Drei Bücher von der Kirche/II. Von den Kirchen
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Von den Kirchen.
Da die sichtbare Kirche eine Versammlung von Berufenen ist, so muß man zugestehen, daß sie überall ist, wo Gottes Berufung erschallt und wo es deshalb Berufene in dem obenangegebenen Sinne gibt.
- („Denique etiam pertinaces haeretici quandoque retinent aliquid ecclesiae, videlicet sacramentum baptismi et partem quandam verbi incorruptam, unde etiam per haereticum et corruptum ministerium Deo generantur filii et filiae (Ezech. 16, 20 & 23, 37.), ubi pretiosum a vili, aurum a scoriis, divinum ab humano accurate discernendum. Conversio hominum per verbum ac regeneratio per baptismum in coetu haereticorum non est tribuenda opinionum haereticarum fermento, sed ipsi verbo, quod ex libris biblicis praelegitur, et baptismo, qui efficax est, etiamsi per haereticos administretur, modo institutionis formam observent, de substantialibus hujus sacramenti recte sentiant. Inde Augustinus lib. III. de bapt. c. 19. disputat, posse dici, haereticos esse adhuc aliquo modo in ecclesia, etiam postquam ab ea exierunt, propter sacramentorum administrationem, quia etiam ipsi quaedam sacramenta vere administrant.“ §. LIX, V.)
Man könnte vielleicht ein Bedenken erheben und sagen: „Ist es möglich, daß man durch das Wenige selig werde, was manche Kirchengemeinschaft von der Wahrheit noch übrig hat?“ Aber für’s erste ist es unbestritten, daß viele Tausende von Kindern durch die Taufe bei frühem Tode selig werden. Und was die Erwachsenen anlangt, so würden überall nur wenige selig werden, wenn die Seligkeit von einem Ergreifen der vollkommenen Wahrheit abhienge, wenn es nicht möglich wäre, bei minderer Erkenntnis durch Stücke der Wahrheit selig zu werden.
Nimm irgend eine Gemeinde, und denke dir, du seiest ihr zum Pfarrer verordnet. Setze den Fall, du würdest zum Krankenbette eines Menschen gerufen, welcher niemals im Leben des göttlichen Wortes | geachtet hätte, nun aber voll Verlangens wäre, selig zu werden. Du selbst wünschtest ihn durch dein Amt zur Seligkeit zu fördern. Was thätest du? Würdest du nun anfangen, die ganze Glaubenslehre vor des Kranken Ohren zu entwickeln? Würdest du auf vollständiges Lernen und Erkennen dringen? Du hättest ja keine Zeit und der Kranke weder Zeit, noch Kraft. Du würdest mit Nicolaus Hunnius in seiner Epitome credendorum p. 225 den Grundsatz festhalten: „Das Wort, aus welchem der Glaube ohne Mittel entspringt, ist die Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes und dem allgemeinen Verdienst des HErrn Christi“; du würdest also diese Lehre predigen, Buße und Evangelium würdest du predigen. Und wenn es dir gelänge, deinen Kranken zur Erkenntnis der Sünde und zum Verlangen nach dem Heile Gottes in Christo, ich will gar nicht sagen: „zum Vertrauen auf Christi Verdienst“ zubringen, – und er stürbe dir in solchem Zustande; so würdest du hoffnungsvoll in die Hände klatschen und ihn selig preisen. Und was hätte ihn dann selig gemacht? Ein Tropfen Wahrheit, ein wenig Buße, ein wenig Zuflucht zu dem, der des Tropfens Quelle und eine Fülle aller armen, verlangenden Seelen ist. – So werden also auch in der Kirche, welcher du angehörst, manche, oder ists unrecht, zu sagen: „die allermeisten“ durch Stücke der Wahrheit selig. Denn auch die vollkommenste Erkenntnis auf Erden ist doch nur Stückwerk. – Nun sind es, Gott Lob! noch Hauptstücke der Wahrheit, welche auch sonst verderbten Kirchengemeinschaften übrig sind: das Gesetz, der Glaube, das Vater unser, die Taufe, die Absolution, das h. Mahl, so manch edles Stück der h. Schrift etc. finden sich hie und da, und ebendamit die Möglichkeit, zur Buße und zum seligmachenden Glauben zu gelangen. Der Geist des HErrn ist ja allmächtig; sollte es Ihm unmöglich sein, den von Ihm beabsichtigten Eindruck der Gebote, des Glaubens, der übrigen unverderbten Stücke aus Gottes Wort, den Segen der Taufe, die Erhörung des Vaterunsers zu erreichen? Schwer ist es, im Nebel fremder Gemeinschaften den Weg zum Leben zu finden; aber möglich bleibts doch und Beispiele und Belege dazu aus der Geschichte der Völker und Seelen wird der jüngste Tag genug liefern. | Muß man aber das zugestehen, so gibt man ja zu, daß die unsichtbare Kirche, die Kirche der Auserwählten in fremden Kirchengemeinschaften Glieder zähle. Warum wollte man nicht das Geringere zugestehen, ohne welches dies Größere nicht stattfinden könnte, daß es in ihnen Berufene gebe, daß die sichtbare Kirche also auch sie umfaße, – daß sie mit Einem Worte überall sei, wo es Berufung gibt und Berufene geben kann.Man verkümmere sich den Gedanken der Kirche nicht und laße gelten, was gilt. Ecclesia catholica est temporalibus aeterna, locis infinita, personis innumera! (Tertull.)
Ende des ersten Capitels aus Ph. Nicolai’s „Historie des Reichs Christi“.
Nach der Verdeutschung des M. Gotthard Artus. 1628.
– – „Dieses, was bisher von Zunehmung und Fortpflanzung der Kirchen oder des Reichs Christi in der ganzen weiten Welt kürzlich angezeigt ist, wird, wie ich hoffe, allen gottseligen frommen Christen zu lesen lieb und angenehm sein. Denn daher können sie schließen und urtheilen von der Weite und Größe des Reiches Christi und zugleich auch abnehmen, spüren und merken, wie in der ganzen Welt keine Landschaft, Insel, Königreich oder Volk zu finden, Gott gebe wo man sich hinwendet, dahin die christliche Religion nicht wäre erschollen.“
„Sonderlich aber ist sich wohl zu verwundern, daß in den dreien sehr großen und mächtigen Königreichen der Mohren, Spanier und Moscowiter die christl. Religion öffentlich in vollem Schwange geht, und alle heidnische Abgötterei abgethan ist; die andern Königreiche, ob sie wohl nicht so weit und groß sein, gehören sie doch entweder ganz und gar zum Reich Christi, oder sind zum wenigsten etliche Kirchen in denselben zu finden.“
„Es möchte aber Jemand fragen, ob ich das Papstthum in Spanien für eine Zunehmung der christl. Religion hielte, und die Lehre der Mohren und Moscowiter, so mit vielem Irrtum befleckt ist, das Reich Christi nennen wollte? Darauf antworte ich, daß man müße unterscheiden | zwischen den von Gott befohlenen und verordneten Mitteln, so zu Fortpflanzung des Reiches Christi gehören, und den zufälligen Irrtümern, so von den Menschen daran geflickt werden. Die h. Schrift, zehen Gebote, Vaterunser, Sacrament, Taufe und Abendmahl sind die Mittel, durch welcher Dispensation die Kirche gepflanzt und vermehrt wird. Diese Mittel nun werden darum nicht anders, ob sie wol von gottlosen und mit vielem Irrtum befleckten Personen administrirt werden; sondern sie bleiben Instrumente des Lebens, durch welche vieler Menschen Herzen vom Geist Gottes gerühret, gezogen und bekehrt werden, unangesehen, daß die Lehrer bös und verkehret sein.“„Bileam und Judas haben können Gottes Wort lehren und andern Leuten den Weg zeigen, den sie selbst verlaßen und nicht geachtet haben. Die Pharisäer und Schriftgelehrten, so auf Mosis Stuhl geseßen, haben dem Volk die Schriften der Propheten können vorlesen und erklären, also daß auch Christus sie zu hören und ihrer Lehre zu folgen befiehlt, ob sie wohl selbst Gottes Wort verachteten.“
„Ja es klagt auch der Apostel Paulus ausdrücklich, daß Etliche Christum verkündigen aus Zank und nicht lauter, etliche auch aus gefaßtem Haß und Feindschaft wider Paulum; aber er sagt daneben, daß er sich freue und freuen wolle, wenn nur Christus verkündigt werde, es geschehe gleich auf waserlei Weise es wolle. Und der Sohn Gottes selbst läßt den falschen Propheten zu, daß sie in dem Namen Christi weißagen, Teufel austreiben und viel Thaten thun können, Matth. 7.“
