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ADB:Meyer, Conrad Ferdinand

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Artikel „Meyer, Konrad Ferdinand“ von Albert Geßler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 340–370, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer,_Conrad_Ferdinand&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 03:41 Uhr UTC)
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Meyer: Konrad Ferdinand M., schweizerischer Dichter, von Zürich, geboren als Conrad M. in Zürich am 11. October 1825. Die Familie stammte aus Eglisau, war aber seit 1614 in Zürich eingebürgert. Ursprünglich Handwerker, arbeiteten sich die Meyer schnell herauf: Der Strumpffabrikant und Handelsherr Melchior M. (1701–1787) galt als der reichste Zürcher seiner Zeit. Sein Sohn Hans Heinrich M. (1732–1814), ein ernsthafter, gesetzter Mann wie sein Vater, heirathete eine Landolt; mit dieser Frau aus vornehmem Geschlechte kam der aristokratische Zug in die Familie. Eins der neun Kinder dieses Ehepaars war des Dichters Großvater Joh. Jak. M. (1763–1819); er sah fremde Länder, wurde Oberst und war als Amtmann von Grüningen ein in Liedern besungener „Vater des Volkes“. Auch er hatte [341] neun Kinder, deren jüngstes, Ferdinand M. (1799–1840), der Vater des Dichters wurde (s. A. D. B. XXI, 569 f.). Von diesem Vater hat Conrad Ferd. M. die Freude am Historischen und dessen abgerundeter Gestaltung als schönstes Erbe überkommen. Seine Tochter Betsy hat ihn in ihrem prächtigen Buche „C. F. M. In der Erinnerung seiner Schwester“ (Berlin 1903, S. 80 f.) vorzüglich geschildert. (Siehe auch J. C. Bluntschli, „Denkwürdiges aus meinem Leben“ I, S. 111.) C. F. Meyer’s Mutter war die Tochter eines tief angelegten, begeisterten und feurigen Mannes, des Erziehungsrathes, Statthalters der helvetischen Regierung, Oberrichters und Taubstummenlehrers J. Conrad Ulrich (1761–1828), der eine Neigung zur Melancholie durch strenge Selbstzucht bekämpfte; politisch war er überzeugter Republikaner, Anhänger der Revolution, also ein „Gegner“ von Meyer’s anderem Großvater, dem conservativen Obersten Joh. Jak. M.: „Dem Zusammenfließen des Blutes zweier sich schroff entgegenstehender politischer Gegner, eines Föderalisten und eines Unitariers“, sagt C. F. M. in seiner kleinen Autobiographie (bei Anton Reitler, C. F. M. Eine litterar. Skizze zu des Dichters 60. Geburtstage. Leipzig 1885, S. 6), „schreibe ich meine Unparteilichkeit in politischen Dingen zu“. Den Großvater Ulrich nennt Adolf Frey (C. F. M. Sein Leben und seine Werke. Stuttg. 1900, S. 15) Meyer’s „echten und rechten Vorfahr im Geiste. Von ihm erbte er den groß und fest gebildeten Kopf und Nacken, von ihm das reizbare Temperament, von ihm die ganze Art und den Zug, der ihn über das stillere und im Grunde ruhigere Wesen seiner Sippe hinaushob“. Seine Tochter Elisabeth Franziska Charlotte (genannt Betsy, 1802–1856), war geistig regsam, aber von melancholischen Stimmungen beherrscht: „Heiterer Geist und trauriges Herz“, so habe seine Mutter, sagt C. F. M. (bei Reitler, S. 7), sich selbst charakterisirt. J. C. Bluntschli hat ihr, wie ihrem Gatten, im „Denkwürdigen aus meinem Leben“ (I, S. 156) eine tief gehende Charakteristik gewidmet. Im J. 1856 ging sie in einem Anfall von Schwermuth freiwillig aus dem Leben. Was sie dem Sohne gewesen ist, sagen seine Gedichte „Schwüle“ (Gedd. 23. Aufl., 1903, S. 57), „Das begrabene Herz“ (S. 187) und „Hetsperos“ (S. 185).

Der im großväterlich Ulrich’schen Hause, dem „Stampfenbach“ in Unterstraß-Zürich, geborene Sohn wurde, dem Großvater J. C. Ulrich nach, Conrad genannt; seit 1865 legte er sich (seit 1877 mit obrigkeitlicher Einwilligung) noch den Namen seines Vaters, Ferdinand, zu, um nicht mit einem anderen Zürcher Dichter, Konrad M., verwechselt zu werden. Aus dem von 1828–1836 geführten Tagebuche der Mutter läßt sich Meyer’s kindliches Wachsen und Werden Schritt für Schritt verfolgen. Er war kein Wunderknabe, aber aufgeweckten, schon von früh an schönheitsfrohen Geistes; am 19. März 1831 wurde ihm im „grünen Seidenhof“ die Schwester Betsy geboren. Seit demselben Monat besuchte Conrad die Schule; er zeigte darin ein verträumtes Wesen und ließ darum durchaus keine eigentliche Begabung erkennen. Lieber waren ihm Spaziergänge mit dem Vater (vgl. das Gedicht „Der Reisebecher“ (S. 91), besonders als ihn dieser (seit 1834) in die Alpen zu führen begann; namentlich hat er von Graubünden, das er 1838 erstmals sah, tiefe Eindrücke empfangen. Meyer’s bedeutendste Jugenderinnerung ist der Züriputsch, d. h. der Volksaufstand, den die Berufung von D. F. Strauß an die Zürcher Hochschule verursachte. Nach dem Tode des Vaters (1840) machte die verträumte, seltsame Art des Sohnes der Mutter viele Sorge. Sie begriff ihn nicht und schüttete ihr Herz dann dem Freunde ihres Gatten, dem waadtländischen Historiker Louis Vulliemin, in Briefen aus. Conrad [342] selbst wurde verschlossen und menschenscheu. Dabei durchlief er das Gymnasium ohne großen Erfolg. Das letzte Schuljahr beendete er nicht; denn die Mutter, mit Recht geängstigt durch die eigenthümliche Gemüthshaltung ihres Sohnes, und in der Meinung, sie vermöge ihn nicht zu erziehen, sandte ihn nach Lausanne in die Pension eines Herrn Gaudin in Petit-Château. Es wurde ihm wohler; er gab sich, erzählt er selbst (bei Reitler, S. 7), widerstandslos den neuen Eindrücken der französischen Litteratur hin und ließ Classiker und Zeitgenossen auf sich wirken, die classische Komik Molières nicht weniger als den lyrischen Taumelbecher Alfred de Musset’s: „So wurde mir von jung auf die französische Sprache vertraut, und ich schreibe sie leidlich“. Es erwachte auch der Dichter in ihm: Die herrliche Natur am Genfersee hatte die Poesie in ihm geweckt; diese ist noch hart, aber Gutes steckt doch schon darin (Proben bei Ad. Frey, „C. F. M.“, S. 41 f.). Ungern kehrte er (1844) nach Zürich zurück; da schloß sich in herber Bitterkeit sein Wesen wieder zu, und er erschien der Mutter, nach Betsy’s „Erinnerung“ (S. 63), wieder so „unbeugsam“ wie vorher. Er bestand dann die Maturitätsprüfung und immatriculirte sich, auf Bluntschli’s Rath, an der juristischen Facultät, allerdings ohne Neigung für das Rechtsstudium. Lieber als in den Collegien saß er im „Künstlergütli“ bei Maler Schweizer und zeichnete. Aber auch da sah er keinen Erfolg und warf sich wieder auf die Poesie. Die Mutter schickte Conrad’s Gedichte nach Stuttgart an Gustav Pfizer, dessen Frau sie kannte. (Ueber diese Gedichte s. Frey a. a. O. S. 44 f.) Der Bericht des braven schwäbischen Poeten lautete völlig entmuthigend: Der Sohn solle lieber Maler als Dichter werden. Conrad war seiner selbst unsicherer als je: „Ich begann“, erzählt er (bei Reitler, S. 7) „ein einsame Leben, kein unthätiges, aber ein zersplittertes und willkürliches. Ich habe damals unendlich viel gelesen, mich leidenschaftlich, aber ohne Ziel und Methode in historische Studien vertieft, manche Chronik durchstöbert und mich mit dem Geiste der verschiedenen Jahrhunderte aus den Quellen bekannt gemacht. Auch davon ist mir etwas geblieben: der historische Boden und die mäßig angewendete Localfarbe, die ich später allen meinen Dichtungen habe geben können, ohne ein Buch nachzuschlagen. Dieses zurückgezogene Leben habe ich Jahrzehnte lang weitergeführt, da meine gute Mutter mir volle Freiheit ließ“. D. h. diese Mutter war in Bezug auf den Sohn, für den sich nirgends ein Lebensweg aufzuthun schien, gänzlich trostlos (Brief der Mutter aus dem Jahre 1849 an Vulliemin bei Aug. Langmesser „C. F. M. Sein Leben, seine Werke und sein Nachlaß“. Berlin 1905. S. 24): Sie erwartete „von ihm nichts mehr in dieser Welt“. Aehnlich empfand er selbst, vielleicht noch quälender; er wurde noch scheuer und mied sogar den Verkehr mit der weiteren Familie. Von seinen Altersgenossen schloß er sich ganz ab; diese betrachteten den Unschlüssigen, Berufslosen als einen Raté; höchstens einem alten Schulfreunde, dem in österreichischen Diensten stehenden Lieutenant (späteren Generalmajor) Conrad Nüscheler, der 1849 in Zürich eine vor Ancona erhaltene Wunde pflegte, zeigte er hellere Seiten. Weiblicher Gesellschaft war er vollends abhold; nur eine junge Freundin seiner Schwester, Johanna Heußer, die spätere Joh. Spyri, die Tochter der begabten Dichterin Meta H., vermochte ihn zu fesseln, und sie blieben „gute, treue Freunde“ (M. an Louise v. François, ed. Bettelheim, „L. v. François und C. F. M. Ein Briefwechsel“. Berlin 1905, S. 105). Frau Spyri hat später zu Langmesser (s. d. S. 26) über M. gesagt: „Er war immer ein bedeutender Mensch, auch in der Zeit, wo Alles achtungslos an ihm vorüberging. Was wir jetzt von ihm in vollendeter Form besitzen, gärte schon damals chaotisch in seinem Inneren. Seine goldreine Poesie [343] brauchte Zeit zum Reifen und seine tiefgründige Natur Jahre, um zum Lichte emporzudringen“. In jener trüben Zeit aber – die „dumpfe“ hat er sie selbst genannt – schien er immer mehr ins Dunkel versinken zu wollen; auch Schwimmen und Fechten rissen ihn nicht aus der Melancholie und dem Lebensüberdrusse. Da stellte er sich, der Mutter zu Liebe, welche von Genfer Freunden berathen war, im Juni 1852 den Irrenärzten Dr. Bovet und Dr. Borrel in Préfargier (Kanton Neuenburg) vor; diese constatierten eine etwas ungewöhnliche Ueberreizung und behielten ihn zwei Monate, kaum als Kranken, sondern als zu Beruhigenden. M. ging dann nicht nach Hause, sondern nach Neuenburg zu Professor Ch. Godet; doch man verstand ihn dort nicht recht, und er vertauschte (März 1853) Neuenburg mit dem geliebten Lausanne. Auch diesmal fand er bei Vulliemin freundlichstes Entgegenkommen und fühlte sich frei und gesund. Der väterliche Freund leitete ihn zu ernsten historischen Studien an; sie galten vornehmlich der Reformationszeit, deren Gestalten dann später auch in Meyer’s Dichtung lebendig geworden sind. Unter dem Einflusse der harmonischen Persönlichkeit Vulliemin’s wurde M. auch jener gewandte, nie oberflächliche Causeur, als der er später Alle entzückt hat, die mit ihm in Berührung gekommen sind. Vulliemin verschaffte sodann dem jungen Manne die erste regelmäßige Beschäftigung, nämlich Geschichtsunterricht am Lausanner Blindeninstitut; darauf bewog er ihn, Augustin Thierry’s „Récits des temps mérovingiens“ ins Deutsche zu übersetzen (als „Erzählungen aus den merowingischen Zeiten, mit einleitenden Betrachtungen über die Geschichte Frankreichs“, ohne Uebersetzernamen 1855 bei R. L. Friederichs in Elberfeld erschienen). Später hat er dann nochmals eine Uebersetzung geliefert, nämlich von Guizot’s Büchlein „L’amour dans le mariage“ (Unter dem Titel „Lady Russel. Eine geschichtliche Studie. Aus dem Französischen“ 1857 bei Beyel in Zürich herausgekommen und fast unbekannt geblieben). An diesen beiden Werken, auch an anderen Meistern, so an Pascal, Fénelon und Vinet, hat M. seinen Stil geschult; er ist von französischer Rundung und Klarheit. „Vergessen Sie nicht“, schrieb er am 23. XI. 82 an L. v. François (a. a. O. S. 77), „daß ich 10 Jahre meines Lebens (25–35) französisch gewesen bin. So ist mir meine Vorliebe geblieben – auch für die rein stylistischen Vorzüge der französischen Litteratur“. M. war innerlich nun so gefestet, daß er sich nach einer fixen Anstellung umsah; es fand sich zwar keine. Ende 1853 kehrte er nach Zürich zurück, verwandelt; er hatte seinen Geschmack gebildet und wußte, was Arbeiten heißt. Auch die Mutter und die Schwester lebten auf; die Mitbürger allerdings verharrten bei ihren Zweifeln, da sie keine positiven Resultate sahen; M. wäre darum gerne nach Lausanne zurückgekehrt. Außer den Uebersetzungen verfaßte er damals eine kleine Novelle, die aber nie gedruckt worden ist. Langmesser nennt sie (S. 38) „Klara von Rochefort“. Frey (S. 69 f.) lobt daran die sichere Durchbildung des Motivs und die vollständige Durchdenkung der einzelnen Theile, den rein epischen Fortgang und das Fernsein jeder lyrischen Verschwommenheit; hingegen fehle Blut, Leidenschaft, Wärme, Fülle; M. wisse noch nicht anschaulich zu machen; noch wiege die überlegende Betrachtung vor, wenn auch seine spätere Art, ein Motiv in wenigen, dramatisch empfundenen Scenen zusammenzufassen, deutlich durchbreche. Keime zur „Richterin“ und zur „Hochzeit des Mönchs“ stecken in dieser Skizze.

Da brach (1856) bei Meyer’s Mutter die Melancholie aus, die immer in ihr latent gewesen war, d. h. sich bis dahin nur in zu Depressionen neigender Reizbarkeit gezeigt hatte; sie wurde nach Préfargier gebracht; dort hielt man sie nicht für schwer krank und gestattete ihr Spaziergänge; auf deren einem [344] hat sie – wie oben schon angedeutet worden ist – am 27. September 1856 in den Wellen der Zihl den Tod gesucht und gefunden. Natürlich beugte dieses Unglück M. tief; er ging nach dem Begräbniß in Prefargier nach Lausanne und wollte dann nach Italien; aber Dr. Borrel widerrieth. Nach einem kurzen Aufenthalt in Zürich, wo er unter all den Gespenstern der Vergangenheit, namentlich denen der Berufslosigkeit und der öffentlichen Meinung, wieder fürchterlich litt, ging er im März 1857 nach Paris; er wollte dort jus studiren, die Studien dann in Berlin vollenden, in der Heimath später sein Vermögen verwalten und ein kleines Amt annehmen. Aber statt aufs jus warf er sich in Paris auf die hohe Kunst: Architektur und Malerei. Seine Briefe an die Schwester strömen plötzlich über von Freude, Staunen und Glück (Stellen daraus bei Frey, S. 83 ff.) Im Juni kam er zurück; er hatte eine Arbeit begonnen: eine Uebersetzung von Platen’s „Geschichten des Königreichs Neapel“ ins Französische (unvollendet und bis jetzt ungedruckt). Der Sommer fand ihn mit Betsy in Engelberg. Im Herbst reiste er nach München; auch von dort berichteten Briefe an die innig geliebte Schwester über hohes und intimes Kunst-Erleben (Stellen bei Frey, S. 101 ff.). Im October war er wieder in Zürich und lebte ganz zurückgezogen, nur im Verkehre mit der Schwester und einer Freundin der verstorbenen Mutter, Mathilde Escher; diese suchte M. zur Selbständigkeit zu bringen. Eine unerwiderte Liebe trieb ihn dann wieder fort: er ging über Genf und Marseille nach Italien, direkt nach Rom und erlebte dort die allertiefsten Eindrücke: das was den Dichter in ihm am stärksten angeregt hat; noch zwar blieben die machtvollen Impressionen in seinem Innern, aber als ein lebendiger Schatz, aus dem später die monumentalen Bilder in edler Form aufsteigen sollten, in ihrer Mitte diejenige Gestalt, die ihm am gewaltigsten sich aufgedrungen hatte, Michelangelo. Frey gibt (S. 119) ein Gedicht aus dem Jahre 1864, das die Abschiedsstimmung schildert; M. selbst hat es nie drucken lassen; für die entscheidende Richtung, die seine Kunst in Rom empfangen hat, ist es jedoch, abgesehen vom hohen Form- und Stimmungswerth, ein Dokument:

„Aus eines hohen Gartens Dunkel schau ich still,
Da eben auf St. Peters lichtem Dom
Der letzte Strahl der Sonne zittern will,
Auf das erblichne Rom.

