Der bayerische Dichter Franz Bonn

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Joseph Kehrein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der bayerische Dichter Franz Bonn
Untertitel:
aus: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, Band 88, S. 593–607
Herausgeber: Edmund Jörg, Franz Binder
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: In Commission der Literarisch-artistischen Anstalt
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[593]
XLIV.
Der bayerische Dichter Franz Bonn.

Das Schierlinggewächs der Satire und Ironie wuchert überall und treibt giftreiche Dolden. Auch der Humor sproßt üppig hervor und schießt allenthalben in’s Kraut. Je weniger also Ueberfluß an ächter und gesunder Waare, desto freudiger begrüßen wir frische Blüthen und Ranken, welche auf wahrhaft ethischem Boden gedeihen. Dazu zählen die Schriften von Franz Bonn.

Unser Autor, welcher am 18. Juli 1830 zu München geboren wurde, widmete sich, nachdem er das Gymnasium absolvirt hatte, der Jurisprudenz, trat 1857 als Staatsanwaltssubstitut in den Dienst der reinen Justiz und avancirte in richtiger Folge und ohne besondere Verzärtelung bis zum Staatsanwalt am Oberlandesgericht in München, nachdem er 14 Jahre lang in Donauwörth, Ansbach und Bayreuth die Süßigkeiten des Lebens in der Provinz zur Genüge durchgekostet hatte. Ende 1880 folgte er einer höchst ehrenvollen Berufung in den Dienst des Fürstenhauses Thurn und Taxis als Präsident der Domänen-Kammer und Direktor des fürstlichen Civil-Collegialgerichtes II. Instanz in Regensburg.

Bonn’s Universitätsjahre fielen in die Uebergangszeit, welche nach dem Sturze jener edlen Kämpen, die gegen die spanische Tänzerin das Schwert der Entrüstung zu schwingen wagten, die „neue Aera der Wissenschaft“ herbeiführen sollte. [594] Unter den Berufenen war auch Dr. Martin Deutinger, welcher das christliche Princip der Philosophie mit der ganzen Wucht seines vielseitigen Wissens verfocht. Mit seinem farbenglühenden Redefluß und der sprühenden Heiterkeit seines Geistes übte er gleich einem Zauberer großen Einfluß auf einen Theil der Jugend. Anderseits war an dem wetterschweren Nachthimmel der grollenden Revolution plötzlich, gleich einem Lichtgestirn, die süße Dichtung der „Amaranth“ aufgegangen und stimmte alle unbefangenen Seelen zu sanfter, schwärmerischer Lyrik. Franz Bonn gewann, durch den persönlichen Umgang mit Deutinger und Redwitz gefördert, die entscheidende Bestimmung, faßte festen Fuß auf dem positiven Boden und errang jene leichte spielende Form des Vortrags, zwei Vorzüge, welche in seiner durchweg graziösen Natur gleich einem werthvollen Rohmaterial schon reichlich vorhanden lagen.

Der ersten Frucht – die vorwiegend lyrische Dichtung „Wolfram[1]“ – welche unser junger Poet vom Baume der Erkenntniß brach, fehlte natürlich die völlige Reife. Sie litt an einer weichen Sentimentalität und Selbstgefälligkeit. Die jungen poetischen Geister coquettirten mit einer entsagungsbereiten Demüthigkeit und Opferwilligkeit, die ihnen gar nicht ernst war. Jeder dürstete nach Ruhm und jugendfrohem Lebensgenuß, und die Opferströme von Weihrauch, welche der Eine, eben nicht zu seinem geistigen Wohlseyn, in unförderlichem Quantum genoß, störten ihre Träume. Dem Dichter des „Wolfram“ aber erwuchs davon ein doppelter Nachtheil. Einerseits hatte er gewagt, seinen Stoff in die Gegenwart zu verlegen und dadurch auf das malerische romantische Costüm zu verzichten, welches einen so mittelalterlichen Schimmer um die „Amaranth“ wob. Sodann erschien der „Wolfram“ zu einer Tageszeit, in welcher sein [595] Vorbild schon zum Untergang neigte, wo die erste Begeisterung durch die allzueilig nachfolgende „Sigelinde“ und das „Märchen“ wieder abgekühlt und ernüchtert war. So blieb die erwartete Wirkung aus, obwohl der „Wolfram“ viele gute Lieder-Perlen enthielt.

