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ADB:Auerbach, Berthold

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Artikel „Auerbach, Berthold“ von Anton Bettelheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 412–419, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Auerbach,_Berthold&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 12:38 Uhr UTC)
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Auerbach *): Berthold A., Dichter, geboren am 28. Februar 1812 in Nordstetten, † am 8. Februar 1882 in Cannes, begraben nach seiner letztwilligen Anordnung in Nordstetten (15. Februar 1882). – Das neunte Kind der Eheleute Jakob und Edel Auerbacher, verbrachte der Schöpfer der Schwarzwälder Dorfgeschichten die ersten Jahre seines Leben in Nordstetten, einem seit 1805 neuwürttembergischen, bis dahin vorderösterreichischen Dorf im ehedem reichsritterschaftlichen Kanton Neckar-Schwarzwald. Die tiefhaftenden Eindrücke dieser Kinderzeit, Land und Leute seiner engsten Heimath hat der reife Mann späterhin bewußt in den Mittelpunkt seines Hauptwerkes gerückt, „ohne Scheu ein bestimmtes Dorf, seinen Geburtsort“, als Schauplatz seiner ersten folgenreichen Erzählungen „genannt“, Nordstetten „gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause geschildert“. Die begabte Mutter hatte als Tochter des jüdischen Wirthes, der Vater als Handelsmann, während der napoleonischen Kriege auch vielfach als Lieferant, unablässigen Verkehr mit der Bauernschaft, und der kleine Moses Baruch Auerbacher hielt gleich gute Kameradschaft mit christlichen und jüdischen Altersgenossen. 1822 wurde in Nordstetten eine jüdische Volksschule gegründet, die A. bis nach erreichtem 13. Lebensjahre besuchte. Die Anfangsgründe des Lateinischen brachte ihm der katholische Pfarrer des Ortes bei. Nach dem Willen der Eltern und durch eigene Neigung zu dem in der Familie des Vaters herkömmlichen Beruf des Rabbiners bestimmt, kommt er 1825 nach Hechingen in die Talmudschule. 1827 setzt er die hebräischen Studien [413] in Karlsruhe fort, bereitet sich aber zugleich im dortigen Lyceum und durch Privatunterricht zum Eintritt in das Stuttgarter Obergymnasium vor. Seine vordem nicht unbemittelten Eltern verarmten mittlerweile. Mühselig schlägt er sich mit Unterrichtgeben, Freitischen und einem kleinen Stipendium durch. Trotz leidlichem Examen nicht gleich in das Stuttgarter Gymnasium aufgenommen, treibt er privatim emsig Latein und Griechisch. Endlich, im December 1830, darf der Achtzehnjährige in die achte Classe eintreten. Gustav Schwab, Pauly, der Philosoph Schmidt, Reinbeck, sind unter seinen Lehrern. Starke Bedenken über seinen Beruf zum jüdischen Seelsorger regen sich. Jahrelang schwankt er zwischen der theologischen, juristischen und philosophischen Facultät, bis er durch einen Machtspruch der Behörden jede Aussicht auf eine Predigerstelle verliert.

