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Kleinrussische Novellen/Eine Schlacht

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Eine Unzivilisierte Kleinrussische Novellen
von Olga Kobylanska
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Eine Schlacht.


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Die Karpathen Bukowinas.

Berg an Berg reiht sich in stummer Größe, bekleidet mit Nadelwaldungen.

Pyramidenartig und kugelförmig, so stehen sie da, unerschütterlich, jedes vor ihren Blicken vorgehenden Wechsels spottend, schwelgend in der eigenen Schönheit und siegesbewußt ihrer Dauer …

Viele parallellaufende Bergketten des Bezirkes Kimpolung sind noch mit Urwäldern bedeckt. – Als blaudunkles Grün schimmern sie in der Entfernung, und von nachbarlichen Höhen aus betrachtet, scheinen sie in grünlich blauen Nebeln vornehm und unzugänglich. In der Gegend von Rußmoldawitza hatten sich zwei Reihen jener Ketten so dicht genähert, daß ihr Thalraum nur ein bequemer Tummelplatz für einen übermütigen Bach sein konnte. Wo er sich erweiterte oder schmal wurde, wo er endete – wußte niemand [148] genau anzugeben. Er zog sich in Windungen hin, rechts und links von bewaldeten Höhen beschützt, und verlor sich mit dem lustig laufenden Bache zwischen felsigen Vorsprüngen. Da waltete überall eine beängstigende Stille.

Und eine Üppigkeit in der Vegetation, eine Farbenpracht der Flora und auf den Bergen ein Reichtum von Grün von fast erdrückender Gewalt!

Kniehohes, braungrünes Moos wucherte dort unberührt in sanften Wellen aus dem halbfeuchten Boden der Urwaldungen. Daraus hervor – nicht allzudicht – stiegen Tannen, deren Alter hätte erraten werden können, deren Umfang und Schönheit aber stumm machte. Ihre stattlichen Kronen wurden vom Gewölke gestreift und duldeten über sich nur den Goldglanz des Sonnenlichtes …

Hie und da lagen am Boden Riesenbäume, vom Alter unterwühlt, gespalten vom Blitz und vom Sturm zu Boden geworfen. Von außen moosüberzogen und umwuchert von Gräsern, waren sie inwendig hohl und morsch.

Neben ihnen schossen junge Bäumchen empor, breitästig angelegt und gegen die Höhe zu überschlank und voller jugendlicher Biegsamkeit.

[149] Vogelsang – kaum hie und da.

Öfters ein lautes, in der kirchenartigen Stille deutlich vernehmbares Knistern und Rascheln, gleichwie das Brechen und Aneinanderreiben völlig verdorrter Zweige – und fast immer ein schwermütiges, weithin hallendes Rauschen …

Selten, daß der Wind stark die Zweige hob.

Kaum, daß beim stärksten Sturm die Kronen sich wiegten … Es schien, als käme das Rauschen aus weiter Ebene dahergerast, verfinge sich in den Zweigen, verteilte sich als schweres Seufzen im Walde und kämpfte zwischen dem dichten Geäste wieder um Ausgang …

Als der gellende Pfiff der Lokomotive das erste Mal die Luft jenes Thalraumes durchschnitt, – fuhr es den hundertjährigen Bäumen jäh wie ein Blitz durch Mark und Bein.

Mit ihr erschien ein Haufe Menschen.

Der wagte sich kaum über den fast unzugänglichen Waldsaum in die Tiefe des Waldes, denn alltäglich sah es hier nicht aus.

[150] Ringsum waltete tiefste Stille.

Die Luft war kühl, durchdrungen vom Geruch des Harzes, das in dicken, weißlichen Tropfen aus der geborstenen Rinde herausquoll und an der Luft sich verdichtete, und hohes Moos hemmte überall den Gang. Armdicke Banmwurzeln wie Schlangen quollen aus dem Moose, hart und trotzig, und, verflochten ineinander, bahnten sie sich in tollem Ringen den Weg zur weiteren Tiefe, die, in grünes Dunkel geborgen, unheimlich gähnte.

Einer von den Ankömmlingen schlug mit einem eisernen, axtartigen Stabe an einen alten Fichtenbaum, an dessen Stamme Schwämme wuchsen gleich riesigen Schwalbennestern.

Der zuckte zusammen.

Seit er lebte, hatte er an sich keine Axt gefühlt.

Der Schlag rief ein Echo im ganzen Walde hervor, daß alle Bäume stutzten.

Der Schlag wiederholte sich – die Bäume hielten den Atem an, eine lautlose, erwartungsvolle Stille verbreitete sich, und eine Stimme sprach langsam und deutlich ein Wort aus: „Abholzen!“

Wie durch eine Kirche lief es: „Abholzen“ …

[151] „Abholzen!“ erklang es deutlich in der nächsten Nähe und fast zugleich in der Ferne. Es hallte wie erwachte Rufe wieder, erfüllte den ganzen Wald, lief ängstlich in alle Ecken und Enden und wollte nicht verstummen …

„Abholzen!“ Es ging in ein Säuseln über. Daraus ward ein beklommenes Flüstern, ein Seufzen, endlich erhob sich ein Rauschen, wie vom Sturm hervorgerufen … erfüllte weithin die Luft, wie ein Meereswogen, daß es unheimlich ward … schlug bis an die Wolken hinauf, und zuletzt beschwor es ein Gewitter herab.

Schwarzgrau färbte sich der Himmel, und dann kam es.

Schwere Regentropfen fielen herab.

Zuerst einzeln und so wuchtig, daß die Blätter unter ihrer Last erzitterten und raschelten; dann dichter und endlich in schrägen Strömen.

Blitze fuhren in die Tannen, spalteten erbarmungslos die prächtigsten Stämme, und der Donner versuchte die Berge zu sprengen.

Mit rollendem Gekrach und Getöse erschütterte er sie, als wollte er sie aus ihrer unbeweglichen Ruhe [152] zwingen. Es schien, als rollten durch sie der Reihe nach Riesenkugeln, herausgefordert von Zeit zu Zeit von goldig zuckenden Blitzen …

Dann ward es still, und der Regen fiel ungestört.

