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RE:Dardanos 3

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kleinasiat. Heros Troas
Band IV,2 (1901) S. 21642178
Dardanos (Sohn des Zeus) in der Wikipedia
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3) Der kleinasiatische Heros. An sich nur Eponym eines kleinen Barbarenstammes, ward er früh vom Epos zum Ahnherrn eines mächtigen Fürstengeschlechts gemacht, dann von den Griechen und schliesslich auch von den Römern für das eigene Volk in Anspruch genommen.

I. Dardanos, eingeborener Herrscher der Troas.

Wenig, aber Stolzes berichtet die Ilias von D. XX 215ff. heisst er Sohn des Zeus (man denke den auf der Höhe des Ida thronenden Gott), erster des Königsstammes und Gründer der ältesten Residenz Dardania am Fusse des quellreichen Ida, ,denn noch nicht stand in der Ebene die heilige Ilios‘. Er zeugt den Sohn Erichthonios, den reichsten der Sterblichen, dem in den Niederungen 3000 Stuten mit ihren vom Boreas empfangenen Füllen weiden. Erichthonios zeugt den Tros. Mit diesem teilt sich der Stamm in zwei Äste, die bis zur Zeitstufe der Dichtung verfolgt werden. Noch erfährt man XX 304f., dass eine Sterbliche dem D. das Leben gegeben, der Kronide aber diesen Sohn mehr geliebt habe als alle übrigen ihm von irdischen Frauen geborenen Sprösslinge (die dorisierenden Erweiterungen der Ilias [vgl. Thraemer Pergamos 113ff.] übertrumpfen D. mit dem Sohn der Alkmene). Bestimmte Gunstbeweise des Zeus gegen D. erwähnt die Ilias nicht, von einem handelte die Persis (Dion. Hal. ant. I 69), dem Geschenk des Palladion, dessen Bewahrung das Heil des Stammes verbürgte. Auch die Ilias kennt – und es ist das einzige Götterbild des Gedichts – ein Palladion (VI 92. 302); es thront im Tempel der Athene auf der Burg Troias. Dieses Bild mit Reichel Vorhell. Götterculte 53ff. durch die Theorie des leeren Götterthrones zu beseitigen, scheint bedenklich. Über das Fehlen der Bilder im ältesten griechischen Cultus denke ich ganz wie Reichel, aber was die homerischen Gedichte betrifft, so hat die Tendenz, einen früheren Culturzustand festzuhalten (Rohde Rh. Mus. XXXVI 1882, 571), das Eindringen von Anachronismen nicht gehindert. Zu diesen rechne ich das Pallasbild der Ilias. Über seine Herkunft macht sie keine Andeutung, weil diese Herkunft noch nicht entdeckt ist. Vermutlich hat eben das Palladion der Homilia die Sage vom Talisman der Dardaniden erst veranlasst. Für diese ist bis zur Gründung Ilions die alte Residenz Dardania am Ida als Aufbewahrungsort des Bildes zu denken. Die spätere Überlieferung (nicht seit alexandrinischer Zeit, wie Bd. II S. 1901 zu lesen, sondern schon Hellanikos im Schol. Lyk. 29 und dazu Schol. Il. XIX 131) wusste anzugeben, warum D. eine Besiedelung der Stätte Troias vermieden hatte. Letztere hiess ursprünglich λόφος Σκαμάνδρου, [2165] aber seit Ate, aus dem Himmel auf die Erde hinabgeworfen, an jener Stelle niedergefallen, ward sie λόφος Ἄτης genannt; διὸ καὶ Δάρδανος αὐτὸν οὐκ ἔκτισεν, ἀ΄΄ὰ τὴν ὑπὸ τὴν Ἴδην Δαρδανίαν καλουμένην. Das Local von Ates Sturz ist gezwungen aus Il. XIX 131 specialisiert. Vielleicht aber verdunkelt die Bezugnahme auf Homer eine wirklich volkstümliche Vorstellung vom ,verwunschenen Platz‘. Die Ausgrabungen auf Hissarlik haben eine Geschichte des Orts enthüllt, die bis zum Auftreten der aeolischen Colonisten noch vernehmlich genug sein mochte, um die Stätte zum ,Hügel des Unheils‘ zu stempeln. Nach Tzetzes zu Lyk. 29 wurde D. durch ein Orakel des priapischen Apollon vor dem Unglücksort gewarnt, während nach Hellanikos das warnende Orakel erst dem Urenkel Ilos zu Teil wird, vergeblich, denn das Schicksal führt den Ilos doch an die Stelle (der Bericht bei Apollod. III 12, 3, vgl. Lycophr. 29), und damit ist der ältere Zweig der Dardaniden dem Untergange geweiht, den jüngeren Zweig aber wird das Palladion an den Ida zurückbegleiten. Über die Unterlage dieser von den kyklischen Epen ausgebildeten Vorstellung vgl. den Artikel Dardanidai. Zerstört ist die Idee bei Apollod. III 12, 3, wonach erst Ilos auf seine Bitte um ein günstiges Zeichen τὸ δυπετὲς παλλάδιον im neugegründeten Ilion vor seinem Zelte findet. Dieses Bild hat übrigens, im Gegensatz zur Vorstellung der Ilias, den Typus der stehend dargestellten Palladien, ist also abhängig von der in den Schol. Il. VI 92 ausgesprochenen Ansicht Aristarchs. Sie wird von Apollodor bekämpft bei Strab. XIII 601, wobei man erfährt, das römische Palladion (des Aineias) habe sitzende Stellung (nach VI 264 auch das ebenfalls mit dem troischen identificierte von Siris).

