Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)/Fünftes Kapitel
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Löhe’s Verteidigung wurde vom Consistorium zu Ansbach in jeder Hinsicht für genügend erachtet, und der unterm 2. November 1834 auf den decanatlichen Bericht ergangene Bescheid war für den vom Magistrat der Stadt Nürnberg so hart Angeklagten die glänzendste Rechtfertigung. Dieser Erlaß macht durch die Entschiedenheit, mit welcher das Consistorium des so ungerecht Verleumdeten sich annahm, einen so günstigen Eindruck, daß wir glauben ihn hier in extenso mittheilen zu sollen.
„Im Namen Seiner Majestät des Königs.
„Unter diesen Umständen hält man sich nicht ermächtigt, den Pfarrverweser Löhe von seinem Vicariat abzurufen.
„Die beiden vorgelegten Predigten wird man späterhin dem Candidaten Löhe zurückstellen lassen, da man sie noch zur Berichterstattung an das Königliche Oberconsistorium bedarf. Daß sie sich genau an den Sinn des Textes anschließen, was zu geflissentlichen Misdeutungen mag Anlaß gegeben haben, kann man nicht misbilligen. Da sie überdies das Gepräge eines hohen sittlichen Ernstes tragen und mit großem Nachdruck ihren Gegenstand behandeln, so kann man im Allgemeinen nichts dagegen erinnern, vielmehr muß man bezweifeln, ob es günstiger für Belebung christlicher Gesinnung wirken würde, wenn ein allzu großes Gewicht auf die Einkleidung der einfachen Wahrheit nach dem Geschmacke des Tages gelegt würde.
„Ansbach, den 28. October 1834.
Nach Anführung dieser Aeußerungen Löhe’s zergliedert dann der Lehrer die gemischten Empfindungen, „die sich bei jenem Vorgang in ihm bewegten“.
„Erstens“, sagt er, „stieg in mir ein gewiß gerechter Unwille auf über die Anmaßung, die sich der Herr Pfarrverweser erlaubte.
„Aber auch zweitens betrübte mich die Ungerechtigkeit, mit der er über die Leistungen der hiesigen Volksschullehrer in Betreff des Religionsunterrichts urtheilte.
„Drittens konnte ich mich nicht enthalten über die Unklugheit ungehalten zu sein, mit der Herr Löhe in der Kirche gegen unsere Schulen mit Vorwürfen auftrat.
„Was aber der Unklugheit des Herrn Pfarrverwesers noch vollends die Krone aufsetzte, so sprach er seine Schmähungen über alle Kinder aus: ,Alle, Alle wisset ihr nicht so viel, als Kinder sonst von sechs Jahren.‘
„Und endlich möchte ich auch den Herrn Pfarrverweser, den Lehrer des freundlichen Christenthums, fragen: wo bleibt denn bei Ihnen die Liebe, die mehr werth ist als Ihre Distinctionen von einer streitenden und triumphierenden Kirche und wie die übrigen Wortbestimmungen noch lauten?“
Die in Wirklichkeit viel unschuldiger klingenden Aeußerungen Löhe’s werden hier zu gehässigen Verwerfungsurtheilen und zu unbefugten Eingriffen in die Rechte der Schulcommission gestempelt und auf Grund von dem allen wird dann der Antrag auf zureichenden Schutz der Lehrer von Seiten der Local-Schulcommission gegen solche Unziemlichkeiten gestellt. Die Local-Schulcommission eignete sich diesen Antrag an und ersuchte das Decanat, Herrn Pfarrverweser Löhe zu überzeugen, daß für Katechismuskenntnis in den Nürnberger Volksschulen alles geschehe,| was auf irgend eine Weise zu fordern sei; ferner ihn aufzufordern, sich an den in den Schulen gebraucht werdenden Junker’-schen Bibelkatechismus zu halten, damit die Kinder nicht durch eigentlich für den Confirmandenunterricht gehörige Fragen wie die von der streitenden und triumphierenden Kirche verwirrt werden; drittens aber auch dem Herrn Pfarrverweser Löhe bemerklich zu machen, daß er den gesegneten Wirkungen des Schulunterrichts durch gehässige Verwerfungsurtheile, die unverdient und unverständig genug nachgesprochen werden und gar schnell Anklang finden, wenn sie auch grundlos sind, nicht ferner in Katechisationen entgegen treten solle, und die Achtung gegen das, was unter Beaufsichtigung der Schulcommission für die edelsten Zwecke der Menschheit geschehe, und was treue Lehrer in Kirchen und Schulen mit dem gewissenhaftesten Eifer zu leisten suchen, fortan nicht ganz aus den Augen verlieren möge.Löhe vertheidigte sich gegen die ihm hier zur Last gelegten Beschuldigungen, und es wurden noch einige Schriftstücke hin und her gewechselt, zuletzt aber ließ Löhe, des Streites müde, die Sache auf sich beruhen. Die hiebei gemachten Erfahrungen waren, nach seinem eigenen Ausdruck, für ihn „ein bitterer Wermuthstropfen“, und er wurde über der Unmuße, die sie ihm bereiteten, manchmal „herbstlich sehnsüchtig nach der Ruhe Gottes“.
