Malerische Wanderungen durch Kurland/Das Kirchspiel und Schloß Dondangen

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Das Privatgut Schleck und die Stadt Pilten mit ihren Umgebungen Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Der Dondangsche Beyhof Gypken, Fahrt nach Domesnees, die Leuchtthürme daselbst, der Strand, merkwürdige Strandungen, Heldenthat des Küsters Fritze, der Dondangsche Beyhof Irben
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Das Kirchspiel und Schloß Dondangen.

Die Ostsee und der Rigaische Meerbusen umschließen von der Nord- und östlichen Seite das Kirchspiel Dondangen, und von der Landseite gränzt es, mehrentheils durch große, Meilen lange Wälder, an das Erwahlensche und Piltensche Kirchspiel. Der Umfang beträgt gegen 40 deutsche Meilen, in welchem, außer dem Hauptgute, 11 Beyhöfe, 13 Dürfer und 161 einzelne zerstreute Bauergesinde liegen. 2371 männliche Seelen gehören zu dieser Herrschaft als Erbunterthanen, und wenn man die weiblichen Einwohner, die in einer unterhaltenden Beschreibung doch wohl für volle Seelen zu zählen sind, und die freyen Leute mitrechnet, so wird dieser beträchtliche Erdstrich dennoch nicht viel über 5000 Einwohner zählen. Die Ursachen dieser geringen Bevölkerung sind die großen Wälder und Moräste, welche einen Theil des Kirchspiels Dondangen [177] einnehmen; sie lassen dem andern aber noch gewiß Interesse genug übrig, um durch seine Darstellung zu unterhalten. Drey kleine Flüsse durchströmen die Herrschaft, und unter den fünf Landseen, die sich hier finden, ist der eine, der Wihdel-See, eine Meile lang und gegen eine halbe breit. Die Schloßkirche mitgerechnet, sind 4 Kirchen auf dem Dondangschen Gebiete, welche von zwey Predigern versehen werden. Einer wohnt in Dondangen, der zweyte in Irben. Die jetzige Besitzerin ist die Fürstin von Sacken, eine geborne Baronin von Dieskau. Sie lebt für immer in Berlin, und hat sich nach ihres Gemals Tode nur einmal in Dondangen, und auch damals nur kurze Zeit, aufgehalten.

Durch einen vier Meilen langen Fichtenwald, den nur hin und wieder mit hohem Heydekraut bewachsene Moräste unterbrechen, führe ich den Leser von Pilten aus nach Dondangen. Dem Jagdliebhaber wird dieser sonst einförmige Weg doch Unterhaltung genug gewähren, denn man befährt ihn selten, ohne von der Straße aus eine Menge [178] Birkhüner und Haselhüner aufzutreiben, die, durch das Geräusch der Vorbeyfahrenden erschreckt, tiefer nach den Waldungen hinfliegen. Dann und wann erblickt man wohl auch ein flüchtiges Reh durch die Heyde ziehen. Hier ist keine Wohnung sichtbar; nur in der Ferne ertönen die Schläge der Holzaxt; diese und einige wenige Wiesenplätze deuten darauf hin, daß auch hier zuweilen ländliche Beschäftigungen die schauerliche Einförmigkeit des Waldes unterbrechen. Ehemals soll es in der Gegend viele Bären gegeben haben, doch jezt werden sie mit jedem Jahre seltener.

Wenn man, wie ich einst die Erfahrung machte, in einem heftigen Sturme diesen dunkeln Wald durchfährt, die hohen Gipfel alter Fichten sich brausend neigen, und nur ein, bald lautes, bald dumpferes Getöse, wie das Brechen tobender Wellen, durch den einsamen Forst rauscht, dann hat freylich auch dieser, wie das weite, vom Sturm bewegte Meer, etwas sehr Erhabenes. Auch hier ruft die ewige Ruhe in der ewigen Bewegung ein schauderndes Gelühl hervor, [179] welches, nach dem Kantischen „Schmerz bey jedem Erhabenen“ eben ein Zeichen des letztern ist.