Mutter des D. ist nach der Ilias unbestimmt eine γυνὴ θνητή. Man denke nicht an die Atlantis Elektra, denn durch diese soll D. der griechischen Heroensage einverleibt werden, während er in der Ilias einen feindlichen Stamm vertritt. Gerade die Anonymität der Mutter zeigt das Nichtvorhandensein der später zu Tage tretenden Tendenz. Auch die Gattin des D. bleibt unbekannt. Denn die im Scholion V zu Il. XX 219 (es steht durch ein Versehen bei v. 239) nach Hellanikos genannte Bateia stammt nicht aus echter Sage. Das verrät ebenso sehr ihr Vater Teukros (vgl. unter II) wie ihr eigener Name, der nur aus dem bei Troia erwähnten ,Dornenhügel‘ (Βατίεια), in der Göttersprache σῆμα Μυρίνης (Il. II 811ff.), abgeleitet ist – nicht eben glücklich, denn des D. Gattin gehört nach Dardanie. Dieselbe Herkunft aus subjectiver Klügelei verrät die von Lykophron 1308 und Kephalon (Steph. Byz. s. Ἀρίσβη) statt Bateia genannte Arisbe, mythische Vertreterin der gleichnamigen Stadt (Il. II 836. VI 13 u. s. w.) in der Nachbarschaft von Dardanos am Hellespont. Letzterer Ort ist nämlich als Gründung und Residenz des D. bei den Jüngeren an Stelle der epischen Dardanie getreten. Die Tendenz dazu setzt wohl schon bei Hellanikos ein. Unter der Voraussetzung, dass im Schol. Lykophr. 29 die Worte διὸ καὶ Δάρδανος . . . . . τὴν Δαρδανίην καλουμένην (vgl. o. S. 2164f.) noch auf Hellanikos zurückgehen, hätte er zwar die homerische Dardanie nicht angetastet; [2166] allein nach Dion. Hal. I 47 nennt er unter den am Abzug des Aineias sich beteiligenden Orten auch das hellespontische Dardanos und trägt andererseits kein Bedenken, in einem zwischen Troia und der Küste liegenden Hügel das Grabmal der D.-Gattin zu erblicken. So mögen ihm sowohl Dardania als D. Gründungen des Ahnherrn gewesen sein. Die Unterdrückung des ersteren Ortes zu Gunsten des letzteren fällt dann einem Nachfolger des Hellanikos zur Last. Seine Spur finden wir bei Konon 21, nach welchem D. an der Stelle, wo seine σχεδίαι die troische Küste erreicht haben, die Stadt ,Dardanie‘ (sic!) gründet. Ebenso sind bei Lykophron die Stadt und das Grabmal des D. in der Ebene gedacht (Al. 72), und entsprechend ist die Gattin Eponyme eines bei Dardanos liegenden Ortes (Al. 1308).Eine beachtenswerte Station auf diesem Irrwege bezeichnet Mnaseas, wenn er (bei Steph. Byz. s. Δάρδανος) Dardania als Landschaft und Dardanos als Residenz auseinanderhält. Wenn die Römer im Friedenvon 189 Ilion und Dardanos aus Pietät für frei erklärten, so sieht man, dass auch ihnen letztere Stadt als Gründung ihres Ahnherrn galt (vgl. Dion. Hal. I 61). Der Ort erscheint zum erstenmal unter Dareios (Herod. V 117), seine Gründung mag der des aeolischen Ilion ziemlich gleichzeitig fallen. Eine Fürsorge durch Alexander oder Lysimachos ist nicht überliefert, während sich beide um Ilion bemühten. Strabon nennt (XIII 595) Dardanos ein κτίσμα ἀρχαῖον, aber von den Königen (den Attalen) gering geschätzt. Sowohl an dieser Stelle, wie XIII 592 und VII frg. 50 unterscheidet er (d. h. seine Quelle Apollodor) von der Küstenstadt das epische Dardania als Residenz des D., νῦν μὲν γὰρ οὐδ’ ἴχνος πόλεως σώζεται αὐτόθι. Merkwürdig ist, dass ein Römer neben Ilion, unde omnis rerum claritas, Dardanus mit parvum oppidum abfertigt (Plin. V 124. 127). Hiermit kommen wir zu einem anderen Delict der Jüngeren, der im Schol. A zu Il. XX 215 gerügten συγχυσις von Ilion mit der Gründung des D. Wer sich dieser als erster schuldig gemacht hat, ist nicht festzustellen. Der Anlauf dazu wird bei Diodor genommen, der IV 75 und V 48 D. zum Gründer der gleichnamigen hellespontischen Stadt, zugleich aber auch schon zum Erbauer des βασίλειον von Troia macht. Bei Plut. Cam. 20 ist dann Dardanos ganz unterdrückt, und der Heros geht von Samothrake direct nach Troias Stätte. Den gleichen Standpunkt vertritt das Schol Lykophr. 73.Tzetzes zur Stelle faselt von einem späteren Zusammenwachsen Dardanias und Ilions (ὕστερον γὰρ καὶ ἡ Δαρδανία καὶ ἡ Ἴλιος καὶ ἡ Τροία μία πόλις γεγόνασι). Zum Sohn des D. Erichthonios fügen Apollod. III 15, 3. Tzetz. zu Lycophr. 29 und Arrian. frg. 64 einen Bruder Ilos I. (der Grund der Verdoppelung ist nicht ersichtlich). Über eine Dardanis Idaia vgl. u. S. 2178.

Wenn nach der ältesten Überlieferung D. entschieden voraussetzungslos die Sagengeschichte der Landschaft eröffnet und auch die mit dem Stammbaum der Dardaniden verknüpften Ahnfrauen den Localcharakter bewahren (vgl. Dardanidai), so hat die weitere Ausgestaltung der Sage aus dem einheimischen Urkönig einen Zuwanderer gemacht, dabei aber so verwickelte Fäden geknüpft, dass deren Auflösung zu den schwierigsten Aufgaben gehört.

[2167]

