RE:Favorinus
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Favorinus aus Arelate, Sophist im 1./2. Jh. n. Chr. | |||
Band VI,2 (1909) S. 2078–2084 (IA) | |||
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Favorinus, aus Arelate, Sophist und Halbphilosoph des 2. Jhdts. n. Chr. Die meisten Nachrichten über ihn finden sich bei Philostrat. vit. soph. I 8, Gellius und Suidas. Er war als Zwitter geboren (ἀνδρόθηλυς und εὐνοῦχος nennt ihn Philostrat, deutlicher Polemon in Försters Scriptores physiogn. I 160, 10f. eunuchus, qui tamen non castratus est, sed sine testiculis natus), was aber nicht hinderte, daß ihm späterhin ein ehebrecherisches Verhältnis zur Frau eines Consuls vorgeworfen wurde (Philostrat. vit. soph. 8, 31ff. Kayser; vgl. Dio Chrys. or. XXXVII 33f.). Seine erste Ausbildung und die Grundlage seiner Kenntnis der griechischen Sprache, auf die er als Gallier besonders stolz war (Philostrat. a. a. O. 9, 3. [Dio Chrys.] XXXVII 25), hat er vermutlich in Massalia erhalten. Daß er Schüler des Epiktet gewesen sei, ist aus Gell. XVII 19, 1. 5 nicht zu schließen; er hat nach Galen, de opt. doct. p. 41 K. eine Schrift πρὸς Ἐπίκτητον geschrieben, gegen die Galen eine Gegenschrift zur Verteidigung des Epiktet verfaßte (Galen. script. [2079] min. ed. Marquart, Müller, Helmreich II 121, 10). Den Dio Chrysostomus (Philostrat. 9, 21. 11, 15), mit dem er freilich in philosophischer und stilistischer Richtung keinerlei Ähnlichkeit zeigt, mag er unter Traian in Rom gehört haben in den ersten Jahren des 2. Jhdts. (s. o. Bd. V S. 856, 62ff.). Ist diese Kombination richtig, so wäre das Geburtsjahr des F. spätestens Mitte der achtziger Jahre des 1. Jhdts. zu setzen; damit stimmt überein, daß er in unsern Berichten als Zeitgenosse des Polemon (besonders bei Euseb. chron. z. J. Abr. 2148 = 131 n. Chr. p. 166 Sch.), der nach Jüttner (Breslauer philol. Abh. VIII 1, 21f.) etwa 88 geboren ist, aufgeführt wird. Sonst wissen wir, daß er sich in Athen aufgehalten hat (Philostrat. 9, 27. Diog. Laert. II 40), wo ihm eine Porträtstatue gesetzt wurde; daß er dreimal in Korinth, wo ihm dieselbe Ehre widerfuhr, gewesen ist ([Dio Chrys.] XXXVII 1. 8; vgl. Philostrat, vit. Apoll. IV 25 init.), das drittemal zehn Jahre nach dem ersten Besuch; daß er in Ionien (mit besonderem Beifall in Ephesos, während in Smyrna Polemon das Feld behauptete und der Philosoph Timokrates gegen F. Partei nahm, Philostrat. 52, 13) aufgetreten und mit seinem Konkurrenten Polemon in einen häßlichen Streit geraten ist (Philostrat. 10, 13ff.), der, von beiden Seiten durch Schmähschriften und Schmähworte (s. Polemo physiogn. a. a. O.) geschürt, später in Rom noch heftiger entbrannte, als die beiden Sophisten sich um die Gunst des Kaisers Hadrian wetteifernd bemühten. F., der sie anfangs in hohem Grade genossen haben soll (Hist. aug. Hadr. 15, 12. 16, 10), verlor sie zeitweise (Philostrat. 9, 5ff. 15ff.), und als er, in seiner Vaterstadt Arelate zum Erzpriester gewählt, auf Grund des Gesetzes von der ἀτέλεια der Philosophen (E. Kuhn Die städt. u. bürgerl. Verfassung d. röm. Reichs I 85) vor Gericht seine Befreiung von diesem Amt durchsetzen wollte, hatte er den Kaiser gegen sich (Cass. Dio LXIX 3, 6); auch die Bestellung des Polemon zum Festredner bei der Einweihung des Olympieions in Athen im J. 131 (Kavvadias Δελτίον 1892, 113) dürfte mit dieser Parteinahme des Kaisers zusammenhängen. Der römischen Regierung scheint er sich ([Dio Chrys.] XXXVII 25) auf dieselbe Art wie sein Lehrer Dion nützlich und angenehm gemacht zu haben, als Vermittler zwischen Griechen und Römern (s. o. Bd. V S. 854, 48ff.). Als er beim Kaiser in Ungnade gefallen war, stürzten die Athener (Philostrat. 9, 27ff.) und die Korinthier ([Dio Chrys.] XXXVII 20) seine Porträtstatue um. In Athen wird er Lehrer des Herodes Atticus gewesen sein, der ihm seine Liebe und Bewunderung zeitlebens bewahrte (Philostrat. 10, 3ff. 71, 25. Suid. s. Ἡρώδης). Seinen dauernden Wohnsitz, eigenes Haus und Bibliothek (Philostrat. 10, 7ff.) hatte er schließlich, dem Ritterstande zugeteilt ([Dio Chrys.] XXXVII 25), in Rom. Einen lebendigen Eindruck von seiner großen Beliebtheit beim römischen Publikum (vgl. auch Pbilostrat. 