1832 hatte er die Landesuniversität Tübingen bezogen. Er hört bei Walz, Mayer, Haug, Herbst und besucht Uhland’s Publicum. Seinen besonderen Antheil gewinnt David Strauß mit den Vorträgen über Geschichte der Philosophie und Plato’s Symposion; schon damals trat A. dem geliebten Lehrer näher und „ein ununterbrochenes, lebenslanges Freundschaftverhältniß schloß sich daran“. Unter den Studenten waren ihm Hermann Kurz, Kausler, Ludwig Seeger, Eduard Zeller liebe Gefährten. Im Sommersemester 1833 bezieht er die Universität München. Am 23. Juni wird er jedoch infolge einer Requisition des Tübinger Oberamtsgerichtes, des Antheils an der Burschenschaft bezichtigt, „wegen Mitwissenschaft einer hochverrätherischen Verbindung“ verhaftet. Schon am nächsten Tage gibt ihm die bairische Behörde seine Freiheit und seine – Polizeikarte wieder. Beendigt war damit der Handel noch lange nicht, der A. bis Ende des Jahres 1836 in Ungewißheit halten und seinen Lebensplan gründlich umstürzen sollte. In Tübingen kommt A., August 1833, neuerdings in Untersuchungsarrest. Am 20. November wird er strafweise von der Universität verwiesen und „bis zur Erledigung der Untersuchungssache unter Polizei-Aufsicht gestellt“. 1834 gelingt es ihm trotzdem an die Heidelberger Universität zu kommen und Collegien bei Schlosser und Daub zu hören. Allein jeder Versuch, sich in Württemberg zum Rabbinatsexamen zu melden, wird von der israelitischen Oberkirchenbehörde mit dem Hinweis auf die schwebende Criminaluntersuchung abgethan. Des täglichen Brots halber muß A. für den Verleger Scheible eine in Lieferungen erscheinende Geschichte Friedrich’s des Großen schreiben, der späterhin noch eine „Auswahl des Geistvollsten“ aus den Schriften des Philosophen von Sanssouci folgte, eingeleitet, theilweise übersetzt und erläutert von „Theobald Chauber“ (1834–35). Er wird Mitarbeiter an dem Sammelwerk: „Gallerie der ausgezeichnetsten Israeliten“ und an Lewald’s „Europa“. Solche Gelegenheits- und Nebenarbeiten konnten ihm auf die Dauer nicht genügen. 1836 veröffentlichte er den kritischen Versuch: „Das Judenthum und die neueste Litteratur“. Und als ihm am 3. Januar 1837 endlich das Urtheil in seiner Strafsache verkündigt und er wegen Uebertretung des Verbotes geheimer Studentenverbindungen zu zwei Monaten Festungsarrest verurtheilt wurde, nahm er auf den Hohenasperg den Verlagsvertrag und die Vorarbeiten für seinen ersten Roman „Spinoza“ mit. Das Buch war als das erste einer unter dem Obertitel „Das Ghetto“ zusammengefaßten Reihe historischer Zeit- und Sittenbilder aus dem Leben der Juden gedacht. 1837 veröffentlicht, fand es berufene, nicht übermäßig milde Leser in Gabriel Riesser und Heine, einen wohlwollenden Richter in David Strauß, der Auerbach’s Spinoza einer Bildsäule verglich, auf deren wohlgelungenem Rumpf statt des Kopfes die gesammelten Werke des Philosophen erscheinen. 1839 vollendete der mittlerweile nach Frankfurt übersiedelte Dichter [414] ein Lebensgemälde: „Dichter und Kaufmann“, „nicht sowol ein Seiten- und Gegenstück zum Spinoza, sondern eine ganz andere Region des jüdischen Lebens: die polnisch-deutsche Orthodoxie von der einen, die staatliche und sociale Beschränkung von der anderen Seite, die gewaltige allgemeine Bewegung von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an, und inmitten diesem allen ein halb schwächlicher Charakter“: der Epigrammendichter Moses Ephraim Kuh und als dessen Gegenfiguren Moses Mendelssohn mit seinem Kreise. Keines dieser Bücher konnte den strengeren Freunden Auerbach’s als volle Probe echter Dichterkraft gelten. Seine publicistische Thätigkeit in der „Europa“, für den Biographen bemerkenswerthe Kritiken von Claudius, Clemens Brentano, Immermann’s Münchhausen, rückte ihn ebensowenig in die erste Reihe der Autoren seiner Tage. Seine dramatischen Versuche „Ultimo“, ein Lustspiel, in dem unter dem durchsichtigen Namen Ebbarg der leibhaftige Grabbe auftrat, und das 1840 entstandene, einmal und nicht wieder in Stuttgart aufgeführte Trauerspiel „Oskar oder der Schwur“ mißlangen gründlich. Die Hauptarbeit dieser Zeit war die 1841 veröffentlichte Verdeutschung sämmtlicher Schriften mit dem Leben Spinoza’s. In Bonn, Mainz, Heidelberg und Mannheim, am Rhein und Neckar hatte ihn die Bewältigung dieser großen Aufgabe beschäftigt. Inmitten aller Mühen und Nöthe wurde ihm der Verkehr mit kernhaften rheinländischen Familien, den Strecker und Dupré, zur Wohlthat. Er trat auch in flüchtige Beziehungen zum Kreis der Rheinischen Zeitung, zu Mose Heß und Karl Marx; warme dauernde Kameradschaft verband ihn mit Freiligrath. Unklar und unstet erschienen ihm selbst trotz alledem späterhin jene Jahre.