Auch über dem kleinen Epos „Schott von Grünstein“, angeblich „nach einer Rheinsage erzählt“ (Stuttgart 1855 bei Gebrüder Scheitlin 127 S. 12°) schimmerte kein glücklicheres Schicksal, obwohl eine kritische Stimme in der Augsburger Postzeitung vom 28. Oktober 1855 (Beilage Nr. 246) in dieser Dichtung „dem Wesen nach wirklich erreicht und gegeben fand, was von Redwitz vergeblich angestrebt und gefehlt worden sei“. Die kurzen wohlgereimten Verspaare erinnern theilweise an Kinkels „Otto der Schütz“; die Idee, daß durch Entsagen die Treue sich bewähre und die Liebe lohne, schien wieder ächt amaranthen.

Indessen war das nur die eine Seite unseres Poeten; die andere gestaltete sich rein polemischer Art. Das Bewußtseyn, einer Coterie gegenüber zu stehen, welche jeden nicht zum Bunde gehörenden Neuling im voraus abwies; der Unmuth, diese undurchdringliche Phalanx von Leuten gebildet zu sehen, welche die hohe Himmelsgabe auf das schnödeste mißbrauchten; der Zorn über die völlig verzerrte Natur, womit diese Herren in der Welt ungebührliches Glück machten und mit Reimgeklingel und leerer Bilderjagd ihren Wahnwitz methodisch und musterhaft fixirten: das Alles kochte über in den „Lavagluthen“, womit der Dichter unter der Maske eines „Freiherrn von Rachwitz“ an den als Dedication vorausgesetzten Berühmtheiten eine witzige Rache vollzog. Die „Lavagluthen“ erschienen zuerst theilweise in den Münchener „Fliegenden Blättern“ (Nr. 366 und 367), sodann sämmtlich in dem 1854 bei Herder in Freiburg ausgegebenen poetischen Taschenbuch „Aurora“[2]. In dem [596] Schifflein dieser lyrischen Sängerfahrt saßen nur einige wenige Minstrels, welche, um den Mangel einer zahlreicheren Massenie zu decken, sich wieder mehrfach hinter allerlei hochklingende Pseudonyma vermummten. So war Franz Bonn außer durch seine Symphonie in Weh-Moll auch als Fr. v. Münchberg mit lyrischen Gedichten vertreten, von welchen wir besonders „die Beichte“ hervorheben möchten. Der Wille dieser fröhlichen Jugend war gewiß ehrenwerth und gut, nur ihre Kraft verschieden. Zum Bedeutendsten gehörten die Beiträge von Joh. Schrott, welcher außerdem, wenn wir nicht irren, hinter einem „Theodoret Volker“ steckte und auch sonst durch allerlei Anonyma vertreten seyn mochte.[3]

Die „Lavagluthen“ waren direkt an die Nachzügler Jung-Deutschlands gerichtet und speciell an Karl Beck, Alfred Meißner und Ferdinand Freiligrath adressirt, deren bombastischer Schwulst und atheistische Renommage trefflich persiflirt. Der Titel schreibt sich daher, daß der Poet, die Weltschmerz-Sänger carikirend, ausruft: sein Lied ströme wie rothe Lava aus dem Vesuv seiner Brust, bereit alle Leser zu einem Herculanum einzuäschern! Man glaubt den Schelm mit vollem Gesichte lächeln zu sehen, wenn er in Karl Beck’s Manier den „Weltgeist“ besingt:

Ihr Ströme seid des Weltgeist’s Riesenthränen,
Er weint euch in der Nächte stillem Walten;
Kaum mag er länger mit den Felsenzähnen
Des Himmels lange Wolkenfetzen halten.

Er wühlt sich in des Waldes Tannenhaare
Mit seiner Hände stürmendem Orkane,
Dann aber mit dem wallendem Talare
Erscheint er auf der Sterne Goldaltane.

Der Mond ist seines Turbans Lichtagraffe,
Der Erde Blumen – Stickerei am Saume,
Der Dichter aber ist des Weltgeist’s Waffe,
Mit der er fuchtelt, wie der Held im Traume!