„Eben auf diese Weise die Jesuiter und Päpstler, ob sie wohl voll sind aller abscheulichen Gräuel, können sie doch mit Aussähung Gottes Worts, in den Artikeln des christlichen Glaubens verfaßet, und mit fleißiger Uebung der zehen Gebot und Vaterunsers, neben Verrichtung der h. Taufe die christliche Kirche, gleichwie die Bileamiter, im Namen Gottes bei den Indianern und Amerikanern bauen, die Götzen abthun, die Teufel austreiben und große Thaten thun, sonderlich weil sie die Bekehrung der abgöttischen Völker, wie droben ihre angezogenen Worte bedeuten, mit ihrer Lehre von Gott, von | der Schöpfung, vom Fall des Menschen und desselben Erlösung durch Christum anfangen, und ist kein Zweifel, daß, gleichwie vor Zeiten in dem Papsttum Gott der Herr seine Kirche wunderbarlich gesammelt und erhalten, er also heut zu Tage auch in India und Amerika durch Wirkung des h. Geistes vieler Herzen mit seinem Wort erleuchte, daß sie in Einfältigkeit des Glaubens selig werden.“„Aus diesem Unterschied würde die Frage recht erörtert, und sage ich auch aus diesem Fundament, daß man die Kirchen in Amerika, India, Europa, Afrika u. s. w. unter der Spanier, Moscowiter oder Mohren König gelegen, in welchen Jesuiter, Mönche oder andere Ketzer predigen, nicht schätzen soll nach der Jesuiter, Mönche oder ketzerischen Prediger äußerlichen Sitten und angenommener Heiligkeit, sondern nach den Artikeln des christlichen Glaubens, nach dem Buchstaben göttlichen Worts, und nach den Sacramenten der Taufe und h. Abendmahls; denn wo dieselben im Schwang gehen, da soll man nicht auf der Personen äußerlichen Sitten und Irrtum, sondern allein auf die verordneten Mittel, so zur Erbauung des Reiches Christi verordnet sein, sehen. Jedoch ist es nicht ohne, wo das Wort Gottes und die h. Sakramente durch unreine Lehrer, als Jesuiter, Pfaffen und Mönche verwaltet werden, daß allda die himmlischen Perlen zwar fürgetragen werden, aber in befleckten unsaubern Gefäßen, und ist zwar das Reich Christi daselbst nach den äußerlichen Kennzeichen noch zu finden, aber in dicken Nebeln und Schatten, ja mit schwerem Joch und großer Last menschlicher Gesetze beschwert und beladen. Es sind aber doch noch daselbst vorhanden die himmlischen Perlen, die Stimme des Bräutigams und der Braut oder die christliche Kirche, also daß auch unser Herr und Heiland Jesus Christus noch mitten unter seines Feinden herrschet, und ihm allezeit sieben Tausend behält, die ihre Knie vor dem Baal nicht biegen.“
„Wolan, damit wir dies erste Capitel beschließen, kann der | gottselige Leser nicht wenig der Gewisheit christlicher Lehre versichert werden, wenn er aus diesem allen fleißig betrachtet, wie einen geringen, unansehnlichen Anfang das Reich und Kirche des Herrn Christi gehabt, und wie wunderbarlich dasselbe aufgestiegen und zugenommen habe, also, daß es nunmehr die allergrößesten und weitesten Königreiche übertrifft, sintemal es in alle Ende der Welt sich erstreckt. Die römische Monarchie war in großem Ansehen zur Zeit der Geburt Christi, hergegen war damals die christliche Kirche sehr geringe und unansehnlich, ja es hatten die Jüden keine Ruhe, bis sie den König dieses Reichs ans Kreuz brachten und jämmerlich hinrichteten, daß sichs ansehen ließ, als wäre es um das Christentum nunmehr ganz und gar geschehen: Und wenn zu derselbigen Zeit einer den Römern geweißagt hätte, daß ihr Reich abnehmen und vergehen, hergegen aber das Reich dieses Gekreuzigten Jesu von Nazareth also zunehmen sollte, daß es sich über die ganze Welt erstrecken würde, hätte man gewis denselben als einen aufrührerischen Menschen übel empfangen, oder zum wenigsten als einen närrischen Abenteuerer verachtet und verlacht.“
Ueberblickt man nun die Zahl der verschiedenen Particularkirchen, so ist schon aus dem bisher Gesagten klar, daß nicht alle die Wahrheit haben können, d. i. die volle, harmonische Wahrheit. In diesem Fall würden die Schranken längst gefallen sein – vermöge der Kraft der gemeinsamen Wahrheit. Nicht einmal zwei können zugleich die Wahrheit haben, sonst würden sie nicht streiten. Es bleiben deshalb nur zwei Urtheile übrig. Nämlich: entweder hat gar keine die volle Wahrheit, oder von allen eine.
Zu welchem Urtheil willst du dich nun bekennen. Sagst du: es ist ein großer Hochmut, einer vor allen die Palme zu reichen; so antworte ich: das muß nicht sein, und ob es wäre, so ist es doch ein ungleich größerer Hochmut, gar keiner die Wahrheit zuzusprechen. | Denn wer einer Particularkirche das Recht zuspricht, erkennt doch, daß noch jemand außer ihm ein richtiges Urtheil fällte, er steht doch nicht gar allein im angemaßten Rechte. Hingegen wer gar keiner Partei Recht gibt, nimmt für sich allein das Recht in Anspruch, schilt alle andern – und überdieß Gott, der in der ganzen Geschichte nicht Eine reine Kirchengemeinde gesammelt, das heißt am Ende seine Wahrheit nicht geoffenbart hätte; denn wenn Er sie wirklich geoffenbart hätte, würde sie doch auch Bekenner und eine Kirche gefunden haben? Es könnte jemand den Einwurf machen: Ich läugne nicht das Dasein der Wahrheit, aber ich glaube, daß eine jede Kirchengemeinde oder Particularkirche ihr Kleinod habe, daß keine einzige die ganze und volle Wahrheit besitze. Aber auch diese Behauptung ist entweder eine Ausgeburt des Hochmuts, wenn sich nämlich der, welcher sie thut, ein so vor allen Menschen erleuchtetes Urtheil zuspricht, daß er und er zuerst und am Ende er allein zu sagen wußte, was in allen Particularkirchen Wahrheit sei; oder aber sie ermangelt der Bestätigung der Geschichte. Hast du die Glieder des zertheilten Poeten gefunden, wol, so ist dir auch gegeben, sie zu vereinen und zum leuchtenden, die Welt überwindenden Bilde zusammenzubringen. Kannst du das Letztere nicht, so trügt dich dein Auge. Hervor zur Probe oder laß das Geschwätz!Jener König trank in der Wüste in brennendem Durste von unreinem Waßer, – und sein Durst wurde durch das unreine Waßer gelöscht. So darf man fröhlich behaupten, daß eine jede Particularkirche in der Wüste der Welt dem einsamen Wanderer, dem durstenden Herzen einen stillenden Trunk reichen kann. – Aber jener König würde auch in der Wüste nicht aus dem unreinen Waßer getrunken haben, wenn er eine reinere oder völlig reine Quelle daneben gefunden hätte. So sei auch du ein königlicher Mensch, der, wenn ers haben kann, mit dem reinsten Waßer, das nicht blos den Durst löscht, sondern auch unschädlich und heilsam ist, die Seele stillt, und der Particularkirche sich anschließt, die am Brunnen der Wüste unter den siebenzig Palmen herbergt und für ihr Waßer streitet. – Und jener König, wenn er eben so durstig, wie das erste mal, da er in der Wüste trank, zu einem Platze kam, wo neben einer unreinen Cisterne ein frischer Quell sprang, – trank ohne Zweifel der ersten Cisterne zu gefallen nicht abermal von der Cisterne, sondern dem Leibe zu gefallen von der Quelle. So trinkt ein Weiser, auch wenn er früher unreiner Lehre und Kirche gehuldigt hat, später seiner Seele zu gefallen lieber vom Tranke der reinen Lehre; unweise und boshaft, und weil er sich selbst Schaden thut, ein Erzbösewicht ist der, welcher, weil er einmal im Durst aus unreiner Quelle trank, aus irrem, täuschendem Dankgefühle, seiner Seele fortan ungesundes Waßer reicht. Lebendiges, quellendes Waßer beut der HErr – und seine Schafe laßen sich zum frischen Waßer leiten.