Die entscheidende Wendung im Leben und Schaffen Auerbach’s sollte eine Trauerbotschaft bewirken: „unendlich tief“, so schrieb er im September 1840, „hat der Schmerz gewühlt in meinem Innern über den Tod meines Vaters. Ich habe keine Heimath und keine Familie mehr“. Einsam wandert er durch das Siebengebirge. In tiefster Sehnsucht nach Nordstetten schreibt er unter der großen Buche bei Plittersdorf die Entwürfe zu den ersten acht Dorfgeschichten nieder. Freiligrath ist der erste, dem er von diesem neuen Vorhaben erzählt: „sehr unklar; waren mir die Pläne, die mir im Kopf schwirrten, doch selbst noch nicht klar“. Es währte auch wirklich noch zwei volle Jahre, bis diese Keime aufgingen.

Weitschichtige Vorarbeiten zu einer Tragödie Kepler; eine (von Channing angeregte) Popularphilosophie für den denkenden Mittelstand: „Der gebildete Bürger“ (1842); quälende Geldsorgen nahmen ihn in Anspruch. Er denkt eine Weile daran, nach London zu gehen und dort ein deutsches Blatt herauszugeben. Er behandelt (1841) moralistische Fragen „Was ist Glück?“ etc. in novellistischer Einkleidung.

Proben der Dorfgeschichten „,Der Tolpatsch“, „Die Kriegspfeife“, „Des Schloßbauern Vefele“ erscheinen indessen in der „Europa“ und in Mundt’s „Freihafen“. 1842 schreibt er in Weilberg „Ivo der Hajrle“. Als die erste Reihe der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ abgeschlossen vorliegt, lehnt ein Dutzend Verleger das Manuscript ab. Der treffliche Mathy, der den Werth der Erzählungen sofort erkennt, übernimmt mit Bassermann endlich den Verlag, hat aber Bedenken gegen den damals neugeprägten Titel Dorfgeschichten, auf dem A. beharrt. Als das Buch 1843 erscheint, erregt es unablässig wachsenden Jubel. Freiligrath heißt die Gabe willkommen in prachtvollen Versen, die A. in eine Reihe stellen mit Jung-Stilling, Pestalozzi, Brentano und Immermann. Schelling meint, die Schwaben müßten A. krönen für dieses Buch. Der Dichter selbst bekennt in späteren Jahren, „daß diese Erstlingsfrucht seiner Kraft so [415] nicht mehr wiederkommt. Es ist etwas so geradezu in Motiv und Ausdruck, das ich nicht mehr habe und nicht mehr haben kann“. In Nord und Süd mit gleicher Empfänglichkeit begrüßt, waren die Schwarzwälder Dorfgeschichten, wie Gustav Freytag 1886 in seinen „Lebenserinnerungen“ bezeugt, „für Deutschland ein litterarisches Ereigniß. Sie erschienen als eine Erlösung von der öden Salonlitteratur, welche französischen Vorbildern ungeschickt nacharbeitete, sie brachten Schilderungen aus dem deutschen Volksthum zu Ehren, Charaktere und Sitten, welche auf unserem Boden gewachsen waren. Das wurde überall dankbar empfunden, und der frische treuherzige Gesell, welcher den Norddeutschen selbst wie eine Gestalt aus seinen Dorfgeschichten entgegentrat, ward, wohin er kam, mit Begeisterung empfangen und als Verkünder einer neuen Gattung von Poesie gefeiert“.

A. redigirt 1843/44 in Karlsruhe die ersten Bände vom Deutschen Familienbuch, besucht und schildert Hebel’s Geburtsort sowie das Baseler Schützenfest und kommt zum ersten Mal nach Straßburg. In Stuttgart trifft er bei Reinbeck, später in Baden-Baden wieder mit Lenau zusammen, dessen Vertrauter zur Zeit von dessen Verlobung mit Marie Behrends er wird. 1845 reist er nach Norddeutschland. In Berlin, Leipzig, Dresden, Halle, Weimar nahmen ihn die Besten, allen voran Jacob Grimm und Bettina von Arnim, mit Auszeichnung auf. In Brockhaus’ Taschenbuch „Urania“ läßt er 1846 „Sträflinge“, in demselben Jahre Grundzüge der volksthümlichen Litteratur, angeschlossen an eine Charakteristik J. P. Hebel’s „Schrift und Volk“ drucken. Die religiöse Bewegung Ronge’s, der Traum Einer Deutschen Nationalkirche erregt und erfüllt ihn. Nicht minder die mächtige, alle Schichten durchdringende politische Bewegung, die in den vier Jahrgängen des „Gevattersmannes“ (1845–1848) ihren Wiederhall findet. „Die Frau Professorin“, 1846 niedergeschrieben, erscheint 1847 zunächst in der „Urania“.

