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ADB:Stieler, Joseph

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Artikel „Stieler, Joseph“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 189–196, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stieler,_Joseph&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 14:45 Uhr UTC)
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Stieler: Joseph St., Porträtmaler, stammt aus einer lange schon zu Bernsdorf im Erzgebirge heimischen Künstlerfamilie. Der Großvater Christian Friedrich wurde wegen seiner vielgerühmten Geschicklichkeit im Edelsteinschneiden und Wappenstechen 1742 als herzoglich gothaischer Hofgraveur nach Altenburg berufen und starb hier 1758. Sein älterer Sohn Johann Friedrich (geb. 1729 zu Bernsdorf) lernte bei Heinrich Mail in Leipzig, wurde 1751 Graveur an der polnischen Münze zu Guben in der Lausitz, kam 1755 in gleicher Eigenschaft nach Dresden, wo er unter anderen Arbeiten eine Denkmünze auf Gellert’s Tod (1769) und auf den Frieden zu Teschen (1779) prägte und 1797 starb (vgl. Nagler, Monogrammisten, 1870, V. Bd., Nr. 342). Ein jüngerer Sohn August Friedrich erlernte bei seinem vorgenannten Bruder in Dresden die ersten Elemente des Gravirens, fand die wohlwollendste Aufnahme am kurfürstlichen Hofe zu Mainz, wurde zur weiteren Ausbildung zu dem damals berühmten Stempelschneider Johann Karl Hedlinger in die Schweiz geschickt und nach seiner Rückkehr als Hofmedailleur zu Mainz angestellt, wo er sich mit einer Tochter des Hofmusikus Fritzmann vermählte, aber schon 1789 starb (vgl. Nagler, Monogrammisten, 1860, II. Bd., S. 886, Nr. 2488). Sein jüngster Sohn Joseph St., geboren am 1. November 1781, erhielt frühzeitig mit den älteren Brüdern Unterricht im Zeichnen und gab bald überraschende Proben seines künftigen Berufes, so daß er schon mit zwölf Jahren zwei von William Wyne Ryland nach Angelica Kaufmann in Punktirmanier gestochene Blätter in täuschender Tuschzeichnung mit größter Treue zu copiren vermochte. Dann zeichnete er alle Personen des Hauses und brachte ohne fremde Anleitung die Miniaturmalerei zur Anwendung, wodurch der Knabe im Stande war, seine Familie zu unterstützen, da nach der Flucht des Kurfürsten Freiherrn v. Erthal aus Mainz auch die geringsten Besoldungen und Pensionen nicht mehr ausgezahlt wurden. Um Hülfe für die Mutter und seine Geschwister und Arbeit für sich zu suchen, folgte der Jüngling dem kurfürstlichen Hoflager nach Aschaffenburg, wo er nicht nur den Kurfürsten und den Coadjutor Karl v. Dalberg malte, sondern auch mit Damenporträts mehrfache Aufträge erhielt. Hinreichend gesichert durch den Ertrag seiner Kunst begab sich St. 1798 nach Würzburg, um bei dem Maler Christoph Fesel (1737–1805), einem ehemaligen Schüler von Mengs und Battoni in Rom, die Technik der Oelmalerei zu lernen und von da nach Wien, um an der unter Heinrich Füger’s Direction florirenden Akademie weitere Förderung zu finden. St. wurde sein begeisterter Schüler, indem er sich die eklektische, auf classisch-idealistische Schönheit in Anordnung, Form und Farben ausgehende süßliche Manier seines Meisters völlig aneignete. Dabei copirte St., soweit es das beliebte Herkommen und die Manier der Schule erlaubte, Bildnisse von Tizian und van Dyck und studirte die Antike; dagegen mußte St. das Actzeichnen aufgeben, da dieses lediglich auf die Abendstunden verlegt war und Stieler’s Augen, welche schon früher unter einer gefährlichen Entzündung gelitten hatten, Schonung verlangten, weshalb auch die Miniatur-Malerei für alle Folgezeit verboten blieb. Seine weitere Bildung förderte der Verkehr mit vielen ausgezeichneten Männern und Frauen, mit den Celebritäten der damaligen Litteratur und Kunst, die ihn mit Personen der höchsten Stände in nähere Berührung brachten. St. gewann dadurch jenen sicheren wohlthuenden Ton und feinen Schliff, wodurch jeder Künstler