ADB:Veit, Moritz
Gans an, der auch zu den Besuchern seines väterlichen Hauses gehörte, wurde aber hauptsächlich wie die meisten seiner Altersgenossen durch Hegel beeinflußt. Unter seinen Papieren fand sich ein Aufruf an die Studirenden, Hegel’s Uebergabe des Rectorats durch ein sinniges Geschenk zu ehren, mit Namen der beitragenden Studenten und der von ihnen gezeichneten Summen; er betheiligte sich bei der Feier von Hegel’s hundertstem Geburtstag am 27. August 1849, an der nur 16 Personen theilnahmen und schloß sich später der von Hegelianern begründeten Philosophischen Gesellschaft an.
Veit: Moritz V., von jüdischer Herkunft, Schriftsteller, Buchhändler, Stadtverordneter, Politiker. Er wurde am 12. September 1808 in Berlin geboren und gehörte dieser Stadt bis zu seinem frühen Tode an. Er entstammte einer durch Bildung, Ansehn und Wohlstand ausgezeichneten Familie und hatte das Glück, sich seiner Eltern lange zu erfreuen; sein Vater, Philipp V., starb achtzigjährig 1838, seine Mutter, Karoline geb. Veit, in den Siebzigern 1857. Seinen Eltern war er in innigster Pietät ergeben. An seinen Geschwistern, einem Bruder und zwei Schwestern, deren eine frühe starb, sowie den Nachkommen dieser Schwester hing er mit rührender Liebe. Er erfreute sich einer ungetrübten Kindheit und Jugend. Den ersten Unterricht erhielt er in der Marggraff’schen Privatschule, dann wurde er im Joachimsthal’schen Gymnasium unterrichtet, das er mit einem glänzenden Abgangszeugniß am 3. October 1825 verließ. Seinen Entschluß, Medicin zu studiren, den das Zeugniß angibt, muß er bald aufgegeben haben; an der Universität Berlin, der er vom 14. October 1825 bis zum Ende des Wintersemesters 1832/33 angehörte, ohne freilich seit 1829 Vorlesungen zu besuchen, hörte er philologische, geographische, hauptsächlich geschichtliche und philosophische Collegien. Er schloß sich anZum Ergreifen eines bestimmten Lebensberufs wurde er nicht gedrängt. So verlebte er nach Ablauf eines akademischen Quadrienniums eine glückliche, arbeitsreiche, nicht durch die Sorgen für eine bestimmte Erwerbsthätigkeit beschwerte Zeit. Schon in den Vorlesungen Hegel’s mag er die beiden gleichaltrigen jungen Männer kennen gelernt haben, mit denen ihn ein Lebensbund vereinigte: K. Werder (s. d.), den Dichter und Philosophen, Mich. Sachs (siehe A. D. B. XXX, 131), den Prediger und jüdischen Gelehrten. Die fast vierzigjährige Freundschaft mit beiden, die gleich ihm, dauernd in Berlin lebten – [536] nur Sachs weilte 10 Jahre fern von der preußischen Hauptstadt – blieb ungetrübt, ja sie wuchs, gefördert durch gleiches Streben und manche gemeinsame Schicksale zu einer unter Männern ungewöhnlichen Innigkeit. Sachs starb wenige Wochen vor dem Freunde, Werder, der ihn fast dreißig Jahre überlebte, blieb ein engverbundener Freund seiner Gattin. Werder’s Lebenswerk und Schmerzenskind, sein Drama ‚Columbus‘ erschien im Veit’schen Verlage (1858); die Vorlesungen und Aufführungen des Dramas wurden von V. besucht; Bedeutung und Schönheit des Werkes in Briefen (an Haym) und Artikeln (Berl. Volkszeitung Mai 1858) vertheidigt und enthusiastisch gepriesen. An Werder’s Vorlesungen classischer Werke besonders Shakespeare’s erfreute sich V. sein ganzes Leben hindurch. Mit Sachs vereinigte sich V. zu einer poetischen Uebertragung („Stimmen vom Euphrat und Jordan“, 1853, 2. Aufl. 1868); nahm seine Bearbeitung eines großen Theils der Bibel und der jüdischen Gebete, sein großes Werk über die religiöse Poesie der Juden in seinen Verlag und verfolgte das wissenschaftliche und praktische Wirken des Freundes mit dem lebhaftesten, durch die Jahrzehnte nicht geminderten Interesse.
Die schönen Jahre ungehinderter Freiheit benutzte er zu gelegentlichen Reisen nach Dresden, Heidelberg, mehrfach nach Weimar, wo er besonders in dem Hause des Hofbankiers Julius Elkan, dessen Frau Jeannette geb. Borchard aus Berlin ihm verwandt war, viele geistig und gemüthlich angeregte Stunden verbrachte. Dort lernte er Eckermann, Eberwein, Hummel kennen, von dort aus wurde er mit Goethe in Beziehung gebracht. Er fühlte sich in diesem Hause besonders wohl, trat dem Chef des Hauses, einem hochgebildeten Manne, der Hausfrau, einer Frau von anmuthiger und feiner Geistesbildung und deren Schwester „Tante Oppenheim“, einer geistvollen, witzigen, poetisch begabten Dame nahe und fühlte schon früh eine zärtliche Neigung zu der Tochter Johanna. Den größten Theil der Zeit verlebte er aber in Berlin. Dort entwickelte sich in dem gastfreien Hause des Vaters ein reges geselliges Leben. Berühmt wurden die Donnerstag-Abende, an denen sich, wie erwähnt, Gans und, während seiner Berliner Zeit, H. Heine betheiligten. Meist waren es junge Leute, Veit’s Altersgenossen, die sich mit der Abfassung einer handschriftlich cursirenden „Narrenzeitung“ erlustigten, theilweise aber auch Schriftsteller der älteren Generation. Es war kein Zufall, sondern lag an der ehemaligen Abgeschlossenheit der jüdischen Kreise, daß die Theilnehmer an diesen Zusammenkünften meist Juden oder getaufte Juden waren. Eine Erwähnung verdienen Jos. Lehmann, Veit’s Schwager, ein vielseitig thätiger Mann, Begründer und Jahrzehnte lang Leiter des „Magazins für die Literatur des Auslands“, M. Moser, der bekannte Freund Heine’s, Kaufmann, dabei gründlicher Philosoph und ein Idealmensch, nach übereinstimmender Meinung aller seiner Freunde, und der bekannte Dichter D. Leßmann (s. A. D. B. XVIII, 453). Den Tod der beiden letzteren hatte V. zu beklagen. Moser starb 1838; ihm widmete V. einen stimmungsvollen Nachruf (Bl. f. lit. Unterh. 1838); Leßmann’s freiwilliger Tod (1831), an den V. nicht glauben wollte, gab ihm Veranlassung zu einer eine vortreffliche Charakteristik des Verstorbenen enthaltenden Denkschrift, durch die er die Verfolgung der vermeintlichen Mörder anzuregen wünschte (mitgetheilt in der Voss. Ztg. vom 23. Jan 1895). Kurz nach Leßmann schied ein andrer freilich einer frühern Generation angehörender Freund Laz. Bendavid (s. A. D. B. II, 318); auch diesen feierte V. durch einen Nachruf (Bl. f. lit. Unterh. 1832); er erbarmte sich seines sehr verwahrlosten Nachlasses und rettete Einzelnes daraus (vgl. Mittheilungen in der Voss. Ztg., 10. u. 11. April 1895).