Ja, zum frischen Waßer der Kirche, die um des Waßers willen den Namen zuerst verdient, führe uns der Hirte! – Denn es gibt eine Kirche, die alle Wahrheit hat, welche andere haben, und noch | mehr, – in der gesammelt ist, was sich anderwärts zerstreut findet. Es gibt eine, die gleich der apostolischen, allen gibt, was sie haben, von deren Besitz alles stammt, was andere haben. Es gibt Eine, – wie es allezeit Eine gab, – und geben wird! Sie ist die Schaar, welche die Lade trägt, und vor ihr schläft. Sie darbt an vielem andern, aber das kann ihr niemand nehmen, daß sie die Braut des Königs der Wahrheit ist, weil sie die volle Wahrheit besitzt! – Wir werden sie erkennen.
Unter den vielen Particularkirchen die eine kennen zu lernen, welche am meisten Wahrheit oder gar die volle Wahrheit besitze, – das ist nun unsre Absicht. Um sie kennen zu lernen, muß man zuerst nach den Kennzeichen der Particularkirchen überhaupt forschen.
Kennzeichen der Kirche im Allgemeinen ist jeden Falls auch das, wodurch sie gegründet, gesammelt, genährt und erhalten wird. Nun ist keine Frage, daß die Kirche im Allgemeinen durch Wort und Sacrament gegründet, gesammelt, genährt und erhalten wurde und noch wird. Eben so aber ist kein Zweifel, daß eine Particularkirche durch ihr Wortverständnis und ihren Sacramentsbrauch, oder kurzweg durch ihr Bekenntnis von der andern Particularkirche getrennt, gesammelt, genährt und erhalten wird. Ihr Bekenntnis muß deshalb ihr Kennzeichen sein.
Kennzeichen der Kirche im Allgemeinen ist ferner dasjenige, was sie selbst als ihr theuerstes Kleinod preist. Nun sind das Wort der Wahrheit und die Sacramente des HErrn je und je der Preis der Kirche vor der Welt gewesen. Und gleicher Weise rühmt sich eine jede Particularkirche ihres Wortverständnisses und Sacramentsgebrauches vor den andern. Deshalb ist ihr Wortverständnis und ihr Sacramentsgebrauch, oder mit andern Worten ihr Bekenntnis ihr theuerstes Kleinod, ihr Unterscheidungszeichen und Kennzeichen.
Das, woran sich die Kirche gegenüber der Welt allein für gebunden erachtet, was sie selbst als Norm und Regel ihres Verhaltens bezeichnet, ist ihr Kennzeichen. Das ist aber nichts anderes, als Wort und Sacrament. Gleichwie sich aber die Kirche im Allgemeinen von der Welt durch Wort und Sacrament unterscheidet, so unterscheidet sich jede Particularkirche von den andern durch ihr Wortverständnis und ihre Sacramentsverwaltung, oder durch ihr Bekenntnis, welches von jenen beiden Rechenschaft gibt, und woran sie sich deshalb allein gebunden erachtet.
Wenn man also eine Particularkirche kennen lernen will, so wird es immerhin ihr Bekenntnis sein, worauf man sein Auge richten muß. – Oder sollte es jemand geben, der uns den Satz anstritte, daß jede Particularkirche ihr Wortverständnis und den Brauch der Sacramente, wie sie ihn für recht erkennt, in ihrem Bekenntnis niederlegt? Wir wollen nicht hoffen. Das Bekenntnis fließt aus der | Schrift – unbestritten, und muß auch daraus fließen, wenn es irgend gelten will.
Es handelt sich nun aber nicht sowohl darum, zu wißen, was die Kennzeichen der Particularkirchen sind; sondern die Frage ist: welches ist das Kennzeichen der Particularkirche, welche die meiste oder die volle Wahrheit besitzt? Wir antworten hierauf, ohne Widerspruch zu fürchten: Schriftmäßigkeit des Bekenntnisses ist das Zeichen derjenigen Particularkirche, welche die meiste oder die volle Wahrheit besitzt, die man deshalb die Kirche κατεξοχὴν nennen, und ihr vor allen die Verheißungen zueignen kann, welche der HErr seiner Kirche zuspricht. Wir fürchten uns nicht, daß unsre Gegner uns wegen des angegebenen Kennzeichens der Kirche Vorwürfe machen werden, welche wir nicht zu beantworten wüßten. Wir wißen zu gut, wie uneinig sie sind, wenn sie die Kennzeichen der Kirche angeben sollen und wie sie sich von Alters her widersprechen. Auch wißen wir ganz wohl, daß nicht blos die Väter der ersten Jahrhunderte, deren Zeugnis sie so gerne für sich hätten, die Schriftmäßigkeit des Bekenntnisses oder der mit dem Bekenntnisse so innig verwandten Lehre für das Kennzeichen der wahren sichtbaren Kirche halten, sondern daß auch viele von den Gegnern selbst den Vätern und damit auch uns Beifall gegeben haben.
In Betracht dieser Einwendung läugnen wir nun allerdings nicht, daß es Laien gebe, welche zu einer umfaßenden Lösung dieser Aufgabe untüchtig sind. Ja, wir wollen, obschon im Begriff, die Aufgabe sehr zu ermäßigen, noch mehr zugeben, nämlich Laien, deren Gaben auch nicht zur geringsten Aufgabe eines selbständigen Vergleiches und Unterscheidens hinreichen, deren Glaube und Bekenntnis immer vom Glauben und dem Bekenntnis der Einsichtsvolleren abhängt. Diese werden deshalb eine gewisse Verantwortung und Vormundschaft von sich nimmermehr abwälzen können und ihre Aufgabe um so ernsthafter zu erledigen haben, weil sie dieselbe nicht blos für sich erledigen. – Jedoch, wir dürfen auch die Aufgabe nicht schwerer darstellen, als sie wirklich ist.
Wäre es auch nöthig, alle und jede Bekenntnisse zu vergleichen, die es gibt oder deren man habhaft werden könnte; so darf man doch nicht vergeßen, daß alle Bekenntnisse nur Variationen über dieselben Glaubensartikel sind, daß der Verstand schon an dem Studium einiger so erstarkt, daß man für die andern rüstiger und scharfsichtiger wird. Mit manchen würde ein einigermaßen bibelfestes Volk bald zu Stande kommen und fertig werden, und die Wahl zwischen den wenigen offenbar besten Bekenntnissen würde nach den Unterscheidungslehren geschehen und beim Lichte des göttlichen Wortes so schwer nicht sein.
Allein, es ist gar nicht nöthig, einen so weitläufigen Weg zu gehen. Vergleiche nur vor allen das Bekenntnis der Kirche, zu welcher du dich bisher selbst gehalten hast, mit dem klaren Worte Gottes. Findest du es bewährt, so ist eigentlich deine Arbeit schon geschehen; denn mehr als dem klaren Worten entsprechend kann kein Bekenntnis sein; und findest Du das Deine | entsprechend, so ist Dir schon einmal klar, daß Du bei dem Verharren bei demselben keine Seelengefahr läufst. Und damit kommt schon großer Friede.Man könnte freilich sagen: „Dieser Weg ist betrüglich. Man ist bei seiner Kirche aufgewachsen, hat für sie vorn herein ein gutes Vorurtheil, hat fleischliche Ursachen genug, warum man sie gerne für die rechte erkennen möchte. Und wie es dann zu gehen pflegt, wenn man etwas wünscht, so findet man am Ende auch die angeborene Kirche ganz rein und richtig.“ Allein, so scheinbar diese Einwendung ist, so ist doch im Grunde wenig genug an ihr. Was zunächst die Kinder derjenigen Kirche anlangt, welcher der Schreiber dieser Blätter angehört; so ist es nun einmal nicht wahr, daß sie ein so gar gutes Vorurtheil für ihre angeborene Kirche mitbrächten, daß sie vornherein zu ihren Gunsten blind wären. Im Gegentheil, sie ist eine Mutter, diese Kirche, deren Angesicht und Gestalt ihren eigenen Kindern so fremd, als irgend eine fremde Mutter ist; auch sind derer Legion, welche dieser ihrer Mutter zu gehorchen verachten, da sie ja des Zeitgeistes Kinder geworden sind. – Was aber die Kinder fremder Kirchen anlangt, so geht es ihnen am Ende gerade so, oder aber sie haben wirklich Vorurtheile für die angeborene Confession. Das müßten sie dann aber auch auf eigene Rechnung nehmen. Es weiß ja ein jeder, daß Vorurtheile am wenigsten dann herrschen sollen, wenn man prüfen will. Auch hat ein jeder, der das Resultat nicht schon vor der Prüfung gefaßt hat, dem es mit dem Prüfen Ernst ist, ein vorurtheilsfreies Herz. – Wiewohl man zur Prüfung manches Bekenntnisses schon irgend ein Vorurtheil mitbringen darf; es zerstiebt doch, wenn man anfängt, Gottes Wort mit dem Bekenntnis zu vergleichen.
