Burney Tagebuch 3/Hamburg

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Berlin 2 Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Hamburg
Bremen


[176]
Hamburg.


In diese Stadt kommt man ohne examinirt, oder von Accisbedienten belästigt zu werden. Der Reisende wird an dem Thore bloß um seinen Namen und Stand befragt. Die Gassen sind schlecht gebauet, schlecht gepflastert und eng, aber voller Menschen, die ihren eignen Geschäften nachzugehn scheinen. Aus den Mienen und Betragen der Einwohner dieses Orts leuchtet eine Zufriedenheit, Geschäftigkeit, Wohlhabenheit und Freyheit hervor, die man an andern Orten Deutschlands nicht häufig zu sehn bekömmt. [177] Die Stadt Hamburg ist lange wegen ihrer Opern berühmt gewesen, und aus dem Verzeichnisse, das Mattheson in seinem musikalischen Patrioten davon anführt, erhellet, daß die Anzahl derer, welche zu Ende des vorigen und zu Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts aufgeführt worden, grösser ist, als die in irgend einer andern Stadt im deutschen Reiche.

Das erste musikalische Drama, wovon man in der Geschichte des hamburgischen Theaters Nachricht hat, ist Orontes, 1678, komponirt vom Kapellmeister Theil. Allein dieses sowohl als die meisten, welche bis zum Anfange dieses Jahrhunderts vorgestellet sind, waren in deutscher Sprache[H 1].

[178] Bey diesem Theater sind die Kompositions von Keiser, Mattheson, Händel und Teleman, die berühmtesten. Von Keisern ist schon in dem vorigen Bande dieses Tagebuchs Seite 258 gesprochen, wozu ich hier bloß noch beyfüge, daß er hundert und sieben Opern[H 2] meistens fürs Hamburger Theater gesetzt hat, 1673 gebohren, und 1739 gestorben ist.

Von Mattheson seh’ ich mich genöthigt, etwas umständlicher zu seyn, weil er nicht nur ein gebohrner Hamburger war, sondern auch lange in dem dreyfachen Charakter, als Sänger, Komponist und Schriftsteller[H 3] Figur gemacht hat.

Er machte sich einen Ruhm daraus, vor seinem Ende,[WS 1] welches 1764, in seinem zwey und achtzigsten Jahre erfolgte, daß er eben so viel Bücher über die Musik[H 4] geschrieben habe, als er [179] Jahre alt geworden, und daß er den Exekutoren seines Testaments eine gleiche Anzahl zum Gebrauche für die Nachwelt hinterlassen würde.

Im Jahre 1761 gab er eine Uebersetzung aus dem Englischen von Händels Leben heraus, wozu er Noten und Zusätze gemacht hatte, die weder aufrichtig noch großmüthig waren. Aber wie konnte der Verfasser einer Schrift, worin gesagt wurde: „Mattheson war kein grosser Sänger, und bekam nur gelegentlich eine Rolle,“ eine bessere Begegnung erwarten! Das Vorige zu widerlegen, sagte er uns, daß er beständig, funfzehn Jahre durch, in den hamburgischen Opern die ersten Rollen gesungen, und zwar mit solchem Glücke, daß er die Affekten seiner Zuhörer in seiner Gewalt hatte, und solche nach eignem Gefallen zur Freude, Betrübtniß, Hofnung und Furcht bewegen konnte. Und wer will es wagen, daran zu zweifeln, daß er dieses Vermögen besessen, wenn er die Wirkung desselben eigenhändig bezeugt?

Dieser Schriftsteller, war nicht allein in Beurtheilung der Schriften, die in seine Hände fielen, spitzfindig und scharf, sondern er zankte sich auch beständig mit seinen Lesern herum. Indessen war er fleissig, Thatsachen aufzusuchen und setzte sie genau ins Licht.

[180] Wer gerne Nachricht von Händels Lebensgeschichte seiner jüngern Jahre, eh’ er nach London kam, oder nach Italien reisete, haben will, der kann solche in Matthesons Schriften finden.[H 5] In der That hat die Tradition so viele Anekdoten über seine musikalischen Arbeiten in Hamburg aufbewahrt, daß manche musikalische Leute, die zu spät in die Welt gekommen sind, ihn zu hören, glauben, sie haben vergebens gelebt.

Eben in dieser Stadt wars auch, daß Händel seine Laufbahn als Komponist antrat, ob er gleich anfangs mit der Stelle eines zweyten Violinisten im Orchester vorlieb nehmen mußte.

Hier stellte er sich, als ob er nicht bis auf fünfe zählen konnte, wie er denn überhaupt, sagt Mattheson, von Natur zum dürren Scherze sehr geneigt war. Es war bey einer Gelegenheit, da es an einem Clavierspieler im Orchester fehlte, daß man ihn zum Erstenmale überredete, seinen Platz am Flügel einzunehmen; er zeite sich aber alsobald als ein Meister, ohne daß es jemand anders vermuthet hätte, als Mattheson, der ihn schon kannte, und wußte, war für ein Orgelspieler er wäre. Um dieser Zeit (1703) war Händel neunzehn, und Mattheson zwey und zwanzig Jahr alt.

[181] Zu der Zeit ging Händel fleissig bey Matthesons Vater zu Tische, und Mattheson gesteht selbst, daß er von Händel einige besondre Contrapunktgriffe gelernt habe. Diese jungen Musiker hatte öftern Streit um den Vorrang auf den Clavierinstrumenten; und in ihren verschiedenen Versuchen hatte Händel beständig den Vorzug auf der Orgel, ob ihn gleich Mattheson zuweilen auf dem Flügel gleich kam[H 6].

Als in Lübeck eine Organistenstelle besetzt werden sollte, reiseten sie zusammen dahin, und komponirten auf dem Wagen viele Doppelfugen, da mente, sagt Mattheson, nicht da penna. Buxtehude, dem man einen Nachfolger aussuchen wollte, lebte noch und war ein vortreflicher Organist. Ueber Händels Kunst aber erstaunten sogar diejenigen, welche daran gewöhnt waren, diesen grossen Spieler zu hören.

Händel und Mattheson traten von dem Vorhaben ab, sich um diese Stelle zu melden, wegen einer dabey verknüpften Nebenbedingung, welche [182] keine andre war, als daß das Amt und eine Braut zugleich empfangen werden sollte. Sie bedankten sich also der Ehren und reiseten geschwind wieder nach Hamburg zurück.

Das Jahr darauf (1704) da Matthesons Oper Cleopatra aufgeführt wurde, in welcher er selbst den Antonius vorstellte, der sich wohl eine halbe Stunde vor dem Beschluß des Stücks entleibte, wollte er nach seiner Gewohnheit, als Komponist Händeln vom Flügel verdrängen, und das Uebrige der Oper selbst accompagniren und dirigiren. Händel wollte aber dieser Eitelkeit sich nicht fügen, welches denn einen[WS 2] so heftigen Zank veranlaßte, daß Mattheson beym herausgehen aus der Oper Händeln eine Ohrfeige gab. Beyde zogen darauf augenblicklich vom Leder, und tummelten sich auf ofnem Markte vor vielen Zuschauern herum. Zum guten Glück zerbrach Matthesons Klinge von einem Stosse, den er auf einen breiten metallnen Knopf in Händels Kleide that; welches dem Zweykampfe ein Ende machte, und sie wurden bald darauf wieder ausgesöhnt.

Auf diese Weise erzählt Mattheson diese jugendlichen Händel selbst, die er mit seinem Mitbuhler Händel in Hamburg gehabt, in seiner Grundlage zur Ehrenpforte, noch lange vorher, ehe Händel starb.

[183] Händel hielt sich fünf bis sechs Jahre in dieser Stadt auf und brachte hier 1705 seine erste Oper Almira aufs Theater, und da solche grossen Beyfall fand, lieferte er das folgende Jahr seine zwote, Nero. Von dieser Zeit bis 1708, in welchem er zwey Opern, Florino und Daphne setzte, hat er fürs Theater nichts gemacht, ob er gleich Claviersachen und einzelne Arien in grosser Menge komponirte. Nach Matthesons Meynung aber, welcher dem Schmeicheln eben nicht ergeben ist, waren diese Sachen ohne Geschmack oder Delikatesse, obgleich in Ansehung der Harmonie vortreflich[H 7]. In der That machten die Komponisten im vorigen Jahrunderte so viel Wesens aus der Harmonie, daß sie der Melodie gänzlich darüber vergassen.

Während seines Aufenthalts, gesteht Mattheson, habe Händel seinen Styl um ein merkliches gebessert, dadurch daß er fleissig Opern gehört, und sagt von ihm, daß er auf der Orgel im Fugen [184] und Contrapunktstyle noch stärker gewesen, als der berühmte Kuhnau zu Leipzig, der damals als ein Wunder angesehn ward.