II. Dardanos, Zuwanderer nach der Troas.

Wurde D. von seinem Stammlande abgelöst, so lag es nahe, vor ihm einen älteren Landeskönig einzuschieben. Das ist nach allgemeiner Überlieferung Teukros. also wieder ein durchsichtiger Eponym. Die Teukrer tauchen zuerst bei Kallinos auf (Strab. XIII 604). Nach ihm waren sie von Kreta gekommen, bei Hamaxitos gelandet und hatten auf ein Orakel hin die Gegend um den Ida besetzt. Kretische Herkunft der Teukrer zu statuieren wurde Kallinos nach Kretschmer Einl. in d. Gesch. d. gr. Spr. 191 durch specifisch milesische Vorstellungen veranlasst. Mir scheint eine in weiteren Kreisen herrschende Tendenz vorzuliegen, denn nach Hesiod. frg. 55 Rz. (vgl. Herod. V 173) geht ein anderer Kreter (Sarpedon) nach Lykien, ein dritter (Althaimenes) wandert nach Rhodos (Diod. Apollod.). So wird auch D. zum kretischen Einwanderer (s. u. S. 2170). Die Tendenz ist offenbar die, bereits durch urzeitliche Canäle hellenisches Blut nach dem Osten zu leiten; wenn dabei mit Vorliebe Kreta zum Ausgangspunkt gemacht wird, so liegt das an der Bedeutung und geographischen Lage dieser Insel. Speciell für den Weg Kreta-Troas aber sprachen die zahlreichen kretisch-troischen Homonymien. Indem Kallinos auf sie gestützt die Teukrer zu den Taufvätern des troischen Ida machte, setzte er ihre Einwanderung in die vordardanische Zeit. Allein der kretische Ursprung der Teukrer ist eben nur eine Hypothese. Kallinos sind Lykophron (Al. 1303), Kephalon u. a. gefolgt. Phanodemos frg. 8 corrigierte ihn in maiorem Atheniensium gloriam. Dagegen fehlt es nicht an Zeugen für eine ganz andere Auffassung der Teukrer. Zu ihnen gehört zunächst wohl Herodot. Dieser erklärt V 122 die troischen Gergithes für einen Rest τῶν ἀρχαίων Τευκρῶν, letztere aber VII 20 für Bewohner der Landschaft bereits πρὸ τῶν Τρωικῶν. Kein Wort verrät ihren kretischen Ursprung, sie sind ihm schlechthin das Volk der Troas, zu dessen Gunsten er sogar das epische Ethnikon Dardaner bezw. Troer unterdrückt hat. Nun ist in den Teukrern ein reales Bevölkerungselement der Troas entschieden anzuerkennen und zwar die kleinasiatische Grundbevölkerung, wie auf die von Troas bis Kypros erscheinenden Namen Teukroi, Gergithes, Gergines und andere Parallelen hin längst v. Gutschmid (vgl. Thraemer Pergamos 180. 354) erkannt hat, Argumente mit denen auch Dümmler (Athen. Mitt. XI 250fr.), ohne v. Gutschmids Vorgängerschaft zu kennen, operiert (Kretschmer a. a. O. glaubt an prähistorische Handelsniederlassungen kyprischer Gergithen in Milet, Kyme, Troas [?]). Steht das Ethnikon Teukroi mit der Urrace in Zusammenhang, so kann die Ethnologie die sagengeschichtliche Einordnung der Teukrer vor den Dardanern unterschreiben, aber es ist zu betonen, dass sie im Zeitalter des Epos ein latentes Dasein fristen; ja der einzige Träger des Namens, den Homer kennt, erscheint unter den Achaeern. Für Hellanikos (frg. 139) ist er achaeisch-dardanisches Halbblut (vgl. unter Dardanidai S. 2159), im Grunde gehört er nach Kypros. Die Teukrer der Troas haben ihren richtigen Platz in jener Fassung der Sage, welche Teukros zum Urkönig der Landschaft macht,zum Sohne des Flussgottes Skamandros [2168] (nichtsnutzig ist die Umkehrung der Genealogie in Schol. Lyk. 1302 und Etym. M. s. Σκάμανδρος) und einer idaeischen Nymphe (Konon 21. Apollod. III 12, 1. Diod. IV 75); sie geht allem Anschein nach bis auf Hellanikos zurück und würde, wenn wir recht sahen, auch der Ansicht Herodots entsprechen. Eine abweichende Einordnung des Teukros bietet Skamon (Schol. Il. III 250), nach welchem er Schwiegervater des Laomedon, also der vierten Generation der Dardaniden gleichzeitig ist. Andere wieder (in der verwirrten Darstellung beim Interpol. Serv. Aen. III 108) machen ihn zum Schwiegersohn des D. Man sieht, den Griechen ist einmal die Vorstellung eines teukrischen Volkstums der Troas aufgegangen, aber bei Unkenntnis seiner Vorgeschichte wurde es in die Landesgenealogie verschieden eingeordnet.

Mit der Loslösung des D. von seiner Heimat beginnt das Spiel der Willkür. Welcher der jetzt erscheinenden Geburtstätten die Priorität zuzusprechen sei, ist nicht ohne weiteres klar. Nach bisheriger Ansicht ward D. zunächst nach dem benachbarten Samothrake und dann noch weiter westwärts abgerückt (vgl. z. B. M. Wellmann Comm. Gryph. 59, 9. Furtwängler in Roschers Lex. I 1234. Bloch ebd. II 2528f., letzterer im Anschluss an Preller-Robert G. M. I 854ff., der übrigens den relativ jungen Charakter der Fassung des Hellanikos richtig hervorhebt, aber ihren Ursprung bereits im Anfang des 5. Jhdts. sucht). Samothrake als erste Station der Sagenverschiebung aufzustellen, halte ich für unberechtigt. Die Einfügung des D. in die Geschichte dieser Insel ist so locker, läuft zugleich anderweitig verbürgten mythologischen Vorstellungen so sehr zuwider, dass sie nur das Erzeugnis eines mythographischen Tüftlers sein kann. Mehr liesse sich zu Gunsten Kretas anführen, denn hier ist wenigstens der als Novum im D.-Kreise auftauchende Bruder Iasion alteingebürgert, allein D. selbst scheint auf Kreta keine rechte Stätte zu haben. Ganz anders in Arkadien. Hier ist er von der Sage thatsächlich an mehreren Punkten localisiert und die Tendenz der arkadischen Version ist klar und volkstümlich; sie spricht den Ahn eines ruhmreichen Geschlechts den Asiaten ab und dem eigenen Volke zu. Die Mutter Elektra ist allem Anschein nach nicht auf Samothrake, sondern in Arkadien erwachsen, und erst nachdem sie im Glauben feststand, hat sie sich bequemen müssen, ihren Wohnsitz aus der peloponnesischen Heimat in den fernen Osten zu verlegen. Demnach stellen wir die Arkadien zum Ausgangspunkt nehmende Fassung der D. Sage an die Spitze.

1. Dardanos, Zuwanderer aus Arkadien. Vorweg ein Wort über Hellanikos, der von der mythographischen Überlieferung für drei verschiedene Versionen der D.-Sage citiert wird. Nach Schol. Apoll. Rhod. I 916 (frg. 129 Müll.) nannte er in den Troika als Heimat der Atlantis Elektryone (nicht Elektra) Samothrake und gab ihr drei Kinder: D., Iasion und Harmonia. Dagegen soll er nach Schol. Il. II 494 (frg. 8) ἐν Βοιωτιακοῖς (man erwartet ἐν Φορωνίδι Harmonia als Tochter des Ares und der Aphrodite vorgeführt haben. Dies Zeugnis fällt durch den eindringenden Nachweis der Wertlosigkeit der Scholien-Subscriptionen, den man E. Schwartz verdankt [2169] (De Schol. Hom. ad hist. fab. pert., Jahrb. f. Philol. Suppl. XII 1881). Ferner behauptet Eustathios zu Od. V 125 (= frg. 58), dass Hellanikos den Iasion auf Kreta ansetze. Auch das unterliegt stärkstem Zweifel (vgl. Crusius in Roschers Lex. II 855, 2). Endlich soll derselbe Logograph nach Schol. Il. XVIII 486 (frg. 56) in seiner Atlantias unter den sieben Töchtern des Atlas Elektra (nicht etwa Elektryone) mit dem Sohne D. vorgeführt haben. Die sieben Atlantiden des Hellanikos tragen dieselben Namen wie in den hesiodischen der Astronomie zugewiesenen Versen (frg. 12 Rz.). Heimat der Atlastöchter ist der Peloponnes; das mag bei Hesiod auch für Alkyone gegolten haben, bei Hellanikos wird sie durch den Sohn Hyrieus nach Boiotien gerückt, das in der Pleiadensage mit dem Peloponnes concurriert. Unbefangen gelesen weckt die Inhaltsangabe der Atlantias die Vorstellung, dass Elektra im Peloponnes Mutter ward, ihr Sohn demnach erwachsen nach dem Osten auswanderte, und eine solche Sage gab es thatsächlich (vgl. u.). Soll man nun annehmen, dass Hellanikos dieser Sage in der Atlantias gefolgt ist, in den Troika dagegen Elektra einen veränderten Namen, einen andern Wohnort und statt eines Sohnes drei Kinder gegeben habe? Einen solchen Wandel des Standpunkts hält Preller (Ausgew. Aufsätze 64; vgl. Cauer Berl. Stud. I 466, 19) gegenüber einem ähnlichen Widerspruch in den Bruchstücken der Aineiassage für wahrscheinlich. Allein die Möglichkeit liegt vor, dass Hellanikos in der Atlantias doch mit der Fassung seiner Troika übereinstimmte, die Angaben des Iliasscholions also teils ungenau, teils unvollständig sind. Man weiss von der Schriftstellerei des Hellanikos noch nicht genug, um eine Entscheidung zu wagen, vorab möge er von den Zeugen für die rein arkadische Fassung der Sage ausgeschlossen bleiben. Nach dieser nun lebt Elektra (Hesiod. frg. 12 Ἠλέκτρη κυανῶπις), Tochter des Atlas und der Pleione, in Arkadien und gebiert dort dem Zeus den Sohn D., der herangewachsen sein Mutterland verlässt, um im fernen Osten der Ahnherr eines ruhmreichen Geschlechts zu werden. Leider kennen wir nur spätere Übermittler dieser Sagenform, erwachsen scheint sie aus der Vollkraft nationalen Selbstgefühls. Dieselbe Tendenz, den gleichen Ausgangspunkt und ein entsprechendes Ziel bietet die Wandersage des Arkaders Telephos, deren ältester Zeuge Hekataios ins 6. Jhdt. zurückreicht. Pherekydes steht diesen Dingen fern, da sein Atlas am fernen Erdrand (frg. 33), seine Pleiaden, Töchter des Lykurg (frg. 46), in Boiotien leben.

