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Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)/Fünftes Kapitel

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« Viertes Kapitel Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)
Sechstes Kapitel »
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Fünftes Kapitel.
Wirksamkeit in und um Nürnberg.




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Nürnberg.
 Als ein um Christi willen Verjagter, nichts desto weniger aber in einer so ehrenvollen, fast an Act. 16, 37. ff. erinnernden Weise von dem Schauplatz seines bisherigen Wirkens wegbegleitet, langte Löhe Anfangs März in seiner Heimath an. Hier legte er in einer Eingabe an das Oberconsistorium den Hergang der Dinge dar, der seine Entfernung von Kirchenlamitz zur Folge gehabt hatte, in der Hoffnung, bei der höchsten kirchlichen Stelle eine gerechtere Würdigung zu finden als von Seiten des Consistoriums in Bayreuth. Er erhielt den Befehl, zu seiner Rechenschaft persönlich sich in München einzufinden. Der Präsident des Oberconsistoriums scheint von seiner Verantwortung den günstigsten Eindruck erhalten zu haben und war entschlossen, die erste sich bietende Gelegenheit zu benützen, um Löhe auf einem seinen Gaben und seinem Eifer entsprechenden Posten zu verwenden. Auf der Rückreise von München berührte Löhe Karlshuld, woselbst er auch predigte. Nach kurzer Muße in Fürth übernahm er es auf einige Wochen, die Stelle des Pfarrers Kindler an der St. Martha-Kirche in Nürnberg zu vertreten. Am 10. Juni erhielt er in sehr ehrenvoller Weise vom Consistorium die Berufung als Verweser der zweiten Pfarrstelle bei St. Aegidien in Nürnberg.[1] Für ihn lag hierin auf| seine erzwungene Entfernung von Kirchenlamitz hin eine glänzende Rechtfertigung seines dortigen Verhaltens und ein höchst ehrenvoller Beweis des Vertrauens, welches die höchste kirchliche Behörde in ihn setzte. Statt des ihm entzogenen Wirkungskreises war ihm nun ein weit bedeutenderes Feld der Thätigkeit eröffnet, und Gottes Vorsehung hatte dafür gesorgt, daß das Licht auf den ihm gebührenden Leuchter gestellt wurde. Am 15. Juni 1834 trat er sein neues Amt in Nürnberg an. Die Geschäfte seines jetzigen Berufes waren nicht besonders zahlreich. Er hatte alle 14 Tage eine Sonntagsnachmittagspredigt, alle drei Wochen eine Wochenpredigt, zwei Katechisationen immer über die andere Woche, den Altardienst bei den sämmtlichen Communionen, die Seelsorge im Militärspital und alternierend mit den andern Geistlichen die rein liturgischen Einsegnungen auf den Kirchhöfen – für Löhe’s Arbeitskraft eine sehr mäßige Thätigkeit. Doch schuf er sich Arbeit, wo er sie nicht fand. Auch mehrte sich allmählich doch die ihm berufsmäßig obliegende Thätigkeit. So gab er eine Zeit lang in der in Nürnberg errichteten Anstalt| für arme Knaben Unterricht, und bereits von Juli an übertrug ihm sein verehrter Lehrer, Rector Roth, die Religionsstunden im Gymnasium. Bald hielt er an zwei verschiedenen Tagen Christenlehren für Erwachsene, für Männer und Frauen gesondert. Sodann wurden an einem Abend in der Woche im Saale des Volk’schen Hauses Vorträge über das prophetische Wort des alten und neuen Bundes gehalten, wobei die Zuhörerschaft öfters auf Hunderte anschwoll und Vorplatz und Treppen von aufmerksamen und lernbegierigen Menschen dicht besetzt waren. Am Samstag Abend sammelte sich eine Schaar von jungen Handwerkern um ihn, welche die Woche über in ihren Freistunden Tractate, Erbauungs- und Predigtbücher verbreitet hatten und nun Rechnung legten. Später hielt er Sonntags Morgens um 6 Uhr in einer Kapelle der Aegidien-Kirche Bibelstunden, die besonders gesegnet gewesen sein sollen. „Es war ein herzbewegender Anblick“ (schreibt uns ein Beteiligter), „Männer wie Bürgermeister Merkel und Rector Roth in diesen Bibelstunden den Worten des jungen Verwesers lauschen zu sehen.“
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 Dies alles war immerhin nur ein Theil der Geschäfte, die seinen Arbeitstag füllten. Wenn man nun aber bedenkt, wie er seelsorgerlich in Anspruch genommen wurde, wie kaum ein Tag vergieng, ohne daß Trostbedürftige bei ihm Rath und Hilfe suchten, so mag man sich wundern, wie er noch Zeit fand zu dem gerade in Nürnberg fleißig gepflegten Umgang mit jüngeren und älteren Freunden und zu schriftstellerischen Leistungen, deren in Nürnberg manche entstanden. Wir nennen hier nur die „sieben Predigten“ sowie die Vaterunser-Predigten und den bekannten, auch ins Französische übersetzten, von manchen für Löhe’s beste Schrift erklärten Tractat: „Vom göttlichen Worte als dem Lichte, das zum Frieden führt.“ Auch der Tractact „Die Tochter der Herodias“ entstand daselbst. Dabei ist der| vielen Privatstunden, die er im Helferich’schen, Merkel’schen und Roth’schen Hause gab, noch gar keine Erwähnung geschehen. „Daß er in beständiger angespannter Thätigkeit war, weiß ich“ – sagt einer von Löhe’s Freunden aus damaliger Zeit – „aber ebenso auch, daß sie nie die Art einer hastigen Geschäftigkeit hatte, sondern stets eine wohlgeordnete und bei allem Eifer gelassene war, wie er sich denn auch mehr aufsuchen ließ als aufsuchte und niemals sich aufdrängte. Hatte er aber den ganzen Tag gearbeitet, so war er dann doch noch bereit, am Abend für einen Freundeskreis Bibelstunden zu halten.“
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 So groß die Thätigkeit Löhe’s war, so reich gesegnet war sie. Eine durchschlagende Wirkung hatten namentlich seine Predigten. Als Prediger sah er sich schon äußerlich unterstützt durch eine wahrhaft unverwüstliche Kraft der Lunge und der Stimme. Er predigte oft so lange und zwar unter gespanntester Aufmerksamkeit der Zuhörer, daß der Abend einbrach, und der Küster trotzdem, daß der Gottesdienst bereits um 21/2 Uhr begonnen hatte, Lichter auf die Kanzel bringen mußte, wo dann Löhe nach geendigter Predigt strophenweise die Verse des Schlußliedes vorsagte. Seine Löwenstimme erscholl so gewaltig in den weiten Räumen der Aegidienkirche, daß Leute von schwachen Nerven oft ohnmächtig weggetragen werden mußten.[2] Das christliche| Publicum hat in den Ende 1834 bei Rau erschienenen „Sieben Predigten“ sowie in den 1835 herausgegebenen „Vater-Unser-Predigten“ eine Probe seiner gewaltigen geistlichen Beredtsamkeit aus jener Zeit in den Händen. Die Tiefe der Gedanken, der hohe Schwung der Sprache, der gewaltige sittliche Ernst, das alles vereinigte sich, um seinen Predigten eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf die Gemüther zu geben. Rector Roth äußerte einmal: Löhe habe, so lange er in Nürnberg war, auf die dortigen übrigen Prediger eine „elektrisierende“ Wirkung ausgeübt, so daß sie auch anders predigten als sonst. Freund und Feind strömten in diese Predigten, die das Tagesgespräch in Nürnberg waren. Selbst in den Schenken unterhielt man sich darüber, und die feindselige Presse ermangelte nicht, Löhe durch ihren Koth zu ziehen. Letzteres war nicht zu verwundern, denn an rücksichtslosem Freimuth der Sprache, der in der That an die Kühnheit der Propheten im alten Testament erinnern konnte, bot Löhe seinen Zuhörern das Aeußerste, was wohl in unseren Tagen einem städtischen Publicum geboten worden ist. Wenn er z. B. einmal in einer Predigt sagte: „Ihr Mütter führt eure Töchter im Hurenschmuck auf den Ball“, oder wenn er ein ander Mal die Gegenwart Nürnberg’s mit seiner Vergangenheit im Reformationszeitalter vergleichend die Worte Jesaia 1, 21 gebrauchte, so mag man, namentlich in unseren Tagen, wo der elenchus gar nicht oder nur mit äußerster Zahmheit geübt wird, wohl staunen über diesen Freimuth der Rede, der einer städtischen Zuhörerschaft solche Keulenschläge hinzunehmen gab. Daß die also Getroffenen von einer solchen Sprache empfindlich berührt wurden und sich an dem, der sie führte, zu rächen suchten, kann nicht Wunder nehmen, und schon in den ersten Monaten von Löhe’s Aufenthalt in Nürnberg wurde vom Magistrat wegen seiner Predigtweise eine ernste Klage bei der| Regierung eingereicht und auf Löhe’s Abberufung von Nürnberg angetragen. Namentlich waren es zwei Predigten, die Anlaß zur Unzufriedenheit oder doch Vorwand zur Klage gegeben hatten. Die eine am 8. Sonntag p. Trin., über das Evangelium von den falschen Propheten gehalten, wurde dahin gemisdeutet, als habe Löhe durch sie „die von früheren Religionslehrern den Gemeinden beigebrachten Ueberzeugungen auf öffentlicher Kanzel verdammen wollen“. Einen Anstoß anderer Art gab die am 4. Sonntage p. Trin. über Römer 8, 28–33 gehaltene Predigt, in der folgende hier mitgetheilte Stelle als sehr auffällig bemerkt wurde:
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  „Zwar das läugnen wir nicht, daß die Schöpfung trotz der Unvollkommenheit, welche seit Adam, und trotz der Verderbnis, welche seit der Sündfluth über sie gekommen ist, immer noch viele Lieblichkeiten hat, die Aug und Ohr und Herz erquicken. Aber dagegen müssen wir uns setzen, daß Christen von der Schönheit der Natur in solchen Ausdrücken, in solcher Hingerissenheit reden, als wäre nirgends das Sehnen und Seufzen und ängstliche Harren der Creatur gepredigt, welches doch so offenbar ist. Sieh’ einmal den schweren Gang nur unsers Zugviehs[3], schau dem Thier ins stumme, freudlose,| fragende Auge – betrachte, wie ganz anders sein Leben ist, wie völlig anders seine Freuden, als sie in Gottes Nähe sein würden – wie es im Dienst der Vergänglichkeit ihr Leben beginnt und endet: – ist Dir das Seufzen und Sehnen nicht klar? Sieh die leblose Natur mit nüchternem Auge an: ist sie, wie so oft Weltmenschen, die sich selbst belügen, sagen, ist sie ein Paradies? Daß die Erde in weiten Länderstrecken wüst und leer, verödet und versandet, oder in Sumpf und Morast daliegt, daß sie ohne Aussaat und Pflanzen, ohne Schweiß des Arbeiters nur an wenigen Orten die Nothdurft trägt, daß sie – wo ihr Ansehen noch am meisten einem Paradiese ähnlich sieht in jenen vielbesungenen südlichen Ländern, auch so viel Plagen, Giftpflanzen und giftige Thiere und andere Schrecken des Tages und der Nacht hervorbringt, daß Unkraut, Dorn und Distel den treuen Fleiß des Landmannes verhöhnen und als Zeugen göttlichen Fluches über die ganze Erde dastehen: bedenken jene nicht, welche so gerne sich durch die Natur in Entzücken versetzen lassen und ihr dienen wie ihrem Gott, und ihren Gott die Natur nennen. Die kahlen Berge, die nackten| Felsen, die wie alternde Gebeine zum Himmel starren, triefen vom ängstlichen Warten auf Erneuerung, das Abendroth und der Sonne tägliches Abschiednehmen predigen die Sehnsucht dieser Welt nach der Offenbarung jener Welt. Nur wer so keine Sehnsucht hat und auf die Zukunft eines vollkommenen Lebens nicht harret, kann die Natur vergöttern wie Heiden. Wer aber den Himmel von ferne gesehen hat im Spiegel der Verheißung, wer gehört hat vom Strom des Lebens, vom Gehölz des Lebens in jener Welt, von dem neuen Himmel und der neuen Erde, auf welchen Gerechtigkeit wohnet – wer je die verheißene Herrlichkeit des Reiches Gottes in der Schrift gesehen hat, der kann sein Herz an dieser irdischen Naturschönheit nicht sättigen, – der fühlt sich auf den Gipfeln und in den Thälern der Alpen und auf den immer jungen Frühlingsinseln der Südsee nicht daheim, der kann diese Erde, diese Sonne nicht so gar schön heißen, da sie Menschen dienen, die ohne Christum, den schönsten Helden und Heiligen Gottes, leben können.“
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 In seiner Vertheidigungsschrift, die Löhe gegen diese Klagen einreichte, verantwortet er sich in Bezug auf die einzelnen Klagepunkte mit der siegreichen Stärke des guten Gewissens: „Das Beispiel des größesten und weisesten aller Prediger, das des HErrn selbst, zeige, wie leicht man einem Prediger auch die klarsten, harmlosesten Worte zu Bolzen drehen könne. Was die Stelle vom Zugvieh betreffe, so sei das darüber Gesagte uralte Lehre der Kirche und so wenig etwas Unerhörtes, daß man sie, wenn es eines Dieners des Evangeliums würdig wäre, selbst in der herrschenden Zeitphilosophie nachweisen könne. Gerne bekenne er übrigens, daß ihm trotz sorgfältiger Vorbereitung der Ausdruck auf der Kanzel in einzelnen Fällen mislungen sei. Wollte jemand deswegen ihm misgünstig sein, so könne er ihm nur beistimmen, indem er die Worte eines Größeren auch auf| sich anwende: et mihi quoque sermo meus semper displicet. Uebrigens wisse er, daß er das Beste der Stadt suche, in der er sich nach Gottes Willen für den Augenblick befinde.“

