Apolls Gericht

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Autor: Anonym (= Joseph Bernhard Pelzel)
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Titel: Apolls Gericht, oder das bestrafte Vorurtheil Vindebonens
Untertitel: Ein allegorisches Drama in einem Akte von einem Wiener
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Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: Kurzböck
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Erscheinungsort: Wien
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[1] Apolls Gericht,

oder

das bestrafte Vorurtheil Vindebonens.

Ein allegorisches Drama in einem Akte

von einem Wiener.


WIEN,

bey Joseph Kurzböck auf dem Hofe

1769.

[2] Personen.

  • Apollo.
  • Der Genius Vindebonens.
  • Das deutsche Schauspiel.
  • Das Französische Schauspiel.
  • Der Patriotismus.
  • Das Vorurtheil Vindebonens, als petit maitre gekleidet.
  • Die Kritik.
  • Gefolge des Vorurtheils, worunter die Unwissenheit und die Eitelkeit

Die Bühne zeigt während den drey ersten Auftritten eine schöne ländliche Gegend, die am Fusse des Parnaßus supponiret wird: und dann den Parnaßus.

[3] Vorerinnerung.

Dieses kleine Drama war bestimmt bey der neulichen Eröfnung der deutschen Schaubühne zum Vorspiel zu dienen. Einige Umstände, denen man wegen Kürze der Zeit nicht abhelfen konnte, verhinderten die Vorstellung, die doch nur dieser Gelegenheit anpaßend gewesen wäre.

Da in dem Stücke selbst durchgängig diejenigen Gesinnungen herrschen, die zu der so sehnlich gewünschten Bildung einer guten nazional Schaubühne in Wien, nothwendig der Grund seyn müssen; so hat man für gut erachtet, das Stück denen Liebhabern dieser Schaubühne gedruckt mitzutheilen –.

Nur verbittet man zum voraus alle persönlichen Anwendungen, die etwa ein oder anderer Leser geneigt wäre von den darinn vorkommenden Charakteren [4] zu machen. Die Allegorien dieser Charaktere sind so allgemein als die Namen, die ihnen der Dichter ertheilet. Keiner von unseren abgeschmackten französirenden Gecken und Geckinnen ins besondere, sondern alle insgesamt werden sie durch das personificirte Vorurtheil vorgestellet. Die grosse Anzahl der so unhöflich als elend satirisirenden Kunstrichter Deutschlands überhaupt, wird durch die Kritik vertreten; und der Verfasser hat eben so wenig gedacht, einen dieser Herren insbesondere anzudeuten, als er dachte, sich selbst in Gestalt des Apollo zeigen zu wollen. Sollte man aber doch die so gewöhnliche Deutungsbegierde durchaus in etwas befriedigen wollen, so geschehe es am Patriotismus, den man mit des Verfassers vollkommner Erlaubniß, auf den verehrungswürdigen Patrioten, den neuen Unternehmer der deutschen Schauspiele, anwenden darf.

[5]
Erster Auftritt.
Apoll sitzet auf einer Rasenbank und der Genius Vindebonens kniet vor ihm.

Apollo.

Steh auf theurer Genius! dein Eifer ist löblich, und deine Beschwerde gegründet. Nein! ich werde nicht länger verstatten, daß das häßliche Vorurtheil in der Hauptstadt Germaniens, Germaniens Schauspiel verfolge, und deines Freundes des Patriotismus edle Absichten hemme. Dieß [6] Ungeheuer – bestraft’ ich nicht bald seine Frechheit – erstickte aufs neu Vindebonens aufblühenden Geschmack. Ich habe nur deine Klagen erwartet, um dir Genugthuung zu verschaffen. Die bereits vor meinen Thron gefoderten Partheien erscheinen in wenig Zeit; und mein Ausspruch sey nicht nur für dein Vindebona, er sey in Zukunft für ganz Germanien wichtig. Du weißt, ob ich dieses Volk liebe.

Der Genius.

