P. v. Ssemenof’s Forschungsreisen in den Trans-Ilischen Alatau und zum Issyk-Kul

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
Autor: Friedrich Marthe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: P. v. Ssemenof’s Forschungsreisen in den Trans-Ilischen Alatau und zum Issyk-Kul,
Untertitel: ausgeführt in den Jahren 1856 und 1857.
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Vierter Band. S. 116–137; S. 208–226
Herausgeber: Wilhelm David Koner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Dietrich Reimer
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons, Internet Archive
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[116]
V.
P. v. Ssemenof’s Forschungsreisen in den Trans-Ilischen Alatau und zum Issyk-Kul,
ausgeführt in den Jahren 1856 und 1857.
Nach dem Russischen von F. Marthe.


Im Jahre 1850 drangen russische Heerestheile zum ersten Male in den Landstrich südlich vom Ili vor, im Jahre 1853 war die Occupation des „Trans-Ilischen“ Gebiets vollendet, und im Jahr 1854 wurde an derselben Stelle, wo einst Almatu („die Apfelstadt“) an den Ufern der in den Keskelen (Nebenfluss des Ili) sich ergießenden Almatinka stand, der Grund zur Festung Wärnoje gelegt, die seitdem der Stützpunkt der russischen Macht in jenen Gegenden geblieben und der Ausgangspunkt zu den bekannten großartigen Annexionen im Süden und Südwesten geworden ist. Kurz nach dem Entstehen der neuen Zwingburg im Kirgisenlande traf der seitdem bekannter gewordene russische Naturforscher P. v. Ssemenof, der Uebersetzer und Fortsetzer von Ritter’s Asien, dort ein, um die angrenzenden Theile des Thian-Schan zu durchforschen. Einen in jeder Beziehung interessanten Bericht hierüber, den der treffliche Beobachter in russischer Sprache erst jetzt veröffentlichte,[1] um damit die Berichte Ssäwerzof’s über die im Westgebiet des Himmelsgebirges unternommenen Forschungen zu vervollständigen, geben wir im Folgenden ziemlich vollständig wieder, damit auch unseren Mittheilungen[2] über Ssäwerzof die nothwendige Ergänzung nicht fehle.[3]

Der Expedition, deren Verlauf wir zunächst erzählen, lag folgende Veranlassung zu Grunde. Im Juni 1856 hatte der kara-kirgisische Stamm der Ssara-Bagisch nicht nur einen russischen [117] Transport überfallen, sondern auch den unter russischer Botmäßigkeit stehenden Stamm der Dulat rein ausgeplündert. Zur Vergeltung war im August desselben Jahres ein russischer Streifzug in das zuvor nie betretene Thal des Tschu, die damalige Weidestätte der Ssara-Bagisch, ausgeführt worden und hatte erwünschten Erfolg gebracht, d. h. es waren eine Anzahl Feinde getödtet und verschiedene Heerden ihres Viehes weggetrieben worden, – freilich nicht ohne einige Verluste, da die anfangs überraschten Steppenbewohner sich ermannt und ihre Gegner auf dem Rückmarsche durch die unbekannten Defilé’s am Ssuok-Tübbe angegriffen hatten. Seitdem war etwa ein Monat verflossen, und der Kommandant zu Wärnoje wünschte zu erfahren, welchen Eindruck der jüngste Rachezug auf die Ssara-Bagisch gemacht, und wie überhaupt die Verhältnisse am Tschu ständen. Es sollte also eine „friedliche“ Recognoscirung, natürlich mit militärisch ausreichenden Kräften (einer halben Ssotnie Kosaken), dahin veranstaltet werden, und die Führung derselben wurde Ssemenof angetragen, der sie, wie natürlich, mit Freuden annahm.

Am 3. October (neuen Stils) 1856, früh 10 Uhr versammelte sich das kleine Expeditionscorps auf dem Marktplatze zu Wärnoje vor der im Bau begriffenen Kirche; es wurde nach russischer Sitte eine Messe gelesen und Weihwasser gespendet, dann setzte sich der Zug, verstärkt um die nöthigen Lastpferde und Kameele, geleitet von kirgisischen Wegweisern, in Bewegung. Die Reise ging westwärts, immer am Fuße des in Wolken gehüllten Alatau, der vorerst links liegen blieb, um später an geeigneter Stelle überschritten zu werden. Das Wetter war warm und trübe, bald fiel Regen. So waren etwa vier Meilen zurückgelegt, Ssemenof ritt mit 2 Kosaken um eine halbe Werst dem Zuge voran, der ein melancholisches Lied sang, da wurde plötzlich von vorn ein furchtbares Schreien vernehmbar. Rasch sprengte der Reisende mit seinen Begleitern einen Hügel hinan, und ein unerwartetes Schauspiel bot sich seinen Blicken dar. Eine Schaar kirgisischer[WS 1] Reiter suchte in aller Hast aus einem Haufen schreiender und gesticulirender Menschen herauszukommen und jagte spornstreichs davon. Der zurückgelassene Haufen von Menschen und Thieren befand sich in einem malerischen Durcheinander auf dem Abhange eines andern Hügels. Einige Kameele lagen auf der Erde, andere standen ohne Last da, hier waren einige Pferde zusammengekoppelt, dort liefen andre frei umher, ihrer Last entledigt, oder es war diese theilweise aufgebunden. Von den 10 Ssarten (Kaufleuten aus Taschkend), welche die Karawane bildeten, lagen zwei gebunden am Boden, ein Graubart auf den Knieen, andere liefen halbentkleidet ihren Rettern entgegen. Obwohl die Dolmetscher hinten beim Zuge waren, konnte die Scene [118] doch keinen Augenblick mißverstanden werden. Eine kara-kirgisische Baranta (Räuberschaar) von beiläufig 30 Mann hatte die Kaufleute überfallen, ihr Gepäck mit Beschlag belegt, ihnen ihre im Gürtel, auf der Brust, in den Schuhen versteckten Kostbarkeiten abgenommen und würde ihr einträgliches Geschäft zu Ende geführt haben, wenn sie nicht die nahenden Klänge eines Kosakenliedes stutzig gemacht und der Anblick dreier russischer Reiter in die Flucht gejagt hätte. Das Gros der kleinen Armee war unterdeß herangekommen, und ihr Führer forderte Freiwillige zur Verfolgung der noch sichtbaren Räuber auf. Fünfzehn Mann meldeten sich, und es begann nun eine Hetzjagd, die zuletzt damit endigte, daß sieben Verfolgte auf müden Pferden im Schritt voran, und drei Verfolger einzeln und ebenfalls im Schritt in ziemlicher Entfernung hinterherritten, bis diese, um dem Schicksal der Curiatier zu entgehen, sich entschlossen, umzukehren, wobei sie noch die von Jenen weggeworfenen Waffen und Oberkleider einsammeln und als Trophäen zum abendlichen Bivouac zurückbringen konnten. Mit dieser ethnographischen Erfahrung schloß der erste Reisetag. In den folgenden Tagen klärte das Wetter sich auf, und der schneebedeckte Kamm des Alatau trat zur Linken in aller Pracht hervor, um 2 Uhr Nachmittag zeigte das Thermometer am 5. October 18° C. in einer Höhe von etwa 3000′ über dem Meere. Auf der Hochebene, in der hier gerastet wurde, bestand die Vegetation aus hohen, theils verbrannten, theils vertrockneten Kräutern. Einige Pflanzen standen noch in Blüthe, so die hohe wilde Stockrose (Althaea nudiflora), die Lavathera thuringiaca, Cichorium intybus, Glycyrrhiza asperrima und Sophora alopecuroides, ferner auf sandigen Hügeln Peganum harmala und Calligonum. Das Nachtlager wurde an diesem Tage in einer Meereshöhe von 3600 Fuß am Ufer des Kastek aufgeschlagen. Von Wärnoje bis hierher waren etwa 11 Meilen zurückgelegt. Am 6. October ging die Reise in dem gewundenen Thale des Kastek aufwärts in der allgemeinen Richtung nach Süd. Das Wetter war klar; um 7 Uhr Morgens 10,3 Grad C. Rechts lag der abgerundete Gipfel des Ssuok-Tübbe, etwa 9000 Fuß hoch, links die Berge Ssary-Tschebyr. Nach einer Stunde Wegs traten an den hohen Bergseiten des Thales die ersten festen Gesteine zu Tage, anfangs dunkler Kalk, dann grobkörniger Granit, der sich auf 4 Stunden Wegs hinauf erstreckt, indem er zuletzt den Glimmer verliert. Nach fünfstündigem Marsche gelangte der Zug an die Stelle, wo der Kastek aus 2 Quellbächen zusammenfließt.[4] Man folgte dem südöstlichen Laufe, da der südwestliche zu [119] nahe an die damals noch chokandsche Festung Tokmak geführt hätte. Bald trat Hornstein zu Tage, das Aufsteigen wurde immer steiler, ferner zeigten sich zwischen den Granitmassen auch Adern und Stücke von Porphyr. Dieser Porphyr umschloß auf graulicher Grundlage kleine rothe Krystalle von Feldspath, hellgraue Oligoklase, war aber frei von Quarz. Weiterhin nahm der Porphyr eine dunkle, fast schwarze Grundfarbe an, aus der nur hellgraue Krystalle von Feldspath hervorstachen. Nach mehr als sechsstündigem Marsche näherte man sich der Spitze des Passes, den die Wegweiser Beissenyn-Assy nannten. Zuvor noch wurde Gneiß bemerkt, der im Thian-Schan und beiden Alatau selten auftritt. Dieser grobkörnige Gneiß zeigte sehr deutlich seine charakteristische Schichtung und war reich an Glimmer. Bald darauf stieß man auf einen künstlich aufgeschütteten Haufen Steine, aus dem trockene Zweige mit daran gehängten bunten Lappen (Opfergaben für die Berggeister) hervorragten; so bezeichnen, sagt Ssemenof, die Kirgisen gewöhnlich die Spitzen ihrer Gebirgspässe. Auf der Höhe des Passes bestanden die Felsen aus porphyrartigem Granit, dessen Grundlage hellrother Feldspath bildete, in welchem Krystalle desselben Feldspaths und Quarzkörner eingestreut waren. Die Vegetation war hier verwelkt, das Thermometer stand etwas unter 0 Grad, der Wind war kalt und schneidend. Die Höhe des Passes schätzte der Reisende auf etwa 7600 Fuß. Klar erkennbar war von hier die Theilung des Trans-Ilischen Alatau in 2 Parallelketten, die sich nach links in die Ferne verloren, auf der Höhe mit Schnee bedeckt. Nach vorn hin, aber auch zur linken Hand, fiel der Blick in die dunkle Oeffnung der Schlucht von Buam, gerade aus erhob sich die Wand des Kirgisnyn-Alatau, welcher von dieser Schlucht aus die südliche Parallelkette des Trans-Ilischen Alatau nach Westen fortsetzt; zu Füßen lag das ziemlich breite Thal des Tschu mit dem Silberbande des vielfach gewundenen Flusses. Der Weg abwärts führte nach ¾ Stunden in das enge wilde Thal des Beissenyn-Bulak, in welchem auf einer Höhe von 6500 Fuß das Nachtlager genommen werden mußte.

Am andern Morgen war das Zelt des Reisenden bereift, das Thermometer zeigte früh 7 Uhr −1,5 Grad C., es schneite. Nach dem Aufbruche ging es 2 Stunden steil abwärts auf einem mit Granitblöcken besäeten und theilweise mit frischgefallenem Schnee bedeckten Wege. Dann zeigten sich vertical erhobene Schichten von außerordentlich [120] festem, dickschichtigem, dunkel-graugrünlichem Schiefer, nach diesem wieder Granit, bestehend aus weißgrünlichem Feldspath, dunkelgrünem Glimmer und sehr wenigem Quarz. Nach ½stündigem Marsche wurde das enge Thal des Beissenyn rasch weiter, und bald standen die Reisenden in dem breiten Thale des Tschu. Der Schnee hatte sich allmählich in Regen verwandelt, und hier hörte auch dieser auf. Das Thal des Tschu erwies sich öde und verlassen, die Ssara-Bagisch waren wahrscheinlich aus Furcht vor neuen Angriffen hinweggezogen, nicht einmal frische Spuren vereinzelter Reiter waren zu entdecken. Ssemenof zog nun mit seiner kleinen Armee eine Meile weit in diagonaler Richtung auf den Punkt zu, wo der Tschu aus dem Querspalt von Buam in sein breites nach West gerichtetes Thal tritt; es wurden dabei passirt die Flüßchen Dschenschischke-Karassu, Sschelanaschtsch und der kleine Kebin. Am Spalt steht der Hügel Boroldai, der aus graulich-violettem Porphyr mit ziemlich gleichmäßig eingesprengten glänzenden krystallischen Quarzkörnern gebildet ist. Vom Boroldai ging es, immer noch auf dem rechten Ufer des Tschu, in die Schlucht hinein. Bald aber wurde diese so eng, und die Porphyrfelsen traten so dicht an den Fluß heran, daß auf dem rechten Ufer nicht mehr fortzukommen war. In dichtgedrängter Masse, mit den Kameelen und Saumthieren in der Mitte, wurde der Uebergang über den tosenden und schäumenden Strom glücklich, wenn auch mühselig, bewerkstelligt. Die Führer nannten die Berge auf dem rechten Ufer Turaigyr, auf dem linken Enyrgan. In Wirklichkeit ist es ein und dieselbe Bergkette, die durch den tiefen Querspalt der Buam-Schlucht wie mit Gewalt auseinandergerissen ist, jetzt auf der linken Seite des Tschu als Kirgisnyn-Alatau oder Alexandergebirge, rechts vom Tschu als südliche Parallelkette des Trans-Ilischen Alatau aufgefaßt wird.

Wilde Erhabenheit ist der Charakter der Buam-Schlucht. Der schmale Fußpfad, auf welchem unsere Recognoscenten nur einzeln vorwärts kommen konnten, tritt bald so nah an den Fluß heran, daß ihn die schäumenden Fluthen desselben bespritzen, bald schmiegt er sich gleichsam in die steil abfallenden Porphyrfelsen ein, bald verliert er sich in Felsen- und Steinhaufen. Aus den Felswänden stehen hier und da Sträucher: Hippophae rhamnoides, Halimodendron argenteum und die für Mittelasien so charakteristischen Calligonum hervor, ferner, dem düstern Charakter des Ortes entsprechend, Wachholder (Junip. pseudosabina). Die dicken, gekrümmten Stämme des letztern kriechen gewöhnlich über das Gestein hin, erheben sich aber bisweilen zu malerischen Bäumen von 15–17 Fuß Höhe, die mit ernstem, dunklem Grün bekleidet sind.