Telemann, welcher 1681 zu Magdeburg gebohren war, folgte Keisern als Opernkomponist zu Hamburg, als für welche Stadt er allein fünf und dreissig Opern gesetzt hat. Man sagt er soll für die Kirche und die Kammer mehr geschrieben haben, als der alte Alessandro Scarlatti. Im Jahr 1740 zählte man schon an sechs hundert Ouvertüren von ihm. Dieser Komponist hatte, wie der Mahler Raphael, eine frühere und eine spätere Manier, welche sehr von einander unterschieden sind. In der ersten war er hart, steif, trocken und höckerigt; in der Zwoten, alles was nur angenehm, lieblich und gefeilet heissen kann[H 8]. Dieser mannichfaltige und voluminöse Komponist starb 1767 zu Hamburg in einem Alter von sechs und achtzig Jahren.[H 9]

Und Nunmehro, da ich das Nöthige von den vier vornehmsten Tonkünstlern der vergangnen Zeit gesagt habe, deren Arbeiten das Vergnügen [185] und eine Ehre dieser Stadt gewesen sind, gehe ich zu der Nachricht von demjenigen über, was solche gegenwärtig in der Musik am merkwürdigsten besitzt.

Der erste Besuch, den ich in dieser Stadt ablegte, war bey meinem würdigen Freunde und Correspondenten, Herrn Magister Ebeling, durch dessen Umgang ich itzt eben so eingenommen wurde, als ichs vorher von seinen Briefen gewesen war. Da dieser mein Freund schon vorher meine Absicht wußte, daß ich über Hamburg kommen würde, und ein gültiger Richter von der Natur meiner Nachforschungen war: so hatte er alle seine musikalischen Seltenheiten, deren er nicht wenige besitzt, in Ordnung gebracht, um mir solche zur Einsicht vorzulegen.

Obgleich diese Stadt in vorigen Zeiten so berühmt wegen ihrer Opern gewesen ist: so hat sie doch seit einigen Jahren keine mehr gehabt. In der That hab’ ich auf meiner ganzen Reise durch Deutschland keine ernsthafte Oper gesehen. Allein da dieses Drama gemeiniglich von italiänischen Sängern aufgeführt wird, so sah ich solches nicht als den vornehmsten Gegenstand dieser Reise an, auf welcher ich mich nach eigentlicher und wahrer deutscher Musik und deutschen Tonkünstlern erkundigen wollte.

[186] [WS 3]Hamburg besitzt gegenwärtig ausser dem Herrn Kapellmeister, Carl Philip Emanuel Bach, keinen hervorragenden Tonkünstler, dagegen aber gilt dieser auch für eine Legion! Ich hatte schon längst seine eleganten und original Kompositionen mit dem höchsten Grade von Vergnügen betrachtet; und sie hatten ein so heftiges Verlangen in mir erzeugt, ihn zu sehen und zu hören, daß es keiner andern musikalischen Versuchung brauchte, mich nach dieser Stadt zu locken.

Herr Ebeling war schon vor meiner Ankunft so gütig gewesen, die Uebersetzung, die er mir die Ehre erzeigt hat, im Deutschen von meiner italiänischen Reise zu machen, Herrn Bach mitzutheilen, und ihm zu sagen, daß ich gesonnen wäre, nach Hamburg zu kommen; und itzt führte er mich an dem nehmlichen Morgen meiner Ankunft zu ihm. Herr Bach empfing mich sehr gütig, sagte aber, daß er sich schämte, wenn er daran dächte, wie wenig mir meine Mühe belohnt werden würde, daß ich Hamburg besucht hätte. „Funfzig Jahr früher, sagte er, da hätten Sie kommen sollen!“

Er bespielte ein neues Fortepiano, und mit einer, Art als ob er kaum ans Spielen dächte, warf er seine Gedanken und solche Sachen hin, worauf sich ein jeder andrer hätte etwas zu gute thun können. Er verlangte von mir, ich sollte eine Zeit bestimmen, wann ich wieder zu ihm kommen wollte, [187] [WS 4]denn, sagte er, er müßte mich einen ganzen Tag allein haben, und der würde nur halb zureichen, uns unsre Ideen mitzutheilen. Er that mir das Anerbieten, mich nach einer jeden Kirche in Hamburg zu führen, worin nur eine gute Orgel zu finden; er wollte einige alte und seltne Sachen für mich aussuchen, und sagte mir beym Weggehen, es würde Morgen eine armselige Musik von seiner Komposition aufgeführt werden, die er mir riethe, nicht anzuhören. Sein spaßhafter Ton entfernte gleich allen Zwang, ohne mir die Achtung und Ehrerbietung zu benehmen, die mir seine Werke schon in der Entfernung eingeflößt hatten.

Nachdem ich vom Herrn Bach weggegangen, brachte ich das Uebrige des Tages damit zu, daß ich Briefe abgab, die Stadt besah und die Buchändler besuchte, deren es in Hamburg viele giebt. Unter – –:[H 10]

Diesen Abend nachdem mir Herr Ebeling einen Theil seiner vortreflichen Musikalien und musikalischen [188] Büchersammlung gezeigt hatte, that er mir den Gefallen, mich mit dem Professor der Mathematik, Herrn Büsch, bekannt zu machen, in dessem Hause ich einen sehr angenehmen Abend zubrachte. Dieser war zwar nicht der Musik gewidmet, und gab mir auch zu keinen neuen Entdeckungen Gelegenheit; allein ich war auch schon längst überzeugt, daß keine Harmonie reizender ist, als diejenige, welche aus der Zusammenstimmung der Herzen und der Gesinnungen der Gesellschafter entsteht.

Der Herr Professor Büsch und der Herr Magister Ebeling, sind die Vorsteher einer im Jahr 1768 zu Hamburg errichteten Handlungs-Academie.[H 11] Ein vortrefflich eingerichtetes Institut für die Erziehung solcher jungen Leute, die in allen Theilen der Welt, wo die deutsche, englische, französische, italiänische oder holländische Sprache erfodert werden, zur Handlung bestimmt sind. Denn bey diesen Sprachen lernen die jungen Academisten zugleich das Buchhalten, die Geographie und dasjenige von der Geschichte, welches mit dem Handlungsinteresse der verschiedenen Bewohner des Erdbodens Zusammenhang hat.[1]

[189] [WS 5] Sonnabends, den 10. October, führte mich Herr Doctor Jacob Mumssen, ein guter Arzt sowohl als ein Mann von Geschmack in den schönen Künsten und Wissenschaften, des Vormittags zu dem berühmten Dichter Klopstock, den die Deutschen ihren Milton nennen.[H 12] Ich hatte das Vergnügen, mit ihm und verschiedenen andern gelehrten und einsichtsvollen Personen eine ziemlich lange Unterredung zu halten, während welcher über allerley merkwürdige Dinge gesprochen wurde. [190] Ich bin nicht im Stande von Herrn Klopstocks dichterischen Geschicklichkeiten[H 13] zu sprechen; seine Landsleute aber sind der Meinung, daß er alle andre Barden weit hinter sich zurückgelassen hat. Sein Messias, den er erst kürzlich zu Ende gebracht hat, ist das erste Gedicht der Deutschen, wie die Iliade das erste Gedicht der Griechen.

Sie sprechen von seinen Oden als von einem novum atque inauditum scribendi genus, und sagen, „daß das alte Griechenland und Rom über die Stärke, Erhabenheit, Wahrheit und Harmonie dieser Gedichte Richter sein könnten. Seine Silbenmaasse sind zuweilen von den Griechen genommen, viele aber sind von seiner eignen Erfindung. Klopstocks Verdienst um die deutsche Sprache, wird erst die Nachwelt am besten erkennen. Seine Oden verlangen einen Leser, der einen guten natürlichen Verstand hat und mit der Geschichte seines Vaterlandes, seiner Sprache, seinen Alterthümern und mit der Harmonie des Verses gut bekannt ist. Jemehr solche jemand studiert, jemehr werden sie ihm gefallen. Von manchem werden sie für unverständlich gehalten, bloß weil sie mit keiner andern Gattung von Schriften etwas Aehnliches haben.“

[191] Nach diesem Besuche brachte mich Herr Bach nach der Catharinen Kirche, woselbst ich eine schöne Musik von seiner Komposition hörte, die aber für die grosse Kirche zu schwach besetzt war, und die auch von der Versammlung zu unaufmerksam angehört wurde. Dieser Mann war ohne Zweifel gebohren, für grosse und stark besetzte Orchester von sehr geschickten Spielern, und für ein sehr feines Auditorium zu komponiren. Itzt scheint er nicht völlig in seinem Elemente zu leben. In einer jeden Stadt oder in jedem Lande, wo die Künste kultivirt werden, haben solche ihre Ebbe und Fluth, und in diesem Betracht ist der gegenwärtige Zeitpunkt für Hamburg nicht der glänzendste.[H 14]

Auf dem Wege von der Kirche nach seinem Hause hatten wir ein Gespräch, das für mich sehr interessant war. Unter andern sagte er: „Wenn auch die Hamburger nicht alle so grosse Kenner und Liebhaber der Musik sind, als Sie und ich es wünschen möchten: so sind dagegen die meisten sehr gutherzige und umgängliche Personen, mit denen man ein angenehmes und vergnügtes Leben führen kann; und ich bin mit meiner gegenwärtigen Situation sehr zufrieden; freylich möchte ich mich zuweilen ein wenig schämen, wenn ein Mann von Geschmack und Einsicht zu uns kommt, der eine bessre musikalische Bewirthung verdiente, als womit wir ihm aufwarten können.“

[192] Nach diesem lenkte sich unser Gespräch auf die gelehrte Musik. Er sprach mit wenig Ehrerbietung von Canons, und sagte, es wäre trocknes, elendes, pedantisches Zeug, das ein jeder machen könnte, der seine Zeit damit verderben wollte. Ihm wäre es aber allemal ein sichrer Beweis, daß es demjenigen ganz und gar am Genie fehle, der sich mit einem so knechtischen Studieren abgeben, und in so unbedeutende Arbeiten, verliebt seyn könnte.