Und wer ist nicht davon überzeugt, großer Apollo? Welches von allen Völkern erhob sich mit so behendem Fluge in die schönen Gegenden, die den Gipfel deines Thrones umgeben? – Von unthätiger Schlafsucht noch fest an die Erde geheftet, da andere Völker Europens auf muthigen Schwingen des Geistes bereits den erhabenen Pindus besuchten, waren Germaniens Bewohner vor wenig Lustern noch der Spott ihrer Nachbarn. Ein Stral deines göttlichen Feuers schoß Begeisterung in ihre trägen, aber starken Seelen; und sie brauchten [7] nichts anders, um die stolze Höhe der Nachbarn zu erreichen; ja um sie in mehr als einer Gegend zu übersteigen. Nur das Schauspiel, das Schauspiel hat bisher mit minder Erfolg seinen Wettlauf verrichtet.

Apollo.

Die Ursachen sind mir nicht unbekannt; und zur Hülfe will ich noch heute die dienlichsten Mittel ergreifen. Doch höre! (man hört Trompeten erschallen, Apoll stehet auf,) Eine der berufenen Partheien nähert sich schon: das lärmende Getümmel, womit sie ihre Ankunft verkündigt, läßt mich nicht zweifeln, welcher Theil es sey. Komm Genius! indeß sich alles versammelt, besteig ich meinen Richterstuhl. (gehen ab)


Zweyter Auftritt.
Das Vorurtheil Vindobonens (dem ein Chor lärmender Instrumente, als Trompeten, Pauken, Posaunen vorgehet.) Hinter dem Vorurtheil, die Unwissenheit, und die Eitelkeit:
[8]
hinter diesen ein zahlreiches Gefolge von prächtig gekleideten Bedienten, Läufern, Heiducken; und hinter allen diesen, mit einer verdrüßlichen Miene, das französische Schauspiel.

Das Vorurtheil

(giebt ein Zeichen, und die Instrumente schweigen.)

Nun weiß ich keinen Weg mehr. Diese ganze Gegend ist mir unbekannt. (zur Eitelkeit und Unwissenheit.) Ihr, meine werthen Hausgenoßen! wißt auch ihr nicht wohin wir uns wenden?

Die Eitelkeit.

Mir ist hier alles fremde.

Die Unwissenheit.

Ich habe Zeitlebens nicht hieher gedacht.

Das Vorurtheil.

Eine sonderbare Reise! Vielleicht das gallische Schauspiel kann uns Auskunft ertheilen. Wo ist es? (Da ers ganz von den Seinigen abgesondert erblickt) O du wunderlich Ding! Warum verbirgst [9] du dich? fürchtest du hier zu erscheinen?

Das franz. Schauspiel.

Nichts weniger. Nur in deiner Gesellschaft fürcht’ ich zu erscheinen.

Das Vorurh.

Du hast unrecht. Wen ich unterstütze, hat immer gewonnen. Sprich: sind wir noch weit vom Parnaßus entfernt?

Das franz. Schauspiel.

Wir sind ihm sehr nah: und niemand kömmt ohne Apolls besondre Erlaubniß ihm näher.

Das Vorurtheil.

Desto beßer. Bald wird man auch dort meine Größe bewundern. Schon schmeck ich die süßen Früchte eines neuen Triumphs über den kühnen Patriotismus. – (zum franz. Schauspiel.) Und du! du setzest so wenig Vertrauen in mich?

Das franz. Schauspiel.

Ich habe gute Gründe. Doch sage: wozu hast du meiner hier nöthig? warum [10] zwingest du mich, an einem Streite Antheil zu nehmen, der dich nur betrift?

Das Vorurth.

Apolls Befehl heißt auch dich hier erscheinen. – Zudem, ist meine Sache denn nicht zugleich auch die Deine?

Das franz. Schauspiel.

Dann wäre mein Herz noch mehr bange.

Das Vorurth.