und insbesondere der überhaupt auf die „Gesellschaft“ angewiesene Porträtmaler, sein eigentliches Terrain zu erringen vermag. Er verließ das liebgewonnene, lebensfrohe, musik- und gesanglustige Wien nach fünfjährigem an Erfahrung, Studium [190] und Fortschritt reichen Aufenthalt, um mit Empfehlungsbriefen wol ausgestattet, eine Kunstreise nach Rußland, zunächst nach St. Petersburg anzutreten, wo tüchtige Bildnißmaler erfreuliche Aufträge gefunden hatten. Er nahm den Weg durch Ungarn und Galizien nach Polen, gelangte aber nicht weiter, da der Krieg zwischen Frankreich und Rußland schon ausgebrochen war und St. als französischer Unterthan (Mainz!) keinen Paß weiter erhalten konnte. Doch erreichte er auch schon in Polen seinen Zweck, da Empfehlungen an die dortige höhere Gesellschaft, womit ihn namentlich ein vom Aschaffenburger Hofe her befreundeter Gönner versehen hatte, ihm zu Krakau und Warschau viele Bestellungen zuführten. In letzterer Stadt weilte er noch im November 1806 bei Napoleon’s Ankunft. Hier malte St. die Fürstin Bagration, eine berühmte Schönheit; das Porträt erhielt später den Namen Appiani’s und gelangte in den Besitz des Herzogs von Coburg, woselbst St. sein Werk wiedererkannte und den fälschlich darübergesetzten Namen beseitigte. In dieser Zeit malte der fünfundzwanzigjährige Künstler auch sein eigenes Bildniß, ein wahres Recept des damaligen Geschmacks: ein über die rechte Schulter geworfener grüner Mantel verhüllt Arme und Brust, ein weißes Halstuch ist nachlässig um den stehenden Hemdkragen geschlungen; das Bild wurde übrigens mit fester Hand in saftig klaren Farben gemalt und zwar in einer Weise, die den früheren Miniaturisten immer noch erkennen läßt. Dann kehrte St. mit wohlerworbenen, zu einer weiteren Studienreise dienenden Mitteln nach Wien zurück, wo er vom 6. April bis zum 24. Mai 1807 verweilte, die Galerien studirte und im geselligen Leben gerne mit musikalischen Kräften verkehrte. Wie er in seinem Tagebuch berichtet, lernte St. die Pianisten Schlesinger und Kreutzer, die Violincellisten Wilmann und Pixis, den Violinvirtuosen Ochsenheimer und den Componisten Seidler kennen. Auch machte er wahrscheinlich damals schon Beethoven’s Bekanntschaft. Bei Schuppanzigh hörte er ein neues Quartett in E-moll von Beethoven; in einer Abendgesellschaft traf er auch die seit ihrem fünften Lebensjahre erblindete Sängerin und Componistin Maria Theresia Paradis (1759–1824, vgl. Wurzbach 1870. XXI, 286 ff.), die mit dem Maler Karten spielte und eine Partie Piquet ihm abgewann; der berühmte Mechaniker Kempelen construirte für sie eine eigene Noten-Setz-Maschine; in ihr Stammbuch haben die berühmtesten Dichter und Zeitgenossen, wie Klopstock, Bürger, Pfeffel, Denis, Geßner, auch Charlotte Kestner, Lavater, Hufeland u. A. sich eingezeichnet. Vieles Aufsehen durch sein Clavierspiel wie durch seinen Geiz machte damals auch Muzio Clementi. Ganz charakteristisch für den jovialen Zug jener Zeit ließ sich auf einer musikalischen Soiree bei Pixis auch ein Herr hören, der mit der schönsten Methode und einem sehr angenehmen Ton auf einem Trichter Variationen mit den schwersten Passagen blies; ein Anderer entfaltete die gleiche Bravour auf einem dreieckigen Hute, indem er das Waldhorn, insbesondere mit vorzüglichen Trillern imitirte – ganz wie bei uns, wo musikalische Clowns noch in den höchsten Kreisen gerne ihre Künste zeigen. Uebrigens bewunderte St. auch die Stiche und Handzeichnungen in der Erzherzog-Albrecht-Sammlung, insbesondere die Holbein und Dürer wegen ihrer Subtilität und Naturwahrheit. Am 6. Juli 1807 kam St. nach München, wo er in gleicher Weise sieben Wochen lang die Kunstschätze besah, Ateliers besuchte und die Abende bei Musik und im Theater verbrachte. Mit dem omnipotenten Peter v. Langer vermochte er sich nicht zu befreunden, besser gelang es ihm mit dessen Sohn Robert Langer, auch mit Restalino, Kellerhoven