Ueber Belohnungen und Strafen/Text
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Über Belohnungen und Strafen
[383] [II p. 408 M.] 1 (1.) Die durch den Propheten Moses überlieferten heiligen Schriften[1] sind dreifacher Art[2]: die erste bezieht sich auf die Weltschöpfung, die zweite hat geschichtlichen Inhalt, die dritte enthält die Gesetzgebung. Das Schöpfungswerk ist ganz vortrefflich und dem göttlichen Schöpfer angemessen geschildert: die Schilderung beginnt mit der Entstehung des Himmels und endet mit der Erschaffung des Menschen; ist doch der Himmel das vollkommenste der unvergänglichen Wesen und der Mensch (das vollkommenste) der sterblichen Geschöpfe. Der Schöpfer[384] schuf aber die Welt, indem er unsterbliche und sterbliche Wesen bei der Schöpfung zusammenordnete und die einen zu führender Stellung, die anderen zu Untergebenen bestimmte. 2 Der geschichtliche Teil enthält die Lebensbeschreibungen tugendhafter und lasterhafter Männer, sowie die Strafen und Belohnungen, die ihnen in jedem Zeitalter zugemessen wurden. Von dem Gesetzgebungswerk hat ein Teil allgemeineren Inhalt, der andere enthält die Vorschriften der einzelnen Gesetze: (jenen bilden) zehn Hauptgebote, die nach der Ueberlieferung nicht durch einen (menschlichen) Dolmetscher offenbart wurden, sondern in Himmelshöhe geformt und mit vernünftiger Artikulierung[3], während die anderen, die Einzelgesetze, durch den Propheten verkündet wurden, [p. 409 M.] 3 Nachdem ich über alle diese Dinge, soweit es nötig ist, in den früheren Büchern ausführlich gesprochen habe, ausserdem auch über die Tugenden, die (der Gesetzgeber) für Krieg und Frieden empfiehlt, wende ich mich nunmehr folgerichtig zu den für die Guten ausgesetzten Belohnungen und für die Schlechten angedrohten Strafen. 4 Nachdem er nämlich durch Vorschriften und sanfte Ermahnungen und andrerseits durch Drohungen und strenge Warnungen die Menschen, die seiner Staatsordnung angehören, genügend belehrt, forderte er sie zu öffentlicher Betätigung seiner Lehren auf. Sie aber traten gleichsam in einen heiligen Wettkampf ein und taten ihren Willen kund, einen klaren Beweis der Wahrheit zu liefern. 5 Da nun wurden die einen als wahrhafte Tugendkämpfer befunden, die ihre Lehrmeister, die Gesetze, in der auf sie gesetzten guten Hoffnung nicht betrogen, andere aber erwiesen sich als unmännlich und feig infolge angeborener Geistesschwäche, sanken schon zu Boden, ehe noch eine stärkere Gewalt sich ihnen entgegenstellte, und fanden Schimpf und Spott bei den Zuschauern. 6 Daher empfingen jene die Kampfpreise und öffentlichen Belobigungen und die übrigen Auszeichnungen, wie sie Siegern zuteil werden, während die anderen nicht nur unbekränzt abziehen mussten, sondern auch eine schimpfliche Niederlage erlitten, die viel empfindlicher[385] ist als die in gymnastischen Wettkämpfen; denn hier beugt sich nur der Körper eines Kämpfers, der sich mit Leichtigkeit wieder aufrichten kann, dort aber stürzt ein ganzes Leben zusammen; ist dies aber einmal gebrochen, so ist es kaum wieder zu erwecken.
7 In der Schilderung der Auszeichnungen und Ehrungen, wie umgekehrt der Bestrafungen, zeigt (die heilige Schrift) harmonische Reihen: in Bezug auf einzelne Männer, auf Häuser, auf Städte, auf Länder und Völker, auf grosse Erdstriche. (2.) Wir wollen zuerst die Ehrungen erörtern, da diese ja mehr Nutzen und für den Hörer mehr Vergnügen bieten, und den Anfang machen mit den Ehren für Einzelpersonen. 8 Die Griechen erzählen von Triptolemos, jenem Heros der Vorzeit, dass er in der Höhe auf geflügelten Drachen getragen die Getreidefrucht (zuerst) über die ganze Erde gesät habe, damit das Menschengeschlecht statt der Eichelnahrung fortan eine milde, gesunde und angenehme Speise hätte[4]. Dies ist eine mythische Erfindung und mag wie so vieles andere denen überlassen bleiben, die Wundergeschichten zu erzählen gewohnt sind und Scheinweisheit wahrer Weisheit und Blendwerk der Wahrheit vorziehen. 9 Gleich zu Anfang nämlich, beim ersten Entstehen des Weltalls, hat Gott die Nahrungsmittel aus der Erde hervorgehen lassen und für alle lebenden Wesen bereitgestellt, insbesondere für das Menschengeschlecht, dem er die Herrschaft über alle erdgeborenen Wesen verliehen hat. Denn unter den Werken Gottes gibt es kein spätgeborenes, auch alles, was anscheinend erst durch kunstmässige Behandlung später seine Vollendung erreicht, ist trotz des halbfertigen Aussehens ganz und gar vorher vorhanden dank der Fürsorge der Natur, sodass [p. 410 M.] man nicht unzutreffend das Lernen Wiedererinnerung genannt hat[5]. 10 Doch das mag beiseite bleiben; wir müssen jetzt die[386] wichtigste Saat betrachten, die der Schöpfer auf fruchtbaren Boden gepflanzt hat, in die vernunftbegabte Seele. 11 Ihr erster Schössling ist die Hoffnung, die Quelle der (verschiedenen) Lebensrichtungen: in der Hoffnung auf Gewinn stürzt sich der Geschäftsmann auf die mannigfachen Arten des Erwerbs; in der Hoffnung auf glückliche Fahrt durchsegelt der Schiffsreeder die weite Fläche des Meeres; in der Hoffnung auf Ruhm ergreift der Ehrgeizige den Beruf des Staatsmannes und Verwalters der öffentlichen Angelegenheiten; in der Hoffnung auf Kampfpreise und Kränze kämpfen die in der Athletenkunst Geübten in den gymnastischen Wettspielen; die Hoffnung auf Glückseligkeit führt die Anhänger der Tugend zur Philosophie, um durch sie imstande zu sein das Wesen der Dinge zu schauen und ihr Handeln so einzurichten, dass es der Vollkommenheit der besten Lebensrichtungen, der theoretischen und der praktischen, entspricht, — ein Ziel, das, wenn es erreicht wird, die Glückseligkeit verbürgt. 12 Manche haben nun die Keime der Hoffnung entweder in feindlicher Absicht vernichtet, indem sie die schlechten Triebe in ihrer Seele grosszogen, oder aus Leichtsinn zerstört, indem sie die Kunst der Bodenbearbeitung vernachlässigten. Andere wiederum, die anscheinend gute Verwalter sind, haben die Eigenliebe der Gottesfurcht vorgezogen und die Ursachen ihrer Erfolge sich selbst zugeschrieben. 13 Alle diese laden Schuld auf sich; Beifall verdient nur der allein, der in Gott seine Hoffnung sucht als dem, der der Urheber seines Entstehens ist und allein die Macht besitzt, ihn vor Schaden und Verderben zu bewahren. Welcher Preis ist nun ausgesetzt für den, der in diesem Kampfe gekrönt wird? Es ist das aus sterblicher und unsterblicher Natur zusammengesetzte Wesen, der Mensch, nicht derselbe wie der Empfänger (des Preises), aber doch auch nicht von ihm verschieden: 14 die Chaldäer nennen ihn Enos, was ins Griechische übersetzt „Mensch“ bedeutet, d.h. er erhält den gemeinsamen Namen des ganzen Geschlechts als eigenen[6], ein auserlesener Preis, insofern damit ausgedrückt ist, dass niemand[387] überhaupt als Mensch gelten darf, der nicht seine Hoffnung auf Gott setzt.
15 (3.) Nach dem Siege der Hoffnung beginnt ein zweiter Wettkampf, worin die Reue streitet, die an der unwandelbaren, unveränderlichen, immer sich gleich bleibenden Natur keinen Anteil hat, die vielmehr von eifriger Liebe zum Besseren plötzlich ergriffen wird und Eile hat, den angeborenen habsüchtigen und ungerechten Sinn aufzugeben und sich der Besonnenheit, der Gerechtigkeit und den anderen Tugenden zuzuwenden. 16 Auch für sie sind Preise ausgesetzt, und zwar doppelte für zweifaches richtiges Handeln, für die Aufgabe des Hässlichen und für die Annahme des Schönen. Die Preise sind Entfernung vom Hause [p. 411 M.] und Alleinsein; es heisst nämlich von dem, der den schlimmen Neigungen des Leibes entflieht und sich zur Seele flüchtet[7]): „er ward nicht gefunden, weil Gott ihn versetzt hatte“ (1 Mos. 5,24). 17 Mit der „Versetzung“ ist deutlich die Entfernung vom Hause gemeint, mit dem Worte „nicht aufgefunden werden“ das Alleinsein; und beides ist ganz passend; denn wenn ein Mensch wirklich Gelüste und Begierden verachtet und in Wahrheit entschlossen über den Leidenschaften steht, so soll er sich zum Umzug rüsten und ohne jede Rücksicht Haus, Vaterland Verwandte und Freunde fliehen[8]. 18 Denn die Gewohnheit ist ein festes Bindemittel, sodass zu befürchten ist, er könnte, wenn er bliebe, gefangen und festgehalten werden durch so viele ringsum vorhandene Lockungen, deren Glanz das schon eingetretene Schweigen der hässlichen Bestrebungen bei ihm wieder stören und die noch frischen Erinnerungen an Dinge, die zu vergessen sittliche Pflicht ist, wiedererwecken würde. 19 Schon viele wurden durch Aufenthalt in der Fremde zur Vernunft gebracht und von ihrem tollen Liebeswahn geheilt, da das Auge nicht mehr ihrer Leidenschaft Nahrung zu geben vermochte durch Vorführung der Gestalten ihrer Lust; denn bei der räumlichen Entfernung muss sie ins Leere gehen, da der Gegenstand, durch den sie gereizt wird, nicht mehr anwesend[388] ist. 20 Wenn er nun aber auswandert, so soll er die Ansammlungen der Menge vermeiden und das Alleinsein lieben; denn auch in der Fremde gibt es ähnliche Schlingen wie zu Hause, in denen die Unvorsichtigen, die an dem Verkehr mit der Menge Gefallen haben, natürlich gefangen werden; denn was ohne Ordnung, ohne Anstand, sündig und schuldbeladen ist, das ist Pöbel, mit dem umzugehen für den, der sich eben erst der Tugend zugewandt hat, durchaus keinen Nutzen hat. 21 Denn wie bei einem Menschen, der von einer langen Krankheit zu genesen anfängt, der Körper leicht erliegt, weil er noch nicht genügend gekräftigt ist, so ist auch bei den Menschen, deren Seele eben erst gesundet, die geistige Spannkraft noch schwach und unsicher, sodass man befürchten muss, die Leidenschaft könnte wieder hervorbrechen, die durch das Zusammenleben mit schlechten Menschen erregt wird.
22 (4.) Nach dem Kampf der Reue wird ein dritter Preis gegeben für , und der Mann, der sich diese zu eigen gemacht hat, erhält eine doppelte Belohnung: die eine besteht in der Rettung bei allgemeinem Untergang, die andere darin, dass er zum Aufseher und Hüter der paarweise verbundenen Tiere aus jeder Gattung bestellt wurde, damit ein neues Geschlecht entstehen konnte an Stelle des untergehenden. 23 Der Schöpfer wollte nämlich, dass ein und derselbe Mann der letzte des verdammten und der erste des (neuen) unschuldigen Geschlechtes sei, und er gab damit denen, die behaupten, dass es in der Welt keine Vorsehung gebe, zwar nicht mit Worten, aber durch die Tat die Lehre, dass nach dem in der Allnatur von ihm eingerichteten Gesetz alle die Myriaden von Menschen, die in Ungerechtigkeit [p. 412 M.] wandeln, nicht soviel wert sind wie ein Mann, der einen gerechten Lebenswandel führt. Diesen Mann, unter dem die grosse Sintflut sich ereignete, nennen die Hellenen Deukalion, die Chaldäer aber Noah[9].[389]
24 Nach dieser Trias gibt es eine zweite von noch frömmeren und noch mehr von Gott geliebten Männern, die einer Verwandtschaft angehören: Vater, Sohn und Enkel nämlich strebten nach demselben Lebensziel, dem Schöpfer und Vater des Alls zu gefallen; sie verachteten, was die meisten bewundern, Ruhm, Reichtum und Vergnügen, sie verlachten auch den Wahnglauben, der stets aus erlogenen Dingen bunt zusammengesponnen wird zur Täuschung der Zuschauer[10]. 25 Das ist das betörende, die seelenlosen Dinge zu Göttern gestaltende, grosse und schwer zu überwältigende Belagerungswerk, durch dessen schlaue Künste jegliche Stadt geködert wird und die Gemüter der jungen Leute eingenommen werden; denn von frühester Jugend eingepflanzt, sitzt (der Wahnglaube) bis ins Alter fest, ausgenommen bei solchen, denen Gott einen Strahl der Wahrheit ins Herz senkt; der Wahrheit steht aber der Wahnglaube feindlich gegenüber, und er weicht ungern zurück und nur, nachdem er mit starker Macht überwältigt ist. 26 Diese Art Menschen[11] ist zwar gering an Zahl, aber doch stark und mächtig, sodass sie in dem ganzen Erdkreis nicht Raum genug finden kann, sondern selbst in den Himmel eindringt; denn ergriffen von unsagbarer Sehnsucht zu schauen und mit den göttlichen Dingen immer zusammenzusein, wenden sie sich, sobald sie die ganze sichtbare Natur erforscht und durchwandert haben, alsbald der unkörperlichen und rein geistigen Welt zu, wofür sie keines der Sinneswerkzeuge in Anspruch nehmen, sondern alles Unvernünftige der Seele abstreifen und allein den Teil gebrauchen, der Geist und Vernunft genannt wird. 27 Der Urheber dieser gottgefälligen Ansicht, der zuerst vom Irrglauben zur Wahrheit übertrat und durch die Tugend als Lehrmeisterin zur Vollkommenheit gelangte, empfängt als Lohn das Vertrauen auf Gott[12]; dem Manne, der infolge einer glücklichen Naturanlage[390] durch selbständiges Hören und Lernen und eigene Belehrung sich die Tugend erwirbt, fällt als Preis die Freude zu[13]; dem geübten Kämpfer, der durch rastloses Abmühen und durch unerschütterlichen <Charakter> sich die Tugend angeeignet hat, wird das „Schauen Gottes“ als Krone verliehen[14]. Könnte aber einer etwas Heilsameres oder Erhabeneres ausdenken als das Vertrauen auf Gott, als die das ganze Leben hindurch währende Freude und als das beständige Schauen des Seienden?