11, 7ff.) und seinem Verkehr mit den vornehmsten und gebildetsten Kreisen dieser Stadt (z. B. mit Fronto, Gellius, dem Juristen Sex. Caecilius n. a.; s. Marres De Fav. Arelatens. vita 16) geben Gellius Noctes Atticae. Er wird hier geschildert als Mann von umfassendster Gelehrsamkeit, gleich [2080] bewandert in griechischer wie in römischer Literatur (unus profecto in nostra memoria non Graecae modo, sed Romanae quoque rei peritissimus XX 1, 20; das Griechische bezeichnet er als sein Hauptgebiet XIII 25, 4, scheint sich auch nach Polemo physiogn. 162, 8 Förster und Gell. XII 1, 24. XIV 1, 32, im Verkehr vorwiegend der griechischen Sprache bedient zu haben; vgl. [Dio Chrys.] XXXVII 25), von hervorragendem dialektischem Scharfsinn und seltener Anmut des Ausdrucks (s. bes. II 22, 27. XVI 3, 1), ein Feind aller Pedanterie und Geschmacklosigkeit (IV 1, 19 sermones id genus communes a rebus parvis et frigidis abducebat ad ea, quae magis utile esset audire et discere; vgl. I 10. 15, 17. IV 1. VIII 14), ein Mann der χάρις (die er I 3, 27 definiert als ὕφεσις ἀκριβείας ἐν δέοντι), der aber gleichwohl auch der Askese und dem sittlichen Ernst eines Sokrates und Epiktet das Wort redet (II 1, 2. XVII 19). Während der Mahlzeit liebte er es, Stücke aus griechischer oder römischer Literatur vorlesen zu lassen, woran sich dann συμποσιακὰ ζητήματα anschlossen (II 22. III 19). Sonst ergriff er gern die verschiedensten Anlässe des Alltagslebens, teils in Rom, teils in der Umgebung der Stadt (Antium XVII 10, 1; Ostia XVIII 1, 1), um ethische Gemeinplätze zu behandeln (Kinderernährung XII 1; de officio iudicis XIV 2, 12ff.; gegen die Astrologen XIV 1, worüber s. Schmekel Philos. der mittleren Stoa 158ff.; anderes s. II 12, 5. XIX 3) oder dialektische (V 11, 8ff.), grammatische (I 21, 4. II 26. III 19. XVIII 7), stilistische (II 5. VIII 2. XIII 25. XX 1; interessant die Vergleichung zwischen Pindars und Vergils Ätnabeschreibung XVII 10), exegetische (II 26, 21. III 1. 16, 17), echtheitskritische (III 3, 6), juristische (XX 1), naturwissenschaftliche (II 22. XIV 1. XVI 3) Fragen zu besprechen; einmal wird er als Schiedsrichter bei einem Streit de vita beata zwischen einem Stoiker und einem Peripatetiker eingeführt, wobei er dem Stoiker recht gibt (XVIII 1). Sein philosophischer Standpunkt (Philostratus rechnet ihn zu den φιλοσοφήσαντες ἐν δόξῃ τοῦ σοφιστεῦσαι; daß F. selbst nicht σοφιστής heißen wollte, geht aus Philostrat. 10, 24ff. hervor; vgl. auch Polemo physiogn. 162, 10 Förster) ist der akademisch-skeptische (Gell. XX 1,9. 21 inquirere potius quam decernere. Plut. de primo frig. 955 C; vgl. Luc. Eunuch. 7, wo besonders die Verachtung der Kyniker und Stoiker gegen ihn bezeugt wird, in Übereinstimmung mit Luc. Demonax 12. 13 und Philostrat. vit. soph. 52, 13, vgl. 46, 30). Er konnte sich rühmen, zahlreiche Griechen und Barbaren für seine Philosophie gewonnen zu haben ([Dio Chrys.] XXXVII 26); wir kennen als seine Schüler Herodes Atticus (s. o.), Alexander Peloplaton (d. h. wohl πήλινος Πλάτων in dem Sinn, wie der Tropus [Dio Chrys.] XXXVII 30 gebraucht ist; s. o. Bd. I S. 1459, 27), den Consul Quadration (Philostrat. 82, 19; wohl der Consul von 142 L. Statius Quadratus, a. Marres a. a. O. 17. 19. Waddington Fastes p. 220f. Schmid Rh. Mus. XLVIII 791), den Demetrios von Alexandria (Marres a. a. O.). den A. Gellius (Noct. att. XIV 2, 11. XVI 3, 1). Als Gegner des F. sind uns namentlich Polemon und Timokrates bekannt (s. o.). Ein näheres Verhältnis des F. zu [2079] Plutarch ergibt sich aus den Tatsachen, daß dieser ihn in den quaest. symp. p. 734 F einführt und ihm die Schrift περὶ τοῦ πρώτου ψυχροῦ gewidmet hat; 8. auch Suid. s. Φαβωρῖνος; auch die von Galen zitierte Schrift des F. Πλούταρχος ἢ πεερὶ τῆς Ἀκαδημαΐκῆς διαθέσεως trägt ohne Zweifel den Namen des Chaeroneers. Das Verhältnis zu Plutarch bestand schon zur Zeit von Traians Dacierkriegen (Plut. de primo frig. p. 949 E). F. muß alt geworden sein (Philostrat. vit. soph. 8, 28); daß er vor 176 starb, ergibt sich aus Luc. Eunuch. 7; daß er nach Frontos Consulatsjahr (143) noch lebte, aus Gell. II 26, 1. Sein Haus in Rom, seine Bibliothek und einen indischen Sklaven Autolekythos hinterließ er dem Herodes Atticus (Philostrat. 10, 7). Eine sehr bösartige, eingehende Schilderung seines Äußern und seines Charakters gibt sein Feind Polemon physiogn. 160, 11ff. Förster (vgl. Anonym. in Försters Physiogn. II p. 57, 15ff.); s. auch Philostrat. vit. soph. 8, 27ff.