[597] Wenn man sich an die Traum-Fuchteleien erinnert, mit denen Karl Beck in seinem „Fahrenden Poeten“ herumwarf, wie z. B.: sein Haar sei „wild gebäumt!“ oder auf seiner Stirne trage er eine schwarze Locke „als gottesläugnerisches Fragezeichen,“ oder wenn er den – Kaffee besang als die gebräunte Bohne, „der Dichternachtwacht schmerzliches Symbol“: so muß man sagen, daß der edle Freiherr von Rachwitz zu seinem Auftreten volle Berechtigung hatte. Aber auch Andere werden abgepritscht, wie z. B. der arme Julius Mosen, welcher von den in seinem „Haupte bellenden Gedanken-Hunden“ faselte, dazu das phantastische Pathos Freiligrath’s:

Es lagert in der Wiege Felsgestein
Sich stumm die Nacht, ein schwarzer Negerknabe,
Am Himmel aber geht der Mondenschein,
Ein greiser Bettler mit gekrümmtem Stabe.

Die Wellen spielen leise in dem Grund,
Sie wollen weiß den Negerknaben waschen,
Und wild zum Monde bellt ein Wolkenhund
Den bleichen Alten beim Gewand zu haschen.

Der Dichter aber sinnt, gestützt das Haupt,
Hinaus zum Fenster mit beredtem Schweigen –
Indeß der Geist in seinem Hirne schraubt
Begriffe, die sich selber übersteigen!

Glaubt man nicht Alfred Meißner’s grimmen Weltjammer zu hören, wenn unser Harlequin also anhebt:

Es ist mein Herz so wüstendürr,
Du bist die grünende Oase,
Es ist mein Geist so sandeswirr,
Als ob ein heißer Samum blase.

[598]

Der wilde Sprößling der Savanne,
Mein Schmerz, das ist der Wüstenleu,
Es zieht die dunkle Caravanne
Der Träume Zug an ihm vorbei.

Und eine Schaar von Beduinen,
Mit bleichen Mänteln angethan,
Folgt wild der Schwarm der Zweifel ihnen
Mit geistgeschliffnem Yatagan.

Die vertrakte Tollheit mit dem „geistgeschliffenen Yatagan“ ging eine Zeitlang sprüchwörtlich und war nahe daran ein „geflügeltes Wort“ zu werden. – Man sollte glauben, dergleichen sei selbstverständliche Ironie. Und doch fehlte es nicht an oberflächlichen Kritikern, welche, wie bei einem späteren Produkte von Bonn’s Humor, die Sache ernst nahmen. Der Autor hatte in der lustigen Vorrede die Behauptung hingeworfen, daß, wenn seine Vorbilder für große Dichter gelten, der auf ihren Schultern stehende der größte Dichter seyn müsse. Das nahmen ihm die Hochwohlweisen gewaltig übel und – kugelten in die Falle. Die „Lavagluthen“ waren also ein neuer „Mann im Mond“, welchen ehedem Wilhelm Hauff auf den längst vergessenen „Clauren-Heun“ gemünzt hatte, oder eine Art literatur-historischer Komödie.

Eine Sammlung von Bonn’s da und dort zerstreuten lyrischen Gedichten liegt bis jetzt nicht vor. Wie wahr und ächt aber zu guter Stunde seine poetische Empfindung ist, davon mag als Probe eine seiner im Münchner Album von 1856[4] abgedruckten Poesien, „das Blumenmädchen“, zeugen:

„Veilchen, Herr! ach kauft das Veilchen!“
Kam das Blumenkind gelaufen,
Sah mich an mit stummer Bitte,
Daß ich sollt das Veilchen kaufen.

[599]

Und mir war, als wär’ es selber
So ein stummes, blaues Veilchen,
Das der schnöden Welt verkauft wird,
Wenn’s geblühet hat ein Weilchen.
Und ein tiefes, banges Mitleid
Hat mich traurig überkommen,
Da ich aus des Elends Händen
Mir des Frühlings Gruß genommen.
Doch der Blume süßes Duften
Hat den Trost mir zugesprochen:
Gott wird nicht die Blume richten,
Sondern den, der sie gebrochen.