Wie thöricht, du Furchtsame! Betrachte die Herrlichkeit, womit ich dich hier einführe; dies Gefolge; den Chor einer brausenden Musik, deren Getöne die Luft, vielleicht den Parnaßus erschüttert; allen diesen glänzenden Pracht, wodurch ich des Bachus indische Reise in Vergessenheit setze! – Glaubst du, daß Apoll mit all seinen Musen Muth genug habe, einen mir unangenehmen Ausspruch zu thun? Verlaß dich getrost auf mein Ansehn: Niemand hat noch sich an dieses gewaget.

Das franz. Schausp.

Dein Ansehn mag in Vindebona noch [11] so viel gelten, hier am Parnaß gilt es nichts. Hätte ich hier zu kämpfen, ich wüßte mir einen mächtigern Beystand als deinen.

Das Vorurth.

Und welcher wär es?

Das franz. Schausp.

Mein eigner Werth.

Das Vorurth.

Zum Theil, ja! doch er ist nicht so mächtig, als du dir schmeuchelst. Erinnere dich, wie manch kühnes Urtheil Apoll schon gegen deine Gefährtinnen, die übrigen gallischen Musen, zum Vortheil unsrer unartigen germanischen gefället. Könnte dereinst – ohne meinen Beystand dir nicht ein Gleiches begegnen? Vergißt du, daß Vindebona, Germaniens Hauptstadt seiner ganzen Natur nach bestimmt zu seyn scheine, für die Schaubühnen Deutschlands das Muster zu bilden? – Denk an Albion. Wieviel hat dir dies von der Ehrfurcht entzogen, die es dir vormals erzeigte? Kurtz, keinen Stolz! keine Zuverläßigkeit auf eigne [12] Verdienste! die Mode, der Ton entscheidet in unserm Jahrhundert, und in Vindebona gebe ich den Ton.

Das franz. Schauspiel.

Den falschen wohl: aber den ächten?

Das Vorurth.

Denjenigen, den man dort zu nennen gewohnt ist.

Das franz. Schausp. lächelnd.)

Deine Lokalgewohnheiten kommen bey der Vernunft nur selten in Erwägung, wie schwankend wäre mein Ruhm, müßten diese ihn stützen!

Das Vorurth.

Dein Ruhm schwankend? Lokalgewohnheiten – ich verstehe dich nicht. Doch – warum lächelst du? und wie falsch, wie höhnisch, du Boshafte! – das ist nun immer der Dank, den du, den alle deine Gallier mir für meine Wohlthaten weihen. Zum Glücke habt ihr mich an diesen Dank schon gewöhnet: und – was, was soll man nicht eurer allerliebsten Lebhaftigkeit verzeihen? (er [13] springt dem franz. Schauspiel zu, und umarmet es.) Nein, nichts nehm’ ich dir übel, du spöttische Schöne – Geduld! die Rede die ich dem Apoll, und zwar in gallischer Sprache zu halten bereit bin, die soll dich belehren, ob ich deiner Achtung nicht werth sey.

Das franz. Schauspiel.

Ha ha ha! in gallischer Sprache?

Das Vorurth.

Nu! wäre auch dieses lächerlich?

Das franz. Schauspiel.

Gewiß mehr als alles übrige.

Das Vorurth.

Warum? drück’ ich mich etwa nicht vollkommen gut in deiner Sprache aus? beßer als in meiner eignen?

Das franz. Schauspiel.

Sag weniger schlecht, und du hast alles gesagt. (lacht) Ha ha ha! es scheint also, du schmeuchelst dir gallisch zu können, weil du nicht germanisch kannst. Welch ein richtiger Schluß! – Du erinnerst mich an das langohrigte Thier in [14] der Fabel, das fest glaubte, mit den Fischen schwimmen zu können, weil es nicht mit den Vögeln zu fliegen vermochte – Vorurtheil! ich rathe dir, so viel möglich in allen Sprachen – zu schweigen. Ha ha ha!

Das Vorurtheil.

