechnung, die er ablegte, war richtig.

Aber es trat ein neues Unglück für den armen Xailun ein, [171] wie denn alle guten Köpfe nicht ohne große Prüfungen bleiben können. Er mußte zum Esel werden, der die Mühle trieb, weil der eigentliche Esel gestorben war, das Mehl zu fehlen anfing, und die Nachfrage nach Pasteten sehr groß war.

„Du mußt mir das Mehl mahlen; sagte der Meister, denn der Esel ist gestorben und ist nicht gleich ein anderer zu haben.“ Xailun war sehr willig, denn er wußte nicht, welche mühselige Arbeit der Esel hatte, und meinte, sie sei so leicht, wie seine bisherige.

„Aber ich werde doch auch andere Kleidung bekommen?“ fragte Xailun.

„Freilich! sagte der Pastetenbecker; die Kleidung des Vorfahren.“ So steckte man ihn denn in das Zeug des Esels, stellte ihn in die Mühle, trieb ihn an, klatscht ihn mit der Peitsche, bis er, da die Stunde kam, triefend von Schweiß ausgespannt wurde, und zum Mittagseßen eine derbe Kost vorgesetzt bekam, wie sie sich zu der schweren Arbeit schickte, nämlich harte Saubohnen, die er kaum zerbeißen konnte, mit Zwiebeln und stinkenden Leinöhl angerichtet.

Nach der Mahlzeit wird er wieder eingeschirrt, und da der volle Magen mit den unverdaulichen Bohnen ihm die Arbeit recht schwer machen, und es doch gefördert sein will, bekommt er die Peitsche in vollem Maaße. Aber kaum ist er zu Abend ausgespannt, so läuft er mit Kummt, Gurt und Riemen und mit Staubmehl eingepudert über die Gaße zu Oithba, die ihn ganz ordentlich durchgerbt, nachdem sie sich von Allem erst hat erzählen laßen.

Der arme Xailun betrübte sich, daß er noch kein anderer Mensch geworden sei, und das ausgestandene Leid machte ihn auf einige Tage krank.


[172] Den dritten Tag wurde er wieder hinausgejagt Arbeit zu suchen, und ein anderes Wesen zu treiben.

„Anderes Wesen?“ sagte er, und sann darüber; aber es war ihm zu hoch, und sinnend kam er vor die Stadt zu einem Garten, worin Bäume mit Granaten, Orangen, Aepfeln und allerlei anderen Obst standen.

„Hier wollt ich wohl anders werden, wenn ich nur eßen dürfte, so viel ich wollte,“ sagt er zu sich selbst und geht in den Garten hinein, wo eben der Gärtner die reifsten und schönsten Früchte abnimmt und seiner Frau zureicht, welche sie zierlich in Körbe legt.

Xailun bietet sich an und wird angenommen. Er nimmt Aepfel ab und ißt eben soviel, als er abgenommen hat, und es wird ihm nicht gewehrt. Man setzt ihm ein kleines Dienstlohn für den Monat aus, wovon er aber kein Wort begreift. Man sagt ihm, er solle es für die Arbeit haben, die im Garten vorkomme, aber dabei denkt er blos daran, Früchte abzunehmen, und dabei nach Herzenslust zu eßen. Er ißt Abends und Mittags mit seinem Herrn und den übrigen ganzen Tag ißt er Obst, und denkt, nun könne die Aenderung nicht mehr fern sein und Oithba sollt ihn nicht mehr erkennen, wenn er wieder nach Hause zurückkehre. Er war nämlich bisher auch Abends und Nachts beim Gärtner geblieben und Oithba hatte Sorge seinetwegen, konnte ihn aber nicht aufsuchen, denn sie lag im Kindbett.

Xailun mußte von Zeit zu Zeit Obst auf Eseln zu Markte bringen und die Ochsen zur Tränke führen, mit welchen gepflügt wurde, und die er, der guten Bekanntschaft wegen, seine Kameraden nannte. Aber von den Kameraden verunglückte einer und Xailun mußte ändern und sollte eine zeitlang deßen Stelle vertreten. Man legte ihm das Joch auf und man umhüllte ihn mit Ziegenfellen, gegen [173] die Stiche des Ungeziefers, das dennoch jede bloße Stelle und jedes Loch fand und ihn jämmerlich zerstach.

Diese Aenderung gefiel ihm nicht und am Abend lief er eilends bis nach Bagdad. Die Thore waren aber schon geschloßen, so muß er denn sich auf dem Begräbnißplatz unter ein überbautes Grab legen.