Gleichzeitig cultivirte Bonn mit glücklichem Erfolg das Gebiet der Jugendliteratur. Die jetzt in siebenundzwanzig Jahrgängen vorliegenden „Jugendblätter“ von Isabella Braun – dieser in ihrem Bereich mit unermüdlicher Ausdauer und einer über alles Lob erhabenen Hingabe wirkenden Schriftstellerin – enthielten beinahe alljährlich auch Beiträge von F. Bonn, sowohl in Form von heiteren Erzählungen als auch im dramatischen Gewande. Ebenso enthält die „Deutsche Jugend“ (Leipzig bei Alphons Dürr) viele treffliche Beiträge aus Bonn’s Feder und sind einzelne seiner Erzählungen in die Universalbibliothek für die Jugend (Stuttgart, Gebrüder Kröner) aufgenommen. Eine Sammlung daraus erschien unter dem Titel „Jugend-Lust und -Leid“, Stuttgart 1874 (bei Otto Risch 264 S.) und neuestens die „Theaterstücke für die Jugend“, München 1880 (bei Braun und Schneider 266 S. kl. 8°), darunter das Märchen-Lustspiel „Der verzauberte Frosch“ und das komische Singspiel „Der arme Heinrich“, welche, von C. Greith und J. Rheinberger meisterlich mit Musik ausgestattet, ihre Zugkräftigkeit auf vielen Instituts- und Familien-Theatern bewährten.[5]

[600] Daneben lieferte Bonn viele Beiträge zu den „Fliegenden Blättern“ und für die wirklich weltbekannten „Münchener Bilderbogen“ (Verlag von Braun und Schneider). Zu den Ranken und Blüthen seines köstlichen Humors gehörte z. B. die auch in mehrfachen Auflagen erschienene „Lustige Naturgeschichte[6] welcher alsbald eine „allen Freunden der Wissenschaft“ gewidmete, gleichfalls reich und entsprechend illustrirte Botanik“ nebst „Mineralogie folgten. In der Vorrede versicherte der Autor „hie und da sogar mehr als wörtlich“ (!) aus gediegenen Abhandlungen geschöpft zu haben! So heißt es z. B. von der Fledermaus, daß sich dieselbe „in neuerer Zeit als Straußische Operette auf den meisten Bühnen hält und vielen Beifall findet“. Unter den Bären-Arten wird auch der sehr häufig in Familien vorkommende „Brummbär“ aufgezählt; „am zahlreichsten sind jene Bären, welche von den Tagblättern und andern wissenschaftlichen Autoritäten den Lesern und Zuhörern aufgebunden werden. Diese nennt man jedoch auch Enten“! Der Fuchs wird ganz darwinistisch geschildert, „er kommt auf allen deutschen Universitäten vor und sind dessen Wandlungen sehr interessant, indem er gewöhnlich zuerst ein Frosch ist, dann ein Maulesel wird und sich dann erst in einen Fuchsen verwandelt. Als solcher wird er gebrannt und heißt dann Brandfuchs. Die gesuchteste Familie der Füchse sind die Goldfüchse, auf welche die meisten Menschen Jagd machen. Eine sehr bekannte Species ist der Reineke Fuchs, welchen Kaulbach mit Illustrationen versehen hat“. Von den Katzen [601] lesen wir, sie seien „so falsch, daß keine der andern traut. Ihr Jammer wird dem Menschen hier und da sehr lästig, besonders immer am andern Morgen. Der gestiefelte Kater ist ein Märchen, welches die Naturwissenschaft schon längst als solches anerkannt hat.“ Die unlogische Schlumperei, welcher man in der kleinen Tagespresse stündlich begegnet, wird brillant verspottet. Man glaubt wirklich einen politischen Leitartikel der National-Zeitung zu lesen, wenn dem Elephanten nachgerühmt wird, daß man „wegen seines graziösen Ganges sein Gebein das – Elfenbein nennt“. Unter den Beutelthieren sind die Privatthiere (Homines capitales) einregistrirt: „Dieselben leihen gegen 100 Procent Geld aus und fressen gewöhnlich mehr als sie verzehren können. Die feinere Gattung heißt Bankbandit (Latro comercialis) fährt mehrspännig, kommt auch in Bädern vor und lebt eigentlich nur vom Geld. Beide gehören häufig in die Ordnung der Vampyre.“ Dazu gesellt der Verfasser das Faulthier „welches auf Gymnasien und Hochschulen vorzukommen pflegt, für nichts auf der Welt ist und einen sehr üblen Geruch verbreitet. Dasselbe schläft sehr lange, schaut stundenlang zum Fenster hinaus und lebt meist in Kaffeehäusern oder Kneipen“. Als brillante Stylprobe kann auch die Definition des Nashorn gelten: „welches wegen seiner Dummheit in der Gelehrtensprache Rhinoceros genannt wird. Es dient zu Spazierstöcken, Reitpeitschen, Schildern und Cigarrenetuis, hat ein sehr leises Gehör und einen sehr scharfen Geruch, weßhalb es Bäume ausreißt und Alles niederrennt, was ihm in den Weg kommt. Bildung hat es sehr wenig, aber eine starke Haut, weßhalb es mehr ertragen kann, als ein anderer, gewöhnlicher Mensch!“ Um gründliche Definition ist unser Fachmann so wenig verlegen, wie ein geübter Reichstagssprecher: „Die Eidechse ist das Krokodil in Miniaturausgabe, wie solche von den meisten bedeutenden Dichtern veranstaltet werden. Die Eidechse verhält sich zum Krokodil wie die Violine zur Baßgeige, nur [602] daß diese meistens giftig sind, was bei den Eidechsen sehr selten und da nur, wenn sie zornig oder giftig gemacht werden, der Fall ist“.