Scherze nur immer, du ewige Spötterin! – Doch sieh! hier kommen schon unsre Gegner: wie niedergeschlagen! wie bürgerlich klein!


Dritter Auftritt.
Der Patriotismus der das deutsche Schauspiel an der Hand führt. Hinter ihm die Kritik, und die Vorigen.

Das Vorurth.

Wie? solltet ihr den ganzen Gegentheil ausmachen, der wider mich zu kämpfen versucht? Ihr erscheinet nicht zahlreich.

Der Patriotismus.

Weißt du nicht, daß hier nur geprüft, nicht gezählt wird?

[15] Das Vorurth.

Ha! ich erkenne die lakonische Sprache des stolzen Patriotismus. (zum deutschen Schauspiel) Und du kleine, traurige Gegnerin! du handelst sehr klug, daß du dich so fest an deinen stürmischen Vertheidiger schmiegest; ohne ihn giengest du längst schon verlohren.

Das deutsche Schauspiel.

Meine gallische Schwester scheinet in dich viel minder Vertrauen zu setzen.

Das Vorurth. (auf die Kritik zeigend)

Aber jene rüstige Dame dort mit einer Geisel in der Hand; sie kömmt doch nicht hieher, mich durch Geiselstreiche zu besiegen? Madame, wär ihre Miene weniger mürrisch, ich wagte die Frage: wer sie sind?

Die Kritik.

Diese Frage beantwort’ ich gerne. Ich nenne mich die Kritik.

Das Vorurth.

Die Kritik? meine Freundin? o laß dich umarmen! (läuft auf sie zu)

[16] Die Kritik (indem sie zurück weicht)

Nein! – Ich deine Freundin? (spöttisch) ich habe mich nie bestrebt diesen Titel zu verdienen.

Das Vorurth.

Und doch verdienest du ihn, mehr als du vermuthest.

Die Kritik.

Wodurch?

Das Vorurth.

Durch deine witzigen Urtheile, die mir zum Vergnügen, mehr als einmal Germanien gezeiget, welche gräuliche Flecken alle Geburten des vindebonischen Witzes, woran du nicht Hand legst, entstellen.

Die Kritik.

Du bürdest mir Handlungen auf, deren ich mich schämen würde, wofern –

Das Vorurth.

Wofern? – ich versteh dich, du Schlaue! du willst in Gegenwart des trotzigen Patriotismus nicht für dasjenige angesehen werden, was du wirklich [17] bist. Verstelle dich nicht! ich habe dich schon für meine Freundin erklärt; dadurch bist du vor aller Welt in Sicherheit. Sprich: bist nicht du es, die schon manchem unsrer Vindoboner durch hämische Beurtheilung ihrer Schriften die übende Feder aus der Hand zu scheuchen getrachtet?

Die Kritik.

So kann nur das Vorurtheil denken. Ich habe unsern Schriftlingen ihre Fehler gewiesen, und sie zum Schreiben ermuntert.

Das Vorurth.

Beydes mit ganz besonderer List. Die Ermunterung empfal dich deinen Lesern, und die Art, womit du die Fehler zeigtest, zwang manchen verhöhnten Schriftsteller den Tag zu verwünschen, da er sich einer Zunft einverleibet, in der allein man seiner ungestraft spotten darf.

Die Kritik.

Ohne satyrischen Salz, (das du mit Unrecht Spott nennest) wären meine Beurtheilungen weniger gelesen worden; das heißt, sie hätten weniger Nutzen gestiftet.

Das Vorurth.

Gewiß weniger Nutzen: und eben dafür [18] bin ich so sehr dir verpflichtet. Dein satyrisches Salz ist Balsam für mich, und Gift für meine Feinde. Du magst nun dieses Salz in deine Schriften streuen, um sie für die Lesenden zu würzen, oder für die Beurtheilten zu vergiften, angehende Dichter zu lehren, oder (was nicht selten geschieht) deinen durch ihre Ununterwürfigkeit beleidigten Lehrstuhl zu rächen; ich habe immer Vortheil dabey.