Laut und schluchzend fiel er … … …

Im Walde ward es dunkel.

Bewegungslos, mit angehaltenem Atem dem Vorgange um sich lauschend, standen die alten Bäume, während die jungen in leichtes Schwanken gerieten.

Von den am Waldessaume wachsenden Sträuchern tropften emsig übergroße Regentropfen ins Moos, und der hochangeschwollene Bach unten im Thalraume stürmte in schmutzig-plumpen Wellen über Stock und Stein fort, laut schäumend, alles mitreißend. Blumen, Forellen, trockene Äste, hie und da abgelöste Erdstücke, in völlig unbeherrschter, wahnwitziger, nie gesehener Erregung.

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An einem nebelgrauen Morgen begann die Schlacht.

Auf dem durch den engen Thalraum gebauten Bahnwege, dessen Schienen sich wie Silberschlangen [153] in koketten Krümmungen um den dicht neben ihnen laufenden Bach wanden – kam die Rollbahn gefahren.

Ein feindseliges Gezisch, ein gellendes, durchdringendes Pfeifen kündigte ihre Ankunft an. Nicht weit vom Ende dieses Weges hielt sie unter Schnauben an, zornige, schwarze Dampfringe pfeilschnell in die Höhe stoßend …

Sie hatte den Feind gebracht.

Er stieg aus.

Mit rohen Gesichtern, in zerrissenen, schmierigen Arbeitskitteln. Mit plumpen, von schwerer Arbeit unförmigen Händen; bewaffnet mit blitzenden Hacken, mit schweren, schwarzen Eisenketten – ein häßlicher, mißratener Anblick –: so kam er daher.

Ein Adler, der in nächster Nähe auf einem spitzen Felsen gesessen und mit gesträubten Federn hinabgelauert – breitete plötzlich seine Flügel weit aus, schlug beleidigt und voller Zorn um sich und schwang sich dann jäh in die Höhe.

Er kreiste lange wie in tiefer Erregung über jener Gegend, dann schoß er wie infolge einer inneren Eingebung blitzschnell in schräger Richtung hinab ins Thal, verweilte daselbst eine Weile, hob [154] sich dann abermals, jedoch diesmal ganz langsam, empor und verschwand im grauen Gewölke gleichsam für immer … Unsägliche Traurigkeit breitete sich aus, eine Art – Todesstimmung.

Man wartete.

Die Bäume regten sich nicht; die ältesten standen gewappnet in Stolz und Unnahbarkeit und glaubten gar nicht an die Möglichkeit eines Angriffes.

So viele Jahrzehnte hatten sie dagestanden, ganze Jahrhunderte! So vieles hatten sie wachsen und sterben sehen! So viele Frühlinge und Winter durchlebt, so oft die Sonne aufgehen sehen! Die prächtige, goldblendende Sonne, die sie des Morgens in ihrem glutroten Lichte baden ließ und des Abends segnete! – So vielen verheerenden Stürmen getrotzt! Jetzt sollten sie eines anderen Todes sterben, als den ihre Vorfahren gestorben: als den des Alters oder den des Blitzes?

Lächerlich!

Sie wollten sich gar nicht regen. Nicht einmal durch das geringste Rauschen ihre Verwunderung bezeugen. Nur die jungen – wenn nur die nicht so leicht ins Schwanken gerieten!

[155] Der Angriff begann.

Mit einem wilden Hurrageschrei führten ihn die Söldlinge aus. Sie kletterten mit katzenartiger Gewandtheit auf den ersten Berg, als wollte einer dem anderen zuvorkommen oder als wäre es eine Heldenthat fürs ganze Leben, derjenige zu sein, dessen Hand die Axt an den Urwald anlegte! – Aber sie trafen auf Widerstand. Das trügerische, braungrüne Moos gab unter ihren plündernden Händen nach, und sie rutschten herab. Die kieselige Erde bröckelte unter ihren Füßen, und sie rissen sich die Hände wund, wenn sie sich festhalten wollten.

Aus dem in Fetzen herausgerissenen, an der Wurzel feuchten Moose krochen allerlei das Sonnenlicht meidende Insekten und liefen ihnen über die Hände. Als sie einen fest liegenden morschen Baum in wilder Kampfeslust hinunterrollen wollten und es ihnen nur gelang, ihn ins Schwanken zu bringen, wanden sich aufgescheuchte Schlangen hervor und zischten sie an. Viele der Söldner, die nur leichte Sandalen trugen, wurden gebissen.

Stachelige Heckenrosenbüsche, deren Zweige in großen Ruten bogenförmig aufgewuchert waren, [156] verflochten mit anderen Sträuchern und unzerreißbaren, epheuartigen Pflanzen und Disteln, bildeten undurchdringliche Wände. Uppige, hellgrüne Farren spreizten sich fächerartig in schwellender Schönheit in die Breite und Höhe, und Giftschwämme von schreiend roter Farbe drängten sich vor.

Junge Fichten wuchsen so dicht nebeneinander, streckten ihre Zweige so abwehrend von sich, daß an ein Fortkommen nur mit Mühe gedacht werden konnte. Sie zerstachen das Antlitz, zerrissen das Haar und zerrten an der Kleidung. Unförmige, buckelige Spinnen hatten Netze von Baum zu Baum gezogen, und diese legten sich gleich Schleiern vor die Augen – während Ameisenhaufen, aus trockenen, rötlichen Fichtennadeln aufgebaut, sich wie kleine Hügel vom Boden erhoben, und der Fuß wie an Glasglocken herabglitt.

Aber sie drangen unermüdlich weiter vor.

Tief im Walde, wo sich der Boden eine Zeit lang eben hinzog, blinkte ihnen etwas Leuchtendes aus dem Gründunkel des Waldbodens entgegen.