Die arkadische D.-Sage lag in zwei Varianten vor. Schauplatz der einen war das ursprünglich (Curtius Pelop. II 75) zu Arkadien gehörige Gebiet der triphylischen Paroreaten, das zwischen Lepreon und Makistos bis ans Meer reichte. Hier befand sich eine Höhle, an welche die Sage τὰ περὶ τὰς Ἀτλαντίδας καὶ τὴν Δαρδάνου γένεσιν knüpfte (Strab. VIII 346). Von Einzelheiten verlautet nichts, doch wird man dieser westarkadischen Version den Sohn Zakynthos (Steph. Byz. s. v.) zuweisen. Wenn ihn Pausanias (VIII 24, 3) speciell als Psophier bezeichnet, so geschieht es wegen des Namens der zakynthischen Akropolis. Auch die parallel gehende Wandersage des Aineias berührt [2170] Zakynthos (Dion. Hal. I 50; ungeschickt ist hier Zakynthos zum Sohn der Bateia gemacht, was übrigens I 62 unterdrückt wird). Die zweite Fassung spielt im mittleren und östlichen Arkadien (Methydrion, Pheneos, Pallantion). Sie liegt ausführlich bei Dion. Hal. vor, aber contaminiert mit der samothrakischen Fassung. Auch Varro hat auf letztere allen Nachdruck gelegt. Wir kommen auf beide unten (S. 2174) zurück und betonen hier nur, dass es eine einfachere Form der arkadischen Version gegeben haben muss, die, Samothrake aus dem Spiele lassend, den D. direct nach Troas führte. Angedeutet wird sie vom Interp. Serv. zu Aen. II 325 mit den Worten: (Dardanum) quidam ab Arcadia profectum venisse ad Phrygiam volunt. Alii de Samothracia ad loca memorata venisse dicunt.

2. Dardanos, Zuwanderer aus Kreta.

Für das Vorhandensein dieser Version spricht direct nur das lakonische Zeugnis des Interp. Serv. Aen. III 167: alii Cretensem dicunt. Vergil hat sie beiseite gelassen, denn sein Aeneas landet nur wegen der Abstammung von Teukros auf Kreta (III 107; vgl. Trogus bei Serv. Aen. III 108). Ein indirecter Hinweis auf sie liegt in dem Brüderpaar Iasion und D., denn es ist nicht abzusehen, wo sonst als auf Kreta diese sonderbare Verbindung zu stande gekommen sein sollte. Seeliger in Roschers Lex. II 61 hätte den Anwälten samothrakischen Iasioncults Theocr. III 50 nicht preisgeben sollen – von geheimnisvollem Hinweis auf die samothrakischen Mysterien entdecke ich bei Theokrit nichts. Er hat wohl den sicilischen Iasion im Auge (vgl. Diod. V 77. Eustath. zu Hom. Od. V 125). Die Heimat des Iasios-Iasion aber ist Kreta, wo er νειῷ ἔνι τριπόλῳ mit Demeter den Plutos erzeugt (Hesiod. Theog. 971). Seine göttliche Natur (Mannhardt Myth. Forsch. 238) hat er in der Theogonie eingebüsst, ebenso in der Odyssee (V 125), die den Bund ohne Hinweis auf den Ort erwähnt und den Buhlen der Erdgöttin unter Zeus Blitzstrahl fallen lässt. Als Eltern Iasions nannte die kretische Heroensage (Schol. Od. V 125 und Schol. Theokr. III 50 – letzteres mit Bethes Verbesserung Herm. XXIV 423) Katreus, des Minos Sohn, und Phronia. Sie gelten auch für den kretischen D., falls die Fassung der Sage, welche beide zu Brüdern machte, nicht einen abweichenden Stammbaum (etwa in Anlehnung an die arkadische Version) aufgestellt hat. Der Gewährsmann ist unbekannt.

Bestand einmal die Tendenz, den Asiaten D. zu einem Griechen umzuprägen, so konnte zu Gunsten Kretas die Homonymie troischer und kretischer Ortsnamen (Ida, Pergamos, Dikte, Pytna, Rhytion-Rhoiteion u. s. w.), die vorausgesetzte Identität von Rheia und Kybele, von Kureten und Korybanten in die Wagschale fallen. Beachtenswert ist, dass schon der Dichter der Phoronis (Strab. X 472) die Kureten und Daktylen zu Phrygern machte; der Urheber der kretischen D.-Sage würde umgekehrt die Korybanten für Kreter erklärt haben, wie es wirklich die theologi bei Cic. n. d. III 23 thun. Die Localisierung auf Kreta hat dem D. den Bruder Iasion und damit die Berührung mit dem Kreise der Demeter eingetragen. Wenn nun die Mysterien im allgemeinen und die samothrakischen imbesonderen [2171] für Abkömmlinge des kretischen Demetercults erklärt werden (Diod. V 77, man vgl. dazu den Standpunkt des Pherekydes unten S. 2174), so sieht man die Brücke geschlagen, auf welcher das Brüderpaar Iasion und D. nach Samothrake übergehen konnten.