28 (5.) Wir wollen aber einen jeden von ihnen etwas genauer betrachten und uns dabei nicht bloss von den Namen leiten lassen, sondern tiefer in die Sache und in ihren Gedankeninhalt eindringen. Wer wahrhaft auf Gott vertraut, der hat erkannt, dass auf alle anderen Dinge, die geschaffen und vergänglich sind, kein Verlass ist; (es wird ihm dies schon klar), wenn er bei den stolzesten Bestandteilen seiner eigenen Person den Anfang macht, bei der Denkkraft und dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen; denn beiden ist gewissermassen ein eigener Ratssitz und ein Richterstuhl zugewiesen, der Denkkraft zur [p. 413 M.] Betrachtung des rein Geistigen, deren Ziel die Wahrheit ist, der sinnlichen Wahrnehmung zur Betrachtung des Sichtbaren, deren Ziel die Einbildung ist. 29 Das Unsichere und Schwankende der Einbildung ergibt sich schon daraus, dass sie sich auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten stützt, und jedes Bild täuscht uns nur durch leicht irreführende Aehnlichkeit das Urbild vor. Auch die Leiterin der Sinneswahrnehmung, die Denkkraft, die mit der Beurteilung der rein geistigen und sich ewig gleich bleibenden Dinge betraut zu sein glaubt, wird oft des Irrtums überführt; denn wenn sie auf die in zahlloser Menge vorhandenen Einzeldinge ihre[391] Angriffe macht, erlahmt ihre Kraft, sie wird schwach und fällt ab wie ein Fechter, der von stärkerer Gewalt niedergeworfen wird. 30 Wem es aber gelungen ist, über alles Körperliche und alles Unkörperliche hinwegzuschauen und hinwegzuschreiten und seine feste Stütze allein in Gott zu finden mit starker Einsicht und unerschütterlichem, felsenfestem Vertrauen, der ist in Wahrheit glücklich und selig zu preisen.
31 Nächst dem Vertrauen ist die Freude als Preis ausgesetzt, und zwar für den, der sich durch seine natürliche Veranlagung mühelos die Tugend angeeignet hat und darin Sieger geblieben ist; er wurde nämlich, wie die Hellenen sagen würden, γέλως (das Lachen) genannt, in der Sprache der Chaldäer aber Isaak; das Lachen ist aber ein vom Körper gegebenes offenbares Zeichen der unsichtbaren Freude des Herzens. 32 Freude ist aber die beste und schönste der wohltuenden Empfindungen: die Seele ist ganz und gar von diesem Frohsinn erfüllt, sie freut sich ihres Gottes, des Vaters und Schöpfers aller Dinge, sie freut sich über die Handlungen, die ohne Schlechtigkeit geschehen, auch wenn sie nicht zur Befriedigung einer Lust dienen, nur weil sie aus schönem (sittlichem) Gefühl heraus geschehen und zum Fortbestand des Alls beitragen. 33 Denn sowie der Arzt bei grossen und gefährlichen Krankheiten bisweilen Stücke des Körpers wegschneidet mit Rücksicht auf die Gesundheit des übrigen Körpers, wie auch der Steuermann bei Eintritt eines Sturmes Ballast über Bord wirft, weil er die Rettung der auf dem Schiffe Anwesenden im Auge hat, kein Tadel aber den Arzt trifft wegen der Verstümmelung oder den Steuermann wegen des hinausgeworfenen Ballasts, im Gegenteil einem jeden von ihnen Lob zuteil wird, weil er mehr auf den Nutzen als auf das Vergnügen gesehen und die rechte Massregel ergriffen hat, — 34 ganz ebenso muss man auch die Allnatur stets bewundern, muss man zufrieden sein mit allem, was in der Welt ohne vorsätzliche Schuld geschieht, und muss dabei nicht in Betracht ziehen, ob etwas nicht zu unserm besonderen Vergnügen dient, sondern ob die Welt nach Art eines wohlgeordneten Staatswesens zu unserm Heile gelenkt und geleitet wird. 35 Glückselig ist daher auch dieser ebenso wie der erste, da er von Sorge und Kummer frei ist, da er ein ungetrübtes und furchtloses[392] Leben geniesst und den Ernst und die Not des Lebens nicht im geringsten erfährt, weil jedes Plätzchen seiner Seele von [p. 414 M.] Freude beherrscht ist.
36 (6.) Nach dem durch Selbstbelehrung und Benutzung seiner reichen Naturanlage (weise Gewordenen) gelangt als dritter der geübte Kämpfer (Jakob) zur Vollkommenheit und erhält als besonderen Ehrenpreis das Schauen Gottes. Denn nachdem er mit allem, was im menschlichen Leben vorkommt, in Berührung getreten war, nachdem er mit allem sich eingehend befasst und keine Mühe oder Gefahr gescheut hatte, wenn er damit irgendwie der köstlichen Wahrheit auf die Spur kommen konnte, fand er bei dem vergänglichen Geschlecht tiefes Dunkel zu Lande und zu Wasser, in der Luft und im Aether; denn selbst der Aether und der ganze Himmel gewährte ihm die Vorstellung nächtlicher Finsternis: die mit den Sinnen wahrnehmbare Natur ist ja ganz unbegrenzt, das Unbegrenzte ist aber der Finsternis sehr nahe verwandt. 37 Er hatte also früher das Auge der Seele verschlossen gehalten; nun aber begann er es bei seinen anhaltenden Kämpfen allmählich zu öffnen und den verhüllenden Nebel zu zerteilen und zu entfernen; denn plötzlich strahlt ihm der reinere, unkörperliche Glanz des Aethers entgegen und zeigt ihm die rein geistige Welt, wie sie gelenkt wird. 38 Auch der von reinstem Lichte rings umstrahlte Lenker war schwer zu sehen und schwer zu begreifen, weil das Auge durch die Strahlen geblendet wird, und das Auge hatte, wiewohl es von starker Glut getroffen wurde, dem sonderbaren Verlangen zu schauen widerstanden. 39 Der Vater und Retter sah aber das aufrichtige, sehnsüchtige Verlangen und hatte Erbarmen: er gab Kraft der Treffsicherheit des Auges und entzog ihm nicht seinen Anblick, soweit ihn ein geschaffenes und sterbliches Wesen zu fassen imstande ist, den Anblick, der ihm zeigt, nicht was (die Gottheit) ist, sondern dass sie ist. 40 Denn jenes Wesen, das besser ist als das Gute, ehrwürdiger als die Einheit und reiner als die Eins, kann unmöglich von einem andern geschaut werden, weil es nur von sich allein (vollkommen) begriffen werden darf. (7.) Dass es aber ist, den allein fassbaren Begriff seiner Existenz, erfassen auch nicht alle oder sie erfassen ihn nicht[392] in der rechten Art: die einen erklären geradezu, dass die Gottheit gar nicht existiere; andere sind zweifelhaft und schwankend und meinen, sie wüssten nicht zu sagen, ob sie existiert oder nicht; wieder andere, die mehr der Gewohnheit als eigenem Nachdenken folgen, haben ihre Begriffe von der Existenz Gottes von ihren Erziehern überkommen und glauben richtig fromm zu sein, während ihre Frömmigkeit doch nur in Dämonenfurcht sich ausprägt. 41 Diejenigen dagegen, die durch wissenschaftliche Erkenntnis die Vorstellung von dem Schöpfer und Leiter des Alls zu gewinnen vermochten, haben, wie man zu sagen pflegt, den Weg „von unten nach oben“ eingeschlagen. Sie traten in die Welt wie in einen wohlgeordneten Staat ein, sahen fruchtbares Bergland und fruchtbare Ebene, (sahen die Erde) angefüllt mit Saaten und Bäumen [p. 415 M.] und Früchten und Tieren aller Art, sahen auf der Erde weitausgedehnte Meere, Seen, Quellflüsse und Wildbäche, die schönen Mischungen von milder Luft und Winden und die harmonischen Veränderungen der Jahreszeiten, und schliesslich die Sonne, den Mond, die Planeten und Fixsterne, den ganzen Himmel mit seiner Heerschar in Reihen geordnet, eine wahre Welt, die in der Welt herumkreist: 42 da staunten sie und waren voll Bewunderung und gelangten zu der diesen Erscheinungen entsprechenden Annahme, dass soviel Schönheit und solche alles übertreffende Ordnung nicht von selbst entstanden sei, sondern durch einen Bildner und Weltschöpfer, und dass es auch eine Vorsehung geben müsse; denn es besteht ein Naturgesetz, dass das schaffende Wesen für das geschaffene sorgt[15]. 43 Diese gotterfüllten Männer, die sich vor den anderen besonders auszeichneten, sind freilich, wie gesagt, „von unten nach oben“ wie auf einer Himmelsleiter vorgeschritten, sie haben auf Grund anscheinend richtiger Ueberlegung von den Werken auf den Bildner geschlossen. Manche aber besassen die Fähigkeit, ihn aus ihm selbst zu begreifen, ohne dass sie irgend welche andere Vernunftgründe zu Hilfe zu nehmen brauchten, um zu seinem[394] Anblick zu gelangen: solche müssen in Wahrheit zu den frommen und echten Dienern und Lieblingen Gottes gezählt werden. 44 Zu diesen gehört der Mann, der in chaldäischer Sprache Israel genannt wird, auf Griechisch der Gott Schauende[16], nicht welcher Art Gott ist — denn das ist, wie gesagt, unmöglich — , sondern dass er ist: er hat es nicht von einem andern gelernt, auch nicht von den Erscheinungen auf der Erde und am Himmel und nicht von den Dingen, die entweder Elemente oder Zusammensetzungen sterblicher und unsterblicher Natur sind, sondern von Gott allein ward er umbenannt, der ihm auf sein Flehen seine Existenz kundtun wollte. 45 Auf welche Weise aber die Erkenntnis ihm zuteil wurde, kann man an einem Gleichnis sehen. Unsere sichtbare Sonne schauen wir doch durch nichts anderes als durch die Sonne? ebenso die Sterne durch nichts anderes als durch die Sterne? und wird nicht überhaupt das Licht nur durch das Licht gesehen? Ganz ebenso ist Gott sein eigenes Licht und wird durch sich allein gesehen, ohne dass ein anderer hilft oder helfen kann zur reinen Erkenntnis seines Daseins. 46 Gute Treffer sind also die Menschen, die sich bemühen aus der Schöpfung den ungeschaffenen Schöpfer des Alls zu erkennen, sie handeln ähnlich denen, die aus der Zweiheit die Natur der Einheit erforschen, während man umgekehrt von der Einheit — diese ist ja der Anfang — ausgehen müsste, um die Zweiheit zu betrachten[17]; zur Wahrheit aber gelangen nur die Menschen, die die Vorstellung von Gott durch Gott gewinnen, die Vorstellung vom Licht durch das Licht. 47 (8.) Wir haben bisher von dem grossen Preis (Jakobs) gesprochen. Ausserdem aber erhält er noch eine zwar nicht schön klingende, aber nach ihrer geistigen Bedeutung sehr wertvolle Auszeichnung. Sie heisst „Lähmung der Hüftpfanne“ (1 Mos. 32,26), ist aber symbolisch zu verstehen. Durch die „Hüftpfanne“ wird nämlich Hochmut und Ueberhebung ausgedrückt, wenn die Seele sich in [p. 416 M.] massloser Weise ausbreitet und auf unerlaubte Ziele[395] wirft[18], durch die „Lähmung“ aber die Einschränkung des Dünkels, der in Ueberhebung und Aufgeblasenheit besteht. 48 Nichts ist aber von solchem Nutzen, als wenn die losgelassenen zügellosen Triebe zurückgedrängt und lahmgelegt werden und die geistige Spannkraft verlieren, damit die übermässige Macht der Leidenschaften geschwächt wird und breiteren Raum gewährt dem besseren Teile der Seele.
49 Es muss auch noch in Betracht gezogen werden, dass der Preis, der einem jeden von den dreien zuerkannt wurde, für ihn sehr passend ist: für den Mann, der durch Belehrung zur Vollkommenheit gelangt ist, das Vertrauen (auf Gott), weil doch der Lernende auf den Lehrenden sein Vertrauen setzen muss in allem, worin dieser ihn unterweist; denn es wäre schwierig, ja unmöglich einen, der das Vertrauen nicht hat, zu unterrichten. 50 Für den, der durch eigene natürliche Veranlagung zur Tugend gelangt, die Freude; denn erfreulich sind die gute Begabung und die Geschenke der Natur, da die Seele Freude empfindet über die treffenden und scharfsinnigen Einfälle, durch die sie mühelos das findet, was sie sucht, wie wenn eine innere Stimme es ihr zuflüsterte; die rasche Lösung schwieriger Fragen macht ja stets Freude. 51 Für den endlich, der durch beständige Uebung Einsicht gewinnt, das Schauen (Gottes); denn nach der praktischen Lebensführung in der Jugend ist das theoretische Leben im Alter wertvoll und hochheilig; Gott stellt es gleichsam als Steuermann ans hintere Ende (des Lebensschiffes) und händigt ihm das Steuer ein, weil es die Fähigkeit besitzt die irdischen Dinge zu lenken; denn ohne wissenschaftliche Begründung kann keine Handlung sittlich gut genannt werden.