Trotz solcher gelegentlicher schmerzlicher Erinnerung an die Vergangenheit freute sich V. seines Lebens und seiner Jugend. Für einen jungen vermögenden [537] Mann, der nicht alsbald nöthig hatte, einen bestimmten lohnender Beruf zu ergreifen, ergab sich die Schriftstellerei von selbst. Als Kritiker ästhetischer, historischer, philosophischer Schriften, als Verfasser verschiedenartiger Skizzen, als Journalist in Vertheidigung seiner Glaubensgenossen gegen bedrückende Gesetzesvorschriften oder gegen litterarische Beschimpfungen trat er in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften auf. Außer für die Blätter f. lit. Unterhaltung war er regelmäßiger Mitarbeiter des Berliner Conversationsblattes, des Gesellschafters (gleichfalls Berlin), der von Hell-Winkler hsg. Dresdener Abendblätter, des „Eremit“, hsg. von F. Gleich (Leipzig). Gelegentlich schrieb er in die Allg. Pr. Staatszeitung (24. Oct. 1835 Nekrolog von L. v. Voß), in den Corresp. von und für Deutschland, die Augsburger und Leipziger Allg. Zeitung.
Beweisen diese Artikel vielseitiges Interesse und journalistische Gewandtheit, so waren sie doch mehr Zeitvertreib als Lebensarbeit. Wahrhaft warme Begeisterung empfand er für die Dichtung und gab sich vielleicht kurze Zeit dem Wahne hin, als Dichter eine große Wirksamkeit zu entfalten. Jedenfalls verband er sich mit Werder und H. Stieglitz, dessen Gattin Charlotte ihm zeitlebens (sie tödtete sich schon 1835) eine liebe Freundin blieb, während der Dichter selbst nach anfänglicher Intimität ihm bald entfremdet wurde, zur Herausgabe des „Berliner Musenalmanachs (1830) und gab den 2. Jahrgang (1831) ganz allein heraus. Er trug die Kosten des erfolglosen Unternehmens, hatte aber die Freude Goethe unter seinen Mitarbeitern zu haben und mit einer Schar älterer und jüngerer Dichter in Verbindung zu kommen. Zwar Heine, ergrimmt über Veit’s Besprechung seiner „Reisebilder“, betheiligte sich nicht, wol aber G. Schwab, Chamisso, Achim v. Arnim, Fouqué, von Jüngeren außer den Mitherausgebern des ersten Bandes, die als Mitarbeiter auch dem zweiten treu blieben: Simrock, Apollonius v. Maltitz und andere weniger bekannte. Als Hauptbeitragendet dieser Almanache, die sich in Ausstattung und Inhalt wol neben ihresgleichen sehen lassen dürfen, trat V. selbst auf. Er war ein nicht unglücklicher, wenn auch in der Form ungelenker Poet. Er erinnert stark an Heine, ohne dessen Frivolität zu besitzen. Vielmehr war er ein durchaus ernst gesinnter Mann, der daher Epigramm, Spruch und Lehrgedicht bevorzugte. Daneben pries er wol Natur, Freundschaft und Liebe, aber nicht den flüchtigen Sinnesrausch, sondern als Jüngling die Sehnsucht, als älterer Mann die tiefe Beseligung durch echte Liebe. Er wandte den Blick gern nach fremden Ländern und entlehnte seine Balladenstoffe vorzugsweise dem Orient. Seine ausführlichsten Gedichte – Elias und Simson – lehnen sich an biblische Erzählungen an. Er bemühte sich den poetischen Gehalt der midraschischen und talmudischen Litteratur darzulegen. Duldung zu predigen, Glaubensfreiheit zu verkünden erachtete er als Aufgabe der oder doch wenigstens seiner Dichtung.
Außer den beiden Almanachen ist eine größere Anzahl Veit’scher Gedichte selbständig erschienen unter dem Titel: „Polenlieder“ (Hamburg 1833, Brockhaus hatte den Verlag abgelehnt); „Gedichte“ (1836 o. O., Abdruck aus den „Dioskuren“), ferner Beiträge (1853) in dem schon erwähnten Sachs’schen Sammelwerk, 1870 in dem am Schluß zu nennenden Neudruck der Wehrenpfennig’schen Biographie. Die letzterwähnten sind nicht ausschließlich gedruckten Quellen entnommen. Zu allen Zeiten, auf der Reise, in den spärlich zugemessenen Stunden der Muße dichtete V. Sprüche, Begleitworte zu Werken, die er Freunden und Freundinnen als Geschenk überreichte. Gelegenheitsgedichte, ernste und heitre, bei Familienfesten, bei allgemeinen, selbst politischen festlichen Veranstaltungen haben sich massenhaft erhalten, manche nur flüchtig mit Bleistift hingeworfen, andere sorgfältig gefeilt, keines wol zur Herausgabe bestimmt.