Nach anderthalbstündigem Marsche stand man der Mündung des [121] großen Kebin, der von Ost her in den Tschu fällt, gerade gegenüber. Aber der Plan, an diesem hinauf- und so zurückzugehen, erwies sich auf den ersten Blick als unausführbar. Der große Kebin, der in einem ziemlich breiten, schönen Längenthale fließt und den Trans-Ilischen Alatau in zwei Parallelketten scheidet, verliert sich auf den letzten Wersten seines Laufes, so zu sagen, in eine Sackgasse, in eine so enge, mit so steilen, dicht zusammentretenden Porphyrwänden eingefaßte Schlucht, daß auch nicht Raum mehr zu einem Fußpfade bleibt. Der Mündung dieser Kebin-Schlucht standen unsere Reisenden in der Buam-Schlucht gegenüber, und zwischen ihnen und dem Kebin floß noch dazu mit wildem Laufe der Tschu, über den der Uebergang hier gar nicht möglich gewesen wäre. So beschloß man, bis ans Ende dieses Engpasses vorzudringen, der zuletzt in die westliche Ufergegend des Issyk-Kul führen mußte.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Die Thalschlucht des Tschu wurde immer wilder und romantischer. Auf den Porphyrmassen, die denen des Boroldai ähnelten, zeigten sich eigenthümliche bogenförmige Schalen von grobkörnigem Conglomerat. Weiterhin zeigte sich Gneiß und begleitete die Reisenden etwa 1½ Stunden weit. Darauf wurde der Gneiß wiederum von Conglomerat abgelöst, das diesmal kleinkörnig sich einige Stunden weit hinzog. Die aus Conglomerat bestehenden Felsen zeichneten sich durch phantastische Formen aus. An einer Stelle wurde der Weg von den Felsen in den Fluß selbst hineingedrängt, und es galt nun, an die Felswand sich stützend, etwa 10 Klaftern weit dem Strom entgegen zu dringen. Ein anderes Mal, als man bequem in dem Thal, das sich ansehnlich erweitert hatte, daherzog, brach plötzlich die Uferebene, wie eine Treppenstufe steil ab, und es mußte 5 Fuß tief hinabgesprungen werden. Hinter diesem Absatz war das wieder verengerte Thal mit zahllosem Gestein kleinster und größter Art, hauptsächlich aus Porphyr bestehend, und von den hohen Thalwänden, wie die eigene Erfahrung lehrte, herabgestürzt, – völlig übersäet. Bald folgte die schlimmste Stelle; die Thalwände fielen steil zum Flusse ab, und ein schmaler Fußpfad wand sich einige hundert Fuß in die Höhe, zuweilen fast über dem Abgrunde schwebend, in dessen Tiefe der schaumspritzende Fluß toste. Nach Ueberwindung dieser Porphyrklippe befand man sich in einem kleinen, engen, mit Weiden bestandenen Kessel, der jenseits durch eine ganz ähnliche Klippe, zur Rechten (also im Westen) durch eine 2–2500 Fuß hohe Felswand geschlossen war. Hier wurde das Nachtlager aufgeschlagen, indem man auf den beiden Porphyrvorsprüngen Wachen ausstellte. Um 1 Uhr gaben diese das für den Fall einer Gefahr verabredete Zeichen. Schweigend sprangen die Kosaken [122] auf die Füße und griffen nach den Gewehren. Ssemenof begab sich auf den vordern Felsen, und der wachestehende Kosak deutete schweigend die Felswand hinauf, von der kleine Steine und Felstrümmer herabrollten. In der klaren, mond- und sternhellen Nacht sah man einen Trupp Menschen und Thiere, etwa 1000 Fuß über dem Lager der Russen an der Felswand sich hinwinden. Es waren offenbar Kara-Kirgisen, welche den Russen aus dem Wege gehen wollten. Nach einer Stunde war die Erscheinung vorüber, die Ermüdung der Russen aber so groß, daß sie sich ohne Weiteres wieder zur Ruhe legten.

Am 8. October früh war das Zelt des Reisenden wieder bereift. Es wurde zunächst der andere „Bom[5], der erwähnte zweite Felsverschluß des zur Rast gewählten Thalkessels, leichter überschritten. Nach halbstündigem Marsche war der Terek-Ty, ein linker Zufluß des Tschu, erreicht, das Thal begann nun sich allmählich zu erweitern und wurde von den Führern Ssary-Dala (gelbes Thal) benannt. Noch bestanden die Bergwände aus Porphyr, aber bei einer Oertlichkeit, Namens Ala-Basch (buntes Haupt), traten am linken Ufer des Tschu eigenthümliche Felsbildungen hervor. Es waren Reihen verticalgestellter, unregelmäßiger Säulen, von Zeit zu Zeit durch horizontalliegende Querriegel durchschnitten, die nach dem Bericht aus ziemlich festem Thon bestanden. Am rechten Ufer zeigten sich gleichzeitig kleine konische Hügel aus weißem Thon. Nach 2½stündigem Marsche von Ala-Basch aus traf der Zug auf einen neuen linken Zufluß des Tschu, der Utsch-Kurükel genannt wurde. Das Thal wurde immer breiter und ging allmählich aus seiner meridionalen Richtung in eine west-östliche über. Gleichzeitig verloren die Berge an Höhe und nahmen den Charakter von Terrassen an, welche aus Schichten des Conglomerats bestanden, das rings die Umgebungen des Issyk-Kul bildet. Dies Conglomerat besteht aus groben Quarzkörnern, in welche unzählige, mehr oder weniger abgerundete Steinstücke von Quarz, Porphyr, Granit, Diorit u. a. eingestreut sind. Dabei ist das Conglomerat so schwach verkittet, daß es zuweilen zu Pulver zerrieben ist, jedenfalls leicht mit dem Hammer, Beil oder Brecheisen gleich dem Tuff der Grotte des Posilippo sich abbrechen läßt. In dem breiten Thale wurde auf das rechte Ufer des Tschu übergesetzt, und der Weg zog sich hier eine halbe Stunde lang durch ein dichtes Gebüsch von [123] Weiden, Dornarten (Crataegus pinaxtifida, Hippophae rhamnoides), Halimodendron argenteum, Lycium u. a. Bald nach dem Verlassen dieses Dickichts stießen die Wanderer auf einen kleinen kara-kirgisischen Aul von 4 Jurten, in dem sie aber nur Weiber und Kinder fanden, da die Männer beim ersten Wahrnehmen der Russen in das Gebirge gesprengt waren. Von den todbleichen, in Todeserwartung auf den Knieen liegenden Kirgisinnen erfuhren sie, daß die Ssara-Bagisch zum Issyk-Kul übergesiedelt seien. Es waren bis zum See nur noch 4¼ Meilen (30 Werst), der Weg dahin bequem, und so ging es rasch vorwärts, um so mehr, da man fürchtete, daß die Geflüchteten am See Alarm schlagen möchten. Nach 2 Stunden Ritt wichen die Berge noch weiter zurück, und es war der Wendepunkt des Tschu erreicht, wo der Fluß seine vorher nordöstliche Richtung plötzlich in eine westliche verwandelt. Von hier traten die Reisenden in die weite westliche Uferlandschaft des Sees hinaus, welche an dieser Stelle den Namen Kutemaldy führt. Rechts konnte man in das schöne Thal des Thian-Schan hineinblicken, aus welchem der Oberlauf des Tschu, der Koschkar, hervorströmt. Beim Austreten aus diesem Thale empfängt der Fluß den Namen Tschu, strömt noch eine Zeitlang in NNO dem See zu, getrennt von ihm durch einen niedrigen Doppel-Höhenzug, bis dieser sich völlig abplattet, tritt dann in die Uferniederung selbst ein und macht hier plötzlich, an einer etwas geneigten Ebene entlang fließend, die Schwenkung nach Westen, die ihn in das Gebirge und weiter in den Engpaß von Buam führt. Die Distanz vom Wendepunkte des Flusses bis zum See beträgt etwa 1–1½ Meilen, 7–10 Werst. Auf dieser Strecke liegt ein kleiner Sumpf, genährt, wie es scheint, vom durchsickernden Wasser des Tschu, und aus diesem Sumpfe fließt zum See ein Wasserlauf ab, der, wie seine Umgebung, Kutemaldy heißt und zuletzt so dürftig wird, daß er mehr einem Aryk (einem künstlichen Bewässerungsgraben) gleicht.

Darauf reducirt sich, wenigstens jetzt, der von den früheren Geographen[6] angenommene Zusammenhang des Tschu mit dem Issyk-Kul.

Als Ssemenof sein Reitthier von der Winkelspitze des Tschu hinweg zum See wandte, war er überrascht von dem Anblicke, der sich darbot. Vor ihm erstreckte sich in unabsehbare Ferne der blaue Spiegel des See’s, rechts erhob sich am Südufer des Sees die gigantische Reihe der Berggipfel des Himmelsgebirges, die mit glänzender Schneehülle umkleidet waren. In der breiten Uferlandschaft und an den Abhängen der Vorberge des Himmelsgebirges [124] waren zahllose kirgisische Auls zerstreut. Der ganze Stamm der Ssara-Bagisch war offenbar hier beisammen, und sie hatten keine Ahnung von dem ihnen bevorstehenden Besuche. Friedlich weideten zahlreiche Heerden auf der ganzen Strecke zum See hin und versperrten den Weg. Ein Dolmetscher wurde mit 2 Kosaken zum Manap (Sultan) Umbet-Ala vorausgeschickt, um die friedliche Absicht der Ankömmlinge kundzugeben. Bald waren diese insgesammt beim Aul desselben angelangt, von wo ihnen eine geräumige Jurte gleichsam von selbst entgegenwandelte, sie wurde nämlich von Telenguten, d. h. Sklaven im Innern getragen.

So waren denn die fanatischen Feinde von neulich, die eben sich anschickten, wie man später erfuhr, den Asch, d. h. das Todtenfest zum Andenken an die im Kampfe mit den Russen Erschlagenen zu feiern, jetzt in freundliche Gastgeber verwandelt. Bei den Kara-Kirgisen steht überhaupt das Gastrecht in so hohem Ansehen, daß zu den Wettrennen und Wettkämpfen, welche ihre Asch und sonstigen Feierlichkeiten begleiten, stets auch die Batyr (Helden) feindlicher Stämme Zulaß erhalten. Aber wenn die Russen dem Frieden ihrer Wirthe nicht recht trauten, so diese noch weniger ihren Gästen; darum hielten sich auch der Ober-Manap Umbet-Ala und der Manap Dschantai klüglich fern. Im Namen des ersteren empfingen ein Oheim und zwei Brüder desselben die ungebetenen Gäste.

Umbet-Ala war ein Sohn des durch Tapferkeit und Unternehmungsgeist hochberühmten Urman, der mit dem Nachbarstamme der Bogu lange Zeit Krieg führte, obwohl die körperlich und geistig ausgezeichnete Tochter Urmans mit dem Sohne Burambai’s, des Ober-Manaps der Bogu, vermählt war. Die Geschichte dieses Krieges ist wichtig und interessant, nicht nur, weil in Folge desselben zuerst die Bogu, später auch die Ssara-Bagisch in den russischen Unterthanenverband traten und dadurch die Russen zu Herren des schönen Seebeckens Issyk-Kul machte, sondern auch, weil dieser Streit die internationalen Verhältnisse mittelasiatischer Nomadenstämme charakteristisch widerspiegelt.

Den ersten Anstoß zu den Feindseligkeiten zwischen zwei Stämmen liefert gewöhnlich ein Privatstreit. Dergleichen Streitigkeiten beziehen sich entweder auf bewegliche Sachen (bei Kauf und Verkauf, Entrichtung des Kalym), oder unbewegliche, auf die Grenzen von Land- und Weidestrecken. Die ersteren werden gewöhnlich von den Bijs (Beys) geschlichtet. Bij, Friedensrichter, ist entweder das Stammeshaupt selbst, oder ein Mann, um den sich freiwillig eine Gefolgschaft, oft von Angehörigen verschiedener Stämme, gebildet hat, und den die öffentliche Meinung des Nomadenlandes dieser Ehre für würdig erkennt. Es [125] hängt von den streitenden Parteien ab, an welchen der Bijs sie sich wenden wollen. Der Bij verurtheilt den schuldig befundenen Theil zum Schadenersatz, ausgedrückt durch eine gewisse Anzahl Schafe, die hier, etwa im Werthe eines Rubels, die Münzeinheit bilden. Der Spruch des Bijs wird in der Regel getreu ausgeführt, läßt aber die Appellation an den Manap zu. Der letztere besitzt nur die Macht der Cassation; er übergiebt die Sache den ihm nächstwohnenden Bijs, deren Entscheidung für definitiv gilt. Wenn die streitenden Parteien verschiedenen Stämmen angehören, so wendet sich jede an den Manap ihres Stammes, und der Proceß kann nur in einer Zusammenkunft beider Manaps, wobei die Bijs ihrer Stämme sie begleiten, ausgetragen werden. Auf solchen Zusammenkünften läßt es aber die gegenseitige Stammeseifersucht selten zu einem Ausgleich kommen. Dann sucht die beschädigte Partei den ursprünglichen Urtheilsspruch mit Gewalt, d. h. durch Raub der ihr zugesprochenen Stückzahl Vieh in Vollzug zu setzen. Dabei wird es aber selten mit der Zahl genau genommen, der räuberische Ueberfall trifft den ersten besten Unschuldigen des andern Stammes, man setzt sich auch zur Wehr, es fließt Blut, Todte bleiben auf dem Kampfplatze, die Ursache zur Stammesfehde ist da. Das Menschenleben wird auf eine bestimmte Anzahl Schafe geschätzt (etwa 100, Wergeld! Man wird überhaupt hier vielfach an altgermanische Verhältnisse erinnert), jeder Stamm führt genaue Rechnung über seine Verluste und setzt die Baranta fort, bis er vollständig entschädigt zu sein meint. So entsteht häufig aus der Baranta, dem Raubzuge, der wirkliche Krieg – Dschou.

Die Ssara-Bagisch und der mit ihnen engverbündete Stamm der Ssoltu betrachteten als ihr Eigenthum den kleinern westlichen Theil des Seebeckens von Issyk-Kul und die obern Thäler des Tschugebietes, namentlich die des Koschkar und des Kebin. Die Bogu hatten den größern östlichen Theil des Seebeckens und die oberen Thäler des Tekes (oberen Ili) und des Naryn (Oberlauf des Syr) inne. Die Volkszahl der Ersteren wird etwa auf 80–90,000 Seelen beiderlei Geschlechts, die der Bogu auf 60,000 geschätzt, doch wollen die Bogu vor dem Ausbruch der Fehde zahlreicher als die Ssara-Bagisch gewesen sein. Als der Kampf etwa um das Jahr 1853 begann, fiel der Sieg beständig dem klugen und tapfern Urman zu, die Bogu verloren die Lieblings-Weidestätten ihres hochbetagten Manap Burambai bei Kysyl-Ungur, mußten das Südufer des Sees ganz räumen und hielten sich nur mit Mühe am Ost- und Nordostende desselben. Da beschloß Urman den Krieg mit einem Schlage zu beendigen, er wollte den Aul Burambai’s überfallen und dessen Familie in seine Gewalt bringen. Nur 600 Reiter nahm er zu seinem kühnen Unternehmen [126] mit und führte den ersten Theil desselben glücklich zu Ende, der Aul Burambai’s fiel in seine Gewalt, aber auf dem Rückwege wurde er mit Uebermacht angegriffen und vollständig umzingelt. In dunkler Nacht entbrannte nun am Flüßchen Schaty auf der Südseite des Sees ein erbitterter Kampf. Urman fand an Klytsch, dem an Sohnesstatt angenommenen ältesten Neffen Burambai’s, der später wegen seiner Wildheit den Beinamen des Tigers von Issyk-Kul empfing, einen ebenbürtigen Gegner. Tödtlich von diesem verwundet gerieth er in Gefangenschaft, wurde in die Jurte des Emirsak, des Sohnes von Burambai, getragen und gab hier in den Armen der geliebten Tochter, die dessen Weib war, seinen Geist auf.

