Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)/Viertes Kapitel

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Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)
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Viertes Kapitel.
Kirchenlamitz.




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Kirchenlamitz.

 Nach seiner Rückkehr vom Donaumoos rüstete sich Löhe zur Abreise nach Kirchenlamitz. Ueber die Verhältnisse seines zukünftigen Aufenthaltsortes und Wirkungskreises war er durch einen Brief des Decan Sommer im Allgemeinen schon orientiert worden. Derselbe hatte unterm 30. September Folgendes geschrieben.


Kirchenlamitz, den 30. September 1831.

 Wohlehrwürdiger Herr Candidat!

 „Daß Sie sich als meinen Vicarius berufen fühlen und diesem Rufe willig folgen, vernahm ich mit Vergnügen von meinem Herrn Tochtermann, dem Pfarrer Erb in Münchberg, vermittelst Ihres Schreibens, d. d. Fürth, den 25. August d. J. Sie werden ein biblischer Prediger sein, und das ist mir natürlich sehr lieb. Dazu sind wir eigentlich berufen. Der Wirkungskreis meiner Pfarrstelle wird Ihnen vor- und beiläufig bekannt gemacht worden sein. Ausgänge ex officio gibt es nur sehr wenige; dennoch werden Sie zu thun haben, jedoch für einen gewandten jungen Mann gar nicht zu viel. Ich hoffe in Ihnen einen Stellvertreter zu erhalten, der nicht täglich fünf bis sechs Stunden im Wirthshaus sitzt und spielt und Bällen beiwohnt, denn gerade da lernt man die Frauenzimmer als Hausfrauen am wenigsten kennen. Uebrigens liebe ich in Gott und Christo heitere, zufriedene und fröhliche Gemüther. Von dieser Art| werden ohne Zweifel auch Sie sein, sonst würde Sie mir mein Herr Tochtermann nicht empfohlen haben.

 „So seien Sie mir denn herzlich willkommen und stets mein Hausfreund.

 Ihr

ergebener Diener und Freund
Sommer, 
erster Pfarrer in Kirchenlamitz.“


 Am 20. October traf Löhe in Kirchenlamitz, einem im Norden von Oberfranken am Fuß des Fichtelgebirgs gelegenen Marktflecken, ein. Der Mond schien reich und voll über die weißen Häuser von Kirchenlamitz, als Löhe vom Berg herab dem Marktflecken zufuhr, und er begrüßte im Stillen den Ackerboden, wo seine junge Hand zuerst säen oder gießen sollte.

 Im Pfarrhaus wurde er freundlichst ausgenommen. Als sein treuer Freund Ritter, der ihn bis an seinen neuen Bestimmungsort begleitet hatte, sich noch am Abend von ihm verabschiedete, da übermannte Löhe doch das Gefühl des Alleinseins. Er weinte in seinem einsamen Stüblein.

 Bereits am folgenden Tag begann aber für ihn die Thätigkeit. Das, wonach er in Fürth vergebens sich gesehnt hatte, bekam er nun in vollem Maße, nämlich Arbeit. Nach dieser Seite entsprach das Vicariat ganz seinen Wünschen. In pecuniärer Hinsicht freilich war seine Stellung keine glänzende, und in Anbetracht der Leistungen, die von ihm gefordert wurden, war die Remuneration, die er erhielt, eine selbst nach damaligen Verhältnissen höchst bescheidene zu nennen. Er scherzte selbst oft in späteren Jahren, was für ein billiger Vicar er seiner Zeit gewesen sei.

 Wir theilen den Vertrag mit, der zwischen seinem „alten Herrn“ und ihm abgeschlossen wurde.


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Vertrag zwischen dem ersten Pfarrer Sommer zu Kirchenlamitz und seinem Herrn Vicar Löhe aus Fürth.
I.
1. Der Herr Vicar hat alle Verrichtungen, welche dem ersten Pfarrer nach der sich bei der Pfarrei befindenden Kirchendienst-Ordnung, sowie nach der Observanz zukommen; dann
2. die sämmtlichen Arbeiten für die Landgerichte und Physikate und die kirchenstatistische Tabelle.
 Die Kirchenregister führt der Pfarrer selbst, so lange er kann. Reichen aber seine Kräfte nicht mehr zu, dann hat Herr Vicarius Alles ohne Ausnahme zu thun.
II.

 Der Herr Vicarius erhält Quartier, Kost, Licht, Wäsche und monatlich 7 fl. in baarem Gelde im ersten Jahr, im zweiten Jahr monatlich 8 fl.

 Zur Bestätigung unserer gegenseitigen Zufriedenheit folgen nun unsere Unterschriften.

 Kirchenlamitz, den 24. October 1831.

 Carl Christian Sommer.
 Wilhelm Löhe.

 Nachträglich wird noch bemerkt, daß auch der Confirmanden-Unterricht und der Schulbesuch auf den Dörfern und im Markte mit zu den Vicariatsgeschäften gehören.

 Sommer.
 Wilhelm Löhe.