 Löhe’s Verteidigung wurde vom Consistorium zu Ansbach in jeder Hinsicht für genügend erachtet, und der unterm 2. November 1834 auf den decanatlichen Bericht ergangene Bescheid war für den vom Magistrat der Stadt Nürnberg so hart Angeklagten die glänzendste Rechtfertigung. Dieser Erlaß macht durch die Entschiedenheit, mit welcher das Consistorium des so ungerecht Verleumdeten sich annahm, einen so günstigen Eindruck, daß wir glauben ihn hier in extenso mittheilen zu sollen.




 „Im Namen Seiner Majestät des Königs.

 „Nach Inhalt des vom Magistrat der Stadt Nürnberg an die königliche Regierung gerichteten Antrags vom 24. September laufenden Jahres: daß der Candidat Löhe von seiner Pfarrverwesung abberufen werden möge, war zu erwarten, daß dieser Antrag auf Thatsachen, die dem Candidat Löhe zur Schuld gelegt werden könnten, gegründet sei. Allein mit Ausnahme des Lehrinhaltes, dessen Beurtheilung übrigens nicht zur Competenz des Magistrats gehört, sondern lediglich nach den Bestimmungen des Amtshandbuchs Seite 45, §. 51-55, worauf der Anhang II zu dem 103. §. der Beilage II unter §. 11 lit. C hinweist, der oberen Kirchenbehörde zusteht, findet man weder in dem Bericht des Decanats vom 16. laufenden Monats noch in dessen Beilagen irgend etwas, was dem Vicar Löhe zum Vorwurf gereicht. Das Decanat gesteht selbst zu, daß dem Vicar Löhe weniger als Einem in der Welt eine Abweichung in der Kirchenlehre Schuld gegeben werden könne, daß dem Decanat kein Verstoß gegen die Kirchenordnung bekannt geworden sei, daß er eines| zahlreichen Kirchenbesuches sich erfreue und daß er, wie man auch sonst vernommen, in besonderer Achtung stehe.

 „Unter diesen Umständen hält man sich nicht ermächtigt, den Pfarrverweser Löhe von seinem Vicariat abzurufen.

 „Die beiden vorgelegten Predigten wird man späterhin dem Candidaten Löhe zurückstellen lassen, da man sie noch zur Berichterstattung an das Königliche Oberconsistorium bedarf. Daß sie sich genau an den Sinn des Textes anschließen, was zu geflissentlichen Misdeutungen mag Anlaß gegeben haben, kann man nicht misbilligen. Da sie überdies das Gepräge eines hohen sittlichen Ernstes tragen und mit großem Nachdruck ihren Gegenstand behandeln, so kann man im Allgemeinen nichts dagegen erinnern, vielmehr muß man bezweifeln, ob es günstiger für Belebung christlicher Gesinnung wirken würde, wenn ein allzu großes Gewicht auf die Einkleidung der einfachen Wahrheit nach dem Geschmacke des Tages gelegt würde.

