ADB:Varnhagen von Ense, Rahel
*): Rahel Antonie Friederike V. v. Ense, geborne Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert bekannt, wurde geboren zu Berlin am ersten Pfingstfeiertage, dem 26. Mai 1771. In Rahel – diesen alttestamentarischen Rufnamen und nicht ihren späteren Taufnamen Friederike hat V. zu ihrem litterarischen nom de guerre erhoben – in der Tochter des Kaufmanns Levin Markus treffen sich zwei für ihre Zeit charakteristische Entwicklungsbahnen deutscher Culturgeschichte; sie selbst vertritt als höchstausgebildeter Typus die [781] zeitgenössischen Phasen jener beiden Culturentwicklungen, die sich in den Schlagworten der geistigen Emancipation des Weibes und der gesellschaftlichen Emancipation des Judenthums zusammenfassen lassen. Noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts erläßt Preußen eine unduldsame Judenordnung. In wenigen Jahrzehnten gelingt es dem rastlosen Ringen eines klugen, reich gebildeten Mannes von reiner Würde und sittlichem Adel, aus den Juden der Zeit des großen Friedrich, aus geschröpften fleißigen Steuerzahlern, eine geistigen und geselligen Ansprüchen im besten Sinne genügende Gesellschaftsschicht zu bilden. Der unantastbare Charakter Moses Mendelssohn’s erklärt diese fast plötzliche Wandlung; an dem Freunde Lessing’s ranken sich die Glaubensgenossen empor, bis sie, die engen Fesseln der Confession lockernd oder gar abstreifend, wenigstens im geistigen Berlin als Gleiche mit Gleichen verkehren und durch überlegene geistige Beweglichkeit die gesellschaftliche Leitung der Litteratur in die Hand nehmen. Allen voran die Frauen! Mendelssohn’s Tochter Dorothea, Henriette Herz und andre ihnen gleichgesinnte schließen sich in eindringlichem Verständniß den Führem der damals jüngsten deutschen Geistesbewegung an, aus deren Lehren sie selbst wiederum die Berechtigung ihres nicht auf den engen Kreis häuslicher Tugend beschränkten Wirkens ableiten. Von der genialsten Frau des Jahrhunderts, von der Göttinger Professorentochter Karoline Michaelis, lernen die jüngeren Romantiker den Beruf des Weibes weiter zu fassen. Von ihren Worten befeuert, holt Friedrich Schlegel aus der Welt eines Perikles und Sokrates die Gestalten einer Aspasia und einer Diotima; die Blicke auf Karoline gerichtet, leiht der jugendliche Neuerer jenen schemenhaften antiken Erscheinungen frisches Leben und frisches Blut; und er kündet der Welt die neue Lehre, daß die Frau nicht bloß die treue, in der Erfüllung häuslicher Pflichten aufgehende Begleiterin des Mannes, daß sie vielmehr seine geistige Führerin sein, daß weiblicher Spürsinn ihm leitend voranschreiten solle, wo der Verstand des Mannes im Finstern tappt. Karoline selbst hatte in Göttingen, an der Seite der Töchter Schlözer’s und Heyne’s die Fesseln allzuengen Frauenberufes sprengen gelernt. Sie und Therese Forster wollen nicht mehr bloß, wie etwa Goethe’s Freundin, dem heißen Blute des Mannes Mäßigung tropfen, sie gehen anstachelnd, begeisternd, im guten und im schlechten Sinne, vor dem Manne einher. Therese lockt ihren Gatten J. G. Forster ins Verderben, Karoline hilft den Schlegel, Tieck und Novalis eine neue Spur deutscher Geistesentwicklung verfolgen. Wenn Schiller den Beruf des Weibes in der Ausbildung ihrer Weiblichkeit sucht, wenn er echter Weiblichkeit das Merkmal der Naivetät als bezeichnendstes zuschreibt, so wollen Karoline und Therese und Dorothea Schlegel dem Manne es gleichthun, als Ebenbürtige neben ihm, nicht unter ihm ringen und schaffen. Herrliche Verse Schiller’s parodirend spotten sie hämisch seines weiblichen Ideals und höhnen die Frau, die dem Manne wollige und warme Strümpfe strickt und zerrissene Pantalons flickt. Die Nachwelt würdigt trotzdem in Lotte Schiller das feinfühlig dem hochüberlegenen Gatten sich anschmiegende Weib, das doch über die Wirthschaftssorgen hinaus einen verständigen Blick in sein Schaffen thut; die Nachwelt schätzt indeß auch Karoline und ihre Genossinnen. Denn nur sie haben die deutsche Frau hoch genug gehoben, damit sie nicht neben den blendenden Erscheinungen einer Frau v. Staël, einer George Sand, einer George Elliot allzudürftig sich