Der Vorwurf der Inkonsequenz, den Galenus in der Schrift περὶ ἀρίστης διδασκαλίας gegen die Philosophie des F. erhebt (I 40ff. 52 Kühn), weil er bei allem Skeptizismus doch ein βεβαίως γνωστόν annehme, trifft die ganze spätere Akademie; mit ihr teilt F. auch seine eklektische Haltung (Vorliebe für Aristoteles Plut. quaest. symp. VIII 10, 2, 734 F, wozu Gell. V 11, 8ff. stimmt; Hinneigen zur stoischen und kynischen Ethik Gell. XVIII 1, 12-14. XVII 19). Der Tadel des Galenus faßt sich zusammen in dem Satz (I 51) γελοῖος οὖν ἐστιν ὁ Φαβωρῖνος ἐπιτρέπων κρίνειν (d. h. zwischen zwei vom Lehrer vorgelegten widersprechenden Auffassungen eines Gegenstandes wählen) τοῖς μαθηταῖς ἄνευ τοῦ συγχωρῆσαι τὴν πίστιν τοῖς κριτηρίοις. F. scheint in sich die zwei Richtungen der Skepsis, die akademische und die pyrrhonische, zu vereinen, und ist vielleicht wegen dieses eigentümlichen Standpunkts bei Diog. Laert. IX 115f. nicht mit unter den Diadochen des Timon aufgeführt (so R. Hirzel Unters. zu Ciceros philos. Schriften III 132ff.). Über seine Philosophie im ganzen s. E. Zeller Philos. d. Griechen III⁴ 2, 76ff. A. Goedeckemeyer Gesch d. griech. Skeptizism. (1905) 248ff., über seine Feindschaft gegen den Kynismus insbesondere R. Hirzel Der Dialog II 119ff.
Die Schriften des F. sind wohl alle in griechischer Sprache geschrieben gewesen (für das Fragment bei Macrob. Sat. III 18, 13 kann schwerlich eine Ausnahme statuiert werden; s. Marres a. a. O. 73). Sie sind nach Marres, der S. 99-145 die Fragmente aller Schriften sammelt (die der historischen auch bei C. Müller FHG III 577-586), in folgende Klassen zu teilen:
1. Grammatisch-historische Schriften, a)Ἀπομνημονεύματα (einmal weniger genau als ὑπομνήματα zitiert bei Diog. Laert. VIII 53) in mindestens 5 Büchern, von Diogenes Laertios, der allein uns Reste des Werkes erhalten hat, mehrfach benützt. Das Werk, in dem F. nachweislich aus Demetrios περὶ ὁμωνύμων, Theopompos, Aristoteles περὶ ποιητῶν und Nikias von Nikaia κατὰ Πλάτωνος geschöpft hat (Maass in den Philolog. Untersuchungen III 48; sonst wird auch Hermippos als Gewährsmann des F. genannt, Diog. Laert. V 41), enthielt ohne chronologische Ordnung [2082] eine Sammlung meist anekdotischer Materialien über Philosophen des 6.-4. Jhdts.;
b) Παντοδαπὴ ἱστορία in 24 Büchern (Phot. bibl. 103 b und dazu v. Wilamowitz Philol. Unters. III 145) von buntestem Inhalt; die Bruchstücke, die wir haben, werden meist dem Diogenes Laertios und dem Stephanos von Byzanz verdankt. Der Gedanke, daß dieses Werk eine Hauptquelle des Diogenes gewesen sei, ist zuerst von Val. Rose angeregt, von Fr. Nietzsche weiterverfolgt (s. die Literaturangaben bei Maass a. a. O. 4ff.), dann von E. Maass einseitig übertrieben worden. Dieser Übertreibung folgte auf dem Fuß (Philolog. Untersuchungen III 142ff.) die Korrektur durch v. Wilamowitz, der nachgewiesen hat, daß die Παντοδαπὴ ἱστορία überhaupt kein philosophiegeschichtliches Werk, sondern ein nach Stichwörtern (nicht alphabetisch, wie Fabricius und Müller FHG III 577 meinten) gruppiertes Sammelwerk ähnlich der Ποικίλη ἱστορία des Aelian gewesen ist (in den erhaltenen Bruchstücken treten noch die Kapitel ,Philosophen, die eine kulturgeschichtlich wichtige Erfindung gemacht haben,‘ ,Ankläger von Philosophen,‘ ,Gründe geographischer Namen‘ [vgl. H. Schrader Porphyrii quaest. Hom. ad Iliad. pert. 381] deutlicher hervor). Diogenes hat aus ihm mit ausdrücklicher Quellenangabe mehrere Zusätze zu seinen aus anderer Quelle geschöpften Philosophenbiographien geschöpft. Auch der Versuch von F. Rudolph (Leipz. Stud. VII 109ff.; Philol. Suppl. VI 111ff.), die Παντοδαπὴ ἱστορία als Hauptquelle für Aelians Ποικίλη ἱστορία und für Athenaios’ Δειπνοσοφισταί zu erweisen, ist nicht gelungen (was Athenaios betrifft, s. Bapp Leipz. Stud. VIII 151ff.); die Übereinstimmungen der drei Autoren müssen in der Hauptsache aus Quellengemeinschaft (Lexikon des Pamphilos?) erklärt werden. c) Ἐιστομὴ τῆς Παμφίλης (Auszug aus Pamphila's ὑπομνήματα, wie ein solcher später auch noch von Sopatros gemacht worden ist) in mindestens 4 Büchern, nur bei Steph. Byz. s. Ῥοπεῖς erwähnt (s. Meineke zu Steph. Byz. p. 547, 14).