 Ansbach, den 28. October 1834.

Königlich Protestant. Consistorium. 
v. L.“ 




 Diese beiden incriminierten Predigten sind in der ersten Predigtsammlung, die Löhe herausgab, den „sieben Predigten“ veröffentlicht. Da diese sieben Predigten die ersten Blüthen von Löhe’s homiletischer Thätigkeit sind und seinen Ruf als Prediger begründet haben, so wird ein Wort zur Würdigung derselben hier am Platze sein. Kenner der Predigtweise Löhe’s werden die Eigenthümlichkeit derselben schon in diesem seinem homiletischen Erstlingsproduct zu finden vermögen. Diese Predigten tragen sämmtlich das Siegel eines schöpferischen Geistes, der die Kraft in sich fühlt eigene Bahnen zu wandeln, uneingeengt von den Regeln einer steifen Homiletik. Von dem Zwang derselben| hatte Löhe sich mit vollem Bewußtsein bereits damals emancipiert. Exordium, die streng thematische Form oder gar die beliebte Trichotomie der Predigt ist hier nicht zu finden. Löhe konnte voraussehen, daß es deshalb an Vorwürfen nicht fehlen würde, und rechtfertigt sich darum vorsorglicher Weise in der Vorrede zu der zweiten Auflage seiner „sieben Predigten“, indem er eine auch später gerne von ihm citierte Stelle aus Fenelons Gesprächen von der Beredtsamkeit anführt, aus der hier ein Bruchstück mitgetheilt werden mag: „Es wird freilich eine Ordnung erfordert, aber eine solche Ordnung, die man nicht gleich beim Anfang der Rede den Zuhörern verheißt und entdeckt. Cicero sagt, es sei fast allezeit am besten, sie zu verstecken und den Zuhörer dahin zu führen, ohne daß er es gewahr werde. Ja, er sagt wohl gar mit ausdrücklichen Worten (denn ich entsinne mich derselben gar wohl), daß ein Redner die Ordnung verstecken soll, auch sogar bis auf die Zahl seiner Beweisgründe, dergestalt, daß man sie nicht zählen könne, ob sie schon an und für sich unterschieden seien, und daß man keine deutlich angemerkte Eintheilung der Rede solle sehen lassen. Allein die Plumpheit der letzten Zeiten ist so groß geworden, daß man die Ordnung in einer Rede nicht erkennt, es sei denn, daß derjenige, der sie hält, bald bei dem Anfang den Zuhörern davon Nachricht gebe und sich bei einem jeglichen Punkte aufhalte.[4]
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 So wenig Löhe bei der Ordnung der Gedanken an pedantische Regeln sich band, so wenig mochte er jene Sprache| Kanaans auf der Kanzel, welche über dem Versuch die Ausdrucksweise der Väter nachzuahmen, nothwendig manieriert wird, und durch das altmodische Gewand, in welchem der Gedankeninhalt hier erscheint, namentlich auf gebildetere Zuhörer einen fremdartigen Eindruck macht. Löhe verlangte für die Predigt eine natürliche, der eigenen Persönlichkeit entspringende und der gebildeten Sprache des Jahrhunderts angemessene Redeweise. So finden wir denn auch in seinen sieben Predigten eine durchweg natürliche, selbständige, von allem Schablonenmäßigen freie Art der Rede. Dasjenige aber, was in den Augen so vieler diesen Predigten einen besonderen Reiz gab, war die jugendliche Frische und blühende Phantasie, die in ihnen waltet. Wir können es uns nicht versagen, als Probe von seiner Kunst des Ausmalens und der lebhaften Vergegenwärtigung eine Stelle aus einer dieser sieben Predigten mitzutheilen, in welcher der Anbruch des jüngsten Tags in folgender Weise geschildert wird:
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 „Liebste Seelen! der Tag des Herrn wird kommen, ohne daß es jemand ahnt. Es wird an jenem Tag Alles seinen Gang gehen in größter Sicherheit wie alle Tage. Es wird die Sonne aufgehen, still und jung, eilend, ihr liebes Tagwerk zu vollenden. – Die Erde wird ihr Vermögen geben, je nach der Jahreszeit. Die Bäche werden in die Flüsse, die Flüsse meerwärts eilen wie alle Tage. Die Menschen werden an ihr Tagewerk gehen und auf den Abend hoffen: der Greis, der Mann, sie werden leiden oder thun wie’s ihnen aufgelegt ist. Die Kindlein eilen in die Schule, für ein langes Leben sich Kenntnisse sammelnd. Kurz, wie heute, so am jüngsten Tage! Niemand merkt, daß die Stunde vor der Thüre ist, welche der Vater seiner Macht aufbehalten hat. Da mit Einem Male bricht das Licht der Ewigkeit in die Zeit herein: des Erzengels| Geschrei und Stimme, der Engel laute Posaunen hallen in tausendfachem Echo die alten Berge entlang. Zu Ende auf einmal ist Alles – alles Sorgen, alles Jauchzen, alles Seufzen und Weinen und Arbeiten. Stille wird die Welt: aller Augen schauen auf und sehen und merken in der Engel Mitte Den, deß verborgenes Leben nun auf einmal offenbar wird. Wer nie Kniee gebeugt hat, wird Kniee beugen. Wer nie vom Herzensgebet etwas gewußt hat, wird jetzt beten und seufzen. – Und die Todten in Christo Jesu stehen auf; die Erde und das Meer geben sie wieder; die Lebendigen werden verwandelt, das Verwesliche zieht Unverwesliches an. Alle, welche im Herrn starben, alle, die Ihm leben, werden an jenem Tage erfahren eine wundersame Wiedergeburt ihrer Leiber! Welch ein Wiedersehen, welche Scenen wird es geben!
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 „An jenem Tage werden hie und da Aeltern an den Sterbebetten junger Kinder stehen. Die Kindlein entschlafen, die Mütter weinen sammt den Vätern. Da erscheint der Herr. Er ruft zur Auferstehung. Da stehen die Kindlein schön verklärt von ihren Sterbebetten auf, die eben erst in der Taufgnade entschlafen sind. Welch ein Lob wird sich der Herr aus dem Munde dieser auferstandenen Kindlein bereiten, wie werden diese Hosianna singen – schöner, als die Kindlein im Tempel zu Jerusalem beim Einzug Jesu! – Eine andere Scene, liebe Brüder! An jenem Tage werden etwa die Grabglocken läuten, wie alle Tage: unter Grabgesängen, unter vielen Thränen tragen eben fromme Kinder ihre Mutter zu Grabe. Da kommt mit Freudengetöne der Engel Gottes Sohn: das Grabgeläute läutet den Tag der Ewigkeit ein, im Sarge regt sich’s – und die Kinder sehen ihrer Mutter Angesicht verklärt und freudig wieder – die verklärte Mutter siehet auch – und Größeres noch! Siehe! vor ihren Augen werden ihre Söhne verwandelt,| ihre Leiber verklärt. Nun hat die Mutter ihre Kinder ewig wiedergefunden und die Kinder ihre Mutter. Wie oft wird sich an jenem Tage die Geschichte des Töchterleins Jairi, des Jünglings zu Nain oder Lazari wiederholen. Welch ein Wiedersehen wird es da geben! und doch wird Niemand mehr seine Anverwandten nach dem Fleische kennen. Nicht das wird die größte Freude sein, daß einer den Anderen siehet, sondern das wird der Freuden Fülle sein, daß Alle Ihn sehen, Ihn lieben, Ihn anbeten den Erlöser! Welch’ eine Kirche dann, welch’ eine Gemeinde von Heiligen! Schöner als ein reifes Erntefeld im Morgenroth steht die große Schaar im Sonnenschein der Gnade Jesu! Eine reine Braut des Herrn, die Leib und Seel’ in dem Versöhnungsblute gewaschen hat! Welch’ eine Stille der Gemeinde vor ihrem König! Welch’ eine Liebe zwischen beiden!“
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 Indem wir den Faden der Lebensbeschreibung Löhe’s hier wieder aufnehmen, finden wir ihn bald wieder in eine neue Anklage verwickelt, deren Ausgang nicht vollständig zu seinen Gunsten gerieth. Einer der Nürnberger Lehrer hatte wider Löhe wegen angeblich verletzender Aeußerungen desselben über den Religionsunterricht in der Volksschule bei der königlichen Schulcommission eine Beschwerde eingereicht. Nach dieser Anklage, die sich nicht allein durch den ziemlich malitiösen Inhalt, sondern auch durch ihren insolenten Ton auszeichnete, sollte Löhe in einer öffentlichen Katechisation, weil er auf seine Fragen keine, oder nur unrichtige Antworten erhielt, „mit leidenschaftlich erhobener Stimme und ausgebreiteten Armen in die Worte ausgebrochen sein: ,Ihr Kinder könnt und wißt doch alle gar nichts. Sonst vor fünfzig Jahren wußte ein Kind mit sechs Jahren mehr als ihr. Kinder von sechs Jahren konnten damals den ganzen Katechismus fehlerfrei hersagen. Man lernt wohl| jetzt in den Schulen schöner schreiben und treibt allerlei, was sonst nicht vorkam, aber das Wichtigste fehlt.‘“