Er fragte mich, ob ich in Italien viel große Contrapunktisten angetroffen hätte? und auf meine verneinende Antwort, versetzte er: nun! es würde auch noch nicht viel sagen, wenn sie auch hätten; denn wenn man den Contrapunkt auch recht gut versteht, so gehören doch noch viel andre wesentliche Dinge dazu, wenn man ein guter Komponist werden will. Er sagte, er habe einst an Hasse geschrieben, er wäre der ligstigste Betrüger von der Welt; denn, in einer Partitur von zwanzig vorgezeichneten Stimmen, liesse er selten mehr als drey wirkliche arbeiten; und mit diesen wüßte er so himmlische Wirkungen hervorzubringen, als man niemals von einer vollgepfropften Partitur erwarten dürfte. Bey dieser Gelegenheit machte ich die Anmerkung, daß, wie ein weiser Mann bey einem Gespräche immer wartet, bis er eine Gelegenheit findet, etwas Zweckmässiges zu sagen, ehe er spricht; so sollte es ein guter Komponist eben so machen, wenn er die Füllstimmen schreibt. Und nicht gleich [193] den ewigen Schwätzern,[WS 7] welche immer Etwas sagen wollen, wo nichts zu sagen ist, die Zuhörer mit Noten die Ohren betäuben, die noch schlimmer sind, als die Nichtssagenden, welche in der Musik allen Gesang und Ausdruck verderben; wie eine grosse Gesellschaft, wo alle auf einmal reden, das Gespräch verdirbt, und man anstatt Vernunft, Witz und muntern Scherz nichts zu hören bekömmt, als Unsinn, Toben und Lärmen. – Er war völlig meiner Meinung.

Des Abends war Herr Ebeling so gütig, so viel hamburgische Musiker und Liebhaber zusammen zu bringen, als ihm möglich gewesen, um mich mit einem Concert zu tracktiren, und Herr Bach war da zum Presidio. Ich habe grosse Ursache für die viele Mühe dankbar zu sein, die man sich bey dieser Gelegenheit gab, mir ein Vergnügen zu schaffen. Es wurden verschiedene von Herrn Bachs Singekompositions gemacht, in welchen allen grosses Genie und grosse Originalität steckte, ob sie gleich nicht die Verschönerung erhielten, die Sänger von der ersten Classe möchten gegeben haben. Herr Bach hat ein deutsches Passionsoratorium in Musik gesetzt, und aus dieser vortrefflichen Komposition wurden heute Abend einige Stellen gemacht. Besonders ward ich von einem Chor[H 15] entzückt, welches in Ansehung der Modulation, der Ausarbeitung und der Wirkung, es wenigstens dem besten Chore in Händels unsterblichen Messias gleich that. Eine Adagioarie, da Petrus [194] innig weint, als ihn der Hahn zur Reue weckt, war so innig rührend, daß fast alle Zuhörer den Jünger mit ihren Thränen begleiteten.

Es wurden noch verschiedene Sinfonien, einzelne Arien und unter andern auch eine Flügel-Sonatina, mit Begleitung von Instrumenten, gemacht, die aus einer sehr angenehmen Vermischung von langsamen und Bravourasätzen bestund, in welchen die Instrumentisten viele Arbeit hatten. Und ob diese gleich nicht in so beständiger Uebung sind, als ein Orchester, das sich völlig eingespielt hat; so machten sie doch einige sehr schwere Stücke, mit einem ziemlichen Grade von Accuratesse.

Es ist, um die Biegsamkeit eines Genies zu beweisen, daß ich der Sing- und vermischten Komposition des Herrn Kapellmeister Bachs erwähne. Aber nicht sowohl darauf, als auf seine Arbeiten für sein eignes Instrument, das Clavier und Fortepiano, möchte ich seinen Ruhm gründen; denn hier steht er allein, ohne einen Nebenbuhler,[H 16] und hiervon werde ich hernach Gelegenheit haben zu sprechen. Was seine übrige Komposition betrift: so haben vielleicht andre ebenso gute Arien, Chöre und Sinfonien gemacht. Sein Genie ist zwar allgemein für jedes Fach in der Musik, allein er hat weder die Uebung und Erfahrung, noch die Sänger und das Orchester, wofür er schreiben könnte, als andre vor ihm gehabt haben. Indessen muß ein jeder aufrichtiger Hörer und Bemerker in [195] seinen unbeträchtlichsten Arbeiten jeder Gattung, solche Originalzüge in der Modulation, dem Accompagnement oder der Melodie entdecken, welche ein großes und erhabnes Genie beweisen.


Den 11. October. Den heutigen Tag brachte ich sehr angenehmer Weise auf einem Gartenhause des Herrn John Hanbury Esq. in der Nachbarschaft von Hamburg zu, woselbst die wahre englische Gastfreyheit herrscht. Der Resident unsers Hofes am niedersächsischen Krayse, Herr Mathias, nahm mich mit hinaus. Ich hatte Empfehlungsschreiben an den Herrn Residenten, und er beehrte mich mit eben so vieler Gewogenheit und Gefälligkeit, als Sr. Majestät unsers Königs Minister in andern Gegenden Deutschlands gethan hatten.

Bey der Zurückfahrt nach der Stadt von der altonaischen Seite, war eine solche Menge von Leuten, welche den Weg hin und her schlenderten, weil es ein Sonntag war, daß es ungemein schwer hielt mit dem Wagen durchs Thor zu kommen. Es gab mir einen hohen Begriff von der Volkmenge in Hamburg: und auf mein Nachfragen wollte man mich versichern, die Stadt habe 120000 Einwohner innerhalb den Ringmauren, und 80000 ausserhalb denselben.[H 17] Die gemeinen Leute waren heute sauber gekleidet, und man sahe ihnen keinen Mangel an. Ein Anblick, der mir auf meinen Reisen nicht häufig vorgekommen ist.

[196] Diesen Abend führte man mich nach einem Concerte im Hause des Herrn Westphal, ein redlicher und angesehener Musikalienhändler. Ich fand hier grosse Gesellschaft und viele Spieler, die aber grössten Theils aus Liebhabern bestunden. Diese Art von Concerten sind gewöhnlich mehr zum Vergnügen der spielenden Personen, als der Zuhörer. Indessen fand ich hier einige junge Musiker, welche auf ihren verschiedenen Instrumenten eine vielversprechende Fertigkeit zeigten, und die es durch Geduld und Erfahrung sehr weit bringen können. Uebrigens sind solche musikalische Gesellschaften noch mehr als andre in Gefahr, in eine Anarchie auszuarten, wenn sie nicht von einem geschickten Meister in Ordnung erhalten werden,[WS 8] der sein Ansehn zu behaupten weiß.

Montag, den 12ten. Dies war einer der geschäftigsten Tage auf meiner deutschen Reise. Den frühen Morgen brachte ich bey den Merkwürdigkeiten meines Freundes, Herrn Ebeling, und das Uebrige desselben in Herrn Westphals musikalischen Waarenlager zu. Herr Westphal steht mit allen bekannten Musikdruckern und Händlern in Europa in Briefwechsel und Handel; daher ist sein Catalogus nicht bloß lokal und auf Hamburg oder selbst auf Deutschland eingeschränkt, sondern ist general und für ganz Europa. Ausser gedruckten und gestochnen Sachen hat er eine große Sammlung geschriebner Musikalien, die er zu sehr billigen Preisen [197] verkauft. Es war mir izt nicht möglich, nur den halben Innhalt seines Verzeichnisses zu untersuchen, eh’ es Zeit wurde zu Herrn Bach zu gehen, bey dem ich mich zum Mittagsessen und auf den ganzen Tag versagt hatte.

Allein, eh’ ich meine Leser mit den Talenten und dem Charakter dieses vortrefflichen Tonkünstlers genauer bekannt mache, will ich ihnen einige wenige Umstände aus seinem Leben vorlegen, welches durch eine Liste von seinen Werken wichtiger werden wird, als durch seine Begebenheiten.

Wenn die Erzählung von den stillen oder fruchtvollen Arbeiten eines Genies am Schreibpulte, ein Buch ebenso unterhaltend machen könnten, als die öffentlichen Thaten im Felde: so, würde die Lebensbeschreibung eines Philosophen, eines Gelehrten oder eines Künstlers, eben so begierig gelesen werden, als die Leben und Thaten eines Cäsars oder Alexanders.