Wir verlassen den Wald, wo er beynahe am dichtesten ist, und bis auf wenige Schritte die Aussicht hemmt. Plötzlich, wie durch einen Zauberschlag, erhebt sich vor unserm Blick eine schöne, heitere Landschaft. Aus einem Thale, das ein ziemlich ansehnlicher Bach durchfließt und das schönste Gebüsch von verschiedenem Laubholz einfaßt, blinken die rothen Dächer der von Stein erbauten Mühle, eines Kruges, und einiger andern Gebäude hervor. Neben Bauerhöfen, deren nettes, reinliches Ansehen, und deren rings umzäunte Felder und Wiesen, den Wohlstand und die Ordnung der Einwohner verrathen, geht nun der Weg, bis man, noch ein paar Werst weiter, die Thürme der alten Burg Dondangen, von nach allen Seiten hin sich ausbreitenden Alleen umgeben, erblickt.

Die Burg, eine der ältesten Kurlands, und von dem dritten deutschen Ordensmeister in Liefland, Diedrich von Gröningen, im Jahr 1249 erbauet, hat sich vortreflich [180] erhalten. Zu Anfange des vorigen Jahrhunderts ward sie von den Schweden belagert, und der nordöstliche Theil derselben größtentheils niedergeschossen; aber späterhin wieder hergestellt. Man kann die Stellen noch deutlich unterscheiden, wo an der alten, hier und da mit grünem Moos bedeckten Mauer, eine neuere angebaut worden. Ein aus dem Gemäuer hervorragender einzelner großer Stein, soll dort gewiß irgend eine damals merkwürdige Begebenheit andeuten, deren Andenken sich aber verloren hat. Wahrscheinlich fiel hier ein Held, und der Stein, auf dem jezt ein kleines Bäumchen wurzelt, bezeichnet die Stelle, wo er den Todesstreich erhielt. Hoch in der Luft sproßt das Bäumchen auf so beschränkter Wurzel; kein Regen spühlt es herab, kein Sturm reißt es fort; auf einem engen Raume keimte es, so viel ihm die fehlende Nahrungskraft erlaubte, zum Himmel empor. War der Mann, dessen Andenken der Stein etwa bezeichnen sollte, wie jenes Bäumchen, das sich auf dem ihm geweihten, und doch die Geschichte seiner Tage verschweigenden Monumente [181] erhob; so verdiente sein Name nicht verloren zu seyn. Fest stand auch er, schaute nicht auf den Abgrund unter seinen Füßen, sondern frey gen Himmel empor. Auch ihn beugte kein Wetter auf seinem, durch die damalige Zeit, so eng beschränkten Standpunkte, und er fiel, wie jener junge Held der Natur einst fallen wird, getroffen vom Schicksal, das Menschen wie Blüthen zerstört.

Die Burg ist im Viereck gebaut; zwey Thore verschließen den Eingang, und die Gräben rund um diese alte Feste haben sich alle noch erhalten; nur bey der Einfahrt ist ein fester Damm über den Schloßgraben, der fliessendes Wasser enthält, geschlagen worden. Auf der Nord- und Westseite ist das ganze Schloß von einem ziemlich großen, mit schönem Laube umkränzten Teich eingefaßt. Noch einen Blick auf die Schießscharten, welche so gar ganz oben unter dem Dach sich finden — auf die ungleichen, bald hohen, bald niedrigen, hin und wieder zerstreuten Fenster, die, weil sie durchweg nicht einmal in einer Reihe stehen, einen [182] sehr grotesken Anblick gewähren, – und wir treten in den Schloßhof herein, wo noch im Thore die Stellen in der Mauer sichtbar sind, an denen ehemals das schwere, eiserne Fallgatter herabfiel. Beynahe rund umher läuft im Innern des Schloßhofes ein auf Säulen ruhender, bedeckter Gang, von dem herab man auf den Tummelplatz schauen konnte. Eine große, schwere Treppe führt zu diesem Altan hinauf. Ein paar, von gestrandeten Schiffen genommene, aus Holz geschnitzte und bemalte Köpfe, stehen auf jedem Pfosten bey dem Anfange der Treppe. Der eine Kopf soll, wie mir aus dem Helme glaublich wird, eine Pallas vorstellen; doch trägt sie, eben so wie ihr Nachbar — ein wohlbeleibter Holländer — eine runde Stutzperücke. Beyde aus ihrer vom Meer umspühlten Burg gerissen, sind hier aufs Trockene gerathen, und müssen als Besatzung der alten Feste dienen. Unter dem Altan, der mit starkem Gitter versehen ist, sind die Eingänge in die Keller, in die ehemaligen Gefängnisse, Küchen und Bedientenstuben. Der Gang auf dem Altan führt in die verschiedenen [183] Wohnstuben des zweyten Stocks; und hier komme ich Ihnen gleich mit einem alten, ehrwürdigen Cicerone entgegen, an dessen Hand wir das Schloß sehen wollen. Dieser Cicerone ist Niemand anders, als der Wohlehrwürdige und Wohlgelahrte Bankau[1], weiland Pastor zu Dondangen, der im Jahre 1721 ein 4 Bogen langes Gedicht über Dondangen geschrieben hat, und solches, wie natürlich, seinem hochgütigen Patron dedicirte, vor dessen Sternen, wie er versichert, er seine Pflicht und seinen schwachen Musenton niederlegte. Der Anfang des Gedichtes muß schon Respekt vor [184] dem Dichter einflößen, und jeden Zug eines spöttischen Lächelns entfernen; denn ernsthaft droht Bankau mit dem Vergeltungsrechte, und spricht:

Mein Leser! bist du Zoilus,
ich bitte, beiß mich nicht;
giebst du mir einen Judaskuß,
wer weiß, was dir geschicht.

Doch auch die Betrachtung der allgemeinen Schwäche der Menschennatur rief er als Grund zur Nachsicht auf:

Ist alles nicht nach deinem Sinn,
mein lieber Musenmann,
so denk’, daß ich ein Mensche bin,
der auch wohl fehlen kann !

Und diese Anrede an den Leser spreche ich in der, beynahe hundert Jahre spätern Beschreibung von Dondangen, andächtig und mit eben so vieler Resignation nach. Zuerst giebt[WS 1] der Pastor Bankau Nachricht von den ältesten Besitzern der Burg, unter denen er die Bischöffe Münchhausen, Sliter und Bersewitz nennt. Dann ist sie in den Besitz der Familie von Bülow gekommmen, durch Heirath aber an die von Maydel[2] [185] und eben so wieder an die von Sacken, aus dem Hause Bathen, aus welcher auch der verstorbene Gemahl der jetzigen Besitzerin, weiland Fürst von Sacken abstammte, gediehen. Bankau wundert sich nun, so wie Jeder, der die Burg jezt sieht, über ihre gute Erhaltung:

Andere Schlösser sind zerstöret, abgebrannt und eingefallen,
Durch die Krieges-Macht verheeret; aber dieses ist vor allen
Noch in guter Ruh’ geblieben, wie fast Jedermann bekannt;
Weil das Unglück abgetrieben, Gottes starke Vaterhand,
Seine Mauren sind noch fest, fast mit Wasser ganz umgeben,

[186]

Auch erblicket man auf's Best einen schönen Thurm daneben;
Da hört man zwey Glocken schlagen, eine geht die andre steht,
Jene muß die Stunden sagen, diese rufet zum Gebet.

Schillers eine Glocke tönt zwar lieblicher als diese beyden; doch ein Ton, der aus einem fernen Jahrhunderte herüber schallt, wenn ihn auch nicht ganz harmonische Akkorde begleiten, hat Etwas die Wehmuth Erweckendes, besonders hier, von dem Gedanken begleitet, daß eben diese Glocken, welche die alten Bewohner, deren Bankau gedenket, zur wahrhaft innigen Andacht riefen, noch da, aber ihre Töne, die damals so hell erschallten, verklungen und verschwunden sind, wie die Herzen, in denen sie Rührung weckten; der Welle gleich, die rauschend ihr Haupt erhob, versank, und nimmer wiederkehrt. Bankau führt, als Pastor loci, natürlich zuerst in die Schloßkirche; wir folgen ihm. Sie ist klein, aber recht zierlich, und für ihr Zeitalter geschmackvoll. Die Gemälde verdienen keiner Erwähnung, wohl aber eine Arbeit in Stuk, [187] an der Wand den Fenstern nach dem Schloßhofe gegenüber, die Kreuzigung Christi vorstellend. Die völlig erhabenen, und gleichsam nur an die Wand gelehnten Figuren in Lebensgröße, haben viel Kraft und Ausdruck. Man hat sie in neuern Zeiten mit Kalk angeweißt, und dadurch haben sie, da sie wahrscheinlich durch die Länge der Zeit mit Staub und Schmutz überzogen gewesen seyn mögen, zwar an Weisse gewonnen, aber an Schönheit viel verloren. Ob es wohl gerade nur immer Gypsfiguren sind, die, mit Schminke übertüncht, an Ausdruck verlieren?