Was anderes wäre es, wenn die Schrift nicht klar wäre, wenn der Prüfstein nichts taugte. Aber das ist schon oben beantwortet; die Schrift ist klar; sie hängt in Glaubenssachen durchaus nicht von den Erklärungen der Gelehrten ab, sondern ihr Licht ist darin für jedermanns Auge gerade recht. Ja, wenn sie auch nicht an und für sich selbst klar wäre; so wäre sie doch klar, wenn man eine Antithesis oder eine Frage an sie stellte. Gleichwie Stahl und Stein zusammengeschlagen | den hellen Funken geben; so gibt die Schrift im Vergleich mit der menschlichen Lehre helle, lichte Funken. Sieh allein in die Bibel, so findest du vieles nicht; vergleiche aber, was sie sagt, mit dem, was andere, was Menschen über dieselbe Sache sagen, und du wirst sehen, was für ein Unterschied zwischen Gotteswort und Menschenwort ist. Der menschliche Geist ist eben so beschaffen, daß er zu purer Beschauung der Thesis nicht lebendig genug, nicht wach genug, nicht scharf, nicht klar, nicht tief genug ist. Zur Erkenntnis der Thesis ist ihm die Antithesis nöthig. Es ist darum eine, wenn auch noch so vielen beliebte, doch ausgemachte Thorheit, sich der Lehre der Gegensätze entwinden, nur thetisch lernen zu wollen. So gewis die Kirche in der Welt steht, so gewis steht sie ihr gegenüber, so gewis muß sie ihren Gegensatz faßen und begreifen. Wir wagen daher ein Wort und wollens vertreten, wenn es sein muß: „eine menschliche Lehre, den Artikel einer Confession mit betendem Geiste an die treffenden Stellen der h. Schrift halten, das ist ein neutestamentisches Gottfragen, auf welches der HErr Licht und Recht und Antwort nicht versagt,“ Wo die Schrift von dem oder jenem Punkte rede, das kann man, wenn man es nicht weiß, leicht erfragen, darüber sind alle Parteien einig. Was sie sage, das lernt man, wenn man anderes vergleicht, durch vergleichen lernt man unterscheiden.Wenn man nun aber auf dem Wege des Vergleichens und Unterscheidens das Bekenntnis der eigenen Kirche nicht gerechtfertigt fände? – Dann, versteht sich, müßte man sich fernere Mühe nicht verdrießen laßen, die Wahrheit und ihre Kirche zu finden. Doch ist das der Fall nicht, den wir für vorurtheilsfreie, nüchterne Kinder unserer Kirche zu fürchten hätten. Wiewol wir rathen, auch nach gefundener Kirche und Wahrheit andere Bekenntnisse an den Prüfstein des göttlichen Worts zu streichen, – um der Freude willen, die man am Besitze finden wird, um der Befestigung willen und um des Trostes willen an Gottes Wort.
Ach, der Weg ist leicht! Er ist nur lang und schwer in der Beschreibung mancher, die ihn selber entweder nie betreten oder nie vollendet haben. Es ist durchs Leben und Erfahren schon viel Vorbereitung | geschehen. Auch sind so gar viele und schwere Punkte, auf die es ankommt, – und über alle und jede reden die Bekenntnisse deiner Kirche – und die Schrift so klar, so verständlich, so einfach!
Bisher haben wir einen Namen nicht genannt, den Namen der sogenannt lutherischen Particularkirche. Hier sei er vorgreifend genannt, weil wir uns dadurch für die nachfolgenden Capitel größere Deutlichkeit anbahnen.
Doch das alles ist nur beiläufig gesagt. Es ist etwas anderes, was wir sagen wollten. Wir wollten sagen, daß unsere Gegner gegen die beßere Sitte früherer Zeiten und im Gegensatz der reineren Zugeständnisse von Seiten so mancher aus ihrer Mitte nur darum, oder doch hauptsächlich darum läugnen, daß die Schrift klar und deshalb über das richtige Bekenntnis aus heiliger Schrift das Urtheil leicht zu gewinnen sei, weil, dies zugestanden, die Wahrheit und der Ruhm der wahren Kirche, der Kirche κατεξοχὴν, unwidersprechlich unserer verachteten lutherischen Kirche zufällt. Denn das hat noch nie jemand bewiesen, daß unsere Bekenntnisse auch nur in einem einzigen Punkte irren. Noch immer steht es so, daß jeder einfache Leser, welcher unsre Unterscheidungslehren mit den klaren Worten der h. Schrift vergleicht, unsre Bekenntnisse rechtfertigen muß, – daß die Augustana zwar aus den sich nicht gleichbleibenden Schriften der Väter, aber nicht aus Gottes Worten widerlegt werden kann.
Hat nun die lutherische Kirche reines Wort und reines Sacrament in reinem Bekenntnis; so hat sie offenbar die höchsten Güter der Kirche ungefälscht, so ist bei ihr Gottes lebendige Fülle und Quelle, aus welcher sie allen ihren Mängeln abhelfen und alle Vorzüge, deren sich andere Particularkirchen mit Recht etwa rühmen können, entnehmen kann. – Was liegt für die Hauptsache daran, daß man dieser Kirche so manchen Vorwurf macht, so lange man ihr die höchsten Güter und Kennzeichen der Kirche zugestehen | muß? Und was liegt daran, daß sich andere Particularkirchen so manches wahren oder eingebildeten Vorzugs rühmen, so lange sie Mangel an den größten Gütern leiden, so lange nicht widerstritten werden kann, daß die lutherische Kirche, so wie sie sich nur ihrer selbst bewußt sein wird, aus der Fülle, die sie hat, alle Mängel erstatten und an jeder Tugend die andern Kirchen übertreffen kann? Wer Wort und Sacrament recht würdigen kann, den blendet kein Strahl des Lichtes, der auf andern Kirchen ruht; er geht doch nur von dem Heerde unsrer vollkommenen Wahrheit aus. Viel weniger blendet ihn eitler Schimmer menschlicher Werke und Gedanken. Im Besitze der höchsten Güter kann man untergeordnete Dinge leichtlich missen, bis man sie gefahrlos ergreifen kann.Erlaubet uns, die Sprache höher zu erheben, wir wollen uns deshalb nicht erlauben, zu lügen.
Diese lutherische Kirche ist, weil sie Wort und Sacrament in reinem Bekenntnis hält, die Brunnenstube der Wahrheit – und von ihren Waßern werden in allen andern Kirchen gesättigt, die gesättigt werden! – Die Kinder dieser Kirche stehen in heiterer Ruhe mit leuchtenden Angesichtern und scharfen Schwertern um die Quelle, von welcher alle selig werden, die da selig werden. – Hier ist Israels Zeug und in seiner Mitte die Lade des Worts und Sacraments, und über der Lade der HErr. Ja, hier ist das Allerheiligste des Hauses Gottes, und wenn man spricht: „Gott sende dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion;“ so ist Heiligtum und Zion hier bei der Kirche des reinen Bekenntnisses, bei deren Wort und Sacrament der HErr wohnt herrlicher, als im Tempel des alten Testaments! Von hier aus geht alles Heil; denn hier ist unverhüllt, nicht stückweise, sondern völlig, wie es mir immer diesseits des Grabes möglich ist, die klare Wahrheit des Evangeliums. Was andere Gemeinschaften an Wahrheiten besitzen, vereinigt sich hier zur Wahrheit. Die vollkommene, im Feuer der Jahrhunderte bewährte, die Welt überwindende Wahrheit befindet sich hier! Hier wird sie bekannt, Protest eingelegt gegen jede Fälschung, kein Wörtlein wird aufgegeben! So ist es gewesen, so ists wieder. Der HErr wirds | ferner verleihen, der mit uns ist! – Darum ist doch hier die Kirche κατεξοχὴν. Sie widersprechen? Mögen sie uns erst die Fahnen und Zeichen der Kirche rauben! Mögen sie erst beweisen, was sie nie beweisen konnten, daß unser Bekenntnis vom Worte weiche! So lange sie das nicht thun, ist bei uns der HErr, und wir sind es, von deren vollkommener Fülle alle andere Kirchen leben! Bis dahin freuen wir uns des Besitzes, segnen alle andern Kirchen, weigern uns ihres Irrtums, freuen uns jeder ihrer Wahrheiten, – streiten wider ihr Unrecht, fühlen uns einig mit ihnen in all ihrem Recht.