So aber erfährt itzt die Nachwelt genau Tag und Stunde, wann Städte verwüstet oder Armeen geschlagen sind; hingegen ist man selten bekümmert die Zeit richtig anzumerken, in welcher die nützlichsten Entdeckungen für die Menschheit gemacht, oder die grössesten Produkte des Genies gezeugt worden.

Man würde also denjenigen für einen sehr elenden Biographen halten, der in dem Leben eines [198] Tonkünstlers umständlich das Jahr, den Tag, die Stunden und den Ort bemerkte, wo diese oder jene Sonate komponiert wurde, ob solche gleich wegen ihrer Vortrefflichkeit sicher wäre, Liebhaber der Musik so lange zu entzücken, als das gegenwärtige System der Harmonie Bestand haben wird.

Und dennoch lieset man einen Geschichtsschreiber mit einer Art von unmenschlichem Vergnügen, der uns in dem Laufe der Begebenheiten erzählt, um welche Zeit Thomas Kuli-kan, oder sonst ein andrer Tyran, seinen Entwurf zu einer Schlacht machte, in welcher ein solches Gemetzle entstund, daß die Menschlichkeit so lange dafür erschrecken und schaudern muß, als die Erzählung davon die Geschichtbücher des menschlichen Geschlechts beflecken wird. –




Carl Philip Emanuel Bach, zweyter Sohn – –[WS 9]

(Man ist immer am besten daran, wenn man aus der Quelle schöpfen kann; – Der Uebersetzer des gegenwärtigen Buches, glaubte, die Leser würden die Lebensumstände dieses Mannes, wo nicht lieber, doch gewiß eben so lieb, von ihm selbst erzählen hören. Sollten einige Anmerkungen des Herrn D. Burney darüber verlohren gehen, so wird die simple Wahrheit hingegen dabey gewinnen. [199] Der Herr Kapellmeister Bach hat sich durch seine gütige Freundschaft gegen mich bewegen lassen, mir folgendes mitzutheilen. Ich darf wohl nicht erst anmerken, daß es den Liebhabern des Claviers und der bachischen Komposition angenehm seyn muß, hierdurch ein zuverlässiges Verzeichnis aller der Arbeiten zu erhalten, die er für die seinigen erkennt.)




Ich, Carl Philip Emanuel Bach, bin 1714 im März, in Weimar gebohren. Mein seliger Vater war Johann Sebastian, Kapellmeister einiger Höfe, und zuletzt Musikdirektor in Leipzig. Meine Mutter war Maria Barbara Bachin, jüngste Tochter, von Johann Michael Bachen, einen gründlichen Komponisten. Nach geendigten Schulstudien auf der leipziger Thomasschule, habe ich die Rechte sowohl in Leipzig als nachher in Frankfurt an der Oder studiert, und dabey am letztern Orte sowohl eine musikalische Akademie als auch alle damals vorfallenden öffentlichen Musiken bei Feyerlichkeiten dirigiert und komponiert. In der Komposition und im Clavierspielen habe ich nie einen andern Lehrmeister gehabt, als meinen Vater. Als ich 1738 meine akademischen Jahre endigte und nach Berlin ging, bekam ich eine sehr vortheilhafte Gelegenheit einen jungen Herrn in fremde Länder zu führen: ein unvermutheter gnädiger Ruf zum damaligen Kronprinzen von Preussen, [200] jetzigen König, nach Ruppin, machte, daß meine vorhabende Reise rückgängig wurde. Gewisse Umstände machten jedoch, daß ich erst 1740 bey Antritt der Regierung Sr. preussischen Majestät förmlich in Dessen Dienste trat, und die Gnade hatte, das erste Flötensolo, was Sie als König spielten, in Charlottenburg mit dem Flügel ganz allein zu begleiten. Von dieser Zeit an, bis 1767 im November, bin ich beständig in preussischen Diensten gewesen, ohngeachtet ich ein paarmal Gelegenheit hatte, vortheilhaften Rufen anderswohin zu folgen. Se. Majestät waren so gnädig, alles dieses durch eine ansehnliche Zulage meines Gehalts zu vereiteln. 1767 erhielte ich die Vocation nach Hamburg, als Musikdirektor an die Stelle des seligen Herrn Kapellmeisters Telemanns! Ich erhielte nach wiederholter allerunterthänigsten Vorstellung, meinen Abschied vom Könige, und die Schwester des Königes, der Prinzessinn Amalia von Preußen Hoheit, thaten mir die Gnade, mich zu Höchstdero Kapellmeister bey meiner Abreise zu ernennen. Ich habe zwar, seit meinem Hierseyn wiederum ein paarmal sehr vortheilhafte Rufe anderswohin gehabt, ich habe sie aber jederzeit abgeschrieben. Meine preussischen Dienste haben mir nie so viele Zeit übrig gelassen, in fremde Länder zu reisen. Ich bin also in Deutschland geblieben und habe nur in diesem meinem Vaterlande einige Reisen gethan. Dieser Mangel an auswärtigen Reisen, [201] würde mir bey meinem Metier mehr schädlich gewesen seyn, wenn ich nicht von Jugend an das besondre Glück gehabt hätte, in der Nähe das Vortreflichste von aller Art von Musik zu hören und sehr viele Bekanntschaften mit Meistern vom ersten Range zu machen, und zum Theil ihre Freundschaft zu erhalten. In meiner Jugend hatte ich diesen Vortheil schon in Leipzig, denn es reisete nicht leicht ein Meister in der Musik durch diesen Ort, ohne meinen Vater kennen zu lernen und sich vor ihm hören zu lassen. Die Größe dieses meines Vaters in der Komposition, im Orgel und Clavierspielen, welche ihm eigen war, war viel zu bekannt, als daß ein Musikus vom Ansehen, die Gelegenheit, wenn es nur möglich war, hätte vorbey lassen sollen, diesen großen Mann näher kennen zu lernen. Von allem dem, was besonders in Berlin und Dresden zu hören war, brauche ich nicht viele Worte zu machen; wer kennt den Zeitpunkt nicht, im welchem mit der Musik sowohl überhaupt als besonders mit der accuratesten und feinsten Ausführung derselben, eine neue Periode sich gleichsam anfieng, wodurch die Tonkunst zu einer solchen Höhe stieg, wovon ich nach meiner Empfindung befürchte, daß sie gewissermassen schon viel verlohren habe. Ich glaube mit vielen einsichtsvollen Männern, daß das itzt so beliebte Komische, hieran den größten Antheil habe. Ohne Männer anzuführen, welchen man vielleicht vorwerfen könnte, daß sie entweder gar nichts, oder [202] nur wenig Komisches gemacht haben, will ich einen der itztlebenden größten Meister im Komischen, Signor Galuppi, nennen, welcher mir in meinem Hause zu Berlin vollkommen beypflichtete und einiger sehr lächerlichen Vorfälle, welche er sogar in einigen Kirchen Italiens erlebt hatte, bey dieser Gelegenheit erwähnte. Genug ich mußte mich begnügen, und begnügte mich auch sehr gerne, ausser den grossen Meistern unsers Vaterlandes, das Vortreffliche von aller Art zu hören, was die fremden Gegenden uns nach Deutschland herausschickten; und ich glaube nicht, daß ein Artikel in der Musik übrig sey, wovon ich nicht einige der größten Meister gehört habe.

Es sollte mir nicht schwer fallen, einen grossen Raum von blossen Namen der Komponisten, Sängerinnen, Sänger und Instrumentisten von aller Art auszufüllen, wenn ich weitläufig seyn und mein Gedächtniß anstrengen wollte, welche ich habe kennen gelernt. Soviel weiß ich gewiß, daß sich darunter Genies finden, welche noch nicht in dieser Art und Grösse wiedergekommen sind. Diesem allen ohngeachtet, läugne ich nicht, daß es mir ungemein lieb und auch vortheilhaft würde gewesen seyn, wenn ich hätte können Gelegenheit haben, fremde Länder zu besuchen.