 Nach diesem Vertrag fielen Löhe die sämmtlichen Sonn- und Festtagspredigten, mit Ausnahme der Nachmittagspredigten an hohen Feiertagen, ferner die Leichenpredigten und Beichtreden,| desgleichen auch die bei einem so ausgedehnten Kirchensprengel zahlreichen pfarramtlichen Geschäfte zu. Auch der Besuch der Schulen, der ihm oblag, war ein erkleckliches Stück Arbeit. Außer den drei Schulen im Markt selbst hatte er noch zum Theil entlegene acht Dorfschulen zu besuchen. Die Lehrer dieser Schulen waren nicht für das Lehrfach gebildete Leute, sondern einfache Handwerker. Der eine war seines Zeichens Maurer, der andere zu gleicher Zeit Gemeinde-Hirt, und es läßt sich sonach schließen, in welch primitivem Zustand das Schulwesen auf diesen Dörfern sich befunden haben wird. In einer dieser Schulen mußte ein Theil der Knaben auf dem Boden kauern, weil kein Tisch vorhanden war. Löhe that, was in seinen Kräften stand zur Hebung dieser Schulen und zur Fortbildung ihrer Lehrer. Er versammelte sie wöchentlich einmal, gab ihnen Unterricht im Schreiben und anderen gemeinnützigen Kenntnissen, ließ die Beuggener Blätter unter ihnen circulieren und suchte auch sonst auf allerlei Weise sie geistig und sittlich zu heben. Seine Bemühungen fanden theilweise dankbare Anerkennung und blieben auch nicht ohne Segen. „Zusehends“, konnte er schon nach einigen Monaten schreiben, – „besserts sich in meinen Landschulen.“ Auch die Kirchen füllten sich in erfreulicher Weise. „Daß ich“, – schreibt er aus der ersten Zeit seines Kirchenlamitzer Aufenthalts, – „zwar viel geliebt, aber trotz all meiner Schwachheit ein gefürchteter Popanz der ganzen Gegend bin, muß wahr sein. Meine Kirche zählt fast so viel Fremde als Pfarrkinder, sie kommen oft vier Stunden weit, meine Bücher und Tractate werden bis in die Pfalz hinunter gestreut, es läuft alles zu mir. Da hast Du meinen eitlen Ruhm. Bete, daß der Herr mit mir sei und sein Wort segne.“ Sogar Wochenbetstunden wurden auf Anregung der Gemeinde eingerichtet und abwechselnd von Löhe und dem zweiten Pfarrer| gehalten. Es erwachte in der Gemeinde ein reges geistliches Leben; nicht blos aus dem Volk, sondern auch aus den gebildeteren Kreisen fand gar manche ernste und entschiedene Bekehrung zum HErrn statt.
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 Unter allen Erfahrungen dieser Art war es für Löhe wohl die freudenreichste, daß er die Seele seines Amtsbruders für den Herrn und zugleich auch für sich gewann. Der erste Eindruck, den Georg, so hieß der zweite Pfarrer in Kirchenlamitz, auf Löhe bei dessen Antrittsbesuch machte, war wenn auch kein abstoßender, so doch auch kein günstiger. Pfarrer Georg war damals ein großer Pferde- und Hunde-Liebhaber, und zufällig war der geliebte Hund, als Löhe seinen Antrittsbesuch machte, leidend. Löhe schmeichelte sich in die Gunst des Pfarrers nicht wenig dadurch ein, daß er dem vierfüßigen Patienten sofort eine homöopathische Arzenei verschrieb. Da die Arzenei wirkte, so wurde der Vierfüßler in Zukunft als eine Art Versuchsobject benützt, um die Wirkung homöopathischer Arzeneien zu erproben. Auch für Pferde hatte Pfarrer Georg eine solche Leidenschaft, daß er, wenn ein Wagen vorüber fuhr, selbst aus der Sacristei lief, in der er vielleicht den Augenblick vorher seinem Unmuth gegen den jungen Vicar so laut Luft gemacht hatte, daß derselbe seine Expectorationen bis auf die Kanzel hören konnte. Löhe schreibt von der ersten Begegnung mit Georg an seinen Freund Kündinger: „Mit dem zweiten Pfarrer Georg habe ich ein stundenlanges Gespräch über religiöse Dinge gehalten und ihn nicht so gar bier-tümpfelig, nur etwas roh, aber sehr gutmüthig gefunden. Er hat sich diesen Nachmittag die Evangelische Kirchenzeitung bei mir holen lassen. Er hat heute auch den Vorgottesdienst mit gebührender Ehrfurcht, auch die Consecration zum heiligen Abendmahl gehalten, – wollen für ihn beten.“ Dies war Löhe’s erster Eindruck von Georg. Aber| bald gieng in dieses Mannes Seele eine wunderbare Veränderung vor, und seine im Grunde nicht unedle, wenn auch verkommene Natur wurde unter dem Einfluß der Gnade von ihren Schlacken gereinigt und mehr und mehr ins Bild Christi verklärt.