Es war umsäumt von stämmigen Fichten, von deren Zweigen langes, graugrünes Moos schleierartig [157] in steifer Vornehmheit fast bis zur Erde hing, – von üppigen, rundblättrigen Sumpfpflanzen und vom breiten Schilfgras.

Es war ein Meerauge.

So wie ein Spiegel, umgeben vom überreichen Grün der Pflanzen, lag es unbeweglich, träumerisch da – mit klarer, glatter Fläche – bodenlos – ein ewiger Spiegel des Himmels und der Baumwipfel; ein Stück unberührtester Schönheit.

Quer darüber lag ein Tannenbaum.

Stellenweise mit kurzem Moos überwachsen und zur Hälfte im Wasser, bildete er einen Steg für leichtfüßige Waldtiere und einen Sammelplatz für Eidechsen und für Libellen, die ihre blauweißen, durchsichtigen Flügel im Wasser netzten und es im blitzartigen Tanz unermüdlich umkreisten … … …

„Hurra!“


– Also doch!

„Hier wird der Urwald eingenommen!“

Es wiederhallte: „Eingenommen!“

„Hier – einhauen!“

Ein gellender Schrei des Entsetzens lief durch [158] den Wald: „Einhauen!“ Das Eisen der Äxte blitzte im Halblicht, und wie Ein Schlag ging es los. – Ängstlich verwirrt flatterten die in der Nähe weilenden Vögel auf, und zum ersten Male spiegelte die bewegungslose Fläche des Meerauges andere Erscheinungen wieder als Baumwipfel und Himmel … … …

Zuerst kamen die Jungen daran.

Es wurde Maß an die Hoffnungsreichen gelegt.

Die, welche gleich hoch, gleich gesund und gleich schlank waren, wurden ihrer grünen Kleidung beraubt und niedergehauen.

Als sie alle, an beiden Enden gleich, abgesägt waren – wurde aus ihnen ein Weg hergestellt, der zwischen den Bergen im Thalraume und fast über den Bach entlang führte. Dort, wo der Bahnweg nicht weiter fortgesetzt werden konnte, mußten sie als Pfad dienen. Ein Stamm wurde dicht neben den anderen gelegt.

Solchergestalt bereitete man eine Straße für die übrigen Truppen vor, und die zog sich in Windungen lang zwischen den zwei Bergreihen und bot einen traurigen Anblick. Auf diesem Wege sollten [159] dann die hundertjährigen Riesen überführt werden. –

Als man sie auf der Erde dicht aneinander reihte, erhielten sie wuchtige Axthiebe in den Kopf und in die Füße, daß aus ihnen Blut rann. Der Bach, der dicht neben ihnen dahineilte, preßte sich von unten herein, rieselte sanft zwischen ihnen hervor, wusch sie ab und trank ihr Blut auf. – Stellenweise, wo die Sonnenstrahlen am längsten verweilten, setzte es sich an Gestein fest und färbte es für immer rot.

Bis diese gemieteten Söldner mit allem fertig geworden, verging eine lange Zeit, und sie wurden fast wild darüber.

Sie gingen nie ins Thal, bekamen nie ein Weib zu Gesichte, ihre Kleidung war in Teer getaucht, Haar und Bart wuchs ihnen lang und verlieh ihnen ein wildes Aussehen.

Mittelst der Rollbahn erhielten sie jede Woche Lebensmittel, vor Ungewitter und Kälte schützten sie Hütten aus abgehackten Tannenzweigen, welche in massenhafter Fülle umherlagen. Die von Harz durchdrungenen Baumrinden, die gleich riesigen, braunen Papierrollen an der Sonne trockneten – wurden des Abends auf den Höhen rechts und links in großen [160] Haufen angezündet und loderten in roten, gierigen Flammenzungen als Lebenszeichen der Söldner empor.

So stärkten sich diese zum Kampfe mit den Hundertjährigen.

Endlich kam die Reihe auch an diese.

Eine Nacht zuvor – es war eine lichttrunkene Nacht – hatte sich der Mond zu einer großen, mattroten Scheibe erweitert.

In der Stille, die mit dem Dunkel gewachsen war, schien das Gebirge mit seinen unabsehbaren, dunklen Waldungen von stoischer Ruhe. Das Mondlicht durchschimmerte die zartbläulichen Nachtnebel, erleuchtete die Ferne mit klarem Licht und schien sich den auf den höchsten Gipfeln stehenden Wipfeln der Bäume mitzuteilen. Sie waren von seinem Schein wie verklärt und lösten sich darin gleichsam auf.

Flehentlich blickten sie empor.

Sie nur allein?

So viele ihrer da waren – und ihre Anzahl war so groß, daß niemand im stande war, sie anzugeben – sie blickten alle zur Höhe und flehten um ihr Leben! Selbst die Luft war geschwängert von Sehnsucht nach Leben. Sie roch nach Üppigkeit, nach

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Eine Nacht zuvor hatte sich der Mond zu einer großen mattroten Scheibe erweitert … (S. 160 f.)


[161] unersättlichem Dürsten und schien der Atem Tausender und abermals Tausender lebensgieriger Wesen zu sein.

Ein Duft, der an berauschende Leidenschaft gemahnte, an vollendete, begehrende Reife, strömte aus der Tiefe des Waldes und riß auch die mit sich fort, die seither nur in keuschverstecktem Erwarten dastanden, den Wunsch, voll zu leben als schamhaftes Geheimnis im Herzen bergend.

Die Farne lösten ihre prophetischen Zungen.

Die Kelche der keuschesten Blumen wurden zu vollendeten Blüten. Die Angst, daß sie morgen zu leben aufhören könnten, erweckte in ihnen die Gier, nebeneinander zum letzten Male in vollster Pracht zu prangen. Morgen würden sie vielleicht schon zertreten daliegen, ihre Kronen entblättert und gebrochen werden. Morgen würde vielleicht niemand mehr wissen, daß sie waren und voll Schönheit waren. Der Waldboden belebte sich mit Johanniskäfern, die wie Lichttropfen im Moose glänzten; Grillen in erstaunlicher Menge riefen sich an und antworteten und wollten gar nicht verstummen. Es herrschte in ihnen die Stimmung, aus sich selbst herauszutreten, Verlangen nach Schwelgereien, nach rückhaltlos [162] entfesselten Gefühlen, welche nur die vornehme Stille der Nacht dämpfte.