Es kommen in der Frühe drei Todtengräber um eine Leiche zu beerdigen, und finden einige Gräber aufgewühlt, und die Leichen sind fort. „Ha! rufen sie entsetzt, da ist der böse Geist wieder in der Nacht da gewesen und hat die Leichname gefreßen! und als sie jetzt den Xailun erblicken, rufen sie voll gräßlichen Schreckens: „da ist der böse Leichengeist!“[2]

Der dadurch erwachte Xailun fährt auf, sieht drei blinkende Grabscheite auf sich gerichtet, womit sie zitternd sich ihn vom Leibe halten wollten, und setzt in der Angst mitten durch die Todtengräber. Da diese sehen, daß er sich fürchtet, so bekommen sie wieder Herz, setzen ihm nach, rufen: „der Leichengeist! der Leichengeist!“ haltet ihn auf! schlagt ihn todt!“

Der Volksauflauf wird sehr groß; alle Welt schreit, „der Leichengeist! haltet auf! schlagt todt!“ aber alle Welt läuft aus Furcht vor dem wunderlichen Wesen her, und wagt nicht Hand anzulegen, und die mitlaufenden Hunde bellen zwar, halten sich aber in der Entfernung.

Xailun kommt glücklich in sein Haus, aber Oithba, die ihn nicht kennt, denkt, das Unthier will ihr Kind freßen, und treibt ihn entschloßen [174] mit dem Prügel hinaus. Da die Leute sahen, daß er sich vor Prügeln fürchtet, so laßen sie es daran nicht fehlen, legen Hand an und bringen ihn in das Gefängniß, wo ihn der Stockmeister mit Zittern und Beben empfängt.

Es zeigte sich bald, daß er ein Mensch war, und weil einige von seinen Nachbarn mit unter dem Volkshaufen waren, die seine Gutmüthigkeit bezeugen, so bringt man ihn zur Oithba, die ihn herzlich bemitleidet, ihn pflegt und seine Wunden verbindet.

Tags drauf legt sie ihr Kind in einem Korbe auf ihre Eselin, und in einen andern Korb den Kummt und die Ziegenfelle und zieht mit einigen Nachbarn zum Gärtner, dem sie erzählt, was für Unheil er angerichtet hat, und ihm das Dienstlohn abfordert. Um nur keine Händel zu bekommen gibt ihr der Gärtner zwei Zechinen (Ducaten), welches viel mehr war, als der Lohn betrug.


In einigen Tagen hatte sich Xailun erholt und Oithba fängt die alte Predigt an, er müße endlich ein anderer Mensch werden, und für den Haushalt verdienen. Aber was war zu machen? da er schon überall gewesen war.

Oithba[WS 1] hat einen glücklichen Gedanken. Da er schon Pasteten verkauft hatte, so macht sie ihn zum Handelsmann. Er muß eine Erdart graben, welche man Kindern in die Wiegen streut, weil sie alle Feuchtigkeit einschluckt. Mit dieser Erde wird die Eselin beladen. Xailun setzt sich hinten drauf und ruft durch die Straßen Bagdads: „Erde für Kinder! Erde für Kinder!“

Eine Weile geht die Sache gut, aber dann nickt der Ausrufer ein, und die Eselin führt ihn nach Belieben dahin und dorthin, bis zu den Thoren hinaus, wo sie am Euphrat säuft und dann nach ihrem [175] Stalle zurückeilt, in welchem sie ihr Füllen hat. Xailun schläft fort, und als die Eselin zur niedrigen Hausthür hinein will, stößt er sich so heftig mit dem Kopfe gegen die Schwelle, daß das Haus dröhnt und er mit blutendem Kopfe und Nase von dem Thiere herabfällt.

Oithba errathet Alles, wäscht ihn, gibt ihm einige Maulschellen, sagt, er solle Arbeit suchen, und würde er nun nicht bald ein anderer Mensch, so solle er so viel Schläge haben, daß er den Himmel für eine Sackpfeife ansehen solle, aber nicht ein einziges Stückchen Brodt.


Xailun denkt, der liebe Gott möge wohl draußen unter freiem Himmel seine Bitte, ihn zu einem andern Menschen zu machen, beßer hören, als im Geräusche von Bagdad. So geht er denn sehr weit von Bagdad hinaus.

Hier findet er die Steintrümmer eines Palastes und auf einem der Steinhaufen einen Karduon, der ihn mit hellen Augen ansieht.

„Ei, Herr Vetter, sagt Xailun, wohnst du denn auch hier?“ und als das Thier mit dem Kopf nickte, sagte er: „Nun, das ist hübsch, daß du mich noch kennst und mich verstehst; aber so sprich auch mit mir.“ Der Karduon nickte und nickte und sprach nicht. Darüber wird er ungeduldig und droht, den Vetter mit einem Steine zu werfen, wofern er nicht spräche, und da das nicht geschahe, wirft er wirklich mit einem Stein nach ihm, und das Thier verkriecht sich unter dem Steinhaufen.

„Wart nur! sagt Xailun hitzig, du sollst schon sprechen;“ und räumt den Steinhaufen hinweg, findet aber den Vetter nicht, wohl aber eine schwarze Marmorplatte mit einem Ringe, an dem er die [176] Platte aufhebt, und sieht nun eine Treppe, die zu einem weiten Gewölbe führet.