und W. v. Kobell. In der Galerie entzückten ihn die Niederländer Gerhard Dow, Netscher, Mieris, van der Werff, van Dyck und Rembrandt, mithin solche Meister, welche seinem bisherigen Entwicklungsgange ziemlich fremd gegenüber standen. Auch ein Ausflug nach dem durch [191] Westenrieder’s „Beschreibung“ schon viel gefeierten Starnberger See wurde gemacht, natürlich in angenehmer Gesellschaft und mit der unentbehrlichen Guitarre, wobei ihn sein Bruder auf der Flöte begleitete. Dann verließ St. München am 24. Juli 1807, fuhr über Augsburg, Ravensburg, Meersburg und den Bodensee nach Constanz, um dann zu Fuß nach Schaffhausen und über Zürich durch die innere Schweiz in das Berner Oberland zu wandern. Beim Anblick des vaterländischen Rheines, welchen St. seit zehn Jahren nicht gesehen hatte, tauchte der Maler freudig in die smaragdgrüne, crystallene Fluth, deren köstliche Farbe wie ein Zauber auf ihn wirkte; er dachte an Goethe’s „Fischer“ und ein Bild dazu entstand in seiner Seele, welches er freilich erst später, im hohen Alter wirklich zur Darstellung und Ausführung brachte. Die Großartigkeit der Schweizerberge machte ihn ganz trostlos, er wagte gar nicht zu skizziren. Einige Tage reiste er mit der berühmten Malerin Elisabeth Louise de Lebrun (geb. Vigée, 1755–1842) und zeichnete eine Bergpartie in ihr Buch. Zu Paris ging ihm unter den aufgehäuften Kunstschätzen eine neue Welt auf; die Bekanntschaft mit David, Girodet-Triosson, insbesondere mit Gérard öffnete ihm das Auge für Natur und Farbe, sodaß St. zum zweiten male ganz von neuem zu lernen begann. Er copirte nun fleißig im Musée Napoléon, malte mehrere Bildnisse und ein größeres, den Mailänder Erzbischof Karl Borromäus vorstellendes Altarbild (jetzt in Aschaffenburg) für den Großherzog Karl von Dalberg von Frankfurt. Auch hier erfreuten ihn die geselligen Beziehungen in der Elite von musikalischen und dramatischen Celebritäten. Nur widerstrebend riß er sich nach zweijährigem Aufenthalte los und übersiedelte 1809 nach Frankfurt, wo ein so geschultes und exquisites Talent mit Aufträgen überschüttet und in den Salons verhätschelt wurde; außerdem entzückte St. auch durch sein Violin- und Guitarrespiel. Im November 1809 reiste St. über Basel nach Italien; an der Grenze wurden ihm zwei Gemälde von seiner Hand durch die mehr als gewissenhaften Zöllner confiscirt: die Porträt-Copie eines Brentano (noch zu Tegernsee) und sein eigenes, in Polen gemaltes Bildniß. Indem er sich lange vergeblich zu Mailand um die Freigabe derselben bemühte, machte St. die Bekanntschaft des spanischen Gesandten, welcher den jungen Mann in seine Familie einführte, wo derselbe durch seine Erscheinung und durch den Gesang spanischer Romanzen zur Guitarre Furore erregte. Der Gesandte vermittelte die Herausgabe der beschlagnahmten Bilder und stellte den Künstler der Vicekönigin Augusta vor, die nun sich und ihre Kinder malen ließ. Nach einem fast halbjährigen Aufenthalte zu Mailand ging St. 1811 nach Rom, um im Auftrage des Fürst-Primas von Dalberg ein großes Altarbild für Frankfurt zu malen, darstellend wie S. Leonhard durch einen Engel von seinen Ketten im Gefängniß befreit wird, eine damals vielbewunderte Leistung, welcher der hohe Mäcen die charakteristische Inschrift „Sancto Leonardo Carolus 1813“ beisetzen ließ. Während St. mehrere Bildnisse für den König Murat in Neapel malte, wurde er nach Mailand zurückgerufen um verschiedene größere Arbeiten im Auftrage der Vicekönigin auszuführen, darunter namentlich die Bildnisse ihrer Kinder für den König Maximilian von Baiern, welcher alsbald den Künstler nach München lud (1812), um sowol ihn wie die Königin Karoline und sämmtliche Mitglieder der königlichen Familie zu malen. Nach dem Wunsche des Monarchen schilderte St. den König am Schreibtische sitzend und je drei Prinzessinnen auf einer Tafel (sämmtliche Bilder im Schlosse zu Tegernsee). Darauf