3. Dardanos, Zuwanderer aus Samothrake. Hatte die Versetzung nach Arkadien lediglich den Zweck gehabt, einen gefeierten Heros des Ostens der eigenen Nation zuzusprechen, so war D. auf Kreta in Verbindung mit dem religiösen Gebiet geraten. In der samothrakischen Fassung ist der Zweck, den Helden zur Erzeugung eines Heldenstammes nach der Troas zu führen, ganz von religiösen Gesichtspunkten überwuchert. Er ist jetzt die mythische Verkörperung der Idee, dass troischer und samothrakischer Gottesdienst identisch sind. Die Frage nach dem Ursprung der samothrakischen Mysterien hat offenbar erst seit ihrem Aufschwung im 5. Jhdt., dann aber lebhaft die Gemüter beschäftigt. Während nun von den einen die Wiege des Cults bei den Phrygern, von andern bei den Griechen gesucht wurde, traten wieder andere für Samothrake selbst ein, unter ihnen als ältester Zeuge Hellanikos. Dass dieser gerade dem D. die Rolle des Mysterienträgers zuwies, wäre befremdlich, wenn der Heros sich bis dahin unbehelligt in seiner Heimat sollte behauptet haben, dagegen wird es sehr verständlich, wenn er von ihr bereits abgelöst war und von Griechenland her seinem alten Stammlande zuwanderte. Und in der That bildet die Existenz der arkadischen Version die Voraussetzung für den Standpunkt des Logographen. Er acceptiert den mütterlichen Ahnherrn Atlas, aber dessen Tochter heisst nun nicht Elektra, sondern Elektryone und wohnt nicht an der Kyllene, sondern auf Samothrake. Man möchte glauben, dass Hellanikos dazu irgend eine Localüberlieferung die Handhabe geliefert habe. Zur Erklärung weist v. Wilamowitz (Herm. XIV 458) auf die rhodische Alektrona (Inschrift von Ialysos) oder Elektryone (Diod. V 56), Tochter des Helios und der Rhodos. Konnte sich Hellanikos auf samothrakischen Cult oder Mythos einer Elektryone stützen, dann durfte die Expatriierung der Arkaderin Glauben finden. Leider vermisst man ein anderweitiges in diese Richtung weisendes Zeugnis (Apoll. Rhod. I 916 und Dionys. perieg. 524 fussen auf Hellanikos; bei ihnen, wie überhaupt bei allen Schriftstellern nach Hellanikos, tritt die Kurzform Elektra wieder auf). Wenn das Schol. Apoll. Rhod. 1916 den Namen Elektryone wenigstens als den epichorischen beibrächte, der aber soll vielmehr ,Strategis‘ gewesen sein.

Die Version des Hellanikos lautet nun folgendermassen (frg. 129. 130): Auf Samothrake lebt die Atlantis Elektryone und gebiert (dem Zeus) drei Kinder. D., Iasion und Harmonia. Letztere wird von Kadmos nach Boiotien entfährt, Iasion büsst eine Versündigung an dem Bilde der Demeter unter Zeus Blitzstrahl, D. aber siedelt nach Troas über und gewinnt dort durch die Hand der Teukris Bateia das Königtum. Für Mutter und Söhne brachte Hellanikos die angeblich epichorisch-samothrakischen Namen Strategis, Polyarches und Eetion bei, für die Tochter Harmonia blieb er einen solchen schuldig. Nun meint Robert [2172] (Preller I 854), dass hier in der Verkappung als Heroen die beiden samothrakischen Götterpaare unschwer zu erkennen seien (er stützt sich dafür auf Athenikon im Pariser Scholion Apoll. Rhod. I 917, das gegen den Laurentianus zurücktreten muss; vgl. Lobeck Aglaoph. 1220 und gegen eine ebenfalls auf dem Parisinus fassende Angabe E. Meyers Gesch. v. Troas 32, 1. Thraemer Pergamos 267, 1). Eine Anlehnung mag beabsichtigt sein, namentlich die Hereinziehung von Kadmos und Harmonia scheint durch den Kabiren Kadmilos veranlasst. Aber bei Hellanikos ist eine Person überschüssig (5 gegen 4) und die Mutter mit den drei Kindern zu den Kabiren in kein rechtes Verhältnis zu bringen. So glaube ich, dass es Hellanikos weniger um versteckte Gleichungen als einfach um Aufstellung heroischer Übermittler der Mysterien zu thun war: Kadmos brachte sie nach Theben (einer notorischen Stätte des Kabirendienstes), D. aber nach der Troas. Gerade die Rolle, welche bei ihm Iasion spielt, scheint eine innere Beziehung der Heroen zu den Mysteriengöttern auszuschliessen. Wäre es ihm auf diese angekommen, dann hätte er Iasion, den Liebling der mit der einen Kabirengottheit identificierten Demeter, in den Vordergrund stellen müssen. Allein Iasion hat bei ihm nichts weiter zu thun, als seine Liebe zu Demeter mit dem Tode zu büssen, und dabei wird noch die Fassung der Odyssee widerwärtig verunstaltet, denn Iasion leidet den Tod ὑβρίζων ἄγαλμα τῆς Δήμητρος (Konon 21 bietet dafür die Variante φάσμα Δήμητρος αἰσχύναι βουληθείς). Die Schattenfigur Iasion in der Fassung des Hellanikos versteht man nur, wenn dieser als Bruder des D. in der Sage bereits vorlag, also vom Logographen mit in den Kauf zu nehmen war. Seine persönliche Erfindung scheint die Schwester Harmonia zu sein, nicht eben eine glückliche, denn Harmonia ist auf Samothrake nur anwesend, um von Kadmos dorthin gebracht zu werden, wo sie hingehört, nach Theben. Man wird Hellanikos den Vorwurf nicht ersparen können, dass er religionsgeschichtlichen Hypothesen zu Liebe eine Fassung der D.-Sage zu stande gebracht hat, die einer Verunstaltung gleichkommt. Seine Leistung hat denn auch keinen Bestand gehabt oder doch nur nach Vornahme wesentlicher Correcturen. Eng schloss sich ihm, soweit man sieht, nur Ephoros an. Dieser berief sich (frg. 12) zur Rechtfertigung der Rolle Harmonias auf den samothrakischen Festbrauch der ζήτησις, doch ist mit dieser wohl eigentlich das Suchen der Kore gemeint (Preller-Robert I 856, 1). Eine Variante zu Hellanikos lieferte Demagoras (Schol. Eur. Phoen. 7), insofern er Elektra nicht aus Arkadien, sondern (wegen Versetzung des Atlas nach dem Süden) aus Libyen nach Samothrake kommen liess. Im übrigen scheint er dem Logographen gefolgt zu sein. In der späteren mythographischen Litteratur stellt Hellanikos und Ephoros am nächsten, aber mit Zuthaten und Ausbesserungen (der Knäuel erscheint mir nicht ganz so wild wie Bethe Herm. XXIV 426) der Bericht Diodors V 48. 49. IV 75. Die Schwester Harmonia wird hier gegen die ,Mythologumena der Hellenen‘ verteidigt, ja sogar ihre berühmte Hochzeit auf Samothrake veranstaltet. Dagegen wird der bei Hellanikos so kümmerlichen [2173] Rolle Iasions aufgeholfen. Der Satz τὸν δὲ Δία βουληθέντα καὶ ἕτερον τῶν υἱῶν τιμῆς τυχεῖν klingt geradezu wie Correctur eines Vorgängers; die Besserung ist freilich mässig: Iasion wird von Zeus in die bereits bestehenden Mysterien eingeführt und bringt sie durch Einweihung zahlreicher ξένοι in Aufschwung; er heiratet Kybele und zeugt mit ihr den Korybas; das fatale Verhältnis mit Demeter wird zwar zugegeben (ἐρασθεῖσαν, συνουσία), aber seine Frucht per allegoriam (πλοῦτος) beseitigt und Iasion schliesslich unter die Götter versetzt. D. endlich geht zu grossen Thaten (Diodor nennt ihn μεγαλεπίβολος wie Herakles) nach Asien, freit die Tochter des Teukros, gründet die Küstenstadt Dardanos, zugleich auch das βασίλειον von Troia, und wird Beherrscher vieler Völker. Auf das Festland haben ihn die ἱερὰ τῆς μητρὸς τῶν θεῶν, die Schwägerin und der Neffe (Kybele und Korybas) begleitet; letztere sorgen für die Verbreitung des Gottesdienstes. Nicht ersichtlich ist, woher die Angabe des Schol. Eur. Phoen. 1129 stammt, das von Diomedes geraubte Palladion sei ein ἀνάθημα Ἠλέκτρας gewesen. Etwa aus einer Variante der samothrakischen Version, die auch Elektra nach Troas übersiedeln liess? Das Bild ist hier als Geschenk des Zeus an Elektra, nicht an D. gedacht.