In Breslau verlobt er sich (November 1846) mit Auguste Schreiber, einem zarten, liebenswerthen Wesen. Am 30. Mai 1847 traut ihn Abraham Geiger. Die Hochzeitsreise führt über Nordstetten nach Heidelberg, wo das Paar sich dauernd anzusiedeln gedenkt. Schlosser, Gervinus, Moleschott etc. nehmen die Neuvermählten auf das freundlichste bei sich auf. A. arbeitet eifrig an seinem „Lucifer“, der 1848 in der Neuen Folge seiner Dorfgeschichten erscheint: gleich dem „Ivo“ nachmals von bedeutender vorbildlicher Wirkung auf Anzengruber und Rosegger. Die Februarrevolution mit ihrem Rückschlag auf die deutschen Zustände, die Zurüstungen zum Vorparlament veranlassen ihn, in seiner ersten schwäbischen Heimath zu candidiren. Am 4. März schenkt ihm seine Frau einen Knaben. Wenige Wochen nachher stirbt sie, vom Dichter zeitlebens betrauert. „Wie in einem Nervenfieber geht er in jenem ganzen Sommer durch die Welt. Er sieht und hört wie durch sieben Schleier“. Der kaum gegründete Hausstand ist für immer zerstört, „sein ganzes Sein wieder in Frage gestellt, ärger als in den Tagen jugendlichen Sturmes und elendester Verlassenheit“.

Planlos kommt er nach Wien, wird hier „aufgeregter Zuschauer“ der revolutionären Wirren, die er 1849 in dem „Tagebuch aus Wien. Von Latour bis auf Windischgrätz. September bis November 1848“ zu schildern versucht. In Wien lernt er in jenen Tagen auch Nina Landesmann, die Schwester von Hieronymus Lorm, kennen, mit der er sich im April 1849 in Eisgrub verlobt, nachdem er im März eine heftige Erkrankung überwunden hat. Am 1. Juli 1849 findet die Vermählung statt. Sein neuer Wohnsitz wird Dresden (1849 bis 1859). Seine nächsten Werke tragen nach seiner zutreffenden Selbstkritik Spuren auffälliger Gewaltsamkeit in der Diction, Symptome einer künstlerischen [416] Krisis, die das Trauerspiel „Andree Hofer“ und mehr noch den Zeitroman „Neues Leben“ zu Auerbach’s fragwürdigsten Schöpfungen stempeln. Gemüthliche, treue Genossen fand er an Rietschel, Robert Reinick, Otto Roquette, Pecht und vielen Anderen. Sein liebster Kamerad wurde jedoch Otto Ludwig, mit dem er über die schwierigsten Fragen strenger Kunstübung theoretisch und durch eindringende Kritik des Neugeschaffenen sich auseinandersetzte: Zeuge dessen insbesondere die Krone seiner Dorfgeschichten, der im Mai 1852 vollendete „Diethelm von Buchenberg“. Auf Sommerreisen in die Heimath verfolgte er die Wandlungen der bäuerlichen Zustände. Neue Dorfgeschichten (Brosi und Moni, Der Lehnhold, Barfüßele, Joseph im Schnee, Edelweiß etc.); neue dramatische Versuche („Der Wahrspruch“), eine Sammlung seiner kleinen Schnurren: „Das Schatzkästlein des Gevattersmanns“; eingehende (erst 1893 aus Auerbach’s Nachlaß veröffentlichte) dramaturgische Studien „Dramatische Eindrücke“ sind das Ergebniß der reichen Gedanken- uvd Künstlerarbeit der Dresdner Zeit. 1858 ist es ihm beschieden, die erste Ausgabe seiner „Gesammelten Schriften“ im Cotta’schen Verlag zu besorgen. So viel Eifer und Ernst er dazumal auch an die Umarbeitung der Ghettoromane und des Zeitromans „Neues Leben“ setzt: er sieht doch ein und sagt mit seltener Aufrichtigkeit dem vertrauten Lebensfreunde „was er als Resultat der Selbsterkenntniß in seinem litterarischen und persönlichen Leben faßte. Mir fehlt es in meinem Schaffen wie in meinem Leben an strenger Methode. Ein begünstigtes Naturell hat mich noch immer über Alles hinweggehoben, aber das Naturell darf doch nimmer und namentlich im vorgerückten Leben so allein vorherrschend walten“. Er nimmt sich redlich vor, „durch strenge Maßnahme in jeder Weise das zum Abschluß zu bringen, was ich, wie ich glaube, noch im Leben und Schaffen zu gestalten berufen bin“.