 Wie oft bewunderte Löhe Georgs Fortschreiten im Guten und bekannte, daß er Ursache habe, sich innerlich vor ihm zu schämen. Für Löhe war es ein freudenreiches Schauspiel, der Arbeit des Geistes Gottes an dieser Seele zusehen zu dürfen. „Heute“ – lesen wir in seinem Tagebuch vom 28. December 1831 – „begleitete ich mit Pfarrer Georg unsere Gäste auf den Berg nach Münchberg zu. Es war ein kalter, frischer Wintermorgen, vom Berg herab sah man so schön herein ins kalte, leise mit Schnee bedeckte Thal. Und neben mir gieng die aufwachende Georgen-Seele voll Ahnung und kämpfender Seligkeit. Ach befestige, heilige ihn in Deiner Wahrheit.“ Schon die nächste briefliche Aeußerung Löhe’s über Georg lautet um ein Bedeutendes hoffnungsreicher als seine erste. „Freuen wird Dich’s, was ich über den hiesigen zweiten Pfarrer Georg zu schreiben habe. So oft ich mit ihm rede, hat er immer weniger gegen unseren theuren Glauben einzuwenden: er ist sehr gutmüthig und ich muß mich manchmal vor ihm schämen. Vorigen Mittwoch hatte er die Adventspredigt, die evangelisch war; und sehr sehr evangelisch, warm und schön war die Beichtrede, die er gestern 95 Beichtkindern und mir hielt. O, wenn er das Wirthshaus ganz lassen könnte; es fehlt ihm, scheint es, fast nichts als eine bessere Gesellschaft. Die Vorgottesdienste, die er hält, sind erheblich, es ist heimlich und schön in unserm Kirchlein. Wenn nur Georg ganz unser Bruder würde.“

 So wars freilich nicht, daß das Werk der Bekehrung bei Georg immer stillen und gleichmäßigen Fortgang hatte. Es| wogte und gährte gewaltig in dieser Seele von inneren Kämpfen. In einem seiner Briefe beschreibt Löhe einen der stürmischen Auftritte, die er mit Georg hatte.

 „Mein Bruder Georg geht an Gottes Hand; zwar möchten ihn seine Freunde gerne wieder auf jene Seite ziehen, es gelingt ihnen auch öfters Stürme in ihm aufzuregen, wie wir sie nicht erlebt haben, mein Bruder! Ungestüm kommt er dann zu mir und sagt mir gerad heraus, wie lieb es ihm oft wäre, wenn ich nie einen Fuß in Kirchenlamitz hereingesetzt. Er disputiert dann und bringt Einwendungen vor, die mir oft seltsam genug vorkommen. Aber dann später gewinnt er wieder alles Vertrauen, ich bin ihm dann lieb und wie ein Augapfel. Neulich war er verreist und auch bei Göring, und wie er wieder kam, sah er mich gar nicht an. Dazu bekam er damals einen Brief, wo er vor mir als einem ,bösen Geiste‘ gewarnt und befürchtet wurde, er möchte mir schon ,verfallen‘ sein und unter meinem Dominio stehen. Aber es dauerte nicht lang – er ist zu gutmüthig, um so eine Entfremdung zu ertragen – er kam mit einem Blatte und machte aus dem heraus allerlei alberne Einwendungen, z. B. ob wir Mystiker nicht einen geheimen Bund, geheime Obere, geheime, nicht zu Gottes Ehre hinauslaufende Zwecke hätten? Ob nicht das Werk, das er in sich spüre, blos Schein und Mystification sei und der Glaube ein Nichts? Warum sein ganzer Körperzustand ein anderer geworden sei? Woher es komme, daß er gähnen müsse, wenn er mit Mystikern von mystischen Dingen rede, und dasselbe auch bei andern bemerke? Ob es nicht magnetisches Zeug sei? Er habe seitdem öfter Kopfweh, selbst sein leibliches Befinden nehme Theil? Ob es nothwendig sei, sich durchaus von Gesellschaften loszusagen? u. s. w.

 „Nach gehöriger Widerlegung gieng er heim. Abends kam| er mit dem Candidaten B., der auch ein Zweifler ist, aber kein böser. Da brachte das Gespräch wieder manches in Ordnung.

 „Am andern Tag hatte ich wieder eine Leichenpredigt, und er begleitete mich bis in die Sacristei und sprach: ,Ich will doch mein Vertrauen auf Gott nicht sinken lassen und in Gottes Namen auch Dir mein Vertrauen nicht entziehen. Habe Geduld mit mir! Strafe mich nur und schone nicht, ich will Dirs ewiglich danken.‘ Du lieber Gott! Nun wars wieder gut und geht nun seitdem besser. Bet, lieber Bruder, auch für Deinen Bruder Georg.“

 So kämpfte es in dieser Seele, doch wurde das Gericht in ihr hinausgeführt zum Siege.