2. Epideiktische Reden und Diatriben. Daß die 37. unter den dem Dio Chrysostomos zugeschriebenen Reden dem F. gehöre, ist zuerst von Emperius Opusc. philol. 18ff. behauptet worden und wird jetzt, nachdem Maass (a. a. O. 133-136) die schwachen Gegengründe von Marres (92-97) zurückgewiesen hat, allgemein angenommen (auch stilistische Gründe, die dafür sprechen, bringt F. Rudolph Philol. Suppl. VI 158f.). Die Rede sucht an Geziertheit von Gedanken- und Ausdrucksform, unzeitigem Auskramen von Gelehrsamkeit und erzwungener Witzelei ihresgleichen. Sie wendet sich an die Korinthier, welche die dem F. in der Bibliothek gesetzte Statue wieder beseitigt hatten. Die Einleitung schildert mit anekdotischem Aufputz die einzigartige Ehre, die dem F. erwiesen worden sei, und die entsprechend große Enttäuschung über deren Zurücknahme; in halb scherzender Weise wird nach den denkbaren Gründen gefragt und schließlich unter der Fiktion, es handle sich um eine δίκη ἀνδριάντος, eine förmliche Verteidigungsrede an die Korinthier als Richter (§ 22ff.) angehängt, doch so, daß man sieht, der Redner denke nicht daran, durch seine Rede eine Änderung der getroffenen Maßregel zu [2083] bewirken. Es ist also ein λόγος ἀναγνωστικό mit einigen Anklängen an Dions Ῥοδιακός; die Klauseln sind meist asianisch (Norden Ant. Kunstprosa 919) wie der gesamte Stil (s. im einzelnen Norden 297. 422ff. Sonny Anal. ad Dion. Chrys. 211f.). Über den Wert der kunstgeschichtlichen Notizen in der Rede s. P. Hagen Quaest. Dioneae 77ff.; zum Sachinhalt Friedländer Sittengesch. III6 213ff. Auch die Deklamation περὶ τύχης [Dio Chrys.] or. LXIV ist wahrscheinlich mit Geel dem F. zuzuschreiben (s. auch Sonnv a. a. O. 219f. R. Hirzel Der Dialog II 120, 3. Norden a. a. O. 427, 1; zurückhaltender v. Arnim Dio v. Prusa 159f.; auf Maximus von Tyros als Verfasser rät Wegehaupt De Dione Chrys. Xenophontis sectatore 40, 1). Dazu kommen παίγνια über ὑποθέσεις ἄδοξοι; laudes Thersitae, laudes febris quartanae (Gell. XVII 12), Deklamationen im ἐπὶ τῷ λήρῶ (so die besten Hss., Kayser zur Spezialausg, von Philostrat vit. soph. p. 190), ὑπὲρ τῶν μονομάχων, ὑπὲρ τῶν βαλανείων (Philostrat. p. 11, 1f.) περὶ γήρως (mehrfach bei Stobaios zitiert, Marres 130f.), περὶ εὐχῆς (Phrynich. p. 244 Lobeck), περὶ τῆς δημώδους (Δημάδους Lobeck), σωφροσύνης (ebd. 260); eine Deklamation κατὰ Χαλδαίων hat Gell. XIV 1 in lateinischer Übersetzung erhalten (s. o.), einen Vortrag über Kinderernährung ders. XII 1.
3. Philosophische und halbphilosophische Schriften. Περὶ ἰδεῶν (Phrynich. p. 248 L. zitiert daraus das Wort σύμπτωμα, das schwerlich in einer rhetorisch-technischen Schrift vorkam), περὶ τῆς Ὁμήρου φιλοσοφίας (Suid.; s. o, Bd. V S. 873, 40f.; in diesem Buch mögen, nach der abschweifenden Manier des F., auch einige ζητήμανα Ὁμηρικά vorgekommen sein, die man früher [ohne Grund, H. Schrader Porphyr. quaest. Hom. ad Iliad. pert. 380f.] in der παντοδαπὴ ἱστορία gesucht hat), περὶ Πλάτωνος (Suid.), περὶ Σωκράτους καὶ τῆς κατ’ αὐτὸν ἐρωτικῆς τέχνης (Suid.), περὶ τῆς διαίτης τῶν φιλοσόφων (Suid.), Πλούταρχος ἢ περὶ τῆς Ἀκαδημαΐκῆς διαθέσεως (Galen. de opt. doct. I 41 K.), πρὸς Ἐπίκτητον (Galen ebd., ein Dialog zwischen Plutarchs Sklaven Onesimos und Epiktet, geschrieben nach dem positiveren Πλούταρχος) Ἀλκιβιάδης (den Titel gewinnt Marres 134 durch eine Textänderung bei Galen a. a. O.), drei Schriften περὶ τῆς καταληπτικῆς φαντασίας (gegen die stoische Erkenntnistheorie) πρὸς Ἀδριανόν, πρὸς Δρύσωνα und πρὸς Ἀρίσταρχον (Galen. a. a. O.), dazu ἓν ὅλον βιβλίον, ἐν ᾦ δείκνυσι μηδὲ τὸνἥλιον εἶναι καταληπτόν (Galen. a. a. O. 52). Als die beste seiner Schriften bezeichnet Philostratos (vit. soph. 11, 3f.) die 10 Bücher Πυρρωνείων τρόπων (Gell. XI 5, 5. Diog. Laert. IX 87), in denen er die 10 τρόποι in einer von der gewöhnlichen abweichenden Art anordnete.