Die Orgel ist ziemlich gut, aber nicht groß genug, um gehört zu werden, wenn, wie Bankau spricht:

Man das Heilig, Heilig! schreiet, daß die ganze Kirche schallt.

Ein Beweis für den Glauben an die Süssigkeit seines Vortrages, ist es, wenn Bankau aus der Kirche in die Honigkammer führt, wo, wie er versichert, süsser Meth gebraut wurde. Doch, da hier nur zu schmecken, nichts zu sehen ist, so gehen wir einen Schritt weiter in ein gewölbtes [188] Zimmer, in dem die grüne Jungfer residiren soll. Diese, ein den frühern, dem Glauben an Erscheinungen gewiß mehr ergebenen Bewohnern, schreckliches Schloßgespenst, hat sich jezt schon lange nicht mehr sehen lassen, und selbst Bankau zweifelt an ihrem Daseyn, jedoch nur mit einem bescheidenen Vielleicht. Es ist indessen zu bedauern, daß man sie nicht mehr sieht; denn gerade eine Jungfer von dieser Farbe müßte gewiß etwas sehr merkwürdiges seyn. — Vielleicht hat jene Dame das Schicksal der alten Mauern ihrer Zeitgenossen gehabt, die grünes Moos bedeckte! — um desto mehr Verdienst, demungeachtet ihren ehrwürdigen Titel immer beybehalten zu haben. Ich übergehe eine Menge Zimmer, deren ganzes Verdienst nur in ihrem Alter besteht. Unter diesen befindet sich ein sehr großer langer Saal, in dem ehemals, bevor die lettische Kirche vollendet worden, lettischer Gottesdienst gehalten ward. Selbst in dem Zimmer, welches ich bey meiner Anwesenheit in Dondangen bewohnte, zeige ich Ihnen nichts, als die hohe, mit Öhlgemälden [189] auf Leinwand verzierte Decke, wo christliche und heidnische Mythologie sonderbar genug zusammengestellt ist; — und nun gehen wir zur Rüstkammer. Hier finden Sie mehr als hundert alte Schießgewehre, mit und ohne Radschlößer, Schwerter, Stücke von alten Rüstungen, Lanzen, Spieße u. dgl. m.; aber, als einen richtigen Beweis, daß unsere Vorältern, so wie wir, den Damenpantoffel mit zu den Waffen gezählt haben, führe ich hier einen an, den man in dieser Rüstkammer mitten unter den Schwertern und Spießen findet. Er ist von ansehnlichem Gewichte, und verhält sich zu den heutigen Pantoffeln eben so, wie jene großen Schwerter sich zu den jetzigen verhalten. Unter den letztern ist mir eines aufgefallen, dessen Besitzer ein Herr von Maydel gewesen ist. Es hat nämlich, der langen Parierstange zur Seite, eine Art von Stichblatt, von fingersdickem Leder, mit rothem Sammt überzogen, auf welchem mit Gold die Buchstaben I. H. S., und eine polnische Inschrift, gestickt sind. So oft auch sonst eben diese Buchstaben, als Stichblatt [190] in einem andern Sinne, entweiht seyn mögen, so finde ich sie gerade auf einem Schwerte sehr passend[3]. In hoc Signo sollte auf allen Waffen der Welteroberer stehen, bey denen die Worte und Zeichen nur als Stichblätter, von einem zweyschneidigen Überzeugungsgrunde unterstützt, erscheinen. Noch sieht man hier ein Elendsgeweih, dessen man sich ehedem zur Bestrafung der Wilddiebe bediente. An den Wurzeln des schweren Geweihes ist ein starker, mit einem Gelenke versehener, eiserner Ring befestigt, in welchen man den Hals des zu Bestrafenden einschloß, und das Geweih über seinem Kopf hervorragen ließ. Wie sich die Zeiten und Sitten ändern! Jezt trägt nicht derjenige, der in fremdes Gehege schlich, das prächtige Geweih als Strafe; nein, gerade der Beraubte, als ehrendes Zeichen seiner Geduld. Diese hörnene Krone, welche, wie [191] die lombardische eiserne, an’s Tageslicht gezogen zu werden verdient, sollte auch zu den Rüstungen heutiger Zeit gezählt werden, und macht, in dieser Beziehung, ein Seitenstück zu dem hier aufbewahrten Pantoffel aus.