 Bald wurden Löhe und Georg unzertrennliche Freunde. Bereits am frühen Morgen um 1/26 Uhr lasen sie mit einander ein Kapitel aus der hebräischen Bibel und in der Regel kamen sie zwei- bis dreimal des Tags zu gemeinschaftlichen Studien oder auch brüderlichem Gespräch zusammen. „Wir streiten alle Tage mit einander und können doch nicht von einander lassen“, sagt Löhe von diesem Zusammensein. Fiel in der Hitze des Disputierens manchmal ein herbes Wort, so folgte gewiß der Beleidigung eine Abbitte auf dem Fuß, um jede Gefahr einer Spannung oder Entfremdung schon im Anfang zu beseitigen. Beide beichteten sich gegenseitig, wenn sie zum Sacramente giengen, sie theilten Freud und Leid, auch Schmach und Verfolgung mit einander. Ihre Freundschaft war selbst beim Consistorium bekannt, so daß ihrer in tadelnden Rescripten Erwähnung geschah. Daß bei täglich mehrfachem Zusammensein während mehrerer Jahre sich dieses Freundschaftsverhältnis nicht abnutzte, sondern ungetrübt auch über die Zeit des beiderseitigen Aufenthaltes in Kirchenlamitz bis zum frühen Tode Georgs fortbestand und fester wurde, mag ein Beweis von dessen Innigkeit und| Echtheit sein. Es war dies wohl das schönste und ungetrübteste Freundschaftsverhältnis, welches sich in Löhe’s Leben knüpfte.

 Außerdem stand Löhe auch mit einigen anderen Geistlichen in der Nachbarschaft in brüderlichem Verkehr. So mit dem von ihm besonders geschätzten Pfarrer Renzel in Schwarzenbach a. S. und einem jungen Vicar in Markt Leuthen, Namens Seyler, der kurz vorher zu einem lebendigen Christenthum erweckt, damals im ersten Feuer der Liebe zu Jesu stand. Mit beiden und noch einigen gleichgesinnten Freunden aus dem Laienstand kam Löhe und Georg in der günstigeren Jahreszeit auf einer ungefähr in der Mitte zwischen ihren verschiedenen Wohnorten gelegenen Einöde, der Schieda, zusammen. „Da halten wir“ – schreibt Löhe – „im Sommer gar schöne Conventicula bei Bier und Rettig. Wenn die Sonne so schön scheint, ist das prächtig, ich freue mich, wenn es Frühling werden wird.“

 Der Verkehr mit diesen ihm gleichgesinnten Amtsbrüdern war für Löhe anregend und erquicklich, um so mehr, als er aus dem Umgang mit seinem alten Herrn nicht viel geistige und geistliche Anregung holen konnte. Die theologischen Anschauungen des alten Mannes waren diejenigen seiner Zeit, und darum ein eingehender Gedankenaustausch in religiösen Dingen zwischen beiden nicht wohl möglich. Namentlich that der junge Vicar seinem alten Pfarrer mit der unablässigen Predigt von der Rechtfertigung zu viel. Es gab wegen dieser abweichenden Ueberzeugungen hie und da einen kleinen Disput zwischen beiden, jedoch ohne Trübung des persönlichen Verhältnisses. Der alte Herr hatte die Weisheit, seinen Vicar in seinem Amte unbehelligt gewähren zu lassen, und dieser hielt es für die Aufgabe eines Vicars, wo es nur ohne Verläugnung des Glaubens möglich war, sich mit völligem Gehorsam in den Willen seines| Pfarrers zu schicken und die Geltendmachung selbständiger Ansichten auf die Zeit zu sparen, wo ihm Gott eine selbständige Stellung an einer Gemeinde anweisen würde. Gegen einen seiner jüngeren Freunde, der nachher auch sein Vicar wurde, äußerte Löhe später einmal: „er habe hundertmal mit den Anordnungen seines Pfarrers nicht übereingestimmt, habe aber sich gesagt: ,wenn Du einmal Pfarrer wirst, dann machst Du alles anders, als Dein alter Herr, so lange Du aber sein Vicar bist, machst Du alles, wie er’s haben will.‘ Seit der Zeit habe er immer gehofft, Gott werde ihn in seinem Alter auch mit einem Vicar segnen, der sich freudig in seinen Willen fügen und nicht befürchten würde, durch Gehorsam sich zur Unselbständigkeit zu erniedrigen.“ Der alte Herr erkannte, was Gott an Löhe ihm und der Gemeinde für einen Schatz gegeben, und konnte bei eigener immer größer werdender Schwäche und Untüchtigkeit dem großen Gelingen seines jungen Vicars neidlos zusehen. Er gewann ihn so lieb, daß er sich von ihm nicht mehr trennen wollte. Als das Consistorium die Entfernung Löhe’s von Kirchenlamitz verfügte, war nicht blos in der Gemeinde, sondern auch im Pfarrhause Weinen und Jammer, und der alte Herr wehrte sich gewaltig gegen das vom Consistorium an ihn gerichtete Ansinnen. Es war vergebens. Es folgte ein neues Rescript, in welchem dem Pfarrer Sommer die sofortige Entlassung seines Vicars in gemessenster Weise anbefohlen wurde. Mit Thränen in den Augen händigte der alte Mann seinem Vicar dies Rescript ein und fügte sich nur unter innerem Wehe in die Nothwendigkeit der Trennung. Nach seinem Weggang erhielt Löhe einen Brief, in welchem Pfarrer Sommer seine Anhänglichkeit an seinen ehemaligen Vicar in rührender Weise ausspricht. Wir theilen ihn hier mit.


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Kirchenlamitz, den 1. Mai 1834.

 „Mein lieber Herr Vicarius!