Auf der anderen Seite erfuhr Löhe aber auch gerade in Nürnberg viel Liebe. Er erfreute sich hier eines angenehmen Umgangs mit älteren und jüngeren Freunden. Zu den ersteren gehörte außer seinem Hauswirth Herrn A. Volk und seinem Hausgenossen Herrn Helferich (nebst deren Familien) vor allen der nachmalige II. Bürgermeister von Nürnberg Johannes Merkel, ein Mann von Einfalt und Kraft, der es als die höchste Pflicht seines einflußreichen Amtes auffaßte, Christum zu bekennen; sowie| sein lebenslang von ihm hochverehrter Lehrer Rector Roth. In den gastlichen Häusern dieser beiden Männer verbrachte Löhe manchen Abend.[5] Von jüngeren Freunden waren es namentlich Jubitz, Schlier, Zeilinger, der aber noch während Löhe’s Aufenthalt in Nürnberg starb, auch v. Scheurl und Thäter, mit denen er viel umgieng. Die Nähe von Fürth und Erlangen ermöglichte einen lebhaften Verkehr mit seinen Lieben in der Vaterstadt, und den Freunden in Erlangen, v. Raumer, Layriz, Krafft etc. Mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft wurde allwöchentlich eine Zusammenkunft in Wetzendorf veranstaltet, wobei theologische Gegenstände nach vorhergegangener Vorbereitung durchgesprochen wurden.Ueber den Eindruck der Persönlichkeit Löhe’s und sein ganzes Auftreten in Nürnberg berichtet ein Freund, Herr Professor v. Scheurl, der damals in sehr vertrautem Umgang mit ihm stand, unter anderm Folgendes:
„Das jugendliche Alter, in dem er stand, machte sich nur in der Frische, der Lebhaftigkeit und Leichtigkeit, womit er jede Berufsaufgabe bewältigte, und in der Bescheidenheit bemerkbar, womit er Aelteren und Höherstehenden gegenüber trat: die Reife,| die Sicherheit, Ruhe und Besonnenheit, der Ernst und die Würde seines ganzen Wesens und Auftretens ließ ihn wie einen gestandenen Mann erscheinen. Ohne daß ihm feine gefällige Formen oder besondere Gewandtheit des Umgangs eigen gewesen wären, war doch die edle Zartheit und Schicklichkeit seines Benehmens, seine auch im Gespräch hervortretende Redegabe, seine Gemüthstiefe, die sich wohl auch mit trefflichem Humor verbunden zeigen konnte, gewinnend und anziehend genug. Aber was alles andere überragte und beherrschte und worin das eigentliche Geheimnis seiner so mächtigen und ausgebreiteten Wirksamkeit schon in jener frühen Zeit lag, das war sein beständiges Leben in Gott, seine Versenkung in die Ewigkeit, die Festigkeit und Stärke seines christlichen Glaubens, durch den er bereits damals zu dem vollen Frieden der Rechtfertigung durchgedrungen war, und in dem er auf dem Wege der Heiligung gewissen Trittes ohne Wanken und Schwanken einherschritt. Man konnte es an ihm leibhaftig sehen, was der Apostel damit sagen will, wenn er schreibt: ,Ich bin mit Christo gekreuzigt; ich lebe aber, doch nicht ich, sondern Christus lebet in mir, denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes.‘ Er hatte schon jetzt vollständig mit der Welt gebrochen, mit aller Entschiedenheit jedem Anspruch auf weltliche Lust und Ehre entsagt, nur dem Herrn und den Brüdern mit seinen Gaben dienen zu können, war sein Verlangen; ich glaube nicht, daß es ihm Mühe kostete, Versuchungen, sich damit Ruhm oder irgend welchen zeitlichen Gewinn zu verschaffen, Widerstand zu leisten, so nahe ihm dies damals gelegen hätte; ich glaube nicht einmal, daß er sich dazu auch nur versucht fühlte. Es ist mir unvergeßlich, daß Löhe in jener Zeit einmal gegen mich vertraulich eine Art von Grauen zu