darstelle. Rahel ist unter diesen Begründern der Frauenemancipation ohne Zweifel eine der hervorragendsten; freilich hat sie mit ihren Genossinnen auch die weniger erfreuliche Gestalt des Blaustrumpfs auf dem Gewissen, der dann im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland sich einstellt. Lange Zeit hat man sie für diese Culturerscheinung allein verantwortlich gemacht, ihr allein den Ruhm jener geistigen Befreiung zugeschrieben. Durch [782] Zufall, insbesondere durch die Sorgfalt ihres Gatten Varnhagen, sind geistige Aeußerungen Rahel’s in die Welt hinausgegangen, lange ehe weitere Kreise von dem Wirken einer Karoline Schlegel, einer Dorothea Veit, einer Henriette Herz wußten. Karoline Schlegel besaß alle Talente, um als Schriftstellerin zu glänzen; sie begnügte sich indeß, im Stillen sich zu bethätigen. Erst die neuere Forschung hat auf Grund spät veröffentlichter Zeugnisse ihren Antheil an dem Wirken der Brüder Schlegel feststellen können, aus W. Schlegel’s Werken und aus seiner erfolgreichsten Arbeit, aus der Shakespeare-Uebertragung, die von Karoline herrührenden Theile reinlich herauszuschälen, wird vielleicht nie glücken. Rahel besaß nie die Karolinen im höchsten Grade eigene Gabe folgerichtiger schriftstellerischer Gedankenentwicklung. Heine zählt sie zu den Autoren, die, wenn sie gut schreiben sollen, sich immer in einem gewissen Geistesrausch befinden müssen; er nennt sie eine Bacchantin des Gedankens, die dem Gotte mit heiliger Trunkenheit nachtaumelt. Sie verstand nur, ihr Talent blitzartig erleuchtender, aber auch blitzartig im Zickzack hineilender Conversation in Briefform sich ausleben zu lassen. Und durch die Veröffentlichung dieser Briefe hat V. sie in den Kreis der deutschen Schriftsteller eingeführt. Während indeß Karoline nur den ästhetischen Bemühungen der älteren Romantik diente, wußte Rahel die ins Politische hinüberschielende Litteratur des jungen Deutschlands zu berathen und zu leiten; und die Bewunderung, die ihr das junge Deutschland zollte, ließ ihren Ruhm auch nach ihrem Ableben mächtig emporwachsen, bis sie endlich als „Thyrsusschwingerin des Zeitgedankens“ zu einer ganz einzigen, nie dagewesenen Gestalt von mythischer Größe wurde. Neben dieser, von Vielschreibern der Art eines Schmidt-Weißenfels künstlich genährten Begeisterung für Rahel mußte auch Bettina’s weit künstlerischeres, poetisch viel reicheres Naturell zurücktreten. Wie aber neuere Betrachtung aus größerer Ferne dem Wesen Bettina’s näher gekommen ist und ihm sympathischere, gewinnendere Züge abgelauscht hat, so schwand vor hellerem, klarerem Lichte auch die Weihrauchwolke, die man um Rahel’s Persönlichkeit gelegt hatte, bis endlich in Treitschke’s Darstellung alles Licht auf die warmblütige Rheinländerin Bettina fiel, und der Berlinerin Rahel nur ihr scharfer, alle Begriffe zerfasernder Verstand als karges Erbe blieb. Dennoch hat Rahel gerade vermöge ihres reichen, warm empfindenden Gemüths schwer und bitter gelitten; eine moderne, psychologischer Beobachtung geneigte Anschauungsweise wird das eine an ihr bewundern, daß sie mit tief eindringendem Verstande ihre reichen und mannichfachen Seelenstimmungen zu erschauen und mit schrankenloser Offenheit das Erschaute darzustellen wußte. Alle Construction eigenen Gefühlslebens liegt ihr fern. Sie läßt jedes Gefühl sich vollauf ausleben, mag es ihr auch den bittersten Wehschrei abringen, und sie verfolgt aufmerksamen Auges, mit feinster Beobachtung die Entwicklungsformen dieses Gefühls. Solchem emsigem Studium des eigenen Ich wird jeder Umstand wichtig, der an der Schöpfung der augenblicklichen Stimmung mitarbeitet. Und schließlich gewöhnt sich Rahel, als Stimmungsaccord an den Anfang ihrer Briefe eine knappe Charakteristik des Wetters, der Naturstimmung zu setzen. Ihre mimosenhafte Empfindlichkeit schwingt jedem Lufthauch nach. Ohne Zweifel führt diese emsige Selbstbeobachtung zur Selbstverzärtelung, zur Ueberspannung des Gefühls. Mag man indeß hundert Mal von den nervösen, fahrigen, jede Stimmung in ihrer absoluten Stillosigkeit widerspiegelnden Ausbrüchen Rahel’s unbefriedigt oder gar verstimmt sich abwenden, immer wird