Unter einigen alten Gemälden, die sich in den wahren Mantel der Bescheidenheit, in Staub gehüllt hatten, entdeckte ich hier eins, das meine Aufmerksamkeit erregte, und das den trunkenen Silen, von Faunen und Bacchantinnen begleitet, auf seinem Zuge darstellt. In den Figuren des Gemäldes, es mag nun Original oder Kopie seyn, was ich nicht zu entscheiden wage, herrscht viel Ausdruck, und ich wünschte wohl das Urtheil eines Kenners hierüber zu hören. Noch giebt es in Dondangen einige andere Gemälde, Bataillenstücke und Landschaften, die, nach meinem Gefühl, Aufmerksamkeit verdienen, und aus einer guten Schule abzustammen scheinen, vielleicht gar Originale sind.

Von den Waffen zu den Musen führt hier das nächste Zimmer. Wir treten in die Bibliothek, die aber nicht viel über 1000 Bände [192] zählen mag. Mehrentheils fand ich theologische, nur wenig juristische Werke, und unter diesen keine von besonderem Werthe. Nur aus einem alten Manuskript, in welchem einer der vormaligen Burgbesitzer im Jahr 1711 einige Ausgaben, ingleichen Briefe, und, auf seinen Reisen nach Warschau, Wien u. a. O., die Nachtlager notirt hat, einige Proben als Sittengemälde jener Zeit:

„d. 8ten dem Kronregenten gezahlet 100 Ducat. wie auch einen vergoldeten Becher — dem Kronreferendario gezahlet 100 Thlr. species.

vor Ungar Wein gezahlet 5 Ducaten, den Decreten-Schreiber zu tractiren.

mit denen Advocaten ein Garnitz Ungar Wein getrunken á 16 Timpfen.“

doch genug zur Probe, die vielleicht schon manchem meiner Leser, der in diesen alten Zeiten die neuern nicht verkennet, Langeweile gemacht haben mag.

Dieser Bibliothek steht eine andere zur Seite, die aus einer Sammlung von mehr als hundert gläsernen Trinkgefässen besteht, und vielleicht in frühern Zeiten öfterer als jene [193] genutzt ward. In dieser ehrwürdigen Sammlung von Humpen, Pokalen, Deckelgläsern u. s. w., finden sich manche Stücke, die durch Sauberkeit der Arbeit, ja selbst durch einen künstlichen Mechanismus auffallen. So z. B. ein großer Pokal, auf dessen Deckel ein Hirsch steht, und der so eingerichtet ist, daß, durch einige Röhren, die tief in das Glas heruntergehen, der Wein, den man hineingegossen hat, oben aus dem Hirsche hervorspringt. Auch ist hier eine kleine Kunst- und Naturaliensammlung. Ich besinne mich nur auf einen hölzernen Becher von mässiger Größe, den hundert andere, so dünne als das feinste Papier, in einem allmälig kleineren Maßstabe, ebenfalls von Holz gearbeitet, ausfüllen, und den ein dondangscher Bauer gedrechselt haben soll. Einiges alt-gothische Hausgeräthe interessirt auch wohl für den Augenblick.