52 (9.) Nur noch eines Mannes will ich gedenken, um nicht weitschweifig zu werden, und mich dann zu dem folgenden Abschnitt wenden. Es ist der Mann, der die heiligen Kämpfe bestanden hat und als gekrönter Sieger aus ihnen hervorgegangen ist. Ich verstehe aber unter „heiligen“ nicht die, die bei der[396] grossen Menge als solche gelten — denn unheilig sind diese vielmehr, da sie für Gewalttat, Frevel, Ungerechtigkeit statt der höchsten Strafen Ehrengaben und Auszeichnungen bieten — , sondern solche, die die Seele durchzukämpfen hat, indem sie mit Klugheit Torheit und Tücke vertreibt, mit Besonnenheit Liederlichkeit und Knickrigkeit, mit Tapferkeit Keckheit und Feigheit, und mit den anderen Tugenden die entgegengesetzten Laster, die weder sich selbst noch anderen von Nutzen sind. 53 Alle Tugenden sind zwar (reine) Jungfrauen, die schönste aber und gleichsam die Führerin in einem Chor ist die Frömmigkeit, die in ganz hervorragendem Masse der Gottesmann Moses sich zu eigen gemacht hat; durch sie erlangt er auch unter vielem andern, was in den von mir verfassten Büchern über sein Leben geschildert ist, vier auserlesene Preise: die Führerschaft, den Beruf des Gesetzgebers, den Prophetenberuf und das Priesteramt. 54 Königlicher Führer ist er nämlich gewesen, nicht in dem gewöhnlichen Sinne, weil er im Besitz einer Heeres- und Waffenmacht von Schiffsvolk, [p. 417 M.] Fussvolk und Reiterei war, sondern weil er von Gott dazu bestimmt wurde mit freiwilliger Zustimmung der Geführten; denn Gott hatte diese freie Wahl bei den Untergebenen bewirkt. Ohne rednerisches Talent, ohne grossen Besitz und ohne Vermögen wurde er zum alleinigen Führer für uns bestellt, weil er den „sehenden“ Reichtum über den „blinden“[19] gestellt hatte und, wenn ich es unverhohlen sagen soll, das Erbe Gottes als seine Habe ansah. 55 Er wird zugleich Gesetzgeber; denn ein König hat zu befehlen und zu verbieten, Gesetz ist aber nichts anderes als die Vernunft, die gebietet was man (tun) muss und verbietet was man nicht darf[20]. Da aber Unklarheit darüber herrscht, was in beiden Fällen zuträglich ist — denn unwissentlich gebieten wir häufig was man nicht tun darf und verbieten was man tun müsste — , so war es[397] sehr passend, dass er als dritten (Preis) die Prophetie erhielt, damit er keine Fehler begehe; denn ein Dolmetscher ist der Prophet, dem Gott durch eine innere Stimme eingibt, was er sagen soll[21]; bei Gott ist aber kein Fehl. 56 Als vierten erhielt er das höchste Priesteramt, kraft dessen er auf Grund der in prophetischem Geiste erlangten Erkenntnis den Dienst des Seienden regeln und die Danksagungen für die glückliche Lage der Untergebenen und für den Fall, dass sie sündigten, die Gelübde und Gebete zur Versöhnung (Gottes) anordnen sollte. Diese vier Aemter, die ja von einer Idee ausgehen, sollten durch das Band der Harmonie verknüpft Hand in Hand miteinander gehen und in einem Manne vereinigt sein; denn wer auch nur in einem von den vier Aemtern versagt, ist nicht reif für die Führerschaft, seine Verwaltung der Staatsangelegenheiten würde auf einem Fusse hinken.
57 (10.) In Betreff der für einen einzelnen Mann gegebenen Belohnungen mag dies genügen. Es werden solche aber auch ganzen Häusern und an Mitgliederzahl reichen Familien verliehen. Das (jüdische) Volk ist in zwölf Stämme geteilt, und entsprechend den zwölf Stämmen gibt es zwölf Stammväter, die nicht nur einem Hause oder einer Familie angehören, sondern noch enger verwandt sind: sie sind sämtlich Brüder von einem Vater, und ihr Grossvater und Urgrossvater sind zusammen mit ihrem Vater die (drei) Erzväter des Volkes. 58 Der erste unter diesen dreien, der vom Irrglauben zur Wahrheit sich bekehrte und das Gaukelspiel der chaldäischen Wissenschaft verachtete infolge einer höheren Erscheinung, durch deren Anblick angezogen, wie das Eisen von dem Magnetstein angezogen wird, er diese Vorstellung weiter verfolgte und aus einem Sophisten ein Weiser durch Belehrung wurde, — dieser Mann hatte viele Söhne, aber alle waren sie Sünder ausser einem, der gleichsam die Ankertaue des Geschlechts festband und sicher in den Hafen einlief. 59 Diesem Sohne, der eine so glückliche Naturanlage besass, dass er sich selbst belehren konnte, wurden zwei Söhne geboren: der eine war wild und unbändig, von verwegenem Mute und voller Begierde, bei ihm[398] überrannte der unvernünftige Teil der Seele den vernünftigen; der andere dagegen war sanft und menschenfreundlich, ein Freund tugendhaften Strebens und gerechten und bescheidenen [p. 418 M.] Handelns, er gehörte der besseren Klasse (von Menschen) an, er war Vorkämpfer der Vernunft und Gegner der Unvernunft. 60 Dieser ist der dritte der Erzväter, der mit Kindern gesegnet war und lauter gute Kinder hatte, der an keinem Teile seines Hauses Schaden erlitt, wie ein glücklicher Landmann, der seine ganze Aussaat gut gedeihen und schöne Früchte tragen sieht.
61 (11.) Abgesehen von der buchstäblichen Erklärung drückt aber auch jeder von den dreien symbolisch einen verborgenen Gedanken aus, den wir beachten müssen. Ein jeder, der belehrt wird, gelangt zum Wissen und gibt die Unkenntnis auf. Die Unkenntnis ist aber mannigfaltiger Art. Deshalb heisst es von dem ersten (Erzvater), dass er zwar viele Söhne hatte, aber keinen von ihnen für würdig erachtete, sich seinen Sohn zu nennen, ausser einem; denn auch der Lernende verstösst gewissermassen die Kinder seiner Unkenntnis und verabscheut sie wie verhasste Feinde. 62 Denn wir Menschen befinden uns, bevor die Vernunft in uns zur Reife gelangt, naturgemäss alle auf der Grenze zwischen Schlechtigkeit und Tugend und neigen uns noch nach keiner Seite. Sobald aber der Geist flügge wird und mit ganzer Seele und in allen ihren Teilen die Vorstellung von dem Guten gewinnt, so gibt er sich ihm ganz hin und möchte es im Fluge erreichen und lässt das ihm angeborene und nahe verwandte Böse hinter sich, das denn auch entflieht und den entgegengesetzten Weg ohne Säumen einschlägt. 63 Das ist es, was (die heilige Schrift) andeutet, wenn sie berichtet, dass dem von Natur glücklich Veranlagten (Isaak) zwei Zwillingssöhne geboren wurden; denn eines jeden Menschen Seele geht anfangs, bei der Geburt, mit Zwillingen schwanger, mit dem Bösen und dem Guten, wie gesagt, denn von beiden hat sie eine Vorstellung; wenn sie aber den glücklichen und beseligenden Teil erlangt, wendet sie sich mit ihrem ganzen Gewicht dem Guten zu, neigt sich niemals nach der andern Seite und schwankt nicht hin und her, um das Gleichgewicht zu erhalten. 64 Die Seele aber, die sowohl gut veranlagt ist als auch einen guten Unterricht[399] genossen hat und drittens durch fleissige Uebung an die Grundsätze der Tugend gewöhnt ist, so dass keiner von ihnen sie nur oberflächlich berührt, sondern alle festsitzen und ihr tief eingeprägt sind wie mit Stricken befestigt, die erwirbt Gesundheit, die erwirbt Macht, und dazu noch gutes Aussehen infolge von Sittsamkeit, Wohlbefinden und Schönheit (des Körpers). 65 So wird eine solche Seele durch drei vortreffliche Dinge, durch natürliche Anlage, durch Lernen und durch fleissige Uebung, ein vollkommener Wohnsitz der Tugenden, und sie lässt kein Plätzchen in ihrem Innern leer, sodass anderes Zutritt hätte; sie erzeugt nun eine vollkommene Zahl, zweimal sechs Söhne, ein Abbild und eine Nachahmung des Tierkreises zur Besserung der Dinge hienieden. Das ist das unverletzte Haus, das nach dem Wortlaut der heiligen Schrift wie in der allegorischen Deutung vollkommen und beständig erscheint und das, wie gesagt, zur Belohnung die Führung der Stämme des Volkes [p. 419 M.] erhalten hat. 66 (Von den Männern) aus diesem Hause, das im Laufe der Zeit zu volkreicher Zahl sich entfaltete, sind Städte mit trefflicher Verfassung gegründet worden, Lehrstätten der Einsicht, Gerechtigkeit und Frömmigkeit, in denen auch die Art und Weise der Erlangung jeder andern Tugend ernsthaft erforscht wird.
67 (12.) Wir haben nun die Belohnungen, die in alter Zeit den Guten, und zwar sowohl einer Gesamtheit als einzelnen, erteilt wurden, in summarischer Weise besprochen, sodass man danach auch die hier übergangenen leicht verstehen kann. Ebenso müssen wir nun andrerseits die über die Schlechten verhängten Strafen im allgemeinen betrachten; denn alle einzeln aufzuführen ist nicht an der Zeit. 68 Gleich am Anfang, als das Menschengeschlecht noch gering an Zahl war, gab es einen Brudermörder (Kain). Dies ist der erste schuldbeladene Mensch, der erste, der über die reine Erde den ungewohnten Schandfleck (vergossenen) Menschenblutes brachte, der erste, der die Erde, welche Tiere und Pflanzen aller Art hervorbringt und wachsen lässt und durch alle ihre Erzeugnisse in voller Blüte steht, in ihrer Fruchtbarkeit hemmte, der erste, der das Wachstum mit Verderben, das Leben mit dem Tode, die Freude mit der Trauer und das Gute mit dem[400] Bösen bedrohte. 69 Welche Strafe hätte nun der verdient, der mit einer Tat das Schlimmste an Gewalt und Frevel verübte? Man wird wohl sagen: den Tod. Das wäre der Gedanke eines Menschen, der den grossen Richterstuhl nicht sieht; die Menschen halten nämlich den Tod für die höchste Strafe, vor dem göttlichen Gericht aber ist der Tod kaum der Anfang der Strafen. 70 Da die Tat neu war, musste auch eine neue Strafart dafür ausfindig gemacht werden. Worin besteht diese? er soll sterbend immerfort leben und gewissermassen einen ewigen, nie endenden Tod erleiden. Der Tod ist nämlich zwiefacher Art: die eine besteht in dem Totsein, das entweder ein Glück oder eine gleichgültige Sache ist, die andere im Sterben, das sicher ein Uebel ist und um so schwerer zu ertragen, je länger es dauert. 71 Erwäge nun, inwiefern der Tod beständig bei ihm ist. Vier Affekte sind in der Seele vorhanden, von denen zwei sich auf ein gegenwärtiges oder künftiges Gut beziehen, Lust und Begierde, zwei auf ein gegenwärtiges oder erwartetes Uebel, Trauer und Furcht. Die beiden auf das Gut sich beziehenden Empfindungen schnitt ihm Gott nun vollständig ab, sodass er sich niemals über etwas ihm zufällig Begegnendes freuen und niemals etwas Angenehmes begehren sollte, und pflanzte ihm dagegen die beiden Empfindungen des Uebels tief ins Herz, sodass er in steter Trauer ohne jede Freude und in ununterbrochener Furcht leben sollte. 72 Denn es heisst, dass er über den Brudermörder den Fluch aussprach, „er solle beständig klagen und zittern“ [p. 420 M.] (1 Mos. 4,12)[22], und „dass er ein Kennzeichen für ihn bestimmte, damit er von keinem getötet werde“ (ebd. V. 15): er sollte nicht auf einmal sterben, sondern sterbend, wie gesagt, ewig leben in beständigen Schmerzen, Qualen und Leiden; er sollte auch — was das allerschlimmste ist — die Empfindung haben von seinem Unglück, er sollte Verdruss empfinden über gegenwärtiges Missgeschick und künftiges, auch wenn er dessen Herankommen voraussieht, nicht zu verhüten imstande sein, da ihm jede Hoffnung abgeschnitten war, die Gott den Menschen eingepflanzt hat, damit sie ein Trostmittel bei sich hätten,[401] die Kümmernisse leichter zu ertragen, wenn sie nicht untilgbare Schuld begangen haben. 73 Sowie nun für den, der von einem Sturzbach mit fortgerissen wird, die nahe Flut, die ihn fortreisst, schrecklich ist, schrecklicher aber noch die von oben hinzukommende, die durch ihre Gewalt ihn heftig und unaufhörlich weiter treibt, sich dann hoch über ihn erhebt und über ihn wegströmt, ebenso sind zwar auch die sichtbar vorliegenden Leiden schmerzlich, weit schlimmer aber solche, die nur aus der Furcht entspringen; denn die Furcht führt uns wie aus einer Quelle die Leiden reichlich zu.
74 (13.) Das sind die Strafen, die über den ersten Brudermörder verhängt wurden. Andere wurden über ganze Häuser verhängt, die sich zu gemeinsamer sündhafter Tat verbunden hatten. Es gab da einige Tempelwärter und Tempeldiener, die etwa den Rang von Torhütern einnahmen; diese erhoben sich in sinnlosem Uebermut wider die Priester und wollten die Ehrengaben, die diesen zukommen, sich aneignen (4 Mos. Kap. 16). 75 Sie stellten an die Spitze der Bewegung als Führer den Aeltesten unter ihnen, der mit einigen Pflichtvergessenen der Anstifter des Unternehmens war, verliessen ihren Platz an den Toren und äusseren Eingängen und drangen in das Innere des Heiligtums ein, in der Absicht, die durch göttliche Offenbarungen zum Priesteramt Berufenen zu verdrängen. 76 Eine allgemeine Aufregung entstand nun natürlich im Volke, da doch unerschütterliche Einrichtungen erschüttert und die Gesetze verletzt waren und die Ordnung im Heiligtum infolge der schrecklichen Unruhe in Verwirrung geriet. 77 Der Führer und Leiter des Volkes empfand darüber heftigen Unwillen. Zuerst versuchte er in ernstem Ton ohne Zorn — denn er war auch von Natur nicht zum Zorn geneigt — sie mit Worten zu bestimmen, ihren Sinn zu ändern, die gesetzten Schranken nicht zu überschreiten und nichts gegen die heiligen und geweihten Einrichtungen zu unternehmen, auf denen die Hoffnungen des Volkes beruhen. 78 Als er aber nichts ausrichtete, jene vielmehr auf alles stumm blieben, weil sie der Meinung waren, dass er nur verwandtschaftlichem Gefühl nachgegeben und deshalb den Bruder zum Hohenpriester bestellt und den Bruderssöhnen das Priesteramt zugewendet habe, hielt er dies nicht[402] für schlimm, so schlimm es auch tatsächlich war; dagegen empfand er es sehr schwer, dass man glauben konnte, er habe [p. 421 M.] sich um die Gottessprüche, nach denen die Wahl der Priester erfolgt, nicht gekümmert[23].