die nie ermüdende, nirgends aus Eitelkeit zurückhaltende und verschweigende Wiedergabe des augenblicklichen Gemüthszustandes von neuem anziehen und fesseln. Als leuchtendes Vorbild in der Wiedergabe solcher subjectiven états d’âme ist der Dichter des „Werther“ Rahel vorangeschritten. Wir begreifen Rahel’s Bewunderung [783] für den großen Psychologen. Freilich läßt Goethe sein klares, unbeirrbares Auge fast theilnahmlos auf den Dingen ruhen; Rahel’s rastlose Beweglichkeit wird neben Goethe’s Objectivität immer den subjectiver Gefühlsäußerung eigenen Charakter des Gemachten, des Gekünstelten, des Unnatürlichen gewinnen. Sie ist und bleibt eine Décadenceerscheinung.
VarnhagenDie Ausbildung und Entfaltung ihres reichen Seelenlebens hat Rahel schwere Stunden gekostet und schon die Kindheit war nicht immer rosig. Ihre Mutter, eine sanfte, fromme, muntere Frau, brachte nach vielen zu frühzeitigen Niederkünften in Rahel das erste lebende Kind zur Welt. Rahel war so schwach, daß man sie in Baumwolle hüllen und eine Zeit lang in einer Schachtel aufbewahren mußte. Drei Brüder, unter ihnen der Nordsternbündler Ludwig Robert, und eine Schwester wurden ihr noch zu theil. Früh galt Rahel als außerordentliches Kind; sie war der Liebling des geschäftskundigen, lebendigen, witzigen Vaters. Doch die Launen des unumschränkt gebietenden Mannes brachten ihr mehr Leid als Freude. Gelernt hat Rahel nicht viel. Unverständige Lehrer wußten ihr den Lernstoff nicht mundgerecht zu machen; sie selbst war von Anfang an viel zu selbständig, zu originell in ihrer Auffassung, um bloßes Gedächtnißmaterial in sich aufzuspeichern. Nur was in ihrem Gedankenleben sofort einen sicheren, vorbereiteten Platz fand, wurde ihr geistiges Eigenthum. Um so rascher entwickelte sich ihre gesellige Begabung. Bald citirte man ihre überraschenden, humoristischen und witzigen Aeußerungen, die immer lebendig gegeben waren und immer einen Anstrich von Originalität hatten. Nach dem Tode des Vaters konnte Rahel ihren Geist noch freier und ungebundener sich ausleben lassen. Bald spielte sie in den Salons der jüdischen Gesellschaft eine Rolle. Der glänzende Kreis geistiger Capacitäten, der sich um Henriette Herz und Dorothea Veit bewegte, begann sich auch bei ihr einzufinden. Neben Gentz, Friedrich Schlegel, neben den Brüdern Tieck, den Brüdern Humboldt stellte sich die Diplomatie und der Adel ein. Die Schranken ihrer Geburt – Rahel hat sie tief und schmerzlich empfunden – scheinen zu verschwinden. Schon fühlt sie sich dem Geistreichsten, dem Adligsten ebenbürtig. Doch grade in diesem Glauben sollte sie bald auf das heftigste erschüttert werden. Bezaubert von ihrem Geiste, beherrscht von ihrem weit stärkeren Temperament trägt ihr Graf Karl Finck v. Finckenstein seine Hand an. Ein bildschöner Cavalier, blond, schlankgewachsen, echter und unverfälschter Vertreter auserlesensten germanischen Adels gewinnt er das Herz Rahel’s, deren Schönheitssinn über die Grenzen ihres Stammes hinaus nach einem Idealbilde männlicher Schönheit ausblickte. Dieses Idealbild glaubte sie in Finckenstein zu finden und mit der ganzen Macht einer leidenschaftlichen Liebe kommt sie seiner Werbung entgegen. Bald überzeugte sie sich, daß der schwache Charakter des Geliebten dem Vorurtheile nicht gewachsen war, das ihrer Verbindung im Wege stand. Jahrelang zieht sich die Verlobung unter fortwährenden Krisen hin. Immer wieder glaubt sie an ihn, an seinen Muth; endlich wird ihr die schmerzliche Ueberzeugung, daß sie zwar ihn genug beherrsche, um ihren Willen ihm unterzuschieben und ihn zum Entschlusse zu bringen, daß er selbst jedoch nie die Kraft in sich finden werde, selbständig vorzugehen und seiner Familie, dem Vorurtheile zum Trotz sie zu erringen; sie indeß ist zu stolz, ihn die Macht ihrer Persönlichkeit fühlen zu lassen, und, obwol sie merkt, daß das Herz ihr bricht, läßt sie ihn frei. Eine schwere Krankheit befällt sie, von der sie nur langsam ersteht. Um zu vergessen, reist sie mit Gräfin Schlabrendorf nach Paris und genießt an der Seite Karolinens v. Humboldt, was Paris zur Zeit des Consulats an großen Eindrücken bieten konnte. In Paris gewinnt sie