 Nach Anführung dieser Aeußerungen Löhe’s zergliedert dann der Lehrer die gemischten Empfindungen, „die sich bei jenem Vorgang in ihm bewegten“.

 „Erstens“, sagt er, „stieg in mir ein gewiß gerechter Unwille auf über die Anmaßung, die sich der Herr Pfarrverweser erlaubte.

 „Aber auch zweitens betrübte mich die Ungerechtigkeit, mit der er über die Leistungen der hiesigen Volksschullehrer in Betreff des Religionsunterrichts urtheilte.

 „Drittens konnte ich mich nicht enthalten über die Unklugheit ungehalten zu sein, mit der Herr Löhe in der Kirche gegen unsere Schulen mit Vorwürfen auftrat.

 „Was aber der Unklugheit des Herrn Pfarrverwesers noch vollends die Krone aufsetzte, so sprach er seine Schmähungen über alle Kinder aus: ,Alle, Alle wisset ihr nicht so viel, als Kinder sonst von sechs Jahren.‘

 „Und endlich möchte ich auch den Herrn Pfarrverweser, den Lehrer des freundlichen Christenthums, fragen: wo bleibt denn bei Ihnen die Liebe, die mehr werth ist als Ihre Distinctionen von einer streitenden und triumphierenden Kirche und wie die übrigen Wortbestimmungen noch lauten?“

 Die in Wirklichkeit viel unschuldiger klingenden Aeußerungen Löhe’s werden hier zu gehässigen Verwerfungsurtheilen und zu unbefugten Eingriffen in die Rechte der Schulcommission gestempelt und auf Grund von dem allen wird dann der Antrag auf zureichenden Schutz der Lehrer von Seiten der Local-Schulcommission gegen solche Unziemlichkeiten gestellt. Die Local-Schulcommission eignete sich diesen Antrag an und ersuchte das Decanat, Herrn Pfarrverweser Löhe zu überzeugen, daß für Katechismuskenntnis in den Nürnberger Volksschulen alles geschehe,| was auf irgend eine Weise zu fordern sei; ferner ihn aufzufordern, sich an den in den Schulen gebraucht werdenden Junker’-schen Bibelkatechismus zu halten, damit die Kinder nicht durch eigentlich für den Confirmandenunterricht gehörige Fragen wie die von der streitenden und triumphierenden Kirche verwirrt werden; drittens aber auch dem Herrn Pfarrverweser Löhe bemerklich zu machen, daß er den gesegneten Wirkungen des Schulunterrichts durch gehässige Verwerfungsurtheile, die unverdient und unverständig genug nachgesprochen werden und gar schnell Anklang finden, wenn sie auch grundlos sind, nicht ferner in Katechisationen entgegen treten solle, und die Achtung gegen das, was unter Beaufsichtigung der Schulcommission für die edelsten Zwecke der Menschheit geschehe, und was treue Lehrer in Kirchen und Schulen mit dem gewissenhaftesten Eifer zu leisten suchen, fortan nicht ganz aus den Augen verlieren möge.

 Löhe vertheidigte sich gegen die ihm hier zur Last gelegten Beschuldigungen, und es wurden noch einige Schriftstücke hin und her gewechselt, zuletzt aber ließ Löhe, des Streites müde, die Sache auf sich beruhen. Die hiebei gemachten Erfahrungen waren, nach seinem eigenen Ausdruck, für ihn „ein bitterer Wermuthstropfen“, und er wurde über der Unmuße, die sie ihm bereiteten, manchmal „herbstlich sehnsüchtig nach der Ruhe Gottes“.

 Auf der anderen Seite erfuhr Löhe aber auch gerade in Nürnberg viel Liebe. Er erfreute sich hier eines angenehmen Umgangs mit älteren und jüngeren Freunden. Zu den ersteren gehörte außer seinem Hauswirth Herrn A. Volk und seinem Hausgenossen Herrn Helferich (nebst deren Familien) vor allen der nachmalige II. Bürgermeister von Nürnberg Johannes Merkel, ein Mann von Einfalt und Kraft, der es als die höchste Pflicht seines einflußreichen Amtes auffaßte, Christum zu bekennen; sowie| sein lebenslang von ihm hochverehrter Lehrer Rector Roth. In den gastlichen Häusern dieser beiden Männer verbrachte Löhe manchen Abend.[5] Von jüngeren Freunden waren es namentlich Jubitz, Schlier, Zeilinger, der aber noch während Löhe’s Aufenthalt in Nürnberg starb, auch v. Scheurl und Thäter, mit denen er viel umgieng. Die Nähe von Fürth und Erlangen ermöglichte einen lebhaften Verkehr mit seinen Lieben in der Vaterstadt, und den Freunden in Erlangen, v. Raumer, Layriz, Krafft etc. Mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft wurde allwöchentlich eine Zusammenkunft in Wetzendorf veranstaltet, wobei theologische Gegenstände nach vorhergegangener Vorbereitung durchgesprochen wurden.

 Ueber den Eindruck der Persönlichkeit Löhe’s und sein ganzes Auftreten in Nürnberg berichtet ein Freund, Herr Professor v. Scheurl, der damals in sehr vertrautem Umgang mit ihm stand, unter anderm Folgendes:

 „Das jugendliche Alter, in dem er stand, machte sich nur in der Frische, der Lebhaftigkeit und Leichtigkeit, womit er jede Berufsaufgabe bewältigte, und in der Bescheidenheit bemerkbar, womit er Aelteren und Höherstehenden gegenüber trat: die Reife,| die Sicherheit, Ruhe und Besonnenheit, der Ernst und die Würde seines ganzen Wesens und Auftretens ließ ihn wie einen gestandenen Mann erscheinen. Ohne daß ihm feine gefällige Formen oder besondere Gewandtheit des Umgangs eigen gewesen wären, war doch die edle Zartheit und Schicklichkeit seines Benehmens, seine auch im Gespräch hervortretende Redegabe, seine Gemüthstiefe, die sich wohl auch mit trefflichem Humor verbunden zeigen konnte, gewinnend und anziehend genug. Aber was alles andere überragte und beherrschte und worin das eigentliche Geheimnis seiner so mächtigen und ausgebreiteten Wirksamkeit schon in jener frühen Zeit lag, das war sein beständiges Leben in Gott, seine Versenkung in die Ewigkeit, die Festigkeit und Stärke seines christlichen Glaubens, durch den er bereits damals zu dem vollen Frieden der Rechtfertigung durchgedrungen war, und in dem er auf dem Wege der Heiligung gewissen Trittes ohne Wanken und Schwanken einherschritt. Man konnte es an ihm leibhaftig sehen, was der Apostel damit sagen will, wenn er schreibt: ,Ich bin mit Christo gekreuzigt; ich lebe aber, doch nicht ich, sondern Christus lebet in mir, denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes.‘ Er hatte schon jetzt vollständig mit der Welt gebrochen, mit aller Entschiedenheit jedem Anspruch auf weltliche Lust und Ehre entsagt, nur dem Herrn und den Brüdern mit seinen Gaben dienen zu können, war sein Verlangen; ich glaube nicht, daß es ihm Mühe kostete, Versuchungen, sich damit Ruhm oder irgend welchen zeitlichen Gewinn zu verschaffen, Widerstand zu leisten, so nahe ihm dies damals gelegen hätte; ich glaube nicht einmal, daß er sich dazu auch nur versucht fühlte. Es ist mir unvergeßlich, daß Löhe in jener Zeit einmal gegen mich vertraulich eine Art von Grauen zu erkennen gab vor der zu großen Gewalt, welche er durch seine Persönlichkeit auf Andere gegen seine Absicht auszuüben| scheine, und beifügte, er gebe sich alle Mühe es abzuwenden. Was in unserer Zeit überhaupt wohl so sehr Wenige und auch diese fast immer erst im späteren Mannesalter erreichen, nämlich jene Gesundheit des geistlichen Lebens, die in der Unabhängigkeit desselben von wechselnden Stimmungen und Gefühlen besteht, in dem unbedingten, zweifellosen, einfältigen Glaubensgehorsam gegen Gottes Wort, in dem völligen Herausgehen aus sich selbst und dem alleinigen Ruhen auf den göttlichen Verheißungen und Heilsthatsachen, das besaß er damals schon, da er fast noch Jüngling war, in außerordentlichem Maße. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, kann sie am besten aus seiner in jener Zeit oder doch gleich nachher verfaßten Schrift gewinnen: „Von dem göttlichen Wort, als dem Lichte, welches zum Frieden führt.“ Denn wozu er darin Andere ermunterte und anzuleiten suchte, darin lebte er selbst schon damals wirklich. Es gehörte übrigens wohl auch schon zu seiner Naturanlage eine in unseren Tagen höchst seltene Objectivität; vielleicht beruhte darauf nicht zum wenigsten die ungewöhnliche Energie seiner ganzen Persönlichkeit.“