Der neue Lebensplan fällt mit der Wahl eines neuen Wohnsitzes zusammen. Mißverständnisse und mancherlei Verdrießlichkeiten bestimmten A., „Dresden für immer zu verlassen und den Kindern anderwärts eine feste Gemüthsheimath zu geben“. Eine Weile dachte er an Süddeutschland. 1860 entschied er sich für Berlin, das er „als Hauptstadt Deutschlands vordatirte“. Hof und Minister, Gelehrte und Künstler wetteiferten, dem Ankömmling hohe Ehren zu erweisen. Die Gemahlin des Prinzregenten, nachmals Königin und Kaiserin Augusta, lud ihn wiederholt zu ihren Theeabenden und forderte ihn bei solchem Anlaß mehr als einmal auf, ihrer Gesellschaft aus seinen Dichtungen vorzutragen. Auerswald spricht davon, ihm ein staatliches Ehrenamt zu bieten. Aber A. wird sowenig Bibliothekar des Prinzregenten, als Galeriedirector. Er sieht bald, daß er trotz aller Bevorzugung durch die Fürstlichkeiten in Gotha, Weimar, Karlsruhe, nur der eigenen Kraft vertrauen dürfe. Jahrelang trägt er sich nun mit dem Entwurf eines historischen Romans „Zu Straßburg auf der Schanz’“. Er macht Fußwanderungen im Elsaß, treibt ausgiebige geschichtliche Vorstudien, schreibt Planskizzen. Aber so zuversichtlich er, zumal während einer wundervoll beschriebenen Schweizer Reise, hofft, daß es ihm bevorstehe, noch ein Neues, Großes zu schaffen, mit dem Straßburg-Roman will es nicht recht vorwärts gehen. Ein Anerbieten von Ernst Keil, neben der Gartenlaube eine Beilage „Deutsche Blätter“ herauszugeben, muß er denn auch, im August 1862, annehmen. Anfangs hofft er, wie zuvor in seinem Volkskalender, nun auch in diesem Wochenblatt, gefördert durch Mitarbeiter wie Strauß und Kausler, Außerordentliches leisten zu können. Auf die Dauer versteht er sich aber nicht mit Keil’s Massengeschmack und „Gastwirths-Politik“. Nach schwerem Aerger entschließt er sich, im März 1864, Keil kurzweg zu kündigen. Den Muth zu diesem Entschluß gab ihm das Vollgefühl der Schaffenskraft, mit [417] dem er in denselben Tagen an seinem neuen, am 15. Mai 1864 in Potsdam abgeschlossenen Roman „Auf der Höhe“ arbeitete. Zuerst im Romanfeuilleton der neugegründeten Wiener Neuen Freien Presse gedruckt, gewann „Auf der Höhe“ nicht nur beim großen Publicum in und außerhalb Deutschland gewaltigen Anklang: Kenner, wie Karl Werder, rühmten den Roman aus freiem Antrieb als künstlerische That, und Friedrich Theodor Vischer schloß eine unübertroffene Würdigung des Buches mit dem Wort: „Dem deutschen Gaumen und Magen ist lange kein Tisch gedeckt worden, wo so nachhaltige und gediegene Lebensnahrung zu holen ist.“ Ein Roman von dieser Bedeutung ist A. nicht mehr gelungen. „Das Landhaus am Rhein“ (1867–69) will die dämonische Gewalt des Goldes an der Welt der Bildung messen, an echter Humanität und Gesittung zu Schanden werden lassen. Trotz mancher bedeutender Gedanken ist das Werk aber in der Goethe’s Romantechnik mißverstehenden Form verfehlt, im Inhalt und in der Charakteristik der Hauptgestalten unausgeglichen. Ein voller künstlerischer Treffer ist A. auch in der langen Reihe der folgenden Werke nicht mehr in den Schoß gefallen.