Durch den Fall Urman’s ermuthigt, sammelten die Bogu ihre gesammte Streitmacht und rückten am Terskei, d. h. Südufer des See’s vor. Ihnen entgegen zog ebenfalls mit gesammter Macht Umbet-Ala, der älteste Sohn und Nachfolger Urmans. Ein tiefer und reißender Bergstrom trennte allein noch die feindlichen Parteien, aber keine wagte im Angesicht des Feindes überzusetzen und anzugreifen. Vergebens ritten die Batyr, die Heldenjünglinge beider Stämme, zum Flusse vor und forderten durch Spott und Schimpf den Feind zum Kampfe heraus; mehr als eine Woche verging in Unthätigkeit. Da ersann Umbet-Ala einen Streich, der ganz seines Vaters würdig war. Im Lager ließ er einige hundert Reiter zurück und befahl ihnen, jede Nacht dieselben Wachtfeuer anzuzünden, er selbst aber brach in dunkler Nacht mit einer erprobten Schaar auf, umritt den See an seinem Nordufer, dem Kungei, und gelangte so zu den wehrlosen Auls Burambai’s, die sich damals an der Mündung des Tub am Ostufer befanden. Hier waren nur Frauen, Kinder und Sklaven zurückgeblieben, daher konnte Umbet-Ala nicht nur Pferde- und andere Viehheerden in Menge, sondern auch einen großen Theil der Kinder und Frauen aus der Familie des Burambai, darunter seine eigene Schwester, das Weib Emisarks, als Beute entführen. Als einige Telenguten Burambai’s mit der Nachricht dieses Ueberfalls in das Lager auf dem Terskei sprengten, war die Bestürzung und die Wuth hier grenzenlos. Burambai eilte sofort mit seiner ganzen Macht zurück, traf aber seine Auls verödet und vermochte auch nicht mehr die Ssara-Bagisch auf dem Kungei einzuholen. Nur der Nachtrab der letzteren, etwa 50 Mann, wurde von Klytsch erreicht, zur Ergebung gezwungen und sodann ohne Gnade niedergesäbelt. Umbet-Ala rückte nun von Neuem in’s Feld, am Nordostende des Issyk-Kul stellten sich ihm die Bogu, und es kam zur blutigen Entscheidungsschlacht. Die Letzteren wurden geschlagen und mußten mit ihren sämmtlichen Auls und dem Ueberrest ihrer Heerden an den Tekes und den Karkara [127] flüchten, indem sie die ihnen verbliebenen Kostbarkeiten ihren Nachbarn, den ehrlichen Kalmücken, zur Aufbewahrung übergaben. Vergebens ging der alte Burambai, der den rothen Knopf an der Mütze trug und folglich einen bedeutenden Titel unter den Chinesen führte, die chinesischen Behörden um Hülfe an, diese hatten schon seit einigen Jahren die üblichen Inspectionsreisen zum Issyk-Kul eingestellt und wollten von den dortigen Händeln nichts wissen. So blieb dem alten Lehnsmanne China’s nichts übrig, als sich in die Arme der Russen zu werfen; die Bogu sind seitdem Unterthanen des weißen Zars, der durch sie sein Reich an das Ostufer des Issyk-Kul ausdehnte.

Seine Familie mußte der hartgeprüfte Patriarch für schweres Lösegeld freikaufen. Nur die Schwester wollte Umbet-Ala nicht wieder einer Familie zurückgeben, welcher der Mörder seines und ihres Vaters angehörte. Anders jedoch dachte das heldenmüthige Weib selbst, welches durch treue Erfüllung seiner Pflichten den Vater besser zu ehren meinte, als durch Untreue gegen den Stamm, dem doch der Vater selbst es zugeführt hatte. Nach einigen Monaten, als die Aufsicht weniger streng geworden war, entfloh die Gefangene in Gesellschaft einer Stammgenossin, welche ebenfalls das Weib eines Bogu-Mannes gewesen war. Die armen Frauen nahmen als Speise nur eine Schüssel voll Hirse mit, schlugen sich sofort in die Gebirge am Südrande des Issyk-Kul, wanderten hier 17 Tage zu Fuß durch die wildesten Thäler und Schluchten des Thian-Schan, indem sie sich nur von ihrer Hirse und Wurzeln nährten und gelangten endlich bleich, abgezehrt, barfuß und mit zerrissenen Füßen an den Tekes, zu den Jurten ihrer Männer. Die muthige Tochter Urman’s bot nachher alles auf, um der blutigen Fehde der beiden Stämme ein Ende zu machen, erreichte ihren Zweck jedoch nicht eher, als bis die Ssara-Bagisch – wir wissen nicht, ob gezwungen, oder vielleicht klugerweise freiwillig – sich ebenfalls dem weißen Zaren unterwarfen, was zwei Jahre nach Ssemenof’s Reise, also im Jahre 1858 geschah.

Wenden wir uns zu dem Reisenden selbst zurück. In seinen Unterredungen mit dem alten Oheim Umbet-Ala’s erfuhr er, daß dieser schon einmal am Ende des vorigen Jahrhunderts in Peking gewesen war, um den Tribut seines Stammes zu überbringen, daß die Ssara-Bagisch im zweiten Viertel dieses Jahrhunderts in die Unterthanenschaft Chokands getreten und mit dieser wegen der Erpressungen der Beamten sehr unzufrieden waren. – Am Morgen des 8. October, früh 7 Uhr zeigte das Thermometer in der Luft +3,2 Gr. C, im See +5,3 Gr. Daß die Temperatur aber vorher unter 0 gestanden haben [128] mußte, bewiesen einige mit dünnem Eise belegte Wasserlachen in der Nähe des Sees.

Der See Issyk-Kul liegt in einem ungeheuren Becken oder Längsthale zwischen dem Himmelsgebirge (Thian-Schan) im Süden und dem Trans-Ilischen Alatau im Norden. Die Länge dieser von riesigen Berggipfeln umkränzten Einsenkung beträgt von dem Punkte im Westen, wo der Tschu in den Engpaß von Buam tritt, bis zu dem Bergpasse Ssan-Tasch im Osten 250 Werst = 36 Meilen, die Breite 70–80 Werst, also 10–11 Meilen. Den tiefsten Theil dieses gewaltigen Kessels nimmt das Wasserbassin des Sees in einer Länge von etwa 180 Werst = 26 Meilen (von WSW. nach NON.) und einer Breite von etwa 50 Werst = 7 Meilen ein,[7] indem seine Oberfläche sich etwa über 105 □Meilen oder 5145 □Werst ausdehnt (ein Umfang, der den des Großherzogthums Oldenburg ohne seine Nebenländer noch um 5 □Meilen übertrifft!). Aus dem eben Gesagten ergiebt sich, daß zwischen der Uferlinie des Sees und dem Fuße der umgebenden Gebirge ein Raum frei bleibt, der bald eben, bald mäßig ansteigend in einer Breite von 1½–3 Meilen sich nördlich und südlich vom See ausbreitet. Dieses Uferland heißt im Norden des Sees, wie schon bemerkt wurde, Kungei, d. h. der nach Süd gerichtete Abhang, im Süden Terskei, d. h. der nach Norden gerichtete Abhang. Nach dem ersteren nennen die Kirgisen vom Issyk-Kul den Trans-Ilischen Alatau – Kungei-Alatau, meinen aber damit nur die Südkette dieses Gebirges, weshalb dieser Name nach Ssemenof’s Meinung besser von der geographischen Nomenclatur ausgeschlossen wird, ebenso wie der unbestimmte Name Kirgisnyn-Alatau, mit welchem die Kirgisen die Vorberge und die Vorkette des Thian-Schan auf dem Terskei sowohl wie weiter westlich jenseit des Tschu benennen.[8] Die Höhe des Seeniveau’s bestimmt Ssemenof nach der Temperatur des siedenden Wassers zu 4540 russ. F. Es ist diese Ziffer das Mittel aus verschiedenen Beobachtungen, die an beiden Enden des Sees angestellt wurden. Golubef erhielt aus barometrischer Beobachtung 5300 F. Sollte die Wahrheit in der Mitte liegen, so würde man etwa eine Höhe von 4900 F. über dem Meere für den Issyk-Kul anzunehmen haben.

Vom Kungei aus erhebt sich der Trans-Ilische Alatau durchschnittlich [129] etwa 5500–6500 Fuß über den Spiegel des Sees, d. h. 10–11,000 Fuß über den Spiegel des Meeres. Höher jedoch ist der mittlere Theil des Gebirges auf einer Strecke von 50–60 Werst = 7–8½ Meilen, denn hier steigt das Gebirge bis 12- und 14,000 Fuß auf und überschreitet die Schneelinie. Doch liegt der ewige Schnee immer nur stellen- und fleckenweise, daher mit Recht der Name des Gebirges: das bunte, fleckige (Alatau). Zu solchen Höhen nun steigt das Gebirge steil und schroff empor, Vorberge sind fast nicht vorhanden, nur kurze, rasch abfallende Contreforts scheiden eben so viele kurze Querthäler von einander, in denen kleine, aber stürmische Gebirgsbäche von der Schneelinie über Stein und Fels zum See hinabstürzen. Nur eines dieser Contreforts tritt, aber bedeutend erniedrigt, so hart an den See heran, daß kaum ein Durchgang übrig bleibt; diese Stelle heißt Kesse-Ssengir. Was dem Alatau vom Kungei her ganz den Anblick einer Mauer giebt, das ist namentlich der Mangel jedes irgendwie bedeutenden Ausschnittes in seinem Kamme und die Höhe seiner Pässe.

Anders stellt sich am Terskei das Himmelsgebirge dar, das 10–11,000 Fuß über den See, d. h. 15–16,000 Fuß über das Niveau des Meeres ansteigt. Der Abfall des Thian-Schan ist zwar steil, doch nicht so übermäßig steil, wie der des Alatau, eine Vorkette und Vorberge erscheinen ziemlich selbstständig, einzelne Gruppen sind individualisirt und verdecken zum Theil selbst, vom Terskei aus gesehen, die hinter ihnen stehenden Schneeriesen des Hauptkammes, welche übrigens nicht nur an der Spitze der tiefeingeschnittenen Querthäler sichtbar sind, sondern überall dort hinter der Vorkette hervortreten, wo diese einigermaßen absinkt. Vom Kungei aus gesehen, tritt jedoch der riesige Hauptkamm in seiner geraden Erstreckung von Ost nach West in ganzer Majestät hervor. Von hier aus erscheint der Kamm des Himmelsgebirges als eine endlose Reihe riesiger Berggipfel, die in glänzender, nirgends durch dunkle Streifen unterbrochener Schneehülle strahlen. Wenn es in der That möglich wäre, eine Wanderung auf dem Kamme des Thian-Schan, von den Quellen des Koschkar (Tschu) bis zu der erhabenen Gruppe des Chan-Tengri und des Passes Mussart, auszuführen, auf einer Strecke von 400 Werst = 57 Meilen, der kühne Wanderer würde höchstens 6 Mal die Schneedecke unter seinen Füßen weichen sehen, dreimal auf Bergübergängen, die eben nur zur Schneegrenze, d. h. zu einer Höhe von 11,500 Fuß hinanreichen und dreimal in den Engthälern von Flüssen, die auf der Nordseite des Thian-Schan entspringend, den Hauptkamm desselben durchbrechen, um nach Süden hin abzufließen.

Großartig ist die Landschaft, die dem Blicke des Reisenden sich [130] darstellt, wenn er vom Kungei aus über den See nach Süden schaut. Der dunkelblaue Wasserspiegel kann in seiner Saphirfarbe kühn sich mit dem Genfersee messen, nur daß er eine fünfmal größere Fläche bedeckt als dieser, und der unvergleichliche Hintergrund dem Bilde eine Erhabenheit giebt, die der Genfersee nicht besitzt. Während hinter diesem die Vorberge der Savoyischen Alpen aufsteigen und die majestätische Gruppe des Montblanc vollständig verdecken, erstreckt sich hinter dem doppelt so breiten Issyk-Kul eine auf etwa 40 Meilen übersehbare ununterbrochene Schneekette. Die scharfen Umrisse der Vorberge, die dunklen Spalten der sie durchschneidenden Querthäler, alles dies wird gemildert durch den leichten und durchsichtigen Wasserdampf des über dem See schwebenden Nebels, aber um so klarer, um so bestimmter in den geringsten Einzelheiten ihrer Contouren, um so glänzender zeichnen sich auf dem dunkelblauen Grunde des wolkenlosen mittelasiatischen Continentalhimmels die vom Sonnenlichte übergossenen grauen Häupter der Bergriesen ab, die aus dem durchsichtigen Nebeldampfe scharf sich abheben. Steht man bei dieser Schau im westlichen Theile des Kungei, so nimmt gerade gegenüber die Decke des ewigen Schnees etwa 3/5 der über den Seespiegel emporragenden Gebirgshöhe ein, wendet sich der Blick südöstlich, so sinkt der schneelose Theil des Gebirges mehr und mehr in die dunkelblaue Wasserfläche, bis endlich im Osten die Wogen des Sees unmittelbar den Schnee der gigantischen Gruppe des Chan-Tengri zu bespülen scheinen. Nur der Vordergrund dieser Landschaft erreicht bei weitem nicht die Anmuth schweizerischer Seelandschaften. Statt der Uferterrassen mit den prächtigen Gärten, statt der blühenden Städte und Dörfer, der poetischen Villen und Schweizerhäuschen, sieht der Wanderer am Issyk-Kul eine traurige, öde Fläche vor sich, ohne allen Schmuck dessen, was die Hand des civilisirten Menschen anzupflanzen und hervorzubringen vermag. Unfruchtbar, mit zahllosen Steinen besäet, im Ganzen ohne Baumwuchs liegt diese Uferfläche da; nur an den Ufern der muntern Gebirgsbäche, hie und da auch am Seeufer, trifft der Blick auf Gruppen kleiner Bäume und hoher Gesträuche, meistens Sanddorn (Hippophae rhamnoides) mit schmalen silbernen Blättern und Zweigen, die mit hellrothen Beeren dicht besetzt sind, dazu Crataegus pinnatifida und zwei oder drei Weidenarten. Zuweilen schauen aus solchen Gruppen die weißen Filzjurten kirgisischer Hirten oder der lange Hals eines zweihöckrigen Kameels hervor, noch seltner bricht aus dem die Baumgruppen umsäumenden dichten Rohrgebüsch eine zahlreiche Heerde wilder Schweine oder der furchtbare Beherrscher dieser Rohrdickichte – der Tiger.

Die Seegestade selbst sind nicht überall flach, im Gegentheil an [131] vielen Stellen abschüssig, wenn auch nicht hoch. Aber auch von diesen Uferterrassen scheinen die Gewässer des Sees allmählich zurückzuweichen, als ob der Wassergehalt desselben im Abnehmen wäre. Die alten und die jetzigen Ufergehänge des Issyk-Kul, ebenso der Boden des Sees an seinen Rändern bestehen aus dem oben beschriebenen, schwach verkitteten röthlichen Conglomerat, dessen Schichten zum Seebecken hin schwach geneigt sind, während sie zum Gebirge hin sich erheben und den Fuß desselben ganz überdecken, an einigen Stellen in den Thälern des Thian-Schan bis zu mehreren hundert Fuß hoch, so z. B. an der Oertlichkeit Kysyl-Ungur, wo in die mächtigen Conglomeratschichten geräumige Höhlen eingewölbt sind. Da diese Conglomerate in discordanter Schichtung gegen die paläozoischen Gesteine des Thian-Schan und Alatau liegen, und, soweit Ssemenof’s Beobachtungen reichten, auch den Seegrund bilden, so schließt derselbe, daß sie die Niederschläge des Sees selbst seien. Dann würde ihre im ganzen Seebecken wahrnehmbare, über den jetzigen Seespiegel hinausgehende Höhe beweisen, daß dieser einst bedeutend höher stand und eine bedeutend größere Oberfläche bedeckte. Dafür scheint auch die Entstehung des Engthales von Buam zu sprechen, denn schwerlich kann diese einem Durchbruche des im Verhältniß zu unbedeutenden Koschkar zugeschrieben, sondern wohl nur aus einem Durchbruch der Gewässer des ganzen Issyk-Beckens, dessen Niveau dann sofort fallen mußte, erklärt werden. Nach diesem Ereigniß konnte der Tschu noch lange der Abfluß des Issyk-Sees sein, bis die fortdauernde Niveau-Erniedrigung des letzteren diesen Abfluß unmöglich machte, worauf dann der bisherige Zufluß des Sees, der Koschkar, zum Oberlauf des Tschu wurde. Die fortgesetzte Abnahme des Seeniveaus war aber dadurch bedingt, daß, seitdem in Folge des immer trockner gewordenen Continentalklima’s die Schneelinie sich höher schob, die Zuflüsse des Sees an Wasser verarmten und die durch Verdampfung entstandenen Verluste des letzteren nicht mehr genügend ersetzen konnten.