Jedoch, wir wollen nicht verkennen, daß wir es eigentlich mit unsern römischen Gegnern zu thun haben, wenn wir von Altertum und der Dauer reden. Sie halten uns Altertum und Dauer nicht eben nach dem schärfsten Begriffe entgegen, sondern nur im Gegensatze und im Vergleich mit unserer Kirche. „Wo war, sagen sie, vor Luther das Luthertum? Ihr seid von gestern her, während wir uns einer ununterbrochenen und unveränderten Dauer seit den ältesten Zeiten zu erfreuen haben.“
Laßen wir uns gegenüber diesen Schmähungen von unserm Standpunkt nicht verrücken. Vergeßen wir nicht, daß eine Kirche ihr Bestehen nach nichts anderem datirt, als nach ihrem Bekenntnis, oder was gleichviel ist, nach dem Schriftverständnis und Sacramentsgebrauch. So alt das Bekenntnis ist, so alt ist die Kirche; denn das Bekenntnis hält jede Kirche zusammen. – Vielleicht entgegnet hier ein unvorsichtiger Römer: „Also wie alt seid ihr? Ao. 1530 habt ihr euer Bekenntnis zu Augsburg übergeben, oder seid ihr vielleicht ein Jahr älter, weil eure Catechismen ein Jahr älter sind?“ Darauf würden wir dem unvorsichtigen Gegner erwiedern, daß bei solcher Rechnungsweise die römische Kirche immerhin noch jünger erfunden würde, als die unsrige. Denn erst im Jahr nach Luthers Tod begann das Concil von Trident, auf welchem das Bekenntnis der Römer berathen wurde, – und erst nach Schluß des Concils wurde der römische Catechismus ausgearbeitet. – Aber freilich, so rechnet man nicht, sondern es fragt sich, ob nicht früher schon bekannt wurde, entweder wie die Römer, oder wie wir bekennen. Wer sein Bekenntnis in der frühesten Zeit nachweisen kann, der ist im Siege. – Mögen nun immerhin die Gegner mit einem beliebten Ausspruche des Vincenz von Lerin diese Forderung stärken, mögen sie behaupten: eos proprie esse catholicos, qui teneant id, quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum sit; eine Hilfe haben sie daran nicht, und einen Weg haben sie eingeschlagen, der sie zu keinem glücklichen Ziele führt.
| Nehmen wir ihre Unterscheidungslehren, suchen wir sie in den Schriften des Altertums; so finden wir, daß sie nicht immer, nicht überall, nicht von allen gelehrt wurden. Es läßt sich von einer jeden römischen Unterscheidungslehre der Zeitpunkt nachweisen, wo sie zuerst gelehrt worden ist. Es läßt sich nachweisen, daß frühere römische Bischöfe anderes lehrten, als die jetzigen römischen Bischöfe lehren und bekennen. Es läßt sich beweisen, daß nicht auf einem, am wenigsten auf dem römischen Bischofsstuhle eine und dieselbe Lehre in unveränderter Dauer gelehrt und bekannt wurde. Auch läßt sich beweisen, daß die jetzige römische Lehre keine Entwickelung aus der früheren sein könne; denn die jetzige widerspricht der früheren, Widersprüche aber sind nicht Entwicklungsperioden einer und derselben Wahrheit. Drum möge es uns nur mit dem Altertume beßer gelingen, als den Römern; sonst spricht am Ende das Altertum für keinen. Den Spruch des Vincentius von Lerin können wir nun freilich für uns so wenig, wie für die Römer anführen, so wie er lautet. Er gibt keinen Sinn, wenn er nicht der Schrift unterthänig gemacht wird. Denn seinem Wortlaute gemäß gäbe es jeden Falls gar keine wahre Kirche. Deute man ihn immerhin im Gegensatz zu den Ketzern, ein semper, ein ubique, ein omnes kommt doch nicht zu Stande, wenn man nicht das „alle“ von allen denen versteht, welche aus dem klaren Worte Gottes ihren Glauben nahmen oder nach demselben berichtigten. In diesem Sinne aber haben wir den Spruch nicht zu fürchten, wenn überhaupt ein menschliches Decretum in so ernsten Betracht zu ziehen ist.Theilen wir das Altertum getrost in das früheste und in das spätere: welches wird den Ausschlag geben, wenn sich beide widerstreiten sollten? Welche Lehre wird die älteste sein, die, welche sich anno 40, oder die, welche sich anno 400 nachweisen läßt? Offenbar die erstere. Gut! So ists denn keine bloße Aushilfe, sondern eine Forderung, die sich nicht abweisen läßt, daß man die h. Schrift, welche den ältesten Vater an Altertum übertrifft, in der Altertumsfrage das erste Wort reden laße. Die Lehre und das Bekenntnis haben gewis das Altertum für sich, welche die h. Schrift für sich haben. Man laße sich nur in keinem Falle von der Wahrheit stoßen, daß die Schrift klar sei; so wird man an der klaren Schrift eine giltige Entscheidung für die widersprechenden Lehren der Väter eben so wol, als für die widersprechenden Bekenntnisse unsrer Tage haben. Was schriftgemäß ist, ist das älteste und zugleich das richtigste, – und die Kirche, welche die h. Schrift auf ihrer Seite hat, hat das reinste und älteste Altertum für sich, und in allen Zeiten etliche, welche als Zeugen der Wahrheit und der Klarheit des göttlichen Wortes mehr Vertrauen verdienen, als Kron und Purpur, wenn sie dem Worte der Schrift widersprechen.
Nach solcher Vorbereitung können wir auf die Frage: „Wo war das Luthertum vor Luther?“ die Antwort um so leichter geben. Thu den Namen hinweg und forsche nach dem Inhalt; denk nicht an Luther, sondern an Bekenntnis und Lehre der lutherischen Kirche, so findest du die Kirche, die man jetzt lutherisch heißt, zu Jerusalem und zu Rom in den Zeiten der Apostel und in den ersten Jahrhunderten nach Christo überhaupt. Da, wo man jetzt ohne Widerspruch den Irrtum lehrt, lehrte man einst ohne Widerspruch die Wahrheit; und als nach den Weißagungen der Apostel die Lüge auf den Stuhl der Wahrheit trat, erscholl an denselben Stätten, wo jetzt sich keine Zunge für die Wahrheit regt, der erste kräftigste Widerspruch. Und als der Widerspruch an den alten Stätten der Wahrheit verstummen mußte, wanderte die | Wahrheit an andere Orte und fand allezeit ihre Kinder und ihre Bekenner. Und wenn gleich sehr finstere Zeiten eintraten, wo es schwer war, die Wahrheit irgendwo in ihrer vollen Schöne zu finden, oder irgendwo ihr vollstimmiges, harmonisches Lied zu hören; so war es doch nie unmöglich. Und wenn gleich erst die Zeit der Reformation eine Zeit vollständiger Enthüllung des Heiligtums der Wahrheit wurde und frühere Zeiten überstrahlte; so ist es uns doch nun bei dem doppelten Lichte der ersten Zeit und der Zeit der Reformation desto leichter, die verborgeneren Zeugnisse ans Licht zu bringen. Und wenn wir auf Erden nie vermögen werden, alle diejenigen aufzufinden, welche in ihren Kreißen Bekenner der Wahrheit gewesen sind, – wenn uns die römischen Feuerzeichen und Blutströme und das Geschrei ihrer Gemordeten nicht alle Spuren der Kinder Gottes zeigen; so wird doch ein Tag kommen, an welchem wir schauen werden, wie viele sich der HErr auch in der schlimmsten Zeit erlesen und sie bewahrt hat vor dem Uebel. Der sieben Tausend zu Eliä Zeiten im kleinen Lande fand, fand ohne Zweifel viel mehr in den weiten Räumen des Christentums.Rühme sich deshalb immerhin die lutherische Kirche des Altertums, wenn auch ihr Name jung ist und eine neue Periode der uralten Wahrheit seit drei Jahrhunderten begonnen hat. Sie mag sich auch der Dauer rühmen. Die Kirche ist die älteste, deren Lehre die älteste ist; – und die dauert am längsten, deren Lehre am längsten dauert. Wer wird nun zweifeln, daß die Kirche am längsten, ja die Welt überdauern wird, welche das Wort in reinem Bekenntnis hält, das Wort, von dem geschrieben steht: „Gottes Wort bleibt in Ewigkeit!“ Die Namen kann diese Kirche wechseln und die Orte, groß und klein kann sie werden, von Erdenkräften wird sie nicht gehalten, nicht gehoben, ihr Gang ist wunderlich und oft im Staub, oft in Wolken; aber dauern wird sie, alles überdauern; denn bei ihr ist Weg und Wahrheit und Leben und Christus.