Das Jahr 1870 brachte ihm namenlose Freude. Mit voller Seele hielt er, seit jeher ein Parteigänger der preußischen Vorherrschaft, zur deutschen Sache. Beim Ausbruch des Krieges just in Nordstetten, warf er ein wirkungsvolles Flugblatt im echten Volkston unter die Massen: „Was will der Deutsche und was will der Franzos?“ In Cannstatt richtete er an die Landsleute, die ihm einen Fackelzug brachten, markige Worte. Vor Straßburg, wohin er in das Hauptquartier des Großherzogs von Baden berufen wurde, vermochte sein weiches Dichtergemüth aber die Härten einer regelrechten Belagerung nicht lange mit anzusehn. Aus der Ferne begleitete er die Waffenthaten der deutschen Heere mit hellem Jubel, und in Gedenkblättern zur Geschichte dieser Tage „Wieder unser“ (1871) gab er diesen Gesinnungen bezeichnenden Ausdruck.

Im neuen Reich, dessen Begründung ihn mit Stolz und Dank erfüllte, sagte er sich in ehrlicher Selbsterforschung einmal: Es sei nichts mehr zu erfinden, „was einer Gemüthserregung mit dem Tag von Sedan nur ein Aehnliches bieten könnte“. Schwere Krankheit, die ihn 1872 auf Schloß Ebnet bei Freiburg i. B. heimsuchte, ging nicht spurlos an ihm vorüber. Zu wiederholten Malen nahm er trotzdem seine Kraft zusammen. 1874 versuchte er im „Waldfried“ die Geschichte seiner Zeit in einem vaterländischen Roman auf seine Art festzuhalten. 1876 kehrte er „Nach dreißig Jahren“ in Neuen Dorfgeschichten zu altvertrauten Gestalten seiner kraftvolleren „ersten Epoche“, zum Geschlecht des Tolpatsch, zu den Kindern der Sträflinge, zu Lorle’s Reinhard zurück. 1877 schuf er im „Landolin von Reutershöfen“ ein Gegenstück zum Diethelm, das Wilhelm Scherer wohlwollend würdigte, 1879 im „Forstmeister“ im „Bergschinder“ Schaller einen „Wolf in Menschengestalt“, endlich in einer seiner allerletzten zum Abschluß gediehenen Erzählungen „Brigitta“ eine Heldin des Duldens, die das Gebot der Feindesliebe nur in bedingter und darum doppelt menschlicher Art erfüllt. Er sammelte und mehrte in drei Bänden „Deutscher Illustrirter Volksbücher“ Kalendergeschichten, Neue Stücklein vom Gevattersmann, Historisches, Anekdotisches, Moralistisches. Er übte mit alter Neidlosigkeit seine kritische Kunst in Charakteristiken von Keller’s, Freytag’s, Turgenjew’s, Vischer’s und vieler Anderer bedeutenden neuen Arbeiten. Er rüstete zu seiner Selbstbiographie, deren leider nicht über die Anfänge hinausgediehene Capitel er 1881 im Niedernauer Waldhaus seiner trefflichen Freunde Kilian und Clotilde Steiner niederschrieb. Er stand im Berliner Leben überall seinen Mann, wo es galt, Großes zu fördern: auf seine Anregung ging der „Wilhelms-Pfennig“, die Sammlung für den „Großen [418] Kurfürsten“ u. A. mehr zurück. Und am Ende seiner Tage war es ihm beschieden, die in seinem Erstlingsroman aus freier Eingebung geschilderten Stätten von Spinoza’s Leben zu besuchen und in herrlichen Briefen an seinen Herzensbruder Jacob Auerbach zu beschreiben und 1880 bei der Enthüllung des Denkmals im Haag in einem kernhaften Trinkspruch seiner alten Verehrung für den Weisen neuen Ausdruck zu geben.