Lachen nie gekannten Entzückens, vermischt mit schweren Schmerzensthränen, ließ sich hören, und eine Sehnsucht, weich wie ein Sammetmantel, lag auf allem und rief immer mehr Wünsche und Liebe zum Leben hervor … … …

Seltsam waren die Laute um die Stille dieser Nacht … zärtlicher als Musik. Mehr ein Geflüster, vereint mit dem weichen Dunkel der Nacht – oder wie das Fallen von Wassertropfen von Blatt zu Blatt nach ersehntem, mitten im Sonnenschein gefallenem Regen … … …

Eine lange, kampfesvolle Zeit, – und die Hundertjährigen waren gefallen.

Starre, steife Majestät, so lagen sie gebettet im eigenen Grün. Ihre zurückgebliebenen Stümpfe mit den runden, an die Oberfläche der Erde herausgewucherten Wurzeln klafften verstümmelt aus dem Grase.

Noch lagen sie auf den Höhen – jedoch nicht mehr vereinzelt.

[163] Besäet waren die Berge mit ihren Leichen, rechts und links, schräg und quer und wagerecht. Dicht nebeneinander Kopf an Kopf, gruppenweise oder auch übereinander oder wie es sonst im Stürzen der Zufall gewollt. – Aus der Ferne sah man nur abgemähte Waldungen!

Bis zur Nacktheit ihres Schmuckes entblößt, der sich Jahrzehnte Sommer und Winter hindurch in seiner schwellenden Schönheit unverändert gehalten – starrten die Berge beschämt gegen den Himmel, vergeblich bemüht, mit den Überresten der einstmaligen Kleidung die unförmigen Glieder zu verhüllen.

Verratene Adler und verwaiste Habichte flogen schwermütig umher, und während die Adler, von Zeit zu Zeit nach ruhelosem Fluge ausruhend, zornig ihre Gefieder sträubten, die schwarzen, feindselig funkelnden Augen spähend in das Thal gerichtet – zogen die Habichte stille, langsame Kreise über den Gefallenen … … …

Als man die Gestürzten von ihrer Höhe zog, gab es einen Kampf auf Leben und Tod.

Viele Söldner büßten ihr Leben ein, viele wurden [164] für immer zu Krüppeln, und andere lagen schwerverletzt monatelang im Thale.

Größen zu stürzen!

Solche, die ihre Plätze Hunderte von Jahren behauptet hatten! Deren Wurzeln in das Innerste der Berge ihre Fasern erstreckt und sich mit denen anderer Gewächse für immer verkettet hatten! Zu stürzen, ohne sich zu beschädigen, ohne den jungen Nachwuchs zu vernichten und ohne die nähere Umgebung zu verwüsten! Gleich nie ermüdeten Käfern krochen die Söldner auf die unzugänglichsten Orte, bewaffnet mit Ketten und allerlei Werkzeugen.

Zuerst wurden die Gefallenen ihrer Rinde beraubt.

Dies gab viel zu schaffen.

Festgewachsen an das Fleisch, war sie hart und spröde und ließ die Äxte von sich abprallen. Erst nach langem Hacken sprang sie in Splittern auseinander und fiel auf die reiche Fülle elastischer Zweige, die, abgetrennt vom Körper, nunmehr im Grase verdorrten. Dann wälzten kraftvolle Hände mit Todesverachtung die schweren Riesen vorwärts.

Unter öden, gleichzeitig ausgestoßenen Aneiferungsrufen, die mehr den Schreien wilder Vögel glichen, [165] als harmonischen Menschenlauten – verrichteten die Schlächter diese Arbeit, während helle Schweißtropfen ihnen über die Stirnen rannen und Blut aus den verletzten Händen floß. – Der Aufenthalt in der Einsamkeit und die Verwilderung stimmte sie bei solchen Unternehmungen tollkühn, und die Aussicht auf einen hohen Lohn entzündete in ihren Augen das Gefunkel des Sieges.

Herab bis zum Bergfuße zerrten sie die Kolosse. Dort wurden dann schrägfallende Brücken aus runden Balken gebaut, – und über diese hinrollend, wurden die Großen dann dicht nacheinander dröhnend zur ebenen Erde fallen gelassen.

Sie blieben nicht lange liegen.

Große Eisenhaken wurden ihnen in das Haupt getrieben; Pferde wurden vorgespannt, und über den Weg, der aus den Jungen hergestellt wurde, zogen sie die Riesen hinunter, langsamen Schrittes und gesenkten Kopfes.

Hellrotes Siegesfeuer prasselte nach solcher Überwindung in die helle Nacht hinein, während die Helden, im Kreise lang ausgestreckt, ihre Pfeifen rauchten und die Widerstandskraft des Urwalds besprachen.

Unten harrte der Besiegten die Rollbahn.

[166] Sie bestand aus vielen aneinandergeketteten Wagen und einer ungeduldig schnaubenden Lokomotive.

Auf jeden Wagen wurden fünf bis sechs Stämme geladen und mit armdicken Ketten zusammen befestigt. Und zwar mit solcher Enge, daß sich das Eisen in ihr von der Rinde entblößtes Fleisch einschnitt und stellenweise Blut herausquoll. Das sammelte man auf, knetete es zu einem Ballen, und, in glühende Kohlen getaucht, daß es Feuer fange, wurde es in nebeligen Herbstnächten als Fackel bei der Überführung benutzt. – So gefesselt, jagte die Bahn mit ihnen hinunter ins Thal, von Zeit zu Zeit einen gellenden Siegespfiff ausstoßend … … …

Im letzten Wagen saß ein Aufseher.

Seine Wärterhacke in die Brust des Obenaufliegenden eingehackt, saß er mit verschränkten Armen und stumpfen Blicken da.