Alter an sich und zeitliche Dauer sind keine Kennzeichen der wahren Kirche. Denn es ist aus 2. Thess. 2 klar und offenbar, daß von der Apostel Zeit bis auf Christi Wiederkunft auch der antichristische Widerstand der Wahrheit dauern wird. Aber wer die Zeit überdauert, wer die Welt überlebt, der ist im Siege! Und das ist das Wort und seine Kirche.
Edlere Seelen werden durch den Beweis, der aus der Mehrzahl genommen ist, gewis nicht geblendet. Sie werden nicht eben behaupten, daß die Mehrzahl gar nie auf Seiten der reinen Lehre und Kirche gewesen sei, sie werden den Ruhm der Mehrzahl aus dem Munde eines Cyprian für dessen Zeiten achten. Viel weniger werden sie aus dem Worte Gottes vom schmalen Weg und von der kleinen Heerde den Schluß ziehen, daß die Kirche allezeit klein und unscheinbar sein müße. Geht auch immer aus jenen Stellen hervor, daß im Vergleich zu der Schaar, die verloren geht, die Kirche immer nur eine kleine Heerde sei und bis ans Ende bleibe; so ist ihr doch eben damit auch eine so weite Gränze gesteckt, daß sie eine kleine Heerde in dem Sinn auch dann bliebe, wenn alle Berufenen in allen Particularkirchen wahre Christen wären; sie kann daher innerhalb ihrer Gränzen gewaltig zunehmen, Zeiten des Ruhmes und des Glanzes haben. Sie kann, sie wird es auch zuweilen; aber sie muß nicht; sie kann innerhalb ihrer Gränzen, im Vergleich mit sich selber größer, kleiner, sehr groß, sehr klein sein. Es ist die Wahrheit nicht allezeit mit einer gleichen Zahl von Bekennern umgeben. Die Zahl ist ein adiaphoron und accidens, worauf es nicht ankommt, – und es ist darum nie zu fragen, wie viele bekennen, sondern was sie bekennen. Wort, Bekenntnis, Lehre – das ists gar, alles andere wechselt. Wenn die Kirche nur apostolisch ist, dann ist sie groß genug bei jeder Anzahl; – das Wort katholisch wird nicht durch eine Normalzahl, sondern durch die Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes recht erklärt, welche die reine Lehre und Kirche gerne am weitesten verbreitet sähe und verbreiten würde, wenn nicht die Menschen durch ihre Bosheit ihr widerständen. Denn die Gnade tritt nach unabänderlichem Beschluß des HErrn vor keinem Widerstand zurück, als vor dem des boshaften Menschenherzens.
Ganz anders, viel wahrer zugleich und viel höher klingt es, zu sagen: Zwölf Männer, ungelehrt, niedrigen Standes, haben durch nichts anderes, als durch treues, einmüthiges Bekenntnis eine der menschlichen | Vernunft und Eigenliebe widerstrebende Lehre in kürzester Frist, in wenigen Jahrzehnten unter alle Völker verbreitet und Eine katholische Gemeine aus allen Völkern und Sprachen und Zungen gesammelt! Das wäre eher ein Beweis für die in ihren Anfängen so kleine, dem Senfkorn vergleichbare Kirche. Das wäre aber auch geradezu ein Gegenbeweis für den Beweis von der Mehrzahl; denn es bewiese eben, daß es zur Ueberwindung der Welt nicht vieler Menschen, sondern nur des allmächtigen Beistandes der Wahrheit bedürfe. Es bewiese, wie gesagt, daß es nicht auf die Zahl, sondern auf das Gewicht der Stimmen ankomme. – Ganz anders wiederum ist es jetzt, nachdem die Kirche Gottes durch das Zeugnis der Jahrhunderte auch in der Welt eine Anerkennung fand. Es ist keine Schande mehr, vor Christo Kniee zu beugen. Die Kirche ist durch die Geschichte von 1800 Jahren als der höchste, schönste Gedanke kundgegeben. Nun läßt sich die Welt selbst unter die Bekenner einschreiben und bekennt auch mit bis auf gewisse Punkte. Viele von der Landstraße und von den Zäunen sitzen mit Abrahams, Isaacs und Jacobs Kindern zu Tisch. Da ist die Mehrzahl kein Zeichen mehr, daß der HErr vorhanden ist. Im Gegentheil, es könnte kommen, daß nicht blos auf römischer, sondern auch auf lutherischer Seite noch zu viele wären, daß der HErr, ehe er seine großen, letzten Siege durch seine Kirche erficht, seine kleine Heerde wie am Tage Midians noch sichten und kleiner machen muß durch das Schibboleth eines reinen Bekenntnisses! So wenig könnten wir uns um den Beweis der Mehrzahl zu kümmern haben, daß wir im Gegentheil noch fragen dürften: „wer ist zu viel, wer verdirbt die Gemeine, wer hindert durch sein Dasein das Werk, wer soll von uns fliehen, von uns getrieben werden“? So wenig dürfte uns am Ende unsre Zahl kümmern, daß wir froh sein dürften, wenn von uns gienge, was nicht zu uns gehört! Es ist traurig in Bezug auf die Seelen, die durch die Sonderung verloren gehen; aber es ist eben doch wahr, daß tausend wahrhaftige Bekenner, die von Millionen übrig blieben, durch Stärkung ihres Geistes und Lebens den Beruf der reinen Particularkirche leichter erfüllen, als Millionen, unter denen die Tausend nicht | zu Macht und Sprache kommen können, weil Sünd und Bosheit zeitlich lauter tönen und leichter Macht gewinnen. – Wenn die Mehrzahl gälte, wie sollte es denn am Ende mit der Kirche stehen, von welcher Luc. 18, 8. geschrieben steht: „Meinest du auch, des Menschen Sohn werde Glauben finden auf Erden, wenn Er kommen wird“? Und was in aller Welt sollten dann Stellen besagen, wie Offenb. 13, 8.: „Alle, die auf Erden wohnen, beteten das Thier an, deren Namen nicht geschrieben sind in dem lebendigen Buch des Lammes, das erwürget ist von Anfang der Welt“ (cf. 17, 1 ff. 15.)?
Bis geschieht, was wir hoffen, was wir bereits nicht mehr blos ahnen, sondern dem Anfang nach mit Augen sehen, freuen wir uns, daß auch die Väter der Kirche auf unsrer Seite stehen und aus der Mehrzahl keinen Beweis, kein Kennzeichen der Kirche machen. Nur weniges hier zum Beleg. Die Leser werden sich freuen, das Altertum, den Hort der schriftscheuen Römer, so evangelisch reden zu hören.
Justinus M. fragt: „Warum sind die Anhänger der reinen Lehre und eines reinen Sinnes Gott allein angenehm, da sie doch den Griechen, Juden und allen Ketzern an Zahl nicht gleichkommen, sondern ihnen weit nachstehen?“ „Das macht – antwortet er selbst – daß von der Minderzahl der Rechtgläubigen irgendwo gesagt ist: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt!“
Athanasius beruft sich auf dieselbe Stelle der h. Schrift und spricht: „Werden wir nicht auf Gott hören, der da spricht: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt!“? Und wiederum: „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden!“? Welcher Vernünftige wird nun nicht lieber bei den Wenigen sein mögen, die auf schmaler Straße zum ewigen Leben gehen, als sich denen beigesellen, die auf breiter Straße zum Verderben wandern?