[538] Durchzog die Thätigkeit des Lyrikers das ganze Leben, so waren dramatische Bestrebungen auf die Jugendzeit beschränkt. Außer manchem Fragmentarischen hat sich namentlich ein fünfactiges Trauerspiel „Die Zerstörung von Corinth“ in mehreren sauberen Abschriften erhalten. V. legte ursprünglich großen Werth darauf, die Freunde erkundigten sich noch in späteren Jahren nach seinem Schicksal; Jos. Lehmann feierte es in einem langen Gedicht, es wurde den Theatern in Berlin, Leipzig und Hamburg angeboten, überall ohne Erfolg. Vielleicht war diese Zurückweisung für den Verfasser ein Glück, denn sie hinderte ihn auf einem Wege auszuharren, der nicht der seinige war. Er selbst erkannte bald, daß er keine Begabung zum Dramatiker besaß. Das Drama ist eine der vielen Jamben-Tragödien, wie sie jungen, versgewandten, mit dem Geiste des Alterthums genährten Männern leicht gelingen. Bei seiner Schilderung der belagernden Römer und der belagerten Corinther steht er sichtlich auf Seite der letzteren; der Freiheitsenthusiasmus der dem Untergang Geweihten dünkt ihn größer als die Tapferkeit der Begründer einer neuen Weltmacht; das ersterbende Griechenthum erscheint ihm als bedeutendere Culturmacht, denn das Römerthum; unter den Römern ist ihm daher der griechenfreundliche Metellus lieber als der starre Römer Mummius; als schwankende Halbfigur wirkt der bei den Römern weilende Polybius unerfreulich. Es ist eine Männertragödie, in der Arete, die Gattin des Feldherrn des achäischen Bundes als einzige Frau erscheint. Wie bei ihrer Schilderung Homerische und Schiller’sche Reminiscenzen eingewirkt haben, so zeigt das Ganze gar zu sehr den Schiller’schen Einfluß; die Volksscenen bieten ein schwaches Abbild aus Goethe’s „Egmont“ und Shakespeare’s „Julius Cäsar“. Die beginnenden liberalen Anschauungen der damaligen Jugend wagen sich schüchtern hervor. Eine freie poetische Gestaltung wird ebensowenig versucht, wie eine selbständige Charakteristik der einzelnen Personen. Declamatorisches drängt sich unliebsam hervor, daher muß das Drama trotz einzelner schönen Stellen und packenden Situationen im ganzen als verfehlt bezeichnet werden.
Als V. dem Ende seines ersten Vierteljahrhunderts sich näherte, erkannte er wol selbst, daß er nicht zum Dichter berufen sei. Vielleicht sah er auch ein, daß ihm die Vorliebe für eine bestimmte Richtung wissenschaftlicher Thätigkeit abging, um sich dieser ganz zu widmen, sicher ist, daß sein Bekenntniß, die Aussichtslosigkeit der akademischen Carrière für einen Juden, ihn dieser entzog. In einem Briefe vom 14. October 1832 schrieb er: „Ich glaube jetzt diejenige wissenschaftliche Manier ergriffen oder vielmehr fürs erste klar ins Auge gefaßt zu haben, die mir recht eigentlich zusagt. In der Philosophie konnte ich nichts leisten, nicht einmal etwas Secundäres, die Geschichtsschreibung konnte ich, wenn ich sie versucht, immer nicht von der Poesie trennen, ich konnte die Grenzmarken beider nicht scharf genug ziehen. Aber die philosophische Auffassung der Geschichte, eine Verklärung und Vergeistigung der Begebenheit, das ist ein Feld, worin sich noch viel thun läßt und wohin ich mich sehr hingezogen fühle. Ich hätte somit für die verschiedenartigen Bestrebungen, die mich bis jetzt beschäftigt haben, einen Mittelpunkt gefunden und ihre Verschiedenheit wäre nur scheinbar gewesen“. Aber gerade diese Stelle zeigt wol am besten, daß er bei aller Liebe zu wissenschaftlicher Arbeit nicht für eine akademische Disciplin sich berufen oder geeignet fühlte.
Jedenfalls wollte er die lange Studienzeit durch einen äußerlichen Abschluß beenden, erwarb daher am 3. Juni 1833 in Jena, wo er Marmier kennen lernte, die philosophische Doctorwürde. Die Arbeit, die er zu diesem Zweck einreichte, ließ er später (Leipzig 1834) im Druck erscheinen unter dem Titel: „Saint-Simon und der Saint-Simonismus. Allgemeiner Völkerbund und ewiger Friede.“ (Ein Capitel daraus „Weltbürgerthum und ewiger Friede“ wurde 1870 [539] nochmals gedruckt.) Da es das einzige größere Werk Veit’s geblieben ist (331 S.), so verdient es eingehendere Betrachtung. Es ist eine fleißige, gewissenhafte Arbeit, die das Leben St. Simon’s, seine Lehre, und die durch diese Lehre angeregte Idee vom allgemeinen Völkerbund und ewigen Frieden behandelt. Die Darstellung der eigentlichen Lehre macht den Haupttheil des Buches aus; charakteristisch für den damaligen Zustand der Kenntniß war, daß St. Simon’s Werke, obwol erst wenige Jahre seit dem Tode des Mannes verflossen waren, dem Bearbeiter im Original nur theilweise vorlagen, Einzelnes nur aus deutschen Auszügen bekannt war. Die Beurtheilung ist ruhig und objectiv, sie sucht namentlich zwischen der ursprünglichen Lehre des Sectenstifters und den Uebertreibungen seiner Anhänger mit Geschick zu vermitteln.
Franz Horn, der bekannte Kritiker urtheilte in einem Brief an V. (27. Januar 1834) folgendermaßen: „Ich habe dem Werk bereits zwei Abende gewidmet und darf Ihnen mit Vergnügen Glück wünschen zur Vollendung einer solchen Schrift, die sich durch Kenntniß und Fleiß, Scharfsinn und Deutlichkeit so wie durch Kraft und Feuer der Darstellung auszeichnet. Das wirrwarrige Hin- und Hergerede in manchen Zeitblättern über einen so schwerwiegenden Gegenstand war mir zuletzt so fatal geworden, daß ich aufhörte davon Notiz zu nehmen; überzeugt daß hier nur das Quellenstudium selbst oder ein Werk wie das Ihrige zu genauer Ansicht verhelfen könne. Sie haben ohne Vorliebe und Vorhaß(!) sämmtliche Aktenstücke durchforscht, genau und wiederholt geprüft und dann ein durchgreifendes Urtheil gefällt. Ihr Buch regt vielseitig an und, während man den ruhigen Denker ehrend anerkennt, erfreut man sich nicht minder des für Wahrheit, Sittlichkeit und Schönheit begeisterten Jünglings.“ Aehnlich rühmte C. H. Weiße in den „Jahrbüchern f. wissenschaftl. Kritik“ (Juni 1834, Stück 120) das gründliche Wissen, so wie die Universalität und geistvolle Gediegenheit des von dem Verf. eingenommenen Standpunkts.