So oft machte er diesen Weg!

So oft hatte sein Blick auf den Kämmen dieser Berge geruht, so oft war er den Krümmungen der Bahn gefolgt – daß er nunmehr ermüdet den Blick zurückwandte. Die, über welche er die Aufsicht hatte, verhielten sich ja still. Sie grüßten die Gegend, durch [167] die sie fuhren, und nahmen von ihr Abschied …

Rechts und links erhoben sich Berge; die waren noch mit Nadelholz bekleidet. – Das waren Genossen, Jahrzehnte lang, und von diesen schied man für immer.

Niemals mehr sollten sie ihr eigenes Rauschen vernehmen … Und sie suchten zu erraten, wohin sie geführt würden.

Daß es hinunterging in ein weites Thal, wo die Berge zurücktreten mußten, wo anstatt eines Baches schon ein Fluß wogen mochte – wußten sie. Die Bahn jagte rasend dahin und wand sich durch die Engen wie eine Schlange; ob es aber zu den Menschen ging?

Sie dachten an die Zeit der Stille, wo sie stolz gestanden, und ihre Kronen nur stolze Adler berührt.

Jetzt lagen diese Kronen tief unten.

Und dann … wie alles über sie hereingebrochen, und sie auch ohne Kronen fielen … … …

Ging es also zu denen, die ihr Schicksal beschlossen und sie zu stürzen sich das Recht erkauft? – Oder zu Menschen, welche weder Sonntag noch Feiertag kannten und von Schönheit nie etwas gewußt? Aber nein; außer diesen mußte es auch noch andere Menschen geben, vielleicht ihnen selber ähnliche …

[168] Ihnen ähnliche!

Als sie nach stundenlanger Fahrt durch Urwälder in das Thal herauskamen, sahen sie hie und da einzelne Hütten. Zuerst auf den Bergen und dann an der Dorfstraße, welche sich an den Bahnweg schloß und mit ihm parallel lief. Die Hütten waren klein, bedeckt mit Brettern, über denen Steine lagen; und einzelne hatten auch Schindeln.

An einem Schankhause, das zum Vorschein kam, hielt die Bahn still. Sie hatte Fremde und Arbeiter mitzunehmen, die da ihrer harrten. Hier sah man auch die Bewohner jener Hütten. „Huzulen“ nannten sich die. Groß und kräftig, mit slavischen Zügen, in malerischer Tracht, so lagen und saßen sie dort.

Dort ein junges Weib mit etwas abgespannten, aber schönen und fast kindlichen Zügen, gekleidet nach der Sitte ihres Volkes, buntfarbig und reich. Sie rauchte aus einer Pfeife und blickte gleichgültig vor sich hin, unbekümmert darum, daß ein Haufen fremder Menschen sie mit Blicken schier verschlang.

Ihre Genossen – prächtige Männer, schlank wie Tannen und elastisch wie Rohre – saßen umher in der Stube, in der bequemsten Haltung von der Welt.

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Zwei von ihnen spielten auf den Geigen ihren Nationaltanz, die Kolomyjka. (S. 169.)


[169] Ihre Tracht war nicht minder originell.

Blutrote Beinkleider, dazu schneeweiße, reichgestickte Hemden und ebenso reichgestickte, kurze, ärmellose Schafpelzchen. Breite, buntfarbige Ledergürtel, behängt mit Fingerhüten und allerlei glänzendem Tand, und Hüte mit hohen, emporgeschlagenen Krempen, geschmückt mit Pfauenfedern, vervollständigten die Kleidung.

Da es ein Feiertag war – so versammelten sie sich da zum Tanz. Zwei von ihnen spielten auf den Geigen ihren Nationaltanz, die Kolomyjka. Ein anderer lag auf der Bank, in seiner vollen Länge ausgestreckt, blickte träumerisch durch die offenen Fenster hinaus und ließ sich neugierig betrachten.

Alle ließen sich betrachten, ohne es zu fühlen, gerade wie Kinder, allein, selber bezeugten sie fast nie Erstaunen oder Neugier, weder für die fremden Ankömmlinge, die kaum einmal im Jahre in ihre Gegend kamen, noch für andere Vorgänge in ihrer Umgebung. Während die Lokomotive mit ihrem jedesmaligen Erscheinen ihre nachbarlichen Dorfbewohner gewöhnlich in Aufregung versetzte, – wandten sie kaum die Köpfe nach der Seite. Das war ihnen ein Schauspiel, so weit und so fremd, sie hatten damit [170] so wenig gemeinsam, als wären sie aus einer anderen Welt und sollten damit so wenig in Berührung kommen, wie mit den Wolken da droben!

Viel mehr Ähnlichkeit besaßen sie mit denen, die gefesselt auf den Wagen ins Thal geführt wurden.

So unberührt waren sie aufgewachsen, so harmonisch, so eigenartig in ihrer Schönheit und ihren Sitten. Auf steilen Höhen in ganz für sich gelegenen Erdenwinkeln führten sie ihr Dasein, ohne Herren und Knechte. Unwissend bis zur Rührung und für alles Große der Zivilisation verständnislos, begegneten sie ihren Errungenschaften mit kindlichem Lächeln auf den Lippen.

So waren sie, jene Kinder der Wälder, die um keinen Preis Hand anlegen wollten an die, die von ihrer Höhe gestürzt wurden.

„Wer seid ihr?“ hatten sie mißtrauisch die gefragt, die gekommen waren, sich den Nutzen der Schlacht auszurechnen – „welches Glaubens? Wohl keine Christusmörder?“ – und dabei griffen sie nach ihren feingeschnitzten Hacken, die sie fast nie aus den Händen ließen. Für Waffen hatten sie Sinn.

Als sie zum ersten Male die Rollbahn fahren sahen, bekreuzten sie sich und spieen weit von sich.

[171] Das ging nicht mit rechten Dingen zu, und sie wollten nie eine Gemeinschaft mit jenen haben, die solch Ungetüm lenkten. Sie hielten sich auch fern von dem Getriebe, und unter der Menge Kerle, die bei der Schlacht beteiligt waren – befand sich kein einziger Huzule.