Der Issyk-Kul scheint außerordentliche Tiefe zu haben, Inseln sind nach Ssemenof’s Wahrnehmungen in ihm nicht vorhanden; sein Wasser hat salzigen Geschmack und ist zum Trinken ziemlich untauglich. Der Winter bezieht nur einige Buchten und Einschnitte mit Eis, niemals friert der ganze See zu. Davon erhielt er seinen kirgisischen Namen Issyk-Kul, chinesisch Dje-Hai, d. h. warmer See; Mongolen und Kalmüken nennen ihn Temurtu-Nor, den eisenhaltigen (nach Ritter weil an seinen Ufern Eisenminen liegen, von denen indeß Ssemenof nichts erwähnt). Die Ursache des Nichtgefrierens muß, wie beim See von Choktschinsk im Kaukasus, der sogar 1000 F. [132] höher, dafür aber 1 Gr. südlicher liegt, in der Tiefe des Sees einerseits und der Höhe der umgebenden Berge andererseits gesucht werden. Reich ist der Issyk-Kul an Fischen, welche sich in manchen Buchten in erstaunlicher Menge zusammendrängen und von den Kirgisen gar nicht gefangen werden; ein großer Reichthum an Arten derselben scheint aber den See nicht auszuzeichnen, welcher darin der ihm benachbarten Steppe hinsichtlich ihrer Flora gleicht; Ssemenof fing immer nur Ssasane, eine Karpfenart.

In den See münden an 40 Flüsse. Die bedeutendsten sind die östlichen: der Tub und der Dschirgalan, welche am ewigen Schnee des Thian-Schan entspringen und die letzten 7 oder 8 Meilen in der östlichen Verlängerung des Seebeckens fließen, geschieden von einander durch den niedrigen Höhenzug Tasma, welcher zwischen den beiden Flußmündungen als Halbinsel in den See vorspringt und in dieser Gestalt Kuke-Kulussun heißt. Von den übrigen Zuflüssen des Sees sind die südlichen im Allgemeinen bedeutender als die nördlichen. Zu den ersteren gehören: der Karakol, der Dschity-Ugus, Kysyl-Ssu, Sauku, Tschischkak, Ak-Terek, Schirgatschal, Scharpildak, Ten, Konurulun u. a., zu den letzteren: der Taldy-Bulak, Turaigyr, Dürenyn-Ssu, Tschagan-Aty, Kesse-Ssengir, der kleine und der große Ak-Ssu, Ssurekgyr, Kudurgu, Kurmety etc. Im Winter sind alle diese Flüsse wasserarm, füllen sich aber im Frühling und Sommer, selbst noch im Herbst, und werden dann stürmisch und rauschend, während ihre Betten mit Baumgruppen eingefaßt sind. Wo der Boden nicht allzu steinig ist, und Bewässerungscanäle aus den Flüssen abgeleitet werden können, ist Ackerbau möglich und gewährt vorzügliche Ernten, aber der zum Feldbau geeigneten Ebenen sind wenige, sie werden kaum den 10. Theil des unter dem Kungei und Terskei begriffenen Territoriums bilden. Auch Gartenbau würde in allen auf den „Nordhang“ und den „Südhang“ mündenden Thälern betrieben werden können, wie dies ein von Burambai angelegter Garten im Thale des Sauku und eine Anpflanzung von Apfelbäumen am Ak-Ssu, einem linken Zufluß des Dschirgalan, beweisen. Die Rebe würde schwerlich am Issyk-Kul zur Reife gelangen.

Am 10. October trat die russische Recognoscirungstruppe ihren Rückmarsch an, zuerst in der Richtung nach ONO, dann NO, schräg über den Kungei weg in allmählicher Steigung zum Gebirge hin. Die ganze Oberfläche des Kungei war dort, wo der Weg ging, mit kleinen, rund geriebenen Steinen besäet, theils von Porphyr, theils und zwar häufiger von Diorit, seltener von Granit. Auf dem steinigen Boden standen viele dornige Gewächse, so die dornigen Arten von Astragalus, Lycium, Acanthophyllum spinosum und das neuentdeckte Acanthophyllum [133] paniculatum. Von den kleinen Wasserläufen, die man durchschnitt, war nur der Taldy-Bulak durch eine Reihe von Weiden und Sanddorn bezeichnet. Nach mehr als 2 Meilen (15 Werst) Marsch auf der geneigten, steinigen Ebene des Kungei gelangte man zu den ersten Hügeln oder Vorbergen des Alatau. Diese Hügel bestanden zuerst aus Diluvialboden, wurden aber bald höher und ließen krystallinisches Gestein, namentlich Syenit, zu Tage stehen. Zwischen diesem zeigten sich auch Ausgänge von Diorit und Diorit-Porphyr. Ein gewundener Pfad führte durch diese nackten, steinigen und, wie es schien, völlig unfruchtbaren Vorberge nach einer Meile an den Fluß Turaigyr, wo unter den größten Vorsichtsmaßregeln, da die Russen ja nach dem Verlassen der kirgisischen Auls den heiligen Charakter von Gästen verloren hatten, übernachtet wurde.

Die Nacht verging ruhig, und am 11. October geschah der Aufbruch früher als gewöhnlich, da der schwierige Uebergang über die Südkette des Alatau bevorstand. Vom Turaigyr ging es nach NO über die Ausläufer des Gebirgs, welche die Bäche Turaigyr, Kysyl-Bulak, Kabyrga-Bulak und Dürenyn-Ssu von einander trennen; an dem ersteren stand rother Granit, an einem der späteren Diorit zu Tage. Nach 4stündigem langsamen Aufsteigen war der Dürenyn-Ssu erreicht, wo Halt gemacht wurde, um – eine Saujagd abzuhalten. An den Rändern des Flusses stand dünnes Eis; auf seiner Ostseite erhob sich ein hoher und steiler Felsenkamm von rothem Granit, an dessen Fuße sich ein Sumpfstrich hinzog. Aus diesem brach eine Heerde Wildschweine hervor, auf welche die Kosaken Jagd machten und glücklich einen Eber von ungeheurer Größe erlegten. Längs des eben erwähnten Granitkammes ging es endlich wieder in die Höhe, auf der andern Seite des Baches zog sich Gneiß hin. Der Weg wurde allmählich immer steiler, war jedoch noch erträglich, so lange er dem Bache zur Seite blieb. Als dieser jedoch links liegen blieb, und in gerader nördlicher Richtung der steile Granitberg, welcher das Thal schloß, erklommen werden sollte, wurde die Sache selbst gefährlich. Furchtbare Gneißfelsen, zum Theil mit lockerem Schnee bedeckt, lagen im Wege, und es dauerte 3 Stunden, ehe die Höhe des Passes erreicht war. Ein Kameel und drei Pferde mußten in dieser Wildniß ihrem Schicksal überlassen werden, da sie nicht weiter zu bringen waren. Den Paß nannten die Führer Dyrenyn-Assy, und Ssemenof schätzte seine Höhe auf etwa 9000 Fuß. Von einem an den Paß angrenzenden Gipfel hielt Ssemenof noch einmal im Abendsonnenschein Umschau und Rückschau. Die Schneeriesen des Himmelsgebirges erglänzten hell im Strahl der untergehenden Sonne in allen Regenbogen-Nüancen. Als höchste erschienen die, welche dem Meridian der Westspitze [134] und der Mitte des Sees entsprachen; zwischen diesen Meridianen scheint der Kamm des Thian-Schan etwas zu sinken. Die ganze blaue Oberfläche der Westhälfte des Sees erschien so deutlich, wie auf einer Karte, mit ihren Buchten, Vorsprüngen und Einschnitten. Im Norden oder vielmehr im Nordosten war in den klarsten Umrissen und dabei ziemlich nahe der dreigipflige Hauptstock der nördlichen Kette des Alatau, der schneebedeckte Talgarnyn-Tal-Tschoku, zu erkennen, dessen Höhe nach annähernder Schätzung sich auf 14,500–15,000 F. belaufen wird.

Das Niedersteigen vom Dürenyn-Assy war fast noch gefährlicher als das Aufsteigen. Im Anfange war der Weg so steil und felsig, dabei die Zwischenräume der schlüpfrigen Felsen so mit Schnee überdeckt, – am Nordabhange lag überhaupt mehr lockerer Schnee als auf dem südlichen – daß die Pferde am Zügel geführt werden mußten, und doch Menschen und Thiere fortwährend stürzten, den Abhang in malerischer Unordnung hinabrollend. Zum Glück kamen die einen wie die andern ohne ernstlichen Schaden davon. Der Steilhang, der so zurückgelegt wurde, bestand aus Gneiß. In einer Senke sammelte sich die Karavane, links von ihr in einer andern Einsenkung lag der kleine Alpensee Dürenyn-Kitschkene-Kul. Vor ihr zeigte sich in der Tiefe das Längsthal des Kebin, welches den westlichen Flügel des Alatau auf einer Strecke von 100 Werst = 40 Meilen in zwei Parallelketten, eine nördliche und eine südliche, scheidet. Nach kurzer Erholung ging es beim Mondlicht, immer noch furchtbar steil, weiter hinab, bis nach 2½ Stunde die obere Grenze des Baumwuchses und ein Gebirgsbach, der nördliche Dürenyn-Ssu, der mit ungewöhnlich raschem und stürmischem Fall durch ein kleines enges Querthal in das Längsthal des Kebin fließt, erreicht war. Das wilde, romantische Thal des nördlichen Dürenyn ist mit malerischen Gruppen und Wäldchen hochstämmiger Fichten (picea Schrenkiana) besetzt. Unter solchen wurde, nachdem noch 1½ Tausend Fuß von der oberen Grenze der Baumvegetation zurückgelegt waren, das Bivouac aufgeschlagen, und lustig brannten zum ersten Male wieder seit dem Uebergange über den Ssuok-Tübbe die Feuer, über welchen die Kessel mit Eberfleisch brodelten. Am Himmel stand der Mond und übergoß mit hellem Lichte die Berggipfel, während die eingeschnittenen Schluchten und Klüfte im tiefsten Dunkel lagen. Da lebten die Kosaken wieder auf, sangen ihre muntersten Lieder, und es regte sich ihr Unternehmungsgeist; zwei von ihnen fehlten beim Appell, ihre Kameraden kicherten, und am Morgen waren sie da, beladen mit – Branntwein, den sie aus Wärnoje jenseit der Nordkette, 7 Meilen weit, herbeigeschafft hatten!

[135] Am 12. October zeigte das Thermometer 8 Uhr früh −2,5 Gr. C. bei heiterm Himmel. Für das Nachtlager am Dürenyn-Ssu, das etwas oberhalb seiner Mündung in den Kebin lag, ergab sich eine Höhe von 5962 Fuß, danach mußte das Thal des Kebin an der Mündung dieses Beiflusses auf 5500 Fuß absolute Höhe geschätzt werden. Der unmittelbar über dem Lager etwa 2000 Fuß steil ansteigende Berggrat ließ Schiefer von graugrünlicher Färbung, dessen Schichten von O. nach W. strichen und sich nach N. unter einem Winkel von 65 Gr. senkten, zu Tage stehen. In einer halben Stunde war der Kebin erreicht. Das Thal desselben war hier etwa ½ Werst breit; vom Nordabhange der Südkette ging in dasselbe ein hochstämmiger Fichtenwald hinab. Der Kebin ist ein rauschender, an Wasserfällen reicher Fluß, der hier eine Breite von etwa 50 Fuß hat. Nachdem er in einer Furt passirt war, begann das Aufsteigen an der Nordkette in der Richtung nach Nordost. Das Gestein war derselbe Schiefer wie an der Südkette mit fast derselben Streichung von Ost nach West (nur um 5 Gr. abweichend in der Richtung von OSO nach WNW), fiel aber hier nach S. unter einem Winkel von 55 Gr. Diese synklinische Lage der Schieferschichten im Kebinthale beweist offenbar, daß das Gebirge auf beiden parallelen Linien gleichzeitig gehoben wurde. Was die geologische Epoche dieses Schiefers betrifft, so ist er sehr alt, paläozoisch, und obwohl wegen Mangels an Versteinerungen die Formation, zu der er gehört, nicht genau zu bestimmen war, so möchte er doch in eine der beiden älteren paläozoischen Formationen zu setzen sein; wenigstens im östlichen Flügel des Alatau liegt auf ähnlichen Schiefern Kalk mit Versteinerungen der devonischen Periode, dieser aber wieder unter Bergkalk (aus der Steinkohlenformation).

Der Marsch aus dem Kebinthale zur Höhe des Passes Keskelen dauerte 5 Stunden. Die Schieferschichten nahmen bald ein Ende, und man traf hellen grobkörnigen Granit an, welcher steile, felsige Abstürze bildete. Das kleine Querthal, in dem man aufstieg, hob sich rasch in steilen Stufen und war durch einen starken Granitkamm geschlossen. Ein wild rauschender Bach, dessen Ränder schon stark beeist waren, führte an den Fuß der hohen Granitwand, wo er seinen Ursprung nahm. Ueber 1000 Fuß hoch war diese letzte Stufe des Aufstiegs und aus hellem und rothem Granit zusammengesetzt. An der Grenze beider Varietäten ging der Weg im Zickzack aufwärts, zuletzt mit lockerem Schnee bestreut. Die Uebergangsstelle bildet einen kleinen Ausschnitt in dem Gebirgskamme, dessen nächste Gipfel etwa 3–500 Fuß über den höchsten Punkt des Passes, welcher 10,400 Fuß über dem Meere liegt, hinausstehen. Links, d. h. westlich vom Passe erheben sich abschüssige Felsen von hellem Granit, [136] die mit einem sehr schmalen, scharf umrissenen, gezackten Kamme gekrönt sind, rechts ein etwas abgerundeter Gipfel von rothem Granit. Diesen erklomm unser Berichterstatter ohne viele Mühe und konnte auf dem welligen, zackigen Kamme desselben in der Richtung nach Osten einherspazieren. Ueberall lag lockerer Schnee, wo nicht steile Abhänge das Aufliegen desselben verwehrten. Unter dem frischgefallenen Schnee und namentlich auf dem Nordabhange des Kammes waren vereiste, vieljährige Schichten ewigen Schnees erkennbar, doch bildeten diese nur Felder von kleinerem Umfange. Die Aussicht gab an Erhabenheit der vom Faulhorn in den Berner Alpen nichts nach. Ringsum, namentlich im Süden, Südosten, Osten und Nordosten starrten zerrissene, zackige Gipfel empor, deren dunkle, kahle Steilhänge einen scharfen Contrast zu dem blendenden Weiß ihrer auf ebneren Stellen liegenden Schneedecke bildeten, ein Contrast, der den einheimischen Namen des „bunten“ Gebirges hier vollständig rechtfertigte. Vom Issyk-Kul war nichts zu sehen, wohl aber tauchten zwischen den Gipfeln des Alatau aus bläulichem Nebel die Schneehäupter des Himmelsgebirges im Süden auf. Nach Norden zu drang der Blick durch das enge, wilde Thal des Keskelen weit in die ebene, endlose Steppe des Ili.

Die Abfahrt war wiederum schwieriger als die Auffahrt. Schnee und Steine lagen chaotisch durcheinander, die vereiste Rinde des ewigen Schnees machte das häufige Fallen von Menschen und Thieren gefährlich; dazu ging es sehr steil abwärts. Am Ende dieses steilen Abstiegs entdeckte Ssemenof zwei Adern von Diorit im Granit. Die zweite derselben fiel durch ihre grobkörnige Zusammensetzung und darin sich abhebenden Krystalle von grünlicher Hornblende auf. Hier traf man auf einen der Quellbäche des Keskelen, der schon vollständig zugefroren war. Sein Thal war mit mäßigem Fall nach NO gerichtet und lag an der Grenze der obern alpinen und der Zone der Alpensträucher, d. h. in einer Höhe von 9500–9000 Fuß, an den Abhängen trat schon Juniperus pseudosabina auf. Nach 20 Minuten Weges in diesem Thale war wieder ein steiler Absatz zu überwinden. Bei 8000 Fuß absoluter Höhe zeigten sich wohlgewachsene Fichten, zwischen denen die beiden Quellbäche des Keskelen rauschend zusammenflossen. Das enge Thal des westlicheren war im Hintergrunde von Schneegipfeln geschlossen. Das Hauptthal des Keskelen, in welchem es nun weiter ging, war mit schöner grüner Vegetation geschmückt und wurde außerordentlich malerisch und romantisch. Nach 2½stündigem Marsche von der Höhe des Passes her wurde endlich in einem Fichtenwäldchen, etwa 6000 Fuß hoch, das letzte Bivouac aufgeschlagen.