4. Ob es eine eigene Gnomensammlung des F. gab, worauf der Titel Γωωμολογικά bei Suidas führen könnte, ist fraglich. Die aus F. zitierten Gnomen bei Stobaios können aus andern Schriften des F. exzerpiert sein (Marres 135ff.). Dasselbe gilt von den auf F.s Namen laufenden 22 Gnomen, die Freudenthal (Rh. Mus. XXXV 408ff.) aus Cod. Parisin. Gr. 1168 herausgegeben hat und von denen wenigstens die 11 ersten dem F. gehören. Wie früh Sentenzen des F. in Florilegien aufgenommen wurden, zeigt das von Reitzenstein [2084] (Herm. XXXV 608f.) veröffentlichte Straßburger Papyrusfragment etwa des 3. Jhdts. n. Chr., wo unter der Überschrift Φαβορείνου ein Ausspruch des Epameinondas mitgeteilt wird. Daß das Stück aus einem größeren Zusammenhang gerissen ist, schließt Reitzenstein mit Recht aus dem einleitenden γάρ. Aber sein Festhalten an der Existenz eines eigenen Werkes Γνωμολογικά von F., welches aber nicht eine Anthologie, sondern eine Sammlung philosophisch-rhetorischer Vorträge gewesen sein soll, kann in Anbetracht der vielen Anekdoten und Apophthegmen in den Beden und sonstigen Schriften des F. nicht für begründet gelten.
Einer dem F. unterschobenen Schrift ἐς Πρόξενον gedenkt Philostrat. 10, 30.
Über seinen Stil fällen Gellius (II 22, 27. XII 1, 24. XIV 1, 32. XVI 3, 1) und Philostratos (10, 28 ἀνειμέως μέν, σοφῶς δὲ καὶ ποτίμως. 82, 10) sehr günstige Urteile, die wir durch den Κορινθιακός nicht bestätigt finden. Seiner Fertigkeit im Improvisieren gedenkt Philostratos 10, 29. Sein Vortrag wird von demselben (11, 10f.) überschwenglich gelobt, während Polemon (physiogn. 160, 19. 162, 4; vgl. Philostrat. 8, 29) den weibischen Ton seiner Stimme und Demonax (Lucian. Dem. 12) an den μέλη in F.s ὁμιλίαι τὸ ἐπικεκλασμένον σφόδρα ὡς ἀγγενὲς καὶ γυναικεῖον καὶ φιλοσφίᾳ ἥκιστα πρέπον rügt. In der Sprache strebte er nach reinem Attizismus (Galen. de opt. doct. I 41 K.), beging aber nach Galen (a. a. O.) und Phrynichos (37. 69. 170. 192. 199. 215. 220. 237. 238. 244. 245. 248. 260. 347. 443. 447) zahlreiche Verstöße gegen die Sprachreinheit.
F. war zu seiner Zeit als einer der ersten Schriftsteller und Gelehrten angesehen [πρῶτος τῶν Ἑλλήνων δόξας εἶναι Phrynich. p. 260, womit vgl. [Dio Chrys.] XXXVII 25f.: λόγου ἅξιος Phrynich. 245. Gell. XX 1, 20), und seine Schriften sind noch im 3. (Iul. Valer. res gestae Alex. I 7 p. 13, 3 Kübler zitiert die Omnigenae historiae) und 4. (Liban. epist. 1313) Jhdt. gelesen worden. Gegen ihn schrieb Galenus außer der noch erhaltenen Schrift περὶ ἀρίστηςδιδασκαλίας die beiden verlorenen (περὶ τῶν ἰδίω νβιβλίων in Galeni Script. min. ed. Marquart, Müller, Helmreich II 120, of. 121, 10) ὑπὲρ Ἐπικτήτου und κατὰ Σωκράτους. Sopatros exzerpierte im 3. Buch seiner Eklogen die ganze παντοδαπὴ ἱστορία des F. außer B. XIX (Phot. bibl. 103 b Bekker).
Über die lexikalischen Kompilationen des Benediktiners Βαρῖνος Φαβωρῖνος Κάμηρς (d. h. Guarino aus Favere bei Camerino) aus dem 16. Jhdt. s. Krumbacher Byzant. Lit.² 577. Lehrs Pindarscholien 164ff.
Hauptschrift: J. L. Marres De Favorini Arelatensis vita studiis scriptis, Traject. ad Rhen. 1853, wo 10, 1 zwei ältere Arbeiten angeführt sind; s. auch Kayser in der Sonderausgabe von Philostrat. vit. soph. p. 181ff. Wenig Neues bietet Th. Colardeau De Favorini Arelatensis studiis et scriptis, Gratianopoli 1903.