Im Sommer 1879 stellte sich, nach Lasker’s Zeugniß, plötzlich Erschlaffung des Alters ein. Seitdem hat er sich nie mehr ganz erholt. Schwer herabstimmt durch solche körperliche Heimsuchungen, erfuhr er zugleich tiefen Seelenschmerz durch die Judenhetze. „Nagender Kummer“, so berichtet Lasker, „beschlich ihn, und in heftigen, nicht immer gemessenen Anklagen brach der Sturm hervor, welcher sein Gemüth erschütterte. Viel Leid ist ihm hieraus erwachsen, gewiß auch Nachtheil für seine Gesundheit, doch ist es billig zur Ehre der Wahrheit und zur Ehre des Dichters festzustellen, daß der Niedergang der Kräfte und die plötzliche Alterung eingetreten war, ehe die öffentlichen Wirren ihn ergriffen“. „Seine Stimmungen wechselten. Den tiefsten Stand bezeichnet die Klage, in welche er gegen den Freund ausbrach: ob denn sein ganzes Leben verfehlt sei?“ Die Antwort hätte ihm die in ganz Deutschland und Deutschösterreich, von Volk und Fürsten mit Antheil vorbereitete Feier seines 70. Geburtstages gebracht, den er nicht mehr erleben sollte. 1881 erkrankte er schwer in Cannstatt. Die Aerzte wendeten damals noch das Aeußerste ab. Sie schickten ihn nach Cannes, wo der Todkranke sich an der südlichen Flora erfreute, mit Entzücken im Homer las, allerlei für neue Romane und seine Denkwürdigkeiten notirte, und noch am 20. Januar 1882 dem getreuen Jacob schrieb: „Denke mich immer frischauf strebend, wenn auch momentan gebrochen“. Am 8. Februar 1882 dictirte er seinem Sohn Eugen einen Brief an Spielhagen, indem er Diesen zum wesentlichen Herausgeber seiner opera omnia bestellt, als eine Hauptsache die Herausgabe seiner Briefe an seinen alten vertrauenswerthen Freund Jacob Auerbach bezeichnet und im übrigen mit der Ordnung und Veröffentlichung des Nachlasses seinen Sohn Rechtsanwalt Eugen Auerbach in Berlin und den Schreiber dieser Zeilen betraut. Um 6 Uhr Abends des 8. Februar verschied er sanft.

Die Leiche wurde nach Nordstetten gebracht und am 15. Februar unter außerordentlicher Betheiligung im jüdischen Friedhof bestattet. Unzählige Kränze waren zur Stelle. Der König von Württemberg und der Großherzog von Baden waren durch Minister vertreten. Die Landbevölkerung war in hellen Scharen gekommen. Den Nachruf am Grab hielt Friedrich Theodor Vischer: „Hier wolltest Du begraben sein, hier in der Heimath bei dem stillen Dorfe, wo Deine Wiege stand, wo Du als Kind geträumt, als Knabe gespielt hast. Du hast Dein Ende an Deinen Anfang geknüpft. Du hast wohlgethan, denn hier in der traulichen Enge, fern von der lauten bunten Welt, war ja die Heimath Deines besten Schaffens, in diesem Elemente floß die vollste Quelle Deines wohlverdienten Ruhmes, hier, wo sich ‚nah der Natur menschlich der Mensch noch erzieht‘, wo unzerstreut von Lärm, Stoß und Hetze der Städte noch Mensch mit sich, Mensch mit Mensch, Mensch mit der Natur beisammen ist in wohnlich bescheidenen Wänden, im kräftigen Dampf der Ackerscholle, im Hauche der Wälder und Wiesen. Als Du längst weit hinausgewachsen über diese Stille und Enge, hast Du aus der Höhe der reifen Bildung, mit der ganzen Helle des Bewußtseins Dich zurück- und hineinversetzt, hast Dich liebend und lächelnd da wieder eingelebt, eingesponnen, innig und warm Dich hineingeschmiegt und diese Lebensform in erhöhtem Bilde wiedergegeben. Nicht falsch erhöht, nicht mit gleißnerischen, unwahr schönen, sondern mit satten und [419] saftigen Farben und kräftigen Schatten. Die Schatten durften nicht fehlen, denn wo der Mensch hinkommt, da bringt er auch seine Qual mit, auch im Leben der Einfalt fehlt nicht Sorge, Uebel, das Böse, das Verbrechen. Wo die Schatten leichter aufgetragen, hast Du sie mit dem freundlichen Lächeln des Humors gelöst, wo schwer und finster mit dem Blitzschlag der Nemesis. Hier ist Dein Eigenstes, hierin thut es Keiner Dir gleich. So bist Du der Schöpfer der lebenswahren Idylle geworden. Du hattest Vorläufer, vereinzelt ist diese Form vor Dir dagewesen, aber Schöpfer heißt, wer eine Form richtig entwickelt und als bleibende Gattung aufstellt im Saale der Dichtkunst. Bleibend – so werden auch Deine Charaktergestalten bleiben, ‚sie sind ewig, denn sie sind‘. Rein, hoch, weit, ungehemmt von Schranken des Raumes und der Zeit, geht nun Dein Geist durch die Welt. In fernen Tagen wird er noch bei manchem still in Deine Blätter vertieften Leser anklopfen, hier im Vaterland und weit hinaus über seine Marken, wird ihm leise die Schultern berühren und ihn grüßen und er wird innig dankend den Gruß erwidern; in fernen Tagen wird Dein Name über manche Lippen gehen, die in warmem Gespräche Dich nennen und ehren und rühmen. Du bist sterbend nicht gestorben. Leb wohl, Todter, sei gegrüßt, Lebendiger!“