„Aha! sagt er, da wohnt also der Vetter! das ist wohl sein Lusthaus? Nun! ich will ihn doch aufsuchen,“ und somit geht er in das Gewölbe hinunter.

Hier findet er gleich am Eingange mehrere Töpfe, und meint, hierin bewahre der Vetter seinen Vorrath, nimmt den Deckel von einem Topfe ab, und bringt eine Hand voll Goldstücken heraus, die er für Möhrenscheiben hält, wie sie seine Frau der Eselin zum Futter schnitt.

Tief hinten in dem Gewölbe war es ganz finster. Dort meinte er, würde sich der Herr Vetter wohl aufhalten, aber er konnte ihn freilich dort nicht finden. „Kommt nur vor, Vetter! rief er, oder ich nehme Euch Eure Möhrenscheiben weg und bringe sie unserer Eselin.“ So that er auch wirklich, als der Vetter nicht kam, und stopft seinen Turban mit den Scheiben voll, nachdem er erst Klettenblätter, die am Eingange standen, hineingelegt hatte. So hatte er es einmal von einer Frau gesehen, als sie Pflaumen geschenkt bekommen hatte.

Er versucht eine und die andere Scheibe unterwegs, aber er wirft sie weg, weil sie viel zu hart zum Zerbeißen sind. „Nun, sagte er,“ die müßen noch tüchtig gekocht werden, oder die Eselin muß beßere Zähne haben als ich.“ Er kam nach Haus, erzählte Alles, und meinte der Vetter[V 1] würde sich recht ärgern, daß er ihm die Scheiben weggenommen habe. Oithba wußte bald, woran sie war, und sahe, daß das Glück den Dummen immer am günstigsten ist, daher sie es auch in der Welt sehr weit bringen.

Da sie aus allen Umständen abnahm, daß der Ort kaum einige Stunden von der Stadt sein könne, und da der Dummling auch [177] den Eingang zum Gewölbe aufgelaßen hatte, weil der Vetter ihn schon selbst wieder bedecken würde, so nahm sie ihren Entschluß, sattelt die Eselin, legt Säcke in die Körbe, kauft vom besten Brodt für Xailun, damit er unterwegs zu beißen habe, und läßt sich den Weg zum Lusthause des Vetters von ihm zeigen.

Es war noch Alles, wie es Xailun gelaßen hatte, und selbst der Deckel war nicht auf den Topf gestülpt. Sie füllt die Säcke mit Scheiben, die ihr Mann herauftragen muß, der es mit seinem spitzen Verstande bemerkt, daß sie etwas schwerer sind, als Säcke mit Möhren. Xailun schreit mit voller Kehle nach dem Vetter, den er gar zu sehr liebte, welches sie ihm aber verbietet, weil es dem Herrn Vetter in den Ohren wehthun würde. Er muß dagegen, nachdem die Eselin volle Ladung hatte, die Platte wieder auflegen und Steine darüber herwerfen und kam in der Dämmerung unangehalten nach Hause, weil zur selben Zeit noch keine Accise und Mauth war, die Alles wißen muß, Alles anhält und auch nach Belieben behält.

Oithba war eine verständige Frau. Sie wußte, daß die Kadis und die Gerichtspersonen überhaupt eine besonders starke Goldwitterung haben, da sie hingegen von Personen, denen es daran fehlt, nicht einmal wißen, ob sie in der Welt sind. Sie verbarg ihren Scheibenschatz höchst sorgfältig und von dem, was in dem Turban gewesen war, schaffte sie sich nach und nach manche Bequemlichkeit und ihrem Manne beßeres Eßen und einen neuen aber schlichten Rock, jedoch Alles so unmerklich, daß es nicht auffallen konnte.


Einsmals will sie dem Xailun auch ein gutes Eßen machen, und schickt ihn aus, Fleisch, Reiß und Kichererbsen einzukaufen, und gibt ihm zu jeder Waare ein besonderes Geldpäckchen.

[178] Es ist bekannt, daß große Genies meistens ein schwaches Gedächtniß haben, weil das Gedächtniß ins Genie geschlagen ist. Das war der Fall mit Xailun. Fleisch und Reiß hatte er behalten und gekauft und bringt es der Oithba, aber das Wort Kichererbsen hatte er vergeßen.

Oithba schreit, ihm das vergeßene Wort dreimal in die Ohren und schickt ihn wieder aus. Er sagt sich das Wort unaufhörlich vor, und denkt es nun schon zu behalten; aber da begegnete ihm unglücklicherweise einer seiner ehemaligen Kameraden, und sagt:

„Potz tausend, Xailun, du hast ja einen neuen Rock, und bist viel hübscher als damals, wo du Esel und Ochse warst und Leichen aus den Gräbern verzehrtest; und sieh mal, was für einen scharmanten Bauch du dir angeschafft hast!“

Xailun ward ganz verwirrt. „Ach, seufzte er, wär ich doch nur ein ganz anderer Mensch, daß mich Niemand mehr kennte und wüßte, daß ich ein Ochse und Esel gewesen bin. Darüber vergaß er das Wort, und mußte abermals seine Frau fragen, die sagte es ihm, und ließ es ihn zwanzigmal wiederholen, und drohete ihn ärger zu prügeln als je, vergäße ers noch einmal. Da sagte er: „Kichererbsen! Kichererbsen!“ immer laut vor sich hin.