Anno 1744 habe ich mich in Berlin mit Jungfer Johanna Maria Dannemannin, eines dasigen [203] damals lebenden Weinhändlers jüngsten Tochter verheyrathet, und aus dieser Ehe 2 Söhne und eine Tochter am Leben. Der älteste Sohn prakticirt hier als Liecentiat Juris, die Tochter ist noch bey mir zu Hause, und mein jüngster Sohn ist itzt in Sachsen und studiert auf den Mahlerakademien in Leipzig und Dresden, sein Hauptmetier, die Mahlerey. Mit meinem Wissen und Willen sind folgende Arbeiten von mir im Druck erschienen:

(1) Anno 1731 eine Menuet mit übergeschlagenen Händen aufs Clavier gesetzt. Eine natürliche und damals sehr eingerissene Hexerey. Diese Menuet habe ich selbst in Kupfer radiert.
(2) 1742, sechs in Nürnberg von Schmidt gestochene und verlegte Claviersonaten.
(3) 1744, sechs von Hafnern in Nürnberg verlegte Claviersonaten.
(4) 1745, ein Flügelconcert mit Begleitung aus dem D dur, in Schmidts Verlage zu Nürnberg.
(5) 1751, von demselben Verlage, zwey Trio, wovon das erste aus dem C moll mit 2 Violinen und Baß mit Anmerkungen, und das Zweyte aus dem B dur mit einer Flöte, Violin und Baß ist.
(6) 1752, von demselben Verlage, ein Flügelconcert aus dem B dur mit Begleitung.
(7) 1753, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mit Exempeln und 6 Sonaten [204] in 26 Kupfertafeln, erster Theil, in Verlag des Verfassers.
(8) Von 1755 bis 1765 hat Hafner in Nürnberg in seinen Miscellanwerken, 10 Claviersonaten, von mir, nemlich: F dur, D moll, E dur, B dur, H moll, C dur, B dur, A dur, A moll, und E dur, drucken lassen.
(9) 1757 und 1758, sind in der Breitkopfischen Raccolta 2 Claviersonaten von mir, nemlich: D dur, und D moll, nebst einigen einzeln Clavierstücken und einer Fuge, gedruckt erschienen.
(10) 1758, ist eine zweystimmige Clavierfuge von mir aus dem D moll von Marpurgen in seiner Fugensammlung gedruckt worden.
(11) 1759, hat Winter in Berlin meine Melodien zu Gellerts geistlichen Liedern gedruckt.
(12) 1758, sind meine 12 kleinen und 2 und 3 stimmigen kurzen Stücke in Taschenformat bei Wintern, herausgekommen.
(13) 1759, kam der erste Theil meiner Reprisensonaten bey Wintern heraus.
(14) 1759, hat Schmidt in Nürnberg eine Sinfonie mit 2 Violin, einer Bratsche und Baß, aus dem E moll, von mir, in Kupfer gestochen.
(15) 1760, hat Winter ein Flügelconcert von mir, aus dem E dur, gedruckt.
(16) 1761, hat derselbe die Fortsetzung meiner Claviersonaten gleichfalls gedruckt.

[205] (17) 1761, kam von meinem Versuche in meinen Verlage der 2te Theil, welcher die Lehre des Accompagnements und der freyen Fantasie abhandelte, heraus.
(18) 1761, gab Wever in Berlin eine Odensammlung von mir im Drucke heraus. Bey Gelegenheit der Oden muß ich anmerken, daß schon vorher in der gräfischen, krausischen, langischen und breitkopfischen Odensammlung, von mir der gleichen anzutreffen sind.
(19) 1762, druckte Winter die zweyte Fortsetzung meiner Claviersonaten.
(20) 1764, kam bey demselben die erste Sonatine aus dem C dur fürs Clavier und mehreren Instrumenten, von mir heraus.
(21) Erschien in demselben Jahre bey ebendenselben, der Anhang zu Gellerts Oden.
(22) 1765, druckte Winter die 2te und 3te Sonatine, aus dem D moll und Es.
(23) 1765, kamen bey Breitkopfen, meine 6 leichten Claviersonaten heraus.
(24) 1765, druckte Birnstiel den ersten Theil der von mir gesammleten 4stimmigten Choräle meines Vaters.
(25) 1765, kam die erste Sammlung der Clavierstücke verschiedener Art, bey Wintern heraus.
(26) 1765, erschien ebenfalls durch Wintern, die erste Sammlung meiner 12 kleinen und kurzen Anfangsstücke fürs Clavier.

[206] (27) 1766, kam bey eben denselben, Philis und Thirsis, eine Cantate, von mir im Druck heraus. Ferner:
(28) Erschienen bey Wintern, ebenfalls in demselben Jahre, der Wirth und die Gäste, eine gleimische Singode.
(29) 1768, druckte Winter, die 2te Sammelung meiner 12 kleinen und kurzen Anfangsstücke fürs Clavier.
(30) 1770, gab Hummel in Amsterdam, meine Sonaten für Damens im Stiche heraus,
(31) 1771, kam hier bey Bocken, das musikalische Vielerley heraus, welches ich besorgt hatte und worinnen viele Arbeiten von mir stehen.

Ich muß bey dieser Gelegenheit, da ich alles von mir gedruckte anführen soll, erwähnen, daß im dritten Bande, der marpurgischen Beyträge, ein canonischer Einfall, in desselben Abhandlung von der Fuge, unterschiedene dahin gehörige Exempel und Canons, besonders alle diejenigen Exempel, welche zu Ende des 2ten Theiles den Beytrag zum ersten Theile betreffen, und veranlasset haben, von mir zu finden sind. In den marpurgischen kritischen Briefen, in dem musikalischen Allerley und Mancherley, in Marpurgs praktischen Unterricht vom Clavierspielen, in Wevers Tonstücken, in Birnstiels Nebenstunden und kleinen Clavierstücken, in Speuers Clavierstücken, in den Unterhaltungen und in der münterschen Sammlung [207] geistlicher Lieder, stehen auch viele meiner Arbeiten. Der 2te Versuch in Hexametern ist auch von mir.

(32) 1770, stach hier Schönemann 12 zwey und 3stimmige kleine Stücke im Taschenformat, von mir in Kupfer.
(33) 1772, kamen in meinem Verlage 6 leichte Flügelconcerte mit Begleitung, im Drucke heraus.
(34) 1773, habe ich auf Verlangen, sechs vierstimmige Sinfonien gesetzt.

Singestücke für die Kirche und unterschiedene Feyerlichkeiten habe ich in ziemlicher Anzahl verfertiget, es ist aber nichts davon gedruckt worden. Ueberhaupt bestehen meine Kompositionen ohngefehr, in ein Paar Dutzend Sinfonien; in 30 Trios fürs Clavier und andere Instrumente; in 18 Solos für andere Instrumente, als das Clavier; in 12 Sonatinen für ein Clavier, mit Begleitung; in 49 Concerten fürs Clavier und andre Instrumente, (welche letzten ich aber auch aufs Clavier gesetzt habe,) unter den Flügelconcerten ist eins mit 2 Flügeln; in 170 Solos fürs Clavier, welches mehrentheils Sonaten sind, einige darunter bestehen aus kleinen Sammlungen charackterisirter und anderer kleinen Stücke, aus Concerten, Sinfonien und Fugen. [208] Weil ich meine meisten Arbeiten für gewisse Personen und fürs Publikum habe machen müssen, so bin ich dadurch allezeit mehr gebunden gewesen, als bey den wenigen Stücken, welche ich bloß für mich verfertigt habe. Ich habe sogar bisweilen lächerlichen Vorschriften folgen müssen; indessen kann es seyn, daß dergleichen nicht eben angenehme Umstände mein Genie zu gewissen Erfindungen aufgefodert haben, worauf ich vielleicht ausserdem nicht würde gefallen seyn.

Da ich niemahls die allzugroße Einförmigkeit in der Komposition und im Geschmack geliebet habe, da ich so viel und so verschieden Gutes gehört habe, da ich jederzeit der Meinung gewesen bin, man möge das Gute, es stecke wo es wolle, wenn es auch nur in geringer Dosi in einem Stücke anzutreffen ist, annehmen: so ist vermuthlich dadurch und mit Beyhülfe meiner mir von Gott verliehenen natürlichen Fähigkeit, die Verschiedenheit in meinen Arbeiten entstanden, welche man an mir bemerkt haben will. Bey dieser Gelegenheit muß ich anführen, daß die Herrn Kritiker, wenn sie auch ohne Passionen, wie es doch selten geschieht, schreiben, sehr oft mit den Kompositionen, welche sie recensiren, zu unbarmherzig umgehen, weil sie die Umstände, die Vorschriften und Veranlassungen der Stücke nicht kennen. Wie gar sehr selten trift man bey einem Kritiker Empfindung, Wissenschaft, Ehrlichkeit und Muth im gehörigen Grade [209] an. Vier Eigenschaften, die in hinlänglichem Maasse bey jedem Kritiker schlechterdings seyn müssen. Es ist dahero sehr traurig für das Reich der Musik, daß die sonst sehr nützliche Kritik, oft eine Beschäftigung solcher Köpfe ist, die nicht mit allen diesen Eigenschaften begabt sind.

Unter allen meinen Arbeiten, besonders fürs Clavier, sind blos einige Trios, Solos und Concerte, welche ich mit aller Freyheit und zu meinem eignen Gebrauch gemacht habe.

Mein Hauptstudium ist besonders in den letzten Jahren dahingerichtet gewesen, auf dem Clavier, ohngeachtet des Mangels an Aushaltung, so viel möglich sangbar zu spielen und dafür zu setzen. Es ist diese Sache nicht so gar leicht, wenn man das Ohr nicht zu leer lassen, und die edle Einfalt des Gesanges durch zu vieles Geräusch nicht verderben will.