Über die Segnungen
[402] 79 (14.) .... Ein klares Zeugnis dafür liegt in den heiligen Schriften vor. Lies[24] zuerst die Wünsche, die (Moses) „Segnungen“ zu nennen pflegt (5 Mos. 11,26.27. 28,2. 30,1 u. ö.). Wenn ihr, so sagt er, die göttlichen Gebote beobachtet, den Gesetzen gehorsam seid und die Verordnungen nicht bloss mit dem Ohre aufnehmet, sondern durch eure Handlungen im Leben erfüllet, so weidet ihr als erstes Geschenk erhalten den Sieg über eure Feinde (2 Mos. 23,22. 5 Mos. 28,1). 80 Denn nicht übertrieben sind die Vorschriften und zu schwer für die Kraft derer, die sie befolgen sollen; auch liegt das Gute nicht so weit entfernt, etwa jenseits des Meeres oder an den äussersten Enden der Erde, dass es einer langwierigen und beschwerlichen Wanderung dahin bedürfte; es ist auch nicht plötzlich von hier in den Himmel gezogen, sodass einer nur, wenn er emporsteigt und auf Flügeln sich aufschwingt, es mit Mühe erreichen könnte: nein, ganz in der Nähe befindet es sich, denn es ist einem jeden von uns in drei Teile (des Körpers) hineingelegt, in den Mund, ins Herz und in die Hände, womit symbolisch gemeint sind Rede, Gedanke und Handlungen[25]. 81 Wenn nämlich die Reden so sind wie[403] die Entschlüsse und die Handlungen so wie das gesprochene Wort, und diese drei Dinge einander entsprechen und durch ein unlösbares Band harmonisch verbunden sind, dann herrscht Glückseligkeit, d. h. die untrüglichste Weisheit und Einsicht, Weisheit in Bezug auf Gottesverehrung, Einsicht in der Führung des menschlichen Lebens. 82 Solange nun die Gesetzesvorschriften nur im Munde geführt werden, erfahren sie geringe oder gar keine Schätzung; sobald aber vollkommen entsprechende Handlungen in allen den verschiedenen Lebensberufen hinzukommen, da steigen sie gleichsam aus tiefem Dunkel ans Licht empor und leuchten in hellem Ruhmesglanze. 83 Denn welcher selbst von Natur missgünstige Mensch wird nicht einräumen, dass dieses Volk allein ein weises und verständiges ist, dem das Glück zuteil geworden nicht zuzulassen, dass die göttlichen Mahnungen in den Wind gesprochen wurden, da die entsprechenden Handlungen ausblieben, sondern das gesprochene Wort zu erfüllen durch lobenswerte Tat? 84 Dieses Volk ist nicht weit von Gott entfernt, denn es schaut in Gedanken immerfort die Schönheit des Aethers und lässt sich von himmlischer Liebe leiten; wenn daher einer fragen wollte, welches Volk ist gross? könnte man ihm treffend antworten: dem Gott seine andächtigen Gebete erhört und dem er nahe ist, wenn es ihn aus reinem Herzen anruft[26].
85 (15.) Da es aber eine doppelte Art von Feinden gibt und die eine aus Menschen besteht, die es aus Habgier absichtlich sind, die andere aus Tieren, die unabsichtlich in einem natürlichen Gegensatz zu uns stehen, so müssen wir über beide besonders handeln, und zwar zuerst über die von Natur uns feindlichen Tiere[27]; denn diese sind nicht Feinde einer Stadt oder eines Volkes, sondern des gesamten Menschengeschlechts, [p. 422 M.] und zwar nicht für einen bestimmten Zeitraum, sondern für unbegrenzte und unbeschränkte Dauer. 86 Einige dieser Tiere fürchten den Menschen als ihren Herrn und ducken sich vor[404] ihm in ingrimmigem Hass, andere, die mutig und kecker sind, passen eine Gelegenheit ab und greifen ihn an, wenn sie schwächer sind, aus dem Hinterhalt, wenn sie stärker sind, ganz offen. 87 Denn es besteht ein beständiger, unversöhnlicher Kampf, wie zwischen Wolf und Lamm, so auch zwischen allen Tieren, Wasser- wie Landtieren, und allen Menschen; ihn vermag kein Sterblicher zu beseitigen, der Ewige allein beseitigt ihn, wenn er Menschen der Errettung für würdig erachtet, die friedlichen Charakters sind und einträchtiges Zusammenleben gern haben, bei denen der Neid entweder überhaupt keine Stätte findet oder rasch verfliegt, weil sie gewillt sind ihre Glücksgüter zu allgemeinem Gebrauch und Genuss auf den Markt zu tragen. 88 O möchte doch dieses Glück einstmals unserm Leben leuchten, o könnten wir jene Zeit schauen, in der die wilden Tiere einst zahm sein werden! Zuvor aber müssen die wilden Tiere in unserer Brust[28] gezähmt werden, ein Glück, wie es grösser nicht zu finden ist. Oder wäre es nicht töricht zu glauben, dass wir den Schädigungen von wilden Tieren draussen entrinnen werden, wenn wir die (Tiere) in unserm Innern immerfort zu furchtbarer Wildheit antreiben? Wir dürfen daher die Hoffnung nicht aufgeben, dass nach Bezähmung der Tiere in unserer Brust auch die Tiere draussen zahmer sein werden. 89 Dann, glaube ich, werden Bären und Löwen und Panther und die indischen Elefanten und Tiger und alle anderen an Kraft und Stärke unüberwindlichen Tiere ihr einsames Leben aufgeben und sich zu den anderen gesellen[29]; und allmählich werden sie nach dem Beispiel der Herdentiere beim Anblick des Menschen zahm bleiben und nicht mehr wie früher dadurch gereizt werden; betroffen werden sie ihn wie einen Vorgesetzten und natürlichen Herrn scheu ansehen, manche werden auch dem fügsamen und seinem Herrn ergebenen (Tiere) nacheifern, wie die Malteserhündchen, die unter freudigen Sprüngen (ihre Herren) mit den Schweifen anwedeln[30]. 90 Dann wird[405] auch das Gift der Skorpione, der Schlangen und der anderen Kriechtiere unschädlich sein; auch der Fluss in Aegypten birgt Tiere, die in ähnlicher Weise den Bewohnern des Landes Schaden zufügen[31], menschenfressende Tiere, die sogenannten Krokodile und die Nilpferde, wie auch die Meere zahllose Arten von sehr gefährlichen Tieren enthalten: bei ihnen allen wird der Tugendhafte unter heiligem Schutze weilen dürfen, da Gott so die Tugend ehrt und ihr zur Belohnung Unverletzlichkeit gewährt.
91 (16.) Auf diese Weise wird der der Zeit und der Natur nach ältere Krieg sein Ende finden, wenn nämlich die wilden Tiere ihre Wildheit aufgeben und zahm werden. Der jüngere [p. 423 M.] aber, der mit Absicht geführt wird und aus Habsucht entsteht, wird sich alsdann leicht beseitigen lassen; denn die Menschen werden, wie mir scheint, Scham darüber empfinden, dass sie sich roher zeigen als die vernunftlosen Tiere, nachdem sie den Schädigungen und Verletzungen durch diese entronnen sind. 92 Denn es wird natürlich als grosse Schande angesehen werden, wenn die giftigen und menschenfressenden und ungeselligen Tiere sich zum Frieden bekehren und versöhnlich werden, das von Natur zahme Geschöpf dagegen, dem geselliger Sinn angeboren ist, der Mensch, von unversöhnlicher Mordgier gegen seinesgleichen sein würde. 93 Entweder also wird, wie es (in der heiligen Schrift) heisst, „Krieg überhaupt nicht durch das Land der Frommen schreiten“[32], sondern in sich selbst zusammenfallen und zunichte werden, da die Gegner merken werden, gegen wen sich der Kampf richten würde, gegen ein Volk nämlich, das des unüberwindlichen Beistandes des Gerechten (Gottes) sicher ist; denn ein herrliches und kostbares (Gut) ist die Tugend, und sie allein ist in aller Ruhe imstande den Ansturm grossen Unheils zu mildern. 94 Oder wenn Feinde in unbändiger und unstillbarer Kampfbegierde wütend heranstürmen sollten, werden sie zwar bis zum Zusammentreffen in ihrer Keckheit sich grosstun, wenn es aber zum Handgemenge[406] kommt, werden sie merken, dass es eitle Prahlerei war, weil sie nicht zu siegen imstande sind: mit stärkerer Gewalt zurückgedrängt werden sie in unaufhaltsame Flucht getrieben werden, Hunderte von fünfen, Zehntausende von Hunderten (3 Mos. 26,7. 8), und auf vielen Wegen davoneilen, nachdem sie alle einen Weg gekommen (5 Mos. 28,7). 95 Manche werden, auch wenn sie niemand verfolgt ausser der eigenen Furcht, ihre Rücken den Gegnern als sicheres Ziel ihrer Geschosse darbieten, sodass es ein Leichtes sein wird, alle Mann für Mann zu töten und niederzustrecken (2 Mos. 23,27). „Hervorgehen wird ein Mann“ (aus diesem Volke), wie es in dem Gottesspruche heisst (4 Mos. 24,7), der als Heerführer im Kriege grosse und volkreiche Nationen unterwerfen wird, da Gott die den Frommen gebührende Hilfe senden wird: sie besteht aber in der unerschrockenen Kühnheit der Seele und in der gewaltigen Kraft des Körpers, Eigenschaften, von denen schon eine allein etwas Furchtbares für die Feinde hat, die aber vereint ganz unwiderstehlich sind. 96 Manche von den Feinden werden, wie es (in der heiligen Schrift) heisst, gar nicht wert sein, dass ihnen von Menschen eine Niederlage bereitet wird: Wespenschwärme wird Gott ihnen entgegenstellen, die statt der Frommen kämpfen und (die Feinde) schmählich verderben werden (2 Mos. 23,28. 5 Mos. 7,20)[33]. 97 Die Frommen werden aber nicht nur den im Kriege errungenen unblutigen Sieg festhalten, sondern auch die unüberwindliche Machtherrschaft zum Vorteil für die Unterworfenen, die entweder durch [p. 424 M.] Zuneigung oder durch Furcht oder durch Ehrfurcht gewonnen wird. Denn (die Frommen) üben drei sehr wichtige Tugenden aus, die zur Erlangung unzerstörbarer Herrschaft beitragen: Würde, Strenge und Wohltun, und aus ihnen ergeben sich die genannten Mittel (zur Erhaltung der Herrschaft); denn die Würde[407] erzeugt Ehrfurcht, die Strenge Furcht, das Wohltun Zuneigung; und wenn diese drei Dinge harmonisch in der Seele verbunden sind, erhalten sie die Untergebenen in Gehorsam gegen die Herrschenden.