erfolgten viele Bestellungen, darunter auch ein lebensgroßes Reiterbild des Prinzen Karl von Baiern (Schleißheim) und ein Brustbild des damaligen Kronprinzen Ludwig im sogenannten altdeutschen Rock. Im J. 1816 sendete der König seinen Künstler nach Wien, um für ihn die Bildnisse des Kaisers Franz und dessen [192] vierter Gemahlin Karoline Auguste zu fertigen (lithogr. von Winterhalter). Nun folgten weitere Porträts von den Mitgliedern des kaiserl. Hofes und der österreichischen Aristokratie. (Vgl. Wurzbach, Lexikon 1879. XXXVIII, 351.) Aus Verehrung für Beethoven malte St. den zum „Sitzen“ meist unwirschen Tondichter (1819): ein vorzüglich gelungenes, den genialen Mann ganz charakterisirendes Bildniß, welches nach mancherlei Schicksalen in den Besitz der Gräfin Saurma (der unter ihrem Mädchennamen einst so berühmten und poesievollen Harfenvirtuosin Rosalie Spohr) kam; die Geschichte dieses mehrfach lithographirten und neuestens auch xylographirten Bildes ist in Nr. 2436 der „Illustrirten Zeitung“ (Leipzig, 8. März 1890, S. 235) berichtet. Erst 1820 kehrte St. auf den ausdrücklichen Wunsch des Königs Max zurück und zwar in Begleitung einer schönen jungen Russin Pauline Becker aus Moskau, die er in Wien als Gattin heimgeführt hatte. In München warteten seiner große und umfassende Aufträge. Zunächst hatte er den König als Verleiher der Constitution im Krönungsornat und in ganzer Figur zu malen, eine Arbeit, welche sowol wegen der großen Aehnlichkeit als feinen Anordnung und sorgfältig vollendeten Ausführung allgemeinen Beifall und später im Stifter-Saal der Pinakothek eine bleibende Stelle fand (gestochen von C. Heß, lithographirt von Winterhalter); als besondere Anerkennung erhielt St. den Titel eines Hofmalers mit ständigem Jahresgehalte. Jetzt wurde St. „Mode“ in der Haute volée und es gehörte zum guten Ton, sich von St. abconterfeien zu lassen. Es entstanden zahllose Bildnisse von Staatsmännern, Heerführern, Gelehrten, Künstlern (darunter beispielsweise Fürst Wrede, General v. Pappenheim), von erlauchten und hohen Frauen, welche meist noch der Regierungszeit König Max’ I. angehören. Aus dieser Periode datirte auch ein zweites Porträt des Kronprinzen Ludwig in Chevaulegers-Uniform, des Prinzen Eugen von Leuchtenberg (im Reitermantel, im Hintergrund eine Landschaft, lithographirt von Selb und Schöninger, radirt von Muxel) und seiner Gemahlin Augusta und aller herzoglichen Kinder, insgesammt in ganzen Figuren. Als im J. 1821 die Prinzeß Maximiliane Josephe Karoline (geboren 1810) in früher Jugend starb, malte sie St. auf dem Todtenbette und dann in allegorischer Auffassung, wie sie von der Erde zum Himmel emporschwebt und ihr verklärtes Brüderchen Maximilian (geb. 1800 zu Amberg, † 1803 zu München) den Sternenkranz aus den Wolken reicht (im Schlosse Tegernsee). Inzwischen mußte St. den König und die Königin wiederholt in verschiedenen Brustbildern malen, welche theils in den Besitz der königlichen Prinzessinnen, theils als Geschenke an auswärtige Höfe gelangten und häufige Berufungen Stieler’s zur Folge hatten. Es entstanden die Bildnisse der Kaiserin von Rußland, des Kronprinzen Oskar von Schweden; 1822 wurde St. nach Stuttgart berufen, um sämmtliche Mitglieder des dortigen Königshauses zu malen. Aus dieser Zeit stammen auch etliche ideale Köpfe und Madonnen, welche St. mehr zur Abwechselung, zum Studium und Versuch, als um historische Stoffe zu behandeln, vollendete. Daß St. mit Peter Heß, Gärtner, Albrecht Adam, Dominik Quaglio u. a. die Idee des Münchener „Kunstvereins“ anregte und 1824 ins Leben rief, wurde durch Aufstellung seiner Büste (modellirt von Jos. E. Bandel 1831) zur bleibenden Erinnerung gebracht. In dem genannten Jahre erhielt St. die Aufnahme als Ehrenmitglied in die Akademie zu München; gleiche Anerkennung erfolgte alsbald aus Berlin, Wien, Perugia u. s. w. – Er stand jetzt unter seinen Zeitgenossen als