eine warme, innige Zuneigung zu dem jungen, hübschen Hamburger Georg Wilhelm Bokelmann; er liebt sie. [784] Unter dem Drucke des Erlebten, unfähig ihrer Leidenschaft so rasch eine neue Wendung zu geben, freute sie sich des freundschaftlichen Gesinnungsaustausches, der nach Bokelmann’s Abreise der Briefform sich bedienen mußte. Von Holland aus, über das sie nach Deutschland zurückkehrte, schreibt sie ihm nach Spanien. Im J. 1802 sah man sich in Berlin wieder; Rahel stand da neuerdings unter dem Eindrucke eines noch unentschiedenen Herzenserlebnisses. Bokelmann aber pries noch im J. 1837 V. gegenüber Rahel’s Angedenken. Nach ihrer Rückkehr trat sie mehr und mehr in den Vordergrund des geistreichen Berlin. Brinckmann, Burgsdorff, Gualtieri, Fürst von Ligne, Prinz Louis Ferdinand scharten sich um Rahel. Aus dem Kreis der neuerworbenen Freunde trat Einer hervor; von neuem entfachte sich in Rahel eine Leidenschaft, viel gewaltiger, viel tiefer aufwühlend als die Neigung zu Finckenstein. Nicht ein temperamentsloser blonder Norddeutscher, ein heißblütiger Spanier, schwarzäugig, interessant, lebhaft, mit schönen, lebendigen Zügen, tiefschwarzen strahlenden Augen, näherte sich ihr der spanische Legationessecretär Don Raphael d’Urquijo mit der Grazie und Ritterlichkeit eines echten spanischen Hidalgo und er nahm ihren Sinn, ihr Herz, ihr ganzes Wesen unwiderstehlich ein. Hellauf loderte in beiden die Gluth der Leidenschaft. Für die Briefe Rahel’s an Urquijo findet V. kein ebenbürtiges Gegenstück in der Weltlitteratur; er meint, in den Briefen der Frau v. Houdetot an Rousseau möge ein ähnliches Feuer gebrannt haben. Doch auch in diesem neuen Bunde war Rahel kein reines Glück beschieden. Dem Spanier war Eifersucht ein Glaubensartikel der Liebe. Er quält und martert Rahel, deren edler schlichter Sinn unter dem verdächtigenden Mißtrauen schwer und bitter leidet. Endlich erträgt sie’s länger nicht; im J. 1804 kommt es zu einem Bruch, den Rahel nie verwindet. Ihr Herz war für alle Zeiten stumpf und müde geworden. Freundschaft und treue Anhänglichkeit blieben noch übrig; einer großen, gewaltigen Leidenschaft war sie nicht mehr fähig. In seelischen Kämpfen wol erfahren tritt sie jetzt als treue Beratherin dem Prinzen Louis Ferdinand zur Seite und läßt sich von dem leichtlebigen und doch idealgesinnten Jüngling die Liebeswirren klagen, in die ihn sein Verhältniß zur Schauspielerin Pauline Wiesel gestürzt hatte. Der Prinz selbst nennt sie eine „moralische Hebamme“; sie accouchirte so sanft und schmerzenlos, meinte er, daß selbst von den peinlichsten Ideen ein sanftes Gefühl zurückblieb. Rahel scheint in seltenem Ausmaße verstanden zu haben, fremdes Leid und fremden Kummer aus ihren eigenen Erlebnissen heraus zu verstehen und zu lindern. Das mählich alternde Mädchen, das eine bloße Conventionsehe energisch abweist, wird zur confidente aller glücklich und unglücklich Liebenden ihres Kreises. Inzwischen geben die politischen Ereignisse ihrem Gedankenleben eine neue Wendung. Eben noch hatte sie mit Prinz Louis Ferdinand intimsten Gedankenaustausch gepflogen; kurze Zeit darauf fiel er, ein Held, bei Saalfeld. Mit seinem Falle stürzte die Monarchie Friedrich’s des Großen zusammen. Das nationale Unglück von Jena lehrt Rahel, daß sie, obwol Jüdin, doch eine Deutsche, eine echte Deutsche sei. Mit Begeisterung lauscht sie den gewaltig erweckenden, machtvoll anstachelnden Reden Fichte’s. Der Kreis ihrer Freunde war nach Jena zerstoben; jetzt nahen sich ihr junge begeisterte Männer, wie Alexander v. d. Marwitz, der auf einem Schlachtfelde des Befreiungskrieges den Tod fürs Vaterland erleiden sollte. Jetzt, im J. 1808, naht sich ihr auch Varnhagen. Man findet sich rasch. Oft und immer wieder haben sich Zeitgenossen und Nachlebende die Frage vorgelegt, wie „diese Frau nach dem Herzen des Höchsten“ an dem Manne der Welt, der Reclame, des Egoismus Interesse finden konnte. Und doch läßt sich manches zur Erklärung der seltsamen Verbindung anführen. Die Zeit der großen tragischen Leidenschaften war für Rahel vorüber; sie fand sich allmählich in die [785] Rolle der Beratherin, der selbstlosen Führerin. In