Mich deucht, die Musik müsse vornemlich das Herz rühren, und dahin bringt es ein Clavierspieler nie durch blosses Poltern, Trommeln und Harpeggiren, wenigstens bey mir nicht.[WS 10]




Man muß gestehen, daß der Styl dieses Komponisten so sehr von den übrigen abweicht, daß [210] man sich nothwendig erst ein wenig daran gewöhnen muß, eh man ihn recht empfinden kann. Quintilian hielt es für ein Zeichen, daß ein junger Redner in seinen Studien fleissig gewesen, wenn er den Werken des Cicero Geschmack abgewonnen hatte; und Bachs Werke können zum Probiersteine dienen, ob ein junger Musikus Geschmack und Urtheil hat. Man hat seine Stücke beschuldigt, daß sie lang,[H 18] schwer, tiefsinnig und weit hergesucht wären. Ueber den ersten Punkt läßt sich nicht so viel für ihn sagen, als über die andern; dennoch läßt sich der Fehler entschuldigen: denn Länge wird in Deutschland von einer musikalischen Komposition so sehr erwartet, daß man einen Autor für arm an Ideen hält, der eher aufhört, bis er alles gesagt hat, was sich über sein Subjekt[H 19] sagen läßt.[H 20]

Leicht und Schwer sind relative Ausdrücke; das Wort, welches eine Person ohne Erziehung für schwer hält, kann für einen Gelehrten sehr gemein und ihm geläufig seyn. Die Werke unsers Verfassers sind nicht sowohl schwer zu spielen, als gehörig auszudrücken. Was das Tiefsinnige und Weithergesuchte anbetrift, so können [211] diese Beschuldigungen sehr gemildert werden, wenn man dagegen in Betrachtung zieht, daß seine kühnsten Züge, sowohl in der Melodie als in der Modulation, niemals gegen die Regeln sind, und beständig von grosser Gelehrsamkeit unterstützet werden; und daß sein Flug kein wüstes Schwärmen der Unwissenheit und Raserey, sondern die Ergiessung eines kultivirten Genies ist. Bey genauer Untersuchung also wird man finden, daß seine Kompositions so reichhaltig an Erfindung, Geschmack und Gelehrsamkeit sind, daß bey allem was ihnen übelgesinnte Kritiker zur Last legen wollen, jede Zeile, die man einzeln heraushebt, mehr neue Ideen an die Hand geben kann, als man in ganzen Seiten mancher Komponisten vergebens suchen würde, welche doch mit Beyfall aufgenommen sind.




Als ich nach seinem Hause kam, fand ich ihn mit drei oder vier vernünftigen und wohlerzogenen Personen, von seinen Freunden[H 21], ausser seiner [212] Familie, die aus Madame Bach, seinem Sohn den Licentiaten, und seiner Tochter bestund. Der jüngste Sohn hält sich in Leipzig und Dresden auf, um die Mahlerey zu studiren. Den Augenblick, da ich ins Haus trat, führte er mich die Treppen hinauf in ein schönes grosses Musikzimmer, welches mit mehr als hundert und funfzig Bildnissen von grossen Tonkünstlern, theils gemahlt, theils in Kupfer gestochen, ausgeziert war. Ich fand darunter viele Engländer und unter andern auch ein Paar Originalgemählde in Oel von seinem Vater und Großvater. Nachdem ich solche besehen hatte, war Herr Bach so verbindlich, sich an sein Lieblingsinstrument, ein Silbermannisches Clavier[WS 11] zu setzen, auf welchem er drey oder viere von seinen besten und schweresten Kompositions, mit der Delikatesse, mit der Precision und mit den Feur spielte, wegen welcher er unter seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist. Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiß er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein ihm, möglich ist hervorzubringen.

Nach der Mahlzeit, welche mit Geschmack bereitet, und mit heiterem Vergnügen verzehrt wurde, erhielt ichs von ihm, daß er sich abermals ans Clavier setzte; und er spielte, ohne daß er lange dazwischen [213] aufhörte, fast bis um Eilf Uhr des Abends. Während dieser Zeit gerieth er dergestalt in Feuer und wahre Begeistrung, daß er nicht nur spielte, sondern die Miene eines ausser sich Entzückten bekam. Seine Augen stunden unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich um ihren Gefährten nicht weiter zu bekümmern, als nur so weit er ihr zur Befriedigung ihrer Leidenschaft behülflich war. Er sagte hernach, wenn er auf diese Weise öfter in Arbeit gesetzt würde, so würde er wieder jung werden. Er ist itzt neun und funfzig[WS 12] Jahr alt, ist eher kurz als lang von Wuchs, hat schwarze Haare und Augen, eine bräunliche Gesichtsfarbe, eine sehr beseelte Miene, und ist dabey munter und lebhaft von Gemüth.

Sein heutiges Spielen bestärkte meine Meinung, die ich von ihm aus seinen Werken gefaßt hatte, daß er nemlich nicht nur der grösseste Komponist für Clavierinstrumente ist, der jemals gelebt hat, sondern auch, im Punkte des Ausdrucks, der beste Spieler. Denn, andre können vielleicht eine eben so schnelle Fertigkeit haben. Indessen ist er in jedem Style ein Meister, ob er sich gleich hauptsächlich dem Ausdrucksvollen widmet. Er ist, glaub ich, gelehrter als selbst sein Vater,[H 22] [214] so oft er will, und läßt ihn, in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Modulation, weit hinter sich zurück. Seine Fugen sind allemal über neue und sinnreiche Subjekte, und er bearbeitet solche mit eben so viel Kunst als Genie.

Unter verschiedenen andern Sachen spielte er mir auch seine sechs Concerte vor, die er neulich auf Subscription herausgegeben, und in welchen er sich bestrebt hat, leicht zu setzen, und zwar oft, wie ich glaube, auf Kosten seiner gewöhnlichen Art original zu seyn. Indessen leuchtet der grosse Tonmeister aus jedem Satze hervor, und vermuthlich wird dieses Werk um desto mehr mit Beyfall aufgenommen werden, als es mehr Aehnlichkeit mit der Musik aus dieser Welt hat, wie seine vorigen Sachen, die für eine andre Sphäre, wenigstens für ein andres Jahrhundert gemacht zu seyn scheinen, in welchem man vielleicht dasjenige für leicht und natürlich hält, wovon man itzt sagt, es sey schwer und weithergesucht.

In den Charakteren des jüngern Scarlatti und Emanuel Bachs sind sich verschiedene Züge sehr ähnlich. Beyde hatten grosse und berühmte Komponisten zu Vätern, welche von allen ihren Zeitgenossen für das Panier der Vollkommenheit gehalten wurden, nur nicht von ihren Söhnen, welche neue Wege zum Ruhme zu entdecken wußten. Domenico Scarlatti wagte schon vor funfzig [215] Jahren Noten von Wirkung und Geschmack, an die andre Musiker erst vor kurzer Zeit gelangt sind, und mit welchen das Ohr des Publikums sich erst seit kurzem vertragen hat. Emanuel Bach scheint gleichfals sein Zeitalter hinter sich zurück zu lassen.

Herr Bach zeigte mir zwey geschriebene Bücher von seines Vaters Komposition, die er schon lange für seine Schüler gemacht hatte. Jedes Buch enthielt vier und zwanzig Vorspiele und vier und zwanzig Fugen aus allen Tonarten, worunter einige fünfstimmig und sehr schwer waren. Er schenkte mir verschiedene von seinen eignen Sachen, und drey oder vier seltne alte Bücher und Abhandlungen über die Musik, aus seines Vaters Sammlung, und versprach mir dabey, in Zukunft mir allemahl mit mehrern an die Hand zu gehen, wenn ich ihm nur schreiben wollte, was ich nöthig hätte.

Dienstag, den 13. Diesen Vormittag brachte ich ganz damit zu, Kirchen zu besehen und Orgeln zu hören, und Herr Bach war so gütig, mich herum zu führen. Das erste Werk, das wir hörten, war die Orgel in der neuen Michaliskirche, welches ein Geschmackvolles und prächtiges Gebäude ist.

Der bekannte Legationsrath Mattheson, vermachte alles sein Vermögen an diese Kirche, mit [216] der Bedingung, daß dafür eine Orgel, nach dem Plane, den er in seinem Tastamente davon angegeben, gebauet werden sollte. Sie ist erst seit Kurzem fertig geworden, und ist nach meiner Meinung die grösseste und vollständigste in Europa. Sie kostet an 47000 Mark. Herr Hildebrand hat sie gebauet. Es ist ein zwey und dreissigfüssiges Werk; hat drey Manuale die oben bis ins hohe F gehen, und das Pedal gehet herunter bis ins doppelte C. Die Claves sind mit Perlemutter und Schildpatt belegt. Die Einfassung ist reich an Zierrathen, die mir aber nicht nach den besten Geschmack vorkommen.

Das Werk hat vier und sechzig Register, unter welchen die Flöte, aus so viel würklichen Flöten besteht, als sie Töne hat. Die übrigen Register sind in ihrer Art gut, und das volle Werk mit der Gemeine ist der edelste Chorus, den man sich einbilden kann. Er fällt aber mehr auf durch seine Stärke und den Reichthum der Harmonie, als durch eine klare und deutliche Melodie, welche nach dem in allen deutschen Kirchen üblichen Gebrauche mit einem Gewühle von Accompagnements überladen werden muß. Herr Hartmann, ein Musikliebhaber[H 23] hatte die Gefälligkeit, dieses Instrument ziemlich lange zu bespielen, um [217] es mich durchgängig hören zu lassen. Herr Bach hat in so langer Zeit nicht mehr auf der Orgel gespielt, daß er sagt, er wisse nichts mehr auf dem Pedal zu machen, welches durch ganz Deutschland für so wesentlich nothwendig gehalten wird, daß man den für keinen guten Organisten achtet, der es nicht zu gebrauchen weiß. Man hat an diesem Instrumente einen Schweller anbringen wollen, aber er ist nicht sonderlich geglückt. Es sind bloß drey Register darauf gesetzt, und das Crescendo und Diminuendo ist dadurch so gering, daß ichs nicht bemerkt haben würde, wenn mirs nicht gesagt worden wäre.