98 (17.) Das ist der erste Segen, der denen verheissen wird, die in den Wegen Gottes wandeln, die stets und überall an seinen Geboten festhalten und nach ihnen ihr Leben in allen Stücken so einrichten, dass es niemals in krankhafter Verirrung vom rechten Wege abweichen kann. In zweiter Linie wird Reichtum verheissen, der ja eine notwendige Folge von Frieden und Herrschaft ist. 99 Der Reichtum aber, den die Natur bietet[34], besteht in einfacher Nahrung und in Schutz (für den Körper): die Nahrung ist Brot und Quellwasser, das überall auf der bewohnten Erde reichlich vorhanden ist; der Körperschutz ist doppelter Art, er besteht teils in einem Gewande, teils in einem häuslichen Dache, um die Schädigungen von Kälte und Hitze abzuwehren; beides ist leicht zu beschaffen, wenn man nur von übermässigem und überflüssigem Luxus dabei absehen will[35]. 100 Wer diesen Reichtum zu erlangen sucht und nicht die Gaben eitlen Wahnes, sondern die der Natur gern annimmt, wer genügsam und enthaltsam ist, der wird auch den Reichtum üppiger Nahrung in übervollem Masse erlangen, ohne dass er sich darum bemüht; denn zuströmen wird er denen, die dafür am besten geeignet sind und in ihrem ernsten Sinn den passenden Gebrauch davon zu machen wissen, und gern wird er entfliehen dem Zusammensein mit zuchtlosen und frevelhaften Menschen, um nicht seine Mittel denen zu gewähren, die nur zum Schaden ihres Nächsten leben, und an denen vorüberzugehen, die gemeinnützig wirken. 101 Denn es heisst in der göttlichen Verheissung (3 Mos. 26,3f. 5 Mos. 11,13f. 28,12), dass denen, die die heiligen Gebote beobachten, der Himmel seinen Regen zur Zeit spenden und die Erde ihren Ertrag an allerlei Früchten geben wird, die Ebene die Saatfrüchte, das Bergland die Baumfrüchte,[408] und dass zu keiner Zeit die Wohltaten ausbleiben werden, dass vielmehr durch die unaufhörlich waltende Gnade Gottes „die Saaternte bis zur Weinlese und die Weinlese bis zur Aussaat reichen wird“ (3 Mos. 26,5): 102 so werden sie ohne Unterlass und ohne Unterbrechung beständig einen Teil der Früchte einsammeln und auf den andern hoffen, weil die einen den anderen auf dem Fusse folgen, sodass die Anfänge der späteren sich mit dem Ende der früheren berühren und gewissermassen einen ringförmigen Reigentanz ausführen, der alles Gute mit sich führt. 103 Denn die Menge der wachsenden Früchte wird nicht nur für den augenblicklichen Gebrauch und Genuss ausreichen, sondern auch reichen Vorrat für die Zukunft bieten, indem immer neue Vorräte zu den alten hinzukommen und deren Lücken ausfüllen; ja, bisweilen wird sich wegen des unendlich reichen Ertrages überhaupt niemand um die früher [p. 425 M.] eingebrachten Vorräte kümmern, man wird sie, ohne sie erst aufzubewahren und aufzuspeichern, jedem beliebigen zu unbeschränktem Gebrauche überlassen. 104 Denn wem der wahre Reichtum im Himmel ruht, da er durch Weisheit und Frömmigkeit erworben wird, für den ist auch der in Schätzen bestehende Reichtum auf Erden in Fülle vorhanden; denn durch die Vorsehung und Fürsorge Gottes sind seine Vorratskammern stets gefüllt, damit[36] die Regungen der Seele und die Unternehmungen der Hände nie gehemmt werden in der rechten Ausführung der mit Eifer betriebenen schönen Werke. 105 Wer aber infolge unfrommen und ungerechten Lebens dieses himmlische Los nicht erhält, dem gelingt auch der Besitz der irdischen Güter nicht vollständig: wenn er ihm schon zuteil wird, verfliegt er rasch wieder, als wäre er überhaupt nicht gekommen, um dem Empfänger zu nützen, sondern um ihm nur einen noch schwereren Kummer aufzuerlegen, der eine notwendige Folge des Verlustes ist. — 106 (18.) Dann wirst du, wie es weiter heisst, infolge des reichen Ertrages und Ueberflusses anderen das antun können, was du jetzt erfährst. Denn jetzt fehlt es dir, weil du vor den Gesetzen und väterlichen Gebräuchen keine Achtung hast, sondern sie ganz vernachlässigst,[409] an den unentbehrlichen Mitteln, du musst daher den Häusern der Geldverleiher und Wucherer deine Aufwartung machen und mit hohem Zins Geld aufnehmen; 107 dann aber wirst du, wie gesagt, das Gegenteil tun: infolge deines grossen Ueberflusses wirst du selbst anderen Geld leihen (5 Mos. 15,6. 28,12), nicht wenig und nicht wenigen, sondern viel und vielen, ja, ganzen Völkern; und mit allem wirst du in der Stadt wie auf dem Lande gesegnet sein (5 Mos. 28,2), in der Stadt mit Ehrenstellen, Auszeichnungen und einem guten Namen infolge deiner Gerechtigkeit, deines klugen Rates und deines gemeinnützigen Wirkens in Wort und Tat, auf dem Lande mit der reichen Ernte an den unentbehrlichen Bedürfnissen, Getreide, Wein und Oel, wie an den Mitteln des feineren Lebens d. h. an den zahllosen Arten von Baumfrüchten, und dazu mit der Fruchtbarkeit[37] der Rinder- und Schafherden und der anderen Zuchttiere (5 Mos. 7,13. 28,4). 108 Was für einen Nutzen haben aber, so könnte man fragen, diese Dinge für den, der keine Erben und Nachfolger hinterlassen soll? Deshalb drückt Gott seinen Wohltaten noch das Siegel auf und verheisst: „keinen Kinderlosen und keine Unfruchtbare soll es (unter euch) geben“ (2 Mos. 23,26. 5 Mos. 7,14), alle aufrichtigen Gottesverehrer werden das Naturgesetz der Kindererzeugung erfüllen: 109 die Männer werden Väter sein und kinderreiche Väter, die Frauen werden Mütter sein und mit Kindern gesegnete Mütter, und so wird jedes Haus eine zahlreiche Verwandtschaft bilden, worin kein Teil und keine Bezeichnung, die von Angehörigen gebraucht wird, fehlen soll, weder in aufsteigender Linie, also die Namen der Eltern, Oheime und Grosseltern, noch in absteigender Linie, also die Namen der Söhne, Brüder, Bruderskinder, Enkelkinder [p. 426 M.] von Sohn und Tochter, Vettern, Vetterskinder und aller Blutsverwandten. 110 Auch eines raschen oder frühzeitigen Todes wird kein Gesetzestreuer sterben, ein jeder wird alle Lebensstufen erreichen, die Gott dem Menschengeschlechte zuerteilt hat: vom Säuglingsalter an nacheinander wie auf Stufen ansteigend, wird er in bestimmten Zeitabschnitten die festgesetzten Altersstufen durchmessen und schliesslich zu der Stufe gelangen,[410] die dem Tode oder vielmehr der Unsterblichkeit benachbart ist; er wird in Wahrheit ein schönes Alter haben und ein mit guten und zahlreichen Kindern gesegnetes Haus an seiner Stelle zurücklassen. 111 (19.) Dies ist es, was er mit der göttlichen Verheissung meint: „die Zahl deiner Tage wirst du voll machen“ (2 Mos. 23,26)[38], worin er richtige und passende Ausdrücke vortrefflich anwendet. Denn der Ungebildete und Gesetzlose kommt, wie man sagt, „weder in Zahl noch in Rechnung“[39]; wer aber Bildung und heilige Gesetze sich zu eigen macht, wird zuerst dadurch ausgezeichnet, dass er als ansehnlich und erprobt befunden wird und eine Zahl und einen Rang erhält. 112 Sehr schön ist auch der Ausdruck des „Vollmachens“ — nicht der Monate oder Jahre, sondern — „der Tage“, weil kein Tag des Weisen freien Raum lassen darf zum Eintritt der Sünde, sondern jeder in allen seinen Teilen und Zwischenräumen von tugendhaftem Handeln ausgefüllt sein muss; denn die Tugend und das sittlich Gute wird nicht nach der Quantität, sondern nach der Qualität beurteilt. Daher hält er auch einen gut vollbrachten Tag des Weisen für gleichwertig mit einem ganzen Leben <des Schlechten>[40]. 113 Dies deutet er auch an anderer Stelle an, wenn er sagt, dass ein solcher Mann gesegnet sein werde beim Eingang und beim Ausgang (5 Mos. 28,6), weil nämlich der Weise in allen seinen[411] Bewegungen und in allen Lagen Lob verdient, im Hause und draussen, als Staatsmann und als Hausverwalter, weil er im Hause gut wirtschaftet und draussen staatsmännisch wirkt, wie es zur Besserung des Gemeinwesens förderlich ist. 114 Zeigt nun ein einzelner Mann in einer Stadt solche Eigenschaften, so wird er die Stadt überragen; zeigt sie eine Stadt, so wird sie das Land im Umkreise überragen; zeigt sie ein ganzes Volk, so wird es, um seinen Vorrang zu zeigen, auf allen Völkern sitzen, wie der Kopf auf dem Körper[41], nicht sowohl zu eigenem Ruhme als zum Nutzen für die Zuschauer; denn die fortwährende Vorstellung schöner Muster bringt in nicht zu spröden und nicht ganz unzugänglichen Seelen ähnliche Bilder hervor. 115 Deshalb ergeht die Mahnung an alle, die diese weisen und wunderbar schönen Muster nachahmen wollen, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass sie die Wandlung zum Besseren und die Rückkehr aus der Zerstreuung der Seele, die das Laster zu Wege gebracht hat, zur Tugend und Weisheit finden werden; [p. 427 M.] denn wenn Gott gnädig ist, geht alles leicht. 116 Gott ist aber gnädig denen, die ihn ehrfürchten, die von der Zügellosigkeit zur Selbstbeherrschung übergehen, die ihr sündhaftes Leben verurteilen, die hässlichen Trugbilder, die sie ihrer Seele eingeprägt haben, verabscheuen und nun Ruhe von den Leidenschaften suchen und ein stilles, friedliches Leben führen wollen. 117 Wie nun Gott Menschen, die an den äussersten Enden der Erde wohnen, leicht durch ein Geheiss von dort an den Ort führen kann, wohin er will, so kann der Retter in seiner Barmherzigkeit auch den Geist, der infolge langwieriger Verirrung überall herumgezogen ist und von allzusehr geschätzten Herrinnen, der Lust und der Begierde, übel behandelt wurde, von dem weglosen Pfade leicht auf den Weg zurückführen, wenn er zu rückhaltloser Flucht entschlossen ist, nicht zu der gewöhnlichen, schimpflich genannten Flucht, sondern zu der heilsamen, die man ohne fehlzugehen noch über die Rückkehr stellen könnte.
[412] 118 (20.) Die äusseren Güter sind damit besprochen: Sieg über die Feinde, Uebermacht im Kriege, Sicherung des Friedens und Ueberfluss an Gütern des Friedens, Reichtümer, Ehren, Aemter, die über die Glücklichen ergehenden Lobeserhebungen, die ihnen aus jedem Munde gespendet werden, von Freunden und Feinden, von diesen aus Furcht, von jenen aus Zuneigung. Wir haben nun über die ihnen näher verwandten Güter zu sprechen, die sich auf den Körper beziehen[42]. 119 Gott verheisst denen, die sich um die Tugend bemühen und die heiligen Gesetze sich zu Leitsternen ihres Redens und Handelns im privaten und öffentlichen Leben genommen haben, völlige Befreiung von Krankheiten (5 Mos. 7,15). Wenn auch einmal ein Unwohlsein sich einstellen sollte, so kommt es nicht, um Schaden zuzufügen, sondern nur um den Sterblichen daran zu erinnern, dass er sterblich ist, um den übermütigen Sinn zu zügeln und den Charakter zu veredeln. Mit der Gesundheit wird auch Stärke der Sinnesorgane verbunden sein und eine vollkommene Beschaffenheit aller Teile (des Körpers), die einen jeden instand setzt ungehindert den Dienst zu verrichten, für den er geschaffen ist. 120 Denn Gott wollte dem Tugendhaften zur Belohnung ein wohlgebautes und vom Grund bis zum Dache gutgefügtes Haus anweisen — der Körper ist ja das Haus der Seele, das mit ihr fest verwachsen ist — , sowohl mit Rücksicht auf viele andere zum Leben nützliche und unentbehrliche Dinge als auch namentlich mit Rücksicht auf unsern durch vollkommene Sühnungen gereinigten Geist; 121 ihn, der die göttliche Weihe empfangen hat und an den Reigentänzen und Umläufen der Himmelskörper teilnimmt, ehrt Gott durch vollkommene Ruhe: er will, dass er <von den körperlichen Störungen> unberührt bleibe und keinen Schaden erleide durch irgendwelche Empfindungen, wie sie die Bedürfnisse des Körpers hervorrufen, die ihm diese übergrosse Herrschaft der Gefühle auferlegen; denn entweder [p. 428 M.] hat ihn etwas erkältet oder erhitzt und ihm je nachdem das Gefühl der Trockenheit oder der Nässe verursacht; durch alles[413] dies wird der Geist gehindert seinen eigenen geraden Lebensweg zu wandeln. 122 Wenn er aber in einem gesunden Körper wohnt, wird er in voller Freiheit sich ganz und gar mit den Lehren der Weisheit befassen und so ein glückliches und seliges Leben erlangen: ein solcher Geist empfängt ordentliche Nahrung aus der wohltuenden Macht Gottes und Sättigung aus den heiligen Reden und Satzungen. 123 Von solchem Geiste sagt der Prophet, dass Gott „in ihm wandle“ wie in einem Königspalast — denn wirklich ist Gottes Palast und Wohnhaus der Geist des Weisen —; „sein Gott“ heisst eigentlich der Gott aller Wesen, und er wiederum „das auserwählte Volk“, nicht das Volk einzelner Herrscher, sondern das des einen wahrhaften Herrschers, das heilige (Volk) des heiligen (Gottes)[43]. 124 Das ist der Geist, der unlängst vielen Lüsten, vielen Begierden und dem Zwange zahlloser Laster unterworfen gewesen ist; Gott aber hat die Leiden seiner Knechtschaft „zerrieben“ und ihn zur Freiheit hinausgeführt[44]. Das ist der Geist, der nicht eine Wohltat genossen hat, von der nicht gesprochen werden darf, die vielmehr überall gerühmt und frei verkündigt wird wegen der Allmacht des Schützers, die ihn nicht an das unterste Ende[45] sinken liess, sondern hoch bis zum Haupte emporhob[46]. 125 Diese Worte sind aber bildlich gemeint und haben einen allegorischen Sinn: wie nämlich beim Tiere der Kopf der oberste und edelste Teil ist, der Schweif aber der unterste und geringste Teil, eigentlich überhaupt kein Teil, der die Zahl der Glieder mit voll macht, sondern nur ein Werkzeug zum Verscheuchen der heranfliegenden (Tierchen), ebenso, sagt er, wird das Haupt des Menschengeschlechts der weise Mann oder das weise Volk sein, alle anderen aber werden gleichsam nur Teile eines Körpers[414] sein, die erst Leben und Seele erhalten durch die Kräfte in dem Haupte über ihnen.
126 Dies sind die Segenswünsche für die tugendhaften und die Gesetze treu beobachtenden Menschen, die, wie der Prophet verheisst, in Erfüllung gehen werden durch die Gnade des huldreichen Gottes, der die edlen Taten wegen des Strebens nach Aehnlichkeit mit ihm ehrt und auszeichnet. Wir haben nunmehr die Flüche zu betrachten, die gegen die gesetzlosen Frevler gerichtet sind.