Wo möglich noch muthwilliger bewegt sich der bewährte Forscher auf dem Gebiete der „Botanik“; er beginnt mit der Anatomie und Organographie der Pflanzen; ihr Elementar- und Grundorgan ist die Zelle. „Die bekanntesten Zellenarten sind: die Klosterzelle, die Gefängnißzelle, richtiger Zellengefängniß oder Bruchsal genannt, die Honigzelle und die Parzelle, letztere häufig im Grundsteuerkataster vorkommend. Die Gazelle gehört dagegen in’s Thierreich“. Unter den Gefäßen wird nur ein steinernes, in süddeutscher, allgemein verbreiteter Stein-Formation abgebildet, die Wurzel nur oberflächlich berührt, desto mehr Betrachtung aber den „Blättern“ zugewendet. Nächst der Wurzel sind „die wichtigsten Organe der Pflanze die Blätter, weßhalb man dieselben auch schlechtweg Organe nennt.“ Der gelehrte „v. Miris“ unterscheidet verschiedene „große und kleine, gute und schlechte, Tag- und Wochenblätter, Fach- und Witz-Blätter; diese letzteren werden im Süden vorzüglich ‚Fliegende‘, im Norden ‚Kladderadatsch‘ genannt. Eine besondere Art von Blättern sind die Schmier- und Schmutz-Blätter. Diese nähren sich von den schlechtesten Eigenschaften der Menschheit und sind deßhalb leider sehr verbreitet. Die Form der Blätter ist verschieden, doch hat jedes Blatt seinen eigenen Styl, welcher mitunter sehr bedenklich ist. So schrieb der Redakteur eines Tagblattes: ‚Zum Schützenfeste brachte schon gestern jeder Eisenbahnzug Fremde von unabsehbarer Länge‘, und ein andersmal berichtete er: ‚In das morgig beginnende Gastspiel der Sängerin Stanioli wird jeder Kunstfreund mit Vergnügen strömen‘. Ist das, was ein Blatt mittheilt, zum größten Theile erlogen, so nennt man das Blatt inspirirt; sind die Nachrichten verfrüht, so heißt das Blatt officiös, kommen sie zu spät, officiell. Die Hauptnahrung beziehen die Blätter durch die Inserate, worunter man jene Gebilde [603] versteht, in welcher sich der Krankheitsstoff der Zeit vorzüglich ablagert“ u. s. w.