Sacht tritt zurück in seiner Schwestern Reihn
Das ungeduld’ge, ruhelose Heut,
Und keine Welle fluthet mehr allein
Im tiefen Strom der Zeit.

Nun laß mich scheiden, Stadt der Welt, von dir
Und laß mich dein gedenken früh und spat,
Daß die Betrachtung thätig werde mir
Und ruhig meine That.

Den Ernst des Lebens nehm’ ich mit mir fort,
Den Sinn des Großen raubt mir keiner mehr;
Ich nehme der Gedanken reichen Hort
Nun über Land und Meer.“

Wie die Stadt mit ihrer Kunst hatte ihn auch die Landschaft angezogen, dann das Leben in Rom selbst wie das in der Campagna. Auf dem Rückwege besuchte er einen Freund seiner Familie, den florentinischen Baron Ricasoli und lernte in ihm eine hochdenkende, überragende Persönlichkeit kennen: eine Art Modell für manche seiner späteren Gestalten. (Ueber Ricasoli s. Betsy M. a. a. O. S. 122 ff.). Mit ihm besuchte er Florenz und wurde da reicher an innerer Künstlerschaft; Dante trat in den Kreis seiner lebendigen Anschauung. [345] Im Spätsommer ging er nach Engelberg. Wieder in Zürich, übersetzte er zu dem Prachtwerk „Die Schweiz in Bildern“, herausgegeben von Prof. J. Ulrich den von J. Reithard verfaßten Text ins Französische mit einigen feinsinnigen eigenen Zusätzen (Frey, S. 133 f); es erschien ohne Uebersetzernamen als „La Suisse pittoresque par J. Ulrich, professeur de l’école polyt. fédérale“ bei Füßli & Co. in Zürich. Ein anderes größeres Werk, eine mit Alfred Rochat zusammen geplante Uebersetzung von Mommsen’s „Römischer Geschichte“, scheiterte an der wenig entgegenkommenden Art des Pariser Verlegers. M. war trotzdem nicht ohne Zuversicht, machte er doch damals im Kopfe Pläne zu Dramen und sagte zu Rochat: „Ich bin bald vierzig Jahre alt und habe eigentlich nichts geleistet; aber mir fällt oft Cervantes ein, der erst nach den sechziger Jahren berühmt wurde; das tröstet mich: ich habe also noch Zeit“ (Frey, 135). Der Sommer 1859 fand den Dichter wieder in Engelberg; dort reifte in ihm seine Dichtung „Engelberg“ innerlich heran, und entstanden die zwei seelentiefen Gedichte „Himmelsnähe“ und „Das Glöcklein“ (Gedd. S. 94, 98): Naturstimmung das eine, Menschenschilderung in tragischem Lichte, aber im Schimmer der Firne Tod und Leben versöhnt, das andere. Nach einem unangenehmen Zürcher Winter begab er sich im nächsten Frühjahr wiederum nach Lausanne; er trug dabei eine Liebe im Herzen, zu Clelia Weidmann (1837–1866); sie ist die junge Todte seiner wenigen Liebesgedichte. Sie hatte ihm ein Jawort versagt, und in Lausanne wollte er sich vergessen, zugleich – endlich – an die Schaffung einer Lebensstellung denken: er meinte sich auf die Laufbahn eines Privatdocenten für französische Sprache und Litteratur am Zürcher Polytechnikum vorbereiten zu können. Zu diesem Zwecke begann er – auf Französisch – eine Studie über „Goethe und Lavater, ihr Verhältniß und ihren Briefwechsel“; aber die Arbeit fesselte ihn nicht; er schweifte zur Bibel ab, ließ sich von der Gestalt des Apostels Paulus festhalten und dachte sogar einen Moment lang an das Studium der Theologie. Nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt wollte er J. F. Astié’s „Esprit d’Alexandre Vinet“ (Genf 1861) übersetzen.

Aber mächtiger als zu diesem Buche über den Waadtländer Theologen und Litterarhistoriker zog es ihn zur Poesie. Er sandte hundert seiner Gedichte unter dem Titel „Bilder und Balladen von Ulrich Meister“ an den Leipziger Verleger J. J. Weber; dieser lehnte ab. Wol sind einige dieser Gedichte Keimstadien späterer Meisterwerke; aber sie sind breit, im deutschen Ausdruck ungelenk; höchstens einige Sprüche sind gut (Proben bei Frey, S. 149 ff.). Trotz dem (übrigens erwarteten) Mißerfolge schrieb er am 3. Januar 1861 an die Schwester, er hoffe „ganz decidirt durchzudringen, nach Jahr und Tag, mit viel Schweiß, aber: durchzudringen“ (Frey, S. 154). – Er blieb bei der Poesie, ließ sich auch mit neuen Sachen nochmals (vom Stuttgarter „Morgenblatt“) abweisen; dann aber reiste Betsy, die treue Schwesterseele, mit 20 Balladen des Bruders selbst nach Stuttgart und fand, mit Pfizer’s Freundeshülfe, einen Verleger, allerdings, wie sie schreibt, „à tes risques et périls“ (380–400 Franken) … „Im ganzen, mein liebster Dichter, bin ich mit meiner Reise zufrieden. Einige Gläser kalten Wassers hab’ ich wol bekommen: aber … mehr Klarheit in der Sache gewonnen und die freudige Zuversicht, daß ein wichtiger Schritt vorwärts gethan wird durch die Publikation“ (Frey, S. 165). Pfizer’s Rath, Lyrisches zu den Balladen hinzuzugehen, befolgte er, in richtiger Erkenntniß, daß diese reifer seien als seine Lyrik, nicht; andere Winke Pfizer’s wurden hingegen beachtet, und endlich erschienen, 1864, in der Metzler’schen Buchhandlung in Stuttgart, „Zwanzig Balladen von einem Schweizer“ (144 Seiten). Seinen Namen nannte M. nicht, erstens aus [346] Scheu, zweitens um, wie schon gesagt, nicht mit dem frommen Zürcher Poeten Konrad M. verwechselt zu werden (Gedd. von diesem bei Rob. Weber, „Die poet. Nationalit. der deutschen Schweiz“, Bd. III, Glarus 1867, S. 322–354). Meyer’s „Balladen“ stehen formal höher als die 1860 nach Leipzig gesandten Gedichte: Die später so charakteristische Meyer’sche Sprache mit ihrer Knappheit, Fülle und Prägnanz tönt schon dann und wann, allerdings neben vielem Breiten, auch neben Fadem und übermäßig Rhetorischem. Die Balladen haben ihm später künstlerisch nicht mehr genügt; er hat sie sämmtlich umgeschaffen, und zwar in jener in der Litteratur einzig dastehenden Art der Concentration, die nicht ruhte, bis die höchste Kraft und die gediegenste Form in machtvoller Harmonie verschmolzen waren. Dabei ist anzumerken, daß M. von seinen 20 Balladen eigentlich nur eine einzige („Neues Leben“) ganz verworfen hat; die anderen waren schon 1864 in den Stoffen so tief gefaßt, daß sie aus dem Stadium, in dem sie zum ersten Mal gedruckt vorlagen, zur Fülle und zur Vollendung ihres Wesens zu reifen wol geeignet waren. (Aus einer zweiten verworfenen, „Die Novize“, hat er wenigstens den dann als Refrain zum „Hochzeitslied“ verwendeten Vers beibehalten: „Geh und lieb’ und leide!“) Den Wandlungen der Gedichte Meyer’s nachzugehen, gehört zum Instructivsten auf ästhetischem Gebiete: Man wohnt einem unerhört feinen Wachsthum nach innen sozusagen körperlich bei; und dabei zu sehen, wie die Form sich festet und glättet, wie sie dem immer straffer gefaßten Inhalt zugleich mit dessen Wandlung ein künstlerisch immer besseres, passenderes Kleid wird, bis Beides zusammen dasteht als Kunstwerk, vollendet, aere perennius, das ist Genuß hoher Art. Diesen erleichtern uns die Arbeiten zweier Forscher, die verschiedene Fassungen Meyer’scher Gedichte nebeneinander stellen und uns so den gewünschten Ueberblick gewähren: 1. Heinrich Moser, der in „Wandlungen der Gedichte C. F. Meyer’s“ (Lpz. 1900) mehr nach allgemeinen Gesichtspunkten sich richtet und in einem ersten Theile (CII Seiten) Charakteristik, Personification, Wohllaut, Stimmung, Wucht und Pathos, Wechsel der Strophenform, Symmetrie, Anschaulichkeit, ethische und psychologische Vertiefung u. s. w. behandelt, während ein zweiter Theil (90 Seiten) Proben und Belege bringt. 2. Heinrich Kraeger; dieser gibt in „C. F. M. Quellen und Wandlungen seiner Gedichte“ (Palaestra ed. Alois Brandl und Erich Schmidt, Bd. XVI, 367 Seiten; Berlin 1901) jedem Gedichte „eine eigene, liebevoll ausgeführte und auf das Charakteristische bedachte Biographie“, d. h. er geht jedesmal, außer daß er die verschiedenen Redactionen vergleicht, auf die Gründe der Veränderung ein, weist auch bei jedem Gedichte, so weit möglich, die Quelle nach. Die Hindeutung auf diese beiden Bücher muß hier genügen: Sie erweisen Meyer’s Ringen mit Stoff und Form, zugleich seinen Blick auf das Große, für die führenden Linien, auch sein absolut richtiges und mit den Jahren immer sicherer werdendes Gefühl für das, was im besten Sinne Stil ist. – Daß Meyer’s erste Gedichte Balladen waren, ist in mehrfacher Beziehung charakteristisch für ihn; einmal zeigt es seine starke Hinneigung zur Geschichte; denn die Balladen behandeln keine modernen Stoffe; zweitens zeigt das Zurückdrängen der Lyrik seine Scheu, das eigene Innere direct sehen zu lassen: ein aristokratisches Wegtreten von der Welt, die sein Tiefstes so wenig verstanden hatte. Es kommt ja natürlich in den Balladen auch hervor: als machtvolles Schauen, als Drang zu äußerer und innerer Kraft, zu äußerem und innerem Rhythmus, zu Wohllaut, zu Farbe und Leben, zur Stimmung auch; aber das sind Mittel des Künstlers, des so viel wie möglich aus seiner Sujectivität heraus objectiv Schauenden und Gestaltenden. Sich selbst unmittelbar zu geben, widerstrebte ihm jedoch. Immerhin, das Eingangsgedicht [347] zu den „Zwanzig Balladen“ war reine, schöne Lyrik, war Frühlingsstimmung aus Natur und Leben heraus: Frühlingsbild und Frühlingswunsch:

„Der Frühling kommt, die Berge strahlen rein,
Der Himmel spiegelt sich in klarer Bucht,
Mit gleicher Güte neigt der milde Schein
Sich auf das sanfte Thal, die rauhe Schlucht.

Leis schmilzt der Schnee, es stürzt in breitem Guß
Der Wasserfall und braust zu Thale schon,
Mit vollen Borden rauscht der kühle Fluß,
Mit allen Wassern zieht der Rhein davon.

Du hast den Wanderstab nun in der Hand,
O Frühling, alles rinnt und rauscht mit dir,
Nimm du mir meine Lieder über Land,
Und gib aus deinem Füllhorn neue mir!“

Und am Schlusse stand „Fingerhütchen“: wie eine Vordeutung auf Poesie anderer, nicht rein balladesker Art, eine Talentprobe aus Meisterhand schon in der ersten Fassung, obschon der stimmungsmäßige, melodiöse Mittelpunkt:

„Silberfähre, gleitest leise
Ohne Ruder, ohne Gleise“

noch nicht im feinsten rhythmischen – wenn auch schon fast ganz im gefühlsmäßig onomatopoetischen – Wohllaute herausgebracht war, als:

„Mondenscheibe, stille, weiße,
Sei begrüßt auf deiner Reise.“

Der Erfolg der „Balladen“ war nicht groß; aber edle, feinsinnige Zürcher, wie Georg v. Wyß, ferner Meyer’s alter Waadtländer Mentor Vulliemin, auch der damals in Zürich docirende Fr. Th. Vischer, sprachen sich lobend aus; also die besten hörten, nach Vischer’s Wort, „die Metallader des Talentes“ klingen. – Vom Metzler’schen Verlage ging 1870 der erste Meyer’sche Band mit neuem Aufdruck als „Balladen von Conr. Ferd. Meyer“ (also nicht mehr anonym), inhaltlich unverändert an den Verlag von H. Haessel in Leipzig über. In Stuttgart betrieb Pfizer die Aufnahme Meyer’scher (mit C. M. gezeichneter) Gedichte („Vercingetorix“, „Waldweg“, „Die drei Spielleute“, „Der Erntewagen“, „An die Natur im Spätsommer“, „Himmelsnähe“, „Michelangelo’s Gebet“ und „Der Musensaal“) in den letzten Jahrgang (1865) des „Morgenblattes“; 1866 erschienen in den schweizerischen „Alpenrosen“: „Der erste Schnee“ und „Die Lautenstimmer“, 1867 „Der Mars von Florenz“ und „Milton’s Wache“. M. dachte dann an einen größeren Stoff, auf den ihn Vulliemin schon vor 20 Jahren hingewiesen hatte: „Jürg Jenatsch“. Er wollte zuerst diese mächtige, dunkle Gestalt zum Helden eines Dramas machen (ein kleines dramatisches Fragment bei Frey, S. 189). Um sich genau zu orientiren, reiste er mit der Schwester nach dem ihm seit der Jugendzeit lieben Graubünden (Frey, S.173 „Auf den Fährten des Jenatsch“); manches Landschaftsbild prägte sich ihm zu späterer poetischer Frei- und Neugestaltung ein, die es in Gedichten und im „Jenatsch“ erfahren hat. Im Sommer 1867 ging er abermals nach Bünden und hat dort am Morteratsch dasjenige Gedicht empfangen, das sein ganzes Wesen am sichersten charakterisirt, 1869 in den „Romanzen und Bildern“ „Im Engadin“, später „Firnelicht“ genannt (Gedd. S. 93):

1. „Wie pocht’ das Herz mir in der Brust
Trotz meiner jungen Wanderlust,
Wann, heimgewendet, ich erschaut’
Die Schneegebirge, süß umblaut,
 Das große stille Leuchten!

2. Ich athmet’ eilig, wie auf Raub,
Der Märkte Dunst, der Städte Staub.
Ich sah den Kampf. Was sagest du,
Mein reines Firnelicht, dazu,
 Du großes stilles Leuchten?

[348] 3. Nie prahlt’ ich mit der Heimath noch,
Und liebe sie von Herzen doch!
In meinem Wesen und Gedicht
Allüberall ist Firnelicht,
 Das große stille Leuchten.