 Doch wir dürfen von Nürnberg nicht Abschied nehmen, ohne noch eines Verhältnisses zu gedenken, das für Löhe’s späteres Leben von größter Wichtigkeit wurde. Im Helferich’schen Hause lernte Löhe seine nachmalige Frau kennen, die damals mit ihrer Mutter vorübergehend in Nürnberg sich aufhielt. Doch lassen wir ihn selbst über die Anknüpfung der ersten Beziehungen zwischen ihm und Jungfrau Helene Andreae berichten.

 In den Erinnerungsblättern, die er kurze Zeit nach dem Tod seiner von ihm so innig geliebten Gattin für seine Kinder schrieb, erzählt er die näheren Umstände, unter welchen er mit ihr bekannt wurde, in folgender Weise.

|  „Am 15. Junius 1834 war ich als Pfarrverweser bei St. Aegidien nach Nürnberg gekommen. Ich zog zu meinem Freund, dem Essigfabrikanten Andreas Volk, in das große Haus, welches auf dem Webersplatz frei steht und deshalb die Insel genannt wird. Meine Stube war einen Stock hoch im Thurm des Hauses, der auf den Webersplatz sieht. Eine große, schön getäfelte und gebohnte, alterthümliche Stube. Eine Stiege höher wohnte eine mir schon seit Jahren bekannte und werthe Familie, die des Onkels meiner seligen Helene, Herrn Christian Helferich. Mit den Familien Volk und Helferich wuchs ich ganz zusammen. Die Wohlthaten, welche mir beide erzeigten, werde ich nie vergessen. – Bei Helferich’s wohnte ein kleines Mädchen von Frankfurt, Caroline Andreae, die Schwester meiner Helene, eine Nichte der Frau Helferich. Da ich diese kannte, so mußte ich am 6. Januar 1835 ihretwegen ein Gutachten abgeben, und dies war die erste Berührung mit meiner nachmaligen Schwiegermutter, Carolinens Mutter, welche mich übrigens aus einem Brief, den ich an Frau Helferich von Kirchenlamitz aus geschrieben hatte, schon kannte.
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 „Caroline, eure Tante, war Ursache, daß eure Großmutter gegen Ende – oder besser in der zweiten Hälfte des Januar 1835 – nach Nürnberg kam und mit ihr eure selige Mutter, welche damals noch nicht sechszehn Jahre alt war. Als ich in meinem Hauspelz einmal die Stiege zu Helferich’s hinaufstieg, sah ich ein schon ziemlich lang gewachsenes Mädchen, das aber in den Gesichtszügen noch etwas sehr Kindliches, obschon auch etwas Bestimmtes hatte, neben Caroline unter einer Kammerthür stehen. Sie sah mich neugierig und lächelnd an. Das war sie. – Am 21. Januar kam sie mit ihrer Mutter auf mein Zimmer, und da ich weiß nicht welche nähere Umstände eure Großmutter zu einem längeren Verweilen in Nürnberg zwangen: so kam sie| alle Tage oder fast alle Tage auf meine Stube, und ich setzte mit Helenen den in Frankfurt begonnenen Confirmandenunterricht fort, gab ihn auch bis zum Schluß. Eure Mutter wußte damals nicht viel, aber Gott gebe euch allen den Fleiß, Eifer und Segen, welchen eure Mutter hatte, wenn ihr zum Confirmandenunterricht kommet. Sie wurde eine einfältige Jüngerin des HErrn, welche alle seine Worte mit Begier ergriff und in ihrem Herzen bewegte.

 „Ich freute mich des geistigen Wachsthums eurer Mutter immer mehr. Sie lernte nicht allein, sie betete viel und erlangte eine heilige Uebung im Gebet; sie unterrichtete kleine Kinder und übte sonst ihr Christenthum, so weit es ihre Kräfte erlaubten. Dabei wurde sie fröhlicher, und das Leben ihrer Seele spiegelte sich in den Zügen ihres kindlichen, unschuldigen Angesichtes.“

 Soweit Löhe über den Anfang seines Bekanntwerdens mit Helene Andreae.

 Obwohl Löhe nach seinem eigenen späteren Geständnis überrascht wurde, als er bemerkte, welch eine Lücke in seinem Innern durch den Weggang seiner jugendlichen Hausgenossin entstand, so findet sich doch in seinen Selbstbekenntnissen aus der Nürnberger Zeit keine Andeutung, daß in ihm bereits damals ein Gedanke bezüglich seines zukünftigen Verhältnisses zu Helene Andreae aufgetaucht wäre.

 Sein Tagebuch, in dem er mit rückhaltlosester Offenheit über die Gedanken und Empfindungen, die ihn bewegten, Rechenschaft gibt, enthält wohl kurz vor und nach dem Weggang der Frau Andreae und ihrer Tochter einige Aeußerungen, die ersehen lassen, daß der Abschied ihn immerhin nahe berührte, keineswegs jedoch weitere Schlüsse zu ziehen gestatten.

 Fast jedoch wäre es Löhe unmöglich geworden, den Confirmandenunterricht Helenen’s zu vollenden. Mit dem 31. März| 1835 war Löhe’s amtliche Thätigkeit in Nürnberg zu Ende gegangen, nachdem er erst die zweite und vom 15. Juli 1834 die dritte Pfarrstelle bei St. Aegidien verwest hatte. Das Consistorium hatte ihn bereits zum Verweser von Emezheim bestimmt; doch waren viele Gründe, die ihm ein längeres Bleiben in Nürnberg wünschenswerth machten. Er hatte bereits einem kranken Landpfarrer in dem Nürnberg nahe gelegenen Dörfchen Behringersdorf seine Dienste zugesagt. Dies Versprechen wünschte er halten zu dürfen. Daß bei diesem Wunsch auch andere Ursachen mitwirkend waren, läugnete er nicht. „Die Confirmation de Marèes und Helenen’s“, sagt er in seinem Tagebuch, „der Zusammenhang mit meinen hiesigen Freunden, das ruhige Studium zum Examen locken mich hier zu bleiben.“ So bat er denn um Entbindung von der ihm übertragenen Verwesung, und, wie es scheint, auf die Verwendung des ihm persönlich wohlwollenden Consistorialraths Fuchs wurde ihm auch seine Bitte gewährt. Am Charfreitag den 17. April 1835 hielt Löhe seine erste Predigt auf seiner neuen Stelle, und hiemit begann seine etwa ein Vierteljahr währende Wirksamkeit in