Bildnißmaler auf der Höhe seines Ruhmes und behauptete sich noch etliche Decennien. Die vornehme Welt wollte nur von St. porträtirt sein; seine Manier, die Menschen nach ihrer glaubhaft liebenswürdigsten Seite, in idealer Verherrlichung, mit sorgfältiger, geschmackvoller Anordnung elegant abzuschildern, fesselte Alles. Wie [193] St. als Mensch, so gab er sich auch als Künstler: „Offen und wahr, heiter und liebenswürdig im Umgang, nachsichtsvoll, mild und wohlwollend in seinem ganzen Wesen, suchte er wie im Leben und Urtheil, so in der Kunst an den Menschen stetig nur das Gute, Edle, Schöne, die ideale, reine, verklärte Seite hervorzukehren.“ Trotz seiner idealen Auffassung und historischen Stilisirung verstand er es trefflich zu individualisiren und auch der äußeren, sinnlichen Wahrheit ihr Recht widerfahren zu lassen. „Seine Bildnisse waren in hohem Grade ähnlich, dabei von einer heiteren Klarheit und blühenden Frische der Farben, die in anmuthiger Modellirung von dem meist dunkel gehaltenen Hintergrunde wirksam sich abheben und um so mehr gefielen, je sorgfältiger und sauberer die Pinselführung war, die mit ihrem bestechenden Schmelz den Laien leichter gewinnt als alle noch so mächtigen Effekte des körperlich abgerundeten Licht- und Farbenspiels, dessen höheren Werth nur der wahre Fachmann und Kenner gebührend zu schätzen weiß.“ Ein solcher Künstler war für den seit 1825 zur Regierung gelangten König Ludwig I. eine hochwillkommene Kraft. Der hohe Monarch ließ sich (und die Königin Therese) im Krönungsornat und ganzer Figur 1826 malen (nun im Saal der Stifter in der Pinakothek, vgl. Kunstblatt 1826, Nr. 102), ein Bild, welches durch K. Reindel’s Stich und Piloty’s Lithographie außerordentlich populär wurde. Sodann erfolgte der Auftrag eine Reihe, durch ihre Schönheit hervorragender Mädchen und Frauen aus allen Ständen zu porträtiren, eine Arbeit, welche sich von 1827 bis 1847 erstreckte (vgl. Pfister, Die Kunstepoche Münchens, 1888, S. 17): „Deutschland, England, Italien, Griechenland und Judäa halfen mit classischen Gestalten die Goldrahmen füllen und neben Prinzessinnen und Fürstinnen sieht man echte Münchener Ringelhäubchen als galeriefähig prunken.“ Vielfach in Oel, auf Porzellan (von Le Feubre, Wustlich u. a.) copirt, durch Stich (von Fleischmann, Konrad Geyer, Schultheiß u. a.), Lithographie (von Melcher, Rigal u. a.) und schließlich auch durch Photographie (bei Piloty und Loehle) in 36 Blättern vervielfältigt, füllen sie heute noch ein eigenes Cabinet in der königl. Residenz. Im J. 1828 sendete König Ludwig seinen Hofmaler nach Weimar um den Dichterfürsten zu porträtiren, welcher, wie Sepp (Ludwig Augustus, 1869, S. 92) berichtet, den Künstler höchst ceremoniell empfing und während der nöthigen Sitzungen an St. großes Gefallen fand. So entstand dieses merkwürdige Bild (in der neuen Pinakothek, vgl. Kunstblatt 1828, S. 416, lithographirt von Schreiner und Rigal und neuestens photographirt von Hanfstängl), welches ebenso enthusiastisch gerühmt wie als vollkommen mißlungen bezeichnet wurde. Ueber den insbesondere auch die Farbenlehre betreffenden Verkehr zwischen Maler und Dichter, welcher theilweise zimlich animos zu werden drohte, wobei Goethe im Zorn über die „altdeutschen“ Maler mit der Faust in den Tisch schlug, hat Marggraff Andeutungen gegeben. Nachdem St. noch Dresden und Berlin besucht hatte, arbeitete er in gehobener Stimmung zu München weiter, beglückt durch die Huld seines Monarchen, mit Aufträgen überhäuft und unterstützt von begeisterten Schülern, unter welchen sein Neffe Friedrich Dürck (geb. 1809 in Leipzig, † 1884 in München), Jos. Bernhardt (1805–1885), Gottlieb Bodmer (1804–1837) und in späteren Jahren auch Stieler’s ältester Sohn Max mit seltener Eintracht in die Bahnen des Meisters traten, der, im formellen Idealismus großgeworden, doch von der streng historischen Schule des Cornelius mißlaunig