V. tritt ihr ein formales Talent entgegen, besser gesagt ein Mann der Form, der für seine Form nach Inhalt suchte. Rahel wiederum fühlt einen ungeheuren Reichthum, nicht an Ideen, aber an Sensationen in sich: sie benöthigt ein Gefäß, um den Gehalt ihres Geistes hineinzuschütten. Konnten sich jemals zwei Naturen besser ergänzen, war je eine Individualität mehr auf die andere angewiesen? V. ohne Rahel wäre eine tönende Schelle geblieben, Rahel ohne V. hätte nie den Weg von geistreicher Causerie zu weiter wirkendem Schaffen gefunden. Was sie durchlebt, was sie erfahren, was sie, durch seelische Kämpfe geläutert, erschaut, das ringt nach Darstellung, das möchte gern entstehen. Keiner war besser geeignet, als V., diesen seelischen Gewinn in sich aufzunehmen, zu verwalten und zu verwerthen. Um den Jüngling nicht durch ihre geistige und seelische Superiorität zu erdrücken, läßt sie ihm sechs Jahre Zeit, an sich zu bilden und zu arbeiten. Wie eine Wetterfahne schwankt V. in der ersten Prüfungszeit hin und her. Er unternimmt alles Erdenkbare und „nebenbei will er auch Rahel heirathen“, wie sie ihm selbst zu Gemüthe führte. Heute studirt er Medicin, morgen denkt er ans Lehramt, endlich läuft er in den Krieg. Und in allen diesen Wandlungen sucht er die Neigung jedes weiblichen Wesens zu gewinnen und zu genießen. Doch allmählich verfestigt sich alles, Lebensrichtung und Beruf, und endlich der Wunsch dauernder Verbindung mit Rahel. Ihre patriotische Begeisterung, die sie selbst im Laufe der Befreiungskriege zur hülfebereiten Krankenpflegerin, zur Organisatorin des Dienstes der Verwundeten macht, sie führt den schwankenden, willensschwachen Jüngling auf das Feld der Ehre. Unaufhörlich von ihr gemahnt, brieflich und mündlich getrieben erringt er schließlich Stellung und Ruf und ist endlich so weit, daß Rahel ihn nicht mehr zu tief unter sich erblickt. Jetzt schaut sie zu ihm empor, zu ihm, den sie selbst gemacht hat. Die Frau. die den Mann völlig beherrscht, glaubt gerne, daß er der Leiter, der Führer, der Ueberlegene ist. Sie läßt ihm die Zügel, weil sie überzeugt sein kann, daß er sie nur in ihrem Sinne führt; Rahel gibt sie um so lieber aus der Hand, als sie weiß, daß V. sie nie die Schmerzen wird dulden lassen, die sie an Urquijo’s Seite getragen hatte. Dennoch bot ja auch V., der schöne, stattliche, ordengeschmückte Diplomat mit den Allüren eines Kriegsmannes, bot dieser Abkömmling eines alten, adligen Geschlechtes manches, was ihr an Finckenstein so anziehend gewesen war. Doch V. gegenüber konnte sie ohne Reue ihre machtvolle Persönlichkeit zur Geltung kommen lassen. Da wurde ihre überlegene Willensstärke gerne anerkannt. Das Moment, das sie von Finckenstein getrennt hatte, die Nothwendigkeit, ihren Willen dem Geliebten zu unterschieben, dieses Moment war ja von Anfang an die Grundlage ihrer Beziehung zu V. gewesen.
Die neue Verbindung trug bald reiche Früchte; die Goethekennerin und Goetheverehrerin Rahel wurde von V. zuerst zur Wirkung gebracht. Rahel darf mit Fug und Recht den Anspruch erheben, als eine der ersten von Goethe’s außergewöhnlicher Dichterpersönlichkeit eine klare Vorstellung gehabt zu haben. Als eine der ersten – nicht, wie V. und andere uns gerne glauben ließen, als erste. Denn auch auf diesem Felde läuft ihr Karoline die Priorität ab. Lange ehe in Berlin der Name Goethe gefeiert wurde, sprach ihn Karoline Böhmer in Göttingen mit weihevoller Betonung aus; von ihr lernten die Schlegel Goethe verstehen, in ihrem Kreise citirt man zum ersten Male den viel mißverstandenen, viel geschmähten „Faust“, so wie wir ihn heute citiren. Schon im J. 1790 nennt W. Schlegel das Faustfragment ein in Anlage und Behandlung einziges Stück von tiefem, umfassenden Sinn und beschämt Schillers und Körner’s gleichzeitige kurzsichtige Mißurtheile. Rahel ist indeß nicht nur später auf [786] Goethe’s Größe aufmerksam geworden, sie dankt ihre Goethebewunderung zum guten Theile dem aus Italien voll inniger Verehrung Goethe’s heimkehrenden K. Ph. Moritz. Schon im J. 1795 tritt sie in Teplitz an Goethe hin, freilich ohne in rasch vorübereilenden Unterredungen sich unbefangen und voll geben zu können. Trotzdem nannte Goethe sie später ein Mädchen von außerordentlichem Verstand, die immer denkt, und von Empfindungen. Schon Goethe also bewunderte die reizvolle Mischung von Gefühl und Denkkraft; er huldigt ihrer Originalität. Dennoch sucht weder er noch sie einen dauernden brieflichen Verkehr. Als dann die älteren Romantiker Berlin verlassen hatten, wurde Rahel zum Mittelpunkte des Berliner Goethecultus; gleich die ersten Briefe, die Rahel und V. im J. 1808 mit einander wechselten, kamen oft auf Goethe zu sprechen. 