Basilius verweist auf die drei Männer im Feuer und spricht: | „Sie lehren uns thun, was uns ziemt, wenn uns auch niemand beistimmt. Mitten aus der Flamme lobten sie Gott. Sie sahen nicht an die Menge, die ihnen widersprach, sondern waren zufrieden, daß sie einig waren, obschon nur zu dreien.“ Und als der arianische Kaiser Constantin den B. Liberius, der ihm widerstand, fragte: „Der wie vielste Theil des Weltkreißes bist denn du, daß du also widersprichst?“ antwortete auch der: „Durch meine Vereinzelung und Einsamkeit verliert das Wort der Wahrheit nichts. Es waren einst auch nur drei, welche dem Edict des Königs widerstanden“. –Gregor v. Nazianz redet in hohem Schwung von der Zahl der Kirche. „Wo sind sie, ruft er, die die Kirche nach der Zahl beurtheilen und die kleine Heerde verachten, – die die Gottheit mit Maßen meßen und das arme Volk der Erde so übermäßig schätzen, – die den Sand groß achten und die Lichter der Welt verächtlich ansehen, – Muscheln sammeln und Perlen verachten? Sie haben das Haus, wir den Bewohner; – sie haben den Tempel, wir aber den Gott, der in dem Tempel wohnt; ja wir sind selber des lebendigen Gottes Tempel, lebendige Opfer, geistliche Brandopfer. Jene haben Volkes die Menge, wir die h. Engel, – jene Verwegenheit und Kühnheit, wir Glauben, – sie Drohungen, wir Bitten und Gebete, – sie Silber und Gold, wir die lautere Lehre des Glaubens.“
Aehnlich predigt Chrysostomus: „Was ist nützer, viel Heu haben oder wenig Edelsteine. Nicht in der Zahl beruht die wahre Mehrheit, sondern in der Trefflichkeit der Kraft. Elias war nur Einer, aber die ganze Welt konnte ihn nicht aufwiegen.“
Augustinus spricht: „Willst du gerecht sein, so zähle nicht, sondern wäge. Bring eine richtige, nicht eine trügerische Wage herzu, darum, daß du ein Gerechter genannt bist. Von dir steht geschrieben: „Die Gerechten werden es sehen und sich fürchten.“ Darum zähle nicht die Schaaren von Menschen, die auf breiten Straßen wandeln, die morgen sich zahlreich versammeln und der Stadt Fest mit großem Geschrei feiern werden, die Stadt selber aber mit ihrem schlimmen Wandel in Verwirrung setzen. Acht ihrer nicht! Ihrer ist viel und wer zählt | sie? Wenige aber sind es, die auf dem schmalen Wege gehen. Bring die Wage herzu, sag ich dir, und wieg! Sieh dann wie viel Spreu auf wenig Körner geht. (Vide pauca grana, quantam paleam leves.)Arnobius schreibt: „Ganz wohl vermag die christliche Religion ohne Anhang zu stehen, und nicht damit wird sie als wahr erwiesen, daß ihr viele Leute Beifall geben, daß sie Ansehen von Menschen nimmt. Sie ist mit ihren Kräften zufrieden und ruht auf den Grundfesten ihrer Wahrheit. Sie wird ihrer Kraft nicht beraubt, auch wenn sie keiner vertheidigt, ja wenn alle Zungen sich wider sie erheben und anstrengen und sich leidenschaftlich zusammenschwören, ihren Glauben auszurotten.“
Tertullianus hält es für leichter, mit einem großen Haufen zu irren, als mit wenigen die Wahrheit liebend zu umfaßen. Und Hieronymus sagt einem Pelagianer geradezu: „Daß du viele Genoßen hast, macht dich mit nichten katholisch; im Gegentheil, es beweist, daß du ein Ketzer bist.“ (Multitudo sociorum nequaquam te catholicum, sed haereticum esse monstrabit.)
Es ist doch so einfach, und die Sache ist so klar. Wie nichtssagend, blendend allein für Geblendete ist das Geschrei der Menge und das Geschrei von der Menge! – Unsere Gegner selber müßen uns, wollen sie ehrlich sein, beistimmen, wenn wir die Kirche an ihrem Wort, nicht an ihrer Zahl erkennen: unter andern Umständen würden sie selbst den uralten Beweis belieben. Die Wahrheit ist Wahrheit, auch wenn sie in der Welt ganz einsam stünde. Sie war, was sie ist, ehe der Welt Grund gelegt ward, und wird dereinst auf unserm Staube stehen. Was Menge? Nur das Apostolische ist katholisch, und wer es hält, seien es viele oder wenige, die gehören zur katholischen Kirche und können ihrer Gemeinschaft gegenüber unreineren Particularkirchen gar wohl den edlen Namen zueignen. Per synecdochen nenne sich die lutherische Kirche getrost auf Erden katholisch; sie schlägt damit die ihr unbekannten Kinder Gottes in anderen Gemeinschaften mit nichten ins Angesicht, vielmehr werden diese dermaleins selbst das Amen dazu sprechen. Als man 1528 im Lande zu Franken reformirte, bewies der Abt Schopper von Kloster Heilsbronn vor dem Markgrafen und seinen | Ständen, daß man zu der alten katholischen Kirche zurückkehren müße, weil die römische, die sich in der Welt breit mache, die alte katholische d. i. apostolische Lehre verlaßen habe. Was er bat, war Schutz und Emporbringung der uralten katholischen Lehre. Der Mann hatte die offenbare Wahrheit zur Seite! Und wir sollten sie nach weiteren Erfahrungen dreier Jahrhunderte verlaßen? Das sei ferne! Im alten Wellenländchen Gottes, im Frankenlande, – allüberall im deutschen Lande, wo man die Augen im Haupte und Gottes Wort im Auge hat, sei Gott gefragt und nicht das zahllose Gras der Menschheit, das heute steht und morgen im Ofen liegt. Was Gott sagt, ist recht, – und das ist die rechte Kirche, die da vor Gottes Wort Herz und Haupt neigt und Kniee beugt!
Jedoch, wir wollen diese Einigkeit näher beschauen. Sie beruht auf dem Primate Petri und auf der Lehre von der Succession der Bischöfe. Der Apostel Petrus, so sagt man, war der Fürst der Apostel, das Haupt der Kirche. Sein Nachfolger im Bisthum nicht allein, sondern im Apostolate ist der Bischof von Rom. Die Bischöfe von Rom vererben einander die apostolische Gewalt, – und von ihnen ergießt sich alle Amtsgnade und Gabe auf die andern Diener der Kirche herab. Wer seine Weihe nicht im Zusammenhange mit dem Primate der Christenheit durch Vermittelung eines mit dem römischen Bischof in Gliederung und Verbindung stehenden Bischofs erhält, sehe zu, wie er Amt und gutes Gewißen behalte.
Wie manchem Menschen ist durch dergleichen prächtige Reden und | durch Lobpreisung der römischen Hierarchie ein so starker Rauch gemacht worden, daß er sich nicht mehr zu helfen wußte! Und wie leicht ist doch Luft und Licht zu bekommen, wenn man nur den Grundsatz allzeit treulich hält, daß nichts, als was das göttliche Wort befiehlt und einsetzt, eine göttliche Ordnung und für die Gewißen der Menschen verbindlich sein könne. Am Lichte des göttlichen Wortes zerfließt das ganze prächtige Schreckbild römischer Hierarchie und Succession so schnell in Nebel und nichts.Es gibt auch eine Succession, aber nicht der Orte und der Personen, sondern der Lehre. Die Lehre stirbt nicht aus und wohin sie wandert, da ist die rechte Kirche, da die rechten Bischöfe, die rechten Priester. Wo sie nicht ist, da ist alle andere Succession ein leeres Prophetengrab, eine leere, ja eine mit Moder und Raub gefüllte Schüßel. Wenn uns nur diese Succession der Lehre bleibt, dann fehlt es an Kraft und Leben nicht, auch vor der Menschen Augen zu beweisen, daß eine Kirche da ist! Auf diese Succession soll man dringen, dann fehlt nichts, – am wenigsten rechtmäßige Berufung der Lehrer, Handauflegung, Gebet, Segen und Gaben des h. Geistes zum h. Amte.
Es ist ein Wunder über alle Wunder, weißt du welches? Nicht der römische Bau, der mit Händen gebaut und von Menschen errichtet ist, der sich hält nicht nach der Verheißung des HErrn. Der Wunderbau, von dem wir reden, ist nicht also gebaut. Der Bau, den ich meine, ist die Kirche des HErrn. Gleich dem Himmelsbogen scheint sie leicht gegründet; denn dem armen Erdbewohner scheinen nur irdische, menschliche Gründe und Grundfesten haltbar. Aber sie ist nicht leicht gegründet, denn sie ruht auf dem ewigen Worte. Das Wort bleibt bis ans Ende, bis ans Ende Gottes Schwur, daß es nicht unverrichteter | Dinge heimkehren soll, bis ans Ende die Kirche, das Werk des Wortes, welches Gott beschworen hat. Auf das Wort laßt uns schauen, im Worte einig sein! Es verkündigt sicherer, als der Regenbogen, Gottes Gnade und die Dauer der Kirche. Mögen unsrer Kirche Verfaßungen, ihre Ordnungen, ihre Zucht weit hinter dem zurückbleiben, was sie sein sollten und könnten! Mögen wir das beweinen! Zu verzagen ist deshalb nicht. Die Kirche bleibt in der Wüstenei, bleibt duftend, wie die Rose auf Dornen, so lange nur Wort und Lehre leben und im Schwang gehen. Es ist alles zu hoffen, wenn das Wort und die Lehre walten. Darum vor allem ums Wort laßt uns beten. Verfaßung, Ordnung, Liturgie und Zucht können mangeln und dennoch Tausende selig werden, wenn das Wort nur da ist. Am Wort liegts gar. Wir können es nicht entbehren! Keine Vergebung, kein Friede im Leben, keine Hoffnung im Tode, keine Seligkeit im Himmel, – kein Vaterunser hier, kein Halleluja dort gibt es, wenn wir das Wort nicht haben! Ums Wort beten wir unbedingt! Fürs Wort geben wir alles andre! Die ganze Welt schenken wir nöthigen Falls dem Römer, wenn wir das Wort behalten. Das ist mehr als Episcopat, mehr als Succession, – es ist die Quelle von allem Guten und der Tod aller Eitelkeiten!