4. Was kann ich für die Heimath thun,
Bevor ich geh’ im Grabe ruhn?
Was geb’ ich, das dem Tod entflieht?
Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied,
 Ein kleines stilles Leuchten!“

Das ist – außerdem daß es schlichte, bescheidene Seelengröße zeigt – inneres Erlebniß, Lyrik reinster und edelster Art, Meyer’scher Prägung allerdings, d. h. hindurchgegangen durch die Reflexion; aber diese ist dabei restlos in Poesie, in Schauen und Musik, aufgelöst. Von diesem Lebens- und Empfindungsbekenntniß geht übrigens eine gerade Linie zur letzten Strophe des oben (S. 344) citirten „Abschieds von Rom“: „Den Sinn des Großen raubt mir keiner mehr“. (Ueber die Anfänge und Wandlungen des „Firnelicht“-Gedichtes s. Kraeger, S. 185 ff.) Diesmal besonders wurden die Jenatsch-Oertlichkeiten besucht, und Rietberg im Domleschg, das alte Plantaschloß, wo im Kamin ein Kreuz die Stelle angibt, an der Pompejus Planta erschlagen worden ist, gab ihm ein Gedicht ein, das er nicht veröffentlicht hat, weil es sich mit einer Scene im „Jenatsch“ deckte: „Das Mordbeil (aus Graubünden)“ in 13 Distichen (bei Frey, S. 186). Graubünden gefiel ihm diesmal so sehr, daß er den Plan erwog, in Thusis zu leben. Doch die Zürcher Freunde hielten ihn in der Heimath fest, und er zog (Ostern 1868) nach Küßnacht am Zürchersee ins Haus zum „Seehof“. Dort betrieb er energische Studien zum „Jenatsch“. In dem altzürcherischen Landhause fühlte er sich auch, wie er an Vulliemin schrieb, „mit den höchsten Empfindungen inspirirt“. Lyrische Gedichte sind ihr ebenso tiefer wie harmonischer Ausdruck: „Zwei Segel“ (Gedd. S. 184), „Tag, schein’ herein! und Leben, flieh’ hinaus!“ (S. 139), „Nachtgeräusche“ (S. 8), „Der schöne Tag“ (S. 10), „Eingelegte Ruder“ (S. 60), „Abendwolke“ (S. 68), „Die todten Freunde“ (S. 9), „Im Spätboot“ (S. 62). Auch sie haben natürlich bis zur letzten Fassung (1882 ff.) manche Umarbeitung erfahren. Hohes Glück für ihn war die Gesellschaft, die er im nahen Landgute „Mariafeld“ in Meilen bei Francois und Eliza Wille fand. „Beides ganz bedeutende Menschen“: Wille (1811–1896), früher Journalist, ein männlich edler, umfassender Geist, seine Gattin Eliza Sloman (1809–1893) eine feinsinnige Schriftstellerin, eine Frau von echter Herzenstiefe. Dort verkehrten die geistigen Koryphäen Zürichs, z. B. die drei Gottfriede (Keller, Kinkel und Semper), der Graf Wladislaw Plater, das Ehepaar Wesendonck u. A. In der Gesellschaft war M. schweigsam; nur wenn er an den Mittwoch-Abenden allein kam, las er sein Neuestes vor und fand dafür inniges Verständniß und feine Kritik (Frey, S. 195 ff. „Die Tafelrunde zu Mariafeld“). – Für eine neue Gedichtpublikation war nun wieder genug Stoff vorhanden, und ein Verleger meldete sich selbst: Herm. Haessel in Leipzig, der 1865 eine von Betsy mit Hülfe des Bruders angefertigte Uebersetzung von E. Naville’s sieben Reden, „Der himmlische Vater“, edirt hatte. Das neue Buch waren die „Romanzen und Bilder von Conrad Ferdinand Meyer“, 1870 (d. h. es erschien schon Ende 1869). Die Beifügung des Vaternamens „Ferdinand“ erfolgte auf Grund freundschaftlicher Abrede mit dem oben genannten Konr. M. Der Band gab Lyrisches und Episches. Der I. der beiden Theile (45 von 123 Seiten) heißt „Stimmung“ und brachte jene schon charakterisirte, an Reflexion und Phantasie genährte Lyrik; d. h. der feiner Empfindende ahnt aus und über den See- und Hochgebirgsstimmungen, auch aus und über dem, was Italien und Frankreich im Dichter geweckt haben, „das große stille Leuchten“, das Meyer’s „Wesen und Gedicht“ innerlich verklärt. In den Seeliedern wollen Langmesser (S. 200) und Kraeger (S. 167 f.) Lenau’schen Ductus wahrnehmen; ich erkenne aber nur einen M. durchaus [349] eigenen Ton, schon bevor aus verschiedenen dieser Gedichte das tiefe, rhythmisch so wundervolle „Eingelegte Ruder“ (Gedd., S. 60) geworden ist, dem „allzu leidenschaftslose Gleichgültigkeit, mit der sich Dichtung und Phantasie nicht recht vertragen“ (Kraeger, S. 168) gewiß nicht nachgeredet werden kann. Dann athmet Waldpoesie; dann leuchtet das Gold der Ernte und wird der Wein gesegnet; darauf klingt wieder eigenes Erleben nach in der zarten Elegie „Einer Todten“ (Gedd. S. 205); hierauf wandeln wir durch Felsen („Der Pfad“, später „Die Felswand“, Gedd. S. 103): die Teufelsbrücke steht vor uns; dann sind wir in Rom am „schönen Brunnen“ (S. 155 „Der römische Brunnen“) mit seinem prächtig strömenden Rhythmus. Aus dem übernächsten, nicht sehr bedeutenden Gedichte „Kommt wieder“ sind später (s. die Wandlungen bei Kraeger, S. 208 ff. und bei Moser II, 12 f.) die Gedichte „Der Gesang des Meeres“ (S. 171) und „Mövenflug“ geworden, das erste ein Naturbild voll grandiosen Innenlebens, das zweite ein Symbol von tiefster Fülle und edelster Klarheit, ein Juwel Meyer’scher Lyrik: Anschauung, Seelenerlebniß, schlicht große Form, Alles in Phantasie und Reflexion zur Harmonie geschmolzen (Gedd. S. 178). – Fast am Schlusse steht nochmals ein Liebesgedicht („Spielzeug“ S. 194), ein neckisches Ding, das einen schalkhaften Ton in den lyrischen Ernst der anderen Gaben gleiten läßt. Der II. Theil gibt „Romanzen“, d. h. Balladen. Die Stoffe sind mit Vorliebe der Antike und der Renaissance entnommen, aus- und umgeprägt in Scenen voll Leben, in dessen Mitte machtvolle Gestalten stehen: die Dioskuren, Achilles, Cäsar, Alexander, Vercingetorix, Michelangelo, Papst Julius, Cäsar Borgia, Columbus, Heinrich IV., Milton; aus dem Mittelalter stammt der Stoff der „Margarita“ (später „Die Ketzerin“). Die einzelnen Dichtungen zu charakterisiren, ist hier nicht der Ort; aber auf das unheimlich Geisterhafte, auf das Jagende, auch auf das männlich Resignirende in „Vercingetorix“ (später „Das Geisterroß“, Gedd. S. 244) und auf das heldenhaft den Tod Bezwingende, gleichzeitig in Renaissance-Gestalten Lebende in „Papst Julius“ (S. 351) sei doch besonders hingewiesen; das zweite Gedicht erscheint mir immer als eine Vollendung dessen, was Meyer’s verehrtester Meister Michelangelo nicht ganz hat schaffen dürfen, des Juliusgrabes: der Schüler hat da dem Meister mit einer That gedankt. Er hat es auch noch in anderen Gedichten gethan: „Michelangelo“, später vertieft und umgebildet zu „In der Sistina“ (S. 354), ferner „Michelangelo und seine Statuen“ (S. 335) und „Il Pensieroso“ (S. 336); sie sind alle groß, aber am nächsten als Künstler, in Wucht, Kühnheit und Entschiedenheit, stofflich und formal, steht M. dem Buonarotti in „Papst Julius“. Die zweite Gedichtsammlung wurde mehr bemerkt als die erste: Gottschall lobte sie (in den „Blättern f. litterar. Unterhaltung“, 1870, S. 778); in der Schweiz trat (in der „Neuen Zürcher Zeitung“ v. 29. März 1871) François Wille für den Dichter ein.

Von seinen zwei Gedichtbänden sagt M. allzu bescheiden (in „Mein Erstling ‚Hutten’s letzte Tage‘“, bei K. E. Franzos, „Die Geschichte des Erstlingswerks“, Lpz. 1894, S. 23 ff.): Sie „bezeichnen und schließen eine Lebensepoche ästhetischer Beschaulichkeit, mannichfaltigster, vielsprachiger Lectüre, verschiedener Interessen, ohne die Gluth einer erwärmenden Parteinahme des Herzens, und vieler nachhaltiger Reiseeindrücke, deren stärkster, neben der unwiderstehlichen Anziehung meiner heimischen Schneeberge, die alte Kunstgröße und der süße Himmel Italiens war.“ – „So hatte ich mich“, fährt er fort, und bezeichnet damit seine alte Lebensart sowie den entscheidenden Schritt zu einer bleibenden Wandlung, „ohne öffentliche Thätigkeit, in eine Phantasiewelt [350] eingesponnen, und es konnte nicht ausbleiben, daß bei meiner übrigens kräftigen Natur, dieses Traumleben ein Ende nehmen mußte, und ich zu einer scharfen Wendung bereit war, etwa wie sie der Rhein zu Basel nimmt“. Bei Basel scheint der Rhein westwärts nach Frankreich fließen zu wollen, lenkt dann aber den Lauf nach Norden, nach Deutschland. Das Bild, das M. gebraucht hat, ist also im tiefsten und weitesten Verstande richtig; er erzählt selbst (bei Reitler, S. 8): „Der große Krieg, der bei uns in der Schweiz die Gemüther zwiespältig aufgeregt, entschied auch einen Krieg in meiner Seele. Von einem unmerklich gereiften Stammesgefühl jetzt mächtig ergriffen, that ich bei diesem weltgeschichtlichen Anlasse das französische Wesen ab, und innerlich genöthigt, dieser Sinnesänderung Ausdruck zu geben, dichtete ich ‚Hutten’s letzte Tage‘. Ein zweites Moment dieser Dichtung war meine Vereinsamung in der eigenen Heimath. Die Insel Ufenau lag mir sehr nahe und ebenso nahe lag es meinem Gemüthe, den dort einsam gestorbenen Hutten als meinen Helden zu wählen.“

Das ist Meyer’s endgültige Wandlung; zu beachten bleibt jedoch dabei, und es sei gerade hier, beim „Hutten“, wiederholt, daß M. das Beste seines Stils, die Klarheit, und seine vornehmste Tugend, den absolut sicheren Geschmack im Ausdruck, nicht wenig der Schulung an ausgezeichneten Franzosen verdankt. Der „Hutten“ wuchs rasch; die einzelnen Bilder las er jede Woche in Mariafeld vor: „Hutten’s verwegenes Leben“, im Rahmen seiner letzten Tage dargestellt, das ist die Aufgabe, und diese letzten Tage des Ritters füllten sich „mit klaren Erinnerungen und Ereignissen, geisterhaft und symbolisch, wie sie sich um einen Sterbenden begeben, mit einer ganzen Skala von Stimmungen: Hoffnung und Schwermuth, Liebe und Ironie, heiliger Zorn und Todesgewißheit, – kein Zug dieser tapfern Gestalt sollte fehlen, jeder Gegensatz dieser leidenschaftlichen Seele hervortreten. – So belebte sich mir die Ufenau. Ignatius Loyola wird, nach Jerusalem pilgernd, und unterwegs den nahen Heilsort Einsiedeln aufsuchend, nach der kleinen Insel verschlagen und von Hutten beherbergt. Der abenteuerliche Paracelsus kommt von seinem Wohnsitz am nahen Etzel herüber, um dem Kranken als Arzt den Puls zu befühlen. Der in Zürich hausende Herzog Ulrich, Hans Hutten’s Mörder, erscheint und wird dem Sterbenden zum letzten Aergerniß. Mit diesen Gestalten des sechzehnten Jahrhunderts schreiten auf der Insel die „Geister der Gegenwart“ („Erstlingswerk“ S. 28 f.). Es waren 54 Gesänge in stumpfgereimten zweizeiligen Strophen: ein knorriges – M. sagt selbst einmal „hölzernes“ – Metrum, aber voll Kraft und dem Stoff in jeder Hinsicht adäquat. M. hat im Laufe der Zeit am „Hutten“ viel gefeilt und hinzugefügt: „Bei kühlerem Blute und fortgesetzten geschichtlichen Studien setzte ich später noch manchen realistischen Zug in das Bild des Ritters, um ihm Porträtähnlichkeit zu geben“ (a. a. O. S. 29; dazu auch C. F. M. an L. v. François 24. X. 81, Briefw. S. 30). Die 3. Auflage (1881) enthält 75 Capitel, später sind es wieder nur 71 geworden. (Ueber weitere Veränderungen s. Langmesser S. 249 f.) So ist auch der „Hutten“, Meyer’s Art gemäß, vertieft, gehärtet, gefestigt worden. Das lebensprühende Werk, das in seiner Form wie aus der Meisterhand eines Renaissance-Bronzekünstlers zu sein scheint, ist in seinen inneren Zusammenhängen und mit seiner tief ergreifenden Concentration der Persönlichkeit, gegen den Schluß hin von einer gewaltigen Tragik durchweht, der ein Hauch des Humors, dann und wann leise dareinsäuselnd, zu ganz eigenartiger Wirkung hilft. Mit vollem Rechte nennt Ad. Frey (S. 219) den „Hutten“ Meyer’s „die schönste Dichtung, die der deutsch-französische Krieg [351] hervorrief“ und stolz fügt er hinzu: „auf Schweizer Boden“ entstanden, „von einem Schweizer geschrieben“; gewidmet war sie Franz und Eliza Wille. In echt deutschem Geiste dichtete M. damals den „deutschen Schmied“ (bei Frey S. 220), der dann, etwas verändert, als Gesang 37 in den „Hutten“ übergegangen ist. „‚Der deutsche Schmied‘“, sagt M. („Erstlingswerk“ S. 29), „wurde gedruckt und gesungen. Ich sehe, er ist nun zum Volksliede geworden und hat meinen Namen verloren, wie es auch recht ist.“ „Es war eine glückliche Zeit“, fügt er bei: Meyer spürte wirklich das Freigewordensein von der „Dumpfheit“, die ihn früher so bedrückt hatte. Nach dem Arbeitswinter 1870/71 eilte er wieder in seine Bündnerberge, die Schwester mit ihm; St. Wolfgang im Davoserthale war der Standort. M. las Homer und Shakespeare; dann entstanden Gedichte: „Das Seelchen“ (S. 97), „Vision“ (S. 111), „Göttermahl“ (S. 96), manches war erst Skizze: „Die Karyatide“ (S. 383), „Das weiße Spitzchen“ (S. 92), „Die Bank des Alten“ (S. 102) und das seelentief trostvolle „In Harmesnächten“ (S. 58), auch den „Hengert“ (S. 112) hat M. im Bergwirthshause zu St. Wolfgang erlebt. (Ungedrucktes aus jener Zeit, aus Frl. Betsy’s Notizbuche, theilt Frey mit, S. 223 ff.) Dort oben wurde auch zum „Jenatsch“ und zum „Amulet“ gearbeitet, wenigstens vorgearbeitet. Unterdessen war der „Hutten“ freudig anerkannt worden (die erste Huttenrecension von Joh. Scherr in der „Zürcherischen Freitags-Zeitung“ vom 6. October 1871 bei Frey S. 226 f.); M. war glücklich, und der Erinnerung an dieses Glück glaubt es Frey zu verdanken, daß wir in der dritten Huttenauflage (1881) das Stück „Gloriola“ haben mit den Schlußstrophen:

„Manch Kränzlein hab’ ich später noch erjagt,
Wie dieses erste hat mir keins behagt;

Denn Süß’res gibt es auf der Erde nicht
Als ersten Ruhmes zartes Morgenlicht.“

Aus Basel, aus Deutschland, aus der Waadt (von Vulliemin) kam Lob auf Lob.