 „Ach, es geschieht mir noch immer wehe und es wird mir bis an mein Ende wehe geschehen, daß ich meinen guten, sanftmüthigen, überaus thätigen und um die hiesige Pfarrei so verdienten Löhe entbehren muß. Herr Vicarius N. N. ist zwar ein geschickter Mann und brav und auch ein guter Prediger, aber, unter uns gesagt, mehr wird er wohl nicht leicht thun als was gesetzlich ist. Wenn ich Sie wieder zu mir bringen könnte, mit Freuden würde ich es thun und N. N. gerne einen bessern Platz vergönnen. Doch wie der Herr will; schwerlich aber wird es mit mir noch lange dauern. Gott segne Sie!

 „Mit herzlicher Hochachtung und inniger Liebe
 Ihr

ergebener Diener und Freund 
Sommer.“ 


 In einem späteren Brief vom 10. Januar 1835 schreibt derselbe:


 „Hochzuverehrender Herr Pfarrverweser!
 Lieber theurer Freund!

 „Die beiden Familienregister über die zwei ältesten Folianten-Taufregister, welche Sie unter vieler Mühe gefertigt haben, haben mir schon in vielen Fällen große Erleichterung verschafft, wobei ich immer dankbar an Sie gedenke, und welches eine wohlthätige Arbeit auch für meine Nachfolger ist. Es wird sich wohl nicht leicht Jemand finden, der die Fortsetzung macht.

 „Herr Vicarius N. N. ist ein gewandter und guter Prediger und findet auch eine volle Kirche; auch nimmt er sich Ihrer recht ritterlich an, wenn bisweilen von einem Ihrer Widersacher feindselig auf Sie angespielt wird.

 „Gestern Abend haben sich viele, Alte und Junge, vor| meiner Pfarrhauspforte versammelt, weil sich die Sage verbreitet hatte, daß Sie angekommen seien. Wir wünschen von Herzen, daß es bald wahr werden möge, und zwar auf längere Zeit, während welcher wir so recht von Herzensgrund Anspruch auf Ihre Beherbergung machen.

 „Nun fällt mir nichts mehr ein, das Sie interessieren könnte. Daher noch ein tausendfaches herzliches Lebewohl von uns allen. In inniger Freundschaft und Liebe

  Ihr

ganz ergebener alter 
Sommer.“ 


 So war Löhe’s Verhältnis in seiner Stellung als Vicar zu seinem alten Pfarrer. Noch schöner war sein Verhältnis zur Gemeinde. Diese Gemeinde war seine erste Liebe und hieng auch ihrerseits mit Liebe, ja mit Begeisterung an dem bei seiner Ankunft in Kirchenlamitz doch erst 23jährigen Vicar. Die Kinder in den Schulen hatten ihn lieb, und was mehr sagen will, die heranreifende Jugend der Gemeinde war ihm innig zugethan. Einzeln[1] und in Hellen Haufen, oft über 20 auf einmal, kamen die jungen Leute zu ihm. Er redete dann ein Wort zu ihren Herzen oder betete und las die Bibel mit ihnen. Für jedes Bedürfnis von jung und alt hatte er| zu jeder Stunde Zeit und ein offenes Ohr. Das Glück der Stille und Einsamkeit wurde ihm unter solchen Umständen selten bescheert, seine amtlichen Arbeiten, ja selbst seine Predigten mußte er in Gegenwart von Kindern zu Stande bringen, deren täglich etwa 40 bis 50 zu ihm kamen und sich um den arbeitenden Vicarius herumtrieben. Von seinen 11 Schulen pflegte er im Anfang täglich wenigstens eine zu besuchen. Dazu kamen die viel Zeit in Anspruch nehmenden Kranken- und seelsorgerlichen Hausbesuche.

 Auf die Ausarbeitung seiner Predigten verwendete Löhe viel Fleiß und Mühe. In der Anfangszeit seines Kirchenlamitzer Aufenthaltes begann er mit dem Studium des Textes schon am Montag. „Ich schreibe alle meine Predigten“, sagt er in einem Brief vom 22. September 1833, „und je mehr Uebung ich erlange, desto weniger traue ich mir. Ich weiß, daß zum Segen nicht Arbeit, zum Laufen nicht Schnellsein hilft, aber ich will doch lieber arbeiten und laufen, so ist doch offenbar, daß mir am Segen etwas liegt.“

 „Siehe“, schreibt er in einem anderen Brief von früherem Datum, „meine Predigten muß ich mit Schmerzen gebären, vom Montag bis Sonntag arbeite ich die ersten Stunden des Tages an der Predigt mit Ausnahme des Sonnabends, wo ich die ersten Stunden in den Schulen zubringe. Ich seufze, bete und bange, bis ich auf die Kanzel gehe, und dann wird Gottes Gnade neu.“ Es wird wohl kaum der Bemerkung bedürfen, daß die Worte von der Schmerzensgeburt nicht etwa auf die Predigernöthen mancher Anfänger im Amt zu beziehen sind. Von solchen Erfahrungen blieb Löhe verschont. Aber es ist ein schöner Beweis seiner Gewissenhaftigkeit, daß er bei seiner eminenten, schon zu jener Zeit bewunderten Redegabe seine Predigten dennoch womöglich schriftlich ausarbeitete und eine| Nachlässigkeit hierin sich nicht verzieh. Diese Treue verdient um so mehr Anerkennung, als es ihm nahezu unmöglich war, wörtlich zu memorieren.