Die Kritik.

Thörichter!

Der Patriotis. (leise zur Kritik.)

Siehst du nun, welchen Verdacht du erweckest; – ich habe dich öfter gewarnet.

Das Vorurth. (zur Kritik.)

Doch muß ich dir auch bekennen, daß mich deine Würzbegierde bisweilen auch ängstet.

Die Kritik.

Bisweilen? ich glaube, immer.

Das Vorurth.

Nein! nur damals, wenn du blind aus Begier, fremde Fehler zu finden, die lächerlichsten begehst, und das Schiksal der Jäger erfährst, die zu hitzig hinter der Gemse sich auf unbekannten Felsen [19] versteigen. Dann zittre ich für deinen Credit – Und wie oft muß ich zittern!

Die Kritik. (zum Patriot.)

Ich möchte für Unwillen bersten.

Der Patriotismus.

Antwort’ ihm nicht weiter! Stille Verachtung seiner Irrthümer und Standhaftigkeit in edlen Entschlüßen besiegt diesen Gegner. Wortwechsel mit ihm, bringt immer Verdruß, und eigne Erniedrigung. Apoll wird entscheiden.


Vierter Auftritt.
Der Vorhang wird aufgezogen. Man sieht den Parnaß, worauf Apoll mitten unter den Musen, zu Apolls Füßen aber der Genius Vindebonens sitzet.

Apollo.

Theure Gefärtinnen meines Fleißes! Ihr, die ihr mit unermüdbarem Eifer mein Reich erweitert, und an meinem Ruhme Theil nehmet! Seht nunmehr zu den Füßen unsers Thrones die Partheien versammelt, die mein heutiges Urtheil vorzüglich betrift. Die Beschwerden, die Vindebonens Genius vor mich gebracht, [20] sind euch nicht unbekannt; sie müßen aber auch denen bekannt seyn, die ich zu Zeugen meines Ausspruchs berufen. – Genius Vindebonens! wiederhol uns die Gründe, die dich bewogen, das Vorurtheil anzuklagen.

Der Genius.

Seine thörrichte Verachtung des germanischen Schauspiels, und sein unnatürlicher Haß gegen meinen Freund den Patriotismus: Zwey Verbrechen, wider die milde Absicht, großer Apollo! aus der du mich zum Schutzgeiste Vindebonens ernannt. Verbrechen die dich beleidigen, und mein Volk unterdrücken.

Apollo.

Diese Verbrechen sind strafbar. Beweis aber itzt, daß die Anklage gegründet.

Der Genius.

Ihre Gründlichkeit zu erweisen, brauch’ ich nichts anders, als sie meinen Gegner selbst beantworten zu laßen. Er ist auf sein Unrecht zu stolz, um es nicht selbst zu bekennen. Wenn du erlaubest –

Apollo.

Es ist mir daran gelegen.

[21] Der Genius.

Sprich Vorurtheil: liebst du Germaniens Schauspiel?

Das Vorurth.

Ich habe meine Liebe ihrer gallischen Schwester gewidmet.

Der Genius.

Ich fodre nicht, daß du jene nicht liebest: ich fodre nur, daß du nicht zum Nachtheile dieser sie liebest, daß du nicht dieser entmuthigende Verachtung empfinden laßest.

Das Vorurth.

Seit wenn dünkst du dich mächtig genug meinen Willen zu lenken? – wie lächerlich! wer kann mir gebieten; in welchem Grade ich lieben oder hassen soll?

Der Genius.

Die Billigkeit. Ist denn Germaniens Schauspiel ganz deiner Verachtung, jenes ganz deiner Liebe werth?

Das Vorurh.

Untersuchen ist nicht meine Sache.

Der Genius.

Weißt du aber, wieviel du mir durch deine blinde Leidenschaft schadest?

[22] Das Vorurth.

Dieß bekümmert mich wenig.

Der Genius.