Auch an die Dichtung „Engelberg“ war in St. Wolfgang ernstlich gedacht worden – „die Idee ergriff mich mit Naturgewalt“ (an Vulliemin, bei Langmesser S. 73); bevor der Dichter sie aber endgültig an die Hand nahm, reiste er (Oct. 1871) nach Italien und blieb zunächst einen Monat lang in Verona; dann ging’s nach Venedig: „Hier lerne ich“, schrieb er an Vulliemin, „mit jedem Schritt, den ich thue, unendlich viel von der Kunst; wenn Gott mir Leben und Kraft schenkt, o, dann …“ (Langm. S. 73). Venedig ist dem Dichter immer lieb geblieben; von dieser Liebe redet er in „Engelberg“, im „Jenatsch“ und in der „Versuchung des Pescara“; auch Gedichte: „Venedigs erster Tag“ (S. 144), „Venedig“ (S. 148), „Auf dem Canal grande“ (S. 149) u. a. rühmen die herrliche Stadt in ewigen Rhythmen. Sie hielt ihn bis in den März 1872 fest. Meyer’s Legende „Engelberg“ ist dort entstanden: „Es gelang mir“, schrieb er an G. v. Wyß am 27. II. 72, „meine neue Arbeit in einem Zuge zu vollenden“ (Langm. S. 264). Die Grundlage war eine am 2. August 1862 gedichtete 19strophige Romanze gewesen (bei Frey, S. 233 ff.): Im Engelbergerthale singen des Nachts Engel ihren Reigen. Das vertiefte sich dann im Davosersommer (1871), ebenso das Landschaftliche; eine „Fabel“ wurde neu erfunden; aber der Schluß machte Schwierigkeiten (sieben Umarbeitungen, s. Frey S. 238 ff.); ganz ist M. nie damit zufrieden gewesen. Was aber schließlich vorliegt (Lpz., Haessel, 1872) ist doch eine zarte Dichtung, voll Romantik, wenn man will: in der fast [352] grausigen Fabel sowol wie in den Stimmungslyrismen und dem ein wenig katholisirenden Grundton. Aber – das Unromantische, modern Lebensvolle an ihr – sie ist frei von Verschwommenheit, ja sie ist in den Figuren überaus plastisch und, was die Hauptsache ist, echt menschlich tief und wahr; zugleich ist sie so gesättigt mit Poesie, daß sie den Leser und Hörer nicht leicht aus ihrem Banne läßt. Sie ist allerdings erst spät, nach dem Erfolge der Novellen, zu allgemeinerer Schätzung gelangt; das spricht aber nicht gegen das Werklein, für das der erste Beurtheiler, Vulliemin, dem Dichter in einem Briefe vom 29. October 1872 eine „Elite von Lesern“ (im Gegensatze zum „vulgären Publikum“) vorausgesagt hat. (Ein feines Urtheil über „Engelberg“ bei Louise von François; Briefwechsel mit C. F. M. ed. Bettelheim S. 197.)

Nach der Rückkehr aus Venedig zog M. aus dem „Seehof“ in Küßnacht nach dem „Seehof“ in Meilen, wieder ein altes Patricierhaus. Dort entstand im Winter 1872/73 die erste Prosanovelle „Das Amulet“; sie sei, schrieb er – durch Mérimée's Roman „Chronique du règne de Charles IX“ angeregt – an den Waadtländer Mentor (26. April 1873; bei Langmesser S. 76): „gründlich genug durchdacht, aber einfach und objectiv in der Art des Cervantes behandelt. Begegnung eines jungen Berners und eines jungen Freiburgers in der Bartholomäusnacht. Alles dreht sich um eine Marienmedaille, ein Amulet, das den Protestanten rettet und den Katholiken verdirbt“. Noch steckt fast zu viel in dem Werklein; noch ist nicht, zu Gunsten des Hauptmotivs, auf Nebensächliches strenge genug verzichtet; dennoch ist ein Einzelschicksal schon ganz Meyerisch gut herausgehoben und mit dem historischen Hintergrund organisch in Beziehung gesetzt. Die Charakteristik ist ebenfalls schon sehr tief; nicht mit Unrecht hat man in Schadau Züge des jungen, langsam zum Leben sich erziehenden M., in Boccard solche seines katholischen Jugendfreundes Nüscheler wahrzunehmen geglaubt (Frey 247 f.); im Oheim Schadau’s finden sich nach Meyer’s eigenem Geständniß (an die François, Brfw. S. 48) Charakterstriche nach Major Hans Ziegler, „einer sympathischen und originellen Figur des alten Zürich“. Aus dem historischen Hintergrunde treten sodann Coligny, Karl IX. und Katharina von Medicis in deutlichen Umrissen hervor. Die Composition läßt noch zu wünschen übrig; das angebliche Erzählen nach „alten vergilbten Blättern des 17. Jahrhunderts“ ist ein wenig conventionell; M. hat später seine „Rahmen“ viel lebendiger behandelt. Auch stehen noch Breiten in dem kleinen Stücke, das dadurch ein wenig ungleich wirkt. Der Erfolg der (1873 erschienenen) Novelle war nicht groß, obschon z. B. Gottfried Kinkel „die Hugenottenerzählung vortrefflich geschrieben, die Sprache so treuherzig, wie ein wirkliches Memoire, wie eine Tagebuchaufzeichnung und doch so spannend“ gefunden hatte. (Langm. S. 76; weitere Beurtheilungen bei Frey, S. 371 ff.) Aus den vielen Studien zum „Amulet“ sind M. mehrere Gedichte, so die wundervoll männliche, mit einem prächtigen Contrast arbeitende, auch im Zeitcolorit vortreffliche Ballade „Mourir ou parvenir“ (Gedd. S. 384) erwachsen. (Ueber Meyer’s Verhältniß zu seiner Quelle – Mérimée – cf. Anna Lüderitz im „Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen“ Bd. 112.)

Während das „Amulet“ gedruckt wurde, begab sich M. mit der Schwester wieder nach Bünden und zwar nach Chiamutt am Oberalp. Dort „schlug“ er, seinen „Jürg Jenatsch“ als „großen Roman zu Faden“ (an Vulliemin 19. VII. 73, bei Langm. S. 77); im Sommer 1874, bei einem zweiten Chiamutter Aufenthalt „hoch an der Windung des Passes“, im „niedrigen Berghaus“, wurde das Werk vollendet und erschien als Feuilleton in Wislicenus’ Zeitschrift [353] „Die Litteratur“; noch in Chiamutt wurden die Feuilletonpartien für die Buchausgabe durchgefeilt. Daheim las er den Jenatsch dann den Freunden Wille in Mariafeld, auch Prof. Rahn vor; 1875 erschien er bei Haessel. M. hatte mehr als 20 Jahre daran herumgedacht und gearbeitet und ausgiebige historische und topographische Studien gemacht. (Ueber Meyer’s Quellen s. Langm. S. 286 f.) Mit seinem Stoff ist er dann, in der Art des echten „historischen“ Dichters, frei umgegangen, ohne jedoch irgend einmal unwahr zu werden. Er schaltete Jenatsch’s Gattin Anna Buol aus und gab seinem Helden die Liebe zu Lucia. Nachdem diesem dann die junge Gattin ermordet worden ist, erfaßt ihn die Leidenschaft für Lucretia Planta, ein Geschöpf der Phantasie des Dichters, aber unfraglich die tiefste und schönste Frauengestalt in Meyer’s ganzer Dichtung. Nicht verändert hat M. die großen Linien der Zeitereignisse; hier hat er nur geklärt und vereinfacht: die fast unüberblickbaren Wirrnisse der spanisch-österreichischen, der französischen, der venetianischen und der bündnerischen Politik, welche die 19 Jahre erfüllen, in denen der Roman handelt, hat er so lucid dargestellt, daß ihm nicht nur der Freund der Poesie, sondern, rein in der Sache, auch jeder Geschichtsliebhaber dankbar sein muß. Immerhin, als „Roman“ mochte ihm das Werk nicht einheitlich genug erscheinen; deshalb nannte er es schlichtweg „eine Bündnergeschichte“. Er trennte sie in drei Bücher: I. „Die Reise des Herrn Waser“ (um 1620): Wir werden da mit dem durch die Prädikanten aus seinem Schlosse Rietberg vertriebenen Pompejus Planta und seinem Töchterlein Lucretia bekannt, erfahren aus der Erinnerung des Amtsschreibers Heinrich Waser von Zürich, dem wir schon das erste Zusammentreffen mit den Plantas verdanken, Jenatsch’s Jugend: fein verklärt im Dämmer des Vergangenen, nur den Hauptzügen nach, aber doch voll Leben. Aus dieser Erinnerung taucht auch die Jugendfreundschaft Jenatsch’s und Lucretia’s auf. Dann lernen wir den Pfarrer Jenatsch selbst kennen, der aber „eher auf einen Kriegsgaul als hinter das Kanzelbrett gehört“. Wir sehen, wie Jenatsch zum ersten Male dem Herzog Rohan begegnet, erfahren darauf, wie der wilde, feurige Bündner den Chorrock ablegt; dann wohnen wir dem Veltlinermorde bei, an dem Pompejus Planta zusammen mit dem bösen Robustelli theil hat. Jenatsch verliert dabei sein Weib durch den Schuß seines fanatisch katholischen, verrückten Schwagers Agostino und schwört Rache. In Zürich vernimmt Waser, dessen feine Persönlichkeit aufs geschickteste mit den Bündner Sachen in Beziehung gesetzt ist, die Ermordung des Pompejuos P. durch Jenatsch und dessen weitere Schicksale als Hauptmann des Bündner Aufstandes und im Dienste Mansfeld’s und Gustav Adolf’s. Das II. Buch heißt „Lucretia“. Seine Handlung beginnt etwa im J. 1632. Jenatsch ist in venetianischen Diensten; wir sind in der Lagunenstadt, die aus voller Anschauung heraus geschildert ist. Jenatsch tritt in Beziehungen zu Rohan; bei diesem erfährt Lucretia P. von J. selbst, daß er der Mörder ihres Vaters ist; sie weist ihn von sich, aber sie liebt ihn. – In diesen beiden Büchern ist die Handlung von ungemein geschickter Führung: Im ersten geht der Faden der Erzählung von Hand zu Hand; dadurch gewinnt sie ein eigenartiges Leben; im zweiten laufen die Verbindungen, wie natürlich, in Wirklichkeit mit höchster Kunst geführt, rück- und vorwärts; wieder ist Waser – auf selbstverständlichste Art – beim Wichtigsten zugegen. Das III. Buch heißt „Der gute Herzog“ (1635–1639). Lucretia befreit Jenatsch aus den Händen der Spanier; die Liebe kommt, wie ein fernes Glück aus alter Zeit, über die Beiden, aber des Erschlagenen Blut muß sie trennen. Dann hilft Jenatsch dem Herzog Rohan zu Siegen und verlangt von ihm für Bünden das Veltlin; [354] aber Richelieu’s Bestätigung bleibt aus; da verbindet sich Jenatsch mit Spanien; Rohan ist verrathen. Jenatsch schwört sogar seinen Glauben ab, um dem Vaterlande mit Hülfe Spaniens dienen zu können. Es kommt zum Frieden: Bündens alte Freiheit und sein Gebiet sind gesichert. Aber beim Friedensfest in Chur soll Jenatsch von seinen persönlichen Feinden getödtet werden. Lucretia will ihn warnen; doch sie vermag ihn nicht zu retten; im Tumulte tödtet sie den Geliebten selbst mit der Axt, mit der Jenatsch einst ihren Vater erschlagen hat.

M. hat aus der verwickeltsten aller schweizerischen Geschichten restlos ein Kunstwerk herausgeholt: erstens in der Erzählung mit ihrem freien, großen, klaren Zuge, zweitens in psychologischer Vertiefung und Motivirung: Die Handlung wächst aus den Charakteren, vor allem dem des wilden, skrupellosen, aber freiheitglühenden Jenatsch, des imponirenden Willensmenschen, dessen Natur, nach Meyer’s Wort „von jenem Stahl war, der aus den Steinwänden der Unmöglichkeit immer die hellen Funken der Hoffnung herausschlägt“. Die Tragik in diesem Menschen, der Conflict seines Willens mit den ihm widerstrebenden Verhältnissen versöhnt uns mit allem Unbändigen, Maßlosen, Gewaltsamen in ihm; wir sind tief ergriffen von diesem Schicksal, das an uns vorbeigestürmt ist: Wir haben eine Tragödie miterlebt. In dieser ist auch Lucretia eine Heldin, im Kampfe zwischen der Liebe zu ihrem „stolzen Adler“ Jürg und der Pflicht, den Vater zu rächen. Lebenwollen und Leidenmüssen: der alte, ewig menschliche, ewig tragische Conflict tritt an Beide heran, und wie Lucretia kein Weiterleben des Geliebten mehr möglich sieht, tödtet sie ihn mit eigener Hand, „in traumhaftem Entschlusse“, und er versteht sie und dankt ihr: „ein düsterer Triumph flog über seine Züge“. Das bleibt von unwandelbarer Großheit, wenn auch G. Keller (Briefw. mit Storm, ed. Köster S. 166) es tadelte und Storm von einer „Fleischhauerthat“ sprach (S. 171); aber selbst Storm muß schließlich eine Liebe bewundern, „welche den Geliebten, da es nun einmal zu Ende muß, wenigstens von eigener Hand und nicht von Mörderfaust will sterben lassen“ (dazu auch L. v. François an C. F. M. 20. XI. 85; S. 178). Im Gegensatze zu diesen Leidenschaftsnaturen dann der vornehme Rohan, den M. „ein wenig“ nach Vulliemin gezeichnet hat; nur die Leichtgläubigkeit sei nie Vulliemin’s Fehler gewesen (Briefstelle bei Langmesser S. 31); im „guten Herzog“ ist sie für einen Diplomaten manchmal fast ein wenig unbegreiflich. Neben dem noblen Franzosen der feine Waser, der auch im III. Buche bei der Haupthandlung zugegen ist: eine lebendige Gestalt; desgleichen der biedere Locotenente Wertmüller, desgleichen die wackern leidenschaftlichen Prädicanten Alexander und Fausch. Dazu die grandios gezeichnete Landschaft: hier die Bündnerwelt in starrer Pracht, dort Venedig in leuchtenden Farben des Lebens und der Kunst; in den Hauptfiguren der echte Bündnergeist erdgewachsener Menschen. Das Ganze ist einer der besten deutschen historischen Romane; eigentlich nur Scheffel’s „Ekkehard“ steht daneben, auf gleicher Höhe. Im J. 1878 fügte M., um Jenatsch’s Glaubenswechsel besser zu begründen, das 12. Capitel des III. Buches bei: der Held bei Serbelloni in Mailand (über dieses Capitel Storm an Keller, Briefwechsel S. 171. – Recensionen über „Jürg Jenatsch“ bei Frey, S. 268 und 374 ff.) Als echter Künstler war übrigens M. mit seinem „Jenatsch“ selbst nicht ganz zufrieden; er schrieb an Alfred Meißner: „Jenatsch ist doch wohl sehr manierirt, die einzige Lucretia ausgenommen, die echt ist. Mich dünkt, ich sollte etwas weit Größeres und Freieres machen können“ (bei Langmesser S. 99). Er fühlte sich also in wachsender Kraft. So scharf wie die eigene „Manier“, erkannte er übrigens auch die schwachen Punkte der Kritik; [355] so, wenn er an Vulliemin meldet (bei Langmesser S. 97): „Was in allen Kritiken wiederkommt, das ist, daß der Roman in seiner Qualität als moderne Epopöe sollte breit sein – das ist ein Dogma – und daß ‚Jenatsch‘ nicht genug davon habe. Dann ein zweites: daß der historische Rohstoff alles für mein Buch gethan habe. Ein großer Irrthum, dieser Rohstoff war einige Male sehr rebellisch.“

Im „Jenatsch“-Jahre gewann M. mit der Höhe der Kunst auch einen Gipfel des Lebens: Er verheirathete sich am 5. October 1875 mit Louise Ziegler, der Tochter des Obersten und Regierungsrathes Ed. Ziegler, eines trefflichen, liebenswürdigen und geistig bedeutenden Mannes † 1882; cf. die „Biographische Skizze“ von A. Bürklin, 1886 und C. F. M. an die François, Briefw. S. 79). Ziegler’s Gattin war Joh. Louise Bodmer. Die Tochter Louise kannte M. seit 1868, wo er sie beim Oheim Hans Ziegler, dem Modell von Schadau’s Onkel (s. o. S. 352 zum „Amulet“) gesehen hatte. Eine stille Liebe keimte; er ließ durch Betsy sondiren; noch lautete die Antwort an den nahezu 50jährigen nicht zustimmend; aber seine Neigung wurde im Stillen erwidert; am 13. Juli verlobten sie sich, und nun strömten zarte Liebesgedichte aus dem Herzen des so spät völlig Glücklichen (Ungedrucktes bei Langm. S. 81 ff.; anderes in den Gedichten: „Ihr Heim“ S. 206, „Unruhige Nacht“ S. 191, „Die Ampel“ S. 190). Ganz Zürich gratulirte: „Selbst der Brummbär Gottfried Keller hat seine Aufwartung gemacht“, schrieb M. der Braut (bei Langm. S. 82). Die Hochzeit fand in der Kirche zu Kilchberg statt; die nachfolgende Reise führte das Paar zuerst nach Lausanne zum alten, treuen Vulliemin, dann über Lyon nach Südfrankreich, d. h. nach Orange und Avignon; dieses sollte den Hintergrund zu einer Novelle „Der Entschluß der Frau Laura“ (oder „Der Ring der Frau Laura“) abgeben; aber nur ein kleines Fragment existirt mit der prächtigen Skizze eines innerlich mit sich kämpfenden Petrarca (bei Langm. S. 480 bis 482). Auch ein Gedicht ist in Avignon concipirt worden: „Der Tod und Frau Laura“ (Gedd. S. 292): eine großartig concentrirte tragische Pest-Ballade. In der mittelalterlichen Papststadt trat auch die Figur Thomas Beckets, die M. seit der Lectüre von Thierry’s „Histoire de la conquête de l’Angleterre par les Normands“ intim kannte, wieder deutlich vor des Dichters Augen: die Novelle „Der Heilige“ suchte ihren Krystallisationspunkt. Ueber Tarascon (Ged. „Die Gedanken des Königs René“ S. 293) und Nîmes ging’s nach der Riviera, dann nach Corsica; in Ajaccio blieben sie drei Monate; auch da faßte M., angeregt durch Prosper Mérimée’s „Colomba“ den Plan zu einer Novelle; aber erst spät, kurz vor seinem Tode, versuchte er die Feder dazu anzusetzen. Dagegen gab Corsica Gedichte: „Die Corsin“ (Gedd. S. 169), „Weihnachten in Ajaccio“, ein mildes, warmes Liebegesdicht an die Gattin (S. 209), die er auch in den zwei Distichen „Liebesjahr“ (S. 208) bekränzte; dann „Abschied von Corsica“ (S. 166) mit der tiefempfundenen, anschauungsgesättigten Schlußstrophe:

„Schwer entsagt das Aug’ der offnen Ferne,
Schwer das Ohr dem Meereswellenschlage –
Unter kält’re Sonnen, blaßre Sterne
Folget mir, ihr Inselwandertage,
Und umklingt mich dort, wie eine Sage.“

Im Januar fuhren sie über Südfrankreich – mit abermaligem längerem Halt in Avignon – heim in den „Wangensbach“ bei Küßnacht, wo Betsy dem Paar eine herzige Wohnung eingerichtet hatte. (Die Schilderung der Hochzeitreise [356] ausführlich bei Langm. S. 88 ff., der nach den Briefen C. F. Meyer’s und einer Reisebeschreibung von dessen Gattin arbeiten konnte.) In der Heimath besorgte M. zunächst die Buchausgabe des „Jenatsch“ (erschienen Sept. 1876). Sie machte ihn in weitesten Kreisen bekannt und führte ihn in Verbindung mit Herm. Lingg, Paul Heyse, Felix Dahn, Alfr. Meißner, J. V. Widmann und Julius Rodenberg. Im J. 1877 erwarb M. ein eigenes Heim in Kilchberg auf der Höhe zwischen Sihlthal und Zürichsee. Er fühlte sich dort glücklich; ein liebenswürdiger Humor spricht aus Briefen dieser Zeit, z. B. aus einem Schreiben vom 18. April an Meißner (bei Langm. S. 100). In Kilchberg knüpfte sich die schöne, offene Freundschaft Meyer’s mit Adolf Frey, worüber dieser in dem Capitel „Das Bild des Dichters“ überaus ansprechend berichtet (S. 277–309). Eine Schilderung seines Landsitzes gab M. in der Novelle „Der Schuß von der Kanzel“, die in der ersten Hälfte des Jahres geschrieben wurde – weniger aus eigenem Antrieb, als weil, wie er an Vulliemin schrieb (bei Langm. S. 101), „diese Zürcher Herren – d. h. die Redactoren des „Zürcher Taschenbuches“ (auf 1878) – etwas Amüsantes von mir verlangten und – merken Sie wohl, etwas Amüsantes, das zu gleicher Zeit in der Heimath spielt“. Das Ding sei eine „Farce“, und er machte sich „aufrichtig gesagt, wenig daraus“. Die kleine Novelle ist aber voll echten Humors: Man merkt ihr an, in was für einer mit Gott und der Welt zufriedenen Stimmung sie entstanden ist. Der „Held“ ist der General Rudolf Wertmüller, den M. als Locotenenten des Herzogs von Rohan im „Jenatsch“ geschildert hatte. Er sitzt auf seinem Landhaus in Mythikon am Zürichsee. Dort schenkt er seinem Vetter, dem Pastor Wilpert Wertmüller, der gerne mit Schießwaffen umgeht, vor einer Predigt eine Pistole, die sehr schwer federt, d. h. im letzten Moment verwechselt er sie absichtlich mit einer leicht federnden. Mit dieser spielt der Pfarrer während seines Sermons; sie kracht los; der Pfarrer ist in seinem Amte unmöglich und muß seinem Vicar Pfannenstiel die Pfründe abtreten, ihm obendrein sein Töchterlein Rahel zur Frau geben. Das hatte der Schalk von General bezweckt; er setzt dafür den Vetter ins Testament; das „Stillschweigen“ der Mythikoner erkauft er mit der Vermachung eines Stückes Wald. Diese Fabel ist köstlich behandelt, mit guter Charakterisirung der beiden Originale Wertmüller, auch mit seinen Landschaftsmotiven, über denen sowol das große, stille Leuchten der Alpen wie die tiefere Farbe italienischer Buchten glänzt. Die Novelle hält den Vergleich mit Gottfried Keller’schen Schöpfungen aus, obschon M. hier sehr bescheiden urtheilte, indem er am 11. December 1877 J. Rodenberg, der das Stücklein gern in seine „Deutsche Rundschau“ gehabt hätte, mit den Worten beschied: „Nein, für Ihre ‚Rundschau‘ wäre der ‚Schuß von der Kanzel‘ nichts gewesen. Abgesehen davon, daß Sie Ihre Leser nicht mit Zürcher Geschichten übersättigen dürfen [vom Nov. 1876 bis zum April 1877 waren G. Keller’s ‚Züricher Novellen‘ in der ‚Rundschau‘ erschienen], abgesehen von den zu ungunsten meines barokken Generals sich bietenden Vergleichspunkten mit dem herrlichen und und tüchtigen Landolt [dem ‚Landvogt von Greifensee‘] der Zürcher Novellen unseres lieben Meisters Gottfried, würde ich in Ihrer ‚Rundschau‘ ungern auf meine Hauptforce verzichten, nämlich auf einen großen humanen Hintergrund, auf den Zusammenhang des kleinen Lebens mit dem Leben und Ringen der Menschheit“ (Langm. S. 101 f.). Gottfried Keller selbst hatte allerdings die größte Freude an der Novelle: „Empfangen Sie“, schrieb er am 30. November 1877 an M., „meinen schönsten Dank, verehrter Herr Nachbar am See! für den lustigen General und das ausgesuchte Vergnügen, das der streitbare Herr mir gestern zu zweienmalen gewährt [357] hat, da ich ihn am Morgen las und dann nachts vor dem Schlafengehen ihm nochmals die Rosinen abklaubte“ (bei Frey S. 314), und Vulliemin rief ihm zu: „Où donc, mon cher Conrad, avez-vous pris tant de gaillardises?“ (Frey S. 315). Im selben Jahr 1878 erschien der „Schuß von der Kanzel“ mit dem „Amulet“ zusammen als Buch mit dem Uebertitel „Denkwürdige Tage“. In jener Zeit hat Meyer Louis Vulliemin’s geistiges Porträt in einem feinsinnigen Essay gezeichnet (Neue Zürcher Zeitung vom 16. u. 18. März 1878; daraus bei Langm. S. 31 ff. und bei Frey S. 57 f.); auch des väterlichen Freundes Gattin wurde darin mit zart verständigen Worten geschildert. Vulliemin selbst sagte davon: „Die Zeichnung ist die eines Meisters … Ich nehme alles an, was Sie sagen. Das ist Deutsch, und ich danke Ihnen dafür; denn es ist ein Deutsch, durchdrungen von französischem Geist, und sicherlich vom besten. Herz und Geist aber bilden eine Einheit: alles ist lebendig, warm, farbig. Es hat darin, glaube ich, mehr Sachen und Ideen als Worte“ (Langm. S. 103). Dieses Urtheil ist wohl geeignet, nochmals den auch von Carl Spitteler (bei Frey S. 76) erkannten Vorzug französischer Art und Kunst in Meyer’s Sprache und Darstellungsweise kundzuthun.

Vom Frühjahr 1878 an hatte M. einen neuen Stoff „auf dem Webstuhle“: „Der Heilige“, eine „große Novelle“, die er „vor Jahren“ Alfred Meißner einmal in „dramatischer Form vorskizzirt hatte“ (Langm. S. 104); aber erst ein Jahr später (1879) gab er das fertige Werk an Rodenberg aus der Hand, nachdem er einen Engadinersommer (in dem er Heyse persönlich kennen lernte) und einen Winter lang das Werk voll hatte ausreifen lassen: die „subtile Geschichte“, an der er „mit Ueberlegung und Vergnügen herumbildete“ (Langm. S. 106). Am 10. Mai sandte er sie nach Berlin, zweifelnd: „Jetzt erscheint es mir“, schrieb er dazu an Rodenberg (bei Langm. S. 106), „au style près – eine Novelle wie eine andere – ich glaubte so viel hineingelegt, das Mittelalter so fein und gründlich verspottet und in Becket einen neuen Charakter gezeichnet zu haben“. Wir kennen Meyer’s Quelle; er sagt selbst (bei Reitler S. 8): „Aus der Histoire de la conquête de l’Angleterre war mir (vor 25 Jahren) die räthselhafte Gestalt des Thomas Becket entgegengetreten, und ich habe so lange an ihr herumgebildet, bis sie mir fast quälend vor den Augen stand. Ich entledigte mich dieses Phantomes durch den ‚Heiligen‘“. „Ich habe“, schrieb er an Prof. D. Hausleiter in Greifswald (Langm. S. 314 f.), „diesen Charakter wirklich nicht gemacht, sondern er ist mir – in ungewöhnlichem Maße – erschienen“. Die Gestalt war aus Sage und Geschichte auf ihn zugetreten: Aus der Sage, die Thomas Becket’s Vater Gilbert einen Angelsachsen, seine Mutter eine Saracenin sein läßt (cf. Meyer’s Ballade „Mit zwei Worten“ Gedd. S. 282), nahm er Becket’s Liebe zu den Angelsachsen und zur orientalischen Welt; die Geschichte lieferte ihm des Erzbischofs freventliche Ermordung, nachdem dieser aus einem Weltmann ein Asket, aus einem Diener des Königs Heinrich II. dessen Gegner geworden war. Freie Erfindung Meyer’s ist Becket’s von einer Orientalin geborenes Töchterlein Grace, das der König im maurischen Feenschlößlein entdeckt und verführt und das bei der Flucht erschossen wird. Dies wandelt den Kanzler; als Erzbischof von Canterbury wird er der Diener Gottes, wird der Freund seiner geknechteten angelsächsischen Stammesgenossen; das entfacht Streit, in welchem auch des Königs Söhne sich gegen den Vater empören. Thomas Becket wird verbannt, kehrt aber zurück; Heinrich ergrimmt und gibt den verhängnißvollen Mordbefehl; er bereut, jedoch zu spät. Der Ermordete bleibt Sieger: Heinrich muß am Grabe des Märtyrers Buße thun. Ganz fein [358] ist componirt: die Geschichte wird in Zürich von Heinrich’s Bogner, Hans dem Armbruster, der bei allen wichtigen Ereignissen der großen englischen Tragödie zugegen gewesen ist, am 29. December 1191, da zum ersten Male der neue Heilige Thomas von Canterbury im Frauenmünster gefeiert wird, einem Chorherrn des Großmünsterstiftes erzählt. Dadurch gewinnt der Dichter eine machtvoll wirkende Objectivität und leitet, wie ungesucht, den Hörer oder Leser in psychologische Tiefen hinein, gerade weil dem schlichten Manne nicht alle innersten Beweggründe klar sind. M. hat dieses Werk mit seinen Charakterwandlungen, d. h. wo der lebensfreudige Kanzler zum Heiligen, der jenseits von Gut und Böse schreitende König zum Büßer wird, unter seinen Werken immer am höchsten geschätzt; er hat auch einem Dichter, Hermann Lingg, der im Herbste sein Gast gewesen war, schriftlich einen außerordentlich interessanten Commentar zum „Heiligen“ gegeben (vollinhaltlich abgedruckt bei Langmesser S. 324 f.). Die tiefe Charakteristik wird da völlig deutlich; auch daß der „dramatische Gang“ und der „große Stil“ in Meyer’s künstlerischer Absicht lagen, erfahren wir, ebenso, warum er die Nebenpersonen so reich ausgestattet hat: eine Grace, einen Richard Löwenherz, einen Bertram de Born. Die Sprache ist mit Bildern gesättigt, treffenden, tiefen Bildern, so, wenn er z. B. den Löwenherz mit den Worten schildert: „Das Spiel seiner Natur war ehrlich wie der Stoß ins Hifthorn und überquoll wie der Schaum am Gebiß eines jungen Renners“. Das Lob der Erzählung war allgemein. Louise v. François, die reife Künstlerin, deren Werke der Dichter schätzte und mit welcher er Ostern 1881, weil ihm die ihrem Erzählen „eigenthümliche Mischung von conservativen Ueberlieferungen und freien Standpunkten durchaus homogen“ war, in litterarische Beziehungen trat, hat sich speciell über den „Heiligen“ ausgesprochen; sie schrieb ihm auch am 9. V. 84 (Briefwechsel mit C. F. M. ed. Bettelheim S. 139), Geibel habe gesagt, er sei stolz darauf, daß dieses Meisterstück geschaffen worden sei. (Andere Urtheile über den „Heiligen“ bei Frey S. 316 f.) In der 3. Auflage (1883) hieß die Novelle „König und Heiliger“, später wieder „Der Heilige“.

Im Sommer 1879 wollte M. wieder im Engadin verweilen, brach aber bei Campfér durch einen Wagensturz den Arm und mußte heimreisen (Gedicht „Fiebernacht“ S. 121). Im December wurde ihm seine Tochter Camilla geboren; das bewog ihn, sein Haus zu vergrößern; im März 1882 war der Umbau beendet. Sein Leben war auch im neuen Hause lauter Glück: Tiefes seelisches Verständniß seitens der Gattin, ihre Musik – er liebte langsame Sätze von Beethoven vor allem („Eroica“), dann von Mozart, von Weber, von Berlioz –, die zauberische Landschaft, sein Kind, sie alle schenkten ihm Ruhe und Harmonie; sie klingt in Stimmungsgedichten wie „Requiem“ wieder (Gedd. S. 67), das – jetzt leider um die Mittelstrophe verkürzt – in der 1. Auflage der Gedichte (1882) lautete:

1. „Bei der Abendsonne Wandern
Wann ein Dorf den Strahl verlor,
Klagt sein Dunkeln es den andern
Mit vertrauten Tönen vor:

2. „„Viele Schläge, viele Schläge
Thut an einem Tag das Herz,
Wenig Schläge, wenig Schläge
Thut im Dämmerlicht das Erz!““

3. Noch ein Glöcklein hat geschwiegen
Auf der Höhe bis zuletzt.
Nun beginnt es sich zu wiegen,
Horch, mein Kilchberg läutet jetzt!“

Auch hier wieder jene Lyrik, die, aus dem Seelenlande stammend, durch die Reflexion hindurchgegangen ist und von ihr Nahrung empfangen hat, ohne [359] dafür mit Stimmungsgehalt bezahlen zu müssen: Höchste Eigenart der Lyrik C. F. Meyer’s, der die innere Form voll zu wahren weiß, auch wo die äußere vor dem Kunstverstande gewogen und gefeilt worden ist. Aus ähnlicher Stimmung heraus stammt das Gedicht „Neujahrsglocken“ (S. 84). – In zu heißen Tagen vertauschte M. Kilchberg mit dem der Familie Ziegler gehörigen Schlosse Steinegg im Thurgau, unter dessen Tannen er zu träumen liebte (Ged. „Jetzt rede du!“ S. 52). Bei sich zu Hause war M. ruhig, immer fein und liebenswürdig, ein vortrefflicher Causeur von sicherem, aber mildem Urtheile; seine tiefe, innere Leidenschaft ließ er, eine vornehme Natur, nur in seinen Werken offenbar werden. Einmal bekannte er allerdings der Frau Vulliemin: „Vor allem bin ich ein Mann, der viel liebt und manchmal leidet, der sich oft ärgert und der selbst hassen kann“ (Langm. S. 115); das war ein Bild seines Innersten; nach außen war er – ohne Schablone – der vollendete Weltmann. Im Januar 1880 überbrachte ihm sein Freund Prof. Rahn die Ernennung zum Doctor honoris causa: „viro et res gestas hominumque mores elegantissime judicanti et in enarrandis eis poetica virtute eminenti“.