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- S. 2078, 48 zum Art. Favorinus:
Seit dem Erscheinen des Artikels (1910) und der Darstellung bei Christ-Schmid II6 764–766 (1925) hat unsere Kenntnis des F. nach der biographischen und literaturgeschichtlichen Seite einen Zuwachs erhalten durch die Auffindung eines großen Stückes Text (26 Schriftkolumnen, am Anfang und Schluß verstümmelt, das Mittelstück in verhältnismäßig gutem Zustand) auf einem Papyrus unbekannten Fundorts, aber sicher aus der Marmarika (zwischen Kyrenaika und Ägypten) stammend. Auf G. Mercatis Veranlassung wurde der Papyrus 1930 für die päpstliche Bibliothek erworben, wo er jetzt als Papiro Vaticano 11 verwahrt ist. Der F.-Text, eine Rede, von der der Papyrus den größten Teil enthält (das Erhaltene etwa 1300 Normalzeilen, so daß, was am Anfang und Schluß fehlt, nicht sehr viel gewesen sein kann; vgl. die Hgg. Introd. p. XII), ist Privatkopie, auf dem Verso geschrieben, nachdem die drei das Recto füllenden Urkunden aus der Regierungszeit des Commodus († 192) zusammengeklebt worden waren, um das unbeschriebene Verso zum Eintrag einer Abschrift benützbar zu machen. Das Verso ist bald nach a. 215 (A. Körte Arch. f. Pap. X 65) mit dem literarischen Text beschrieben worden. Daß F. Verfasser der Rede ist, folgt daraus, daß sie zwei schon vorher bekannt, gewesene F.-Fragmente enthält (col. 17, 17f. 23, 41–48 = Fav. frg. 82 Marres; 19, 7–8 = Fav. frg. 106 M.). Wenn Phrynichos, der so oft Veranlassung nimmt, dem F. Sprachfehler vorzuwerfen (o. Bd. VI S. 2084, 32f.), mit dem Tadel des Wortes αὐτότροφος (p. 201 Lobeck), das wir nur in unserer Rede col. 14, 24 nachweisen können, diese Stelle [66] meint, so ist auch er mittelbar Zeuge für den Verfasser F. Wir haben damit den ersten Papyrustext aus Ägypten, der ein Werk von einem dem Attizismus nahestehenden Schriftsteller enthält (Vitelli-Norsa Introd. p. XV); daß F. in Ägypten Leser hatte, wird auch durch das Erscheinen seines Namens (Φ[αβωρ]είνου) in einem Bibliothekkatalog oder Desideratenverzeichnis aus Oxyrhynchos s. III p. C. (ed. M. Norsa Aegyptus II [1921] 17ff.) bewiesen (vgl. o. Bd. VI S. 2083, 67ff.). Die ausgezeichnete Erstausgabe verdankt man G. Vitelli und M. Norsa Il papiro Greco Vaticano 11 (Studi e Testi 53, Città del Vaticano 1931), mit eingehender Einleitung, Kommentar und Wortregister (fördernde Besprechung von K. Praechter Gnomon 1932, 561ff. A. Körte Arch. f. Pap. X 64ff. mit Beiträgen zur Textherstellung). Den Titel der Rede kennen wir nicht, da die Subscriptio fehlt; der von den Hgg. eingesetzte Περὶ φυγῆς dürfte richtig sein (Introd. p. XII).
Für F.’ Lebensgeschichte erfahren wir aus dem Stück (col. 11, 11ff. 25, 36. 26, 10ff.) einiges Neue: Schon als Jüngling hat er sich von seiner Heimat, den Eltern und einer ihm besonders teuren Schwester (col. 11, 24 wird ἀκμαζούσης zu lesen sein) getrennt, um in der Welt herumreisend Ruhm zu ernten; jetzt ist er, nach dem Tod seiner Angehörigen, ein vielgereister, großer Mann, lebt ,mit dem Rest seines Hauses‘ längst auswärts und ist über das Heimweh erhaben, erträgt also die jetzt erzwungene Abwesenheit von der Heimat gefühlsmäßig leicht; er beherrscht zwar nicht mehr wie zuvor andere, aber, was wichtiger ist, sich selbst. Die vermutlich wenig drückende Internierung (relegatio ad tempus?) auf der sonst als Verbannungsort nicht bekannten Insel Chios (col. 14, 40), muß wohl in die Zeit der Ungnade bei Kaiser Hadrianus in dessen späteren Regierungsjahren (o. Bd. VI S. 2079, 32ff.) fallen. Vitelli-Norsa (Introd. p. IXf. 7) setzen die Korinthiaka ca. 131, die Rede περὶ φυγῆς wenig später.
Der praktische Zweck der Rede scheint zu sein, ihn den Bewohnern von Chios als künftigen Wohltäter zu empfehlen (col. 11, 44ff.). Was er aber darüber sagt, erscheint nur als Einlage in eine Diatribe über die Verbannung, deren vermeintliche Übel dem Philosophen nichts anhaben können. Wir haben derartige Betrachtungen, deren Schulmäßigkeit Cicero (Tus. III 81) bezeugt, von Teles, Cicero (Tus. V 106–109), Musonius, Seneca (Cons. ad Helviam), Plutarchos (A. Giesecke De philosophor. veterum quae ad exilium spectant sententiis, Lpz. 1891; die Hgg. Introd p. XI 1 weisen noch hin auf Dio Chr. or. 13 Emp., über die vgl. J. Wegehaupt De Dione Chr. Xenophontis sectatore, Gött. 1896, 56ff. und Cass. Dio XXXVIII 18–29); die Schrift des F. übertrifft sie alle weit an Ausführlichkeit und an Fülle der mythologischen und geschichtlichen Beispiele, unter denen auch römische (Mucius Scaevola col. 1, 25. 27; Coriolanus 2, 8; Minucius 21, 6; Horatius 21, 15; Musonius 1, 32; Nero 21, 37) nicht fehlen. Das Buch widmet F. als einen Schatz (κτῆμα mit Anklang an Thuk. I 22, 4) allen, die in ähnliche Lage kommen, ohne sich [67] selbst helfen zu können; die vorbildlichen Worte und Taten der berühmten Männer der Vorzeit und der Gegenwart sollen ihnen nicht wesensfremde Trostmittel sein, sondern von ihnen angeeignet werden (1, 46ff.; vgl. Plut. de tranq. an. 16 p. 474 d).