Da stößt er auf einen Perlenhändler, der ruft: „Perlen, Perlen!“ Der neugierige Xailun weiß nicht, was Perlen sind, fährt aber, wie er Andere thun sieht, in eine von den Schachteln mit Perlen, nimmt eine Hand voll heraus, und, um sein Wort nicht zu vergeßen, ruft er: „Kichererbsen! Kichererbsen!“

„Was, du Bengel? sagt giftig der Handelsmann; willst du Spitzbube meine Waare verdächtig machen?“ und damit schlägt er unbarmherzig auf ihn ein, und bei jedem Puff sagt er, Perlen! heißts, Perlen!

[179] Xailun spricht bei sich selbst: „ich glaube fürwahr, so hieß es auch, was Oithba sagte, und ruft nun laut vor sich hin, „Perlen! Perlen! dann aber, als ers glaubt gewiß zu behalten, leiser: „Perlen! Perlen!“

Da kommt er an den Laden eines Mannes, dem diesen Morgen Perlen gestohlen waren. Der mochte wohl auch so eine Art Genie sein wie Xailun und dachte: Der Kerl hat meine Perlen gewiß; er hat vorhin viel lauter gerufen und nun er an meinen Laden kommt, ruft er mit halber Stimme. Der Mann erwischt ihn beim Kragen, und da Xailun erschrickt, zweifelt er nicht mehr, der sei der Dieb, kommt aber doch endlich dahinter, daß er sich geirrt hat, zumal da ihm die Nachbarn den rechten Verstand leihen.

„Aber, sagt er, warum rufst du denn Perlen?“

„Ja! sprach Xailun noch ängstlich, wie soll ich denn sagen?“

„Sage: Es ist nicht wahr!“ antwortete der Kaufmann ärgerlich und ließ ihn stehen.

„Es ist nicht wahr! rief er nun; aber da kam er zu einem Platz wo Jemand: Masch: rief.[3] Dagegen rief Xailun, es ist nicht wahr, und bekam richtig wieder Prügel, mit dem Bedeuten, es heiße Masch!

Das Wort sagte er wieder laut vor sich hin und kommt an das Ufer des Euphrats, wo ein Fischer schon seit einigen Stunden vergebens auf guten Fang wartet.

„Masch! Masch!“ sagte Xailun und bekommt das Fell wieder ausgeklopft, weil der Fischer glaubt, er wolle mit diesem Worte [180] den Fang behexen. Xailun fragt wieder kläglich, wie er denn sagen müße? „Stelle dich hieher zu meinem Netze, sagt der Fischer, und sprich: Im Namen Gottes: für Einen lieber sieben und zwar von den größesten und ansehnlichsten!“

Aber Xailun meint, so lang sei das Wort wohl nicht gewesen, das seine Frau ihm gesagt habe, der Fischer versichert ihn aber, er sei ein Rindvieh; das Wort habe allerdings so geheißen, und müße so lang sein. Da mußte er es denn sagen. Aber als der Fischer sein Netz heraus zog, lief er eilends davon und ruft: „für Einen lieber sieben;“ das Uebrige hatte er sogleich wieder vergeßen.

„Für einen lieber sieben!“ ruft er, indem eben die Leiche eines Kadis zur Grabstäte gebracht wird. Man erstaunt über solche Ruchlosigkeit, man macht ihm heftige Vorwürfe, man droht.

„Ach lieber Gott! sagt Xailun, ich weiß gar nicht mehr, wie ich sagen soll?“ – Eine alte Sklavin hilft ihm aus der Noth und spricht: „Sage,“ „Gott erhalte seinen Leib, und nehme sich der armen Seele an!“

So sagt er auch so lange, bis ihm ein todter Esel in einer engen Gaße entgegen gekarrt wird. „Gott erhalte seinen Leib und nehme sich seiner armen Seele an!“ ruft er. Da fällt Alles über ihn her mit Prügeln und Schimpfen. „Hund! Ungläubiger! Schwein!“ rufen sie und wollen ihn todt schlagen, aber ein Satz über die Karre rettet ihn! Aber daß man ihn einen Ungläubigen gescholten hat, zwingt ihn laut aufzuheulen, denn er war ein guter Muselmann. Oithba mußte den armen, gutmüthigen Tropf trösten, und bedauert das vielfältig ausgestandene Leid, das er ihr, wie ein Kind der Mutter, klagte.