Zur Bibliographie der Gesammtausgabe und der verschiedenen Sonder- und Sammelausgaben der Romane und Schwarzwälder Dorfgeschichten mit ihrer Absatzstatistik von über 100000 Exemplaren vgl. die Verlagskataloge der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. – Zur Kritik: Julian Schmidt, Charakterbilder aus d. zeitgenössischen Litteratur. 1875, S. 37–150. – Friedrich Spielhagen, Beiträge z. Technik und Theorie d. Romanes. Leipzig 1883, S. 315–346. – Erich Schmidt, Charakteristiken. Erste Reihe. Zweite Auflage 1902. – Georg Brandes, Deutsche Persönlichkeiten. Ges. Schriften I. 1902. S. 99–111. – Heyd, Bibliographie der württembergischen Geschichte. – Rudolf Krauß, Schwäbische Litteraturgeschichte, 1899. II, 288–289 u. 449. – Otto Ludwig, Studien II. 1891. – Treitschke, Deutsche Geschichte V. 1894, S. 385–387. – Zur Biographie: Berthold Auerbach. Ein Gedenkblatt zum 28. Februar 1882. Berlin 1882. – Rede auf Berthold Auerbach. An seinem Sarge zu Cannes gesprochen von Prof. Dr. M. Lazarus. – Berthold Auerbach. Eine Gedenkrede von Eduard Lasker. Berlin 1882. – Friedrich Theodor Vischer, Altes und Neues. Neue Folge 1889. Nachruf an Berthold Auerbach’s Grab S. 166–171. – Die Hauptquelle: Berthold Auerbach. Briefe an seinen Freund Jacob Auerbach. Ein biographischees Denkmal. Mit Vorbemerkungen von Friedrich Spielhagen u. dem Herausgeber. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1884. – Reiches gedrucktes Material in den Briefen und Denkwürdigkeiten von Freiligrath, Keller, Pecht, Anton Springer, Freytag, Heyse, Rosegger („Gute Kameraden“), David Strauß etc. und in Rodenberg’s Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der Deutschen Rundschau. – Ungedrucktes Material in den Papieren von und Briefen an Berthold Auerbach, die Dr. Kilian von Steiner für das Schiller-Archiv in Marbach erworben hat. – Anton Bettelheim, Berthold Auerbach in Nordstetten. Der Nachlaß von Berthold Auerbach. Zwei Vorträge. (Wiederholt in dem Sammelband: Deutsche und Franzosen. Wien 1895. S. 162–211.) – Anton Bettelheim, Berthold Auerbach auf der Universität und auf dem Hohenasperg (Beil. z. Allg. Ztg. 1889. Nr. 241, 247, 249). – Jahresberichte f. neuere deutsche Litteraturgeschichte.

[412] *) Zu Bd. XLVI, S. 84.