Über die Flüche
[414] 127 (1.) [p. 429 M.] Der erste Fluch, den das Gesetz als leichtestes Uebel verzeichnet, droht mit Armut, Not, Mangel an den notwendigen Lebensmitteln und vollständiger Hilflosigkeit (3 Mos. 26,16. 5 Mos. 28,20). Denn die Saat, heisst es, werden plötzlich heranstürmende Feinde, wenn sie noch nicht reif ist, verwüsten, wenn sie aber schon gereift ist, selbst abernten (3 Mos. 26,16); die Saat wird so ein doppeltes Missgeschick verursachen, da sie den Freunden Hungersnot und den Feinden Ueberfluss schafft; denn das Glück des Feindes schmerzt ebenso oder mehr noch als das eigene Unglück. 128 Und wenn die Feinde sich ruhig verhalten sollten, werden die schlimmeren Schädigungen durch die Natur nicht ausbleiben: du besäest den fruchtbaren Boden der Ebene, ein Heuschreckenschwarm aber, der plötzlich heranfliegt, wird (das Feld) abernten, und was er dir zum Einsammeln übrig lässt, wird nur ein kleiner Bruchteil deiner Aussaat sein (5 Mos. 28,38). Du bepflanzest einen Weinberg mit reichlichen Aufwendungen und unendlichen Mühen, wie sie der Landmann auf sich nehmen muss: wenn er aber schon zu reifen beginnt und unter der Last des reichen Ertrages sich beugt, werden Würmer darüberkommen und Weinlese halten (ebd. V. 39). 129 Wenn du deine Oelbäume im Blütenschmuck und in der reichen Fülle von Früchten siehst, wirst du dich natürlich freuen in der Hoffnung auf eine gesegnete Ernte, aber wenn du mit dem Einsammeln beginnst, wirst du merken, dass es eher ein Unglück als einen Erntesegen[47] für dich gibt; denn das Oel und alle[415] Fettigkeit wird unversehens ganz zerflossen sein, und nur die äussere Masse wird leer zurückbleiben zur Täuschung der eitlen Seele (ebd. V. 40). Und überhaupt werden alle Saaten oder Baumpflanzungen samt den Früchten vernichtet werden vom Mehltau (ebd. V. 42). 130 (2.) Es drohen dir aber noch andere Unglücksfälle ausser den erwähnten, die gleichfalls Not und Mangel hervorbringen: Erde und Himmel, die natürlichen Spender des Guten für die Menschen, werden unfruchtbar gemacht werden, die Erde wird ihre Früchte zerstören und nicht imstande sein sie zur Reife zu bringen, der Himmel aber wird sich ganz in Unfruchtbarkeit verwandeln, indem die Jahreszeiten, Winter, Sommer, Frühling, Herbst, nicht nach der ihnen bestimmten Ordnung ihren Anfang nehmen, sondern durch einen Befehl des allmächtigen Herrn gezwungen in unbestimmbarer und gestörter Ordnung ineinander übergehen oder sich scheiden werden. 131 Kein Platzregen, kein gewöhnlicher Regen, kein leises Tröpfeln, keine auch noch so geringe Feuchtigkeit, kein Tau wird kommen, oder was sonst (den Pflanzen) zum Wachstum dient; im Gegenteil werden alle die Dinge eintreten, die das Wachstum schädigen, die reifenden Früchte verderben und verhindern, dass sie zur vollen Reife gelangen. Denn so spricht Gott: „Ich werde euch den Himmel ehern und die Erde eisern machen“ (3 Mos. 26,19. 5 Mos. 28,23), womit angedeutet wird, [p. 430 M.] dass beide die Aufgaben, die ihnen zukommen und für die sie geschaffen sind, nicht erfüllen werden; 132 denn wo hat jemals Eisen Aehren getragen oder Erz Regen gebracht, Dinge, die alle lebenden Wesen nötig haben und ganz besonders das schwache, vielbedürftige Geschöpf, der Mensch? Es ist aber damit nicht bloss Unfruchtbarkeit und das Verderben der jährlichen Früchte[48] gemeint, sondern auch der Ausbruch von Kriegen und der damit verbundenen unerträglichen und zahllosen Leiden; denn Erz und Eisen sind die Stoffe, aus denen Kriegswaffen geschmiedet werden. 133 Die Erde wird auch Staub bringen, und Schutt wird von oben vom Himmel herabkommen und schweres Unheil[49] bringen bis zu völliger Vernichtung durch[416] die Glut, sodass nichts mehr übrig bleiben wird, was zum Verderben gereichen kann (5 Mos. 28,24). Vielköpfige Familien werden aussterben, die Städte werden plötzlich leer von Bewohnern werden (3 Mos. 26,31) und als Denkmäler früheren Glückes und augenblicklichen Unglücks zur Warnung bleiben für solche, die Belehrung anzunehmen imstande sind. 134 (3.) So gross wird aber der Mangel an den notwendigen Lebensmitteln sein, dass sie diese ganz aufgeben und dazu übergehen werden, einander aufzuessen, und zwar nicht nur Fremde und Nichtangehörige, sondern auch die nächsten Verwandten und besten Freunde: greifen wird der Vater nach dem Fleisch des Sohnes, die Mutter nach den Eingeweiden der Tochter, Brüder nach den Brüdern und Kinder nach den Eltern (3 Mos. 26,29. 5 Mos. 28,53); immer werden die Schwächeren die grausige, verwünschte Nahrung der Stärkeren sein; „die Mahlzeiten des Thyestes“[50] sind ein Kinderspiel im Vergleich mit den entsetzlichen Zuständen, die jene Zeiten herbeiführen werden. 135 Denn abgesehen von allem anderen, — wie denen, die sich im Glücke befinden, das Leben begehrenswert ist, um das Gute geniessen zu können, ebenso wird auch bei jenen Unglückseligen ein starkes Verlangen bestehen zu leben, um die masslosen, unaufhörlichen, nie zu beseitigenden Leiden auszukosten. Denn es macht weniger Schwierigkeit, in der Verzweiflung die Leiden durch den Tod abzukürzen, was auch die nicht ganz Verblendeten zu tun pflegen. Jene aber werden in ihrem Wahnsinn sich ein langes Leben wünschen und im Ertragen des höchsten Unglücks unersättlich sein. 136 Solche Verhältnisse pflegt die Not, die das leichteste Uebel zu sein scheint, dann zu schaffen, wenn sie als göttliche Strafe verhängt wird; denn lästig sind zwar Kälte, Durst und Nahrungsmangel, aber sie können zu Zeiten ganz erwünscht sein, wenn sie nur auf der Stelle zur Vernichtung führen; wenn sie aber lange anhalten und Seele und Körper langsam[417] hinschwinden lassen, so bringen sie schwereres Leid als die aus Uebertreibungssucht erdichteten tragischen Geschichten zu enthalten pflegen.
137 (4.) Knechtschaft ist für den freien Mann etwas ganz Unerträgliches; um ihr zu entgehen, würden die verständig [p. 431 M.] Denkenden gern sterben und setzen sie sich allen Gefahren und Kämpfen aus wider den, der sie mit seiner Herrschaft bedroht. Unerträglich ist aber auch ein unbezwinglicher Feind. Wenn nun gar einer beides zugleich ist, Herr und Feind, wie wäre es da zu ertragen, dass er nach seinen Befugnissen als Herr die Macht hat (dem Knecht) unrecht zu tun und in unversöhnlicher Feindschaft entschlossen ist ihn unnachsichtlich zu behandeln? 138 Darum droht Gott denen, die die heiligen Gesetze missachten, dass ihre Feinde ihnen unbarmherzige Herren sein werden, denen sie nicht nur bei ihrem feindseligen Angriff unterlegen sind, sondern sogar freiwillig sich ausgeliefert haben infolge der schlimmen Lage, in die sie Hunger und Mangel an den notwendigen Mitteln versetzt haben (5 Mos. 28,48); glauben doch manche das kleinere Uebel wählen zu müssen, wenn sie grösseres vermeiden können, — wenn hier überhaupt von Kleinem die Rede sein kann. 139 Als Knechte werden sie mit dem Körper die Ausführung harter Befehle übernehmen müssen, aber härter noch wird der schmerzliche Anblick sein, der ihre Seele bis zur Verzweiflung peinigen wird; denn sie werden es mitansehen, wie ihre Feinde die Erbbesitzer dessen geworden sind, was sie selbst gebaut oder gepflanzt oder erworben haben, und wie sie fremdes Gut wie für sie hergerichtetes geniessen (5 Mos. 28,30). Sie, die Beraubten, werden sehen, wie die Räuber von ihrem fetten Vieh schmausen, wie sie es schlachten und zu frohem Mahle zubereiten (ebd. V. 31); sie werden sehen, wie selbst ihre Frauen, die sie zur Erzeugung ehelicher Kinder heimgeführt haben, sittsame und ihre Männer liebende Hausfrauen, wie Buhldirnen misshandelt werden (ebd. V. 30). 140 Sie werden sich zwar zur Wehr setzen, aber bis auf einige unruhige Bewegungen werden sie nichts ausrichten können, weil sie ganz entkräftet und entnervt sind (ebd. V. 32); denn es werden denen, die wegführen, wegtragen, rauben, misshandeln, verwunden wollen, bestimmte Ziele[418] gesteckt sein für ihre Schädigungen, für ihre Misshandlungen und Zerstörungen, sodass kein Schlag wirkungslos sein wird, sondern alle unfehlbar ihr Ziel treffen werden.
141 Verflucht werden sie sein in Städten und Dörfern, verflucht in Häusern und auf Landgütern (5 Mos. 28,16); verflucht wird sein die Feldflur und der in ihr versenkte Same, verflucht das fruchtbare Erdreich des Berglandes und die edlen Bäume aller Art; verflucht die Viehherden, denn sie werden unfruchtbar gemacht werden zum Gebären; verflucht alle Früchte, denn sie werden zur höchsten Zeit der Blüte gänzlich vernichtet werden (ebd. V. 18). 142 Die mit Nahrungsmitteln und Schätzen gefüllten Speicher werden leer werden (ebd. V. 17). Kein Erwerbszweig wird Glück haben, alle Handwerke, die mannigfachen Beschäftigungen und die zahlreichen Lebensberufe werden für die, die ihnen nachgehen, völlig nutzlos sein: die Hoffnungen werden unerfüllt bleiben, die sie auf das setzen, was sie so eifrig erstreben und was sie [p. 432 M.] überhaupt in Angriff nehmen werden mit ihren schlimmen Vorsätzen oder Handlungen, deren Anfang und Ende ja der Abfall vom Dienste Gottes ist; denn alles dies ist der Lohn für Gottlosigkeit und Uebertretung der Gesetze.
143 (5.) Zu diesen Strafen kommen noch die körperlichen Leiden (3 Mos. 26,16. 5 Mos. 28,22. 27), die jedes Glied und jeden Teil besonders treffen und an ihm zehren und den Körper durch und durch zerrütten: Fieberhitze, Schüttelfrost, schwindsüchtige Auszehrung, wilde Krätze, Gelbsucht, Entzündung der Augen, eiternde Wunden und Geschwüre, die sich über die ganze Haut verbreiten, Erkrankungen der inneren Organe, Magenkrämpfe, Verschluss der Gänge in der Lunge, sodass die Atmung nicht gut vor sich gehen kann — Lähmung der Zunge, Taubwerden, Erblindung, Trübung und Störung der anderen Sinneswerkzeuge sind zwar an sich schlimm, erscheinen aber im Vergleich mit schwereren Leiden nicht so schlimm —[51], 144 indem nämlich das Blut in den Adern die in[419] ihm enthaltene Lebenskraft verliert und der in den Arterien vorhandene Atem die von aussen von der umgebenden Luft ihr zuströmende heilsame Mischung nicht mehr in gleicher Weise aufnimmt und die Nerven schlaff werden und nachlassen. 145 Die Folge davon ist eine Lähmung der harmonisch verbundenen Glieder, die vorher darunter zu leiden hatten, dass ein scharfer und sehr herber rheumatischer Schmerz in ihr Inneres eindrang und, da er in engen Gängen eingeschlossen war, die keinen bequemen Durchgang boten, gepresst wurde und wieder presste, sodass heftige und fast unerträgliche Schmerzen entstehen mussten; daraus gehen dann wieder die schmerzhaften Gicht- und Gelenkkrankheiten hervor, gegen welche noch kein Heilmittel erfunden ist, die vielmehr nach menschlichem Verstand unheilbar sind. 146 Beim Anblick solcher Leiden werden manche erstaunt fragen, wie Menschen, die noch vor kurzem kräftig, wohlbeleibt und nach ihrer ganzen Haltung blühend aussahen, so plötzlich abmagern konnten, dass sie nur noch aus Sehnen und dünner Haut bestehen, und wie üppige und durch luxuriöse Lebensweise von frühestem Alter an gut genährte Frauen infolge arger Leiden seelisch und körperlich so verrohen konnten. 147 Da nun werden Feinde sie verfolgen, und das Schwert wird die rächende Strafe an ihnen vollziehen, sie aber werden, wenn sie in die Städte flüchten und dort in Sicherheit zu sein glauben, in ihrer Hoffnung gründlich getäuscht Mann für Mann umkommen, weil sie in den Hinterhalt der Feinde fallen werden (3 Mos. 26,25).