Während Herr „von Miris“ mit dem „Nibelungenringerl[7] in heiterster Laune den harmlosen Schnadahüpfelton anschlägt, und mit seinem Literarischen Fund[8] wieder in die Imitationsmanier der Lavagluthen übergeht, indem er angeblich den Nachweis liefert, wie alle neueren Dichter von Göthe und Schiller bis Hermann Lingg und E. Geibel das alte Volkslied „Jetzt gang i’ an’s Brünnele, trink’ aber net“, jeder in seiner Manier variirten – und dieß mit solcher virtuosen Anempfindung, daß einzelne Gedichte für Originalgedichte der Genannten gehalten wurden – schwingt er die Geißel der bittersten Satire in seinem Pädagogisch verbesserten Struwwelpeter[9] über die altkluge Verziehung und Mißbildung der Jugend. Das dünne Heftchen, welches zürnend den Herren Eltern einen lehrreichen Spiegel vorhält, wurde trotz der ausdrücklichen Titelschrift des Verfassers, daß er es für die großen „Kinder von 30 bis 60 Jahren“ bestimmt habe, doch von gewissenlosen Kritikern und von oberflächlichen Zeitungsschreibern, die gleich einer Landplage raupenhaft überall sitzen – als „ächte Jugendschrift für unsere lieben Kleinen“ empfohlen!

Mit der ihm eigenen Vielseitigkeit und demselben glücklichen Erfolg betrat Bonn auch das Gebiet des Romans und des Drama’s. Sein „König Mammon[10] gibt, fast alle socialen Fragen streifend, ein Miniaturbild der heutigen [604] Gesellschaft und ist sonach eine wahre Zeitstudie. Sein Werk ist, wie er mit gutem Bewußtseyn in dem Vorwort erklärt, welches zugleich ein schönes Ehrengedächtniß auf seinen längst verstorbenen Vater enthält, „kein farbenprächtiges Bild in stolzem, breitem Goldrahmen, kein bundgeschmücktes Kind der Zeit, das mit frivolem Witz zu unterhalten, mit verhüllter Lüsternheit zu reizen versteht. Auch der tönenden Phrase des Tages gab ich keinen Raum. Mir lag nur daran, daß das, was ich schreibe, wahr sei, wahr in der Empfindung und wahr in der Darstellung, so daß, wenn auch wenig wirklich Geschehenes meiner Erzählung zu Grunde liegt, dieselbe doch überall das faktisch Mögliche trifft. Nicht den Beifall der Menge: das Mitgefühl der Guten nur möchte ich erringen“ …

Alle die auftretenden Personen sind mit der gleichen Liebe gezeichnet, behandelt und durchgeführt. Da ist der reiche Großhändler Gottlieb Cornero, der herzlose mammonstolze Mann, und seine angeblich nervenkranke, eingebildete Frau, zwei so sicher aus dem Leben geschnittene Persönlichkeiten, daß man in jeder Stadt ihrem Ur- und Ebenbild begegnen könnte; nur ihr edler Sohn Edgar bildet eine Anomalie der elterlichen Race; ihr Hausarzt Dr. Pillensteiner ist ein gewöhnlicher Materialist, welcher seine ordinäre Denkweise durch feinere Formen kaum überkleidet. Den schäbigen Geldadel repräsentirt der Baron Spornschild, „Gründer“ der Aktien-Gesellschaft „Concordia“ und Schwiegervater des Baron Maier; das Kleeblatt bringt der Procurist und Roué Fritz Welker mit seinem lustigen Anhang zum Abschluß. Zwischendurch spielt eine beinahe heitere Gesellschaft: vorerst der alte „Schmiertiegel“, erst Chemiker und Bierbrauer, der so kunstreichen Stoff versott, daß er verarmte und nun als Schnapsbruder elendiglich vegetirt; dann die Gauner und Spitzbuben „Storch, Steigerhanns und Roßwürger“, ein Trio, wie sie nur ein Staatsanwalt mit so photographischer Wahrheit zu zeichnen vermag. Dazu gehört auch der „blinde [605] Krüppel und Bettler“ Pachonius, welcher in den Kirchen aus den Gaben gutherziger Menschen die Mittel zum behaglichsten Lebensgenuß sammelte. Zu der sauberen Sippschaft zählt der muffige Rechtsconsulent Dr. Stürmer, der mit der Vereinskassa durchgehende Volks-Freund und -Redner Dr. Stürzer, der Redakteur der „Freien Stimme“ mit allem möglichen Apparat und Zubehör. Als wirklich reine Seelen und erquickliche Charakterfiguren erscheinen der alte arme, durch Abschreiben fremder Arbeiten sein kümmerliches Leben fristende Poet Hieronymus Krümmler und seine treubewährte Tochter Concordia, nebst dem wackern Lehrling Demetrius, welche den Kreislauf der Handlung in glücklicher Weise abschließen. Die Ausführung scheint bisweilen etwas skizzenhaft angelegt, dann wieder in einzelnen Partien voll Fluß und Sicherheit durchgeführt. Die Tendenz gipfelt in dem Gespräche des ehrlichen Krümmler mit dem jungen Demetrius (S. 124):