Behringersdorf.
 In seinen äußeren Verhältnissen hatte sich durch Annahme dieses Vicariates nicht viel geändert. Er wohnte nach wie vor in Nürnberg und gieng oder fuhr zu seinen Amtsverrichtungen nach dem nahen Dörfchen. So konnte er in den alten ihm lieb gewordenen Verhältnissen noch eine Weile fortleben. Seine Wirksamkeit in Behringersdorf war kurz und fand keinen sehr günstigen Boden. Die Gemeinde Behringersdorf scheint erst nach Löhe’s Weggang erkannt zu haben, was sie an ihm besaß, wenigstens sagt Löhe, daß das Kirchlein immer voller von Besuchern| von Nürnberg als von den Landleuten der Gemeinde war. Einer, der diese Zeit mit durchlebt hat, erzählt, was es für eine überaus liebliche Sonntagsfeier gewesen sei, am stillen Morgen in der vollen Pracht und dem Blüthenduft des Frühlings in Schaaren zu dem ländlichen Gotteshäuschen zu wallen. Dort in Behringersdorf confirmierte Löhe am Pfingstmontag den 8. Juni seine Schülerin Helene. In den schon oben erwähnten Erinnerungsblättern für seine Kinder erzählt er die Feier dieses Tages wie folgt: „Meine Zeit der Amtsführung bei St. Aegidien hatte aufgehört. Ich sollte entweder in Würzburg oder Emezheim Vicar werden, verbat mir aber beides und sagte meine Dienste dem Pfarrer Glaser in Behringersdorf zu, welcher, selbst noch jung, wegen Krankheit Aushülfe bedurfte. Behringersdorf liegt circa 2 Stunden von Nürnberg. Die Kirche war immer mehr von Nürnbergern als von den Landleuten der Gemeinde besucht. Eure Großmutter und Mutter fehlten nie oder fast nie. In der Kirche zu Behringersdorf ist eure Mutter confirmiert worden. Am 5. Junius vor Tisch brachte sie mir ihre Beichte schriftlich. Ich habe sie lange aufbewahrt und sie erst vor einigen Monaten vertilgt, da ich sie viel schöner beichten hörte und dachte, die erste Beichte möchte euch einmal in die Hände kommen. Ich war jenes Mal sehr erbaut. Ich schrieb eurer Mutter an demselben Tag eine Anweisung zum christlichen Leben, welche sie sehr in Ehren hielt, aber nach ihrer Verheirathung weglieh, ohne sie wieder bekommen zu können. – Am 7. Junius 1835, dem Pfingstsonntag jenes Jahres, hielt ich den Confirmanden von Behringersdorf Privatbeichte vor dem Gottesdienste. Nachmittags hielt ich öffentliche Beichte, bei welcher auch eure Mutter und Großmutter war und absolviert wurde. Am 8. Junius 1835 wurde eure gute Mutter confirmiert und empfieng die erste Communion. Sie blühte vor| Lieb und Lust zu Gott und Gottes Wort. Der Tag ist ihr unvergeßlich gewesen. Sie hat ihn jährlich gefeiert, und ich erinnere mich, daß sie auch dies Jahr ihn mit Dank begieng. Ich schenkte ihr damals das Communionbuch von Fresenius. Ihre Mutter gab ihr eine Bibel und eine Sammlung von Gedenkblättern – und eure Mutter schrieb sich selbst gar Schönes dazu. Ihr Vater schenkte ihr einen schönen Ring mit den Symbolen von Glaube, Liebe, Hoffnung. Ich durfte ihr den Ring in des Vaters Namen überliefern. – Nach der Communion fuhr ich mit den Familien Helferich und v. Raumer nach Nürnberg, und ich weiß noch, wie fröhlich eure Mutter war. Ich sah sie noch am Abend in Helferich’s Garten – und es that mir weh, daß ich nun aufhören sollte, ihr Lehrer zu sein. Ich habe nie eine solche Schülerin gehabt. Der Herr hatte es alles so gefügt, auf daß sie je länger je mehr ganz mein würde. – Ach, wie beweine ichs, daß sie mir nun so weit voraus geeilt ist, daß sie vollkommen ist und ich so unvollkommen im Erdenthale wandele.“
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 Wenige Tage nach der Confirmation Helenen’s reisten Mutter und Tochter von Nürnberg ab. Auch einige andere von den bisherigen Hausgenossen Löhe’s verließen um diese Zeit Nürnberg, so daß das bis vor kurzem so belebte Haus nun leerer und stiller wurde. Da gab es Abschiedswehe von mancherlei Art. Schon am Tage vor Frau Andreae’s Abreise schrieb Löhe in sein Tagebuch: „Es nimmt alles ein Ende und mein Herz wird einige heilsame Schnitte von der Hippe des himmlischen Weingärtners erhalten. Diese Stunden sind zu Ende. – Frau Andreae und ihre Helene, welche mir bei manchem Jammer doch auch manche Freude gemacht haben, gehen morgen in ihre Heimath, mit ihnen L. W., an deren Gegenwart im Hause man sich auch gewöhnt hatte. Ferner El. geht auch nächstens in| ihre neue Heimath, das Haus wird leer, endlich, denn ich habe gestern dem Glaser aufgesagt – wandre ich auch weiter. Siehe da, das ist das menschliche Leben. Es muß alles zu einem Untergang kommen und das ist gut! Gott sei dennoch gelobt, der uns das beste Theil gibt und nicht mehr nimmt!“ –

 Auch in den Aufzeichnungen der nächsten Tage ist der Nachklang des Abschiedswehes noch vernehmlich. „Mein Herz thut mir doch recht weh vom Abschied meiner Leute“, heißt es da einmal und ein anderesmal: „noch immer ist meine Seele nicht frei von den Abschiedswehen meiner Frankfurter.“ – Aeußerungen, die jedenfalls zeigen, wie eng er mit seinen bisherigen Hausgenossen zusammen gewachsen war, und es begreiflich machen, wie später, als er sich entschloß, sich eine Lebensgefährtin zu wählen, seine Gedanken zu Helenen sich zurück lenkten.

 Zunächst aber hatte er ganz an etwas anderes zu denken, nämlich an das Anstellungsexamen, das in Bayern fünf Jahre nach der Annahmsprüfung stattzufinden pflegt. Jedermann, der in der Lage war, weiß, wie wenig erquicklich die Vorbereitung auf ein Examen und sonderlich auf dieses ist. Die Kürze der Zeit, welche das Amt für das Examenstudium übrig läßt, die deshalb unvermeidliche Hast und Unruhe dieses Studiums, die Ueberladung des Gedächtnisses mit massenhaftem Detail, die Ungewohntheit schulmäßigen Lernens, nachdem man doch schon Jahrelang sich in einer praktischen Thätigkeit geübt, alle die Umstände vereinigen sich, um einem Candidaten die letzten Wochen und Monate vor diesem Examen sauer zu machen. Löhe fühlte nach seiner eigenthümlichen Anlage alle diese Erschwernisse mehr als andere, wie mancher Seufzer in seinem Tagebuch beweist. Dennoch fand er gerade in dieser angestrengten Zeit Muße zum Entwurf einer| seiner gesegnetsten Schriften, des Communionbüchleins.[6] Auch las er damals viel in Hamanns Schriften, und manche Excerpte in seinem Tagebuch zeugen von dem Fleiß, den er auf diese Lectüre verwandte. Bemerkenswerth erscheint es, daß Löhe bei der Lectüre von Hamanns Leben in gewisser Beziehung eine Aehnlichkeit seines eigenen geistigen Wesens mit dem Hamanns zu entdecken glaubte. „Aus Hamann“, sagt er in seinem Tagebuch, „wird mirs recht klar, daß ich mein Lebtage statt eines ruhigen Menschen, wofür ich gehalten werde, vielmehr, mehr als andere Menschen, ein Feuerkopf und unruhiges Gemüth bin, zu nichts tauglich als den eigenen Brei auszukochen und die wunderbaren Wege, welche der Herr mich führt, stößt und treibt, mit immerwährender Reaction des inwendigen Bösewichts zu wandeln.“ – Unter Mühsal und Arbeit giengen die wenigen Wochen, die Löhe sich für die Vorbereitung auf das Examen frei gemacht hatte, schnell vorüber, und der Termin des Examens stand bevor. Beim Abschied fragte ihn Rector Roth scherzend, ob er sich aus der zweiten oder dritten Note nichts mache? Löhe erwiderte darauf, er möchte allerdings eine gute Note haben, denn bei der Zuversicht, mit der er rede, liege die Vermuthung nahe, daß er viel wisse, und wenn diese Vermuthung wegfiele, würden viele sein Evangelium desto mehr verachten, doch sei es ihm kein sonderlicher Herzstoß, wenn er ein schlechtes Examen mache.
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 Sein Gang zum Examen war zugleich sein Weggang von Nürnberg, wo er, seitdem sein Verhältnis zu Pfarrer Glaser sich gelöst hatte (seit dem 28. Juni), ohne eine amtliche Stellung zugebracht hatte. Da galt es manchfache Bande der Freundschaft[7]| und Seelsorge zu lösen. Als dies geschehen, trat Löhe am 4. August die Reise nach Ansbach an. Am Vorabend vor seiner Abreise schloß er sein Tagebuch mit den Worten: „Vale, mein Tagebuch, so lange der HErr will. Ich gehe jetzt schlafen und wenn ich erwache, in ein leichtes Examen; wenn nicht, in ein Examen, welches mein Richter für mich bestanden hat. Halleluja.“

 Hier theilen wir aus dem Lebenslauf, den Löhe vorschriftsmäßig bei der Anmeldung zum Examen einreichte, eine Stelle mit, welche mit Löhe’s eigenen Worten eine Ueberschau seiner Candidatenjahre gibt.