[181] Ungern ließ jetzt Oithba ihren Xailun ausgehen, da es ihr nicht schwer ward, ihn zu erhalten. Sie wollte nicht, daß er das Stadtmährchen würde und immer in neue Händel geriethe, auch fürchtet sie, er möchte einmal von den Möhrenscheiben plaudern. Er aber konnte das Herumwandern nicht laßen, und war oftmals fort, ehe sie sich deßen versahe, besonders weil er um so leichter ein anderer Mensch zu werden hoffte.

So war er auch einmal eines Tages zur Stadt hinaus gekommen, und erblickte von fern einen Wald. „Halt, denkt er, da sind recht viel Obstbäume; da kann ich Obst eßen, so viel ich mag, und dann kann es doch wohl noch anders mit mir werden.“ Wie erstaunte er aber, als er auf so hohen Bäumen kein Obst fand.

Er hört tiefer im Gehölz ein Geschrei, läuft nach seiner Weise darauf zu und kommt unter Räuber, die eben ihren Raub theilen. Sie nehmen ihn gefangen, sehen wohl, wie dumm er ist, rathschlagen aber doch, ob sie ihn nicht ihrer Sicherheit wegen umbringen sollen. Da kommt Einer aus der Bande und sagt an, daß Reiter schnell gegen sie vordrängen und zwar von mehrern Seiten, worauf die Räuber sich schleunigst fortmachten und dachten weder an Xailun noch an ihre Beute.

Xailun öffnet die Packe und will wißen, was darin ist, als die Reiter eben ankommen, ihn als einen Raubgesellen gefangen nehmen und ins Gefängniß liefern, ohne daß er recht wußte weswegen? Man machte es ihm aber bald verständlich.

Er kam in einen Kerker, wo der höchst gefährliche und schlaue Räuber Fetah verwahrt wurde, dem schon der Todt zuerkannt war. Dieser merkt im Gespräch bald, welch einen Dummling er vor sich habe, fragt ihm Alles ab, was ihm begegnet war, und hört, daß er [182] immer so gern ein anderer Mensch hätte werden wollen, und hätte es nicht vermocht, mit aller seiner Mühe nicht.

Fetah ergreift das zu seinem Vortheil. Er hatte sich vor seiner letzten Räuberei Bart und Haare schwarz gefärbt, und dicke Augenbrahnen aufgeklebt, und sich überhaupt schwarz gemacht wie ein Neger. Xailun aber war in Vielem in seiner Gestalt dem Fetah sehr ähnlich.

Xailun, sagte er, du hast es nicht recht angefangen mit dem Anderswerden. Ich will es dich lehren, und wir wollen beide zusammen ganz andere Menschen werden. Dann würde dich deine Frau nicht mehr prügeln und Niemand dich für einen Spitzbuben ansehen. – Wir wollen einmal beide einander die Rücken zukehren, und du sollst gegen Mittag hin um Verwandlung zu dem lieben Gott beten, ich aber gegen Mitternacht hin.

So geschah es. Fetah taucht ein Schnupftuch in seinen Waßerkrug und wäscht sich Haare und Bart ab, schwärzt aber dagegen bei der angezündeten Lampe die Hände mit Ruß, kehrt sich dann um und fragt: „Nun, Xailun, habe ich mich nicht geändert? – Schau! so will ich dich auch ändern und dir meine Züge auf dein Gesicht bringen. Damit schwärzt er ihn im Gesicht, (Haare und Bart deßelben waren ohnehin schon sehr schwarz) und wechselt nun auch die Kleider mit ihm. Fetahs Rock war aber viel beßer und neuer, als Xailuns Rock.

Von den Räubern, unter welche Xailun gefallen war, hatte man mehrere aufgegriffen, die beim Verhör von ihm aussagten, er sei ein dummer Teufel, den sie im Walde gefunden und sich mit ihm belustigt hätten. – Das Gericht beschloß den einfältigen Menschen loszugeben. Man läßt den Pinsel kommen, für welchen der Stockmeister der veränderten Kleidung und des andern Gesichts wegen den [183] Fetah hält; der Richter bedauert ihn und spricht: „Geh nach Hause, du armes Thier, und wenn es möglich ist, so sei künftig nicht mehr so grund hagelsdumm.“

Jetzt läßt der Richter den vermeintlichen Fetah kommen, nämlich den Xailun. Man liest ihm einen ganzen Bogen voll Unthaten her, die er begangen haben soll und von welchem er kein Wort weiß, und man liest ihm auch sein Urtheil vor, das lautet: „Mit dem Strange vom Leben zum Tode!“

„Wer hat denn das Alles gethan? fragt Xailun. Steht denn nicht auf dem Papiere, daß ich ein ganz anderer Mensch bin? Seht mich auch nur darauf an!“

Alles, was er noch sagte, war eben so verkehrt, aber die Richter denken, Fetah will sie durch verstellte Einfalt betrügen, sie aber laßen sich nicht irre machen, sondern geben den Befehl zur Hinrichtung.