„Glauben Sie mir, Herr Demetrius! (sagte Krümmler) Ich sehe nun schon eine geraume Zeit dem Treiben der Menschen zu; ich habe ein bewegtes Leben hinter mir und Vieles erfahren, und was ich sage, ist keine unerprobte Theorie, sondern das Resultat wirklicher Erlebnisse. Es bleibt uns keine andere Wahl: entweder Gott oder Mammon. Und das kann ich Ihnen versichern, es gibt keinen schändlicheren Tyrannen als diesen König Mammon. Mag Einer, der sich ihm ergeben, in seinem Reiche eine hohe oder niedere Stelle einnehmen, er ist Sklave und schleppt seine Kette bis an’s Grab. In diesem Reiche gibt es keine Freiheit, keine Sitte, kein Recht, und nichts, was des Menschen Herz beglückt. Treibt der Mammon arme Teufel zu Diebstahl und Mord, so quält er diejenigen nicht minder, die er mit seinen Gnaden zu überhäufen scheint. Ein unersättlicher Durst, noch reicher zu werden, erfüllt das Herz der Reichen und nicht nur der Geizhals, auch der Verschwender ist ein willenloser Knecht dieses grausamsten aller Gewaltigen. Ihm verfallen, verkauft die Jugend ihre Unschuld, das Talent seine Gaben. Der Gauner, der seinem Nebenmenschen den Hals abschneidet, [606] ein Minister, der um des glänzenden Gehaltes willen seine heiligsten Ueberzeugungen preisgibt – sie sind Sklaven des Goldes. Der Schriftsteller, der, um der Menge zu gefallen, die hehre Gabe des Geistes entweiht; der Wucherer, der den Hunger Anderer zu seiner Nahrung macht; der untreue Diener, der seinen Herrn bestiehlt; der Arzt, der gewissenlos Gesunde krank macht, ohne Kranke gesund machen zu können – Alle dienen blind dem Ungeheuer, das ich, Gott sei Dank, so lange ich lebe, hasse von Herzensgrund. Und wie lohnt der Tyrann diese Dienste? Nicht Einen beglückt er, den Reichen nicht ausgenommen. Sorge, Verbrechen und Schande sind Aller Antheil. Seine Gunst ist wandelbar, und bliebe sie Einem erhalten bis an’s Ende – er duldet neben sich keine Herrschaft; die er beherrscht, will er ganz beherrschen, und wenn er sie genug gepeitscht und gequält, dann wirft er sie weg oder er versteinert ihr Herz. Fluch ihm – dreifacher Fluch! Glücklich und frei ist nur, wer ihn verachtet und mit frommem Herzen und reinem Sinne seinem Gott dient. Der Mammon soll keine Herrschaft über uns gewinnen, so lange wir athmen! Versprechen Sie mir das, lieber Demetrius! Und tritt einmal der Versucher an Sie heran, dann denken Sie an das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe und seien Sie stark. Wenn es Ihnen auch jetzt noch wunderlich vorkommen mag, es kommt die Stunde – und wäre es die letzte Ihres ganzen Lebens – in der Sie erkennen werden, daß der alte Krümmler Recht hat“ …

Mit geschickter Hand und bühnenkundigem Effekt gelang es dem Dichter die epische Dichtung „Gundel vom Königssee“ zu dramatisiren.[11] Das Stück ging am 11. Mai [607] 1878 zum ersten Male über die Bretter des k. Theaters am Gärtnerplatz zu München, wurde seitdem fleißig und unter stetig bleibendem Beifall aufgeführt, und ebenso auf anderen Bühnen eingebürgert, wie denn die „Gundel vom Königssee“ eines der ersten Stücke war, mit welchen die Schauspieler des Münchner Gärtnertheaters sich den Enthusiasmus der Norddeutschen in Berlin gewannen.