1811 hob Varnhagen aus den vom Juli bis December des Jahres sich hinziehenden Briefen die auf Goethe bezüglichen Stellen aus, versah Rahel’s Briefe mit der Chiffre G., die eigenen mit der Chiffre E. und sandte das Ganze an Goethe. Goethe ist von dem Gelesenen betroffen, charakterisirt den ihm unbekannten Verfasser als eine merkwürdig auffassende, vereinende, nachhelfende, soufflirende Natur, die mit einem Schlage begreift und läßt das Heftchen durch Cotta im „Morgenblatt“ (1812, Nr. 161, 162, 168, 169, 176) abdrucken. Im J. 1815 sah Rahel ihren Abgott wieder von Angesicht zu Angesicht. Goethe sucht sie auf, findet sie bei der Toilette; sie ist verlegen, beinah stumm, er kühl, gönnerhaft. Jeder andre hätte einen, wenn auch leisen Groll aus der Unterredung davongetragen. Rahel freut sich bei aller Beschämung wie ein Kind und fühlt sich unter Brüdern um zehntausend Thaler mehr werth. Goethe steht im Mittelpunkt der „Bruchstücke aus Briefen und Denkblättern“, die V. nach Briefen Rahel’s aus der Zeit von 1793 bis 1816 im „Schweizerischen Museum“ (Aarau 1816. S. 212–242; 331–375) abdruckt. In den späteren Goetheschriften Varnhagen’s spielt sie natürlich immer eine große Rolle; als er für den „Gesellschafter“ im J. 1821 (N. 131–138) Briefe und Gespräche „Ueber Wilhelm Meister’s Wanderjahre“ zusammenstellt, erscheinen Rahel’s Beiträge unter ihrem Taufnamen Friederike. Endlich finden sich Bruchstücke über Goethe in Varnhagen’s Buche „Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden“ (S. 207–222). Zu diesen Veröffentlichungen treten noch zahllose Stellen ihrer Briefe hinzu, die durch Varnhagen’s Sorgfalt der Nachwelt erhalten blieben. Rahel selbst hatte im J. 1808 geschrieben: „Durch all mein Leben begleitete der Dichter mich unfehlbar, und kräftig und gesund brachte der mir zusammen, was ich, Unglück und Glück zersplitterten, und ich nicht sichtlich zusammenzuhalten vermochte. Mit seinem Reichthum machte ich Compagnie, er war ewig mein einziger, gewissester Freund, mein Bürge, daß ich mich nicht unter weichenden Gespenstern ängstige; mein superiorer Meister, mein rührendster Freund, von dem ich wußte, welche Höllen er kannte! – kurz, mit ihm bin ich verwachsen und nach tausend Trennungen fand ich ihn immer wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter bin, werde es nie aussprechen, was er mir war!“ Die letzte Befürchtung hat V. zu Schanden gemacht. Rahel predigte ihren Goethe nicht so sehr der Romantik, im besten Falle der jüngeren, als vielmehr dem jungen Deutschland. Heine, Gutzkow, Laube haben von ihr Goethe bewundern gelernt, Heine ist nicht zum mindesten durch sie von widerwilliger Anerkennung Goethe’s zu hellem Preis übergegangen, Rahel war als Vermittlerin zwischen Goethe und der Zeit gewiß auch glücklicher als Bettina. Das „Kind“ zeichnete von romantischem Standpunkte aus einen aristokratischen Goethe; sie spielte den jungen Goethe gegen den alten aus; an ihren eigenwillig, mit der Einseitigkeit einer Künstlerin zurecht gemachten Goethe konnte man die Frage richten: „Hast Du die Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast Du die Thränen gestillet Je des [787] Geängsteten?