Doch, ehe ich den Leser aus dem Schlosse führe, zeige ich ihm noch die wahrhaft romantische Aussicht aus seinen Fenstern. Der Blick überschaut zwar keinen sehr weiten Horizont, den hier Wälder schliessen, die [194] sich um die wogenden Kornfelder in der Ferne, wie ein Kranz von blauen Kornblumen, ziehen; doch gern wird das Auge in der Nähe verweilen. Man blicke nur auf jene, zwischen den großen Weidenbäumen hervorragende Mühle, mit der Aussicht auf ein tiefes Thal, in dem der Mühlenbach sich schlängelnd fortfließt; dort auf die zierliche lettische Kirche, nebst dem Kirchenkruge, und da, längs dem Teiche, jenseits auf den Garten, der sich in Terrassen amphitheatralisch erhebt, und zu dem eine breite, schöne Brücke führt. Dieser Garten schließt sich an einen Park, voll großer, schöner, wilder Baumstämme. Er ist etwas zu regelmässig angelegt; um desto schöner aber das weiterhin anstoßende Wäldchen, das am Wasser fortläuft, und mit mächtigen Eichbäumen und anderem dichten Laubholze prangt. Auch mangelt es diesem Garten keinesweges an Pflege; Herr Köhler ist ein unterrichteter und gebildeter Gärtner, der große Kenntnisse mit eben so großer Liebhaberey für seine Kunst verbindet. Besonders schön ist vom Schlosse die Aussicht auf [195] einen andern Garten, der mitten in dem großen Teiche auf einer ganz viereckigen, und gleichsam einen hohen Erdwall bildenden Insel liegt. Vielleicht war diese Insel ehemals zu einer Citadelle oder Schanze bestimmt‚ ihre jetzige Bestimmung ist aber offenbar schöner, denn unter Blumen, dichten Hecken und einer Menge schöner Orangenbäume, die hier für den Sommer ausgesetzt sind, wandelt es sich lieblicher; als unter Waffen und Leichen. Eine bequeme, wohl 40 bis 50 Schritt lange Brücke, führt zu dieser Garteninsel, die mit so viel Anmuth ausgestattet ist, daß ihr nur eine Armida fehlt, um als Zaubergarten zu prangen.

Man denke sich diesen hohen Garten, der wie ein Berg aus dem Wasser emporragt, und dessen flach geebnete Spitze, voll junger, zarter Blüthen, sich mit ihrem Kranze von Hecken und Bäumen in den Fluthen, die sie umgeben, spiegelt, — gegenüber die alte, ehrwürdige Burg; dann die Scene vom Glanze der untergehenden Sonne beleuchtet, wo einige Schwäne, stolz, wie Traumgestalten der Vorwelt, die rothe Fluth durchschneiden: [196] ist dieses Plätzchen nicht schön? — Begeisternd wirkte es auf mich, und hier entstand nachstebendes Gedicht, das ich gelassen habe, wie der Augenblick es erschuf, um durch etwanige Verbesserungen nicht die damalige eigene Stimmung, die es nachspricht, zu zerstören:

Wo zarter Blumen frisches Leben
Auf dieses Eilands Scheitel glüht,
In hohen, dichten Laubgeweben
Ein süsser Duft vorüber zieht;

Wo spielend hin zu meinen Füssen
Der Weste Hauch die Welle wiegt,
In Fluthen, die ihn sanft umfliessen,
Der Schwan den stolzen Nacken biegt;

Die Burg, vom Abendschein umglühet,
Mit Flammenglanze ausgeschmückt,
Der hell um jedes Fenster ziehet,
Ihr Bild im Wellenspiegel drückt;

Von holder Gegenwart umfangen,
Wenn feyernd sie die Kränze beut,
Die um der Vorzeit Denkmal hangen,
Sey dieser hier ein Lied geweiht.

Wo sie aus hohem Steingebilde,
Voll Ernst mit stiller Wehmuth, spricht,
Aus tief umnebeltem Gefilde
Der Zeit ein deutend Blümchen bricht.