Von Jena aus begab sich V. zu längerm Aufenthalt nach Weimar. Dort wurde das lange vorbereitete Herzensbündniß mit Johanna Elkan geschlossen, zuerst in geheimem Verspruch, dem nach Einwilligung der Eltern die officielle Verlobung folgte. Johanna Elkan, ein geistvolles, künstlerisch beanlagtes Mädchen hatte Goethe noch gesehen und gesprochen, war mit den Kindern Schiller’s eng befreundet und mit Weimarischem Geiste so vertraut, daß sie diese Traditionen ihr Leben lang wahrte. Die Ehe wurde am 10. Juni 1834 in Weimar geschlossen.
In seiner Ehe, trotzdem sie nicht mit Kindern gesegnet war, fand V. volles Glück. Seine Gattin wußte durch Bildung und Tact, Liebenswürdigkeit und Humor sich in der Berliner Gesellschaft eine hervorragende Stellung zu erwerben, die sie noch Jahrzehnte nach dem Tode des Gatten (sie starb 1891) bis in ihr hohes Greisenalter bewahrte. Von dem Vollgefühl dieses Glückes sprechen zahlreiche Verse und Briefe, in denen auch zärtliche Ausdrücke und Liebkosungsworte nicht fehlen, die Ausdrücke weihevollen Ernstes aber häufiger sind. Als V. (1854/55) den Beginn des neuen Jahres nicht mit seiner Gattin feiern konnte, schrieb er: „Und nun zum Schluß wünsche ich Dir tausendmal Glück und Segen zum neuen Jahr und mir zu gleicher Zeit. Deine Philosophie, womit Du Dich tröstest ist aber die volle Wahrheit. Jeder Moment des Glücks ist ein Blick in die Ewigkeit und trägt die Bürgschaft unvergänglicher Dauer in sich. Solche Gefühle an bestimmte Tage zu binden, ist ein schönes Herkommen, eine liebe Gewohnheit und gewiß ein Bedürfniß für den Menschen, das ja den festlichen Zeiten aller Religionen zu Grunde liegt. Aber ich denke, Menschen, die ihrer selbst gewiß sind, können auch des Zeichens entbehren.“ Das Veit’sche Haus war Mittelpunkt einer frohen und geistig belebten Geselligkeit, an der außer [540] den Mitgliedern der Familie, Buchhändler, Politiker, Schriftsteller und Gelehrte theilnahmen. Mit vielen und gerade den an Geist und Stellung Bedeutendsten verband Hausherrn und Hausfrau innige, weit über das Maß des bloß gesellschaftlichen Verkehrs hinausgehende Freundschaft.
Schon bevor er den Ehebund schloß war V. über seinen künftigen Beruf einig. Er hatte sich entschlossen Buchhändler zu werden. Nachdem er am 30. November 1832 auf Grund eines ärztlichen Attestes vom Militärdienst befreit worden war, bemühte er sich um das preußische Bürgerrecht; am 22. August 1833 leistete er in der Synagoge den Bürgereid. Am 18. November erhielt er mit seinem Freunde, dem Oberlehrer Jos. Levy (später Lehfeldt) die Concession zum Buchhändler. Nach langen mit verschiedenen Firmen angeknüpften Verhandlungen wurde Ende 1833 der Verlag einer Wittwe Boike angekauft und im Laufe des Jahres 1834 in Gemeinschaft mit dem schon genannten Compagnon die Firma Veit & Comp. begründet. Der Hauptartikel jener Firma war ein Berliner Wohnungsanzeiger gewesen. Dieser, ein sehr einträgliches Unternehmen, wurde zwar fortgesetzt, sonst aber der Verlag auf einen wesentlich höhern Standpunkt gehoben. Geschichtliche und naturwissenschaftliche Werke und Zeitschriften wurden bevorzugt, W. A. Schmidt und J. G. Droysen, mit dem sich ein herzliches Freundschaftsverhältniß entwickelte, wurden Hauptautoren des Verlags; auch Einzelnes von K. W. Nitzsch und Ranke gehörte dem Verlage an; zu den medicinischen Autoren gehörte v. Gräfe; von größeren Sammlungen das Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Joh. Müller’s Archiv. Dazu kommen forstwissenschaftliche, physikalische, militärische, juristische, einige sehr umfangreiche Verfassungs- und Verwaltungsarbeiten, philologische Werke, darunter auch manches von Boekh. Die Litteratur des Schachspiels wurde besonders gepflegt. Von größeren, vielversprechenden Unternehmungen, die nicht immer die darauf gesetzten Hoffnungen erfüllten, seien Leibniz’ deutsche Schriften, Schiller’s und Körners Briefwechsel, bei dem V. geradezu als Herausgeber thätig war, Fichte’s Werke wenigstens genannt. Eine für V. ganz besonders werthe Anknüpfung war die mit Leopold Schefer, dessen „Laienbrevier“, wie ein Hauptartikel des Verlags, so ein Lieblingswerk Veit’s war, der eine Zeit lang in Schefer den Dichter der Dichter, den Stifter einer neuen Religion sah, aber mit dessen „Ausgewählten Schriften“, seiner und des Autors Lieblingsidee, kläglich Fiasko machte. Kurze Zeit (1839–1840) ward auch mit Bettina v. Arnim Verkehr und Briefwechsel unterhalten, durch deren Vermittlung eins ihrer Werke und die ersten Bände der Werke ihres Gatten im Veit’schen Commissionsverlag erschienen. (Die Briefe der Bettina sind mitgetheilt in der N. Fr. Pr. 8. Febr. 1895.) Dauernder war die durch die Genannte hergestellte Verbindung mit Savigny, dessen System des heutigen römischen Rechts (8 Bde., 1840–48) Veit’s Firma trug. Die jüngere Litteratur war durch Th. Mundt vertreten, dessen „Dioskuren“, an denen V. sich als Mitarbeiter betheiligte, in seinem Verlage erschienen, während das von Mundt herausgegebene „Denkmal der Charlotte Stieglitz“, an dessen Schlußredaction er wol mitthätig war, von ihm nur vertrieben wurde. V. dachte die Briefe Schleiermacher’s an H. Herz zu bringen, konnte sie aber von der Adressatin, mit der er freundliche Beziehungen pflegte, nicht erlangen. Auch eine Publication, die V. im Auftrage Varnhagen’s unternehmen und verlegen sollte, der Briefwechsel zwischen Rahel und David Veit, kam durch V. nicht zu Stande; er wurde 1861 von L. Assing herausgegeben. In der Zeit der politischen Erregung erschienen bei V. auch einzelne bedeutende, großes Aufsehen erregende politische Broschüren von M. Duncker, Samwer, Stichling, auch Veit’s eigne politische Reden und Rechenschaftsberichte. Auch das Jüdische wurde von V. gepflegt; außer [541] von Sachs, dessen schon gedacht wurde, brachte er Einzelnes von Frankel und Zunz, dem er verehrungsvolle Freundschaft weihte, sowie einzelne Emancipationsschriften von Freund und Rießer. (Vgl. Allg. Ztg. d. Jud. 1895, Nr. 14 ff.)