Seit dem Frühling desselben Jahres war der Dichter stark mit der Idee zu einem neuen Romane „Der Dynast“ beschäftigt, dessen Hauptperson jener Graf Friedrich VII. von Toggenburg sein sollte, der im 15. Jahrhundert durch seine Erbversprechungen an Schwyz und Zürich den sog. „alten Zürichkrieg“ veranlaßt hat. Am genauesten sind wir über dieses mehrfach studirte, aber nie vollendete Werk Meyer’s durch einen Brief an Louise v. François vom 10. Mai 1881 unterrichtet (Briefwechsel S. 5 f.): „1. Hälfte des XV. Jahrhunderts. Concil von Constanz. In der Ostschweiz gibt es einen Dynasten, einen genialen Menschen, Graf von Tockenburg, der mitten in dem aufschießenden Freistaat, und mit Hülfe desselben, einen Staat gründet, immer höher strebt – (ich werde den Menschen noch vergrößern und ihn mit dem Zoller die Cur Brandenburg und – durch Huß – die Krone von Böhmen anstreben lassen), dann aber durch seine Kinderlosigkeit (ich lasse ihn im kritischen Augenblick seinen Sohn verlieren) die Beute der Schweizer wird und in einem solchen Hasse gegen dieselben entbrennt, daß er auf seinem Sterbelager Schwitz und Zürich mit dämonischem Truge beide zu seinem Erben einsetzt, wodurch der fürchterlichste Bürgerkrieg entsteht. Die Aufgabe ist, diesen Charakter (natürlich einen ursprünglich edeln und immer großartigen) durch alle Einflüsse dieses ruchlosen und geistvollen Jahrhunderts (Frührenaissance) zu diesem finalen Verbrechen zu führen.“

M. wandte sich dann aber doch einem anderen Stoffe zu, den er auch schon zu Faden geschlagen hatte: „Das Brigittchen von Trogen“; vorerst jedoch schrieb er für das „Zürcher Taschenbuch“ einen Essay über den Brugger Arzt und Philosophen J. G. Zimmermann (1728–1795), den Verfasser des Buches „Betrachtungen über die Einsamkeit“. M. liebte diesen Zimmermann nicht gerade; dennoch werden seine Ausführungen unter dem Titel: „Kleinstadt und Dorf um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach einem Manuskript von Edmund Dorer“ der eigenartig schroffen Persönlichkeit des vielfach unverstandenen Tugendlehrers vollauf gerecht. (Proben bei Langm. S. 419 ff.) – „Das Brigittchen von Trogen“ nun, „Thema: Schelmerei und Redlichkeit“, schrieb er während seines Hausbaues zur Zerstreuung, in der wechselvollen Stimmung, in die ihn diese häuslichen Revolutionen versetzten. Er nahm das Ding so wenig ernst wie den „Schuß von der Kanzel“: „Auf diesem Wege werde ich nicht weiter wandeln“ (Langm. S. 121). Aber lustig ist das Novellchen doch und darum in Meyer’s Oeuvre, [360] in dem sein Humor nicht oft sich zeigt, ein Stück Sonnenschein. „Sie wissen“, schrieb er am 10. Juli 1881 an Rodenberg, „daß der Humanist Poggio (gemeint ist der Florentiner Gian-Francesco Poggio-Bracciolini, 1380–1459), der Codices-Dieb, ‚Fazetien‘ geschrieben hat („Liber facetiarum“, Rom 1470, eine Sammlung meist schlüpfriger Anekdoten). Nun nehme ich an, der Alte gibt in den Gärten und der Gesellschaft des Cosmus Medici auf Verlangen eine „Facetia inedita“ zum besten. So ist die Kleinigkeit überschrieben: ‚Eine Fazetie des Poggio‘“. M. hatte auch da zuerst an dramatische Behandlung gedacht; Rodenberg hatte abgerathen, ebenso vom Titel; er nannte das Stücklein dann beim Erscheinen in der „Rundschau“ „Das Brigittchen von Trogen“; erst für die Buchausgabe schuf M. selbst die Ueberschrift „Plautus im Nonnenkloster“. Wieder wird von einem anderen als dem Dichter erzählt: Poggio berichtet, wie er bei Gelegenheit des Constanzer Concils durch List im Kloster Monasterlingen, dem das schlaue Brigittchen von Trogen als Aebtissin vorsteht, einen Plautus gewonnen hat, weil er einen frommen Betrug verschwieg; zugleich hat er einer verliebten Novize, Gertrud, aus dem Kloster und zu ihrem Schatz, dem Hans v. Splügen, verholfen. Die Kleinigkeit – Meyer’s kürzeste Novelle – ist mit renaissancemäßiger Finesse erzählt, auch mit überlegener, fast raffinirter Charakterzeichnung und mit glücklicher Hervorhebung der hohen geistigen Bildung über die Barbarei. Etwas von der Größe des Jahrhunderts schwebt darüber, d. h. jenes Geistes, den Jakob Burckhardt, einer der intimsten Freunde Meyer’s (wenn dieser auch weder persönlich noch in Briefen mit dem Basler Gelehrten verkehrte) in der „Kultur der Renaissance“ so machtvoll dargestellt hatte.

Zur Enthüllung des Denkmals für den Musiker Ignaz Heim (1818 bis 1880) am 6. März 1881 schrieb M. einen Prolog, von dem J. V. Scheffel geurtheilt hat: „C. F. M.’s Dichtung ist ein Requiem, zu welchem man dem nun in Gottes ewiger Harmonie Ruhenden wie dem Verfasser … Glück wünschen darf … Nur die Liebe kann solche Kränze winden“ (Abdruck des Prologes bei Moser, Wandlungen II, S. 101–105). Dann überarbeitete der Dichter den „Hutten“ (zur 3. Auflage), und „vermännlichte und verwilderte“ ihn dabei, wie er an Ad. Frey (s. d. S. 318) schrieb. Dann ließ er sich wieder von Projecten hinnehmen: ein Drama „Kaiser Friedrich II. der Staufer“, „Der Dynast“ und „Die Leiden eines Knaben“ tauchten auf, ebenso eine Novelle „Gustav Adolf“, den er vor Zeiten als Drama geplant hatte (an die François, Briefw. S. 23), aber sein „Dämon“ hatte ihn „gewarnt“ (a. a. O. S. 70). Er ließ aber Alles zurücktreten vor der Arbeit an seinen Gedichten, die er herauszugeben beabsichtigte. Kurz vorher veröffentlichte er einzelne Gedichte im „Zürcher Dichterkränzchen. Gewunden von Gottfried Keller, Ferd. Zehender, C. Ferdinand Meyer für den Bazar des Kinderspitales 15. und 16. März 1882. Als Mskr. gedruckt“ (Zürich, Orell, Füßli & Co.). Dann meldete er an L. v. François (22. V. 82, Briefwechsel S. 54): „Ich bin mit einer gewissen Leidenschaft mit der Sammlung meiner Lyrika (für die Herbstmesse) beschäftigt. Mehr als 50 Balladen und Lieder – oh die zartesten Liederchen von der Welt! Hin und wieder etwas Intimes hinein versteckt“. Später sagte er dann zur Freundin, seine Lyrik sei ihm „nicht wahr genug … Wahr kann ich nur unter der dramatischen Maske al fresco sein. Im ‚Jenatsch‘ und im ‚Heiligen‘ (beide ursprünglich dramatisch konzipirt) ist in den verschiedensten Verkleidungen weit mehr von mir, meinen wahren Leiden und Leidenschaften, als in dieser Lyrik, die kaum mehr als Spiel oder höchstens die Aeußerung einer untergeordneten [361] Seite meines Wesens ist“ (bei Langm. S. 126). Dennoch – die Lyriksammlung Meyer’s ist etwas Monumentales, und er war sich auch bewußt: „sie steht ihren Mann“. Meyer’s Lyrik ist bereits charakterisirt worden. (Urtheile von Betty Paoli, Joh. Scherr, Jul. Rodenberg, Paul Heyse, Herm. Lingg u. A. bei Langm. S. 225 ff.) Wie er an diesen Sachen, die oft „in drei bis vier Versionen herumflatterten“, gefeilt hat, ist bekannt; seit der 2. Auflage sagte er denn auch als Vorwort:

„Mit dem Stifte les’ ich diese Dinge,
Auf der Rasenbank im Freien sitzend,
Plötzlich zuckt mir einer Vogelschwinge
Schatten durch die Lettern freudig blitzend.

Was da steht, ich hab’ es tief empfunden
Und es bleibt ein Stück von meinem Leben –
Meine Seele flattert ungebunden
Und ergötzt sich drüberhinzuschweben.“

Das ist Meyer’s wahres Bekenntniß über seine Lyrik wie über die Arbeit daran; die Gedichte „Fülle“ (S. 3), „Das heilige Feuer“ (S. 4), „Liederseelen“ (S. 6) charakterisiren dieses herrliche Gesammtwerk ähnlich.

„Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte!“

(Aus „Fülle“.)

und

„Eine Flamme zittert mir im Busen,
Lodert warm zu jeder Zeit und Frist,
Die, entzündet durch den Hauch der Musen,
Ihnen ein beständig Opfer ist.“

(Aus „Das heilige Feuer“.)

Es enthält aber nicht nur Lyrik, die sich in die Abtheilungen „Vorsaal“, „Stunde“, „In den Bergen“, „Reise“, „Liebe“ trennt, sondern auch alle die gewaltigen Balladen stehen da, durchgebildet nun bis zur Vollendung oder bis nahe an die Vollendung: „Götter“, „Frech und Fromm“, „Genie“ und „Männer“ sind die Liedersäle, in denen diese ewigen Werke stehen. Während des Druckes sandte er die Gedichte an die neue Freundin L. v. François und bekam darüber die feinsten Urtheile, z. B. am 4. I. 82 das folgende, für seine Lyrik außerordentlich bezeichnende: „Je mehr ich von ihnen [den Gedichten] kennen lerne, um so edler, tiefer, reicher erscheinen sie mir. Sie sagen: mein Urtheil über dieselben steht fest; bilden Andere sich das ihre. Heißt das soviel als: ‚ich werde nie ein populärer Dichter werden, kein gesungener Volkssänger, dessen Klingklang leicht im Ohre haftet, oder dergleichen‘, so haben Sie recht; aber für Auserwähler dauernd ein Auserwählter … Das Versenken in Ihre Gedanken, Ihre Stimmungen, Schilderungen ist mir in meiner Einsamkeit schon ein tägliches Bedürfniß geworden. Naturgefühl, Heimathstrieb, Kunstsinn – herrlich, herrlich“ (Briefwechsel, S. 65).

Die Stauferdichtung („Friedrich II.“), die er gleichzeitig novellistisch und dramatisch hatte behandeln wollen, wurde dann liegen gelassen, und M. schrieb in einem Zuge seine Gustav Adolf-Novelle „Page Leubelfing“ („Gustav Adolfs Page“); die Idee dazu war ihm durch Goethe’s „Egmont“ gekommen, und er variirte: „Ein Weib, das ohne Hingabe, ja, ohne daß der Held nur eine Ahnung von ihrem Geschlecht hat, einem hohen Helden in verschwiegener Liebe folgt und für ihn in den Tod geht. Der Held müßte freilich sehr kurzsichtig sein, um zu verkennen, daß ein Weib sein Freund ist. Gustav Adolf war hochgradig [362] kurzsichtig“ (bei Langm. S. 336). Er arbeitete dann nach A. F. Gfrörer’s Geschichte Gustav Adolf’s (2 Bde. 1835–37) und machte aus dem Pagen Leubelfing ein Mädchen: Gustel Leubelfing, tapfer, rein, edel. Sie gewinnt des verehrten Helden Freundschaft, geht hart an dem Entdecktwerden vorbei, flieht dann den König, weil Aehnlichkeit ihrer Hand mit der eines Meuchlers sie dem Verehrten unheimlich machen könnte. In der Schlacht bei Lützen ist sie wieder da und darf, zu Tode verwundet, dem geliebten Könige nachsterben. Da wird ihr Geschlecht erkannt; aber das Geheimniß soll bewahrt werden – um des Königs willen. Alles ist hier unhistorisch; aber das Poetische ist so wahr, menschlich wahr wie je bei M., der auch hier vorzüglich tief charakterisirt: im Einzelnen, wie im prächtigen Hintergrunde, dessen Linien die echt historisch großen sind. Der Page selbst ist im Geiste ein Bruder des liebenswürdigsten aller Reiterknaben, des Georg im „Götz von Berlichingen“.

Zur nämlichen Zeit schuf M. das fein verstehende „Porträt Mathilde Escher“ (1808–1875), der Freundin der Mutter: „Man hatte“, heißt es darin, „in ihrer Nähe das Gefühl des Stetigen, ich hätte fast gesagt des Ewigen“. Ein weiterer Essay Meyer’s, erschienen im „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes“ (1883), beschäftigt sich mit „Gottfried Kinkel in der Schweiz“ († 1882); das Künstlerisch-Pathetische im Wesen des Mannes wird klar herausgehoben (Proben bei Langmesser S. 424). Im April verfaßte M. ein reizvolles Hochzeitscarmen zur Vermählung seines Schwagers Karl Ziegler (mitgetheilt als Nr. 50 des Briefwechsels mit L. v. François S. 87–90, auch bei Langmesser S. 519–522); feiner Humor zeichnet es aus; es ist wie von Mörike gedichtet. – Im Mai mußte er zur Eröffnung der schweizerischen Landesausstellung ein Gedicht liefern (Probe bei Langm. S. 130). Dann nahm er wieder Novellen vor: Er hatte, wie er am 4. Mai an L. v. François (Briefw. S. 94) schreibt, zweie in Arbeit, „eine lustige und eine ernste“. Die lustige war „Die sanfte Klosteraufhebung. Reformationszeit. Ein Berner Landvogt hebt ein Kloster auf, aber langsam und unrevolutionär, die Nonnen nach und nach verheirathend. Drei Jahre lang hat er aufgehoben: vier und die Aebtissin sind noch hartnäckig, welche er dann an einem Maitage an den Mann bringt. Charaktere der fünf Nonnen und fünf Bräutigame“ (an Rodenberg 8. V. 83, bei Langm. S. 129). Der „Rundschau“-Verleger hätte diese Novelle gerne gehabt. Sie blieb aber unvollendet (das daran Geschriebene bei Langm. S. 454 bis 469), und der Dichter bearbeitete den zweiten Stoff: „Die Leiden eines Knaben. Louis XIV. Ein Sohn des Marschalls Boufflers erliegt der Kränkung ungerechter, im Collège St. Louis von einem Jesuiten Letellier, dem Préfet d’études, erhaltener Schläge“. Die Novelle erschien dann nicht in der „Rundschau“, sondern, einem Versprechen zufolge, in „Schorer’s Familienblatt“. Sie ist vom Ergreifendsten, was M. geschrieben hat; aus einer Anekdote in den „Mémoires du duc de Saint-Simon“ (1829) ist ein psychologisches Gemälde ohne Gleichen entstanden: das eines wenig begabten, aber edel und tief empfindenden Jungen, eines Träumers, der unter falscher Erziehung, unter dem Bewußtsein seiner Dumpfheit, unter der Mitleidslosigkeit der Kameraden und den gemeinen Seelen seiner Lehrer leidet, körperlich und psychisch, bis der Tod ihn knickt. Man merkt – Frey (S. 320) hat da jedenfalls richtig gesehen – daß M. hier „mehr als selbst die Schwester ahnte, Stimmungen seiner gequälten Jugend durchblicken ließ“. Auch diese Novelle ist Rahmenerzählung: des Königs Leibarzt Fagon spricht vor Louis XIV. und der Maintenon; damit gewinnt sie nicht nur höchste Objectivität, sondern eine echt französische Stilfeinheit und Vornehmheit, wie sie nur in Meyer’schem [363] Nährboden dem Stoff als schönste Blüthe entwachsen konnte. (Auf Gallicismen in der Rede macht Hans Trog in seiner ausgezeichneten Arbeit „C. F. M. 6 Vorträge“, Basel 1897, S. 88 aufmerksam; auch L. v. François – Briefw. S. 118 – hatte anderswo Aehnliches bemerkt.)