Oithba hatte indeßen ihren Mann überall gesucht, auf Straßen und in Hospitälern, und kommt zuletzt auch ins Gefängniß, wo man ihr sagt, man habe einen sehr einfältigen Menschen losgelaßen. Da geht sie nach Hause und denkt, er wird schon da sein, weil er zu Brodte gewöhnt war. Er ist aber nicht da. Sie geht hierauf wieder ins Gefängniß und hört, daß ein Anderer, der mit dem Einfältigen zusammengeseßen eben zum Hochgericht[V 3] geführt werden soll. Sie geht mit und kennt ihren Mann anfangs in der Verkleidung und Gesichtsfärbung nicht. Aber bald entdeckt sie ihn an einer Menge von närrischen Manieren, Stellungen und Gebehrden, aber doch noch nicht ganz gewiß. Als er aber vor dem Thore bei einem Steinhaufen vor einem Karduon stehen bleibt und ihn: „Guten Morgen, Vetter!“ anredet und sich nicht sogleich von demselben will wegbringen laßen, da weiß [184] sie, wer er ist, fällt dem Richter zu Füßen, sagt ihm, das sei ihr armer blödsinniger Mann, und nachdem sie ihn überall abgerieben hat, erkennen Alle aus seiner Nachbarschaft den armen Xailun, der seiner Frau auf ihre Fragen antwortet, der Andere, der neben ihm geseßen, habe ihn so aufgeputzt und verschmückt, daß er nun ein ganz anderer Mensch geworden sei.

Jetzt kam ein Reiter gesprengt und versicherte den Richter, dieser hier sei Fetah nicht, denn er sei mit demselben oft handgemein gewesen und habe ihn eben wieder eingefangen.

Der Richter ließ den Xailun wieder auf so lange ins Gefängniß zurückgehen, bis er dem Khalifen Bericht erstattet hätte. Er kam jedoch bald los.


Xailun wurde ordentlich nachdenklich und meinte, wenn er nur das Haus, wo der liebe Gott wohne, einmal finden, und ihm seine Noth selbst klagen könne, da würde es beßer mit dem Anderswerden gehen als jetzt, wo ihm seine Frau bald wieder gekannt hätte.

So entwischt er denn einmal wieder, geht dahin und dorthin, und wenn man ihn fragt, sagt er, er suche das Haus, wo der liebe Gott wohne. Viele bedauern den armen Menschen, Andere machen sich einen Spaß mit ihm und weisen ihn an verschiedene Orte, und ein Hauptspaßnarr, der sich sehr witzig bedünkte, wies ihn in den Palast des Khalifen.

Da kam er denn in die rechten Hände, denn an den Höfen der Statthalter Gottes wohnen ja die Einsicht, der Ernst, die Menschenfreundlichkeit und das barmherzige Mitleid.

[185] Die Khalifenknechte wollen ihrem Herrn, sich aber noch mehr, eine lustige Stunde machen, und Einer derselben führt ihn durch viele Zimmer und Höfe.

„Ei! der liebe Gott wohnt doch recht prächtig und schön!“ schmunzelte der glückliche Xailun. Unter lautem Jubel und Halloh führte man ihn bis in die Pforten des Thronsaals, denn, wie wir bereits wißen, geruheten der Beherrscher der Gläubigen an einem Hofspaße hohes Wohlgefallen zu finden.

„Dort, auf dem Thron da, sitzt er, flüsterte der Thürhüter ihm zu, nun gehe hin und sprich mit ihm.“ Xailun ging hin.

„Ei, wie bist du so schön, du lieber Gott du! sagte er, und funkelt Alles um dich her, und nun ich dich einmal habe, so will ichs dir auch sagen, daß ich ein Küchenjunge gewesen bin, und ein Ochse, ein Esel und ein Hexenmeister, und ein Straßenräuber, den sie hinrichten wollten, und ein böser Leichengeist. Das hat mir aber Alles nichts geholfen, denn meine Frau hat mich doch wieder erkannt, und ich habe richtig meine Prügel bekommen. Kurz und gut, lieber Gott, mach mich nun auf einmal zu einem andern Menschen, daß sie mich gar nicht wieder erkennt. Der Karduon ist aber mein Vetter!“

Der Khalif hatte große Mühe ernsthaft zu bleiben bei diesem und vielem andern tollen Zeuge, das der Schwachkopf durcheinander vorbrachte; befahl aber den Thürhüter ihn in ein anderes Zimmer zu bringen und ihn dort zu verwandeln.

Tausend tolle Dinge nahm man nun mit ihm vor. Man gab ihm die niedlichsten Speisen und die köstlichsten Weine. Er wußte nicht, was für ein Getränk der Wein ist, aber er ließ es sich wohl schmecken. Man brachte ihm ein Schlafpülverchen bei, man badet und salbet ihn, schminkt ihn, kräuselt sein Haar, scheert ihm den [186] Bart ab, bekleidet ihn mit himmelblauen Gewand, schmückt ihn mit einer Sonne von Edelsteinen und mit Perlenschnüren, legt ihm Schärpe und Stirnbinde um, zieht ihm Halbstiefel an und läßt ihn unter dem Thronhimmel eines prächtigen Spiegelsaales auf einem Sofa ausschlafen.