[137] Am 13. October wurden etwa noch 2 Meilen (15 Werst) im Gebirge und 5/7 Meile (5 Werst) in den Vorbergen zurückgelegt, immer zur Seite des Keskelen. Die ersten 8 Werst lagen größtentheils in einem Fichtenwalde, zu Tage stand auf dieser Strecke rother Granit. Weiterhin, jenseit eines Nebenthälchens, aus dem von rechts her ein Zufluß des Keskelen hervorströmte, ging der Granit zu Ende und wurde von grauem Syenit und Diorit abgelöst, auch der Fichtenwald hörte auf; man trat in die Zone des Aprikosenbaumes (Urük), d. h. man war unter 5000 Fuß herabgekommen. Nach 12 Werst vom Nachtlager aus hörte auch der Syenit unter Diluvialboden auf; noch 3 Werst weiter debouchírte der Zug aus den hohen Bergen und[WS 2] gelangte in die hügelige Vorgebirgslandschaft des Alatau. Die Hügel derselben waren vollständig mit Diluvialboden und mehr oder weniger großen, zuweilen selbst ungeheuren Steinen von Granit, Syenit, Diorit und Diorit-Porphyr bedeckt. Zwei Werst nach seinem Austritt in die Vorberge bricht der Keskelen durch dieselben in einer sehr engen Schlucht, deren Steilwände aus röthlich-violettem Porphyr bestehen, der auch Schichten von Kieselschiefer gehoben und stark metamorphosirt hat. Diese Schichten streichen von OSO nach WNW mit einer Abweichung von nur 10 Gr. vom Parallel und fallen nach Norden. Nach Durchziehung dieser Schlucht trat man endlich in die untere Ebene ein, wandte sich nach Ost und gelangte nach einem Marsche von 30 Werst glücklich wieder nach Wärnoje.

(Schluß folgt.)



[208]
IX.
P. v. Ssemenof’s Forschungsreisen in den Trans-Ilischen Alatau und zum Issyk-Kul,
ausgeführt in den Jahren 1856 und 1857.
Nach dem Russischen von F. Marthe.
(Schluß von S. 137.)


Im folgenden Jahre 1857 hatte der treffliche Führer, dem wir bisher gefolgt sind, Gelegenheit, seine Kenntnisse vom westlichen Flügel des Alatau durch eine Excursion in das Thal des Kebin zu vervollständigen. Es war diesmal in besserer Jahreszeit, am 17. August n. St., als er in Begleitung eines höheren Localbeamten mit einer Bedeckung von 5 Kosaken aus Wärnoje aufbrach. Die Reise ging an der Almaty oder Almatinka, an welcher bekanntlich Wärnoje liegt, aufwärts und war in ihrem ersten Theile die Wiederholung einer Excursion, welche Ssemenof schon am 31. Mai im Almaty-Thale bis zur Grenze der Waldvegetation ausgeführt hatte.

Zwölf Werst oberhalb Wärnoje beginnt der Eintritt in die Vorberge des Alatau. Das schöne Thal der Almatinka nimmt von hier aus bald den Anblick eines künstlich bepflanzten Gartens oder Parkes an; Gruppen wilder Apfel- und Aprikosenbäume sind untermischt mit anderen Laubbäumen, namentlich von der neu entdeckten Ahornart (Acer Semenowii), der gemeinen Vogelbeere (Sorbus aucuparia), der Espe (Populus tremula), Crataegus pinnatifida und von Sträuchern der schwarzen Berberitze (Berberis heteropoda). Zu den in dieser Zone wachsenden Gräsern gehören u. A. Paeonia anomala (var. hybrida forma intermedia), Scrophularia aquatica, Rheum leucorhizum. Das erste, zu Tage stehende Gestein ist Syenit. Nach 1½ Stunden Steigens gehen Fluß und Thal in zwei Aeste auseinander, die Aprikosen- und Apfelbäume hören auf (in einer Höhe von 4–4500 Fuß), es beginnt der Fichtenwald, immer noch untermischt mit den vorhin genannten Laubbäumen, von denen übrigens der Ahorn bei 5000 Fuß seine Grenze erreicht. Die in der Zone der Nadelhölzer vorherrschenden Sträucher sind: Geißblatt (Lonicera tatarica, L. coerulea, L. hispida), Himbeere (Rubus idaeus), Johannisbeere (Ribes atropurpureum und diacanthum), Wachholder (Juniperus pseudosabina). Unter den Kräutern der Waldzone fielen dem Reisenden die Vertreter von Familien auf, die im Thian-Shan und Alatau selten sind, namentlich aus der Familie der Orchideen: [209] Coeloglossum viride und Goodyera repens, ferner zwei Species Pyrola. Außerdem wachsen hier: Aquilegia vulgaris, Atragene alpina, Chelidonium majus, Draba incana (var. habecurpa), Cerastium dahuricum, Orobus luteus, Lathyrus pisiformis, Geranium rectum, Pedicularis verticillata, Veronica biloba. Die Reisenden waren den westlichen Arm der Almatinka hinaufgegangen, der steile Pfad führte durch Walddickicht und ungeheure Stein- und Felsblöcke hindurch. Nach 3 Stunden Weges in der Nadelholzzone trafen sie in einer Höhe von 7500 Fuß, kurz unterhalb der Grenze dieser Zone, Anstalten zum Nachtlager. Die Flora trug hier schon den Charakter der sub-alpinen Zone, vorherrschend standen hier: Ranunculus rutaefolius, Trollius patulus, Anemone narcissiflora, Aconitum Napellus var. racemosa (sonst auch A. Lobelianum), Viola altaica, V. biflora, Parnassia Laxmani, Linum perenne, Thermopsis alpina, Alchemilla vulgaris, Saxifraga sibirica, Cnidium carvifolium, Primula nivalis, Androsace septentrionalis, Polemonium coeruleum, zwei Arten Carex u. a. Das Gestein, das am Orte des Nachtlagers austrat, war Syenit.

Am 18. August kamen die Reisenden nach halbstündigem mühseligem Marsche durch Syenitfelsen und Fichtenwald aus der Waldzone heraus und betraten zunächst die Zone der Alpensträucher, bald die der ausschließlichen Alpenkräuter. Die üppige, durch Mannigfaltigkeit der Blumen und Lebhaftigkeit der Farben ausgezeichnete Flora der Alatauschen Alpenzone bestand aus folgenden Pflanzen: Ranunculus altaicus var. trilobus, Hegemone lilacina, Delphinium caucasicum var. hirsutum, Aconitum Napellus, A. Lycoctonum, A. rotundifolium, Papaver alpinum, Corydalis Semenowii, Draba pilosa, D. lactea, Lychnis apetala, Alsine verna, Cerastium trigynum, Geranium saxatile, Thermopsis alpina, einige alpine Species von Astragalus und Oxytropis, Hedysarum obscurum, Potentilla fruticosa, Saxifraga hirculus, S. flagellaris, S. sibirica, Aster alpinus, Erigeron alpinum, Leontopodium alpinum, 2 Saussurea, Doronicum altaicum, Campanula glomerata, Primula nivalis, Primula farinosa, Soldanella alpina, Myosotis alpestris, Eritrichium villosum, Gymnandra altaica, 2 Arten Carex. Endlich hörte aller Pflanzenwuchs auf, und die Reisenden arbeiteten sich durch frischgefallenen Schnee gegen Mittag zum Gipfel des Passes hinauf. Das Thermometer zeigte hier +3,5° C., als absolute Höhe des Passes ergab sich aus der Temperatur des siedenden Wassers 10,650 russ. Fuß.

Ueber ein Schneefeld hinweg stiegen die Reisenden zu einem kleinen, hübschen Alpensee hinab, aus welchem der Ik-Koi-Ssu, einer der Quellarme des Kebin, abfließt. Der ganze Abstieg war äußerst steil. Das austretende Gestein bestand zuerst aus Granit, dann aus Syenit, dem endlich Schiefer folgte, welcher von O. nach W. streichend [210] nach Süd abfiel. Nach 5 Stunden Absteigens war das Thal des Kebin erreicht, nicht weit von dem obersten Theile dieses schönen Längsspaltes. Beim Hinuntersteigen zum Kebin konnte deutlich wahrgenommen werden, wie dieser Fluß aus mehreren Gebirgsbächen entsteht, welche hauptsächlich dem Gebirgsjoch entspringen, das die Nord- und Südkette des „Trans-Ilischen“ Alatau verbindet und die Quellen des Kebin und des ostwärts laufenden Tschilik von einander scheidet. Der erste Zufluß des Kebin von der Südkette her ist der Koi-Ssu. Dem Laufe des Kebin folgten die Reisenden in dem ziemlich breiten Thale, dessen Gräser von den Heerden der Kara-Kirgisen nach den Erfahrungen des vorangegangenen Jahres nicht berührt worden waren. Die Richtung war direct westlich. Bis zur Mündung des Ak-Ssai, der von rechts in den Kebin fällt, ist das Thal vollständig waldlos, einige Alpenpflanzen, z. B. Leontopodium alpinum und Parnassia Laxmani, wachsen an den Rändern des Flusses, und unter den Millionen hier aufgeschütteter Steine Patrinia rupestris. Die Reisenden setzten auf das linke Ufer hinüber und verfolgten ihren Weg am Saume eines Fichtenwaldes, der sich nicht gerade weit den Berg hinaufzog. Kurz vor der Mündung des wasserreichen, schäumenden Aitambet-Tschoku, der von links zum Kebin fließt, gingen sie wieder auf das rechte Ufer hinüber. In der Ferne sahen sie auf der linken Seite die Mündung der Schlucht, aus welcher sich der uns schon bekannte Dürenyn-Ssu in den Kebin ergießt, und welche auf beiden Seiten mit einem breiten Streifen Fichtenwaldung umkränzt ist. Sie sollten nicht bis dahin gelangen. Der mitgenommene kirgisische Führer sah plötzlich mit immer ängstlicherer Miene aufmerksam am Boden umher. Die Europäer bemerkten hier nichts als frische Pferdespuren; aber der Kirgise behauptete nach Beendigung seiner Prüfung, daß an dieser Stelle vor etwa einer Viertelstunde eine große Baranta, über 100 Mann, der Ssara-Bagisch gerastet habe. Und richtig, nicht weit davon stieß man auf einen Haufen noch glimmender Kohlen. Die Kirgisen besitzen überhaupt, ähnlich den rothhäutigen Steppenbewohnern Nordamerikas, eine erstaunliche Fertigkeit darin, aus gefundenen Spuren zu erkennen, wann dort Menschen waren, wieviel und von welchem Stamme. Um das Zusammentreffen mit den freien Kindern der Steppe zu vermeiden, warf sich die Reisegesellschaft in die erste Schlucht der Nordkette des Alatau. Es war ein öder, wilder Querspalt, in welchem sie noch so weit hinanstieg, daß das Nachtlager in einer Höhe von etwa 8500 Fuß, sicher vor jeder Gefahr, genommen werden konnte. Ein schroffer, aus Kieselschiefer bestehender Felsen schützte vor jeder Ueberraschung. Die Nacht war hell und kalt, schon am Abend das Zelt bereift.

Am Morgen des 19. August um 7 Uhr stand das Thermometer [211] auf 0°, ringsum war der Felsboden mit Reif überzogen. Die Reisenden gelangten mit großer Mühe in 2 Stunden den steilen Kamm hinauf, der die Schlucht schloß und sich als 10,490 Fuß hoch erwies. Auf dieser Höhe wuchsen einige Pflanzen der oberen Alpenzone, unter anderen die kreuzblüthige Hutchinsia pectinata Bge. Am Nordabhange zeigte sich ein kleines Eisfeld ewigen Schnees. Nachdem die steile Niederfahrt vom Hauptkamme glücklich vollendet war, wendeten sich unsere Reisenden etwas westlich und gelangten bald an den östlichsten Quellbach des Keskelen, an dem sie bis zur obern Grenze der Waldvegetation hinabzogen und dann Halt machten, um die Höhe dieser Grenze hypsometrisch zu bestimmen. Sie stellte sich hier auf 8060 Fuß, eine Ziffer, die mit früheren Beobachtungen gut übereinstimmte. Man würde danach am Nordabhange des Trans-Ilischen Alatau die äußerste Grenze des Waldwuchses zwischen 8000 und 8500 Fuß zu suchen haben. Höher hinauf, bis 9000 und 9500 Fuß, gehen alpine Sträucher, wie z. B. Lonicera hispida, Potentilla fruticosa, Juniperus pseudosabina u. a.

Als die Reisenden noch weiter hinab, zum Zusammenflusse der Quellarme des Keskelen gekommen waren, befanden sie sich auf einem uns schon bekannten Wege. Ssemenof hatte diesmal Zeit, die untere Grenze der Nadelhölzer hypsometrisch zu bestimmen. Es fand sich, daß sie hier im Keskelenthale bei 5290 Fuß Meereshöhe liegt. Die Baumvegetation des Thales wird von da an ärmlich; das aus sandigem Diluvialboden bestehende Terrain ist trocken und umschließt eine Menge Steine, oft von ungeheuerer Größe, die aus Granit und Syenit bestehen und Versprengte vom Hauptstock des Alatau sind. Apfel- und Aprikosenbäume sind im unteren Thale des Keskelen nicht häufig, dagegen fehlt es nicht an hohen Sträuchern, namentlich sind vertreten: Hippophae rhamnoides, Crataegus pinnatifida, Cotoneaster multiflora, Rosa platyacantha und cinamomea, Berberis heteropoda. Unter den niedrigen Gewächsen des unteren Thales (von 4000–2200 Fuß) überwiegen Glycyrhiza asperrima, Sophora alopecuroides, Erysimum canescens, Salvia silvestris d. h. solche Pflanzen, welche beweisen, daß die Steppenflora auch den untern Theil des Thales beherrscht.

Als man zuletzt auch die oben beschriebene Porphyrschlucht passirt hatte und in die heiße, an das Gebirge sich lehnende Ebene hinausgetreten war, zeigte das Thermometer Abends 8 Uhr nach Sonnenuntergang etwas über 17,6° C. Als absolute Höhe dieser Ebene fand Ssemenof 2302 Fuß. Auf einer Insel des hellen, rauschenden Keskelen wurde übernachtet und am andern Morgen der Rückweg nach Wärnoje angetreten.

Unser Gewährsmann machte im J. 1857 noch verschiedene andere Excursionen, namentlich in dem gesicherten Ostflügel des Gebirges, [212] bei welchen er alle irgend möglichen Bergübergänge in beiden Ketten zu passiren suchte und an Ort und Stelle mittelst der Temperatur des siedenden Wassers 35 hypsometrische Bestimmungen ausführte. Das Resultat dieser wissenschaftlichen Ausflüge fassen wir mit ihm summarisch zusammen.

Der „Trans-Ilische“ Alatau erstreckt sich in einem mittleren Abstande von 50–60 Werst = 7–8¼ Meile südlich vom Flusse Ili in der Richtung von ONO. gegen WSW. Hiernach erklärt sich sein Name „Trans-Ilisch“, der ihn von dem Ssemiretschinskischen („der sieben Flüsse“) oder dsungarischen Alatau unterscheidet[9]. Das breite Steppenthal des Ili, aus dem der Trans-Ilische Alatau sich erhebt, hat eine Meereshöhe von 1000–3000 Fuß, indem es vom Bett des Ili bis zum Fuße des Gebirges allmählich ansteigt (das Niveau des Ili hat am Piket Iljiskoje nach Ssemenof’s hypsometrischer Bestimmung 1230 F., nach der barometrischen Golubef’s 1300 F. absoluter Höhe). Die absolute Höhe am Nordfuße des Trans-Ilischen Alatau wird durch folgende Messungen Ssemenof’s bestimmt: am Austritt des Keskelen aus den Vorbergen (s. oben) 2302 russ. F., Wärnoje 2270 F. (nach barometr. Bestimmung Golubef’s 2430 F.), am Austritt des Flusses Issyk 2940 F., am Austritt des Flusses Turgen 2970 F., am Austritt des Flusses Tschilik 2810 F. Die Höhe am Südfuße des Gebirges ergiebt sich aus den oben mitgetheilten Bestimmungen über die Höhe des Seeniveaus im Issyk-Kul.