Im Ganzen war der Verlag kein eigentlich großer, aber ein hochgeachteter und vornehmer. V. war ein fleißiger, geschickter Geschäftsmann und gewissenhafter Corrector seiner Verlagswerke, vor allem aber war er als hochgebildeter, vielseitig unterrichteter, tactvoller Mann wohlbefähigt, seinen Autoren guten Rath zu ertheilen; durch seine Verlagsthätigkeit wurde er vielen seiner Schriftsteller ein wahrer Freund.
Die hohe Stellung, die er als Buchhändler errungen hatte, kam am besten zum Ausdruck durch die Ehren, die ihm von seinen Geschäftsgenossen zu theil wurden. Mit vielen von ihnen z. B. Frommann in Jena – auch Alwine Frommann gehörte zu den Intimen seines Hauses – mit manchem Leipziger und Stuttgarter wurde er innig befreundet. Der regelmäßige Besuch der Leipziger Ostermesse galt nicht nur der Abwicklung von Geschäften, sondern der Pflege persönlicher Beziehungen und der Bearbeitung der Standesangelegenheiten. Veit’s Thätigkeit für Buchhandel, Preßwesen war eine sehr ausgebreitete. Sie begann im J. 1839 mit dem Plan eines Wissenschaftsvereins, der in der Art der Kunstvereine die Herausgabe kostbarer wissenschaftlicher Werke in die Hand nehmen sollte. Seit demselben Jahre begann er in der Buchhändler-Corporation eine reiche Thätigkeit zu entfalten, arbeitete eifrig in den Commissionen, war seit 1853 Stellvertreter des Vorsitzenden, von 1853–61 Vorsitzender der Buchhändlerbörse – die längste statutarisch erlaubte Zeit. Zu dieser seiner Stellung befähigte ihn, wie einer seiner nächsten Freunde sich ausdrückte, „wissenschaftliche Bildung, geschäftliche Einsicht, Freude an corporativer Thätigkeit, politische Erfahrung, ausgebreitete Kenntniß der Gesetzgebung“. In seinen in der Generalverversammlung gehaltenen Vorträgen feierte er den Verein als Schule des Gemeinsinns, gab Erinnerungsbilder an verstorbene Genossen, warnte vor Gefahren, die dem Buchhandel drohten. Im Auftrage oder auf Bitten der Genossen unternahm er es über besonders wichtige Vorgänge in öffentlichen Blättern zu berichten. Die meisten seiner Reden und Aufsätze sind im Buchhändler-Börsenblatt gedruckt; besondere Erwähnung verdient Veit’s Rede bei der 4. Säcularfeier der Buchdruckerkunst am 28. Juni 1840. Als 1840 durch J. E. Hitzig in Berlin die „Allgemeine Preßzeitung“ begründet wurde, schrieb er die Vorrede dazu und betheiligte sich auch später gelegentlich als Mitarbeiter daran. Wie hier, so trat er auch sonst gegen die Beschränkungen der Preßgesetzgebung, für den Schutz der Autorrechte, gegen die Hinderung des freien Verkehrs in Leipzig auf. Namentlich in den Zeiten der Reaction kämpfte er, freilich nicht immer glücklich, gegen Zeitungsstempel und Postgesetz; Ende 1850 z. B. im Verein mit sämmtlichen Berliner Zeitungsverlegern gegen die drohende Entziehung des Postdebits. Von der Bedeutsamkeit seiner Stellung gibt ein Telegramm Kunde, das ihm 1861, da er der Versammlung nicht beiwohnen konnte, von den Genossen, denen sich Minister v. Beust anschloß, gesendet wurde. Seit 1848, seit dem Tode des Buchhändlers Besser, war er stellvertretendes, später ordentliches Mitglied der litterarischen Sachverständigen-Commission. Als solches wirkte er beim Abschluß der Verträge zwischen Deutschland und Frankreich, an dem in den Jahren 1855–57 gearbeiteten Entwurf eines deutschen Nachdruckgesetzes mit, nachdem er schon 1855 in der kleinen Schrift: „Die Erweiterung des Schutzes gegen den Nachdruck zu Gunsten der Erben verdienter Autoren“ 1855 gegen die nur 30jährige Frist aufgetreten war, die den Erben der Autoren zugestanden wurde. Diese Thätigkeit blieb ihm eine ungemein erwünschte, der er sich auch noch zu einer Zeit widmete, da er aufgehört hatte, Buchhändler zu sein. (1858 nach dem Tode seines [542] Freundes und Socius Lehfeldt verkaufte er sein Geschäft an einen Buchhändler in Leipzig.)