erkennen gab vor der zu großen Gewalt, welche er durch seine Persönlichkeit auf Andere gegen seine Absicht auszuüben| scheine, und beifügte, er gebe sich alle Mühe es abzuwenden. Was in unserer Zeit überhaupt wohl so sehr Wenige und auch diese fast immer erst im späteren Mannesalter erreichen, nämlich jene Gesundheit des geistlichen Lebens, die in der Unabhängigkeit desselben von wechselnden Stimmungen und Gefühlen besteht, in dem unbedingten, zweifellosen, einfältigen Glaubensgehorsam gegen Gottes Wort, in dem völligen Herausgehen aus sich selbst und dem alleinigen Ruhen auf den göttlichen Verheißungen und Heilsthatsachen, das besaß er damals schon, da er fast noch Jüngling war, in außerordentlichem Maße. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, kann sie am besten aus seiner in jener Zeit oder doch gleich nachher verfaßten Schrift gewinnen: „Von dem göttlichen Wort, als dem Lichte, welches zum Frieden führt.“ Denn wozu er darin Andere ermunterte und anzuleiten suchte, darin lebte er selbst schon damals wirklich. Es gehörte übrigens wohl auch schon zu seiner Naturanlage eine in unseren Tagen höchst seltene Objectivität; vielleicht beruhte darauf nicht zum wenigsten die ungewöhnliche Energie seiner ganzen Persönlichkeit.“Doch wir dürfen von Nürnberg nicht Abschied nehmen, ohne noch eines Verhältnisses zu gedenken, das für Löhe’s späteres Leben von größter Wichtigkeit wurde. Im Helferich’schen Hause lernte Löhe seine nachmalige Frau kennen, die damals mit ihrer Mutter vorübergehend in Nürnberg sich aufhielt. Doch lassen wir ihn selbst über die Anknüpfung der ersten Beziehungen zwischen ihm und Jungfrau Helene Andreae berichten.
In den Erinnerungsblättern, die er kurze Zeit nach dem Tod seiner von ihm so innig geliebten Gattin für seine Kinder schrieb, erzählt er die näheren Umstände, unter welchen er mit ihr bekannt wurde, in folgender Weise.
| „Am 15. Junius 1834 war ich als Pfarrverweser bei St. Aegidien nach Nürnberg gekommen. Ich zog zu meinem Freund, dem Essigfabrikanten Andreas Volk, in das große Haus, welches auf dem Webersplatz frei steht und deshalb die Insel genannt wird. Meine Stube war einen Stock hoch im Thurm des Hauses, der auf den Webersplatz sieht. Eine große, schön getäfelte und gebohnte, alterthümliche Stube. Eine Stiege höher wohnte eine mir schon seit Jahren bekannte und werthe Familie, die des Onkels meiner seligen Helene, Herrn Christian Helferich. Mit den Familien Volk und Helferich wuchs ich ganz zusammen. Die Wohlthaten, welche mir beide erzeigten, werde ich nie vergessen. – Bei Helferich’s wohnte ein kleines Mädchen von Frankfurt, Caroline Andreae, die Schwester meiner Helene, eine Nichte der Frau Helferich. Da ich diese kannte, so mußte ich am 6. Januar 1835 ihretwegen ein Gutachten abgeben, und dies war die erste Berührung mit meiner nachmaligen Schwiegermutter, Carolinens Mutter, welche mich übrigens aus einem Brief, den ich an Frau Helferich von Kirchenlamitz aus geschrieben hatte, schon kannte.„Ich freute mich des geistigen Wachsthums eurer Mutter immer mehr. Sie lernte nicht allein, sie betete viel und erlangte eine heilige Uebung im Gebet; sie unterrichtete kleine Kinder und übte sonst ihr Christenthum, so weit es ihre Kräfte erlaubten. Dabei wurde sie fröhlicher, und das Leben ihrer Seele spiegelte sich in den Zügen ihres kindlichen, unschuldigen Angesichtes.“
Soweit Löhe über den Anfang seines Bekanntwerdens mit Helene Andreae.