148 (6.) Wenn sie aber auch durch diese Strafen nicht gebessert werden, wenn sie weiter Irrwege einschlagen (ebd. V. 23) und die zur Wahrheit führenden geraden Wege verlassen, dann wird feige Furcht sich ihrer Seelen bemächtigen, und sie werden fliehen, ohne dass einer sie verfolgt; auf falsche Gerüchte hin, wie sie verbreitet zu werden pflegen, werden sie auf der Flucht hinstürzen, das ganz leichte Rauschen [p. 433 M.] eines von der Luft bewegten Blattes wird ihnen ebenso grosse Angst und Furcht einjagen, wie der schwerste Krieg mächtiger Feinde (ebd. V. 36)[52]; da werden auch Kinder um die Eltern,[420] Eltern um die Kinder und Brüder um die Brüder sich nicht kümmern (ebd. V. 37)[53], weil sie von gegenseitiger Hilfe nur ihre Niederlage erwarten und ein jeder sein Heil nur in schleuniger Flucht voreinander sucht. 149 Die Hoffnungen schlechter Menschen gehen aber nicht in Erfüllung: die entronnen zu sein glauben, werden eher noch oder nicht minder als die vorher Gefangenen überwältigt werden. Und wenn manche doch (den Feinden) entgehen, so werden sie in den Hinterhalt ihrer natürlichen Feinde fallen: dies sind die an und für sich gut gerüsteten ganz wilden Tiere (ebd. V. 22), die Gott bei der ersten Schöpfung des Alls geschaffen hat zum Schrecken für die Menschen, die sich warnen lassen, und zu unvermeidlicher Strafe für unverbesserliche Sünder. 150 Die Menschen werden beim Anblick der von Grund aus zerstörten Städte es nicht glauben wollen, dass sie jemals bestanden haben (ebd. V. 31.32). Sprichwörtlich gebrauchen wird man die nach glänzender Glückslage plötzlich eingetretenen Unglücksschläge (5 Mos. 28,37), sowohl die (in der heiligen Schrift) verzeichneten als die nicht verzeichneten (ebd. V. 61)[54]. 151 Bis in die Eingeweide wird die Auszehrung eindringen und Missmut, Angst und schweren Druck hervorrufen. Unsicher wird das Leben sein und wie an einer Schlinge hängend, das die rasch aufeinander folgenden Schrecken bereiten werden, die bei Tag und Nacht die Seele hin- und herschütteln, sodass sie in der Frühe den Abend und am Abend den Morgen herbeiwünscht wegen der sichtbaren Leiden im Wachen und der entsetzlichen Traumvorstellungen im Schlafe (ebd. V. 66.67). 152 Der Proselyt wird vom Glück hoch emporgehoben werden und in hohem Ansehen stehen, bewundert und selig gepriesen wegen zweier Vorzüge, weil er zu Gott übergetreten ist und als passenden Lohn empfangen hat den sicheren Platz im Himmel, von dem man nicht sprechen darf, der Adlige[55] dagegen, der seinen Adelscharakter verfälscht hat, wird in die tiefste Tiefe, in die Unterwelt und in die[421] Finsternis hinabgestürzt werden (ebd. V. 43)[56], damit alle Menschen beim Anblick solcher Beispiele auf den rechten Weg gewiesen werden und daraus die Lehre ziehen, dass Gott die Tugend willkommen heisst, auch wenn sie aus niederer Abkunft hervorgeht, dass er sich um die Wurzeln nicht kümmert, das kräftig gewachsene Reis aber aufnimmt, weil es sich in ein edles verwandelt hat und schöne Früchte zeitigt.
153 (7.) Wenn so die Städte wie vom Feuer verzehrt sein werden und das Land entvölkert, dann wird endlich einmal das Land aufzuatmen und sich zu erholen beginnen von der anhaltenden Bearbeitung und Misshandlung durch die [p. 434 M.] unerträgliche Gewalt der Bewohner, welche die jungfräulichen Sabbatjahre aus dem Lande und aus ihrem Herzen verbannt haben (3 Mos. 26,33—35). Denn die einzigen oder, um es vorsichtiger auszudrücken, ersten Feste, auf die uns die Natur selbst hinweist, sind jeder siebente Tag und jedes siebente Jahr: der siebente Tag dient zur Ruhe den Menschen, das siebente Jahr zur Erholung für den Boden. 154 Jene haben nun dieses Gesetz ganz ausser Uebung gesetzt und damit das Gastrecht[57], die Verträge, den Altar des Erbarmens[58] und den gemeinsamen Herd verletzt[59], lauter Dinge, die Freundschaft und Eintracht sichern — denn alles geschieht mit Hilfe des Sabbats und ist Sabbatfeier —; und so haben die Stärkeren schwächere Menschen geplagt durch fortwährende und unaufhörliche Befehle (zu arbeiten) und auch die Ackerfluren geplagt, weil sie in ihrer Habsucht immer ungerechtem Gewinn nachjagen und ihren Begierden in zügelloser und frevelhafter Weise freien Lauf lassen bis zur Unersättlichkeit. 155 Anstatt nämlich den Menschen oder, ganz richtig ausgedrückt, den Brüdern, die ja[422] alle von einer Mutter, der gemeinsamen Natur, abstammen, die vom Gesetz vorgeschriebene Ruhe nach sechs Tagen zu gewähren, anstatt auch der Erde die Buhe im Sabbatjahre zu gewähren und sie nicht mit Säen und Pflanzen zu beschweren, damit sie nicht infolge der ununterbrochenen Arbeitsleistung schliesslich ganz versage, 156 — haben sie unter Missachtung dieser vortrefflichen Anordnungen, die zur Milde ermahnen, Körper und Geist aller, die sie nur fassen konnten, durch aufreibende Zwangsarbeiten unterdrückt, haben sie die Kraft des fetten Erdreichs geschwächt durch übermässige Abgaben, aus denen sie in unersättlicher Weise Gewinn zogen, und durch Tribute, mit denen sie nicht nur alljährlich sondern täglich das Land völlig aussogen. 157 Dafür werden sie die erwähnten Flüche und Strafen voll zu tragen haben, während das entkräftete und durch zahllose Misshandlungen geschwächte Land von der Last der gottlosen Bewohner befreit sich erholen wird; und wenn es rings im Kreise sich umsehend keinen von denen erblicken wird, die seinen Stolz und sein Ansehen vernichteten, wenn es die Märkte frei von Lärm, Zwist und Frevel sehen wird und in vollster Ruhe, Friedlichkeit und Gerechtigkeit, dann wird es sich verjüngen und frisch aufblühen und die Festzeiten der heiligen Sabbate in Ruhe feiern (3 Mos. 26,43) und sich erholen und neue Kräfte sammeln wie ein Ringkämpfer nach hitzigem Kampfe. 158 Dann wird es wie eine zärtlich liebende Mutter die Söhne und Töchter beklagen, die es verloren und die im Sterben und noch mehr im Leben ein Schmerz für die Eltern waren; und wieder verjüngt wird es von neuem fruchtbar werden und ein sündloses Geschlecht erzeugen als Ersatz für das frühere; denn, wie der Prophet verheisst, „die Vereinsamte wird mit Kindern reich gesegnet [p. 435 M.] sein“[60], ein Spruch, der sich auch allegorisch auf die Seele deuten lässt. 159 Wenn nämlich die Seele voll ist, d. h. erfüllt von Leidenschaften und Lastern, die wie Kinder sie umgeben, von Lüsten, Begierden, Unverstand, Zuchtlosigkeit, Ungerechtigkeit, dann ist sie schwach und krank und infolge ihrer Leiden[423] dem Tode nahe, wenn sie aber unfruchtbar geblieben ist und diese (Laster) nicht erzeugt hat oder wenn sie sie alle verloren hat, wird sie durch eine Wandlung zur reinen Jungfrau; 160 sie empfängt dann den göttlichen Samen und bildet und setzt ins Leben ausgezeichnete Wesen, bewunderungswürdige Schönheiten, Einsicht, Tapferkeit, Mässigkeit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Gottesfurcht und die übrigen Tugenden und schönen Gefühle, bei denen nicht nur die gesegnete Geburt ein hohes Gut ist, sondern auch schon die Erwartung dieser Geburt, die durch die gebotene Hoffnung im voraus den Geist[61] erfreut. 161 Die Hoffnung ist ja Freude vor der Freude, und wenn sie auch nicht so vollständig ist wie die vollkommene, so übertrifft sie doch die kommende Freude in doppelter Hinsicht, weil sie das Elend der Sorgen löst und lindert und weil sie im voraus die frohe Botschaft vom künftigen vollen Glück verkündet.
162 (8.) Ich habe nun, ohne irgend etwas zu verschweigen, die Flüche und Strafen dargelegt, die von denen erduldet werden sollen, welche die heiligen Gesetze der Gerechtigkeit und Frömmigkeit missachten und von den götzendienerischen Anschauungen sich haben verführen lassen, deren Ziel die Gottlosigkeit ist, indem sie die von ihren Vätern ererbte Lehre vergassen, in der sie von frühester Jugend an unterrichtet wurden, an das einzige Wesen als den höchsten Gott zu glauben, dem allein anhängen muss, wer ungeschminkter Wahrheit und nicht erdichteten Fabeleien nachjagt. 163 Wenn sie jedoch die angedrohten Strafen[62] nicht so auffassen werden, dass sie ihnen zum Verderben gereichen, sondern dass sie ihnen zur Warnung dienen sollen, und wenn sie aus Scheu vor ihnen mit ganzer Seele sich bekehren, wenn sie sich Vorwürfe machen wegen ihres Irrweges und ihre Sünden laut bekennen werden, zuerst bei sich selbst mit reinem Sinn vor ihrem wahrhaftigen und aufrichtigen Gewissen, aber auch mit dem Munde zum Zwecke der Besserung der sie Anhörenden,[424] dann werden sie Vergebung erlangen bei dem hilfreichen und gnädigen Gotte (5 Mos. 30,1–3), der dem Menschengeschlecht ein ganz besonderes und bedeutsames Gnadengeschenk gewährt hat, die Verwandtschaft mit der göttlichen Vernunft, nach deren Ebenbild der menschliche Geist geschaffen ist. 164 Und selbst wenn sie an den äussersten Enden der Erde als Knechte dienen werden bei den Feinden, die sie kriegsgefangen weggeführt, sollen sie wie auf eine Verabredung alle an einem Tage frei werden (ebd. V. 4), weil ihre völlige Bekehrung zur Tugend ihren Herren Schrecken einjagen wird: sie werden sie freilassen, weil sie sich scheuen über Bessere zu herrschen. 165 (9.) Wenn sie aber die so unerwartete Freiheit erlangt haben, werden die vorher in Hellas und im Barbarenlande, auf den Inseln und auf den Festländern Zerstreuten mit einem Male sich erheben und von [p. 436 M.] allen Seiten nach einem ihnen angewiesenen Orte hineilen, geleitet von einer göttlichen, übermenschlichen Erscheinung, die für andere unsichtbar und nur für die Wiedergeretteten sichtbar ist, 166 und unterstützt von drei Helfern[63], um die Versöhnung mit dem himmlischen Vater zu erlangen: der eine ist die Milde und Güte des Angerufenen, der stets die Vergebung der Strafe vorzieht; der zweite ist die Frömmigkeit der Erzväter des Volkes, die mit ihren vom Körper losgelösten Seelen die reine und lautere Verehrung dem Herrn darbringen und die Gebete für ihre Söhne und Töchter an ihn zu richten pflegen, die nicht unerfüllt bleiben, da der Vater ihnen zur Belohnung die Erhörung ihrer Gebete gewährt hat[64]; 167 die dritte Hilfe leistet ihnen das, weshalb ihnen hauptsächlich das Wohlwollen der beiden ersten Helfer vorausgeht, das ist die Besserung der zum Frieden und zur Versöhnung (mit Gott) Zurückgeführten, die nur mit Mühe von dem Abweg[425] auf jenen Weg gelangen konnten, dessen Ziel kein anderes ist als Gott wohlgefällig zu sein wie ein Sohn dem Vater. 168 Nach ihrer Rückkehr aber werden die Städte, die eben noch in Trümmer lagen, wieder aufgebaut werden, die Wüste wird bevölkert werden und die unfruchtbar gewordene Erde wird zur früheren Fruchtbarkeit zurückkehren; die glücklichen Verhältnisse der Väter und Vorfahren werden geringfügig erscheinen im Vergleich zu dem gegenwärtigen Ueberfluss, der sich, wie aus unversiegbaren Quellen, durch die Gnade Gottes ergiessen und jedem einzelnen wie allen insgesamt reichen Segen bringen wird, an den kein Neid herantritt (5 Mos. 30,5). 169 Ein Umschwung in allen Dingen wird plötzlich eintreten; denn Gott wird die Flüche gegen die Feinde der Reumütigen kehren (ebd. V. 7), die sich ob der unglücklichen Schicksale unseres Volkes gefreut und es geschmäht und verspottet haben, als ob sie selbst das Glückslos für immer sicher hätten, das sie ihren Kindern und Enkeln als Erbe zu hinterlassen hofften, und als ob sie die Gegner nur immer in beständigem und unwandelbarem Unglück sehen würden, das auch für die späteren Geschlechter aufbewahrt sei: 170 in ihrer Verblendung merkten sie nicht, dass sie auch den früheren Glanz nicht durch eigenes Verdienst genossen hatten, sondern als Züchtigungsmittel für andere, für die darum, weil sie das väterliche Gesetz brachen, ein heilsames Mittel gefunden wurde in der Trauer und in dem Schmerz über das Glück der Feinde. Nachdem sie also ihren Abfall beweint und beklagt haben, werden sie in die frühere, von den Vorfahren ererbte glückliche Lage zurückgelangen, sofern sie nicht ganz und gar ins Verderben geraten sind. 171 Die Feinde aber, die ihre Klagen verspottet und ihre Unglückstage als Volksfeste zu feiern beschlossen hatten, die ihre Trauer zum Anlass von [p. 437 M.] Schmausereien nahmen und überhaupt glücklich waren über das Unglück anderer, sie werden, wenn sie erst den Lohn für ihre Grausamkeit empfangen, dann schon erkennen, dass sie sich nicht gegen ein unansehnliches und verachtetes Volk vergangen haben, sondern gegen ein adliges, in welchem die glimmenden Funken des Adels noch vorhanden sind, nach deren Wiederanfachung der früher verlöschte Ruhm wieder hervorleuchtet. 172 Denn[426] sowie nach Beschneidung der Stämme, wenn nur nicht die Wurzeln ausgerissen werden, neue Schösslinge spriessen, durch die die alten Stämme in den Schatten gestellt werden, ebenso erwachsen auch in der Seele, wenn nur ein kleiner Samenkern zurückbleibt zur Erlangung der Tugend, während die anderen verschwinden, nichtsdestoweniger aus jenem kleinen Kern die schönsten und wertvollsten Eigenschaften unter den Menschen, durch die dann wieder Staaten mit wackeren Männern gegründet werden und Völker zu stattlicher Bürgerzahl anwachsen.
- ↑ τῶν λογίων ist hier im weiteren Sinne zu fassen = heilige Schrift, wie z. B. auch Leben Mos. II § 56 ὡς μηνύει τὰ λόγια.
- ↑ Philo gibt im folgenden eine Uebersicht des Inhalts des Pentateuchs und damit zugleich einen Rückblick auf die einzelnen Bestandteile seines grossen Werkes über die Mosaische Gesetzgebung. S. Bd. I Einleit. S. 5 f.
- ↑ Vgl. Ueber den Dekalog § 32 ff.