Und eben diese Gleichgültigkeit ist ein neuer Beweis deines Unrechts. Fühlest du nie in dem Innern der Seele die patriotischen Triebe, die der Staat, wovon du ein Mitglied, von dir zu fodern das Recht hat?

Das Vorurtheil.

Sey deutlicher!

Der Genius.

Weißt du nicht, daß jeder Bürger verpflichtet ist, nach Maaß seiner Kräfte zur Ehre des Volks beyzutragen, das ihn geboren, das ihn nähret, worein ihn die Natur und die Götter versetzet?

Das Vorurtheil

Mein wohlgewählter Pracht, ich schweige von andern Eigenschaften, sind Vindebonen nicht zur Schande. Ich erscheine hier mit mehr Anstand als meine Gegner.

Der Genius.

Du beschimpfest Apollons Thron, so bald du vermuthest, daß eitler Pracht ihn verherrlicht. Nur die Vorzüge des Geistes kommen hier in Betrachtung, nicht schimmerndes [23] Gepränge, das Irrlicht der Thoren. Doch sprich weiter: begreifst du, wie viel Einfluß die Schaubühne auf die Sitten, den Geist, und Geschmack eines Volks hat?

Das Vorurtheil.

Eben dieses Einflußes wegen lieb ich Galliens Schauspiel, und verachte das deine. Galliens Schauspiel erhebt den Geist meines Volkes.

Der Genius.

Nicht deines Volkes – es kann nur auf den Geist eines kleinen Theils von deinen Mitbürgern wirken. Hast du denn nie Unterschied des Nutzens überdacht, den jedes von beyden Schauspielen auf dein Volk kann verbreiten? Ich spreche itzt blos vom Nutzen, nicht von der Ehre.

Das Vorurth.

Dergleichen Dinge zu berechnen, gab ich mir niemals die Müh: – Und dann, ist der Haufe meine Achtung wohl würdig?

Der Patriotismus.

Verzeih Apoll! diese unverschämte Frage trift mich. Ich empfinde sie zu sehr, um sie unbeantwortet zu laßen.

[24] Apollo.

Beantworte sie.

Der Patriotismus.

Ist der große Theil deines Volkes, den du leichtsinniger Spötter, den Haufen nennest, deiner Achtung nicht würdig, so ist er’s der meinen. Das Vaterland, (o fühltest du die Bedeutung des Wortes!) das Vaterland, das gemeine Beste, der Vortheil und Ruhm des Ganzen, nicht einzelner Theile des Staates, ist der Augenmerk des redlichen Bürgers: Ja! partheiliche Neigung für einzelne Theile desselben – gereicht sie dem Ganzen zum Nachtheil – macht uns zu Verräthern. Die wenigen, deren Geist der gallische Witz soll erheben, diese sind unbeträchtlich gegen den Theil deines Volkes, deßen Geist du erstickest.

Das Vorurth.

Und wodurch erstickte ich ihn?

Der Patriotismus.

Durch Erniedrigung, durch Unterdrückung meiner Clientin, deren nutzbare Bemühungen deine eigensinnige Partheilichkeit hemmet, deren Ehre du tödtest; durch deinen schändlichen Haß gegen mich. – [25] Schauspiel Galliens! dich selbst fodr’ ich auf, mein Recht zu erweisen. Sprich: wem hast du die Pflege deiner Jugend, den Wachsthum des Ruhms, ja diejenige Ehre zu danken, die du so gar mitten in meinem Vaterland, bey einem fremden Volke genießest?

Das franz. Schauspiel.

Dem Patriotismus meines Landes.

Der Patriotismus.

Vorurtheil! denk diesen Geständniße nach! Es kann dich dein Unrecht, es kann meine Qualen dich lehren. Grausamer! Wie viel fruchtlose Bitten that ich an dich! Wie viel stille Seufzer erpreßte mir dein strafbarer Eigensinn! Wie oft beschwor ich dich nicht, bey deines Vaterlands Ehre – nicht meinen redlichen Zweck zu begünstigen – Nein, nur ihn nicht zu bestreiten; Konnt’ ich’s erhalten?