Seine Thätigkeit als Buchhändler zwang ihn, gelegentlich sich mit Politik zu beschäftigen. Aber diese Beschäftigung entsprach seiner Natur. Von 1848–1863 stand er in der vorderen Reihe der Berliner Politiker als Zeitungsverleger, Schriftsteller, Abgeordneter, meist in stillen aber einflußreichen Arbeiten als Comité- und Commissionsmitglied bei den verschiedensten Anlässen. Er war und blieb zeitlebens ein gemäßigter Mann. Er ersehnte die Einheit Deutschlands mit einem starken Preußen an der Spitze, doch wünschte er die Durchführung dieser Einheit nur auf friedlichem Wege. Er war ein überzeugter Monarchist und ließ sich in seiner Meinung von der Nothwendigkeit der Stärke der Monarchie auch durch den augenblicklichen Triumph der Revolution nicht erschüttern. Er hatte in der Politik wie in allen Dingen einen frohen Optimismus. In einem Blättchen, aus der Paulskirche geschrieben, die er zuerst an der Seite Ed. Simson’s betrat, der ihm zeitlebens befreundet blieb, heißt es: „Wenn wir die Einheit des Vaterlandes werden begründet haben und dann darüber nachdenken, welche Kräfte durch Gefahr und Irrsal uns endlich doch zum Ziele getragen haben, so werden wir uns sagen dürfen: der Glaube an den Sieg hat uns zumeist zum Siege verholfen.“ Im deutschen Parlament, zu dem er vom 6. Berliner Wahlbezirk gesendet wurde, gehörte er dem Casino, einer der Fractionen des rechten Centrums an. Bis zum 20. Mai 1849, an welchem Tage er gemeinsam mit der Partei ausschied, die den König von Preußen zum deutschen Kaiser gewählt hatte und nach dessen Ablehnung ihre Existenzberechtigung verloren zu haben schien, wohnte er den Sitzungen regelmäßig bei. Oeffentlich ergriff er zwar nicht das Wort, doch arbeitete er fleißig in dem volkswirthschaftlichen Ausschuß; stellte Anträge auf ein deutsches Heimathsrecht, eine deutsche Gewerbeordnung und (im Verein mit zwei Collegen) auf Errichtung einer Reichsbibliothek; sein Bericht über die massenhaft eingelaufenen gewerblichen Petitionen wurde als sehr inhaltreich gerühmt.
Wie fleißig er den Sitzungen beigewohnt, beweisen zahlreiche Aufzeichnungen im Nachlaß z. B. ein Exemplar der Reichsverfassung, der alle Abänderungsvorschläge, die kurzgefaßten Resultate langer Debatten beigeschrieben sind. Auch einzelne Druckschriften rühren aus jener Zeit her: ein Brief an den damaligen Stadtverordnetenvorsteher Seidel (Spenersche und Nat.-Ztg. 30. August 1848) über die durch die vorzeitige Veröffentlichung eines Entwurfs der Reichsverfassung hervorgerufene Erregung, ein Flugblatt: „An meine preußischen Mitbürger“ (19. November 1848), eine entschiedene Abmahnung gegen republikanische Gelüste; endlich eine große Erklärung, eine Art Separatvotum in der Kaiser-Angelegenheit, in der der streng preußisch-deutsche Standpunkt gewahrt wird. Nach der Rückkehr aus Frankfurt veröffentlichte er in dem „Sendschreiben an meine Wähler“ einen ausführlichen Rechenschaftsbericht. Eine Zeit lang ohne Mandat wurde er 1851 bei einer Nachwahl in Trier in die erste Kammer gewählt, wo er im Verein mit der sehr zusammengeschmolzenen liberalen Partei den meist erfolglosen Kampf gegen die Bestimmungen des Preßgesetzes, der Stempelsteuer zu führen hatte. Das Jahr 1850 war in der politischen Schriftstellerei Veit’s das fruchtbarste. Etwa ein Dutzend Journalartikel, von V. gesammelt, liegen mir vor, die in der „Constitutionellen Zeitung“ 1850 erschienen. Diese Zeitung redigirte V. eine Weile nach Haym’s Ausweisung; seine stets sachliche, überzeugungsvolle Thätigkeit und Kritik wurde mir von Aegidi, seinem Genossen in der Redaction begeistert geschildert. Eine Aeußerung aus einem seiner Briefe (23. 12. 50.) mag seinen Standpunkt verdeutlichen: „Ich stecke im Trouble bis über die Ohren. Uebrigens habe ich soviel gewonnen, daß ich die Zügel [543] bei der Redaction der Zeitung jetzt in meinen Händen fasse, und ich werde sie nicht wieder fahren lassen, so lange ich das Blatt vertrete. Ich hoffe, daß Niemand sagen kann, es sei der Position, in der wir uns befinden, das Geringste vergeben, es sei die Wahrheit nicht offen und ehrlich bekannt, aber das Aggressive, Herausfordernde, geradezu Beleidigende beseitige ich consequent und ernst und hoffe das Fahrzeug bis zum Zusammentritt der Kammern durch die Brandung zu führen und, was die Hauptsache ist, die Existenz desselben gerettet zu haben, wenn ich es wieder abgebe“. Anfang October 1851 mußte die Zeitung, die manche Censurschwierigkeiten zu bestehen gehabt hatte, aufhören. V. selbst kam, theils wegen dieser Zeitung, theils wegen einiger muthiger in seinem Verlage erschienenen Broschüren in mancherlei Ungelegenheiten: der amtliche Wohnungsanzeiger, eines der wenigen gewinnbringenden Bücher des alten Verlages wurde ihm entzogen. Solche Quälereien trieben ihn weder zur Reaction noch zur Opposition. In jenen stillen Jahren, da eine neue Aera sich vorbereitete, blieb er der altliberalen, der „Gothaer Partei“ treu ergeben. Alle Bemühungen und Ansichten jener Jahre wurden von ihm in Gesprächen und Briefen mit Lette, Rönne, Mathy, Becker, Droysen, M. Duncker durchgesprochen und erwogen. Nirgends stand er dabei in erster Reihe, aber sein verständiger Rath wurde freudig eingeholt, seine sachkundige Mitarbeit stets gern begehrt. Er war 1854 bei den Besprechungen in Gotha-Reinhardtsbrunn, wo außer einigen der Genannten, Freytag, Meibom, Samwer anwesend waren und schrieb über diese Tage einen sehr hübschen, der Mittheilung werthen Brief an seine Frau. 1862 nahm er mit Unruh u. a. an einer politischen Conferenz in Eisenach theil. Seit 1858 betheiligte er sich wieder an dem praktischen politischen Leben. Er wurde in Posen und Berlin für den Landtag gewählt. Er war ein eifriger Arbeiter in den Commissionen: es gelang ihm eine bessere Einrichtung des