 „Die wenigen Monate von der Zeit meines Universitätsabganges – Pfingsten 1830 – bis zum Aufnahmsexamen brachte ich im mütterlichen Hause zu. Nach dem Examen fand ich auch einige Monate keine meinem Berufe entsprechende Arbeit. Meine ersten Uebungen im Amte stellte ich theils in Unterleinleiter bei Streitberg, theils in Streitberg, theils auch in Aufseß in Abwesenheit oder Krankheit der mir befreundeten Pfarrer an. Am 25. Julius 1831, am Tage Jakobi des Größeren, wurde ich zu Ansbach als Vicar des II. Pfarrers zu Fürth G. M. Ebert ordiniert, ein Tag, welcher mir unvergeßlich bleiben wird, so lange ich lebe. Da ich Pfarrer Eberts erster Vicar war, und er sich erst, an Thätigkeit gewöhnt, an eine Vertretung gewöhnen mußte; so fand ich wenig zu thun und lebte in einem| nicht sehr erfreulichen Verhältnis, welches durch Verschiedenheit der Glaubensgrundsätze zwischen Pfarrer und Vicar nur erschwert wurde. Erwünscht kam mir daher ein Ruf, Vicar des ersten Pfarrers Decan Sommer zu Kirchenlamitz, Decanats Wunsiedel, zu werden. Am 20. October 1831 traf ich in Kirchenlamitz ein. Der HErr war mit mir und gab Glück zu meiner Arbeit und der Gemeinde nicht geringen Segen. Bis in die ersten Monate des Jahres 1834, beinahe zwei einhalb Jahre, lebte ich dort, von Decan Sommer väterlich, von dessen Collegen Pfarrer Georg brüderlich, von der Gemeinde als ein Bote des Friedens getragen und geliebt. Bei großer Liebe konnte ich mich in manche Anfeindung finden; und da mein Gott mich demüthigte und mich denen entriß, bei denen ich gerne die Kraft meiner Jugend verzehrt hätte, gab er mir dazu ein leichtes und stilles Herz.

 „Ich bedurfte der Erholung, denn nachdem ich von Jugend auf im Haupte sehr gelitten hatte, hatte sich um die Erntezeit Gesichtsrose eingestellt, welche scheinbar glücklich geheilt, hernach Anlaß gab, daß der rechte Oberkiefer meines Hauptes von Knochenfraß angegriffen wurde; so daß ich am 19. November 1833 einen Theil davon herausnehmen lassen mußte. So gut alles gieng, und obwohl ich meine Amtsgeschäfte fast ohne Störung fortsetzte, war ich dennoch etwas angegriffen. Die ruhigen Tage, welche ich hierauf in meiner Familie zu Fürth verlebte, dienten mir zur Erholung.

 „Vom Sonntag Rogate des vorigen Jahres an versah ich einige Zeit die Stelle des Pfarrers Kindler bei St. Martha dahier zu Nürnberg. Darauf übertrug mir das Consistorium zu Ansbach die Verwesung der zweiten, danach die der dritten Pfarrstelle bei St. Aegidien dahier, welche ich unter göttlichem Segen bis Ende März dieses Jahres führte. Hierauf erlaubte| mir ein königliches Consistorium, mein dem kranken Pfarrer Glaser zu Behringersdorf gegebenes Wort, ihn bis Juli zu vertreten, – zu halten, und als dessen Vicar schreibe ich diesen unbedeutenden Lebenslauf.

 „Ich habe Gelegenheit gehabt, in allerlei Praxis des Amtes in meinen verschiedenen Anstellungen, durch den Umgang mit erfahrenen Geistlichen und durch von Gott geschenktes Zutrauen vieler Menschen manche Erfahrung zu sammeln, die mir das geistliche Amt in seiner Würde wie auch in seiner Bürde deutlich zeigt. Ich habe mein Leben und die wenige Kraft dem praktischen Amte gewidmet, wie geschrieben ist: ,Eins bitt ich vom Herrn, das hätte ich gerne, daß ich bleiben möge im Hause des Herrn mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu besuchen.‘ Psalm 27, 4.

 „Bei diesem vorherrschend praktischen Streben habe ich nicht versäumt zu studieren. Allein theils mein Ungeschick, theils mein schwaches Gedächtnis hat mich zur Gelehrsamkeit untüchtig gemacht. Nach dem Preise der Gelehrsamkeit zu trachten hat mir mein Amt verwehrt. Mein Gemüth hat sich darein gefunden, ich gehe dem Examen mit der stillen Hoffnung entgegen, der HErr werde mir insoweit die Zufriedenheit meiner Oberen schenken, als nöthig ist, das geistliche Amt, sei es auf dem Lande oder sei es in der Stadt, zu führen.“

 Vom 2. bis zum 8. August bestand Löhe sein Examen. Seine Predigt, welche er in der Johannis-Kirche zu Ansbach hielt, wurde günstig beurtheilt, im übrigen aber scheint er nicht von allen Examinatoren mit gleicher Billigkeit behandelt worden zu sein. Er hat sich später gelegentlich manchmal darüber geäußert, wie eine Arbeit von ihm über das hl. Abendmahl, in der er sich unumwunden zur lutherischen Sacramentslehre bekannte, von dem Examinator mit einer Art von Entrüstung bei| Seite gelegt worden sei, wie man ihm zugerufen habe: „vim insitam doctrina promove.“ An einen Freund schrieb er, das Examen sei gut vorüber, doch habe er genug ,kayserlichen‘ Witz und Hohn ausgestanden. Man nannte ihn, was ihm besonders empfindlich gewesen zu sein scheint, ,einen ungeschliffenen Edelstein‘. Er scheint hiebei das Adjectiv zu sehr im Vergleich zu dem Substantiv betont zu haben. Er erhielt in diesem Examen die Note II. Sehr gut; dem Vorzüglich nahe.

 Als er fröhlich aus dem Examensaal zum letzten Mal in den Gasthof zurückkehrte, erwarteten ihn daselbst seine Freunde von Fürth und Nürnberg. Mit ihnen reiste er am Nachmittag nach beendetem Examen von Ansbach ab. „Wir fuhren“, schreibt er, „um 4 Uhr mit einander nach Lichtenau, einer Festung, welche als Zuchthaus dient. Wir sahen die Sträflinge mit ihren klirrenden Ketten, ihren Kugeln – und ihren Kainsgesichtern. Darauf fuhren wir nach Windsbach, wo ich am Sonntag über Apostelgeschichte 5, 1–11 (von der Gemeinschaft der Heiligen, dem getheilten Herzen des Heuchlers und Gottes Gerichten im Neuen Testament) predigte. Es waren viele Leute tagereisenweit hergekommen: denn mein Name ist wie die Pest bekannt. Am Abend fuhren wir über Schwabach heim. –

 „Wegen meiner Zukunft bin ich in Verlegenheit. Man hat mir Anerbietungen gemacht, wiewohl ich auch den meisten meiner Obern zu mystisch bin. Vielleicht werde ich auf eine Expositur gesetzt, d. i. auf eine neu entstehende Pfarrei, die Vicarien übergeben wird, um erst gesammelt zu werden. Dann habe ich mich entschlossen, Schulpräparanden anzunehmen, die ich kenne (von Kirchenlamitz), von denen einer kochen, der andere fegen muß, und ich halte hausväterlich Ordnung, wozu ich Talent habe. Nicht wahr?