Vom Ili aus gesehen, erscheint der Trans-Ilische Alatau wie eine hohe steile Mauer, ohne alle Vorberge und ohne bedeutendere Ausschnitte in dem welligen Kamme; am höchsten erscheint und ist die Mitte des ganzen Zuges, die über die Schneelinie hinausgeht, zu beiden Seiten sinkt dann der Kamm allmählich und symmetrisch ab. Namentlich die Formen des mittleren, schneebedeckten Theiles treten im Sonnenlicht bei der durchsichtigen Atmosphäre Centralasiens, z. B. von. Iljiskoje aus deutlich hervor, während die unbedeutenden Contreforts und Vorberge dem Auge völlig in einander fließen.

Als östliches Ende des Trans-Ilischen Alatau nimmt Ssemenof den Punkt an, wo der Karkara und Kegen, welche den Tscharyn, einen linken Zufluß des Ili bilden, zusammenfließen, als Westende die Stelle, wo der Tschu aus der Schlucht von Buam hervorbricht. In diesen Grenzen hat das Gebirge eine Länge von reichlich 28 geogr. Meilen (200 Werst). Doch setzt sich diese Erhebung nach beiden Seiten hin fort: nach Osten hin in die chinesische Ili-Provinz unter [213] verschiedenen Benennungen (Kullok, Temirlik, Tschanpanyn), weiterhin unter dem allgemeinen Namen Nan-Schan, bildet hier über den Durchbruch des Tekes hinaus die Vorkette des Thian-Schan und schließt sich dem gigantischen Bergjoch Bogdo-Oola an. Nach Westen zu bildet die Verlängerung des Trans-Ilischen der Kirgisnyn-Alatau (oder das Alexandergebirge), der sich zwischen dem Tschu und Talas erstreckt und mit dem westlichen Thian-Schan (von Ssäwerzof Urtak-Tau benannt) durch das Bergjoch in Verbindung steht, welches die Wasserscheide zwischen den oberen Zuflüssen des Koschkar und des Talas herstellt. Mit diesen östlichen und westlichen Fortsätzen bildet der Trans-Ilische Alatau unzweifelhaft die Vorkette des Thian-Schan, von welchem er auch in seinem geognostischen Bau wenig verschieden ist.

Wir betrachten hier nur den Trans-Ilischen Alatau im engeren Sinne innerhalb der oben bezeichneten Grenzen. Die höchst characteristische Eigenthümlichkeit dieses Gebirgszuges ist die merkwürdige Symmetrie seiner orographischen Gestaltung. Das Gebirge besteht aus zwei hohen Parallelkämmen, der oft genannten Nord- und der Südkette. Beide Kämme sind beinahe im Meridian der Mitte des Issyk-Kul durch ein Querjoch verbunden, welches das tiefe, beide Ketten trennende Längsthal wie durch eine Scheidewand in zwei mit den Spitzen zusammenstoßende Längsthäler abtheilt, aus denen nach West in der Richtung nach WSW. der Große Kebin zum Tschu, nach Ost in der Richtung nach ONO. der Tschilik, ein linker Zufluß des Ili, abfließen. Dem Querjoche entspricht in der Nordkette der höchste Punkt des ganzen Gebirges, der Talgarnyn-Tal-Tschoku, zu dessen beiden Seiten auf je 7 Meilen hin das Gebirge ewigen Schnee auf seinem Rücken trägt. Jedes der beiden Längsthäler hat etwa eine Länge von 14 Meilen (100 Werst) bei einer Breite von 2½–3 Werst. Der Tschilik bricht aus seinem Längsthale durch einen Querspalt der niedriger gewordenen Nordkette und wendet sich weiterhin nach Norden, der Kebin durchschneidet zuletzt in einer wilden Schlucht diagonal die Südkette und strömt im nördlichen Theile des Engpasses von Buam in den Tschu ein.

Es gehört ferner zur Symmetrie dieses merkwürdigen Gebirges, daß die beiden Ketten desselben an ihrem östlichen und westlichen Ende allmählich aus einander treten, daß demnach die beiden Längsthäler in demselben Verhältniß sich erweitern, und daß in jedes dann eine mit den Hauptketten parallele Zwischenkette eingeschoben ist. Im Osten heißt dieser Nebenzug Dalaschik und scheidet von dem Längsthale des Tschilik das nördliche kürzere Längsthal Dschenischke. Im Westen heißt diese Zwischenkette Utsch-Konur und trennt vom Großen Kebin den nördlichen, sehr kurzen Kleinen Kebin. (Die [214] Verhältnisse hier im Westen kennt Ssemenof indeß nicht aus eigener Anschauung[10].

Der Kamm beider parallelen Hauptketten besteht seiner ganzen Länge nach aus Granit und Syenit. Am Nordabhange der Nordkette erscheinen hie und da Kieselschiefer, die stark zerrissen und metamorphosirt sind von Porphyren, aus denen alle Vorberge des Nordabhanges bestehen; Kalke, aber ohne organische Ueberreste, liegen auf der Nordseite nur im Querthale des Turgen. Zwischen beiden krystallinischen Ketten breiten sich in den Längsthälern Flötzgesteine aus, namentlich Schiefer, Sandstein und Kalke paläozoischer Formationen, in denen sich viele Versteinerungen befinden, in den untern Schichten aus der devonischen (z. B. Atrypa reticularis), in den oberen aus der Steinkohlen-Formation (so z. B. Productus semireticulatus, Pr. cora u. a.). Im Thale des Tschilik, wie in dem des Kebin ist der Fall der Flötzschichtungen ein synklinischer, d. h. sie sind durch die gleichzeitige Hebung beider Parallelkämme emporgetragen worden. Das Zwischengebirge Dalaschik besteht ganz aus Flötzformationen, deren Schichten eine antiklinische Falte bilden, die sich in der Mitte des Längsthales, parallel den krystallinischen Kämmen gebildet hat. Am Südabhange der Südkette liegen dieselben Kieselschiefer und Kalke, auch fand Ssemenof hier Versteinerungen aus der Steinkohlenformation im Thale des Tabulgaty. Porphyre bilden ebenfalls hie und da Vorberge auf der Südseite des Alatau. Dioritadern begegnen an verschiedenen Punkten des Gebirges.

Nach allem diesem zerfällt das Relief des Trans-Ilischen Alatau in drei Haupttheile: 1) die Nordkette mit ihren Vorbergen, 2) die beiden Längsthäler mit den einliegenden Zwischenketten und Hochebenen, 3) die Südkette.

Die Nordkette ist in ihren allgemeinen Zügen genugsam geschildert worden. Der besondere, östliche Theil derselben, der vom Durchbruch des Tschilik bis zum Tscharyn reicht, ist unter dem Namen Turaigyr bekannt. Die Höhe ihres Hauptgipfels, des Talgarnyn-Tal-Tschoku, wurde von Ssemenof nicht speciell gemessen, doch vermuthet er nach seinen Bestimmungen über die Höhe der Schneelinie und nach einer Vergleichung der schneelosen und schneebedeckten Theile dieses Berges, daß seine Höhe nicht bedeutend über 15000 russ. Fuß hinausgehen könne. Die mittlere Höhe der Nordkette überhaupt würde sich ungefähr aus den von Ssemenof gemessenen Höhen einiger Bergübergänge ergeben, es sind vom Talgarnyn-Tal-Tschoku aus im [215] Westflügel: der Almaty 10,620 F., der Keskelen 10,490 F., der Ssuok-Tübbe 7500 F., im Ostflügel: der Turgen-Assy 8060 F., der Turaigyr 6336 Fuß hoch. Hiernach würde sich die mittlere Kammhöhe der Nordkette etwa auf 8600 Fuß stellen. Den schönen Querthälern des Nordabhanges der Nordkette entströmen rasche, rauschende Gebirgsflüsse, von West nach Ost gezählt: der Kastek, der Kara-Kastek (bei Ssemenof beide Male Kestek), der Kargaly, der Tschemolgan, der Keskelen, der Ak-Ssai, zwei Almaty, der Talgar, der Issyk, der Turgen, der Tschebdar, der Tschilik u. a. Alle diese Flüsse werden nach ihrem Austritt in die Steppenebene durch Bewässerungscanäle stark angegriffen und erreichen außer einigen sehr wasserreichen, wie z. B. der Tschilik, nicht den Ili. – Die Porphyrvorberge der Nordkette, deren Höhe im Verhältniß zu letzterer an sich unbedeutend ist, treten zu den Vorsprüngen oder kurzen Querriegeln derselben so nahe heran, daß sie mit ihnen fast zusammenfließen. Nur vom Turgen an nach Osten werden diese Vorberge in dem Maße, als der Hauptkamm sinkt, bedeutender, und indem sie sich allmählich ganz vom Hauptkamme ablösen, treten sie östlich vom Durchbruche des Tschilik als eine besondere Porphyrkette Boguty auf, die in dem Bergpasse Sseirek-Tas eine Meereshöhe von 4990 Fuß erreicht und von dem Osttheile der Hauptkette, dem Turaigyr, durch ein vollständig ebenes Plateau getrennt ist, welches letztere bei 15 Werst = 21/7 Meilen Breite eine absolute Höhe von 3580 russ. Fuß hat.

Was die beiden Längsthäler unseres Gebirges betrifft, so hat das Kebinthal bei der Einmündung des Dürenyn reichlich 6350 Fuß absolute Höhe[11], da diese Messung indeß im oberen Theile des Thales ausgeführt wurde, und der Kebin bei seiner Mündung in den Tschu schwerlich über 4000 Fuß hoch liegt, so wird als mittlere Meereshöhe des Kebinthales 5000 russische Fuß anzunehmen sein. Das Thal des Tschilik liegt in seinem obersten Theile nach Ssemenof’s Messung 6550 Fuß hoch, an der Stelle, wo der Tschilik die Wendung zum Durchbruche macht, 5010 Fuß, seine mittlere Höhe würde sich also auf 5700 Fuß stellen. Das mit diesem parallele, kürzere Längsthal des Dschenischke lag an einer Stelle, wo Ssemenof es durchschnitt, 5820 Fuß hoch. Der zwischen beiden Thälern streichende Dalaschik hat in dem Passe Mai-Bulak 7835 Fuß und in seinem höchsten Gipfel 9530 Fuß Meereshöhe. Oestlich von der Wendung des Tschilik breitet sich zwischen den beiden niedriger gewordenen Hauptketten ein hohes, sehr ebenes Steppenplateau aus, von den Eingeborenen [216] Dschelanaschtsch genannt; es liegt im Westen d. h. an der Biegung des Tschilik reichlich 5000 Fuß hoch, in seinem östlichen Theile, namentlich jenseit der Vereinigung des Karkara und Kegen, 5300 F., und im N. oder vielmehr NW. am Fuße des Turaigyr 4570 Fuß. Diese Hochebene nun ist geologisch und topographisch sehr merkwürdig. Offenbar war sie ursprünglich ein tiefes, zwischen den Parallelketten eingesenktes Kesselthal, welches allmählich durch jüngere Niederschläge, bestehend aus Sand und Lehm nebst zahllosen Steinen ausgefüllt wurde. Das Alles bildet nun eine Art schwach cementirten Conglomerats, welches so leicht zerfällt und verwittert, daß die drei Flüßchen Merke, welche dieses Hochplateau durchrinnen, sowie ferner der Karkara und Kegen bei ihrer Vereinigung, endlich der aus letzterer gebildete Tscharyn sich tiefe Betten in dasselbe gegraben haben. Die Thäler dieser Flüsse sind in das Hauptplateau bis in eine Tiefe von 700–800 Fuß eingeschnitten und gehen mit ihrer Sohle durch das Angeschwemmte hindurch bis zum festen Gestein, welches an der zweiten Merke aus Bergkalk mit seinen Versteinerungen besteht. Dies furchtbar zerschnittene Terrain ist das Haupthinderniß auf dem sonst besten Wege, der von Wärnoje zum Issyk-Kul geht und über den Sseirek-Tas, den Turaigyr, die drei Merke und den sehr bequemen Paß der Südkette Ssan-Tasch führt. Zur Erklärung jener colossalen Ablagerungen nimmt Ssemenof an, daß der Kessel einst geschlossen war, und viele Bergströme Steine, Geröll und abgespülte Erdschollen in ihn schütteten, bis der Kessel mehr und mehr sich füllte, das Niveau des Sees, der sich in ihm gebildet hatte, stieg und endlich die Gewässer einen gewaltsamen Durchbruch nach Norden suchten, wohin noch jetzt der Tschilik und der Tscharyn abfließen. Seitdem mußten sich die drei Gebirgsbäche Merke in dem ebenen Hochplateau, dessen Bestandtheile der Kraft eines raschen Bergstromes wenig Widerstand entgegensetzen konnten, ihre tiefen Betten eingraben, die endlich bis auf das feste Berggestein hinabgelegt wurden. Die vereinigten Flüsse durchwühlten dann auch die harte Felsbank, die unter dem losen Conglomeratgebilde am Boden des Tscharyn-Thales verborgen liegt, und es entstanden so in der tiefen Schlucht bei der Mündung der Flüsse Merke in den Tscharyn die prächtigen und malerischen Wasserfälle des letzteren, welche unter dem Namen Ak-Togoi bekannt sind, „der weiße Strom“, weil das ganze Wasser des Tscharyn sich hier in silberglänzenden Schaum und Wasserstaub auflöst.

Die Südkette ist der nördlichen in ihrem Bau ähnlich, nur scheint sie im mittleren Theile niedriger als diese zu sein, fällt dafür aber allmählicher auf ihren Flügeln ab, ihre Pässe sind ferner in dem [217] Hauptkamme sehr wenig eingeschnitten, und so ihre mittlere Kammhöhe etwas bedeutender als die der Nordkette. Im westlichen Theile konnte Ssemenof keine hypsometrischen Bestimmungen ausführen; den von ihm überschrittenen Paß Dürenyn-Assy schätzte er auf 9000 bis 10,000 Fuß. Im Ostflügel maß er vier Pässe: den Kurmety 10620 F., den Schaty 10,040 F., den Tabulgaty 8790 F. und den Ssan-Tasch 5850 Fuß. Danach würde sich als mittlere Kammhöhe 8825 russ. Fuß ergeben. Die mittlere Höhe der Bergpässe in beiden Ketten des Trans-Ilischen Alatau übertrifft also die mittlere Höhe der Alpenpässe, und nur die Pässe im Hauptkamme des Kaukasus können sich an Höhe mit denen des Alatau messen.

Zuletzt giebt der ausgezeichnete Forscher eine Uebersicht der Vegetationszonen im Trans-Ilischen Alatau. Er unterscheidet deren fünf resp. sechs, welche eine über der anderen liegen.

Die erste ist die Steppenzone, welche bis 2000 Fuß hinauf d. h. eben nur an den Fuß des Alatau hinangeht. Wälder giebt es in derselben gar nicht. Nur der Rand der Flüsse, des Ili und anderer ist hie und da mit Bäumen umsäumt, Pappeln (Populus pruinosa und P. diversifolia), Dschidda (Elaeagnus angustifolia) und einer Eschen-(Fraxinus-)Art. Dies sind nach Ssemenof die einzigen Bäume, welche in dieser Zone im Trans-Ilischen Striche vorkommen. Dagegen ist die Steppenzone ungleich reicher an Sträuchern. Hierher gehören: Clematis soongorica Bge., Cl. orientalis L., Berberis integerrima Bge., Ammodendron Sieversii Fisch., Halimodendron argenteum D. C., Caragana frutescens D. C., C. tragacanthoides, Hultheimia berberifolia Dumort., Rosa Gebleriana Schr., Tamarix elongata Led., T. laxa W., T. Pallasii Mey., T. hispida W., Lycium sp., ferner Ssaksaul {Anabasis Ammodendron), einige Arten Calligonum, Salix und Ephedra.