Er wacht unter den Tönen der Musik auf und erblickt sich überall in den Spiegeln des Saales der von zweihundert Wachskerzen erleuchtet war, und hält die Bilder für Engel, die er mit seiner Nasenspitze berührt, um sie zu küßen. Er weiß in der Betäubung nicht einmal Etwas zu denken, geschweige zu sagen.

Endlich kommt er ein wenig zu sich selbst. „O! sagt er, was ist denn aus mir geworden?“ – Komm her, Xailun, und sieh es mit an, daß du es meiner Frau wieder sagen kannst! – Ihr, die Ihr so schön seid, sagt er zu den Spiegelbildern, sagt, wo ist der arme Xailun? Ich werde weinen, wenn ich ihn nicht mehr sehen soll!“

Eine Stimme von oben herab sagt ihm, er selbst sei Xailun und auf seine Fragen erfährt er, die schönen Bilder in den Spiegeln, deren Nasenspitzen so kalt wären, seien alle er selbst.

Da wollte er den lieben Gott bitten, ihm die Bilder zu schenken, damit er sie zu seiner Frau tragen könnte, und als man ihn fragte, ob er nicht lieber beim lieben Gott bleiben wolle, sagte er: „ja! alle Tage fünf Stunden, die übrigen bei Oithba, die ja seine Frau sei und mit der er Kinder habe. Nun würde sie ihn gewiß nicht prügeln, da sie ihn nun gar nicht erkennen könne.“

Es ging ein ganzer Tag unter den herrlichsten Festen hin, und der Khalif, der von Allem Zeuge war, war unbeschreiblich belustigt. Xailun aber meinte, er sei im Paradiese; aber als es wieder in die Nacht ging, kam er in die Hölle, denn die Herren Sklaven machten [187] sich mit ihm ein Späßchen ihrer Art, und einige von den hohen zartfühlenden Damen des Hofs halfen mit Rath und Anschlägen.

Der arme Xailun hatte wieder ein Schlafpülverchen bekommen. Man zieht ihm rauche Ziegenfelle an, an welchen, vorn an der Hand, Geierkrallen befestigt sind; man bedeckt ihm den Kopf mit einer gehörnten Bockslarve; setzt an die Stelle der Augen große feuerfarbige Glasaugen und verunstaltet ihn aufs fürchterlichste.

So tragen sie ihn in ein unterirrdisches Gemach, das sie mit Spiegeln behängen und mit Lampen erleuchten. Sie weiden sich nach seinem Erwachen an den Ausbrüchen seines Entsetzens, an seinem Heulen, Schreien, Wimmern und Jammern. – Das war eine Lust! eine rechte Hoflust, bei welcher es ein Wunder war, daß der arme Blödsinnige nicht wahnsinnig wurde. Vielleicht schützte ihn das Eine gegen das Andere.

Ihn erlöst der Sklavenaufseher, der beim Anbruch des Tages die Sklaven nicht fand, und bald herausbrachte, wo sie steckten. Er läßt Xailun ordentlich wieder bekleiden und ein sehr gutes Frühstück vertilgt alle Angst. Xailun sieht sich bartlos in einen Spiegel, und gefällt sich. Er sei ein junger Muselmann geworden, meint er, und werde seiner Frau desto beßer gefallen. Daß er nicht bei dem lieben Gott selbst, sondern nur bei deßen Statthalter, dem Khalifen, und im Palaste deßelben sich befinde, hatte man früherhin schon ihm entdeckt.

Der Aufseher berichtet dem Khalifen den Sklavenunfug von vergangener Nacht. Der Khalif sagt: sie sollten gepeitscht werden, hätt ich nicht selbst Veranlaßung gegeben. – Aber laß Oithba kommen. Ich will die Frau sehen, die einen solchen Bären mit Prügeln gebändigt, und ihn sich doch so anhänglich gemacht hat. Ich muß ihr den Verdruß vergüten.“

[188] Oithba wird beschieden, und man erzählt ihr Alles, was mit Xailun im Palaste ist vorgegangen. Sie, als ein gescheutes Weib, nimmt sogleich ihre Maaßregeln, um Vortheil aus dem Vorfall zu ziehen. Sie kleidet sich anständig an, hängt an jede Seite des Gürtels einen Beutel mit tausend Zechinen, wirft den Schleier über, und läßt sich zum Thron des Khalifen führen, vor dem sie sich niederwirft.