Oben an der Fronte der Orgel steht Matthesons Portrait und an der Galleriefronte ließt man eine schöne altmodische lateinische Inscription, welche Nachricht von seinem Vermächtniß giebt. Dieser gute Mann war mehr mit Pedanterie und wunderlichen Einfällen begabt, als mit wahrem Genie. In einer von seinen Singekompositionen für die Kirche, wo im Texte das Wort Regenbogen vorkam, gab er sich unendliche Mühe, daß die Noten in seiner Partitur, die Gestalt eines Bogens bekamen. Dies mag ein Pröbchen seyn, von seinem Gschmack und Urtheil, in Ansehung dessen, was man schicklicher Weise in der Musik ausdrücken und nachahmen kann.

Seinem Testamente zufolge ward an seinem Begräbnißtage eine Trauermusik in der Kirche aufgeführt, [218] die er selbst zu diesem Endzwecke komponirt hatte. Man that aber nichts weniger als Weinen, als man solche in ihrer altfränkischen Weise hörte. Indessen besaß er nicht wenig musikalische Erudition, und ward in seinen jungen Jahren seinen Landsleuten dadurch sehr nützlich, daß er sie mit Musiken aus andern Gegenden der Welt bekannt machte, und einen Styl unter ihnen einführte, der besser war, als ihr eigner. Er war weniger in den Fugenkram verliebt, als seine Zeitgenossen; in seinen letzten Jahren ward er aber ein blosser Theoriker ohne Geschmack und Empfindungen.[H 24]

Hamburg hat nicht weniger als fünf zwey und dreissigfüssige Orgeln: Drey darunter sind von Schnitker[WS 13] gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts gebauet, welche sowohl im vollem Werke, als an schön klingenden Registern vortreflich sind. Diese befinden sich in der Jacobi- der Nicolai- und Johanniskirche.

Die Orgel in der Sanct Peterskirche ist die älteste in der Stadt; man weiß nicht, wann sie [219] zuerst gebauet ist; das aber weiß man, daß die beyden letzten Manuale, (sie hat viere) zu Herzogenbusch 1548 von Meister Nargenhost, gemacht, und zu Wasser hierher geschickt sind. Das findet sich noch im Kirchenregister, wie mir Herr Pfeifer erzählte. Einige von den Stimmen sind gar vortreflich, besonders die Voxhumana. Sie gleicht zwar keiner Menschenstimme, die Lieblichkeit ihres Tons hat aber viel Aehnliches mit der bessern Art von Clarinetten. Herr Pfeifer ist schon bey Jahren; er muß aber in seiner Jugend ein sehr brillanter Spieler gewesen seyn. Er hat auch noch mehr Fertigkeit, sowohl in Händen, als Füssen, als ich noch jemals bey einem Manne von seinem Alter gefunden habe.

Des Nachmittags ward ich mit Signor Ansani bekannt gemacht. Er ist einer unter den ersten Sängern von Italien; hat sich zwey oder drey Jahre in Koppenhagen aufgehalten, und war itzt im Begriff nach Holland zu gehen. Er hat eine sehr schöne Tenorstimme; ist lang, schmächtig und übrigens von guter Bildung. Er accompagnirte sich selbst verschiedne Arien auf dem Flügel und zeigte nicht allein im Adagio viel Geschmack und Ausdruck, sondern sang auch das Allegro sehr nett; denn er weiß in den Bravurarien die schnellesten Passagien herauszubringen. Er ist für die ernsthafte Singart, und in seiner Gattung hab’ ich noch keinen bessern Sänger gehört. Er [220] hat einen grossen Umfang der Stimme[H 25], welche übrigens stark und angenehm ist. Sein Triller ist ein wenig zu eng, sonst würde ichs wagen, ihn einen vollkommnen Tenorsänger zu nennen.

Nachdem ich in Hamburg so freundschaftlich aufgenommen worden, und so thätigen Beystand in meinen musikalischen Nachforschungen gefunden hatte, ging mirs sehr nahe, daß es mir nicht möglich war, länger in dieser Stadt zu bleiben. Aber die Zeit war verflossen, die ich zu einer Reise durch die Gegenden Deutschlands ausgesetzt hatte, wo die Musik am meisten kultivirt worden ist, und ich war endlich genöthigt, mein Angesicht wieder nach England zu richten.

Anmerkungen

  1. Die Herrn Büsch und Ebeling haben bei dieser Unternehmung den Beystand von neun verschiedenen Meistern, wovon zweene in jedem Zweige des Handels wohl erfahrene Kaufleute sind. Ich habe die [189] jungen Leute besucht, und bin bei ihren verschiedenen Lehrstunden gegenwärtig gewesen, aber ich habe noch nirgend so viel Ordnung, Fleiß und Anstand unter studierenden Jünglingen gefunden, und die dabey unter so wenigem Zwange zu stehen schienen. Ihre Anzahl ist gegenwärtig schon ziemlich groß, und besteht aus angesehener Leute Söhnen aus Spanien, Frankreich, England, Holland, Rußland und aus verschiedenen Gegenden Deutschlands. Es werden nur zwey Jahre erfodert, um ihr merkantiles Studium zu Ende zu bringen, binnen welcher Zeit sie, bei einem mäßig guten Genie, von Sprachen und dem Handel so viel gelernt haben, als hinlänglich ist, um mit Nutzen auf einem Handlungscomptoir gebraucht zu werden. Eben die Sorgfalt, die auf ihren Unterricht in Handlungsgeschäften verwandt wird, trägt man auch für diese jungen Leute, um sie auf den Umgang mit der Welt vorzubereiten, indem man sie zu vernünftigen und liebenswürdigen Gesellschaftern zu bilden sucht. Die ganze Ausgabe für Kost, Unterricht und Wohnung beträgt jährlich, 1000 Mark Lübisch.

Anmerkungen (H)