Der verlorene Anfang der Rede (nach Vitelli-Norsa p. X fehlen 1–2 Kolumnen) handelte, wie es scheint, von der Seelenstärke, vermöge der Männer wie Empedokles, Herakles, Mucius Scaevola das Leben und seine Güter geringschätzten (G. M. Lattanzi II proemio del περὶ φυγῆς di Favorino, Riv. fil. cl. LX [1932] 499f.; nach col. 3, 26 muß auch Diogenes in der Vorrede vorgekommen sein). Auf die oben berührten Worte über den Zweck der Rede folgt ein Hinweis auf Sokrates’ Verhalten im Kerker, dann der in der Diatribe beliebte Vergleich des Lebens mit einem Schauspiel, in dem jedem von der Gottheit seine Rolle zugewiesen ist (R. Helm Lucian u. Menipp 44ff. O. Hense Teles2 praef. CVIIff.), dann Beispiele von Leuten, die erst in der Fremde zum höchsten Ruhm und Glück gelangt sind (Diogenes, Herakles, Odysseus; vgl. Plut. de tranq. an. 6 p. 467 d. Cass. Dio XXXVIII 26, 3), endlich der Aufruf, an sich selbst die längstgeübte Tugend nun, wo die Gelegenheit sich biete, mit der Tat zu bewähren, im ,στάδιον τῆς ἀρετῆς‘. Die systematische Zurückweisung der falschen Meinungen über die Verbannung beginnt col. 6, 12 (vgl. die Inhaltsübersicht der Hgg. p. XIf.) und betrifft folgende Ursachen der Unlust Verbannter: 1. Sehnsucht nach dem Vaterland (col. 6, 12–12, 37). 2. Sehnsucht nach Freunden und Verwandten (12, 37–16, 31). 3. Verlust der Lebensgüter, Reichtum, Ehre, Adel, Ansehen, Ruhm, die doch alle nur Lehen der Götter sind (16, 31–21, 40; zu dem Bild vgl. P. Wendland–O. Kern Beitr. z. Gesch. d. griech. Philos. u. Rel. 59f.). 4. Schimpflichkeit der Verbannung (21, 40–25, 32). 5. Verlust der Freiheit (25, 32ff.). Es sind die schon in den älteren Diatriben über diesen Gegenstand mehr oder weniger vollständig behandelten Kapitel des Topos περὶ φυγῆς, durch eine Überfülle von Beispielen und Bildern im bionischen Stil zu maßloser Breite aufgeschwemmt. In den Beispielen ist ebenfalls viel altes Material (z. B. die Verwendung des Polyneikes aus Eurip. Phoen. col. 6, 23ff. auch bei Teles p. 30, 3 H.2; Plut. de exil. 16; Muson. p. 48, 3ff. H.) und nur wenig Neues (z. B. die Aphytaeer col. 7, 37ff.; der verbannte Megarer 22, 33ff.). Stark ist der kynische Einschlag in der Idealisierung des Herakles (3, 32ff. 6, 3ff. 21, 8) und Odysseus (3, 39ff. 19, 10ff. ἐγκώμιον Ὀδυσσέως) und in der Vorliebe für die σύγκρισις von Mensch und Tier (9, 28ff. 10, 11f. 12, 27ff. κύνες. 15, 7ff. 16, 41ff. 19, 45ff. 20, 11f. 25, 40ff.; vgl. Praechter 566), und zwar zugunsten der Tiere (vgl. W. Schmid Attic. 3, 3. 6. H. Hobein De Maximo Tyrio 70ff. Porphyr. de abst. III passim. besonders c. 13). Mit geschichtlichen und mythologischen Beispielen arbeitet die Diatribe seit jeher; aber so unmäßiges Ausschütten findet sich sonst nur in der F.-Rede περὶ τύχης des Corpus Dioneum nr. 64 und etwa bei Maximus von Tyros; wo sich F. in der Rede περὶ φυγῆς einmal [68] auf ein Beispiel beschränkt, glaubt er bemerken zu müssen, daß er aus einem großen Vorrat auswähle (16, 18ff.). Die Korinthiaka, die eine andere Stilgattung vertritt (Praechter 571) ist darin maßvoller (s. immerhin [Dio Chr.] or. 37, 14). In den Dichterzitaten wiegen Homer und Euripides weitaus vor; in großem Abstand folgen Pindaros (dem wahrscheinlich auch die anonymen Zitate 7, 44ff. 11, 5ff. entnommen sind) und Sophokles; nur mit je einer Stelle sind Alkaios und Menandros vertreten. Die stilistische Eigenheit, an ein Zitat eine polemische oder ergänzende Bemerkung, zum Teil in Form der Apostrophe an den zitierten Autor oder Helden, anzuknüpfen (6, 25ff. 15, 8ff. 41ff. 18, 10ff. 19, 14ff. 24, 16ff.), gehört zum Diatribenstil (Plut. de exil. 16 p. 606 a), begegnet aber wohl nirgends so oft wie bei F., der in diese Form auch einen Tadel des hesiodeischen Pessimismus (24, 16ff.) einkleidet (in ähnlichem Sinn Plut. de tranq. an. 19 p. 477 b c). Daß in abschweifenden Ausführungen über τόποι der hellenistischen Moralistik, insbesondere den τόπος περὶ φιλίας, das Thema oft verschwindet, hat Praechter 561ff. bemerkt, belegt und aus der geringen Ergiebigkeit des φυγή-Motivs erklärt. Die Rede unterscheidet sich also in Gedanken und Formen von der hellenistischen Diatribe im wesentlichen nur durch das Übermaß im Auskramen geschichtlicher Gelehrsamkeit, und eben dadurch ist sie auch der pseudodionischen 64. Rede nächstverwandt, womit deren Abfassung durch F. vollends über jeden Zweifel erhoben wird; einige Berührungen mit der Korinthiaka notiert Praechter 569f. Daß bei solch eilfertigem Massenverbrauch geschichtlichen Illustrationsmaterials sachliche Irrtümer und Flüchtigkeiten mit unterlaufen, ist nicht verwunderlich (10, 2 Hippias statt Hippokrates; 10, 32 Φωκεῖς [schwerlich Kopistenfehler] statt Φωκαιῆς, was 10, 36 richtig steht; 4, 49 Pindaros statt Bakchylides, wie P. Maas DLZ 1931, 1211 bemerkt; wenn col. 1, 25. 27 der von Liv. II 2 als adulescens nobilis bezeichnete Mucius Scaevola, eine in der Diatribe beliebte Figur, στρατηγός heißt, so könnte eine Verwechslung mit Camillus, über den vgl. Cass. Dio XXXVIII 26, 3. 27, 3, mit unterlaufen; die unmögliche Datierung von Theseus’ Tod 400 Jahre vor der Gründung des Theseion in Athen 8, 20 wird F. aus Plut. Kim. 8, 7 übernommen haben, was für Praechters Annahme 565 von Plutarchbenützung in der Rede sprechen würde).