Obwohl Löhe nach seinem eigenen späteren Geständnis überrascht wurde, als er bemerkte, welch eine Lücke in seinem Innern durch den Weggang seiner jugendlichen Hausgenossin entstand, so findet sich doch in seinen Selbstbekenntnissen aus der Nürnberger Zeit keine Andeutung, daß in ihm bereits damals ein Gedanke bezüglich seines zukünftigen Verhältnisses zu Helene Andreae aufgetaucht wäre.
Sein Tagebuch, in dem er mit rückhaltlosester Offenheit über die Gedanken und Empfindungen, die ihn bewegten, Rechenschaft gibt, enthält wohl kurz vor und nach dem Weggang der Frau Andreae und ihrer Tochter einige Aeußerungen, die ersehen lassen, daß der Abschied ihn immerhin nahe berührte, keineswegs jedoch weitere Schlüsse zu ziehen gestatten.
Fast jedoch wäre es Löhe unmöglich geworden, den Confirmandenunterricht Helenen’s zu vollenden. Mit dem 31. März| 1835 war Löhe’s amtliche Thätigkeit in Nürnberg zu Ende gegangen, nachdem er erst die zweite und vom 15. Juli 1834 die dritte Pfarrstelle bei St. Aegidien verwest hatte. Das Consistorium hatte ihn bereits zum Verweser von Emezheim bestimmt; doch waren viele Gründe, die ihm ein längeres Bleiben in Nürnberg wünschenswerth machten. Er hatte bereits einem kranken Landpfarrer in dem Nürnberg nahe gelegenen Dörfchen Behringersdorf seine Dienste zugesagt. Dies Versprechen wünschte er halten zu dürfen. Daß bei diesem Wunsch auch andere Ursachen mitwirkend waren, läugnete er nicht. „Die Confirmation de Marèes und Helenen’s“, sagt er in seinem Tagebuch, „der Zusammenhang mit meinen hiesigen Freunden, das ruhige Studium zum Examen locken mich hier zu bleiben.“ So bat er denn um Entbindung von der ihm übertragenen Verwesung, und, wie es scheint, auf die Verwendung des ihm persönlich wohlwollenden Consistorialraths Fuchs wurde ihm auch seine Bitte gewährt. Am Charfreitag den 17. April 1835 hielt Löhe seine erste Predigt auf seiner neuen Stelle, und hiemit begann seine etwa ein Vierteljahr währende Wirksamkeit in
Auch in den Aufzeichnungen der nächsten Tage ist der Nachklang des Abschiedswehes noch vernehmlich. „Mein Herz thut mir doch recht weh vom Abschied meiner Leute“, heißt es da einmal und ein anderesmal: „noch immer ist meine Seele nicht frei von den Abschiedswehen meiner Frankfurter.“ – Aeußerungen, die jedenfalls zeigen, wie eng er mit seinen bisherigen Hausgenossen zusammen gewachsen war, und es begreiflich machen, wie später, als er sich entschloß, sich eine Lebensgefährtin zu wählen, seine Gedanken zu Helenen sich zurück lenkten.