 Sein Eifer gieng jedoch weit über das Maß der berufsmäßig ihm obliegenden Thätigkeit hinaus. Er schuf sich auch außerhalb der amtlichen Beziehungen Gelegenheiten und Weisen der Einwirkung auf die Gemeindeglieder. Gewisse Grundgedanken seiner späteren pastoralen Wirksamkeit: Sammlung der Gläubigen in der Gemeinde zum Dienste der Gemeinde, Anregung zu christlicher Liebesthätigkeit und zwar auch auf dem Gebiet der inneren Mission, Vereinigung der Jugend zu Chören, zum Zweck der seelsorgerlichen Führung derselben, finden sich hier schon im Keime vor. Dies war, außer der Befriedigung eines praktischen Bedürfnisses, auch seine Absicht bei der Stiftung eines Bibelvereins in Kirchenlamitz, von dem er hoffte, daß er ein Sauerteig für die ganze Gemeinde werden könnte. Die Jünglinge, die sich um ihn sammelten, bildeten einen unter seiner speciellen Leitung stehenden Zweigverein von jenem Hauptverein. An demselben erlebte er gar manche Freude, ebenso an dem Mädchenverein. Dem einen Verein widmete er den Abend des Samstags, dem anderen den des Sonntags. Wir lassen ihn über seine Thätigkeit im Dienste der Jugend und das Gelingen derselben sich selbst aussprechen.

 „Was ich mit den jungen Leuten thue? Da gehts bei mir freilich durch Gottes Gnade gut. Mein Bruder Georg hilft mir seit heute auch dazu. – Ich habe einen Haufen Jünglinge, denen ich am Samstag Abend im Saale, den mir mein alter Herr eingeräumt hat, Christenlehren halte. Da sitzen wir beim Schein der Lampe still beisammen. – Dann habe ich zu unserem Bibelverein einen Hülfsverein der Jünglinge gebildet. Da arbeiten sie in der Stille so eifrig und sind meine treuen| Genossen in der Seelsorge, denn sie verschaffen den Leuten nicht nur Bibeln, sondern unterstreichen ihnen auch die schönsten Stellen, geben Tractate aus, die zur Bibelsache dienen, lesen denen vor, die nicht lesen können, besuchen die männlichen Kranken, füllen Berg und Thal mit dem Weihgesang ihrer Lieder. – Ebenso arbeitet eine Schaar Mädchen an dem weiblichen Theil der Gemeinde mit. Dieselben haben etliche Seelen in ihrer Mitte, die mir überaus werth sind. Eine, die der Wind Gottes bis von Stettin herunter (ihre Eltern sind ehemalige meklenburgische Hofschauspieler) geweht hat, die mich und mein Thun Anfangs lächerlich fand, kam aus dem Lachen bald ins Weinen und hat sich durch Gott so bekehrt, daß sie nicht nur ein kräftiges Werkzeug an der Gemeinde, sondern oft auch an mir ist; sie straft mich oft gerade ins Angesicht, – ist erst fünfzehn Jahre gewesen. Eine Zweite ist mir noch lieber, ist eine stille Maria, die in der Christenlehre, welche ich bisher an Sonntagen nach der Abendkirche für den Mädchenchor hielt, sehr viel lernte (nach Freylinghausens Grundlage der Theologie) und in ihrem ganzen Leben ein stilles fröhliches Lichtlein ist. Gott segne sie. – Etliche von ihnen stricken zweimal für die Mission; einmal arbeiten sie für die Armen bei der Apothekerin, (welche sich sammt ihrem Manne auch erst bekehrt hat; wir haben heute, Georg und seine Frau auch dazu, communiciert). Es gibt mancherlei Specialia; aber ich erzähle nicht gerne davon. Auch rathe ich Dir nicht, es jetzt schon so anzufangen. Gott hat mir erst nach langer, langer Arbeit das geschenkt. Er läßt die Leute zu den Chören wachsen; dann kann man sie sammeln. Predige nur vom Lamme Gottes und vertraue auf es. Die Ihn, die Jesum den Gekreuzigten in brünstiger Liebe anschauen und so den Mund aufthun, denen gelingt es. Glaube, rede, schweige,| das Uebrige macht sich. Durch Stillesein und Harren wirst Du siegen.“

 Bei all dieser Arbeitslast fand Löhe dennoch Muße zum Privatstudium und zu kleineren schriftstellerischen Arbeiten, wie z. B. zu Aufsätzen für das homiletisch-liturgische Correspondenzblatt oder auch zur Abfassung von Tractaten. So ist z. B. der bekannte Tractat „Dina. Wider die Jugendlust“ in Kirchenlamitz entstanden. Ja, Löhe erübrigte sogar noch Zeit, um Privatstunden zu nehmen und zu geben. Der Cantor in Kirchenlamitz gab ihm Klavierunterricht, was Löhe seinem Freunde Pächtner mit den launigen Worten erzählt: „Klavier habe ich alter Narr auch noch angefangen beim Cantor und spiele zur Noth einen schönen Walzer. Weil es aber nicht geläufig geht, mache ich lauter ganze und halbe Noten, daß kein Mensch darnach tanzen kann, ich will eben die Kirchenmusik verstehen lernen.“