Bei der Vulgarität der Gedanken, Beweismaterialien und Formen der Rede ist jeder Versuch, bestimmte Quellen nachzuweisen, gewagt, und die feinen Beobachtungen, mit denen Praechter 564ff. die These der Benützung des Plutarchos, Dion von Prusa und Epiktetos zu stützen sucht, führen mit Sicherheit nur zu dem Ergebnis, daß Geistesverwandtschaft zwischen F. und diesen Männern vorhanden ist. Dazu kommt, daß F.’ Bekenntnis zu dem demokritischen Lebensziel der εὐθυμία (1, 39ff. 4, 9. 11, 31. 23, 41. 25, 33) Einfluß von Plutarchos’ Schrift περὶ εὐθυμίας verrät, mit der auch sonst die Rede starke Ähnlichkeit aufweist; der Begriff εὐθυμία spielt auch in Epiktetos’ Ethik eine Rolle (A. [69] Bonhöffer Epikt. u. die Stoa 296f.; Die Ethik des Stoikers Ep. 47). Auch stilistisch findet man überall in der Rede bekannte Formen der Diatribe (zu den Apostrophen 6, 25ff. 24, 16ff. vgl. Ps.-Dio or. 37, 45. 64, 10. 14ff.; aber auch z. B. Muson. p. 48, 9ff. H. Plut. de tranq. an. 19 p. 476 e f; zu der antithetischen Figur 21, 23ff. vgl. Sen. ep. 66, 51. Cass. Dio XXXVIII 25, 4), ohne daß sich Einfluß eines bestimmten Schriftstellers nachweisen ließe.
So kann man im Stilistisch-Sprachlichen eine persönliche Marke nur erkennen im Quantitativem, d. h. in der Maßlosigkeit des Bilder- und Beispielgebrauchs, dem Kokettieren mit Buchgelehrsamkeit und einer mäßigen, nur einige Formen, nicht die Phraseologie ergreifenden attizistischen Tönung der Sprache, auf die schon Praechter 568f. hingewiesen hat (beizufügen wäre: Vorliebe für ἐς und ξύν, neben denen aber auch εἰς und σύν zugelassen sind; für αἰεί, das man nach E. Mayser Gramm. d. ptol. Pap. I § 14, 1 als Attizismus ansprechen kann; attisch sind ferner νῆες 14, 20; γονέας 16, 45 und die Anastrophe πέρι 16, 45). Der Hiatus wird nicht gemieden (Introd. p. XIII 3); den Hiatuszwang der höheren Koine scheint die Diatribe gebrochen zu haben, an welche die attizistische ἀφέλεια anknüpft.
Der Stoff der Rede bringt es mit sich, daß in ihrer philosophischen Haltung die stoisch-kynischen Töne vorklingen: rückhaltlose äußere und innere Ergebung in alle göttlichen Schickungen unter Wahrung der unverlierbaren Tugend als des einzig echten Gutes; Bereitschaft, jederzeit alle Lebensgüter und das Leben selbst der Gottheit willig und dankbar zurückzuerstatten, die sie geliehen hat. Mit diesen ernsten Grundsätzen der Diatribenmoral praktisch Ernst zu [70] machen wird F. im vorliegenden Falle schwerlich Gelegenheit gefunden haben; stellt er sich doch dar als einen fahrenden Mann (8, 29ff.), der über das Heimweh so erhaben ist (11, 17), daß er sich wiederholt (1, 33. 8, 35f. 10, 46. 11, 48) gegen den Vorwurf des Mangels an Vaterlandsliebe wehren muß, und seine schmerzlose Internierung führte ihn auf eine Insel von bekannter Annehmlichkeit der Lebensbedingungen (Horat. epist. I 11, 1. 21. Diod. V 82, 2f.).
Was sonst seit dem Artikel F. über F. geschrieben worden ist, verzeichnen Christ-Schmid II6 764–766. K. Münscher Burs. Jahrb. CLXX (1915) 54ff. (für 1910–1915) und E. Richtsteig ebd. CCXI (1927) 47. CCXXXVIII (1933) 11 (für 1915–1930). Daß Daten über das Leben des Pythagoras (vgl. Favor. frg. 25. 33 M.) auf dem Weg über F.’ Ἀπομνημονεύματα und Παντοδαπὴ ἱστορία zu Diogenes Laertios gekommen sind, ist nach J. Lévy Recherches sur les sources de la légende de Pythagore, Paris 1926, 116 wahrscheinlich. – Mit F.’ Ἐγκώμιον Θερσίτου (Gell XVII 12, 2) könnte die Deklamation des Libanios t. 8 p. 243–251 F. zusammenhängen.
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F. von Arelate, Sophist im 1./2. Jh. n. Chr. S VI.