Zunächst aber hatte er ganz an etwas anderes zu denken, nämlich an das Anstellungsexamen, das in Bayern fünf Jahre nach der Annahmsprüfung stattzufinden pflegt. Jedermann, der in der Lage war, weiß, wie wenig erquicklich die Vorbereitung auf ein Examen und sonderlich auf dieses ist. Die Kürze der Zeit, welche das Amt für das Examenstudium übrig läßt, die deshalb unvermeidliche Hast und Unruhe dieses Studiums, die Ueberladung des Gedächtnisses mit massenhaftem Detail, die Ungewohntheit schulmäßigen Lernens, nachdem man doch schon Jahrelang sich in einer praktischen Thätigkeit geübt, alle die Umstände vereinigen sich, um einem Candidaten die letzten Wochen und Monate vor diesem Examen sauer zu machen. Löhe fühlte nach seiner eigenthümlichen Anlage alle diese Erschwernisse mehr als andere, wie mancher Seufzer in seinem Tagebuch beweist. Dennoch fand er gerade in dieser angestrengten Zeit Muße zum Entwurf einer| seiner gesegnetsten Schriften, des Communionbüchleins.[6] Auch las er damals viel in Hamanns Schriften, und manche Excerpte in seinem Tagebuch zeugen von dem Fleiß, den er auf diese Lectüre verwandte. Bemerkenswerth erscheint es, daß Löhe bei der Lectüre von Hamanns Leben in gewisser Beziehung eine Aehnlichkeit seines eigenen geistigen Wesens mit dem Hamanns zu entdecken glaubte. „Aus Hamann“, sagt er in seinem Tagebuch, „wird mirs recht klar, daß ich mein Lebtage statt eines ruhigen Menschen, wofür ich gehalten werde, vielmehr, mehr als andere Menschen, ein Feuerkopf und unruhiges Gemüth bin, zu nichts tauglich als den eigenen Brei auszukochen und die wunderbaren Wege, welche der Herr mich führt, stößt und treibt, mit immerwährender Reaction des inwendigen Bösewichts zu wandeln.“ – Unter Mühsal und Arbeit giengen die wenigen Wochen, die Löhe sich für die Vorbereitung auf das Examen frei gemacht hatte, schnell vorüber, und der Termin des Examens stand bevor. Beim Abschied fragte ihn Rector Roth scherzend, ob er sich aus der zweiten oder dritten Note nichts mache? Löhe erwiderte darauf, er möchte allerdings eine gute Note haben, denn bei der Zuversicht, mit der er rede, liege die Vermuthung nahe, daß er viel wisse, und wenn diese Vermuthung wegfiele, würden viele sein Evangelium desto mehr verachten, doch sei es ihm kein sonderlicher Herzstoß, wenn er ein schlechtes Examen mache.Hier theilen wir aus dem Lebenslauf, den Löhe vorschriftsmäßig bei der Anmeldung zum Examen einreichte, eine Stelle mit, welche mit Löhe’s eigenen Worten eine Ueberschau seiner Candidatenjahre gibt.
„Die wenigen Monate von der Zeit meines Universitätsabganges – Pfingsten 1830 – bis zum Aufnahmsexamen brachte ich im mütterlichen Hause zu. Nach dem Examen fand ich auch einige Monate keine meinem Berufe entsprechende Arbeit. Meine ersten Uebungen im Amte stellte ich theils in Unterleinleiter bei Streitberg, theils in Streitberg, theils auch in Aufseß in Abwesenheit oder Krankheit der mir befreundeten Pfarrer an. Am 25. Julius 1831, am Tage Jakobi des Größeren, wurde ich zu Ansbach als Vicar des II. Pfarrers zu Fürth G. M. Ebert ordiniert, ein Tag, welcher mir unvergeßlich bleiben wird, so lange ich lebe. Da ich Pfarrer Eberts erster Vicar war, und er sich erst, an Thätigkeit gewöhnt, an eine Vertretung gewöhnen mußte; so fand ich wenig zu thun und lebte in einem| nicht sehr erfreulichen Verhältnis, welches durch Verschiedenheit der Glaubensgrundsätze zwischen Pfarrer und Vicar nur erschwert wurde. Erwünscht kam mir daher ein Ruf, Vicar des ersten Pfarrers Decan Sommer zu Kirchenlamitz, Decanats Wunsiedel, zu werden. Am 20. October 1831 traf ich in Kirchenlamitz ein. Der HErr war mit mir und gab Glück zu meiner Arbeit und der Gemeinde nicht geringen Segen. Bis in die ersten Monate des Jahres 1834, beinahe zwei einhalb Jahre, lebte ich dort, von Decan Sommer väterlich, von dessen Collegen Pfarrer Georg brüderlich, von der Gemeinde als ein Bote des Friedens getragen und geliebt. Bei großer Liebe konnte ich mich in manche Anfeindung finden; und da mein Gott mich demüthigte und mich denen entriß, bei denen ich gerne die Kraft meiner Jugend verzehrt hätte, gab er mir dazu ein leichtes und stilles Herz.„Ich bedurfte der Erholung, denn nachdem ich von Jugend auf im Haupte sehr gelitten hatte, hatte sich um die Erntezeit Gesichtsrose eingestellt, welche scheinbar glücklich geheilt, hernach Anlaß gab, daß der rechte Oberkiefer meines Hauptes von Knochenfraß angegriffen wurde; so daß ich am 19. November 1833 einen Theil davon herausnehmen lassen mußte. So gut alles gieng, und obwohl ich meine Amtsgeschäfte fast ohne Störung fortsetzte, war ich dennoch etwas angegriffen. Die ruhigen Tage, welche ich hierauf in meiner Familie zu Fürth verlebte, dienten mir zur Erholung.