– „Hacket selber, was Gott geschaffen hat, ihr Hundeseelen! … uns laßt in Ruhe!“ hatte einer voller Haß über die Aufforderung, beim Abholzen mitzuhelfen, geantwortet. Und man ließ sie in Ruhe.

Ihre Welt war Berg und Wald, und nur da gediehen sie zur Vollendung. Gleich prächtigen, glühroten Blüten schimmerten sie in ihrer schönen, malerischen Tracht zwischen dem Grün der Bäume oder auf flinken, starkmähnigen Pferden, deren Zucht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte. – Durch Wälder scholl auch das Echo ihrer schönsten Lieder.

Das waren Menschen, die den Stämmen ähnlich waren … … …

Als sich die Bahn in Bewegung setzte und immer rascher vorwärts flog, sahen die im letzten Wagen Fahrenden durch die weit geöffneten Thüren und Fenster des Schankhauses, wie dort im großen Kreise Männer und Frauen im wilden Reigen tanzten! …

[172] Ein unvergeßlicher Anblick, flüchtig wie ein Blitz und ebenso zündend … … …

Eine einfache Melodie zweier Geigen brachte sie ins Feuer. In übersprudelnder, unbeherrschter Lust tanzten sie. Ihre Kleider und Tücher wehten im Kreise, und von Zeit zu Zeit stießen sie helle Freudenrufe aus. Es sah aus, als tanzten sie ihr Glück zu Ende und wollten sich jetzt damit sättigen für alle Zeit …

Vor dem Hause standen andere in Gruppen, oder lagen da, aus kurzen Pfeifen rauchend, langgestreckt bei ihren Pferden. Es war, als flöge das Haus mit dieser Pracht voller Farben und Lebensfülle an der Bahn vorbei …

Ein schönes Weib … eine junge Witwe … sprengte auf einem halbwilden Pferde den übrigen zu.

Ihr nach jagte ebenso toll ein Schwarm junger Burschen. Sie ließ sich nicht einholen. Den Kopf über die Schulter nach ihnen gewandt, mit ausgestreckten Händen dem Pferde freie Zügel lassend, lachte sie ein schallendes, sorgloses Gelächter!

Alle diese Sorglosen, in wilder Lustigkeit Zurückgelassenen lachten noch dieses Lachen! Noch fühlten sie keinen Schauder beim Kommen und Gehen jenes

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Vor dem Hause standen andere in Gruppen, oder lagen da, aus kurzen Pfeifen rauchend, langgestreckt bei ihren Pferden. (S. 172.)


[173] feindselig zischenden Ungetüms, das mit seinem Erscheinen Licht, aber auch namenloses Elend brachte!

Noch hatten sie keine Ahnung von jener tiefen, zersetzenden Sehnsucht mit dem kranken Lächeln um den Lippen, die nur die Bildung und Kultur hervorruft! … Sie lebten in den Tag hinein, unbekümmert um die Zukunft und ihre Gestaltung, ihre Wünsche waren klar und bündig, und die Bedingungen ihres Glückes … Sonnenschein und ein blauer Himmel … … …

Im Thale waltete reges Leben. Eine große Dampfsäge war im Betriebe. Ziegelrote Schlöte von imposanter Größe erhoben sich vom Boden und spieen schwarze Rauchwolken unter den Himmel – während im Fabrikgebäude ein Getöse herrschte, ein Brausen und Zischen, das alle anderen Laute übertönt wurden.

Rings herum lagen tausende von Brettern, hochaufgestapelt, fertig zum Transport, und kreuzweise übereinandergelegt, schmale und breite, und Massen von noch ungeschnittenen Stämmen harrten ihres Todes.

Da lagen noch Riesen von mehreren Metern Umfang, wahre Wunder an Alter und Schönheit, und schlanke, blutjunge Tannen.

[174] Fast ohne Unterbrechung wurden frische Stämme in die Fabrik hereingewälzt, um schon nach kurzer Zeit, in dünne Bretter geschnitten, hinausgeschoben zu werden. Die Bahn brachte immer neue Opfer, und der nie ruhende Moloch verarbeitete sie in erstaunlich kurzer Zeit. Auch diesmal wieder.

Die Lokomotive wurde von den Wagen abgetrennt, und diese rollten allein mit ihren Gefangenen ein Stück vorwärts und nach dem Lagerplatze zu.

Hier wurden den Stämmen die Ketten gelöst, und man lud sie ab.

Als sie am Fabrikeingange vorbeigerollt wurden, vernahmen sie die Worte des Sägemeisters, mit denen er einen Gast belehrte: „Die Waldungen wurden von der Firma O. & C. vom Religionsfonds gekauft. Man sägt schon sieben Jahre und hat noch drei Jahre zu sägen. Täglich werden siebenhundert Stämme zerschnitten …“

Siebenhundert Stämme täglich! – Wie ergreifend deutlich dies klang! – Siebenhundert ihrer Genossen täglich vernichtet, die jeder von ihnen Jahrzehnte, ja, zu Hunderten von Jahren gebraucht hatte, um sich zu diesem Umfange zu entwickeln!

[175] Und hier lagen noch Türme von Stämmen. Tausende und tausende lagen noch daheim, auf den Gipfeln der Berge, die herunterzuschaffen man sich bis zum Schluß aufgespart; – und wieder Massen auf den Rollbrücken aufgeschichtet. Dreimal im Tage brachte die Bahn die Opfer herein. Dazu hatte man es so eilig mit ihrem Vernichten und geizte mit jeder Stunde im Tage!

– – – – – – –

Mit glühenden Eisen hatte man die frisch angelangten gezeichnet und sie dann in das Getriebe ringsum blicken lassen.

Sie sahen, wie Arbeiter – genau solche, wie die halbverwilderten oben im Walde – hier unten arbeiteten.