beobachtet und andererseits von der aus Belgien auftauchenden realistischen Maltechnik bedroht wurde. Obwol schon längst gewohnt, dem nebensächlichen Detail die größtmögliche Sorgfalt zu schenken, dehnte jetzt St. seine Studien auf Landschaften und Architekturen aus und unternahm mehrere anmuthige [194] und sinnig empfundene Genrestücke mit lebensgroßen Figuren aus wirklichen oder erdichteten Vorgängen von vorwiegend lyrisch-allegorischem Charakter, z. B. „Die am Grabe der Mutter betenden Kinder“ (1831); „Das von seinem Schutzengel vor dem Biß einer Schlange bewahrte schlafende Kind“ (Museum zu Mainz); sein eigenes achtjähriges Töchterchen, welches sitzend am Ufer eines klaren Bergbaches sich ergötzt, Blumen in die vorübereilenden Wellen zu werfen (Kunstblatt 1836, Nr. 5); der „Fischer“ nach Goethe, worüber schon 1830 Felix Mendelssohn-Bartholdy an Goethe berichtete (vgl. Dr. Karl Mendelssohn-Bartholdy, Goethe und Felix Mendelssohn, Lpz. 1871, S. 42), endlich „ein von ihrem Bruder durch das Wasser getragenes Mädchen“ (1843, angekauft aus der Kunstausstellung zu Hannover von Jenny Lind). Auch bei Portraits strebte St. damals gerne nach verwandten Stimmungen; davon zeigen Bilder mit lebensgroßen Figuren (Schloß Biederstein), z. B. den Herzog Maximilian mit seiner Gemahlin, oder die Prinzessinnen Marie und Sophie darstellend, wie sie auf einem Hügel bei Tegernsee ruhend, den Anblick der großartigen Alpenwelt genießen. Während St. an der Completirung der Schönheiten-Galerie weiterarbeitete, erfolgten zahlreiche Berufungen von auswärtigen Höfen. So fertigte er 1829 das Bildniß der Kaiserin von Brasilien, welche den Thron Dom Pedro’s theilte. Dann lud ihn der Fürst von Thurn und Taxis nach Regensburg (1830) um seine ganze Familie zu malen; 1832 ging St. nach Wien um die Bildnisse mehrerer fürstlicher Personen, insbesondere der Erzherzogin Sophie mit ihren Prinzen und des Prinzen Gustav Wasa, sämmtlich in ganzen Figuren, aufzunehmen. In München entstand dann das Porträt des Ministers Georg Friedrich Freiherrn v. Zentner (lithographirt von Bodmer, gestochen von Helmsauer), 1833 außer den Bildnissen der Prinzeß Mathilde, Braut des Großherzogs Ludwig von Hessen-Darmstadt, der Prinzeß Marie (Verlobten des Königs Friedrich August von Sachsen) das durch hohe Wahrheit ausgezeichnete Brustbild Schelling’s (lithogr. von Hanfstängl, Stich von Schultheiß), welches König Max II. noch als Kronprinz erwarb und in hohen Ehren hielt. Nach Coburg berufen fertigte St. 1834 das Bild des Herzogs Ernst I. Anton[WS 1] von Coburg-Gotha in ganzer Figur, darauf zu München, wo ihm längst in einem Saale der kgl. Residenz ein eigenes Atelier eingerichtet worden war, abermals ein Brustbild des Königs im Krönungsmantel, dann den Freiherrn v. Eichthal und dessen Gattin. Man rühmte die elegante und anmuthige Manier des Meisters mit der Weichheit seiner Formen, den leuchtenden Glanz seiner Augen, die Sauberkeit der Pinselführung und den duftigen silberschimmernden Gesammtton seines Colorits. Heute steht das Gegentheil in Ansehen und statt des damaligen „feinen“ Vortrags und der geselligen Courtoisie ist ein brüskes Wesen mit aphoristischer Spachtel-Technik als genial beliebt. Im Januar 1837 malte St. ein höchst ansprechendes Bildniß des Königs Otto von Griechenland (lithographirt von Hanfstängl) und dessen Gemahlin Amalia (lithogr. von Fertig), 1838 die Bildnisse der bairischen Prinzessinnen Hildegarde und Alexandra sowie des Prinzen Adalbert. Bald darauf folgte St. einem Rufe nach Dresden, wo er nicht nur die lebensgroßen Bildnisse des Königs und der Königin von Sachsen in ganzen Figuren, sondern auch der Prinzeß Auguste und der Gemahlin des nachmaligen Königs Johann, Amalie Auguste, ausführte, dazu die Bildnisse des Freiherrn v. Könneritz und des Dichters Ludwig Tieck. Eine überaus ehrenvolle Einladung nach Petersburg, daselbst den Kaiser Nikolaus und sämmtliche