„Vom Sonntag Rogate des vorigen Jahres an versah ich einige Zeit die Stelle des Pfarrers Kindler bei St. Martha dahier zu Nürnberg. Darauf übertrug mir das Consistorium zu Ansbach die Verwesung der zweiten, danach die der dritten Pfarrstelle bei St. Aegidien dahier, welche ich unter göttlichem Segen bis Ende März dieses Jahres führte. Hierauf erlaubte| mir ein königliches Consistorium, mein dem kranken Pfarrer Glaser zu Behringersdorf gegebenes Wort, ihn bis Juli zu vertreten, – zu halten, und als dessen Vicar schreibe ich diesen unbedeutenden Lebenslauf.„Ich habe Gelegenheit gehabt, in allerlei Praxis des Amtes in meinen verschiedenen Anstellungen, durch den Umgang mit erfahrenen Geistlichen und durch von Gott geschenktes Zutrauen vieler Menschen manche Erfahrung zu sammeln, die mir das geistliche Amt in seiner Würde wie auch in seiner Bürde deutlich zeigt. Ich habe mein Leben und die wenige Kraft dem praktischen Amte gewidmet, wie geschrieben ist: ,Eins bitt ich vom Herrn, das hätte ich gerne, daß ich bleiben möge im Hause des Herrn mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu besuchen.‘ Psalm 27, 4.
„Bei diesem vorherrschend praktischen Streben habe ich nicht versäumt zu studieren. Allein theils mein Ungeschick, theils mein schwaches Gedächtnis hat mich zur Gelehrsamkeit untüchtig gemacht. Nach dem Preise der Gelehrsamkeit zu trachten hat mir mein Amt verwehrt. Mein Gemüth hat sich darein gefunden, ich gehe dem Examen mit der stillen Hoffnung entgegen, der HErr werde mir insoweit die Zufriedenheit meiner Oberen schenken, als nöthig ist, das geistliche Amt, sei es auf dem Lande oder sei es in der Stadt, zu führen.“
Vom 2. bis zum 8. August bestand Löhe sein Examen. Seine Predigt, welche er in der Johannis-Kirche zu Ansbach hielt, wurde günstig beurtheilt, im übrigen aber scheint er nicht von allen Examinatoren mit gleicher Billigkeit behandelt worden zu sein. Er hat sich später gelegentlich manchmal darüber geäußert, wie eine Arbeit von ihm über das hl. Abendmahl, in der er sich unumwunden zur lutherischen Sacramentslehre bekannte, von dem Examinator mit einer Art von Entrüstung bei| Seite gelegt worden sei, wie man ihm zugerufen habe: „vim insitam doctrina promove.“ An einen Freund schrieb er, das Examen sei gut vorüber, doch habe er genug ,kayserlichen‘ Witz und Hohn ausgestanden. Man nannte ihn, was ihm besonders empfindlich gewesen zu sein scheint, ,einen ungeschliffenen Edelstein‘. Er scheint hiebei das Adjectiv zu sehr im Vergleich zu dem Substantiv betont zu haben. Er erhielt in diesem Examen die Note II. Sehr gut; dem Vorzüglich nahe.Als er fröhlich aus dem Examensaal zum letzten Mal in den Gasthof zurückkehrte, erwarteten ihn daselbst seine Freunde von Fürth und Nürnberg. Mit ihnen reiste er am Nachmittag nach beendetem Examen von Ansbach ab. „Wir fuhren“, schreibt er, „um 4 Uhr mit einander nach Lichtenau, einer Festung, welche als Zuchthaus dient. Wir sahen die Sträflinge mit ihren klirrenden Ketten, ihren Kugeln – und ihren Kainsgesichtern. Darauf fuhren wir nach Windsbach, wo ich am Sonntag über Apostelgeschichte 5, 1–11 (von der Gemeinschaft der Heiligen, dem getheilten Herzen des Heuchlers und Gottes Gerichten im Neuen Testament) predigte. Es waren viele Leute tagereisenweit hergekommen: denn mein Name ist wie die Pest bekannt. Am Abend fuhren wir über Schwabach heim. –
„Wegen meiner Zukunft bin ich in Verlegenheit. Man hat mir Anerbietungen gemacht, wiewohl ich auch den meisten meiner Obern zu mystisch bin. Vielleicht werde ich auf eine Expositur gesetzt, d. i. auf eine neu entstehende Pfarrei, die Vicarien übergeben wird, um erst gesammelt zu werden. Dann habe ich mich entschlossen, Schulpräparanden anzunehmen, die ich kenne (von Kirchenlamitz), von denen einer kochen, der andere fegen muß, und ich halte hausväterlich Ordnung, wozu ich Talent habe. Nicht wahr?