 Lange scheint dieser Unterricht nicht gewährt, und Löhe in demselben keine besonderen Fortschritte erzielt zu haben. Mit desto erfreulicherem Erfolge gab er selbst einigen begabten Knaben aus der Gemeinde Unterricht im Lateinischen und Griechischen, eine Arbeit, mit der er freilich seine Kräfte fast überbürdete, so daß er oft nach dem Ende dieses Unterrichts seufzte, die ihm aber doch so gut gelang, daß seine beiden Schüler im Nürnberger Gymnasium Aufnahme fanden und vorwärts kamen. Woher er die Zeit zu all dieser Tätigkeit nahm, sagt er in einem Brief an Kündinger. „Ich bin vom frühen Morgen (fünf Uhr) bis zwölf oder ein Uhr in der Nacht beschäftigt, drum kann ich dazwischen auch etwas studieren.“ Eine so angestrengte Thätigkeit konnte nur ein Mann von so unverwüstlicher Nervenkraft, wie Löhe war, seinem Körper und Geiste zumuthen. Scherzweise pflegte einer seiner Freunde zu ihm zu sagen: „Du hast gar keine| Nerven, Du hast Stricke.“[2] Indeß dürfte man doch nicht meinen, daß Löhe in seiner Jugend sich einer völlig ungetrübten und dauerhaften Gesundheit zu erfreuen gehabt hätte. Im Gegentheil, er war nicht selten unwohl, er litt an vorübergehenden Ohnmachten, namentlich aber sehr häufig an empfindlichem Zahnweh. Gegen das Ende seines Kirchenlamitzer Aufenthaltes mußte er sich einer schmerzlichen und nicht ungefährlichen Operation unterziehen. Es wurde ihm ein Theil des cariös gewordenen Oberkiefers der linken Wange weggeschnitten. Die Operation gelang, und auch Besorgnisse der Aerzte, daß er durch das Fehlen des Oberkiefers im Predigen gehindert werden möchte, erwiesen sich zum Glück als unbegründet. Der Arzt, den Löhe in Krankheiten damals gewöhnlich zu Rathe zog, war der bekannte Homöopath Dr. Reuter. Im Umgang mit ihm war Löhe selbst ein eifriger Anhänger der Homöopathie geworden, wenn sich auch später seine Begeisterung für dieselbe merklich abkühlte. Als Vicar in Kirchenlamitz diente er gar manchem Kranken mit gutem Erfolg durch Verabreichung homöopathischer Arzeneien. Obwohl er hiebei alle mögliche Vorsicht brauchte und nur die auf Grund eingehender Krankenberichte von Dr. Reuter ordinierten Arzeneien verabreichte, seine Kuren auch durchweg glücklich waren, (allerdings waren die Kranken meist Psoraleidende), misbilligte er doch später entschieden derlei Eingriffe des Geistlichen in die ärztliche Thätigkeit und gab seine volle Zustimmung, als Arzt und Apotheker von Kirchenlamitz, mit denen er übrigens in wahrhaft christlicher Freundschaft| lebte, ihm erklärten, ihn verklagen zu müssen. Auf Grund des dann ergehenden Verbots konnte er die Hilfesuchenden von sich weisen und ihres ihm selbst lästig gewordenen Zudranges sich erwehren.

 Einen wenn auch leider nur dürftigen Abriß der reich gesegneten Wirksamkeit Löhe’s in Kirchenlamitz haben wir hiemit gegeben. Um dem Leser jedoch einen etwas frischeren Eindruck und ein anziehenderes Bild von diesem Zeitabschnitt aus Löhe’s Leben zu geben, als dies durch Aneinanderreihung zerstreuter Tagebuchnotizen geschehen konnte, lassen wir, ehe wir zur Erzählung seiner Verfolgungen in Kirchenlamitz übergehen, hier einige seiner aus Kirchenlamitz geschriebenen Briefe zum Abdruck kommen.


„Kirchenlamitz, den 1. Februar 1832.

 „Geliebter Bruder P.!

 „Deinen lieben Brief habe ich erhalten. Dank Dir herzlich dafür.

 „Ob ich mit Freudigkeit an Weihnachten von meinem treuen Heiland gezeugt habe? Ja sieh, die Freudigkeit ist hier auf Erden nur ein Gast, und wenn man sie hat, hat man vom Hochzeitwein in Cana getrunken, von welchem man nicht oft trinkt. Was man nicht immer haben kann, muß auch nicht durchaus nöthig sein. Oft war ich, meinen Gedanken nach, in großer Trockenheit, und wenn ich wieder freudig ward, sah ich ein, daß ich ja die Freudigkeit wie einen schlafenden Christus oder incognito dennoch auch in der Wüste bei mir hatte, und sie mich mit himmlischem Labsal labte. Da merkte ich, daß Gott den Menschen, seit er jenen Einen verlassen hat, nicht mehr verläßt, darum leb ich eben auf Ihn hin so fort, nehme mein Kreuzlein auf den Rücken und sage: ‚Wohin soll ich| gehn? Was soll ich thun? Was reden? Rede, HErr, Dein Knecht höret!‘ Und so thue ich, was er befohlen hat, bald mit, bald ohne Freudigkeit, und merk auch, daß der Segen der Befolgung Seiner Befehle an Seine Diener nicht von der Freudigkeit, überhaupt nicht vom stolzen Menschenwurm, sondern von dem demüthigen und allmächtigen Herrn Seiner Kirche abhängt. Ihm allein die Ehre! Ich habe aber mit Freudigkeit gepredigt an Weihnachten, das ist wahr, und Gott sei Dank!