Wie sie massenweise gleich unermüdlichen Ameisen umherwimmelten drinnen und draußen. Wie sie den dröhnenden Eisenmoloch, der in der Vernichtung wahre Wunder leistete, pflegten und sich geradezu aufopferten, um es ihm nur an nichts fehlen zu lassen.

Sie sahen und vernahmen vieles.

„Ja, ja,“ hörten sie einen Arbeiter erzählen, den man den „Närrischen“ nannte, „so verheeren ausländische Antichristen die schönen Waldungen, die [176] Gott unserem Lande zur Freude wachsen ließ! …

Weiß Gott … die Kutten behüteten ihn schlecht und werden es dereinst schwer zu verantworten haben. Und nun soll all dies wunderschöne Holz fort, vielleicht übers Meer? Und was unser Land davon hat? Frage man nur die Kirchenratten, die das große Wort bei der Verwaltung reden, die im Wohlstand schwelgen und fasten, daß ihre sündigen Leiber aus den Fugen gehen. Fraget sie, was unser Land davon hat!“ – Und nach einer Weile, während welcher er die Sägespäne aus den Augen gewischt hatte, rief er weiter: „Man baut schon nach der anderen Seite hin den Bahnweg. Es heißt wieder: „Auf neue zehn Jahre gepachtet!“ Ja, nur noch zehn Jahre und dann noch einmal zehn Jahre, und aus wird es sein mit dem Reichtum unseres Landes. Verfluchte Gerechtigkeit! – daß ich doch nicht lieber deinen Leib zersägen kann, anstatt dieses Stammes da, und alle die Höllenöfen da unten nicht lieber mit jenen Teufelsbr… –“ eine schallende Ohrfeige des Sägemeisters machte dieser Rede ein Ende.

„Daß du lieber aufpaßt auf deine Affenpfoten, anstatt daß du dein Mundwerk ewig in Bewegung [177] hast – verdammte Brut noch mal!“ … Die Antwort des Gezüchtigten ging in dem betäubenden Getöse verloren, denn neu hereingerollte Stämme rollten unter die Säge.

Die einen kamen unter zehnblätterige Sägen, andere unter fünfzehn-, und wieder andere, die Hundertjährigen, unter zwanzig- und mehrblätterige. Mit einem ohrenzerreißenden Gezisch, das sie zunächst betäubte, ehe sie getötet wurden, fuhren die Sägen in ihre Leiber. Mit den scharfgespitzten Zähnen zerschnitten sie mit blitzartiger Schnelligkeit die schönen Stämme; während dessen sprudelten Sägespäne aus ihnen hervor wie Blut und überschütteten sie.

Als die Sägen den letzten Riß thaten – es zog wie ein schriller Mißton durch den Raum – zerfielen die einstmals so stolzen Riesen in dünne, blasse Bretter und hörten auf zu sein für immer …

– – – – – – –

Arbeiter mit Riesenkarren kamen eilig und gingen.

Sie fegten die Sägespäne zusammen, die sich am Boden angesammelt, führten sie fort und schüttelten sie in den Schlund der Öfen im Erdgeschosse. Ohne Unterbrechung führten sie diese Arbeit aus, tagaus, tagein.

[178] Andere zogen die in Bretter zerfallenen Stämme fort und schleuderten sie derart wuchtig auf den Lagerplatz, daß sie im Niederfallen noch einmal wie elastische Stahlblätter emporschnellten.

Wieder andere schoben schlanke Tannen unter streifenartig schneidende Sägen, und noch andere schmiedeten und schärften Sägen und besäeten ringsum alles mit rotblitzenden Funken … … …

Auf dem Lagerplatze wimmelte es von Menschen.

Die einen schoben Bretter heraus, andere stapelten sie auf. Es war ein Lärmen und Rufen, ein ewiges Hin und Her, eine fieberhafte, nach mathematischer Genauigkeit bemessene Thätigkeit, hervorgerufen durch den Koloß der Maschine, der eine Hitze entströmte zum Ersticken.

Lautlos, schien es, bewegten sich die Riesenräder, umschlungen von breiten Riemenbändern, aber die Luft war erfüllt von ihrem Getöse, und die Gegend weit bis in die Wälder belebt. Nur in der Nacht war es totenstill. Wie ein Wächter stand da der schwarze Schlot und übersah finster das Kriegslager.

Da lagen die weißen, entblößten Stämme in großer Menge, umflossen vom sanften Mondlicht, wie starre Leichen. Die zu stolzer Höhe aufgestapelten Bretterreihen, [179] reihen, zum Transporte vorbereitet, schimmerten silbergrau, und von der Seite betrachtet, schienen sie bloße Linien zu sein.

Stämme! – Überall, wohin der Blick fiel, lagen Stämme, Holz, Bretter, Abfälle; und zwischen all’ diesen Haufen schlichen lautlos Bluthunde wie Gespenster umher, große, ungeschickte Schatten werfend und schnüffelnd nach Eindringlingen. – Seitdem die Fabrik einmal in Flammen gestanden, wurden sie zu Wächtern auserkoren. Aber niemand drang hinein; niemand störte die Ruhe der Gefallenen …

Halbleises Gemurmel des Gebirgsflusses, welcher unweit der Fabrik unter dem Walde floß, drang weich und eindringlich herüber, während der Wald eine dunkle, unübersteigliche Mauer um das ganze Thal bildete, über die nur der Mond herüber konnte.

Und der kam auch allnächtlich herüber. Blaß und still und unbeweglich, als sei er gänzlich ermattet vor Wehmut und als thäte es ihm wohl, seine Strahlen in den bläulich durchsichtigen Nachtnebeln aufzulösen oder hie und da in den dunklen Ton des Wassers zu tauchen. Das Wehgemurmel der Wellen stimmte ihn so schwermütig, und er vermochte es nicht zu überhören.

[180] „Wohin? Wohin? Wohin?“ murmelten sie unermüdlich Nacht für Nacht und leckten gierig das Ufer und plätscherten schmeichelnd in hörbaren Lauten an große Steine, die hie und da aus dem Wasser plump hervorragten. Aber sie erhielten keine Antwort.