- ↑ Die attische Sage erzählte, dass Demeter den Triptolemos auf einem von geflügelten Schlangen gezogenen Wagen in alle Welt ausgesandt habe, um in den Lüften schwebend den in Eleusis gestifteten Segen des Getreidesäens überallhin zu verbreiten; vorher sollen die Menschen sich von Eicheln genährt haben.
- ↑ Der bekannte Grundsatz der platonischen Ideenlehre, dass alles begriffliche Wissen Erinnerung sei.
- ↑ Die ganze Auseinandersetzung beruht auf der vom masoretischen Texte abweichenden Uebersetzung der Bibelworte 1 Mos. 4,26 in der Septuaginta (οὗτος ἤλπισεν). Vgl. Ueber Abraham § 9.
- ↑ d. i. Henoch, der bei Philo Symbol der Reue ist: vgl. Ueber Abraham § 17 ff.
- ↑ Mit ganz ähnlichen Worten schildert Philo die weit flüchtige Sekte der Therapeuten de vita contempl. II 474 M.
- ↑ Für Philo ist die grosse Flut das tertium comparationis zur Identifizierung von Noah und Deukalion. Bei Theophil. ad Autol. III 19 wird sie noch durch eine absonderliche Etymologie gestützt: die Griechen, meint er, nannten Noah „Deukalion“, weil Noah zu den Sündern sagte: δεῦτε καλεῖ ὑμᾶς ὁ θεὸς εἰς μετάνοιαν.
- ↑ Philo denkt hier wohl vorzugsweise an die symbolischen Darstellungen von Göttermythen in den Mysterienkulten, die auf die Sinne und auf die Gemüter der Teilnehmer grosse Wirkung ausübten. (Mit Bezug auf die Erzväter gesagt, enthält der Satz einen starken Anachronismus).
- ↑ d. h. Menschen, die wie die Erzväter äussere Güter verachten und den Wahnglauben der Götzendiener verlachen (§ 24).
- ↑ Abraham, der Typus des durch Belehrung zur Vollkommenheit gelangenden Weisen bei Philo (Ueber Abraham § 52), wird dadurch belohnt, dass die heilige Schrift von ihm sagt (1 Mos. 15,6): „er vertraute Gott“; vgl. Ueber Abraham § 262.
- ↑ Isaak, der Typus des durch natürliche Veranlagung tugendhaften Mannes bei Philo, wird geehrt durch seinen Namen, der „Lachen“ d. h. „Freude“ bedeutet (s. § 31).
- ↑ Jakob, der Gotteskämpfer, der Typus des durch praktische Uebung (ἄσκησις) zur Tugend gelangenden Weisen bei Philo, wird belohnt durch den Namen „Israel“ = Gottschauer (s. § 44).
- ↑ Damit begründeten die Stoiker die göttliche Vorsehung gegen die Epikureer, die mit der Leugnung der Existenz Gottes auch die Vorsehung leugneten. Vgl. auch Ueber die Weltschöpfung § 10.
- ↑ Vgl. Ueber Abraham § 57 und die Anm. dazu.
- ↑ Philo spielt hier auf die pythagoreische Philosophie an, die die Eins der Gottheit und die Zweiheit der Materie gleichsetzte.
- ↑ In der Septuaginta ist כף־ירך durch τὸ πλάτος τοῦ μηροῦ übersetzt, τὸ πλάτος bedeutet aber eigentlich „die Breite“. Zur allegorischen Bedeutung vgl. de somn. I § 130 ff.
- ↑ Vgl. über Abraham § 25 und die Anm. dazu.
- ↑ Stoische Definition: Stob. Ekl. II 7,11 τόν τε νόμον σπουδαῖον εἶναί φασι, λόγον ὀρθὸν ὄντα προστακτικὸν μὲν ὧν ποιητέον, ἀπαγορευτικὸν δὲ ὧν οὐ ποιητέον. Cic. de leg. I 6,18 ... lex est ratio summa, insita in natura, quae iubet ea quae facienda sunt prohibetque contraria. Vgl. auch Philo de migr. Abrah. § 130. de Josepho § 29. Vita Mos. II § 4.
- ↑ Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 65.
- ↑ Die Septuaginta übersetzt נע ונד durch στένων καὶ τρέμων.
- ↑ An dieser Stelle ist in dem überlieferten Text eine grössere Lücke anzunehmen: es fehlen offenbar der Schluss des Abschnitts über Strafen, worin mindestens der weitere Bericht über die Bestrafung der Rotte Korah enthalten war, und der Anfang des Abschnittes über die Segnungen.
- ↑ Der Schriftsteller redet den Leser so au, wie ein Vortragender einen Hörer auffordern würde, eine Stelle aus der heiligen Schrift vorzulesen.
- ↑ Philo umschreibt in § 80 die Bibelstelle 5 Mos. 30,11–14. Die symbolische Deutung der Worte ἔστιν σου ἐγγὺς τὸ ῥῆμα σφόδρα ἐν τῷ στόματί σου καὶ ἐν τῇ καρδίᾳ σου καὶ ἐν ταῖς χερσίν σου (καὶ ἐν ταῖς χερσίν σου ist Zusatz der LXX) kehrt mehrmals bei ihm wieder: de post. Caini § 85, de mut. nom. § 237, de somn. II § 180, de virtut. § 183.
- ↑ Die beiden Sätze § 83. 84 sind Umschreibungen der Bibelworte 5 Mos. 4, 6. 7.
- ↑ Die folgenden Ausführungen knüpfen an die Worte 3 Mos. 26,6 καὶ ἀπολῶ θηρία πονηρὰ ἐκ τῆς γῆς ὑμῶν an.
- ↑ d. h. die ungezügelten Leidenschaften.
- ↑ Vgl. die bekannte Schilderung der messianischen Zeit bei Jesaja 11,6 ff.
- ↑ Die Μελιταῖα κυνίδια (Hunde aus Malta) waren als Schosshündchen sehr beliebt: vgl. Becker, Charikles I² 147.
- ↑ ὅμοια ist dem Sinne nach etwa in ὁμοίως βλαβερὰ zu korrigieren.
- ↑ Philo zitiert die Worte 3 Mos. 26,6 καὶ πόλεμος οὐ διελεύσεται διὰ τῆς γῆς ὑμῶν.
- ↑ Eine andere Deutung wird diesen Bibelworten gegeben in der Weish. Salom. XII 8 ff. : „Aber auch mit ihnen (den Kanaanitern) als mit Menschen verfuhrst du schonend, du sandtest als Vorläufer deines Heeres Wespen, damit sie jene nach und nach vertilgen, obwohl du die Gottlosen in einer Schlacht den Frommen untertänig machen oder durch wilde Tiere oder durch ein strenges Wort sie vernichten konntest; aber indem du sie nach und nach straftest, gabst du ihnen Gelegenheit zur Reue“.
- ↑ Vgl. Ueber die Tugenden § 6.
- ↑ Vgl. Sprüche der Väter 6,4: „Das ist der Weg der Tora: iss Brod mit Salz, trinke Wasser mit Mass, schlafe auf der Erde, führe ein kümmerliches Leben und mühe dich ab mit der Tora; wenn du also tust, dann Heil dir, dann wird es dir gut gehen“.
- ↑ ἐκ τοῦ ist wohl in ἕνεκα τοῦ zu korrigieren.
- ↑ εὐτοκίᾳ ist Dativ, nach ἀκροδρύων ist Komma zu setzen.
- ↑ Philo hat hier seiner Auseinandersetzung zuliebe den Wortlaut des Zitats geändert, in der Bibel (auch LXX) heisst es: „ich werde vollmachen“. Richtig zitiert die Stelle Philo selbst Quaest. in Exod. II § 20.
- ↑ οὔτ’ ἐν λόγῳ οὔτ’ ἐν ἀριθμῷ war sprichwörtlicher Ausdruck.
- ↑ Die überlieferten Worte ἰσότιμον καλῷ βίῳ sind korrupt: in καλῷ βίῳ muss der Gegensatz zu σοφοῦ μίαν ἡμέραν κατορθουμένην ausgedrückt sein, d. h. das ganze Leben eines schlechten Menschen. Der Satz ist stoisch: vgl. Posidon. bei Seneca Epist. 78,28 unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis longissima aetas. Cic. Tusc. V 2,5 est autem unus dies bene et ex praeceptis tuis actus peccanti immortalitati anteponendus. Vielleicht genügt es auch, καλῷ in ὅλῳ zu ändern: vgl. Seneca Epist. 74,27 honestam vitam ex centum annorum numero in quantum corripe et in unum diem coge: aeque honesta est. Philo Quaest. in Exod. II § 20 (Wendland, Neu entd. Fragm. Philos S. 98) τῷ γὰρ ὄντι ἑκάστου σοφοῦ <μία> ἡμέρα ἰσότιμός ἐστιν αἰῶνι. Auch der vorher ausgesprochene Gedanke, dass das ganze Leben des Weisen in tugendhaftem Handeln bestehe, ist stoische Lehre (Stoic. veterum fragm. III 557 ff. Arnim).
- ↑ Philo hat die Bibelworte 5 Mos. 28,13 im Auge (καταστήσει σε κύριος ὁ θεός σου εἰς κεφαλὴν καὶ μὴ εἰς οὐράν, καὶ ἔσῃ τότε ἐπάνω καὶ οὐκ ἔσῃ ὑποκάτω).
- ↑ Ueber die drei Güterklassen vgl. Ueber Abraham § 219 und die Anm. dazu.
- ↑ Philo verwendet hier und im folgenden die auf Israel sich beziehenden Bibelworte 3 Mos. 26,12 καὶ ἐμπεριπατήσω ἐν ὑμῖν καὶ ἔσομαι ὑμῶν θεὸς καὶ ὑμεῖς ἔσεσθέ μου λαός}} im psychologischen Sinne.
- ↑ 3 Mos. 26,13 ἐγώ εἰμι κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν ὁ ἐξαγαγὼν ὑμᾶς ἐκ γῆς Αἰγύπτου, ὄντων ὑμῶν δούλων καὶ συνέτριψα τὸν δεσμὸν τοῦ ζυγοῦ ὑμῶν καὶ ἤγαγον ὑμᾶς μετὰ παρρησίας.
- ↑ Wörtlich: „an das Schwänzende“ (πρὸς τὰ οὐραῖα im Anschluss an das εἰς οὐράν der Bibel, s. die folgende Anm.).
- ↑ 5 Mos. 28,13 καταστήσει σε κύριος ὁ θεός σου εἰς κεφαλὴν καὶ μὴ εἰς οὐράν.
- ↑ Für das verderbte ἀσεβείας verlangt der Zusammenhang ein Wort, das den Gegensatz zu ἀτυχίας ausdrückt, also etwa ἀφθονίας oder εὐθηνίας.
- ↑ Für ὡρῶν ist wohl mit Mangey καρπῶν zu lesen.
- ↑ καρπόν, das keinen Sinn gibt, dürfte in κακόν zu ändern sein.
- ↑ Nach der griechischen Sage (Aesch. Agam. 1583 ff.) schlachtete Atreus, der Vater des Agamemnon, heimtückischer Weise die beiden kleinen Söhne seines Bruders Thyestes und setzte das Fleisch dem Bruder zum Mahle vor. „Thyesteische Mahle“ (τὰ Θυέστεια) waren daher sprichwörtlich.
- ↑ Die in Parenthese gesetzten Worte scheinen ein nachträglicher Zusatz zu sein und an unpassender Stelle zu stehen, denn die folgenden Worte schliessen sich unmittelbar an die vor der Parenthese stehenden an und gehören noch zu demselben Satze.
- ↑ Philo las also an dieser Stelle δειλίαν (wie AF Lukian), nicht δουλίαν Für φερόμενος ist bei Philo, wie LXX zeigt, φερομένου zu lesen.
- ↑ Die LXX übersetzt וכשלוdurch καὶ ὑπερόψεται, daher bei Philo ὡς .. ὑπεριδεῖν.
- ↑ Philo las also 5 Mos. 28,61 nach den Worten τὴν μὴ γεγραμμένην den Zusatz καὶ τὴν γεγραμμένην, den die meisten LXX-Hss. haben.
- ↑ d. h. der geborene Israelit.
- ↑ Zu dem Gedanken vgl. Evang. Matth. 8,11.12 λέγω δὲ ὑμῖν ὅτι πολλοὶ ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν ἥξουσιν καὶ ἀνακλιθήσονται μετὰ Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν· οἱ δὲ υἱοὶ τῆς βασιλείας ἐκβληθήσονται εἰς τὸ σκότος τὸ ἐξώτερον.
- ↑ Wörtlich „das Salz“, das Symbol der Gastlichkeit.
- ↑ Ἐλέου βωμός (Altar des personifizierten Gottes des Erbarmens) hiess in Athen ein Altar, zu dem die Schutzflehenden flüchten konnten.
- ↑ Insofern nach dem Sabbatjahrgesetze die in diesem Jahre von selbst wachsenden Erdfrüchte den Armen überlassen bleiben sollten (Ueber die Einzelgesetze II § 104 ff.).
- ↑ Anspielung auf die Worte des Jesaja 54,1 εὐφράνθητι, στεῖρα, .. ὅτι πολλὰ τὰ τέκνα τῆς ἐρήμου μᾶλλον ἢ τῆς ἐχούσης τὸν ἄνδρα.
- ↑ Für ἀσθένειαν hat Mangey dem Sinne nach richtig διάνοιαν vermutet.
- ↑ Der Ausdruck δυνάμεις an dieser Stelle ist unverständlich, der Zusammenhang verlangt ein Wort, das etwa „angedrohte Strafen“ bedeutet.
- ↑ Auch die Rabbinen gebrauchen bei der Nennung der Mittel, Vergebung der Sünden bei Gott zu erlangen, bisweilen den griechischen Ausdruck παράκλητοι (פרקליטין) = Helfer, Fürsprecher, Mittler; besonders Busse (תשובה) und gute Werke (מעשים טובים) werden die grossen Parakleten genannt: Schabbat 32a u. ö.
- ↑ Die jüdische Anschauung von der wirksamen Fürbitte der Erzväter für ihre Nachkommen (זכות אבות) knüpft an Bibelstellen wie 2 Mos. 32,13. 3 Mos. 26,43 u. ä. an. Vgl. Midr. Schemot R. c. 44.
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