Während der Arbeit am „Leiden eines Knaben“ war M. mit dramatischen Plänen beschäftigt, wie denn überhaupt das Drama als höchste Kunstform ihm immer nahe gelegen hat und, wie schon gesagt, alle seine Novellen dramatisch concipirt worden sind. Die „Magna Peccatrix“ stand im Vordergrunde, d. h. jener Stauferstoff (Friedrich II.), von dem schon oben (S. 361) die Rede gewesen ist. „Neulich“, so meldete er an Louise v. François (4. V. 83; Briefw. S. 95) über ein weiteres Sujet, „habe ich ein paar Szenen zu einem ‚Sohn des Büßers von Canossa‘ d. h. Heinrich V. geschrieben“. Also immer Drama. Er wußte zwar: „Ein vollkommener Dramastoff ist so selten als eine vollkommene Frau“ (an L. v. F. 1882, Brfw. S. 84); aber stets hat er wieder daran gedacht; es war wie Schicksalszwang (an L. v. F. 30. XI. 87, Brfw. S. 221); Schicksal war es auch, daß er dann doch kein Drama hat schreiben können. Dann bereitete er die 2. Auflage der Gedichte vor, aber ihre „Subjectivität“ war ihm zuwider. Im Sommer 1883 entstand das „Lutherlied“ (Gedd., S. 363): ein Jubiläumsgedicht, das, trotz Rodenberg’s begeistertem Lob (bei Langm., S. 132), etwas Conventionelles hat; M. hatte seinen „großen Liebling“ im „Hutten“ markiger geschildert (Gesang XXXI u. XXXII). Dann wurde wieder der „Dynast“ vorgenommen, der „Renaissance-Böse“, „aber weiß Gott“, heißt es an die François (4. VIII. 83, Briefw., S. 104), „meine l. Vaterstadt (und von dieser wäre im Dynasten viel die Rede), fängt an, besonders seit sie sich so schrecklich selbst rühmt oder rühmen läßt, mir – was man so nennt – langweilig zu werden. Es ging nicht, trotz Stimmung. Das Schweizerische widerstand mir … Dafür ergötze ich mich nun an einem mittelalterlichen Novellchen mit großen Figuren.“ Dieses „Novellchen“ ist die grandiose, vom Dichter keinem Geringeren als Dante in den Mund gelegte Erzählung „Die Hochzeit des Mönchs“, die er im Sommer und im Herbst 1883 vollendete: „Ich shakespearesire darin ein bischen, nach Kräften versteht sich, doch glaube ich nicht, daß es rückwärts gehe“ (an L. v. F. 3. X. 83, Briefw. 106). Sie erschien im December 1883 und zu Anfang 1884 in der „Rundschau“; geschöpft war sie aus Machiavell’s „Storie Fiorentine“. M. hatte den Stoff schon einmal behandelt im „Mars von Florenz“ („Romanzen und Bilder“, S. 67; Gedd., S. 295). Eine Facetie Poggio’s, „Responsio Dantis“, gab ihm den neuen Rahmen, und er läßt am Hofe Cangrande’s zu Verona den Dichter der „Göttlichen Komödie“ erzählen: „Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm; aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte“. So Dante, so C. F. Meyer. (Genaueres, mit dieser kleinen Stelle völlig Uebereinstimmendes über Meyer’s Arbeitsweise bei der Abfassung seiner historischen Novellen bei Frey in dem schon citirten, aufschlußreichen Abschnitte „Das Bild des Dichters“, S. 283 ff.) Astorre, ein Mönch, der letzte vom Geschlechte der Vicedomini von Padua, verlobt sich, dem Willen seines Vaters zufolge, mit Diana, der Wittwe seines am Hochzeitstage ertrunkenen Bruders. Astorre verliert einen Ring; diesen bringt man Antiope Canossa mit der Lüge, der weltlich Gewordene habe sie erkoren. Sie erscheint bei Astorre’s Hochzeit und wird von Diana geschlagen. Astorre geleitet sie heim; er liebt sie plötzlich: eine alte Kindererinnerung war in ihm aufgetaucht. Dianen’s Bruder Germano will Antiope ehelichen; sie weist ihn ab; Astorre, der ihn begleitet hat, bleibt und vermählt sich mit ihr. Versöhnung soll sein, wenn an Astorre’s und Antiope’s Hochzeit diese der [364] Diana demüthig einen Ring vom Finger ziehe. Antiope ist aber nicht demüthig; da tödtet Diana die Rivalin. Astorre tödtet den Germano und wird selbst von diesem im letzten Lebensaugenblick ermordet. Ezzelino da Romano, der Tyrann der Stadt, drückt ihm die Augen zu. In machtvoller Entwicklung, wirklich eines Dante würdig, eilt die leidenschaftsvolle Erzählung an uns vorüber; die Sprache ist von größter Gewalt, wie in Marmor gemeißelt; die Charaktere treten prächtig hervor, nicht subtil analysirt, auch sie aus dem Großen gehauen. In Umrissen gezeichnet, blickt einer von Meyer’s Lieblingshelden in dieser Erzählung den handelnden Personen über die Schulter, Friedrich II., über den er seit 1880 in Raumer’s Geschichte der Hohenstaufen tiefe Studien gemacht hatte und den auch zwei seiner Balladen verherrlichen: „Kaiser Friedrich der Zweite“ (Gedd., S. 206) und „Das kaiserliche Schreiben“ (S. 283). „Die Hochzeit des Mönchs“ war in der Buchausgabe H. Laube gewidmet (darüber M. an die François 11. XII. 94, Brfw. S. 160).

Wieder beschäftigte dann den Dichter der Staufer-(Magna peccatrix) Stoff; aber er verlegte „Die große Sünderin“ schließlich in die Zeit Karl’s des Großen und schuf „Die Richterin“. Etwas wie eine erste Gestalt dieser Richterin ist jene früher (S. 343) erwähnte „Clara“ (Inhalt bei Frey, S. 68 f). „Clara“ kann aber, sagt Frey (S. 381), „nur insofern als eine Vorläuferin der ‚Richterin‘ erscheinen, als M. hier zuerst einen überlegenen starken Frauencharakter zu schildern versuchte, welcher allerdings auch das Amt einer Richterin versieht. Das Eigentliche dieses ersten novellistischen Versuches ist freilich ein von dem der ‚Richterin‘ verschiedenes: offenbar fühlte sich der Dichter angeregt, in der ‚Clara‘ die Vorzüge ungewöhnlicher weiblicher Natur gegen die Anmuthung untergeordneter, liebebedürftiger Mädchenseelen abzuwägen“. Dann spielte also das Richterin-Problem in den Stauferstoff: Sicilianische Große müssen, um Amnestie wegen einer gegen Friedrich II. gerichteten Verschwörung zu erhalten, auf gewisse Rechte verzichten. Stemma, die Herzogin und Richterin von Enna, geht das nicht ein; sie ist keine Verschwörerin. Da suchen der Kaiser und sein Kanzler Petrus Vinea den dunklen Punkt in Stemma’s Leben und finden ihn im jähen Tod ihres Gatten. Hier bricht das Fragment ab (s. Langm., S. 432–441; Rodenberg bedauerte stetsfort innig, daß M. diesen Stoff nicht ausgeführt habe.) Die neue Fassung unternahm der Dichter mit außergewöhnlicher Sorgfalt: „Ich schreibe sie, soviel ich vermag, ohne Adjective und ursprünglicher als den überladenen Renaissancemönch“ (an Rodenberg 19. III. 84; Langm. S. 135). Man sieht, die energische Arbeit an dem einen Stoffe machte ihn gegen Früheres ungerecht; das ist aber echt künstlerisch. „Die Richterin“ kam dann erst im Sommer 1885 ganz zu Stande. Der Schauplatz ist Rätien. Stemma ist Richterin auf Malmort. Sie ist hochgeehrt und gefürchtet; aber ihr Gewissen ist nicht frei; sie hat Wulf, den ihr vom Vater aufgezwungenen Mann, nach nur siebentägiger Ehe vergiftet. Vor dieser Ehe hatte sie sich einem gelehrten Schüler Alcuin’s ergeben; der Vater hatte diesen erwürgt; ihr Kind von ihm ist Palma novella. Zu dieser entbrennt Wulfrin, Wulf’s Sohn aus früherer Ehe, in Liebe. Da er sie für seine Schwester hält, flieht er. Stemma beichtet am Grabe Wulf’s ihre Schuld. Palma hört das, will aber schweigen; doch das furchtbare Geheimniß wird sie tödten. Das bricht der Mutter Stolz; sie bekennt Karl, dem Kaiser, ihre Schuld; dann vergiftet sie sich. Wulfrin und Palma können sich vereinigen. Es ist Schwüle in dieser Novelle: die vermeintliche sündige Geschwisterliebe, der heimliche Gattenmord drücken auf den Leser. Die Größe des Charakters der Heldin und [365] ihre starkgeistige Sühne erheben dann zwar wieder; man erstaunt auch hier über die strenge Schönheit der Form und die Mannichfaltigkeit des kühn geschilderten Lebens jener frühen und wilden Zeit; aber zu reinem Genusse zu gelangen, ist schwer; Geist und Gemüth müssen durch fast zu viel Lastendes hindurch, und auch die Verwandtschaft mit „Engelberg“ (Jutta = Stemma, Angela = Palma novella, Kurt = Wulfrin, Rudolf von Habsburg = Karl dem Großen), auf die Betsy Meyer („Erinnerung“, S. 172 f.) feinsinnig hinweist, vermag nicht, diesen Eindruck zu verwischen. Das Antik-Großartige, das Langmesser (S. 376) sieht, ist zwar nicht zu verkennen; auch das Symbolische im Rufe des gewissenaufrüttelnden Wulfenhornes ist überwältigend, das sagenmäßig Dämonische gewiß packend – dennoch ist ein Rest von elementarer Wildheit kaum zu verwinden.

Zwischen den beiden letztgenannten Novellen Meyers liegen einige Kleinigkeiten: Zur Feier des 12. Mai 1884, des Jubiläums der reformirten Locarner in Zürich (1555), verfaßte er, eingedenk des Vaters, der die Geschichte dieser Vertriebenen geschrieben hatte, ein schönes Gedicht (Abdruck aus der „Ill. Schweizer Ztg.“; Bd. I; 1884; bei Moser II, S. 96–99.). Im August besuchte ihn Louise v. François; das war ihm sehr lieb, während er sonst über die Masse gesellschaftlicher Verpflichtungen klagte, so am 11. März 1884: „Ich muß mir etwas Stille schaffen, diese Comités und Concerte und Soiréen machen mich mittelmäßig“ (an L. v. F., Briefw. 136). Dann ging er nach Richisau im Klönthal. Zu dieser Zeit trat er auch in Verbindung mit dem Maler Ernst Stückelberg von Basel; die beiden Künstler fühlten sich wesensverwandt und waren durch ihre Freundschaft innig beglückt. Der Hochsommer 1885 fand ihn wieder in Bünden; diesmal im Hinterrheinthale, das er vor der Herausgabe der „Richterin“, die ja dort waltet, nochmals sehen wollte. Bei der Aufführung der von ihm zur Einweihung des Zwinglidenkmals gedichteten Cantate war er nicht zugegen; sie ist ein mächtiges Lied (Abdruck bei Moser II, S. 99 f.); Gustav Weber hatte die Musik dazu componirt. Daß M. einen „Zwingli“ als Drama geschaffen hätte, wäre der Wunsch seiner Freundin v. François gewesen“ (Brfw. S. 115). Im Winter 1885/86 wollte M. wieder am „Dynasten“ arbeiten, die Zeit nicht „vertändeln“; er war ja ein Sechziger: „Gegen meine 60 Jahre“, meinte er scherzend zu L. v. François (20. X. 85, Brfw., S. 176), „hätte ich viel einzuwenden, wenn es ein anderes Mittel gäbe, leben zu bleiben als das, alt zu werden“. Das ist echter Humor; dieser blüht überhaupt in den Briefen an die François in schöner Fülle, während Meyer’s eigentliche Werke immer ernster werden und das Lächeln fast ganz daraus schwindet. Statt am „Dynasten“ arbeitete er dann aber an „Engelberg“ um und bedauerte sehr, daß in dem Gedichte, welches er weiland neben den Engelköpfchen Bellini’s geschrieben habe, viel formelle Lieblichkeit nicht in den Dienst irgend einer Idee gegeben sei, denn von einer solchen sei keine Spur. Auch Composition in höherem Sinne mangele vollständig (an Rodenberg, bei Langm. 149). Zur 500jährigen Jubelfeier der Schlacht bei Sempach verfaßte er das kräftige Lied, das damals (5. Juli 1886) an alle Schweizerkinder vertheilt wurde (Abdr. bei Moser II, S. 95 f.). Dann sann er wieder Novellen nach: er habe deren sechs „sozusagen schreibfertig im Kopfe“ außer dem Romanstoffe („Dynast“), schrieb er der Freundin nach Weißenfels (25. VI. 86, Brfw. 189). Der Sommer wurde in Appenzell (Walzenhausen) und Bünden (Parpan) zugebracht; für Herbst und Winter meldete er, habe er ein gutes Sujet: „Italienische Spätrenaissance (1525): „Die Versuchung des Pescara“. Er machte eingehende Studien, Prof. Rahn [366] war dabei behülflich; das Beste aber, Stimmung und Milieu, wird der heimliche Freund Jakob Burckhardt mit seiner „Cultur der Renaissance“ geliefert haben. (Ueber „Jakob Burckhardt und C. F. Meyer“ handelt sehr eingehend das erste Capitel der tiefgründigen Schrift von Otto Blaser „C. F. Meyer’s Renaissancenovellen“, Bern 1905, S. 1 ff. Blaser hat auch erstmals auf Poggio’s Facetie „Responsio Dantis“ als eine Quelle zur „Hochzeit des Mönchs“ aufmerksam gemacht, S. 72 f.) M. fühlte, trotz Hemmungen durch hartnäckige Halsentzündungen, große „Lebensleichtigkeit“ bei der Arbeit; dennoch war sie nicht leicht: „Ich möchte meiner Kürze entgegenarbeiten“, schrieb er im October 1886 an Rodenberg (Langm. 151) „welche sonst leicht mit den Jahren überhandnehmen könnte“: Ein interessantes Geständniß; der 61jährige hatte keine Anlagen zum senex loquax. Er wollte aus dem Vollen geben; die getheilte Aufnahme von G. Keller’s „Salander“ hatte ihn nachdenklich gemacht: „Stehenbleiben will ich nicht, lieber verstummen … Sie wissen, lieber Freund (Rodenberg), ich bemängle K(eller) nie, ich verehre und liebe ihn, auf meine Weise. Nicht ich, sondern das allgemeine Urtheil ist entschieden unbefriedigt von seinem Roman. So etwas, d. h. eine getheilte Aufnahme des ‚Pescara‘ darf mir nicht begegnen, umsoweniger, als ich zwar der weit mindere, aber der thatkräftigere bin“ (bei Langm. 152, wo in der Anm. weitere Bemerkungen Meyer’s über seine Hochschätzung Keller’s). Anfangs Juni 1887 war die Novelle fertig. Ihr Held ist also jener Fernando Francesco Pescara, der Sieger von Pavia, welchen die Liga des Papstes Clemens VII., der Venetianer und der Mailänder von seinem Kaiser Karl V. abtrünnig machen wollte, damit er ihr helfe, Italien von den Fremden zu säubern. Aber trotzdem ihm Neapel als Königreich angeboten wurde, blieb Pescara fest und brachte sogar das liguistische Werk zu Falle, indem er Karl die Absichten der Verschworenen mittheilte. M. kannte den Stoff wol am genauesten aus Gregorovius’ „Geschichte der Stadt Rom“ und hat ihn nun nach seiner Weise vertieft. Der edle Pescara schwankt bei ihm nie; ruhig weist er die Versucher ab, ruhig, wie ein Sterbender; der ist er: er weiß, daß eine bei Pavia empfangene Wunde ihn tödten wird. Darum vermag nichts ihn von seiner Treue wegzuwenden, nicht Morone, der schlaue Kanzler des Sforza von Mailand, nicht einmal die eigene, edle, schöne, geliebte, für die Freiheit Italiens glühende Gattin Victoria Colonna. Pescara kann das; denn er „gehörte nicht sich; er stand außerhalb der Dinge“, seine „Gottheit hat den Sturm rings um seine Ruder beruhigt“; diese Gottheit ist der Tod; sie gibt ihm die Kraft, sich selbst getreu zu bleiben: „Wäre ich von meinem Kaiser abgefallen, so würde ich an mir selbst zu Grunde gehen und sterben an meiner gebrochenen Treue“, sagt er zu der Heißgeliebten. Dann erobert er seinem Kaiser Mailand, empfiehlt den Herzog und Morone in dessen Gnade und erbittet den Oberbefehl für seinen Freund, den Connetable Bourbon; dann stirbt er. Pescara ist eine Prachtgestalt, menschlich so wahr, poetisch so verklärt, daß er hoch über den geschichtlichen Pescara emporragt, von dem M. wohl wußte, daß er „tiefer in die Verschwörung verwickelt war“ (an Rodenberg 15. VI. 88, bei Langm. S. 381 Anm.). Im Gegensatz zu dem ruhevollen, außerhalb der Dinge, mehr: über ihnen stehenden Pescara dann die leidenschaftliche, aber durch ihre Treue für den Gemahl geadelte Victoria; neben den beiden, ebenfalls Contrastfiguren, die Verschwörer: das Alles ist in großartiger Harmonie gebunden, und man begreift E. v. Wildenbruch, der dem Dichter schrieb: „die Zeit, aus der Sie schildern, ist ein Meer, und in dieses Meer greift Ihre Dichtung wie eine Faust hinein, und sieh da, eine herrliche Kugel bleibt in Ihrer Hand, in die wir staunend hinein blicken“ (bei Langm. S. 154). [367] „Die Versuchung des Pescara“ ist ein reines Renaissancekunstwerk: Leben aus der Fülle mächtiger Ueberlieferung, Meyer’s Reifstes, Rundestes; Tiefstes, wenn er auch selbst den „Heiligen“ höher stellen mochte. L. v. François allerdings hat an „Pescara“ viel zu tadeln gehabt (11. XI. 87, S. 215), aber M. hat sich ruhig dagegen verwahrt (Briefw. S. 220) und hat die Hoffnung ausgesprochen, einen noch tieferen und volleren Ton anschlagen zu können, wenn ihm Gott das Leben gebe (an L. v. F. S. 222).