Cautionswesens, eine Beschränkung des Postzwangs durchzusetzen. Er entwarf zusammen mit H. Duncker eine Novelle zur Gewerbegesetzgebung; doch wurden nur einzelne Plackereien früherer Zeit gemildert. Er konnte dahin mitwirken, daß die Zeitungssteuer erleichtert wurde. Er ergriff das Wort in den Verhandlungen, durch welche die Abschaffung der alten für die Juden gültigen Eidesformel durchgesetzt wurde und versuchte auch sonst die Abstellung alter Unbilden gegen die Rechte seiner Glaubensgenossen zu erreichen. In einem sehr ausführlichen Berichte über die Thätigkeit der Landtagssession in den „Preußischen Jahrbüchern“ hatte er die Hauptredaction: Er gehörte zum Ausschuß des Nationalvereins und hegte eine Zeitlang die Hoffnung, durch die Thätigkeit dieses Bundes die alten Träume deutscher Einheit und deutschen Kaiserthums verwirklicht zu sehen. Er gehörte (1861) im Verein mit manchen schon genannten Männern, auch mit G. Beseler, der ihm und seinem Hause sehr nahe stand, dem provisorischen Ausschuß zur Begründung der „Berliner Allgemeinen Zeitung“ an. Correspondenzen, die sich darauf beziehen, Parteilisten die für die Geschichte der constitutionellen Partei in Preußen wichtig sind, Actenstücke und Briefe politischen Inhalts mannigfacher Art, aus den Jahren 1858–1863 sind im Nachlasse vielfach vorhanden, die das stille, sich nirgend hervordrängende, aber hochgeschätzte und einflußreiche Wirken eines patriotischen Mannes bekunden; wichtige Beiträge zur Geschichte der innern preußischen Politik jener Tage. Veit’s äußere politische Rolle war ausgespielt, als er 1861 bei der Abstimmung über das Militärbudget für das Kühnesche Amendement stimmte; er folgte seiner Ueberzeugung, selbst auf die Gefahr hin unpopulär zu werden; seinen Gegnern hielt er das Wort entgegen, daß man fast prophetisch nennen kann: „Ich will die Militärreform ohne – Ihr werdet sie mit einem conservativen Ministerium bekommen.“ Vorher war er als Vertreter des Landtags bei der Krönung in [544] Königsberg gewesen, wo er aus Simson’s Anrede einen bedenklichen Passus entfernen half. Für die politischen Vorgänge bewahrte er bis zuletzt das lebhafteste Interesse, wenn er auch, unzufrieden mit dem Gang der Ereignisse – das Frankfurter Schützenfest betrachtete er als großen Humbug – die Niederlage der eigenen Partei beklagte.
Nicht minder lebhaftes Interesse wie für die politischen zeigte er für die religiösen Angelegenheiten. Läßt sich aber sein politischer Standpunkt mit dem einen Worte „altliberal“ klar bezeichnen, so reicht eines der Schlagworte „orthodox“ oder „freisinnig“ zur Charakteristik seiner religiösen Ansicht nicht aus. Religion betrachtete er nicht wie ein Gläubiger, noch weniger wie ein Historiker, sondern wie ein Dichter einer-, wie ein moderner Mensch andrerseits. Er unterschied die Gedanken und die äußere Form. In jenen wollte er sich durchaus die Freiheit seiner philosophischen Ueberzeugung, die Selbständigkeit seines weltlichen Denkens wahren, für diese als eine durch Zeit und Gewöhnung geheiligte, verlangte er Respect; überlieferte, selbst abgelebte Formen wahrte er mit Pietät. Daher hatte er für die Reformbestrebungen innerhalb des Judenthums keinen Sinn, gegen die in Berlin hervortretenden verhielt er sich ablehnend; als Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Berlin wünschte er zwar einen wissenschaftlich hochstehenden, modern gebildeten Mann, aber einen conservativ angehauchten Geistlichen. Er fand ihn in seinem Freunde Sachs, den er 1844 nach Berlin brachte, nachdem die Rabbinerwahlangelegenheit dort Jahrzehnte lang acut gewesen war. Von 1839–48 war V. Aeltester (Vorsteher) der jüdischen Gemeinde, später Vorsteher des Repräsentantencollegiums. Zwei Jahrzehnte lang führte er in allen ihren Angelegenheiten ein entscheidendes Wort. Mit besonderer Liebe nahm er sich der Schule, des 1840 errichteten, 1858 reorganisirten Seminars an (die Rede bei der Einweihung 1840 erschien im Druck); an der durch das Gesetz von 1847 nothwendig gewordenen Organisation der jüdischen Gemeinde hatte er hervorragenden Antheil; das Statut für die jüdische Gemeinde ist im wesentlichen sein Werk, das Oberpräsident v. Flottwell persönlich mit ihm durchging; für Errichtung der neuen Synagoge war er unermüdlich thätig. Ebenso wie den inneren Gemeindeangelegenheiten widmete er der Stellung der Juden zum Staat lebhaftes Interesse, sein Gutachten wurde von den Behörden in manchen Fällen eingeholt; bei der schon erwähnten gesetzlichen Regelung wurde seine Stimme gehört. (Vgl. die kleine Schrift „Der Entwurf einer Verordnung über die Verhältnisse der Juden in Preußen und das Edict vom 11. März 1812“ von M. Veit, als Manuscript gedruckt [1847. Neudruck, Leipzig Brockhaus 1847].) Galt es öffentlich durch Schrift und Rede Anschuldigungen abzuweisen, gegen Beschränkungen anzukämpfen: Eidesformel, Beschränkung der Militärpflicht, Vorwurf der Häufigkeit der Verbrechen, so stand V. in vorderster Reihe. Er hielt im Landtag wirkungsvolle Reden, durch die er sich einmal die Huldigung der Gemeinde seiner Vaterstadt verdiente, er verfaßte die Dankadresse an den rheinischen Landtag, er hatte Audienzen bei den Ministern, um den Standpunkt der von ihm vertretenen Gemeinde zu wahren. Nicht bloß für Berlin, sondern für die Juden ganz Preußens war er thätig; einmal erwirkte er durch A. v. Humboldt die Nichtausführung einer beabsichtigten Maßregel; länger als 30 Jahre, von 1831, seit er Gabr. Rießer kennen lernte und dessen Ideen zu den seinigen machte, – er widmete ihm später einen ausführlichen Nachruf (Pr. Jahrb. XI, 1863, auch separat gedruckt) – arbeitete er unermüdet für die Emancipation seiner Glaubensgenossen; ebenso wie durch Wort und Schrift wirkte er auf manche Unentschiedene durch die Reinheit seiner Persönlichkeit.