Keinen Bestand hat die gewaltsame Verknüpfung von Harmonia und Kadmos mit Samothrake gehabt. Strab. VII frg. 50, d. h. Apollodor (Niese Rh. Mus. N. F. XXXII 303), gab sie der thebischen Sage zurück, Elektra und ihre beiden Söhne erkannte er auf Samothrake an. Iasion stirbt auf der Insel (motiviert ähnlich wie bei Hellanikos), D. siedelt nach Troas über, gründet Dardania am Ida (vgl. Homer), und unterweist die Troer in den Mysterien. Die Ausmerzung Harmonias vertraten ferner Kallistratos und Satyros (Dion. I 68), sowie Athenikon (Schol. Laur. Ap. Rh. I 917), endlich Tzetz. zu Lyk. 29. Konon 21. Apollod. III 12, 1. (die Zurückführung der beiden letzteren auf Hellanikos bei Höfer Konon 43 und M. Wellmann Comm. Gryph. 58 ist nicht haltbar). Plut. Camill. 20 spricht nur von D. und lässt ihn mit dem Palladion von Samothrake nach Troia gehen. Dadurch wird aber der Bruder Iasion nicht ausgeschlossen, wie Vergil. Aen. VII 207f. zeigt, verglichen mit ebd. III 187f. Die Zurechtstellung der Rolle Iasions, zu der bei Diodor nur ein Anlauf genommen ist, steht noch aus. Sie wird geliefert bei Clem. Ales. Protr. II 13 durch gleichmässige Abwägung der Verdienste: Iasion stiftet die samothrakischen, D. die Kybelemysterien. Ähnlich vom Standpunkt der unten S. 2175f. behandelten Version der sog. Interp. Serv. Aen. III 167. Unbekannt ist des Kallimachos Stellung unter den Anwälten für Samothrake, man erfährt nur, dass er die Insel mit älterem Namen Dardania benannte (Plin. IV 73). Auf Hellanikos fussen Mnaseas (Steph. Byz. s. Δάρδανος) und Arrian (frg. 64. 65. 67), insofern sie die drei Geschwister und Samothrake-Troas als Schauplatz bieten, aber in der Herkunft des D. weichen sie von Hellanikos ab. Auf beide genauer einzugehen, muss ich einem anderen Orte vorbehalten.

Bereits S. 2171 wurde bemerkt, dass die Frage nach dem Ursprung der samothrakischen und verwandter Mysterien keineswegs allgemein im Sinne [2174] des Hellanikos beantwortet worden ist. Sehr beachtenswert ist Pherekydes Standpunkt (frg. 6 bei Strab. X 472). Er unterscheidet die Dienste von Lemnos und Samothrake: Lemnos, die Insel des Hephaistos, hatte schon ein unbekannter Lyriker (PLG III 713) als Sitz der Kabiren bezeichnet. Dies that offenbar auch Pherekydes, und zwar zählte er sechs Kabiren, Sprösslinge des Hephaistos und der Kabeiro. Durch der letzteren Vater Proteus (vgl. v. Wilamowitz Hom. Unt. 27, 15) sprach er dem Kabirencult Herkunft von der Chalkidike zu. Samothrake dagegen machte er zum Sitz eines Neunvereins von Korybanten, Söhnen Apollons und der Rhytia. Wenn letztere, wie ich Pergamos 412 (Nachtrag zu 267) auf Grund zweier Scholienzeugnisse angenommen habe, mit Rhoiteia, der Eponyme des troischen Vorgebirges, identisch wäre, dann hätte Pherekydes eine Überführung des Dienstes von der Troas nach Samothrake behauptet. Indessen habe ich a. a. O. geirrt; der Name Rhytia, die Vaterschaft Apollons und die Neunzahl der samothrakischen Korybanten weisen vielmehr nach Kreta. Letztere Insel also betrachtete Pherekydes als die Mutterstätte des samothrakischen Dienstes. Er that es, und das ist ihm als Verdienst anzurechnen, ohne den Heros D. mit dieser rein religionsgeschichtlichen Frage zu behelligen. Gerade umgekehrt wie Hellanikos hat das samothrakische Problem gelöst sein Zeitgenosse Stesimbrotos, indem er ,Berekyntien‘, d. h. Phrygien zur Wiege der Kabirenreligion machte (Strab. X 472, vgl. Nic. Dam. frg. 54 und zur Beurteilung der ganzen Hypothese Thraemer Pergamos 266). Eine Nutzanwendung auf den Kreis des D. (sie würde in der Form eines Abstechers des Heros von der Troas nach Samothrake Ausdruck finden) ist nicht sicher nachweisbar. Demetrios würde in Betracht kommen, wenn Gaede Dem. Sceps. 54, 85 in ihm mit Recht einen Vertreter troischer Provenienz des D. vermutete. Indes ist mir wahrscheinlicher, dass wir des Demetrios Standpunkt bei Apollodor (Strab. VII frg. 50) wiederfinden.