Mitglieder der kaiserlichen Familie in ganzen Figuren zur Darstellung zu bringen, lehnte St. ab, theils aus Rücksicht auf seine Familie, von welcher ihm eine so weite und lange Trennung zu schmerzhaft schien, theils auch zur Schonung seines immer noch fühlbaren Augenleidens, welches unter dem dortigen Gesellschaftsleben [195] neu gefährdet werden konnte. Inzwischen malte er zu München den Herzog von Leuchtenberg in russischer Uniform und bald darauf dessen junge Gemahlin, die Großfürstin Marie und deren einjährige Prinzeß Adine, sämmtlich im Auftrage des Kaisers. Dann kam 1839 ein Brustbild des Prinzen Karl von Baiern in Kürassieruniform (lithogr. von Schöninger) und das Köpfchen eines nach aufwärts blickenden Mädchens; im Herbste ging St. nach Venedig, um neuestens die alten Meister zu studiren. Das nächste Jahr führte ihn wiederholt nach Regensburg; 1841 porträtirte er in Lebensgröße den damals gerade zu München auf Besuch anwesenden elfjährigen Erzherzog Ferdinand Max von Oesterreich, den später durch seine blühenden Schilderungen so anziehenden Schriftsteller und unglücklichen Kaiser von Mexiko. Daran reihten sich 1842 ein Bildniß der Prinzeß Adelgunde (Kniestück) und weitere Beiträge zur Completirung des Schönheiten-Cabinets. Neue erhöhte Thätigkeit entfaltete St. 1843 zu Berlin mit den erst in halber Figur, dann in Lebensgröße ausgeführten Bildnissen des Königs und der Königin, und zwar im Kostüm der Huldigungsfeier: Friedrich Wilhelm IV. in Generalsuniform mit dem Hut in der Linken, während den Hintergrund die gruppirten Reichsinsignien schmücken; die Königin auf dem Throne sitzend, das Haupt mit diamantener Krone bedeckt, im silberbrokatnen, reich mit Gold durchwirkten Kleide, das unten mit breitem Hermelin, an der Brust mit den üblichen Brüsseler Spitzen besetzt ist und über welchem sie den purpurrothen königlichen Mantel trägt; die Fernsicht geht auf die Brücke mit dem Reiterbilde des großen Kurfürsten (in Kupferstich von F. Mandel). Gleichzeitig entstanden auch im Auftrage des Königs die Bildnisse Alexander v. Humboldt’s und des Generals v. Boyen. In München malte St. die Prinzeß Luitpold (lithogr. von Schöninger), die Griechin Bozzaris, die Gräfin v. Bassenheim, die Kronprinzeß und nachmalige Königin Marie von Baiern, künstlerische Leistungen, welche diese schönheitberühmten Frauen in glücklicher Wiedergabe der Nachwelt weisen. Daran reihten sich die Erzherzogin Albrecht von Oesterreich (galvanographirt von Schöninger), Prinzeß Alexandra, Prinz Adalbert von Baiern, Graf Stanislaus Zamoiski und dessen Enkelin Marie, dann die Lady Milbank u. s. w. Im J. 1847 nach Altenburg berufen, entstand im Auftrag der dortigen Landschaft als Hochzeitsgabe für die Prinzeß Alexandra, Braut des Großfürsten von Rußland, ein Bild mit vier lebensgroßen, die herzogliche Familie darstellenden Figuren. Das nächste Jahr führte den Künstler nach Hannover, um die Bildnisse des damaligen Kronprinzen und nachmaligen Königs Georg V. und dessen Gemahlin auszuführen, auch entstand in dieser Zeit sein eigenes Porträt (Kunstblatt 1848, S. 234); 1850 malte St. die Großherzogin-Mutter von Mecklenburg-Schwerin, 1851 in Altenburg die regierende Herzogin und in Lippe-Detmold (1852) alle Glieder der fürstlichen Familie. Die Münchener Kunstausstellung 1853 brachte ein betendes Mädchen, eine Tirolerin und ein frisches Kind aus den bairischen Alpen, drei Kopfstudien, welche St. zur Abwechselung und zu seinem Vergnügen ohne Auftrag möglichst durchgebildet hatte, um dann den Pinsel des Porträtmalers bleibend niederzulegen. Indessen erwuchs ihm doch noch ein weiterer Auftrag, der nicht abzuweisen war. Bei der Vermählung der Herzogin Elisabeth mit dem Kaiser Franz Joseph von Oesterreich wünschte König Ludwig die ganze Familie des Herzogs Maximilian in lebensgroßen Figuren auf einem Bilde vereint, als Brautgeschenk für die Kaiserin. St. verlegte die Haupt-Scene