„Sie werden ein wenig über meine zukünftige Wirthschaft| lachen. Aber was soll ich thun? – Mein gegenwärtiger Zustand ist kritisch genug. Aber es muß sich doch bald etwas entscheiden, und ich weiß, daß mich mein Gott nicht verlassen noch versäumen wird. Er war mein Gott von meiner Mutter Leibe an: Er wird mich leiten nach Seinem Rath und mich endlich zu Ehren annehmen. Sein Name sei gelobt!“Die Muße der nun folgenden Wochen verwendete Löhe zu schriftstellerischer Thätigkeit. Die Arbeit an dem Communionbüchlein wurde fortgesetzt, die Vater-Unser-Predigten zum Druck vorbereitet und in Lauf, wo Löhe vom 5. bis 20. September die zweite Pfarrstelle verweste, im Manuscript vollendet.
Die Publication dieser Arbeit sollte nach Löhe’s Sinn eine Anfrage bei Gott sein, ob er berufen sei dem Reiche Gottes mit Schreiben zu dienen. Schon im nächsten Jahre wurde eine neue Auflage der Vater-Unser-Predigten nöthig, und Löhe war damit eine unverkennbare göttliche Antwort auf seine Anfrage gegeben. Wie reich war seine hiemit eröffnete schriftstellerische Thätigkeit von Gott gesegnet, und wie ist es zu bedauern, daß seine spätere Ueberbürdung mit Geschäften ihm so wenig Muße zu schriftstellerischen Arbeiten ließ, und so viele Conceptionen dieses schöpferischen Geistes Entwürfe blieben.
Nach vierzehn Tagen war Löhe’s Aufenthalt in Lauf, wo er sich ziemlich einsam fühlte, „doch nur des Tages, nicht des Nachts, von wegen der Wanzen salva venia“ wie er scherzend einem Freunde schreibt, zu Ende, und ein Decret des Consistoriums berief ihn nach Altdorf.
- ↑ Einer der wenigen noch lebenden Freunde Löhe’s aus jener Zeit schreibt uns über den näheren Hergang seiner Berufung nach Nürnberg folgendes: „In dem Kreis des seligen Tobias Kießling hörten wir zum [218] ersten Mal von Löhe, der damals Vicar in Kirchenlamitz war. Im Frühling 1834 kam er selbst nach Fürth zurück, und ich hörte ihn zum ersten Mal in der hiesigen St. Martha-Kirche predigen. Der Eingang zu dieser Predigt steht heute noch wörtlich in meinem Gedächtnis. ,Die Welt ist schön‘ so fieng er an, ,das sage ich mir tausend Mal, wenn ich im Frühling durch die grünenden Wiesen gehe und dem Gesang der Lerchen lausche etc.‘ und nun kam ein Lobgesang auf den, der diese schöne Welt gemacht hatte, daß es mir durch Mark und Bein gieng, und ich niemals etwas solches gehört zu haben glaubte. Wir wurden rasch bekannt und befreundet, da er einige Wochen lang den abwesenden Pfarrer bei St. Martha vertrat. Damals war die zweite Stelle bei St. Aegidien vacant und sollte verwest werden; Löhe’s Freunde waren bald darüber einig, daß er Verweser werden sollte. Es wurde sofort eine Eingabe an das Consistorium gemacht, und viele Hände erhoben sich täglich, um das göttliche ,Placet‘ dafür zu erlangen. Bald kam seine Ernennung.“
- ↑ Ein Augenzeuge erzählte uns: wenn Löhe predigte, seien die Räume der Aegidienkirche bis auf den letzten Sitz gefüllt, ja auch die Gänge zwischen den Sitzreihen so dicht besetzt gewesen, daß man meinen konnte, es sei auch nicht für Einen mehr Platz vorhanden. Einen Gemeindegesang wie damals, wenn die Tausende von Zuhörern nach geendigter Predigt das von Löhe strophenweise vorgesagte Lied nachsangen, habe er sein Lebtage nicht mehr gehört. Am Ausgang der Kirche sei er (der Erzähler) einmal an zwei jungen Leuten, anscheinend Commis, vorüber gegangen, von denen unter dem Eindruck einer eben gehörten Predigt Löhe’s der eine zu dem andern sagte: „Jetzt das ist aber ein Kerl.“
- ↑ Diese Stelle vom Zugvieh scheint ein ganz besonderes Aergernis gegeben zu haben, weshalb auch ein wohlmeinender Freund Löhe’s es für nöthig hielt, ihn zur Vorsicht zu mahnen.