Das Vorurtheil.

Von mir wirst du nie was erhalten, das sag ich die frey: denn wiße: dich Schwärmer, veracht’ ich.

Apollo.

Genug! Unverschämter! diese Erklärung [26] enthält alle deine Verbrechen. Indem du den Patriotismus verachtest, nennst du dich selbst aller Pflichten unfähig, worauf dein germanisches Blut dich verweiset, und zeigst dich unwürdig das Mitglied eines schätzbaren Volkes zu heißen. (zu den Musen) Mitgenoßen meiner Gewalt! Und Ihr! (zu den Umstehenden) Zeugen meines gerechten Entschlußes! Höret mein unwiderrufliches Urtheil über den Unterdrücker des Vindebonischen Genius, den Feind des Patriotismus; höret es, und Fama verkündige es in allen Gegenden des Erdkreises! „Nie soll das strafbare Vorurtheil mehr nach Vindebona wiederkehren“ – Verbannt aus der Hauptstadt Germaniens, wie aus meinem ganzen Gebiete, soll es künftig in dem Reiche der Dummheit seine elenden Tage verleben. Verachtung und Abscheu begleit’ es aus diesen Gefilden bis an den Ort seiner Bestimmung; und nie soll in Zukunft von diesem Verderber Erwähnung geschehn, es wäre denn ihm zum Spotte, und seinem Anhang zum Schrecken! – Geh [27] Unwürdiger! flieh meinen Blick, und verhüll’ dich auf ewig in deine Schmach.

Das Vorurtheil.

Wie? Himmel! was entschließt du Apoll? denk, daß meine Freunde, so große, so viele Verwandte –

Apollo.

Ich werd’ ihre Anzahl vermindern. Kein Wort mehr!

Das Vorurth.

Ihr Götter! schrecklicher Ausspruch! ich soll so plötzlich mein Vaterland –

Apollo.

Du hast kein Vaterland mehr, so weit meine Macht sich erstrecket.

Das Vorurth.

Ach ich Unglückseliger! (zum franz. Schausp.) Theure Freundin! du, der zu Liebe, unmäßiger Liebe, ich mich ins Verderben gestürzet! Sprich: Kann ich hoffen, in Gallien Hülfe zu finden?

Das franz. Schauspiel.

Geschöpfe deiner Art verabscheuet man dort seit langer Zeit.

Das Vorurth.

Falsche! dieß ist nun mein Lohn! – [28] Doch was that ich? – Ich hätte beynahe meine standhafte Seele verläugnet – Wohlan ihr Getreuen! (zu seinem Gefolge) kommt! Folget mir muthig in das große Reich der Dummheit. Zu unsrer Rache wollen wir ewig nicht mehr des Patriotismus Namen nur nennen. (geht mit seinem Gefolge ab.)


Fünfter Auftritt.

Apollo.

Genius Vindebonens, und du edler Patriotismus! seyd ihr nunmehr überzeugt, daß ich diejenigen schütze, die mich lieben? – Fahret fort in euern preiswürdigen Bemühungen, da itzt eurem Eifer kein Hinderniß mehr im Wege steht. – Schauspiel Germaniens! genieße nun ungestört des herrlichen Sieges, den Heute der Patriotismus über das Vorurtheil so entscheidend erhalten. Genieße seiner! – aber fern, dich von siegerischem Stolze dahinreissen zu lassen, verdopple vielmehr itzt deine Anwendung! denn nur diese kann dir in Zukunft die Achtung [29] mit Wucher ersetzen, die dir bisher deine Gegner entzogen.

Das deutsche Schauspiel.

Großer Apoll! wie strafbar wär’ ich – gleich dem Vorurtheil strafbar – sollte Mangel meines Fleißes das Glück und die Ehre vernichten, wozu du so huldreich den Weg mir gebahnet.