“ Aus ihrem Goethebuche holte sich Börne den Stoff zu seinen erbittertsten Angriffen. Rahel liebte nicht nur den jungen, sie interpretirte insbesondere gern den alten Goethe. Sie holte aus Goethe’s Leben heraus, was der Zeit am gemäßesten war; und ihre Zeit ward von ihr gewiß verstanden. Sonst hätte sie dem jungen Deutschland nicht nahe stehen können. Die jungen Deutschen versichern immer wieder, von keiner Frau so viel Anregung empfangen zu haben, von keiner so verstanden worden zu sein, wie von Rahel. Theodor Mundt nennt sie einen „mitempfindenden Nerv ihrer Zeit“. Heine nimmt den Mund etwas voll und erblickt in ihr die geistreichste Frau des Universums. Gutzkow und Laube und alle anderen schauen zu Varnhagen’s Rahelbuch mit gleicher Begeisterung empor und können nicht genug des Lobes ihm spenden. Der Protest gegen die Zeit, den alle Jungdeutschen vertreten, fand in ihr den vollsten Widerhall. In diesem Protest findet sie sich sogar mit dem Goethehasser Börne. Auch sie tritt der Reaction auf Schritt und Tritt entgegen; und daß ihr Freiheit verlangendes Wort nicht ungehött verhallte, ist sicher. Gentz, der glänzendste und beredteste schriftstellerische Vertreter der Reaction, ist am Ende von vierzig arbeitsvollen Jahren entmuthigt, erblickt nirgends ein befriedigendes Resultat des von ihm vertretenen Princips. Seine Klagen wenden sich an Rahel, an die Freundin und Beratherin seiner Jugend. Am 7. Februar 1831 sucht sie ihm Rath und Trost zu gewähren; und schon am 27. und 28. September schreibt er in die Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ einen Artikel „Von der Donau“, der von Rahel’s Ideen durchzogen ist. Mit meisterhafter Geschicklichkeit dem Scheine der Inconsequenz ausweichend, bietet er dem constitutionell gesinnten Zeitgeist die Friedenshand. Heine hat in Rahel’s Salon sich die politischen Anschauungen gebildet, die er in seiner Jugend vertrat; Heine lernt insbesondere von Rahel, sich für den sinnenfreudigen Sensualismus begeistern, den er gegen Börne für Goethe und zuletzt für sich selbst ausspielte. Heine, der sich ein Halsband wünschte mit der Umschrift: „J’appartiens à Madame Varnhagen“, derselbe Heine hat ja auch als Dichter von Rahel viel gelernt; sie hat mildernd und sittigend auf ihn gewirkt. Doch in jenem Dogma des Sensualismus bot sie nicht nur ihm, bot sie auch dem Verfasser der „Wally“, bot sie Laube und Mundt einen Schlachtruf, den Alle gern auf ihre Fahnen schrieben, der ihnen die gleichzeitigen französischen Geistesbewegungen der Pariser Romantik und des Saint Simonismus begreiflich machte. Mit gleicher Begeisterung nahm man ihren Protest gegen Ehen auf, die keine Ehen sind. „Ist intimes Zusammenleben, ohne Zauber und Entzücken, nicht unanständiger, als Extase irgend einer Art?“ fragt Rahel, und sie ruft: „Weg mit der Mauer! Weg mit dem Schutt!“ Das war Wasser auf die Mühle der von Saint Simonistischen Ideen getragenen Dichtung Heine’s und Gutzkow’s. Sehen wir näher zu, so sind sämmtliche Programmpunkte ethischer Art, die Rahel mit den Jungdeutschen gemein hat, echt romantisches Erbstück. In ihrer unmittelbaren Nähe war Fr. Schlegel’s „Lucinde“ entstanden, sie hatte Schleiermacher’s revolutionären „Katechismus für edle Frauen“ aus dem romantischen Leben der letzten Jahre des 18. Jahrhunderts erwachsen sehen. „O gesegnet, tausendmal gesegnet, liebe Sinne“, ruft sie, in echt romantischer Mißachtung aller erblindeten Convention aus. Durch ihre Vermittlung also lebte die Romantik im jungen Deutschland weiter, und in diesem Sinne ist der Salon der Frau v. V. ebenso der Erbe des romantischen Salons einer Dorothea Veit und Henriette Herz, wie es schon der Salon Rahel Levin’s zu Anfang des Jahrhunderts gewesen. Die enge Verwandtschaft von Rahel’s Gedankenkreis mit den Ideen der Romantik tritt klarer und klarer heraus, je näher man zusieht. Im J. 1836 stellt V. in August Lewald’s „Allgemeiner Theater-Revue“ (2, 45–79) „Rahel’s Theater-Urtheile“ [788] zusammen. Schon ihr Protest gegen den Schauspieler Iffland rückt sie in unmittelbare Nähe des Verfassers vom „Gestiefelten Kater“, dann Friedrich und Wilhelm Schlegel’s. Ihre leidenschaftliche Bewunderung ist vor allem dem erhabenen Genius Fleck’s, Talma’s, der Schröder, der lebensreichen schöpferischen Natürlichkeit der Unzelmann, der Mars gewidmet; auch hier decken sich ihre Sympathien mit denen der Romantik. Tagesberühmtheiten anzuerkennen, war Rahel wenig geneigt; sie schwärmt für Gentz’ Freundin Fanny Elßler, nicht für die Taglioni; auch die Sontag kann ihr nur mäßige Bewunderung abringen. Mit hoher Achtung blickt sie nach