Indes wäre es gerade unsern römischen Gegnern nicht nöthig, sich den Ruhm eines heiligen Lebens anzumaßen und uns das Gegentheil aufzurücken. Denn so ist der Ruhm gemeint. Die Klagen der älteren Zeit über das Leben des römischen hohen und niederen Clerus, der Mönche und Nonnen und des römischen Volkes überhaupt sind noch nicht verstummt. Oft findet man selbst bei den römischen Gemeinden, welche mitten unter Protestanten wohnen, eine Rohheit und Bosheit, durch welche sie in ganzen Gegenden ausgezeichnet sind, da sie doch schon der Gegensatz – unreiner Maßen zwar – erwecken könnte, ihrem Glauben durch äußeres Wohlverhalten Ehre zu machen. Manchmal erweckt auch der Gegensatz Achtsamkeit, und man erkennt zuweilen gerade im Vorhandensein benachbarter Protestanten den Grund und Reiz zu äußerlicher Ehrbarkeit. Von den rein römischen Gegenden und Landen her dringt auch jetzt noch kein sonderlich gutes Gerücht. Wir wollen diesen Punkt nicht sonderlich hervorheben, so sehr wir es vermöchten. – Die protestantischen Particularkirchen brauchen das anlangend die Vergleichung mit den römischen Gemeinden nicht zu scheuen. Wäre die Heiligkeit des äußerlichen Lebens wirklich ein Kennzeichen der wahren Kirche; so würde der Sieg sich leicht auf unsere Seite neigen.
Wir wißen es wohl, daß unsre Gegner gerne auf den Mann Luther deuten und allen Fleiß anwenden, um ihm ein übles Gerücht | zu machen. Allein angenommen, Luther wäre so gewesen, wie sie sich ihn mit den Farben des eigenen, oftgesehenen Lebens gerne malen, was läge denn daran? Ist ers, an den wir glauben? Ist er für uns gestorben? Sind wir auf seinen Namen getauft? Ist er das Haupt der Kirche, das keinen Flecken haben darf? Wahrlich, wie Luther gelebt habe, das ist am Ende so gleich viel für den Bestand der Kirche, als irgend etwas. Es ist geringe Schlacht gewonnen, wenn Luther vom Schmutze seiner Feinde rein gewaschen ist. Es kann dies auch mit leichter Mühe geschehen. Zuweilen Muthwille, zuweilen ein zorniges, scheltendes Wort für die, welche an ihm und der Kirche am Ende viel mehr verdient haben, – das ists alles, was wir auf Luther müßen sitzen laßen. Dagegen ist es schamlose Frechheit, dem Manne nicht zu laßen, was er hatte und was je und je nur Bosheit und Neid unter tausendfachem Widerspruch begeifern konnte, – ein reines Leben. Thorheit der Gegner, an dem Einen Heros den Zorn auszulaßen, da sie Gefahr laufen, daß wir ihnen für alles, was sie an Luther tadeln, eine tausendfache und unwidersprechliche Antwort aus dem Leben so vieler Päpste, Cardinäle, Bischöfe, so unzähliger Mönche und Nonnen geben! Sie thun, als würden wir mit Luther alles verlieren. Sie vergeßen, daß es herrlich wäre, wenn von den Gliedern unserer Kirche nie anderes und nie mehr, und nie mit mehr Wahrheit gesagt werden dürfte, als was gegen Luther gesagt wird. Keine reinere Kirche, als die lutherische, wenn man sich gegen sie und ihre Glieder nur durch Lügen einen Schein geben kann!
Daß die Wunder und Weißagungen der Propheten und Apostel der Wahrheit den Weg zu den armen Menschenkindern bahnen halfen, ist gewis. Die Wahrheit bedarf der Wunder und Weißagungen freilich nicht, sie ist über beiden, und offene Augen erkennen sie an dem ihr eigentümlichen Wesen und an der ihr eigentümlichen Sprache auch ohne Wunder. Aber es gibt viele Einfältige, viele von Vorurteilen Eingenommene, viele Träge und Schwache, welche der Wahrheit kein Ohr verleihen, wenn sie nicht auf irgend eine Weise besonders aufgeweckt und aufgerüttelt werden. Für sie sind Wunder und Weißagungen besondere Gnadenwohlthaten Gottes. Darum würde sich auch, wie wir mit den alten Kirchenvätern zugestehen, der schnelle Lauf des Evangeliums ohne die mitfolgenden Zeichen und Wunder nicht wol begreifen laßen, ohne ein Wunder anzunehmen, welches denn doch alle wirklich vorgekommenen Wunder überträfe.
Bei diesem Unterschiede, welcher unter den Wundern und Weißagungen zu machen ist, erhellt es, daß sie keine Kennzeichen der Kirche sein können. Sie bedürfen erst der Sichtung und eines Kriteriums, welches eben in dem reinen Worte und dem wortgemäßen Bekenntnis der Kirche liegt. Sie legen kein klares Zeugnis ab; sie fordern ihrer Natur nach zur Prüfung auf, – und das um so mehr, als die Kirche diese ungewissen Zeugnisse nicht einmal alleine hat, sondern Ketzer, Heiden und der Antichristus sich derselben auch rühmen und rühmen werden.
Uebrigens ist nicht abzusehen, warum sich unsere Gegner so gerne der Wunder rühmen. Die Wunder, welche in den ersten Jahrhunderten geschahen, geschahen nicht zu Gunsten der römischen Kirche – und wenn bei den Missionen späterer Zeiten sich wunderbares ereignet hat, war es ja wieder nicht zu Gunsten römischer Irrlehren. Kam aber unter dem Tone einer der Schrift widersprechenden Lehre wirklich wunderbares vor; so entbehrt es ja des göttlichen Ursprungs, da Gott dem Irrtum nicht durch Wunder zum Siege hilft. Und die neueren Zeiten, welcher Wunder könnten sie sich zu Gunsten der römischen Kirche rühmen? Wunder, wie sie ein Ratisbonne erfuhr, sind wahrlich ohne Mühe zu erklären, auch wenn sie nicht durch Bilderdienst gerichtet erscheinen. Und Wunder, wie sie der etwa heilige Rock von Trier thut, vermag auch eine einfache, dem nervenschwachen Geschlechte der Zeit imponirende Persönlichkeit – sei sie jüdisch oder muhamedanisch oder heidnisch – hervorzubringen. Wie viele Dinge dieser Art sollte man wol, wenn daran gelegen wäre, bei uns zu Tage fördern können! | Wir brauchen nicht auf Luther zurückzugehen, der so manches Wunderbare gewirkt hat, den man schon um dieser Dinge willen, wäre er römisch, zu Rom canonisiren würde! Es liefert jede Zeit unserer Kirche genug solcher Vorfälle, mit denen man Ratisbonnes Muttergottesbild und den Rock von Trier übertreffen könnte. – Eben so ist es mit der Weißagung, welcher sich zu rühmen die Gegner in dieser Zeit wahrlich keine Ursache haben.Möchten nur namentlich die Diener unserer Kirche der wunderbaren Gabe wahrnehmen, welche ihnen in dem reinen Worte und Gebete verliehen ist. Möchten sie aufhören, dadurch, daß sie Melancholische, Angefochtene oder beseßen sein Sollende von sich weisen und sie wie Narren behandeln, ihre eigenen Gemeindeglieder in die Hände und unter die Sprengwedel der Römer zu liefern! Möchten sie aufhören, durch Trägheit und Abstoßen Hilfsbedürftiger einen Anlaß zu geben, daß sich der Römer der Wunder an ihren Schafen rühmt! Es ist Zeit, daß man Gottes Wort und Gebet gebrauche und das Kirchengebet zum Segen aller Leidenden übe! Die vorhandene Gabe kann schlafen, aber auch erweckt werden. Der HErr hat unsre Kirche mit der Gabe des Gebetes nicht verlaßen, Er vernimmt und erhört ihr Schreien. Wo man die Gabe gebraucht, erkennt man bald die Hilfe und kräftige Erhörung, durch welche allerdings das lautere Wort und dessen größerer Segen dem Volke desto mehr empfohlen wird. – Der HErr sei mit uns! Sein Segen und die Gaben Seiner Gnade mögen bei uns sein und bleiben, auf daß man erkenne, der rechte Gott sei zu Zion!
- ↑ S. Luthers Auslegung des 4. Gebotes im großen Catechismus.
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