Endlich arbeitete er im Dienste der Stadt Berlin. Schon in den vierziger Jahren wurde er zum Stadtverordneten gewählt, und spielte als solcher eine [545] Rolle in den Scenen, die zur Abdankung des Oberbürgermeisters Krausnick führten, dann 1849 wurde er unbesoldeter Stadtrath; nach dem Ablauf seiner Amtsperiode zog er es vor, wieder als Stadtverordneter thätig zu sein, seit 1853 mit geringen Unterbrechungen, wurde aber 1863 durch das Vertrauen seiner Collegen zum Stellvertreter des Vorsitzenden gewählt. Mit dem Vorsitzenden Kochhann, mit dem er persönlich wohlbekannt war und auch politisch meist übereinstimmte, wurde er noch 1863 nach Leipzig geschickt zur Bildung eines Comités für die Nationalfeier des Tages der Schlacht bei Leipzig. Bis in die letzten Tage seines arbeitreichen Lebens widmete er den Interessen der Stadt Thätigkeit und Eifer. Besonders war es die Gewerbedeputation, die Angelegenheiten der Schul- und Waisenpflege, denen sein Interesse und seine Arbeitskraft zu Gute kam. Seine Thätigkeit war eine umfassende und von allen Seiten anerkannte. Kochhann, der ihm unmittelbar nach seinem Ableben Worte der Erinnerung spendete, bezeichnete ihn als „unersetzlich“ und charakterisirte ihn mit den Worten: „Seinen Freunden leuchtete er voran durch die Lauterkeit des Charakters, durch Ausharren im Hoffen und durch Beständigkeit in der Treue. Seine vermittelnde Natur war geeignet die Gegensätze auszugleichen und Eintracht herzustellen wenn Gefahr drohte, der Meinungen wegen auseinanderzugehen. In solchem Sinne hat er gewirkt mit jugendlicher Begeisterung für das Wohl unserer Stadt und für das Heil des Vaterlands. Deutschlands Größe und Zukunft lag ihm tief und innig am Herzen. Mit Bekümmerniß hatte er alle Rückschritte empfunden und gedacht und gerungen, um dazu beizutragen, unsrem Volke auf die ihm durch Sitte und Bildung gebührende Höhe zu verhelfen. Es war ihm nicht beschieden seine Hoffnungen auf eine bessere Zeit verwirklicht zu sehn, mit gebrochenem Herzen hat er die Welt verlassen.“
Nur die letzten Worte der Charakteristik passen nicht. V. war von einem zu starken und freudigen Optimismus erfüllt, um an dem Sieg seiner Ueberzeugung zu zweifeln. Er führte ein schönes gesegnetes Leben. Sein Haus war ein Sammelpunkt erlesener Gesellschaft. Er fühlte nie ein Ermatten der Schaffenslust und begegnete überall freudiger Anerkennung des von ihm Geleisteten. So lange er seinem Geschäfte vorstand, entfaltete er eine die Kräfte eines Einzelnen fast übersteigende Thätigkeit; durch das Aufgeben des Verlags etwas freier geworden, widmete er sich um so eifriger den allgemeinen Angelegenheiten. Er ergötzte sich an der Kunst und gab sich mit seinem Verständniß einer ausgewählten Lectüre hin. Durch mannigfache Bade- und Erholungsreisen nach Thüringen, Süddeutschland, der Schweiz, 1862 nach Paris, kräftigte er seinen Körper und schaffte dem Geiste neue Anregung. Er hatte ein Talent zur Freundschaft: wen er einmal in sein Herz geschlossen hatte, ließ er nicht los. Er war kein glänzender Schriftsteller, aber ein feingebildeter, an den besten Mustern erstarkter Stilist; seine Denkschriften, besonders seine Briefe sind klar, wohlgeordnet, anmuthig. Er hatte wenig Bedürfnisse und geringen Ehrgeiz: seine Liebe galt den Seinen, den Berufs-, Glaubens- und Stadtgenossen, dem Vaterlande. Mit kindlicher Genußfähigkeit und Bescheidenheit paarte er Wohlwollen und Uneigennützigkeit. Wohlthätigkeit war bei ihm nicht bloß Darreichung einer Gabe, sondern Förderung des Menschen und Anstachelung jedes echten Talents. Er war eine reine, vornehme Natur, seinen christlichen Freunden erschien er als der „weise Nathan“.
Nach kurzer Krankheit starb V. am 5. Februar 1864. Die erste Ehrung für ihn, nach kurzen Gedenkartikeln der Berliner Zeitungen, erfolgte durch eine außerordentliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung (6. Februar). Einer warmen innigen Rede Kochhann’s (vgl. oben) schlossen sich rührende Worte des [546] Stadtverordneten Marggraff an, in dessen Schule V. die erste Bildung erlangt hatte. Die Beerdigung (8. Februar), bei der M. Joel die Grabrede hielt, gestaltete sich zu einer großartigen Trauerkundgebung.
- Außer kleineren Nachrufen z. B. „Die Frist“ Organ des Nationalvereins 1864 Nr. 8, Volkszeitung 10. Februar, Börsenblatt f. d. d. Buchhandel. 17. Februar – Grabrede des Dr. Joel. Berlin 1864. D. Rosin, Schulprogr. d. jüd. Religionsschule, 1865. M. Horwitz, M. Veit und das jüd. Schulwesen Berlins, 1868. Besonders Wehrenpfennig, Z. Andenken an M. Veit, Preuß. Jahrb. 1864, Bd. 13, auch sep. gedruckt; zweiter Abdruck mit Bild und einem Anhang Gedichte, Berlin 1870. Mir hat der gesammte Nachlaß Veit’s durch die Güte seiner Erben vorgelegen. Auch hatte ich mich mündlicher und brieflicher Mittheilungen der HH. Aegidi, Haym, W. Hertz, R. Moritz, v. Simson zu erfreuen.