„Oithba, sagt der Khalif, du weißst, was in meinem Palaste mit deinem Manne vorgegangen ist. Sein Blödsinn ist Ursache davon, und wird ihn noch in tausendfältiges Unheil verwickeln, unter welchem du auch mit leiden mußt. Ich erbiete mich, deine Ehe mit ihm zu trennen, und ihn in eine Versorgungsanstalt bringen zu laßen.“

„O, hoher Herr, erwiederte Oithba; Xailun ist vor Gott mein Mann, und der Vater meiner Kinder, und von Grunde des Herzens gutmüthig. Gott hat ihn mir mit seinem schwachen Verstande anvertraut. Wolltest du ihn einsperren laßen, so würd ich untröstlich sein, denn ich weiß, wie unglücklich er sein würde. Hätte er Jemanden in seiner Blödheit Schaden gebracht, hier, Herr, ist mein ganzes Vermögen, zwei tausend Zechinen, womit ich ersetzen will.“

Dem Khalifen gefiel sehr, was sie sagte; die Treue, die Gewißenhaftigkeit der Frau, und ihr zwar nicht schönes, aber geistvolles Gesicht gefielen ihm. Er sagte dem Oberkämmerer ein Paar heimliche Worte, und dieser ging und kam mit einer Schatulle zurück in welcher viertausend Goldstücke waren; zugleich brachte er den Xailun mit, in einen Ehrenpelz gekleidet, denn obwohl die Dummheit oft Etwas auf den Pelz bekommt, kann sie doch auch oft zu Ehrenpelzen kommen.

[189] „Oithba, sagte der Khalif, hier ist dein Mann, den ich um deinetwillen mit einem Ehrenpelze habe bekleiden laßen. Nimm hier auch viertausend Zechinen von mir zum Geschenk; sei glücklich mit Xailun, und bedarfst du meiner, so komm!

„Nun ein anderer Mensch, ein ganz anderer!“ rief Xailun zu seiner Frau, die ihn mit sich nahm.


Jetzt, da es in Bagdad hieß, der Khalif habe der Oithba eine große Kiste voll Gold geschenkt, konnte sie von ihren heimlichen Schätzen unbesorglich Gebrauch machen. Sie kauft ein geräumiges Haus am Markte, schafft erst des Abends mit Xailun ihr Gold hinein, kauft demnächst Geräthe allerlei Art und richtet sich nett und bequem, aber nicht auffallend und prächtig ein. Sie kauft sich ein tüchtiges Maulthier, besucht damit des Vetters Lusthaus einigemal mit Xailun ganz allein, und holt ihm die Möhrenscheiben allesammt ab, die er nicht hatte eßen mögen.

Jetzt miethet Oithba auch Sklaven und unter denselben einen sehr verständigen, welcher blos dazu bestellt ward, Xailun in Aufsicht zu nehmen, daß er in der Stadt keine dummen Streiche beginge, und wenn der Sklav sagte: „Oithba wills nicht haben,“ so folgte er ihm. So lebte Xailun ganz nach seiner Lust, aber ohne dumme Streiche zu machen, an welche mit der Zeit das Andenken immer schwächer wurde.

Oithba half einen braven Kaufmann, der auf dem Fall stand, mit zehntausend Zechinen, unter dem Vorwande, daß er ihrem Xailun immer gütig und freundlich begegnet sei. Sie nahm keine Zinsen. Der Kaufmann half sich, zahlte wieder und rühmte Oithbas [190] Großmuth. Sie lieh noch einigen andern Kaufleuten, unter gleichem Vorwande.

Man hörte bald davon, wie viel sie drauf gebe, daß man dem Xailun gut begegne, und wo nun dieser sich sehen ließ, hatten seine Sklaven ihn vor den Umarmungen und Liebkosungen und Anerbietungen zu retten, womit man ihn überhäufen wollte.

Oithba wurde bald überall verehrt, denn es hieß, sie habe Antheile an den Unternehmungen der reichsten Handelshäuser.

Da nun noch obenein Oithba einen so guten Tisch führte, daß selbst vornehme Beamte des Khalifen sich dabei einfanden, und Xailun so ein und die andre Redensart von den Gästen aufgeschnappt hatte oder von den Sklaven zugeflüstert bekam, auch ganz manierlich bei Tische sich hatte gebehrden gelernt, gleich den vornehmsten Herrn, so sprach Niemand mehr vom dummen Xailun. Und ließ er auch je zuweilen etwas Albernes heraus, so hieß es: er sei ein angenehmer und spaßhafter Herr.

Das machten das schöne Gold und die guten Bißen!


  1. Eine Eidechse mittlerer Größe, die in Steinhaufen wohnt und, wie mehrere, eben nicht scheu ist. Wir haben, wie es scheint, ähnliche in unsern Gegenden.
  2. Es sind bekanntlich Hyänen, welche die Leichname ausscharren, aber der Aberglaube der Morgenländer schreibt das Geistern zu, die sich gern bei den Gräbern aufhielten.
  3. Eine Art kleiner Linsen[V 2], die das Fieber vertreiben sollen, wenn sie an gewißen Tagen des Jahres verkauft werden.

Anmerkungen (V)

  1. Verbeßerungen S. 471: st. Vater – bringen l. Vetter
  2. Verbeßerungen S. 471: st. Linsenart l. Art kleiner Linsen
  3. Verbeßerungen S. 471: st. Hofgericht l. Hochgericht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Othba