auf den mit Weinlaub umrankten Balkon des Schlosses Possenhofen mit der entzückenden Aussicht über den blauen See nach der duftigen Bergkette. Drei von den Geschwistern der Kaiserbraut sind gerade von einem Spaziergange zurückkehrend gedacht, während die jüngste mit Trommel und Puppe und zwei andere Prinzessinnen mit einem Papagei [196] sich unterhalten. St. that sein Bestes, obwol ihm das Alter dabei unverkennbar die Hand führte, ebenso bei einigen Portraitbildern, welche Prinz Karl von Baiern nur von seiner Hand haben wollte. Dann genoß er das otium cum dignitate, lebte im Kreise seiner Familie, zog nach alter Gewohnheit in die Sommerfrische, in sein anmuthiges Haus an den Geländen des Tegernsees, wo der betagte Mann noch als rüstiger Schwimmer sich erfreute und jüngte, bis ein inneres Leiden nebst einer Lungenentzündung den von seiner Zeit so gefeierten Künstler am 9. April 1858 aus dem Leben rief. Als Maler hatte er das Möglichste geleistet, um allen Errungenschaften der neueren Zeit in seiner Weise gerecht zu werden und aus ihrer Technik den für seine Kunst denkbaren Nutzen zu ziehen. „So lange er lebte und wirkte, glaubte er mit sich und der Kunst nicht abschließen zu dürfen, sondern vorwärts schreiten zu müssen. Er war ein stets Werdender auf seinem Felde, wie Goethe auf seinem Gebiete und auch nur hierdurch im Stande, sich den wechselnden Geschmacksrichtungen und den ins Unendliche gesteigerten Kunstanforderungen gegenüber aufrecht zu erhalten. St. kannte die Grenzen seiner Kunst; er empfand lebhaft das Unzulängliche, das sie für ein höher strebendes Gemüth in sich birgt und das vielfach Hemmende und Drückende, was sie denen auferlegt, die sich ihr als Jünger oder Meister widmen, aber er ist ihr in unveränderlicher und stets wachsender Liebe treu geblieben.“ Und dieser gleiche Sonnenschein lagerte über seinem ganzen vielbewegten Leben, welches nur durch das frühe Ableben seiner Gattin umwölkt wurde. Eine neue, beglückende Ehe mit vielen Kindern verband ihn 1833 mit Josephine v. Miller, welche später auch zur Feder griff und mit biographischen Charakterschilderungen ganz interessante Porträtköpfe verarbeitete. Dabei ist bemerkenswerth zu beobachten, wie überhaupt die Vererbung der Talente in Stieler’s Söhnen weiter spielte. Sein ältester Sohn Max St. folgte mit schöner Begabung zur Poesie, die in dramatischer Form sich bemerklich machte, dem väterlichen Vorbilde als Maler; ganz entschieden als Dichter documentirte sich der leider nur zu frühe verstorbene, aus zweiter Ehe stammende Karl St. (1842–1885), welcher ebenso zur historisch-archivalen Forschung wie zur Rechtswissenschaft neigte. Guido St. (geb. am 7. Juni 1844) widmete sich der Heilkunde und wurde ein vielgesuchter und gefeierter Arzt, Eugen v. St. (geb. am 19. September 1845) absolvirte die Rechtswissenschaft, trat in die juridische Praxis, verließ aber dieselbe, unwiderstehlich zur Malerei gezogen, erreichte schöne Resultate mit verschiedenen Genrebildern und steht jetzt durch das allgemeine Vertrauen erwählt und geadelt als Präsident an der Spitze der Münchener Künstlerschaft.

Vgl. A. v. Schaden, Artistisches München 1836, S. 158. – Söltl, Bildende Kunst, 1842, S. 200 ff. – Nagler, Künstlerlexikon, 1847, XVII, 348–52. – Nekrologe in B. 111 Allg. Ztg., 21. April 1858; Nr. 139 bis 149 Abendblatt der Neuen Münchener Ztg., 12.–24. Juni 1858 (R. Marggraff); Nr. 789 Illustr. Ztg., Leipz., 14. Aug. 1858, S. 107 (mit Porträt); Kunstvereins-Bericht f. 1858, S. 50 ff. – E. Förster, Gesch. d. deutsch. Kunst, 1860, V, 215. – Maillinger, Bilderchronik 1876, II, 1517 ff. (wo überhaupt die meisten Lithographien und Stiche nach Stieler’s Porträt-Bildern mit den betreffenden Namen verzeichnet sind). – Reber, Gesch. der neuern Kunst, 1884, II, 233 ff. – Pecht, Gesch. d. Münchener Kunst, 1888, S. 52.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ernst I. August