Zur Vervollständigung der Aufzählung dessen, was unser Autor geschrieben, müßten wir wohl über ein Dutzend Bilderbücher im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig, J. F. Schreiber in Eßlingen und Braun und Schneider in München anführen, zu welchen Franz Bonn die Verse geschrieben, welche die Kinder so gerne haben und so leicht auswendig lernen. Auch zu dem Album „Aus dem Familienleben“, Original-Radirungen von Hugo Bürkner (Leipzig, Verlag von Alphons Dürr), lieferte Bonn den Text. Ebenso finden sich in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften von ihm Novellen und Gedichte in reicher Menge, und um seine populärste Dichtung nicht zu vergessen: auch im Dienste des Thierschutzes war er thätig, durch seine preisgekrönten goldenen Regeln und Sinnsprüche, welche in neun Sprachen übersetzt die weiteste Verbreitung fanden.

Möge ihm auf der neuen Bahn die Muse hold bleiben und zumal der Quell seines unvergleichlichen Humors noch lange zur Erfrischung und Erquickung dankbarer Gemüther fließen!


  1. Wolfram. Dichtung von Franz Bonn. Regensburg 1854. Fr. Pustet, VIII. u. 176 S. 8°.
  2. Vgl. hierüber Histor.-pol. Blätter 1855. XXXV. Bd. S. 152 ff.
  3. Die „Meditationen“ von Johannes Schrott erschienen 1858, diesen folgten 1860 die „Dichtungen“, 1868 die „Bienen“, 1871 Hildebold von Schwangau u. s. w. Daß derselbe nach so gewichtigen Vorgängern die Saiten seiner Lyra schon abgespannt und sein Harfenspiel bestäubt stehen lassen sollte, ist doch kaum glaublich.
  4. Münchener Album. Herausgegeben von Dr. Franz Graf Pocci. (Zum Besten des Maximiliansstiftes für Beamtentöchter.) München, in Commission bei Christian Kaiser. 1856. Es enthält Beiträge in Poesie und Prosa von 65 Namen, obenan König Max II. und König Ludwig I. von Bayern.
  5. Auch die Textbücher zu der komischen Operette „Der Hans ist da“ (componirt von dem früheren Bürgermeister und Landtags-Abgeordneten Franz Förg, gest. 10. Sept. 1878), zu der romantischen Oper „Die sieben Raben“ (comp. von J. Rheinberger), die Märchen „Dornröschen“ und „Undine“ (comp. von Baron von Perfall) lieferte Franz Bonn.
  6. Lustige Naturgeschichte oder Zoologia comica. Das ist eine genaue Beschreibung aller in diesem Buche vorkommenden lebendigen Thiere der Welt mit 86 naturgetreuen Abbildungen. Wissenschaftlich bearbeitet von v. Miris.“ München, bei Braun und Schneider (1877) 88 S. Der zweite Theil ebendaselbst 48 Seiten 8°.
  7. „’s Nibelungenringerl. Harmlose Schnadahüpfeln für drei Tage und einen Vorabend“. München (1879) bei Braun und Schneider. 32 S. 12°.
  8. „Ein wichtiger literarischer Fund“. Ebendas.
  9. „Der pädagogisch verbesserte Struwwelpeter. Ein lustiges Bilderbuch für Kinder von 30–60 Jahren“. Mit Illustrationen von A. Oberländer. Ebendas.
  10. „Konig Mammon. Roman aus der Gegenwart. Von Franz Bonn“. Köln 1880, bei Bachem. VIII und 364 S.
  11. „Gundel vom Königssee. Oberbayerisches Volksschauspiel in 4 Aufzügen nach der gleichnamigen epischen Dichtung von Julius Grosse (zuerst Leipzig 1864) für die Bühne bearbeitet von Franz Bonn“. München bei Braun und Schneider (1879) 84 S. 8°. – Ein anderes Stück: „Die Kräuterlisi“ bewegt sich mehr auf dem Boden der Gelegenheitsdichtung, machte aber ebenfalls entschieden Glück. Ferner schuf Bonn in seiner „Tante Blaubart“ ein Volksstück der besten Art und errang auch mit dem Weihnachtsmärchen „Die Wunderglocke“, das er im Verein mit Franz Bertram dichtete, sowohl in Dresden wie in München die schönsten Erfolge.