  1. Der itzige Verfasser des gelehrten Artikels im altonaischen Reichspostreuter, (der sein Blatt zum Dienste gewisser Skribbler bereit hält, wie etwan eine alte Büchse beym Scheiben- oder Vogelschiessen, wo man dem Verleiher etliche Groschen bezahlt, zielt, abdrückt und, getroffen oder nicht getroffen, mit der Büchse weiter nicht zu thun hat.) ließ neulich an sich schreiben, um Herrn Wieland einen weidlichen Fehler zu zeigen, daß er die ersten hamburgischen Opern nicht als deutsche Opern aufgezählt hätte! Wieland sollte in dem Sinne, wie er von deutschen Opern sprach – O des weisen Verfassers des gelehrten Artikels im Reichspostreuter! der die Geschichte des hamburgischen Theaters so gut inne hat, wie er sich schreiben läßt!
  2. Siehe die Note auf angeführter Seite.
  3. Es könnte also vierfach heissen, denn er war gar kein unbedeutender Clavierspieler.
  4. Das sagte Mattheson nicht. Er zählte alles, auch seine übersetzten Staatsschriften mit dazu; und unter den vorräthigen Mscpten zeigte er mir eine Abhandlung über die Psalmen Davids, wovon es mir vorkam, als ob er über die musikalische Seite derselben, viel Durchgedachtes gesagt hätte; freylich war er auch aus seinem Gleise gegangen, und hatte Texterklärungen machen wollen!
    Der Uebersetzer.
  5. [311] Händels Leben, aus dem Englischen übersetzt, mit vielen Anmerkungen und Zusätzen, von Mattheson. Hamburg 8vo, ist weit vollständiger, als in der Ehrenpforte. Für Matthesons Gedächtniß wäre es aber gut, wenn er die meisten Zusätze weggelassen hätte.
  6. In Matthesons Grundlage einer Ehrenpforte; woraus viele dieser Umstände entlehnt sind, heißt es über diesen und den folgenden Satz: „Wir bespielten daselbst [in Lübeck] fast alle Orgeln und Clavicimbel, und faßten, wegen unsers Spielens, einen besondern Schluß, dessen ich anderswo gedacht habe: daß nemlich er nur die Orgel und ich das Clavicimbel spielen wollte.“
  7. Das sagt nun Mattheson von dieser Zeit wirklich nicht. Er spricht von 1703, wenn er in der Ehrenpforte sagt: „die meiste Zeit ging er damals bey meinem seligen Vater zu freyem Tische, und eröfnete mir dafür einige besondre Contrapunktgriffe. Da ich ihm hergegen im dramatischen Styl keine geringen Dienste that, und eine Hand die andre wusch.“ Man sollte bedenken, Matthesons Uebersetzer, hätte, ohne Nebenabsichten, eben nicht nöthig, seinen Ausdruck zu verstärken.
    Der Uebersetzer.
  8. Ein Vertheidiger des französischen Geschmacks in der Musik, könnte hierinn etwas für seine Rechnung finden, wenn er die Anmerkung gebrauchte, daß Telemann im Jahr 1737 acht Monate lang in Paris, niemals aber in Italien gewesen ist.
    Der Uebersetzer
  9. [311] Von Telemann sagt der Verfasser viel zu wenig, weil er dies wahre Genie mit seinen vielen Tugenden und Fehlern nicht genug aus seinen Werken kannte. Schade, daß er nicht die Leichengedichte und Zeitungsartikel bey Telemanns Tode hatte. –
  10. Da Herr Ebeling in diesem Theile öfters mit verdientem Ruhme genannt wird, so finde ich bey dieser Stelle, wo der Herr Verfasser, seinem guten Herzen zu folge, auch meiner erwähnt, für schicklich, zu sagen, daß Herrn Ebelings Geschäfte ihm nicht erlaubt haben, die Uebersetzung dieser beyden letzten Bände zu übernehmen. Ich wünschte, daß das Publikum nichts mehr dabey verlieren möchte, als die Stelle hier, die mich selbst betrift, und die ich billig weglasse.
    Der Uebersetzer.
  11. [311] In der Nachricht, die hier Herr Burney davon giebt, sind ein paar kleine Fehler, die diejenigen, denen daran gelegen ist, aus der erneuerten Nachricht von dem hamburgischen [312] Institut, zur Erziehung und Vorübung des jungen Kaufmanns von J. G. Büsch, P. P. herausgegeben im Februar, 1773.“ leicht berichtigen können.
  12. Die Deutschen, die Milton und Klopstock verstehen, thun das nicht; so ein großes Compliment Herr Burney auch vielleicht dem deutschen Heldendichter dadurch zu machen gedacht hat.
  13. Poetical abilities sagt hier Herr Burney; bey Metastasio sagt er öfter genius! Aber er richtet nicht; und der Uebersetzer auch nicht.
  14. [286] Vom Hamburger Tonkünstlern, würde ich besonders wegen des Urtheils, daß Herr Burney im letzten Bande, S. 191. darüber fället, gerne eine umständlichere Nachricht geben, und sowohl Tonkünstler von Profession, als Musikliebhaber und Liebhaberinnen nennen, deren ganz unpartheyische Beschreibung diesem Urtheile alle Kraft benehmen würde. Allein, da ich Ursach zu besorgen habe, daß man mich errathen, Auswärtig, mich für partheyisch und diejenigen, die ich etwa aus Versehen nicht nennte, mich für ungerecht[WS 6] halten möchten, will ich nur überhaupt ein Paar Anmerkungen machen, ohne mich in etwas Besonders einzulassen. Sänger und Sängerinnen von der ersten Größe hat Hamburg, da es gegenwärtig keine Opern hat, und beym Gottesdienste Sängerinnen noch nicht gerne zugelassen werden will, keine Gelegenheit zu unterhalten. Da vor einigen Jahren die Subscriptionsconcerte den Winter durch im Gange waren, hätte Herrn Burney diesen Mangel gegen Hamburg nicht aufbringen sollen; und wäre er nur nicht so schnell, fast wie durch eine Poststation, durch gereist: so hätte er auch [287] Stimmen hören können. – Er hat gewiß Sängerinnen gelobt, die gewiß nicht besser sind, als die Liebhaberinnen, die ich hier in Gedanken habe, Die beyden Concerte die Herr Burney hier angehört hat, sollten ihn nicht verleitet haben, von dem Zustande der Musik in Hamburg überhaupt ein Urtheil zu sprechen. Sogar das Erste, was der Herr Magister Ebeling veranstaltete, war in der Eile zusammenberufen, und bestund halb aus Liebhabern. Von dem Zweyten, beym Herrn Westphal, hätte ich, wäre ich an seiner Stelle gewesen, nichts gesagt, weil Liebhaber, die Freyheit haben müssen, sich nach ihren Kräften zu vergnügen, sobald sie es nur unter sich thun, ohne Zuhörern zur Last fallen zu wollen. Und das war bey dem letzten gewiß die Meinung nicht, denn man hatte nicht darauf gerechnet, daß Herr Burney hinkommen würde. Ob indessen die Liebe zur Musik (vom Geschmack mag hier die Rede nicht seyn!) in Hamburg so gering sey, mag man daraus schliessen, daß sich hier gewiß über achtzig (einige wollen über hundert sagen) Personen befinden, die davon leben, daß sie Unterricht in der Musik geben. Daß dieses nicht alle Meister sind, ist leicht begreiflich; aber das ist auch wahr, daß man in Hamburg ein Orchester zusammen bringen kann, womit ein jeder Kenner zufrieden seyn wird. Besonders wird man selten bessre Notenleser antreffen; das haben noch alle Kapellmeister mit Verwundrung bezeugt, die mit Operngesellschaften [288] hier gekommen sind, und mit einem, freylich nicht miteinander eingespielten Orchester, gearbeitet haben.
  15. [312] Es war der: „Fürwahr er trug unsre Krankheit.“ Die Adagioarie: „Wende dich zu meinem Schmerze.“
  16. [312] Viele Nebenbuhler Bachs im deutschen Kirchenstyle, würde Herr Burney wohl auch nicht aufweisen können, obgleich Herr Bach, ohne daß ich seine Gründe errathen kann, seiner Kirchenstücke in seiner Lebensbeschreibung keine Erwähnung thut.
  17. [312] Wer Herrn Burney die Nachricht gegeben hat, daß Hamburg 200,000 Einwohner habe, der hat die Zahl wissentlich oder unwissentlich um ein merkliches vergrößert.
  18. [312] Ueber die Länge der bachischen Stücke, kann man folgendes Experiment machen: Man nehme sein längstes Concert, aus der neu in Berlin bey Wintern gedruckten das dritte aus E dur, z. E. – man nehme die Tempo’s so langsam als möglich, mache die zwey Cadenzen jede etwa 4 bis 5 Tacktlängen – es dauert gerade 20 Minuten. Sollte man das Werk eines der ersten Genieen nicht so lange anhören können! Die arme Musik! Wer doch mit der Poesie so kurz wegkäme, [313] oder – mit diesen Reisen, und diesen Noten dazu! – Das Schlechte ist freylich zu lang, währte es auch nur eine Minute. Die Langeweile bey einem Stücke, muß wohl an etwas anderm, als an seiner Länge liegen.
  19. [313] Eine Wette von Drey gegen Zwey, Herr Dokter Burney, Bach weiß über seine bearbeiteten Subjekte noch was vorzubringen, daß des Hörens werth ist.
  20. Soll wohl abermals ein Vorwurf für die geduldigen Deutschen seyn! den man aber unbeantwortet hingehen lassen kann, es sey denn, daß jemand an die ewigen Rondeaux denken wollte, welche die Engländer itzt so ganz geduldig anhören.
  21. Diese waren keine andre, als der durch seine medicinische Schriften allgemein bekannte Herr Docter Unzer, seine ebenfals durch Schriften bekannte Ehegattinn, und ihr Bruder, Herr Ziegler. Aber dergleichen läßt sich von einem Reisenden, der nur Musik in der Seele und zum Zweck hat, vergessen, ohne, daß er deshalb Vorwürfe verdiene.
    Der Uebersetzer.
  22. Der Uebersetzer hat es mehr als Einmal aus Herrn Bachs eignem Munde gehört, daß man nicht gelehrter in der Musik seyn könne, als es sein Vater gewesen.
  23. Macht wirklich beständig Profession von der Musik.
    Der Uebersetzer.
  24. Herr Burney hätte wohl den Umstand bemerken sollen, daß Mattheson in seinen besten Jahren das Unglück hatte, taub zu werden. Aus diesem körperlichen Gebrechen läßt sichs sehr leicht erklären, warum er mit der Verfeinerung des Geschmacks nicht Schritt halten konnte, und wenn er auch das grösseste Genie gewesen wäre.
  25. Seine wahre Bruststimme ist wirklich nicht von weitem Umfange, er hat aber ungemein viel Mühe angewandt, den Absatz, der zwischen E und F bey ihm eintritt, fast unmerkbar zu machen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. statt Vorlage: daß er vor seinem Ende – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  2. statt Vorlage: denn zu einen – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  3. Fehlpaginierung im Original: 187.
  4. Fehlpaginierung der Vorlage: 186.
  5. Fehlpaginierung der Vorlage: 159
  6. Vorlage: ungegerecht.
  7. statt Vorlage: Schwätzer – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  8. statt Vorlage: wird, – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  9. Den folgenden Einschub hat der Übersetzer Johann Joachim Christoph Bode veranlasst; die Bemerkungen in Klammern sind von ihm.
  10. Hier endet Carl Philipp Emanuel Bachs autobiographische Lebensskizze; der folgende Text ist wieder von Charles Burney.
  11. ein Clavichord
  12. recte: 58
  13. statt Vorlage: Splitger – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
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