Apollo. (Zum franz. Schauspiel.)

Und du liebenswürdige Freundin! ich hoffe, daß auch dich mein Ausspruch nicht kränke.

Das franz. Schauspiel.

Du thatst diesen billigen Ausspruch vor langer Zeit, auch meinem Lande zum Besten: wie sollt’ er mich kränken?

Apollo.

Umarmet euch also, ihr holdseeligen Gespielinnen beyde! Küßet euch zum Zeichen beyderseitiger Zufriedenheit! (sie umarmen und küßen sich) Liebt euch unaufhörlich als edel denkende Schwestern, die löbliche Aneiferung stets mehr vereinigt, nie die Gewalt des tückischen Neides entzweyet. Seyd beyde gleich kräftig meiner Liebe versichert. Eigensinniger [30] Hang und Partheilichkeit für diese oder jene Weltgegend hat niemals mein väterlichs Herze beflecket. Nur Ungleichheit eures Fleißes würde Ungleichheit in meine Liebe bringen.

Du aber Kritik! auch du bist nicht ohne Absicht hieher berufen. Wiß’: ich bin nicht ganz mit dir zufrieden.

Die Kritik.

Und doch, hat niemand so eifrig als ich, des Vorurtheils Unfug bestritten.

Apoll.

Niemand? Ich weis, daß du dir immer mehr schmeichelst als billig. Der Ruhm des besiegten Vorurtheils gebührt dem Patriotismus. Entzieh’ diesem nichts von dem Dank, den Vindebona, den ganz Germanien ihm schuldig. Inrichtige und bescheidne Urtheile setze du deine Ehre: denn nur nach diesem Maaßstab bestimmet man hier deinen Werth. Ich wünschte, du hättest bisher, nur hierinn ganz mein Lob, nicht auch meinen Tadel verdienet!

Die Kritik.

Und wodurch deinen Tadel?

[31] Apollo.

Nicht so viel durch unrichtige Entscheidungen, (auch Kunstrichter reifen durch Fehlen) als durch die unedle Art’ deine Meinung zu sagen; durch den spottenden Ton der Verachtung, die einer weit niedrigern Gattung von Seelen zukömmt als die sind, die sich mir widmen.

Die Kritik.

Gott des Geschmackes und Anstands! erklär mir hierüber deinen göttlichen Willen: er soll auf ewig zur Richtschnur mir dienen!

Apollo.

Bist du ein Kenner des edleren Umgans, so wird es dir leicht seyn, meinen Wunsch zu erfüllen. Höre die Regel, die dich zum Zweck führt! So oft du dich an dein Pult setzest, um ein Werk des Geistes in einer Schrift zu beurtheilen, so bilde dir ein: du befändest dich itzt mit dem Verfaßer des Werks, und all deinen Lesern in Gesellschaft: Betrachte diese Gesellschaft als eine Versammlung gesitteter rechtschaffner Leute, wo du mündlich (vergiß daß du schreibst) mit dem Verfaßer [32] selbst, ohne Heucheln, aber mit Anstand über sein Werk sprichst, indeß die ganze Gesellschaft, auf eure Unterredung aufmerksam, schweiget! – so triffst du den Ton den ich fodre: Denn so vermeidest du sicher allen hämischen Witz, weil weder der Verfasser, noch die Gesellschaft, noch deine eigne Ehre ihn duldet. Sprach ich dir deutlich genug?

Die Kritik.

Ja Unsterblicher! – Verzeih’ daß ich bisher deine Absicht verfehlet! die Regel die du mich lehrest, soll mir ewig unvergeßlich seyn.

Apollo.

Und so wirst du allen, die den Künsten sich weihen, wie dir selbst, die euch gebührende Achtung erhalten, durch anständigere Mittel den Geschmack deines Volkes befördern, und mich dir verpflichten. Geht nun Geliebte! arbeitet unter meinem Schutze, mit vereinbarten Kräften hinfort – für den Ruhm Vindebonens.

Ende des Stückes.