„Ich weiß, Du wirst meine armseligen Bemerkungen nicht verachten, wie Du die boshaften der Dorfzeitung verachten kannst, obwohl ich mit derselben darin übereinstimme, daß solche Details, wie vom trübblickenden Stier, einem Schelling, der sie im Auditorium vorliest, mit Bewunderung nachgesagt, einem Prediger des Evangeliums aber von seinen unphilosophischen Zuhörern verübelt werden. Die seufzende Creatur bleibt für uns ein furchtbares Räthsel, über welches wir nur Ahnungen, Ansichten aussprechen können in Abhandlungen und noch besser in freundschaftlichen Gesprächen (wie mich denn die Dorfzeitung alsbald an Deine Aeußerungen in Berlin [223] erinnert hat, wo wir von Hegels concreter Angst Gottes redeten), aber nicht vor dem Volke, das der Milchspeise bedarf.
„Also – verscheuche und verschüchtere das Käuzlein nicht, das aus der Wüste und Einsamkeit hineinruft in die Hauptstadt, nicht als wollte es Tod verkünden, sondern um an Eurem Leben sich zu freuen. Sei Du ein Licht auf dem Leuchter, das Allen leuchtet, auch der Lichtputze, die bisweilen dem Lichte naht, als wäre sie neidisch auf den Glanz desselben. Aber nein! obwohl sie selber ist ‚finster, kalt und trübe‘, möchte sie doch im Kleinen dem scheinenden Lichte dienen und wie eine sorgsame und sparsame Hausmutter die Räuber wegnehmen, die der Aberglaube für Rosen und Briefboten ansieht, die aber dem Lichte schnellere Verzehrung und dem forschenden Auge Schmerzen bringen.Deindankbarer H.“ - ↑ Uebrigens verkannte Löhe den Nutzen einer streng thematischen Predigtweise nicht und bediente sich, getreu seinem Grundsatz: Summa utilitas omnis regula derselben gar oft, wenn er seinen Zuhörern eine göttliche Wahrheit besonders wichtig machen oder überhaupt mit einer Predigt einen bestimmten Zweck erreichen wollte.
- ↑ Auch das Ehepaar Fabricius, desgleichen Naumann, Fleischmann gehörten diesem Kreise an, in welchem bei gleicher Entschiedenheit der christlichen Gesinnung doch auch eine gewisse Verschiedenheit der Richtung sich geltend machte. Löhe urtheilt über diese Differenzen in einer eben so nüchternen als für ihn charakteristischen Weise wie folgt: „Es sind Zerwürfnisse aufgekommen, welche, auf Verschiedenheit der Richtung beruhend, zwar kaum gehoben werden können, aber wohl besprochen, damit man lerne ruhig neben einander stehen und seine Lasten gegenseitig tragen bis ans Ende. Ist ja viele und ächte Liebe dabei wohl möglich! – Ich bin mehr ein Orthodoxer, ohne Speners etc. herrlichen Willen zu verachten oder abzuwehren. – N. etc. sind mehr pietistisch und mystisch, was wohl zusammengeht. Es hat auch Francke ein Buch von Molinos herausgegeben.“
- ↑ Die Arbeit wurde jedoch zurückgelegt und das Schriftchen erschien erst 1837 im Druck.
- ↑ [243] Ueber die Weise, in der er von seinem Hauswirth Abschied nahm, erzählt letzterer folgendes: „Charakteristisch für den jungen Mann war sein Abschied aus meinem Hause. Er bat mich mit der lieben Hausmutter auf sein Zimmer und sagte: ,Ich habe mich lange für die Liebe, die ich in Ihrem Hause empfangen habe, auf eine Gegengabe besonnen und kann keine bessere finden, als daß ich Sie beide auf die Sünden aufmerksam mache, vor denen Sie sich am meisten zu hüten haben.‘“
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