Die Flora der Steppenzone unterscheidet sich überhaupt von den über ihr liegenden scharf durch ihren, dem europäischen Typus fremden Character. Nicht nur ist es die starke Proportion reiner Steppenformen, wie z. B. der zahlreichen Salsolaceen und Tamariscineen, von Leguminosen – die Astragalus-Arten, ferner Hedysarum, Alhagi, Halimodendron, Ammodendron, unter den Doldenpflanzen – die Ferula, von den Caryophyllen Acanthophyllum, unter den Compositen – die Saussurea, ferner von Polygonen – die Calligonum, endlich Cynomorium coccineum L. u. a. mehr, sondern es ist nicht minder auch der äußere Anblick, der Habitus dieser Steppenpflanzen, der dem europäischen Wanderer auffallen und neu erscheinen wird. So erblickt er halbstrauchartige, vielverzweigte, stechende oder fleischige Formen, das Grün oft mehr aschgraufarben, oder wo es fleischig ist, mit einem [218] graulichen Schmelz, wie bei der reifen Pflaume, überzogen. Er vermißt den zusammenhängenden Rasen, vielmehr schimmert durch die in Zwischenräumen von einander stehenden Pflanzen-Individuen der nackte Boden hindurch, endlich sieht er selten verschiedene Arten durch einander gemischt, sondern in der Regel jede einzelne zu mehr oder weniger ausgedehnten Gruppen oder Gesellschaften vereinigt. Europäische Pflanzenformen bilden in der Steppenzone höchstens 10 Procent ihrer Flora, und auch diese sind mehr Formen, die den Uferländern des Schwarzen und des Kaspischen Meeres angehören, wenige, die auch in Mitteleuropa heimisch sind. Der größte Theil dieser Steppengewächse gehört zur Flora der Aralo-Kaspischen Niederung, die sich hier in die Tiefe Mittelasiens, zwischen die äußersten nordwestlichen Verzweigungen des großen centralen asiatischen Berglandes eindrängt. Manche dieser Pflanzen gehen allerdings auch über die Grenzen jener Niederung hinaus, theils nach NO. in die Barabinskische Steppe und zum Fuße des Altai, theils südwestlich nach Persien und ein die südlichen Uferländer des Schwarzen und des Mittelländischen Meeres, bis nach Syrien und Nordafrika hin. Dafür sind aber auch nicht wenige, die bis jetzt nur in den Grenzen der Ili- und Balchasch-Niederung gefunden wurden. Es sind: Clematis soongorica Bge., Farsetia spathulata Kar., Helianthemum soongoricum Schr., Acanthophyllum paniculatum Regel et Herder, Erodium Semenowii R. et H., Haplophyllum Sieversii Fisch., Zygophyllum R. et H., Oxytropis Semenowii R. et H., Astragalus brachypus Schr., A. cognatus Schr., A. sphaerophysa Kar., A. Turczaninovii Kar., A. spartioides Kar., A. lanuginosus Kar., A. flexus Fisch., A. lagocephalus Fisch., A. alopecias Pall., A. Semenowii R. et H., A. ilensis R. et H., A. farctus R. et H., A. chlorodontha R. et H., A. halodendron R. et H., Orobus Semenowii R. et H., Hedysarum Semenowii R. et H., Rosa Gebleriana Schr., Eryngium macrocalyx Schr., Ferula soongorica Pall., Achillea trichophylla Schr., Artemisia juncea Kar., Saussurea rigida Led., S. coronata und noch manche andere.

Es lassen sich in der Steppenzone 2 Etagen unterscheiden, die auch in ihrer horizontalen Erstreckung zwei besondere Gebiete bilden. Die erste, von 500–1000 Fuß gehende, ist durch Ssaksaul und überhaupt die charakteristischen Pflanzen der Aralo-Kaspischen Niederung, ferner durch locale Typen gekennzeichnet. Die zweite von 1000 bis 2000 Fuß gehende characterisirt sich durch Artemisia und begreift eine größere Zahl europäischer Typen als die erstere. Klima und Boden der Steppenzone zeichnen sich durch außerordentliche Trockenheit aus. Flüsse, welche die drei nächst höheren Zonen als muntere Bergströme durcheilen, nehmen rasch an Umfang ab, sobald sie die Steppenzone [219] berühren, bilden lange Trockenstellen oder salzhaltige kleine Seen und sterben endlich ganz ab, indem theils der durstige Boden, theils die erhitzte Atmosphäre ihr Wasser verschlucken. Für Kolonisation ist die Steppenzone darum ungeeignet, und die einzige russische Ansiedelung derselben, Iljiskoje an einer Ueberfahrtsstelle des Ili, hat keine ökonomische, sondern nur strategische Bedeutung. Dagegen hat die Steppenzone für die Oekonomie der Eingeborenen, der Kirgisen, eine um so größere Wichtigkeit, denn sie gewährt ihnen die beste Ueberwinterungsstätte und gutes Viehfutter während des kurzen, wenig schneeigen Winters, der dieser Zone eigenthümlich ist.

Die zweite Zone, welche die Kultur- und Gartenzone heißen könnte, erstreckt sich nicht nur am Fuße des Alatau, sondern geht auch seine Vorberge und Thäler bis zur untern Grenze des Nadelholzes hinauf, d. h. von 2000–4500 Fuß am Nord- und bis 5000 Fuß am Südabhange des Gebirges. An Laubwaldungen ist in dieser Zone kein Mangel, besonders sind solche Wäldchen in den untern Theilen der Querthäler, welche den Nordabhang des Alatau durchbrechen, nicht selten und üppigen Parkanlagen zu vergleichen. Unter den Baumgattungen dieser Zone treffen wir auch Obstbäume, die in Sibirien völlig fremd sind, so den wilden Apfel- und den wilden Aprikosenbaum, im westlichen Thian-Schan auch Pistacien- und Wallnußbäume. Außerdem gedeihen in dieser Zone: Populus laurifolia, P. tremula, Betula davurica, die schöne, neuentdeckte Ahornart Acer Semenowii, Sorbus aucuparia, Prunus padus und Crataegus pinnatifida. Von diesen steigen auch in die folgende Zone hinauf: Birke, Espe und Vogelbeere. Sträucher sind ebenfalls in dieser Zone zahlreich vertreten: Clematis soongorica Bge., Cl. orientalis L., Berberis heteropoda Schr., Caragana frutescens Dc., C. tragacanthoides Poir., C. pygmaea Dc., Halimodendron argenteum Dc., Prunus prostrata Lab., Spiraea hypericifolia L., S. multifida L., S. crenata L., S. trilobata L., Rubus idaeus L., Rosa pimpinellifolia Dc., R. platyacantha Schr., R. cinamomea L., R. acicularis Lind. var. Gmelini, Cotoneaster vulgaris Lindl., C. nummularia Fisch., Myricaria alopecuroides Schr., Ribes heterotrichum Mey., Lonicera tatarica L., Viburnum opulus L., Hippophae rhamnoides L., einige Calligonum und Ephedra. Die Flora dieser Zone schließt im Ganzen über 60 Procent europäischer Arten in sich, und zwar besonders Vertreter der mitteleuropäischen Flora. Unter den rein asiatischen Typen gehören einige zur sibirisch-altaischen Flora, andere zur Aralo-Kaspischen, die meist aus der vorhergehenden Zone höher hinauf gezogen sind, eine dritte Abtheilung endlich bilden die der Dsungarei d. h. den Stufenländern des Thian-Schan, der beiden Alatau und des Tarbagatai eigenthümlichen [220] Pflanzen, die theilweise auch weiter südlich, am Rande des asiatischen Hochgebirges d. h. im östlichen Persien verbreitet sind.

Zur ersten Kategorie zählen: Paeonia anomala L., Sysimbrium brassicaeforme Mey., Cerastium maximum L., C. davuricum Fisch., Geranium albiflorum Led., Thermopsis lanceolata R. Br., Caragana pygmaea Dc., C. tragacanthoides Poir., Astragalus vicioides Led., A. hypogaeus Led., A. Arbuscula Pall., A. armatus Kar., Hedysarum polymorphum Led., Hed. neglectum Led., Spiraea trilobata L., Potentilla pensylvanica L., P. dealbata Bge., P. multifida L., P. bifurca L., P. chrysantha L., P. sericea L.

Zur zweiten Kategorie gehören: Clematis orientalis L., Anemone biflora Dc., Ranunculus platyspermus Fisch., Papaver arenarium Bieb., Glaucium squamigerum Kar., Euclidium tataricum Dc., Chorispora tenella Dc., Leptaleum filifolium Dc., Goldbachia laevigala Dc., Dianthus crinitus Sm., D. recticaulis Led., Acanthophyllum spinosum Mey., Peganum harmala L., Trigonella polycerata L., Glycyrrhiza asperrima L., Halimodendron argenteum Dc., Oxytropis floribunda Dc., Astragalus Pallasii Fisch., Prunus armeniaca L., P. prostrata Led., Cotoneaster nummularia Fisch., Tamarix Pallasii Desv., Valerianella plagiostephana Fisch. Einige von diesen Arten gehen südlich über die Aralo-Kaspische Niederung hinaus und sind auch in Persien heimisch, wie Anemone biflora und Acanthophyllum spinosum.

Der dritten Kategorie endlich gehören an: Clematis soongorica Bge., Berberis heteropoda Schr., Helianthemum soongoricum Schr., Silene Semenowii R. et H., S. holopetala Bge., Acanthophyllum paniculatum Reg., Acer Semenowii R. et H., Haplophyllum Sieversii Fisch., Oxytropis macrocarpa Kar., O. merkensis R. et H., O. instans R. et H., Astragalus leucocladus Bge., A. lasiopetalis, A. ellipsoideus Led., A. Sieversianus Pall., A. arganaticus Bge., A. petraeus Kar., A. Schrenkianus Mey., Hedysarum soongoricum Bong., Onobrychis pulchella Schr., Rosa platyacantha Schr., Crataegus pinnatifida Bge., Myricaria alopecuroides Schr., Umbilicus platyphyllus Schr., Ribes heterotrichum Mey., Carum setaceum Schr., Dipsacus azureus Schr., Inula grandis Schr., Pyrethrum R. et H., Artemisia Olivieriana, Ligularia macrophylla Dc. und andere.

Die Kulturzone ist nicht nur überhaupt für Acker- und Gartenbau geeignet, sondern auch durch große Fruchtbarkeit ausgezeichnet, – aber unter der Bedingung, daß die Möglichkeit künstlicher Bewässerung vorhanden ist. Da diese nun von dem Wasserreichthum der aus der Schneeregion herabkommenden[WS 3] Flüsse abhängt, so sind innerhalb dieser Zone nur die Bergpartieen fruchtbar, welche unter den schneebedeckten oder wenigstens hohen Theilen des Alatau liegen; wo aber der Gebirgskamm [221] unter 6000 Fuß sinkt, wird auch die darunter liegende Kulturzone trocken und unfruchtbar und nähert sich dem Steppencharakter. Ihre besondere Wichtigkeit hat diese Zone für die russische Kolonisation, wie denn auch alle russischen Ansiedelungen mit einer Ausnahme innerhalb derselben liegen. Auch die kirgisischen und kara-kirgisischen Kulturfelder gehören größtentheils eben dieser Zone an, nicht minder ihre Winterquartiere überall da, wo der orographische Bau der von ihnen besetzten Territorien ihnen die Benutzung der warmen Steppenzone versagt. Am Nordabhange des Trans-Ilischen Alatau hat übrigens die russische Kolonisation die Kirgisen aus allen gut bewässerten Theilen dieser Zone vollständig verdrängt und ihnen nur die trockeneren, unfruchtbaren Theile übriggelassen. Das ist aber, meint unser russischer Gewährsmann, kein Schade für die so Depossedirten, denn in ihrem unbestrittenen (?) Besitze sind die für ihre Wirthschaft d. h. für die Viehzucht wichtigsten Zonen geblieben, die Steppenzone zur Winterweide und die alpine zur Sommerweide. Ihr Ackerbau hat natürlich gelitten, dafür ist ihnen die Möglichkeit gegeben, gegen die Erzeugnisse des russischen Ackerbaues mit Vortheil die Ueberschüsse ihrer Heerdenwirthschaft umzusetzen, welche letztere durch die seit der russischen Besitzergreifung hergestellte Sicherheit gegen Raub und Plünderung einen mächtigen Aufschwung genommen haben soll. Die russischen Ackerbau-Kolonien sind jedenfalls, nach des eben Genannten Meinung, vortheilhafter für die eingeborenen Nomaden als militärische Posten, da der Bauer-Kosak dem nomadisirenden Nachbar nicht mehr als Feind und Bedränger erscheinen, sondern durch den nothwendigen gegenseitigen Austausch der beiderseitigen Producte freund-nachbarliche Beziehungen mit diesem zu unterhalten geneigt und genöthigt sein wird. (Die Meinung der in so glückliche ökonomische Verhältnisse gestellten Kirgisen wird nicht mitgetheilt.)

Die dritte Zone wäre als Zone der Nadelhölzer oder subalpine zu bezeichnen. Sie erstreckt sich von 4500 oder 5000 Fuß bis zu den Grenzen der Waldvegetation d. h. 7600 und 8000 Fuß. Die vorherrschende Art dieser Zone ist die Fichte (Picea Schrenkiana). Daß auch Laubbäume hier noch vorkommen, wurde oben schon bemerkt. Zu den Sträuchern dieser Zone gehören: Athragene alpina L., Berberis heteropoda Schr., Evonymus Semenowii R. et H., Rhamnus cathartica L., Spiraea hypericifolia L., Sp. oblongifolia Wald., Rosa pimpinellifolia Dc., Cotoneaster nummularia Fisch., Cot. multifloria Bge., Myricaria davurica Ehr., Ribes rubrum L., R. atropurpureum Mey., Lonicera tatarica L., L. xylosteum L., L. microphylla W., L. hispida Pall., L. coerulea L., L. Karelini, L. humilis Kar., Hippophae rhamnoides L., Juniperus pseudosobina Fisch., zwei Arten Salix.

[222] Das Verhältniß der europäischen Gewächse ist in dieser Zone dasselbe wie in der vorigen, über 60 Procent, es sind aber in den oberen Partieen der Zone alpine und polare Typen, wie z. B. Atragene alpina L., Anemone narcissiflora L., Papaver alpinum L., Viola grandiflora L., V. biflora L., Alsine verna Bartl., A. Villarsi Mert., Lychnis apetala L., Cerastium alpinum L., Astragalus alpinus L., Hedysarum obscurum L., Potentilla nivea L., Epilobium latifolium L., Saxifraga hirculus L., Neogaya simplex Meissn., Erigeron uniflorus L., Leontopodium alpinum Cass. u. s. w.

Von den asiatischen Formen, welche 40 Procent dieser Flora bilden, gehört die größere Hälfte zu den Gewächsen des sibirischen Nordens (altaisch-ssajanskische und zum Theil polare Typen), die übrigen stimmen mit denen des Kaukasus und Himalaya oder sind endlich locale Formen aus dem Alatau-Thian-Schan-Gebiet.

Als sibirische Formen sind zu bezeichnen: Pulsatilla albana Spr., Ranunculus pulchellus Mey., Trollius altaicus Mey., Chorispora Bungeana Fisch., Eutrema alpestre Led., Parnassia Laxmani Pall., Silene gramminifolia Otth., Cerastium maximum L., C. lithospermifolium Fisch., C. davuricum Fisch., Geranium albiflorum Led., Impatiens parviflora Dc., Thermopsis lanceolata R. Br., Medicago platycarpos Led., Astragalus altaicus Trautv., A. vicioides Led., Lathyrus altaicus Led., Hedysarum polymorphum L., Sanguisorba alpina Bge., Potentilla bifurca L., P. pensylvanica L., P. sericea L., Cotoneaster multiflora Bge., Myricaria davurica Ehr., Sedum hybridum L., Ribes atropurpureum Mey., Saxifraga sibirica L., Bupleurum ranunculoides L., Libanotis condensata Fisch., Archangelica decurrens Led., Chaerophyllum sphallerocarpos Kar., Aster flaccidus Bge., A. alpinus L., Artemisia rupestris L., A. sacrorum Led., Doronicum altaicum Pall., Senecio sibiricus Less., Saussurea pygmaea Spr. (?) u. a.