Den Sommer 1888 verbrachte M. im Berner Oberlande; im October schrieb er einen Aufsatz über die „Erinnerungen“ des ihm befreundeten Grafen Eckbrecht Dürckheim, der den „Hutten“ ins Französische übertragen hatte (Probe aus Meyer’s Essay bei Langm., S. 426); auch Detlev v. Liliencron, der ihm „Unter flatternden Fahnen“ gewidmet hatte, war ihm eine sympathische Persönlichkeit (Brief bei Langm., S. 155 f.). – Wieder dachte er dann an Dramen: deutsche Kaiser, Salier, Ottonen, Hohenstaufen blitzten auf; auch die „Versuchung“ hat er, diesmal nach der novellistischen Vollendung, dramatisch gestalten wollen. „Jedes künstlerische Streben“, hatte er schon am 2. IX. 82 an L. v. F. geschrieben (Brfw. S. 64), „drängt dem Drama als der höchsten Kunstform mit Nothwendigkeit zu“. Da brach seine Gesundheit, und es gab einen längeren Stillstand. Seit 1887 litt er an rheumatischem Fieber und chronischen Entzündungen der Nasen- und Rachenräume; es kamen Erstickungsanfälle, Schlaflosigkeit, Herz- und Nervenschwächen. Zwar besserten sich diese Uebelstände wieder; die Verleihung des bairischen Maximiliansordens Ende November 1888 fand ihn katarrhlos; im Sommer, nachdem er Herm. Lingg und Louise v. François bei sich gesehen hatte, weilte er in San Bernardino und war glücklich, aber mit Todesresignation im Herzen; so sagte er im Gedichte „Noch einmal“ (S. 123):

„Ich sehe dich Jäger, ich seh’ dich genau,
Den Felsen umschleichest du grau auf dem Grau,
Jetzt richtest empor du das Rohr in das Blau –

Zu Thale zu steigen, das wäre mir Schmerz –
Entsende, du Schütze, entsende das Erz!
Jetzt bin ich ein Seliger! Triff mich ins Herz!“

Auch in anderen Gedichten dieser Zeit bricht dieser Gedanke der Ergebung ins Schicksal, manchmal auch als leise Hoffnung auf Leben, durch: „Wanderfüße“ (Gedd., S. 71), „Mein Stern“ (S. 69), „Mein Jahr“ (S. 70); „Der Lieblingsbaum“ (S. 49); „Lenz, wer kann dir widerstehn?“ (S. 47) und „Ein Pilgrim“ (S. 400), an dem er 30 Jahre herumgebildet hatte (Frey, S. 382 f.). – Auch ein Gelegenheitsgedicht entstand damals als Prolog zu „Zürich und seine Umgebung“ (Abdr. bei Moser II, S. 93). In San Bernardino, feierte er G. Keller’s 70. Geburtstag (Sein Brief an G. K. bei Bächtold III, S. 321 f.). Zu Hause ging er wieder an die Arbeit; nochmals lockte „Der Dynast“; auch ein „Komtur“ (Schmid von Küßnacht), der schon lange, noch vor dem „Dynasten“ aufgetaucht war, verlangte nach Gestaltung; vielleicht konnte sie einer Novelle „Aurea“ gelingen (Ged. „Der Rappe des Komturs“, S. 371). Dann schlug auch Petrarcas Laura wieder die Augen auf; sogar an eine moderne Novelle dachte er: „Ein Gewissensfall“ (auch „Duno Duni“). Er wollte darin mit gebrochenen Tönen malen: ein Officier, der Schuld ist am Unglück eines Untergebenen, heirathet dessen gesellschaftlich unter ihm stehende Schwester. M. gedachte Erinnerungen aus seiner Jugend in die Novelle zu verweben (Fragment bei Langm. S. 469–479). Auch Friedrich II. stand wieder vor ihm, und zwar im Conflicte mit seinem Kanzler Petrus Vinea; M. dachte da ernstlich an ein Drama (cf. Ad. Frey [368] in der „Deutschen Rundschau“, Band 106, S. 191 ff.; Betsy Meyer, „Erinnerung“, S. 227 ff., Langmesser, S. 501–516). Schließlich aber wandte er sich der Novelle zu: „Angela Borgia“. „Hier hat mich die Wirklichkeit gefesselt“, schrieb er an Wille (bei Frey, S. 329), „diese Menschen sind schon Poesie, und die Quellen fließen reich“. Er begann den hauptsächlich aus Gregorovius’ „Lucrezia Borgia“ geschöpften Stoff zuerst dramatisch zu behandeln (cf. Langm., S. 485–500); aber Rodenberg rieth entschieden zur Novelle. Während der Arbeit daran besuchte M. den kranken Gottfried Keller: Was er da von dem leise in sich hinein Träumenden erfahren hat, berichtete er nach Meister Gottfried’s Tode in „Erinnerungen an Gottfried Keller“ („Deutsche Dichtung“, Bd. IX). – Ueber Meyer’s Verhältniß zu Keller cf. den über beide Dichter am besten orientirten Ad. Frey: „C. F. M.“ S. 332 ff.; auch Langm., S. 163 f.: Sie sind sich nie herzlich nahe gekommen; geachtet haben sie sich; M. war auch immer höflich gegen K., dieser aber hat z. B. nie einen der Besuche Meyer’s erwidert. Kellers Tod, auch das Hinscheiden einiger Verwandten und Freunde, legten dem Dichter aufs Neue die Gedanken ans eigene Ende nahe; er arbeitete darum emsig an der „Angela Borgia“ und hatte das Gefühl des Gelingens: „Aus der Angela wird etwas Gutes und – relativ – Junges, etwas Feuriges, wenn das Wort für einen Fünfundsechziger nicht unpassend ist“, schrieb er an Rodenberg (28. XII. 90, bei Langm., S. 165). „Nur bedarf ich Zeit“, hatte er beigefügt, und die Vollendung zögerte sich dann bis zum August hinaus; da meldete er an Frey (s. d. S. 336), die Novelle sei fertig, „wo nicht ein Kunstwerk, doch ein kräftiger Willensact“. Er hatte sie zumeist seiner Schwester dictirt; früher hatte er seinem Vetter Dr. jur. Fritz Meyer solche Arbeiten zumuthen dürfen. Wir sind in der Novelle wiederum unter Menschen „jenseits von Gut und Böse“, wie die Renaissance sie hervorgebracht hat, geistig fein und ruchlos zugleich. Der Schauplatz ist das Ferrara der Este. Eben hat Alfons I. die schöne Tochter des Papstes Alexander VI. als Gattin heimgeführt, die dämonische Lucrezia; auch Angela Borgia weilt dort, ein reines, edelsinniges Mädchen. Giulio d’Este, des Herzogs Bruder, liebt sie und läßt sich sogar von ihr seine Ausschweifungen verweisen; sie liebt ihn wieder. Da entbrennt der Cardinal Ippolito, ein dritter Este, für sie; er läßt, da Angela Giulio’s Augen lobt, diesen blenden. Das führt den Jüngling in sich; er findet seine Lust im Verkehre mit edlen Geistern. Aber an Ippolito und dem Herzog will er sich rächen, aufgestachelt durch einen dritten Bruder, Ferrante. Es mißlingt. Er muß in den Kerker; aber da tröstet ihn Angela, vermählt sich mit ihm am Kerkergitter und verschönert ihm nach seiner Freilassung als Gattin das Leben. Im Gegensatze zu diesen beiden stürzt sich die gewissenlose Lucrezia in Abenteuer, jagt den sie liebenden Herkules Strozzi in den Tod und verräth sogar den Gatten um ihres Bruders Cesare willen. Aber Alfons liebt sie dennoch, weil eine Borgia nicht über sich hinaus kam; so wenig wie Angela, die auch gethan hat, was sie wollte, allerdings nur das Schöne und Liebe. Mit großer Kühnheit hat M. diese Angela und Giulio in die Mitte gestellt; um sie herum dann das Leben in Ferrara mit seinen Leidenschaften, seinen Lüsten, seinen Ränken. Das ist Alles noch voll lebendig; auch Lucrezia, die aber fast zu viel hervortritt. Dadurch verliert nämlich die Composition; sie ist nicht mehr so feinsinnig gegliederte Architektur wie im „Pescara“; ja wir haben beinahe zwei Novellen, eine „Angela“ und eine „Lucrezia“; aber an Charaktertiefe und Rundung der Figuren, auch in der Gewalt der Sprache, die nur höchst selten etwas nachläßt, ist Meyer’sche Größe, d. h. an inngstem Verständnisse der Renaissance erwachsene hohe Künstlerpoesie.

[369] Wieder trat Friedrich II. vor des Dichters Blick; er wollte ihn bannen; auch den „Pseudo-Isidor“ erwog er (Fragm. bei Langm., S. 482–485); dann zog ihn wieder der „Dynast“ an. Auch Gelegenheitsgedichte schuf er: ein Lied „Zur Weihe des neuen Schulhauses in Kilchberg“ (27. Sept. 1891; Abdr. bei Moser II, S. 94) und einen „Prolog zur Weihe des neuen Stadttheaters in Zürich“ (30. September 1891, Moser, S. 105–108); schon im Mai hatte er dem Männergesangverein „Harmonie“ zum 50jährigen Jubiläum einen „Festgruß“ gedichtet (Abdr. bei Moser II, S. 109 ff.). Doch da kam ein Zusammenbruch: M. wurde menschenscheu, mißtrauisch; Wahnvorstellungen suchten ihn heim. In einem Aufregungsaugenblicke vertilgte er die Entwürfe zum „Dynasten“ (die kleinen Reste bei Langm. S. 443–450 u. 450–453). Die treu besorgte Gattin suchte Ruhe mit ihm am Vierwaldstättersee; er fand sie nicht und ging daher am 7. Juli 1892 in die Heilanstalt Königsfelden. Dort blieb er, allmählich sich wiederfindend, bis zum 27. September 1893 (über Besuche bei ihm s. Frey, S. 342 ff.). In Kilchberg pflegte ihn die Gattin; er fand sich noch mehr wieder, aber doch nicht zur vollen Kraft; dann und wann verfaßte er ein Gedicht … es gelang jedoch nichts Ganzes mehr. Als sehr tröstlich empfand er einen Brief Carmen Sylva’s, in dem es hieß: „Im Grunde glaube ich, daß die große freie Seele ganz unabhängig ist von ihrem verbrauchten Instrument, dem Körper, und vielleicht dann sich am höchsten schwingt, wenn sie es nicht mehr mittheilen kann. Es kommt ein Augenblick, wo man eine ganz neue Sprache finden möchte, deren Worte noch nie als kleine Münze entweiht wurden“ (Langm., S. 170 f.). Den 70. Geburtstag (11. October 1895) verbrachte er mit der Gattin am Genfersee; in Berlin und Zürich feierte man ihn in litterarischen Zirkeln. In den Sommern ging M. wieder in die Alpen, nach Bünden (1894 nach Brigels am Kistenpaß, 1896 nach Klosters); 1897 suchte er Erholung in Engelberg. Er lebte nochmals auf; ja die Hoffnung kehrte wieder; Langmesser erzählt (S. 173) von einem Besuch im September 1897: „Die mächtige Stirn war von leicht gewelltem, schneeweißem Haar umrahmt, die Augen strahlten wieder mit dem ihnen eigenen Glanz, um den Mund spielte jenes feine Lächeln, das dem Antlitz einen wundersam durchgeistigten und heiteren Ausdruck gab. Er sprach von seinem Friedrich II., von Luther, von Wilhelm II., den er bewunderte, von den Jungdeutschen, in die er sich nicht finden konnte, über die Odyssee, die er eben wieder mit junger Begeisterung gelesen, mit solcher Frische und durchzuckt von so leuchtenden Gedankenblitzen, daß ich den Eindruck hatte: Charon dürfte noch lange im Schilfe warten“. Am 21. November sang ihm der Zürcher Männerchor an einem goldenen Nachmittage Mozart’s „Schutzgeist alles Schönen“, Lachner’s „Hymne an die Musik“ und Baumgartner’s, von G. Keller gedichtetes „O mein Heimathland“.[1] Aber am 28. November nahm ihn plötzlich und leicht der Tod hinweg. Am 1. December wurde er in Kilchberg begraben; bei der schlichten Feier sang man: Goethe’s „Ueber allen Wipfeln ist Ruh“, Feuchtersleben’s „Es ist bestimmt in Gottes Rath“ und Keller’s „O mein Heimathland“. Professor Rahn sprach das Abschiedswort.

M. wird kaum je ein populärer Dichter sein; aber er ist ein Gestalter des Lebens wie wenige neben ihm, historischen Lebens namentlich; da ist er der Größte: ein ganzer, edler Künstler, wie er ein tiefer, edler Mensch gewesen ist.

Die Litteratur über Meyer ist verzeichnet bei Richard M. Meyer, „Grundriß d. neuern deutschen Litteraturgeschichte“ (Berlin 1902), Nr. 2774 bis 2798 und bei Adolf Bartels, „Handbuch zur Geschichte der deutschen [370] Litteratur“ (Leipzig 1906), S. 680. – Dort nicht erwähnt, aber wichtig sind: Otto Blaser, „C. F. Meyer's Renaissancenovellen“ (Bern 1905), Wilh. Holzamer, „C. F. Meyer“ in der Sammlung „Die Dichtung“, Nr. XXIII, Otto Stößl, „C. F. M.“ in der Sammlung „Die Litteratur“ (Bd. XXV); dort auch (S. 65 f.) ein „Bibliographischer Anhang“. Carl Busse, „C. F. M. der Lyriker“ als Nr. 8 der „Beiträge zur Litteraturgeschichte“, ed. Herm. Gräf. „C. F. M. und Fr. Th. Vischer.“ (Aus der Korrespondenz 1861—87; Südd. Monatshefte III, Heft 2.) — Die Grundlage aber bieten Frey und Langmesser in ihren großen Biographien (Stuttgart 1900 und Berlin 1905), sowie Betsy Meyer in dem unschätzbaren Buche: „C. F. M. In der Erinnerung seiner Schwester“ (Berlin 1903); auf ihnen, auch auf dem François-Briefwechsel, beruht vornehmlich das Thatsächliche der vorliegenden Biographie.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Konrad Ferdinand Meyer (zu S. 369). Infolge eines Versehens beim Corrigiren ist auf Zeile 12 von unten nach „O mein Heimathland“ die Stelle weggeblieben:
    „Das Jahr 1898 war im Ganzen ein ruhiges; ja man glaubte auf völlige Wiederherstellung hoffen zu dürfen.“
    Dann sollte – mit corrigirter Jahreszahl 1898 (statt 1897) – die auf Zeile 23 von unten citirte Langmesser-Stelle kommen: „Langmesser erzählt von einem Besuch im September 1898“ bis „warten“.

    Meyer starb am 28. November 1898. [Bd. 52, S. 795]