 „Sie werden ein wenig über meine zukünftige Wirthschaft| lachen. Aber was soll ich thun? – Mein gegenwärtiger Zustand ist kritisch genug. Aber es muß sich doch bald etwas entscheiden, und ich weiß, daß mich mein Gott nicht verlassen noch versäumen wird. Er war mein Gott von meiner Mutter Leibe an: Er wird mich leiten nach Seinem Rath und mich endlich zu Ehren annehmen. Sein Name sei gelobt!“

 Die Muße der nun folgenden Wochen verwendete Löhe zu schriftstellerischer Thätigkeit. Die Arbeit an dem Communionbüchlein wurde fortgesetzt, die Vater-Unser-Predigten zum Druck vorbereitet und in Lauf, wo Löhe vom 5. bis 20. September die zweite Pfarrstelle verweste, im Manuscript vollendet.

 Die Publication dieser Arbeit sollte nach Löhe’s Sinn eine Anfrage bei Gott sein, ob er berufen sei dem Reiche Gottes mit Schreiben zu dienen. Schon im nächsten Jahre wurde eine neue Auflage der Vater-Unser-Predigten nöthig, und Löhe war damit eine unverkennbare göttliche Antwort auf seine Anfrage gegeben. Wie reich war seine hiemit eröffnete schriftstellerische Thätigkeit von Gott gesegnet, und wie ist es zu bedauern, daß seine spätere Ueberbürdung mit Geschäften ihm so wenig Muße zu schriftstellerischen Arbeiten ließ, und so viele Conceptionen dieses schöpferischen Geistes Entwürfe blieben.

 Nach vierzehn Tagen war Löhe’s Aufenthalt in Lauf, wo er sich ziemlich einsam fühlte, „doch nur des Tages, nicht des Nachts, von wegen der Wanzen salva venia“ wie er scherzend einem Freunde schreibt, zu Ende, und ein Decret des Consistoriums berief ihn nach Altdorf.





  1. Einer der wenigen noch lebenden Freunde Löhe’s aus jener Zeit schreibt uns über den näheren Hergang seiner Berufung nach Nürnberg folgendes: „In dem Kreis des seligen Tobias Kießling hörten wir zum [218] ersten Mal von Löhe, der damals Vicar in Kirchenlamitz war. Im Frühling 1834 kam er selbst nach Fürth zurück, und ich hörte ihn zum ersten Mal in der hiesigen St. Martha-Kirche predigen. Der Eingang zu dieser Predigt steht heute noch wörtlich in meinem Gedächtnis. ,Die Welt ist schön‘ so fieng er an, ,das sage ich mir tausend Mal, wenn ich im Frühling durch die grünenden Wiesen gehe und dem Gesang der Lerchen lausche etc.‘ und nun kam ein Lobgesang auf den, der diese schöne Welt gemacht hatte, daß es mir durch Mark und Bein gieng, und ich niemals etwas solches gehört zu haben glaubte. Wir wurden rasch bekannt und befreundet, da er einige Wochen lang den abwesenden Pfarrer bei St. Martha vertrat. Damals war die zweite Stelle bei St. Aegidien vacant und sollte verwest werden; Löhe’s Freunde waren bald darüber einig, daß er Verweser werden sollte. Es wurde sofort eine Eingabe an das Consistorium gemacht, und viele Hände erhoben sich täglich, um das göttliche ,Placet‘ dafür zu erlangen. Bald kam seine Ernennung.“
  2. Ein Augenzeuge erzählte uns: wenn Löhe predigte, seien die Räume der Aegidienkirche bis auf den letzten Sitz gefüllt, ja auch die Gänge zwischen den Sitzreihen so dicht besetzt gewesen, daß man meinen konnte, es sei auch nicht für Einen mehr Platz vorhanden. Einen Gemeindegesang wie damals, wenn die Tausende von Zuhörern nach geendigter Predigt das von Löhe strophenweise vorgesagte Lied nachsangen, habe er sein Lebtage nicht mehr gehört. Am Ausgang der Kirche sei er (der Erzähler) einmal an zwei jungen Leuten, anscheinend Commis, vorüber gegangen, von denen unter dem Eindruck einer eben gehörten Predigt Löhe’s der eine zu dem andern sagte: „Jetzt das ist aber ein Kerl.“
  3. Diese Stelle vom Zugvieh scheint ein ganz besonderes Aergernis gegeben zu haben, weshalb auch ein wohlmeinender Freund Löhe’s es für nöthig hielt, ihn zur Vorsicht zu mahnen.
     „Ich weiß, Du wirst meine armseligen Bemerkungen nicht verachten, wie Du die boshaften der Dorfzeitung verachten kannst, obwohl ich mit derselben darin übereinstimme, daß solche Details, wie vom trübblickenden Stier, einem Schelling, der sie im Auditorium vorliest, mit Bewunderung nachgesagt, einem Prediger des Evangeliums aber von seinen unphilosophischen Zuhörern verübelt werden. Die seufzende Creatur bleibt für uns ein furchtbares Räthsel, über welches wir nur Ahnungen, Ansichten aussprechen können in Abhandlungen und noch besser in freundschaftlichen Gesprächen (wie mich denn die Dorfzeitung alsbald an Deine Aeußerungen in Berlin [223] erinnert hat, wo wir von Hegels concreter Angst Gottes redeten), aber nicht vor dem Volke, das der Milchspeise bedarf.
     „Also – verscheuche und verschüchtere das Käuzlein nicht, das aus der Wüste und Einsamkeit hineinruft in die Hauptstadt, nicht als wollte es Tod verkünden, sondern um an Eurem Leben sich zu freuen. Sei Du ein Licht auf dem Leuchter, das Allen leuchtet, auch der Lichtputze, die bisweilen dem Lichte naht, als wäre sie neidisch auf den Glanz desselben. Aber nein! obwohl sie selber ist ‚finster, kalt und trübe‘, möchte sie doch im Kleinen dem scheinenden Lichte dienen und wie eine sorgsame und sparsame Hausmutter die Räuber wegnehmen, die der Aberglaube für Rosen und Briefboten ansieht, die aber dem Lichte schnellere Verzehrung und dem forschenden Auge Schmerzen bringen.
    Dein 
    dankbarer H.“ 
  4. Uebrigens verkannte Löhe den Nutzen einer streng thematischen Predigtweise nicht und bediente sich, getreu seinem Grundsatz: Summa utilitas omnis regula derselben gar oft, wenn er seinen Zuhörern eine göttliche Wahrheit besonders wichtig machen oder überhaupt mit einer Predigt einen bestimmten Zweck erreichen wollte.
  5. Auch das Ehepaar Fabricius, desgleichen Naumann, Fleischmann gehörten diesem Kreise an, in welchem bei gleicher Entschiedenheit der christlichen Gesinnung doch auch eine gewisse Verschiedenheit der Richtung sich geltend machte. Löhe urtheilt über diese Differenzen in einer eben so nüchternen als für ihn charakteristischen Weise wie folgt: „Es sind Zerwürfnisse aufgekommen, welche, auf Verschiedenheit der Richtung beruhend, zwar kaum gehoben werden können, aber wohl besprochen, damit man lerne ruhig neben einander stehen und seine Lasten gegenseitig tragen bis ans Ende. Ist ja viele und ächte Liebe dabei wohl möglich! – Ich bin mehr ein Orthodoxer, ohne Speners etc. herrlichen Willen zu verachten oder abzuwehren. – N. etc. sind mehr pietistisch und mystisch, was wohl zusammengeht. Es hat auch Francke ein Buch von Molinos herausgegeben.“
  6. Die Arbeit wurde jedoch zurückgelegt und das Schriftchen erschien erst 1837 im Druck.
  7. [243] Ueber die Weise, in der er von seinem Hauswirth Abschied nahm, erzählt letzterer folgendes: „Charakteristisch für den jungen Mann war sein Abschied aus meinem Hause. Er bat mich mit der lieben Hausmutter auf sein Zimmer und sagte: ,Ich habe mich lange für die Liebe, die ich in Ihrem Hause empfangen habe, auf eine Gegengabe besonnen und kann keine bessere finden, als daß ich Sie beide auf die Sünden aufmerksam mache, vor denen Sie sich am meisten zu hüten haben.


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