[197]


Ein Ton erklingt aus jenen Tagen
Und hallt durch unser Leben hin,
Der Rührung holde Lispel tragen
Ihn bebend fort in unserm Sinn;

Und in dem letzten Abendstrahle,
Der hier in stiller Fluth verglimmt,
Erscheint aus jenem Schattenthale
Ein Bild, das schnell vorüber schwimmt;

Ein Bild von ringenden Gestalten,
Wie eines Helden Lebenslauf,
Und zarte, holde Frauen falten
Den tief gesenkten Schleier auf.

Und noch einmal schwebt sie hernieder
Die längst entflohne, ferne Zeit,
Haucht Rührung ein, in Herz und Lieder,
Und flieht dann hin zur Ewigkeit.

In der lettischen Kirche stehen eine Menge Monumente, zum Theil von schönem Marmor, welche der verstorbene Fürst Sacken seinen Vorfahren hat errichten lassen. Die Inschriften sind etwas schwülstig, aber das haut-relief an der Wand neben dem Altar, welches das Portrait, wenn ich nicht irre, der Großmutter des verstorbenen Fürsten vorstellt, wird Jeden, der es erblickt, interessiren. Ein edleres weibliches Gesicht, mit solchen Zügen voll Würde und [198] Anmuth, voll hoher, idealischer Schönheit habe ich nimmer gesehen. Das Bild läßt an der Wahrheit der so sehr lobreichen Grabschrift glauben. –

Hier steht auch, und zwar in der Mitte der Kirche, das marmorne Denkmal des verstorbenen Fürsten von Sacken selbst, welches ihm seine Gemahlin, die jetzige Besitzerin der Herrschaft Dondangen, setzen ließ. Die von dem verewigten Gedicke verfaßte Inschrift lautet:

Principi de Sacken
Unius Regis Poloniae
Unius Electoris Saxoniae
Et Duorum Borussiae
Regum Amico
Nato die XIII. Novbr. MDCCXXVI.
Mortuo die XXXI. Dec. MDCCXCV.
Marito Optimo
Posuit
Uxor Nunquam Non Memor.



Semper Honos Nomenque Tuum
Laudesque Manebunt[4].

  1. Jakob Friedrich Bankau, bekannt als Verfasser einer mehrere mal aufgelegten lettischen Postille, war zuerst Prediger in Groß-Salwen, dann in Samiten, und endlich seit 1711 in Dondangen, wo er 1735 starb. Sein historisches, nur handschriftlich hinterlassenes Gedicht: „Dondangen“ dessen hier erwähnt wird, ist dem bekannten BornmannschenMitau“ nachgebildet und in derselben Versart geschrieben, diesem jedoch, was den poetischen Werth betrift, durchaus nicht an die Seite zu stellen. Ein paar mal erlaubt sich der ehrliche Bankau auch ganze Verse unabgeändert aus seinem Vorbilde zu entlehnen, —
  2. Jakob Friedrich von Maydel, der 1677, bey Leipzig, in einem Zweykampfe hinterlistig ermordet wurde, und dessen Schicksale von seinem damaligen Hofmeister, dem in der Folge berühmt gewordenen königl. preußischen Oberceremonienmeister von Besser, einem Kurländer, unter dem Titel: Leben und Tod des weiland — Herrn J. Fr. von Maydel, Leipzig 1678, Fol., beschrieben, auch außerdem besungen sind, (S. von Bessers Schriften Th. 1. S. 303 der Königschen Ausgabe von 1732.) stammte aus diesem Hause ab. —
  3. Es ist bekannt, daß diese Buchstaben das Jesuiterzeichen sind, und so ins Kreuz gestellt in hoc signo (scilicent vinces) gelesen werden. Ich weise hierbey meine Leser auf Lichtenbergs Erklärung der Hogarthschen Kupfer, 3te Lieferung, 5te Platte, S. 221.
  4. Die beyden letzten Zeilen können wohl schwerlich von Gedicke herrühren. Sie finden sich schon, mit sehr geringer Veränderung auf einer zum Andenken des Todes der ersten Gemahlin des Fürsten Sacken, einer geb. Gräfin Brühl, im Jahre 1762 geschlagenen Medaille, und scheinen daher als Familiendevise betrachtet zu werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: "g ebt"