dem Weimarischen Theater und kann trotzdem Goethe’s Schüler und Günstling P. A. Wolff abfällig charakterisiren. Doch nicht nur in Fragen der Kunst oder der socialen Ethik berührt sie sich mit den Romantikern. Im Alter sind ihre Lieblingsschriftsteller, zu denen sie immer wieder zurückkehrt, der von Fr. Schlegel zu neuem Leben erweckte Angelus Silesius und Saint-Martin. Rahel wird immer religiöser, und V. kann einen Aufsatz über ihre Religiosität schreiben. Vielleicht bedingt diese zunehmende Freude an religiöser Erbauung, daß man endlich ihre eigne Briefsammlung wie ein Erbauungsbuch las. Sicherlich nahm man die von V. veranstaltete Ausgabe einer Rahel’schen Auslese aus Angelus Silesius und Saint-Martin gern hin; denn sie erlebte rasch drei Auflagen (vgl. Goethe-Jahrbuch 14,130). Freilich enge confessionelle Schranken zog sich Rahel nicht. Einst hatte sie als Unglück empfunden, eine Jüdin zu sein. Jetzt wird sie „grenzenlos traurig“, wenn der Pöbel die Juden plündert; sie erkennt den gefährlichen Einfluß der von ihr sonst vertretenen Romantik. In solchen Momenten kehrt sie mit ihren Erinnerungen ins Vaterhaus zurück; sie schwört beim Jochid (dem Einig-Einzigen) und läßt sich aus den Siddur ihrer Mutter das Gemüthsleben einer längst vergangenen, auch von ihr halbvergessenen Zeit erstehen. Noch in ihrer Sterbestunde bekannte sie: „Was so lange Zeit mir die größte Schmach, das herbste Leid und Unglück war, eine Jüdin zu sein, um keinen Preis möchte ich das jetzt missen.“
Rahel war seit ihrer Verbindung mit V. ihm auf allen seinen Wegen gefolgt. Auch nach ihrer Rückkehr nach Berlin vom Jahre 1819 liebt sie es, wie in früheren Zeiten, zu reisen. Nach Teplitz, nach Dresden, nach Baden geht sie, um dem kränkelnden Körper Erholung zu schaffen. Als im J. 1831 in Berlin die Cholera ausbrach, konnte Rahel, obgleich von körperlichen Leiden hart bedrängt, ihres frühgeübten Dranges nach Samariterdiensten sich nicht entschlagen. Langsam und allmählich schwand dann ihre eigne Kraft dahin. Am 7. März 1833 ist sie gestorben. Am Abend vor ihrem Verscheiden freute sie sich noch des Besuches von Bettina v. Arnim; sie begrüßte Bettina als einen „minister of heaven“. In inniger Freundschaft schieden die beiden Frauen, die noch oft in einem Athem genannt und immer wieder gegen einander ausgespielt werden sollten.
Auch an dieser Stelle sei von der ersten Auflage des Goedeke’schen Grundrisses (3, 79 f.) auf die zweite vertröstet. Die von Ludmilla Assing herausgegebenen Theile des Varnhagen’schen Briefnachlasses bieten fast durchaus auch Briefe Rahel’s. Ihr allein gewidmet ist das klatschhafte Buch Ludmilla’s „Aus Rahel’s Herzensleben“ (Leipzig 1877). Rahel’s erster Biograph ist Wilhelm Neumann gewesen (Neuer Nekrolog. Jg. 11, 1833, 1, 155–166 = Conversationslexikon der neuesten Zeit. Leipzig 1834, 4, 728–731; erweitert in W. Neumann’s „Schriften“ 1, 428–442). Völlig werthlos ist der bombastische Phrasenschwall von Eduard Schmidt-Weißenfels „Rahel und ihre Zeit“ (Leipzig 1857).– Wissenschaftliche Untersuchungen über Rahel und über einzelne Richtungen ihres Geistes fehlen bisher. Nicht einmal in der Form äußerlicher Zusammenstellung hat man ihr Verhältniß zu Goethe klarzustellen versucht. [789] Ihre innern und äußern Beziehungen zur Romantik harren noch der Begründung. Ihr Verhältniß zum jungen Deutschland kam bisher noch am ehesten zur Darlegung; erst durch die Jungdeutschen selbst, dann neuerdings bei Brandes („Die Litteratur des neunzehnten Jahrhunderts in ihren Hauptströmungen dargestellt“ 6, 311–326) und bei Joh. Proelß („Das junge Deutschland.“ Stuttgart 1892. S. 454–460. 471–491). Brandes und Proelß äußern sich über Rahel noch immer in demselben panegyrischen Tone, den auch Karl Hillebrand (Revue des deux mondes 1. Mai 1870 87, 67 bis 113; „Zeiten, Völker und Menschen“ 2, 420–463) anschlug, wenn er in Rahel das unzünftige Schriftstellerthum Deutschlands feierte. Ueberscharf urtheilt hingegen Treitschke („Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert,“ 1889, 4, 418. 427). Zwischen beiden Extremen sucht die obige Skizze die goldene Mittelstraße zu finden.
[780] *) Zu S. 499.