Dem Kaukasus-Typus gehören an: Trollius patulus Salisb. (auch in Kamtschatka heimisch), Delphinium caucasicum Mey., Silene saxatilis Sims., Dianthus crinitus Sm., Alsine globulosa Mey., Cicer soongoricum Steph., Cotoneaster nummularia Fisch., Cnidium carvifolium Bieb., Scabiosa caucasica Bieb., Pyrethrum caucasicum W. u. a.

Der Flora des Himalaya entsprechen: Anemone Falconeri Thoms., Oxytropis Kashmirica, Potentilla Salessowii Bge., Sedum coccineum Royle., Carum indicum. Wahrscheinlich wird sich die Zahl dieser Pflanzen mit der Zeit noch größer herausstellen[WS 4].

Locale Typen des Thian-Schan und Alatau sind: Ranunculus soongoricus Schr., Corydalis Semenowii R. et H., Silene lithophila Kar., Geranium saxatile Kar., G. rectum Trautv., Evonymus Semenowii R. et H., Oxytropis ochroleuca R. et H., O. instans R. et H., Astragalus lithophilus Kar., A. hemiphaca, Umbilicus Semenowii R. et H., U. platyphyllus [223] Schr., Carum bupleuroides Schr., Chamaesciadium albiflorum Schr., Aulacospermum alatavense R. et H., Semenowia transiliensis R. et H., Peucedanum transiliense R. et H., Schrenkia vaginata Fisch., Lomatopodium Lessingianum Fisch., Lonicera humilis Kar., L. Karelini, Rhinactina limonifolia Less., Brachyactis ciliata Led., Linosyris scoparia Kar., Tanacetum fruticolosum Led., Saussurea cana Led. u. a.

Daß so manche Gewächse der alpinen Zone in der Zone der Nadelhölzer auftreten, erklärt sich aus der Migration derselben, insofern die rasch fließenden kalten Bergströme die Samen derselben aus der oberen in die untere Zone hinabtragen und durch fortdauernde Bespülung der Ufer und Inseln mit frischem Schneewasser den hierher verpflanzten Gewächsen die nöthigen Lebensbedingungen schaffen. Auch diese Zone hat für die russische Kolonisation unverkennbare Wichtigkeit, insofern sie ihr Bau-, Nutz- und Brennholz bietet. Das Baumaterial liefert fast ausschließlich die dortige, kerzengerade zuweilen zu gigantischen Verhältnissen erwachsende Fichte – Picea Schrenkiana. Die russischen Ansiedler klagen zwar, daß das Holz derselben mit der Zeit leicht Risse und Sprünge bekomme, aber dieser Umstand ist weniger schlechten Eigenschaften des Holzes, als der Trockenheit des Klimas zuzuschreiben; wenn der in der oberen Zone gefällte Baum dort auch längere Zeit zum Trocknen gelegen hat, so ist die Kulturzone, in welcher er sodann verwendet wird, doch so viel trockener, daß das Platzen des Holzes nicht Wunder nehmen darf. Auch aus der Nadelholzzone sind die Kirgisen überall, wo dieselbe zwischen der von den Russen besetzten unteren und der alpinen Zone liegt, verdrängt worden. Dafür finden sie dort, wo über dieser Zone keine Schneegipfel und unterhalb derselben nicht russische Ansiedelungen liegen, auf den subalpinen Wiesen, welche hier den dunklen Fichtenwald ersetzen, gute kühle Plätze für ihre Sommerweiden. Diesen subalpinen Character nimmt die jetzt betrachtete Zone auf den äußersten Flügeln des Trans-Ilischen Alatau an, z. B. auf dem Turaigyr, in den obern Theilen der Längsthäler des Kebin und Tschilik, auf den Abhängen der in diese eingelagerten Zwischenketten, endlich an vielen Stellen auf der Südseite des Gebirges am Issyk-Kul.

Die vierte Zone, die wir die alpine nennen können, geht von der oberen Grenze des Waldwuchses bis zur Schneelinie, d. h. von 7600 und 8000 Fuß bis 10,500 und 11,000 Fuß hinauf. Die Baumvegetation hört hier völlig auf, Sträucher kommen im Allgemeinen noch bis 9000 Fuß vor, daher könnte diese Zone in eine untere alpine, oder Zone der Alpensträucher und in eine obere alpine oder Zone der Alpenkräuter getheilt werden. Doch ist der Unterschied dieser letzteren Unterabtheilung von der ersteren außer dem negativen [224] Merkmal des Verschwindens aller Sträucher und vieler Kräuter kein scharfer, da die characteristischen Kräuter der ober-alpinen Zone auch in die unter-alpine hinabgehen.

Die Sträucher der alpinen Zone gehören folgenden, nicht zahlreichen Arten an: Caragana jubata Poir., Spiraea laevigata L., Sp. oblongifolia W. K., Potentilla fruticosa L., P. Salessowii Bge., Myricaria davurica Ehr., Ribes atropurpureum Mey., Lonicera Karelini, L. humilis Kar., L. n. sp., Salix glacialis L., dazu noch zwei andere alpine Weidenarten, endlich auch Juniperus pseudosabina. Zu bemerken ist, daß Alpenrosen (Rhododendron) weder in beiden Alatau, noch im Himmelsgebirge zu finden sind, was durch die Trockenheit des mittelasiatischen Klimas zu erklären sein wird.

Ueberhaupt weicht die Flora der Alpenzone in ihren Analogieen von der Flora der unter ihr liegenden Nadelholz- und Kulturzone sehr ab. Die europäischen Pflanzen dieser Zone betragen etwas über 25 Procent, und auch diese gehören meistens dem nordisch-alpinen Typus an, so z. B. Thalictrum alpinum L., Anemone narcissiflora L., Ranunculus hyperboreus Rottb., Papaver alpinum L., Draba hirta L., D. incana L., Eutrema Edwardsii R. Br., Viola grandiflora L., V. biflora L., Lychnis apetala Fisch., Dianthus alpinus L., Alsine verna Bartl., A. Villarsii Mert., A. biflora Wahl., Cerastium trigynum Vill., C. alpinum L., Astragalus alpinus L., Hedysarum obscurum L., Potentilla nivea L., Saxifraga hirculus L., S. flagellaris W., Erigeron uniflorus L., Leontopodium alpinum Cass. u. a. Nur sehr wenige Pflanzenformen der alpinen Zone gehören zu solchen, welche auch in den Ebenen des mittleren Europas auftreten, so z. B. Thalictrum minus L., Ranunculus acris L., Barbarea vulgaris L., Stellaria glauca With., Linum perenne L., Spiraea oblongifolia W. K., Alchemilla vulgaris L., Potentilla fruticosa L., Galium vernum L., Gnaphalium silvaticum L. u. a.

Der größte Theil der Pflanzen aus der alpinen Flora gehört zum sibirisch-alpinen Typus, d. h. zu den Pflanzen, welche der alpinen Zone des altaisch-ssajanskischen Systems und den Polarstrichen Sibiriens eigenthümlich sind, aber auch einerseits auf den Kaukasus, andererseits nach dem nördlichen Amerika übergehen. Dergleichen sind: Pulsatilla albana Spr., Ranunculus pulchellus Mey., R. Cymbalariae Pursh, R. altaicus Laxm. (mit seinen localen Varietäten R. fraternus, R. trilobus), Oxygraphis glacialis Bge., Callianthemum rutaefolium Mey., Trollius patulus Salisb., Hegemone lilacina Bge., Isopyrum grandiflorum Fisch., Draba rupestris R. Br., D. pilosa Ad., D. stellata Jacq., D. lactea Ad., Thlaspi cochleariforma Dc., Chorispora Bungeana Fisch., Erysimum cheiranthus Pers. (?), Taphrospermum altaicum Mey., Hutchinsia pectinata Bge., Viola Gmeliniana Roem., Parnassia Laxmani Pall., Silene graminifolia [225] Otth., Cerastium lithospermifolium Fisch., Thermopsis alpina Led., Caragana jubata Poir., Oxytropis oligantha Bge., Hedysarum polymorphum Led., Spiraea laevigata L., Sanguisorba alpina Bge., Potentilla sericea L., P. multifida L., P. fragiformis W., Dryadanthe Bungeana Led., Myricaria davurica Ehr., Sedum Ewersii Led., Ribes atropurpureum Mey., Chrysosplenium nudicaule Bge., Saxifraga sibirica L., Archangelica decurrens Led., Libanotis condensata Fisch., Calimeris altaica Nees, Pyrethrum pulchrum Led., Doronicum altaicum Pall., Senecio sibiricus Lep., Artemisia sericea Web., A. globularia Ch., Saussurea pygmaea Spr. (?) u. s. w.

Wenige Pflanzen der hiesigen alpinen Zone werden auch im Himalaya gefunden, nämlich: Anemone micrantha Klotzsch, Corydalis Gortschakoffii Schr., Potentilla Salessowii Bge., Sedum coccineum.

Endlich Localtypen der alpinen Flora des Alatau und Thian-Schan sind: Isopyrum anemonoides Kar., Aconitum rotundifolium Kar., Parrya stenocarpa Kar., Bryomorpha rupifraga Kar., Geranium saxatile Kar., Oxytropis frigida Kar., O. amoena Kar., O. platysema Schr., O. heteropoda n. sp. (R. et H.), O. fruticulosa n. sp., O. cana n. sp., O. algida n. sp., O. rupifraga n. sp., O. melaleuca n. sp., Astragalus atratus n. sp., A. nivalis Kar., Onobrychis pulchella Schr., Umbilicus platyphyllus Schr., U. alpestris Kar., Sedum gelidum Schr., Schrenkia vaginata Fisch., Lonicera Karelini L., L. humilis n. sp., Galium soongoricum Schr., Valeriana globularifolia, Brachyactis ciliata Led., Pyrethrum discoideum Led., Saussurea sorocephala Schr. u. a.

Außerordentlich reich ist die alpine Zone an Wiesen und Weiden, und daher steht sie im ökonomischen Leben der eingeborenen Nomaden an erster Stelle. Den letzteren gehört sie auch unbestritten an, da die Russen, mit Ausnahme friedlicher Eroberer im Dienste der Wissenschaft und weniger kühner Jäger, sich fast nie in diese Zone versteigen.

Die fünfte Zone ist die des ewigen Schnees, welcher mit seiner glänzenden Decke alle Berggipfel dieser Zone bekleidet, wenn nicht ihre felsigen Abhänge so steil sind, daß der Schnee sich nicht darauf halten kann oder nur in einer so dünnen Schicht, daß die brennenden Strahlen der Sommersonne, die sich bis auf 17 Grad dem Zenith des Issyk-Kul nähert, ihn zerschmelzen. Von diesen dunkeln Flecken stammt, wie wir wissen, der kirgisische Name des Gebirges – Alatau. Die Höhe der Schneelinie wurde von Ssemenof überall da, wo er in der zweiten Hälfte des Sommers bis zur Grenze des Schnees vorzudringen vermochte, hypsometrisch (mittelst der Temperatur des siedenden Wassers) bestimmt. Die Resultate vieler Beobachtungen ergaben für den Nordabhang des Himmelsgebirges und die Südseite des „Kungei“-Alatau, [226] die beide zu der stark sich erhitzenden Hochebene des Issyk-Kul gewendet sind, – 11,500–12,000 russ. Fuß, dagegen für den Nordabhang des „Trans-Ilischen“ Alatau – 10,500–11,000 russ. Fuß, endlich für den Ssemiretschinskischen Alatau, d. i. Alatau der sieben Flüsse – 10,000 bis 10,500 russ. Fuß. Im Thian-Schan, namentlich in der majestätischen Gruppe des Chan-Tengri, hat der ewige Schnee weitausgedehnte Gletscher geschaffen, welche indeß nicht unter 9000 Fuß hinabreichen, d. h. an der oberen Grenze der Alpensträucher Halt machen. So unwirthbar aber die Zone des ewigen Schnees ist und so wenig zugänglich dem Nomaden, der nur auf der Jagd hinter dem Wilde, das hier eine sichere Zuflucht sucht und findet, bis dahin vordringt, so wichtig ist sie, wie wir gesehen haben, dem Gebirgs-Bewohner und Anwohner, da nur dort, wo die helle Schneebinde das Haupt der Bergriesen krönt, im Ober- und im Unterlande der Nomade und der Ackerbauer die Bedingungen eines gedeihlichen Daseins vereinigt finden.

Anmerkungen

  1. s. Sapiski der K. R. Geogr. Gesellschaft. Allg. Geogr. (Sectionen f. phys. u. math. Geogr.) Bd. 1. S. 181–254.
  2. s. Bd. II, Heft 1 (S. 79 flg.) und Bd. III, Heft 5 (S. 421 flg.) dieser Zeitschrift.
  3. Der erste Bericht über Ssemenof’s Reisen erschien in Petermann’s Geogr. Mitth. 1858, S. 351 flg., begleitet von einer Karte. Von diesem unterscheidet sich der jetzige darin, daß er auf ein engeres Gebiet beschränkt mehr in’s Detail geht. Namentlich ist in der hier zu Grunde liegenden Darstellung der botanische Theil bei weitem vollständiger; nicht minder der ethnographische, welcher zur Geschichte der vor 12–15 Jahren am nördlichen Thian-Shan bestehenden Völkerverhältnisse, sowie zur Aufklärung der die russische Occupation herbeiführenden Ursachen einen wohl nicht uninteressanten Beitrag liefert.
  4. Im untern breiten Theile des Kastek-Thales war es, wo Ssäwerzof (s. Bd. II, Heft 1, S. 82 dieser Zeitschrift) die ersten Spuren ehemaliger Gletscher, Moränenbildungen [119] fand. Es sind hohe Steinwälle auf der linken Seite des Flusses, zuweilen bis 200 Fuß hoch, die an den Stellen, wo Querspalten vom Ssuok-Tübbe zum Kastek hinabgehen, senkrecht durchschnitten sind von ähnlichen Wällen. Ssemenof hat, wie wir im Voraus bemerken wollen, Erscheinungen dieser Art hier und anderwärts unbeachtet gelassen.
  5. Bom heißen im Altai Engpässe, wie die hier beschriebenen, und Ssemenof stellt damit den Namen Buam in Zusammenhang, ebenso den Namen des Flusses Tschuja (vom System des obern Obj) mit dem des Tschu, als Beweis, wie einst wohl dieselbe Sprache und Nationalität vom Altai bis zum Thian-Schan herrschte.
  6. s. C. Ritter, Erdkunde v. Asien, Bd. 1, S. 395–398, vgl. S. 388.
  7. Diese Angaben stimmen auffallend genau mit denen früherer Karavanenberichte, welche Ritter a. a. O. S. 388 für zu groß hielt.
  8. Ob nicht Kungei-Alatau, der einheimische Name, nach dem Grundsatze pars pro toto besser wäre als Sa-Ilischer Alatau (Sa im Russischen: jenseit, über, trans, daher z. B. Sa-Balkanski, Sa-Künlünski), ist mir nicht zweifelhaft. Den Namen Kirgisnyn-Alatau hat Ssäwerzof aber wohl definitiv auf die den eigentlichen Kungei-Alatau, d. h. die Südkette des sogenannten Trans-Ilischen nach Westen fortsetzende Bergkette fixirt.
  9. Den die Russen aber consequenter den „Cis-Ilischen“ benennen würden, da er eben nördlich vom Ili liegt.
  10. Orographisch betrachtet ist es also die Nordkette, welche sich an ihrem östlichen und westlichen Ende gabelförmig theilt.
  11. Zwischen dieser Angabe und der obigen (S. 135) ist ein Widerspruch, den ich nicht zu lösen vermag.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: kirgischer
  2. Vorlage: and
  3. Vorlage: herabkommendnn
  4. Vorlage: herausstelllen