Die Dardanossage der römischen Republik. Eine Contamination der arkadischen Version (o. S. 2170) mit der samothrakischen des Kallistratos und Satyros bietet die Darstellung des Dionysios von Halikarnass ant. I 61. 62. 68. 69. Sie lehrt zugleich im wesentlichen den Standpunkt Varros kennen (vgl. die eindringende Untersuchung von Wissowa Die Überlieferung über die römischen Penaten, Herm. XXII 28ff.). Atlas, der erste König von Arkadien, residiert am Berge Thaumasion (zweifellose Verbesserung des Glareanus für Καυκάσιον) bei Methydrion (vgl. Paus. VIII 36, 2). Seine Tochter Elektra empfängt von Zeus bei Pheneos (der Ort aus Varro beim Interp. Serv. Aen. III 167 ergänzt) das Kinderpaar Iasios (hsl. Ἴασος) und D. Ersterer bleibt unvermählt (damit verrät sich, dass Iasios in arkadischer Sage Fremdling ist). D. freit Chryse, die Tochter des Lykaoniden Pallas (Pallantion), und zeugt mit ihr Deimas und Idaios. Überschwemmung und Hungersnot zwingen einen Teil des Volks zur Auswanderung. Deimas bleibt als König zurück, die Auswanderer besteigen unter Führung von D. und Idaios die Schiffe. Zunächst kommen sie nach Samothrake. Beachtenswerterweise [2175] wird erst I 68 (aus Kallistratos und Satyros) der für Samothrake wichtige Umstand nachgetragen, dass Chryse ihrem Gatten als Mitgift Geschenke der Athene, zwei Palladien (zwei wegen der griechischen Sage vom Palladienraub) und zwei Bilder der grossen Götter nebst deren τελεταί zugebracht habe. Sie haben die Auswanderer nach der Insel begleitet, und damit ist den samothrakischen Mysterien arkadischer Ursprung zugesprochen. Bei der Einrichtung des Dienstes bleibt Iasios wieder ausser Thätigkeit, er hat auch bei Dionysios nur die Aufgabe, ein Attentat auf Demeter mit dem Tode zu büssen. Gründer der Mysterien ist D.; für ihre Verwaltung lässt er auf der unwirtlichen Insel einen Teil der Begleiter zurück, mit der Mehrzahl, dem Sohne Idaios und den vier Götterbildern (vgl. I 66) besteigt er wieder die Schiffe und gelangt nach Troas. Idaios begiebt sich in das nach ihm benannte Gebirge und gründet dort der Göttermutter Tempel und τελεταί, D. aber bleibt an der Küste, erhält bezüglich der Götterbilder ein Orakel gleichen Inhalts wie in der Sagenform I (S. 2165), gründet die Küstenstadt Dardanos und heiratet nach Chryses Tod die Teukris Batieia. Es wird dann der Stammbaum der Dardaniden in der Seitenlinie bis auf Aineias hinabgeführt, der die Heiligtümer des Geschlechts nach Latium bringt, wo sie schliesslich der Cultus Roms als Unterpfänder des Staatswohles hütet. Die römische Fassung der Dardanidensage mag ursprünglich eine antihellenische Tendenz gehabt haben (Preller-Jordan Röm Mythol. II 315), in der varronischen Form ist sie griechenfreundlich, da Arkadien als Ausgangspunkt anerkannt wird. Allen Nachdruck aber legt Varro auf die Beziehungen zu Ilion und Samothrake. An dieser Fassung hat Rom bis zur Zeit des Augustus Genüge gefunden.

4. Dardanos, Zuwanderer aus Italien.

Der unstät gewordene Heros sollte auch in der von der römischen Republik anerkannten Sagenfassung noch keine Ruhe gefunden haben. Die Umgebung des neuen Weltbeherrschers hat seine Wiege nochmals verschoben und damit die gefeierte Landung des Aeneas am Tiberufer zur Heimkehr an den Ursitz des Geschlechts gestempelt. Durch diese nationalistische Übertrumpfung der republicanischen Sagenform ist aber auch der von Wissowa Herm. XXII 45 aufgestellte Satz in Frage gestellt, durch Varro sei der troische Ursprung der römischen Penaten endgültig festgestellt worden. Die überlieferte Abstammung des D. von Atlas und Elektra wird zwar festgehalten, aber beide wohnen jetzt in Italien. Ausgangspunkt des Heros ist nun der dem ratlosen Enkel als Ziel gewiesene ,Sitz des Corythus in Ausonien‘. Vertreter, nicht Erfinder dieser fama obscurior annis ist Vergil, die Übermittler der Kunde sind Aurunci senes (Aen. VII 206), eine genauere Bestimmung der ausonischen Örtlichkeit aber scheint Vergil absichtlich offen zu lassen. Nach der ganzen Tendenz und den Andeutungen der Dichtung sollte man zwar, trotz Corythi Tyrrhena ab sede (VII 207), den Ursitz des Geschlechts in Latium suchen, denn VII 240 heisst es aus der Situation zwischen Tiber und Numicus: hinc Dardanus ortus, und Plin. III 163 nennt denn auch (ich verdanke den Hinweis [2176] Preller-Jordan Röm. Mythol. II 315, 3) die Bewohner des alten Cora an den Volskerbergen a Dardano Troiano orti. Allein die Commentatoren Vergils schweigen sich über Cora aus und erklären Corythus (für sie nicht nur Personen- sondern auch Ortsname) bestimmt als civitas Tusciae (zu I 380. X 719 u. s.w.). Dass darunter das fern von Latium gelegene Cortona zu verstehen sei, hat schon Heyne (Exc. VI zu Aen. III) gezeigt. Man sollte meinen, dass die mythologische Spätgeburt, um die es sich hier handelt, zu wenig Interesse bot, um an ihr noch herumzumodeln. Allein wie zwei verschiedene Sitze, so werden auch zwei abweichende Stammbäume des D. überliefert. Der eine ist auf die Heraklessage zugeschnitten, der andere nach strengerem Moralcodex gearbeitet:

I. Zu Aen. III 167 und VII 207:
Atlas
|
Iuppiter Electra Corythus

Dardanus

Iasion


II. Zu Aen. VII 209 und X 719:
Iuppiter Electra
Corythus
Dardanus  Iasion

Vergil hat offenbar einen gemeinschaftlichen Auszug der Brüder (oder Stiefbrüder) angenommen (III 167ff.), wenn auch an einer anderen Stelle (VII 208) nur des D. Landung auf Samothrake erwähnt ist. Die einzige neu auftretende Figur, der ausonische Urkönig Corythus, trägt einen griechischen Namen. Dass man selbst hier mit einem Brocken vom hellenischen Tisch vorlieb nahm, ist wohl durch die Absicht bedingt, möglichst mit überliefertem Material zu arbeiten. Nach einigen (beim Interp. Serv. III 170) galt als Gründer Cortonas Korythos, Sohn des Paris und der Oinone. An diese offenbar noch in voraugusteischer Zeit ausgeheckte Legende anzuknüpfen, scheint nun eine gelehrte Zeitrichtung den Ausschlag gegeben zu haben. Damit kommen wir zu den Penaten. Bei Vergil kann von ihrer arkadischen Herkunft natürlich nicht mehr die Rede sein; aber auch die Landung des Aeneas auf Samothrake (Herm. XXII 39) lässt er fallen, dagegen sind ihm die grossen Götter und die Penaten – darin bleibt der alte Glaube Sieger – immer noch ,teukrische‘ oder ,phrygische‘ (II 747. III 148). Allein logisch consequent ist das nicht, denn zogen einst D. und Iasion von Italien aus, so werden sie nicht ohne väterliche Sacra in die Ferne gegangen sein; dann aber hat Aeneas nicht troische Götterbilder gerettet, sondern die Urmale latinischen Gottesdienstes an ihren Ursitz zurückgebracht. So ist die Sache denn auch aufgefasst im Commentar zu Aen. III 15, wo es von den Söhnen des Corythus heisst: cum omni hereditate maiorum diviserunt etiam deos Penates Dardanus et Iasion fratres, quorum alter Thraciam alter Phrygiam incoluit occupatam. Dass Corythus nun doch nicht in Latium, sondern in Etrurien seinen Wohnsitz nehmen muss, dies beruht gewiss auf der schon zu Varros Lebzeiten einsetzenden Neigung, die römische Religion mit der Etrusca disciplina in Verbindung zu bringen [2177] (vgl. Wissowas Bemerkungen über Nigidius Figulus und Caesius a. a. O. 53ff.). Wenn die hochheiligen, im Vestatempel gehüteten Sigilla einst von Cortona aus nach dem Osten gelangt waren, so ist damit die uranfängliche Identität des römischen und des etruskischen Penatencults ausgesprochen. Gegen diese Idee haben die Vertreter der Combination Corythus-Cora nicht aufkommen können.

III. Dardanos, der Eponym der kleinasiatischen Dardaner.

So überzeugt ich auch bin, dass der kleinasiatischen Ethnographie nicht generalisierende, sondern differenzierende Behandlung not thut (vgl. Pergamos 362), so kann ich doch die von Kretschmer (Einl. in d. Gesch. d. gr. Spr. 182ff.) aufgestellte vorgeschichtliche Völkertafel der Troas mir nicht aneignen. Er statuiert über der Urbevölkerung als indogermanische Zuwanderer aus Thrakien 1. Troer, 2. Paioner, 3. Dardaner. Die beiden ersten sind meines Erachtens zu streichen. Bei einer ethnologischen Untersuchung hat der Name ,Troer‘ etwas Missliches, da er im Grunde nicht ethnischen, sondern topischen Bezug hat. Speciell die Einwohner von Troia bezeichnet er auch an einigen Stellen des Epos (Il. II 125. 130. 816. XIV 88), unzähligemal freilich die Gesamtbevölkerung, und darin folgt Homer die ihm geltende Litteratur bis auf Strabon (nebst dem Sprachgebrauch der modernen Ethnographie), während andererseits ein Herodot von Troern nur einmal (bei der Helenasage), sonst stets nur von Teukrern spricht. Über letztere o. S. 2167. Die Gruppe Τροίη, Τρώς, Τρῶες glaube ich der Urrace zuweisen zu müssen. Der Anklang an Τλώς (so heisst nicht nur die lykische, sondern auch eine pisidische Stadt) ist wohl kein ,zufälliger‘, wo andere Übereinstimmungen und Anklänge wie Teukroi, Gergithen-Gerginer, Keteier-Ketis-Kittion in derselben Richtung verlaufen. Geben wir Troia und Troes der Grundbevölkerung, so bleibt Ilion, ,die Stadt des Ilos‘, wie Kretschmer 183 den Namen ansprechend deutet, für die indogermanischen Dardaner übrig. Das Ethnikon Δάρδανοι braucht man sich von den alten Erklärern (Schol. Il. XIII 150. Strab. XIII 592) aus der Ilias nicht weginterpretieren zu lassen, und diesen Stamm als einen aus Thrakien zugewanderten zu betrachten giebt es stichhaltigen Grund. Auf die Behauptung der Paioner (Herod. V 13), von den troischen Teukrern abzustammen, kann ich freilich (vgl. Pergamos 290) nicht so viel bauen, um ,durch Umkehrung‘ des Verhältnisses Paioner in die Troas zu bringen. Aber das Bewusstsein einer Verwandtschaft von Paionern und Dardanern mag in Herodots Angabe immerhin zum Ausdruck kommen. Aus der homerischen Troas weist vieles nach Europa hinüber. Die Alten selbst haben die ihnen auffallenden Homonymien gesammelt (Strab. XIII 590), auf illyrische Dardaner als nördliche Nachbarn der Paioner weisen sie dabei aber nicht hin. Nur Diodor sagt gelegentlich (V 48), D. habe über viele Stämme Asiens geherrscht καὶ τοὺς ὑπὲρ Θρᾴκης Δαρδάνους κατοικίσαι. Man versteht das sonstige Schweigen: Griechen-Epeiroten, Makedonern und Römern hat es eben widerstanden, den als Landsmann oder Ahn verehrten Heros mit jenem rohen Barbarenvolk in Zusammenhang [2178] zu bringen. Trotzdem war es kein unbedeutender Stamm, wie seine vielen Kriege mit den Makedonern und nicht minder das Angebot von 24 000 Kriegern zur Abwehr der Kelteninvasion (Iustin. XXIV 4) beweisen. Es ist ganz wohl möglich, dass bei den vorgeschichtlichen Völkerschiebungen auf der Balkanhalbinsel ein Teil dieser Dardaner abgesplittert und gleich den Phrygern nach Kleinasien hinübergegangen ist. Aber im Idagebiet betraten die Dardaner keine Wildnis, sondern den Boden der kleinasiatischen Urbevölkerung. Zu den schon S. 2167 erwähnten Zeugnissen für letztere kommen noch die Ortsnamen auf -ss (vgl. Thraemer Pergamos 354. Kretschmer Einl. 188), zu ihnen kommt endlich auch der archaeologische Befund, aus dem ich im Gegensatz zu Brückner (Troia 1893, 104) und Kretschmer 180 gewisse Bestandteile als entschiedene Überreste der vordardanischen Epoche absondere, ein Thema, auf das genauer einzugehen hier freilich nicht der Ort ist. Dass die Burg des mykenischen Zeitalters (Hissarlik Schicht VI) die Blüte der Dardanermacht vorführt, bedarf keines Beweises. Ihr mythischer Repräsentant hat nach aeolischer Sage diese Burg nicht erbaut, sondern, wie es dem Sprössling des idaeischen Zeus eignet, vom Idagebiet aus der Herrschaft gewaltet. Erst sein Urenkel Ilos stieg zur Ebene hinab und legte mit der Gründung Ilions zugleich den Grund zum Verderben seines Geschlechts. Das ist Sage. Die Geschichtsforschung erkennt einen umgekehrten Weg, ein Vorrücken der Dardaner von der Küste des Hellespont ins Land hinein. Dagegen ist die Vorstellung von dem Untergange entronnenen Dardaniden im Idagebiet (das Zeugnis des Demetrios ist wohl nur ein Echo der oben S. 2162f. berührten Überlieferung) ohne Zweifel historisch begründet, denn die vor den Aiolern zurückweichenden Dardaner werden sich eben in den schwer zugänglichen Gebirgsthälern am längsten behauptet haben.