Auf dem Lagerplatze blieb es still. Die Stämme lagen entseelt und die Bretter steif und ausgestreckt. Er aber sah die Antwort … Wohin er sein blasses Antlitz auch wenden mochte, sah er auf den zum Transport bestimmten Brettern die in schwarzen Lettern geschriebenen Worte: „Nach Batum“ – „Nach Batum“ – „Nach Batum“ – „Nach Batum“ … … …

Hochsommer. – Versengend schienen die Strahlen der Sonne, und die Luft war schwül und heiß.

Einzelne Wolken, die sich am Himmel eingefunden, waren düster und regenschwer. Von Zeit zu Zeit hob sich ein leichter Wind und dehnte die Wolken in die Breite und zu unheilverkündenden Schatten. Eine zeitlang schien es, als ließen sie sich von ihm bewegen, fortzuziehen, als übte die Macht der Sonne einen zerstörenden Einfluß auf sie aus; – allein, um die Mittagszeit blieben sie plötzlich in ihrem Fluge stehen [181] und hingen als gräulich-schwarze Massen über den Bergen.

Es war nach der Schlacht.

Ringsum herrschte öde Stille. So weit das Auge über die Bergreihen reichte, begegnete es der tiefsten Verwüstung, und die abstoßende Nacktheit der Höhen rief Stimmungen der Leere hervor. –

Weißliche, verwitterte Baumstümpfe klafften dicht nebeneinander gleich Gerippen aus dem vergilbten Grase hervor. Überflüssige, zurückgelassene Bäume lagen in großer Anzahl verstümmelt umher, und von der Rinde entblößte Stämme, die sich als morsch erwiesen, moderten unberührt.

Große, ausgebrannte Erdstellen mahnten an Brandwunden und gaben Zeugnis vom Sieg der Flammen, die hier so oft das Dunkel der Nacht wie rote Zungen durchflackert und jedes in ihrer Nähe befindliche Element gierig verzehrt hatten.

Stöße von Fichtenrinden lagen als dunkelbranne Fetzen und Rollen halbverfault umher, und erdrückend schwer lasteten haufenweise Holzspäne auf dem Grase. –

Alte, vom Blitz zerspaltene Tannenbäume, unangetastet zurückgelassen, standen da, die halbverdorrten [182] Äste weit von sich streckend gleich hinfälligen Greisen, vergeblich bemüht, den Wind in ihren erschütterten Zweigen aufzuhalten.

Von Zeit zu Zeit zog durch die Luft ein klägliches, trauriges Knarren. Es rührte her von gesunden, einzeln zurückgebliebenen Fichten, die, jugendschlank und von fast schwindelnd hohem Wuchs, nur in der höchsten Spitze bekleidet waren. Diese Wipfel neigten sich jetzt bogenförmig zur Erde, als hinge zwischen ihren kurzen Kronenzweigen ein Zentnergewicht und zöge sie nach unten. – Preisgegeben den Launen des Windes, bar des Schutzes und ohne jeglichen Halt, wiegten sich diese Fichten trauervoll hin und her und knarrten endlos, ruhelos … Junge Tannenbäumchen, einst von helllichtem, fast schimmerndem Grün bedeckt, waren gebrochen und für immer vernichtet.

Farren ließen ihre Blätter wie ausgefranste Lappen hängen, und beraubt des Schattens, verblaßten sie und starben langsam im Sonnenglanz. Das alte, hohe Moos, herausgerissen, zerfetzt und mit der Wurzel zur Sonne gekehrt, war ausgetrocknet, und denselben Tod erlitt auch das schwellende, reiche Gras.

Die reichen Waldbüsche, Himbeersträuche, Wacholder [183] und andere widerstandsfähige Gewächse und Blumen, die einst voller Üppigkeit gewuchert, waren am Boden auseinandergezerrt. Denn über alle wurden ja tausende und tausende Kolosse gewälzt! … .

Hie und da zur Erde gedrückte Maulbeersträuche, ihrer Kraft noch nicht beraubt, trugen reichlich ihre blutroten Beeren, und sie schimmerten aus der Ferne aus mattgrünem Hintergrunde hervor wie Blutlachen …

Kleinlaut sickerte zwischen dem Gestein der einstmals übermütige Bach. Massen von abgehackten Zweigen, Baumrinden und Holzspänen dämpften sein lautes Rieseln für lange, unbestimmte Zeiten.

Adler und Habichte verließen ihre Stätten und verirrten sich nur selten in diese Gegend. Kaum daß sie einige Male zur Frühlingszeit im raschen Fluge die einstmals so stolze Heimat passierten. Öde, verwüstet, bar aller ursprünglichen Schönheit, eines fast erdrückenden Reichtums – waren die Berge gleichsam zum Hohne zurückgeblieben und konnten es nicht verhindern, daß die sengenden Strahlen der Sonne die zurückgebliebene Flora, welche den tiefsten Schatten erforderte, erbarmungslos ausbrannte.

Die zurückgelassenen, kaum dem Boden entwachsenen [184] Fichten und Tannen, welche durch Zufall unverletzt geblieben waren, standen traurig und verlassen.

Stürme und Sonnenglut zogen abwechselnd über ihre jugendlichen Kronen, die lange nicht gestählt genug waren, um all’ das Ungemach der Witterung zu ertragen. Die Hundertjährigen hatten sie mit ihren stämmigen Armen bis jetzt vor allem geschützt – aber nun?

Und wenn sie auch allem trotzten? Aller Sonnenglut, die so gierig ihre jungen Säfte austrank, allen Stürmen, die ihre Kronen zu brechen begehrten, aller Kälte und allen übrigen äußerlichen Gefahren – was dann?

Vergriff sich dann nicht auch an ihnen, wenn sie schon in ihrer stolzesten Pracht da ständen, in Üppigkeit prangend – über sich nur den Himmel anerkennend – dieselbe ruchlose Hand? Und sie beschlossen zu sterben.

… … …