 „Meine hiesigen Arbeiten anlangend hast Du Recht. Was ich selbst gefürchtet habe, ist geschehen, ich bin ein wenig Martha gewesen. Dafür bin ich auch durch so viel Hindernisse gedemüthigt worden, wenn das so ein elender Mensch von sich sagen darf. Doch bin ich ein Freund und wohl auch ein Liebling vieler Kinder. Die Landschullehrer nehmen mit Freuden auf, was ich ihnen in unserer Fortbildungsanstalt und in den Schulen sage, und ich verfehle meines Zweckes doch nicht. In der Gemeinde wird dennoch manches besser, und diese Tage sind schöne Geburtstage eines Localbibelvereins, welcher, hoffen wir, ein Sauerteig für die Gemeinde werden soll. Doch wollen wir nichts Aeußerliches rühmen. Wollen warten, welche Früchte inwendig hinein sich zeigen werden. Meine Feinde scheinen zwei hochmüthige (es ist wahr) Lehrer im hiesigen Ort zu sein; Gott kanns aber auch ändern. Der Landrichter ist so arg nicht, er hat persönlich nichts gegen mich; kann sein, es reut ihn, daß er mich verklagt hat, – und wenn ich ihm persönlich zu Gefallen gehen dürfte, wer weiß, ob er nicht mich lieb gewinnen würde, weil ich ihn ja auch liebe, um so mehr, weil ich durch ihn zu einer kleinen Demüthigung gekommen bin.

 „Wenn nicht schon das neue Jahr so alt wäre, so wollte ich Dir gerne einen Wunsch thun. Aber weil’s alt ist, so| sei’s alt und fliehe hin; unser Fels, Christus und Sein Wort werden gewiß stehen bleiben, zugänglich auch für mich und Dich. Wenn wir dies Jahr sterben, so mögen wir, dies ist mein Wunsch, hinter’m Tod ein gnädiges Antlitz unseres Richters und Heilands und im Tod den reichen Trost der Schrift haben. Christus ist unser Leben, und Sterben ist unser Gewinn. Ade, Welt, Ade!

 „Schreib bald wieder, Bruder P., damit ich mich mit Dir meines Heilands freue.

 Friede der Versöhnung!

 Dein treuer Bruder

 W. Löhe,
 in Kirchenjammeritz und Lobitz.“




Kirchenlamitz, am 10. Mai 1832.

 An K.

 „Mein lieber Bruder!

 „Zank nicht, daß ich so lange nicht geschrieben habe, ich habe oft für Dich zu unserm Gott geseufzt, und Er wird mich erhört haben.

 „Unser Bibelverein geht unter Gottes Segen weiter, Gott fördert auch den Deinen. Amen. – Du hältst ungestört Missionskränzchen. Dank Gott! Ich darfs nicht, aber die Sache geht dennoch fort. Hier sitzt mir der Landrichter wie ein böser Engel auf dem Hals, und ich habe zu Ostern ein Rescript voll Schimpf und Drohung vom Consistorio erhalten, ohne mich verantworten zu dürfen; denn es wird nicht gesagt, daß ich etwas Unrechtes gethan habe, sondern nur der Fall gesetzt. Klingt hart, ist aber für mich harten Kopf schon gut.

|  „Ihr habt in K. eine Conferenz gehalten, wir waren in G. recht fröhlich beisammen. Themata schreiben wir nicht aus, wir können nicht fertig werden mit Pastoraldingen und freuen uns pur der brüderlichen Gemeinschaft. Doch gieng es auch hie und da ins Gelehrte, maßen wir selber gar gelehrte Leute sind (verstehst es schon).

 „Meine Confirmanden (zusammen 62 Knaben) gedeihen wohl zum Theil. Ich gebe wöchentlich 4 Stunden ex officio, am Mittwoch und Sonnabend 2 Repetitions- und am Sonntag Morgens 6 Uhr eine Unterrichtsstunde für die ganz schwachen Landkinder. Ich bin mit dem Unterricht fertig. Die Kinder haben meine Concepte zum kleinen luth. Katechismus (etwa 8 Bogen) abgeschrieben und müssen darnach täglich unter meinen Augen selber repitieren. In den eigentlichen Stunden erkläre ich jetzt zwei Mal die gelernten Sprüche, zwei Mal die Augsburger Confession. Am Trinitatisfeste werden sie confirmiert werden. Auch die Predigten werden fortwährend so gut besucht, als es bei dem engen Raum möglich ist. Bei schönem Wetter bleiben viele auf dem Kirchhof. Auf die Predigten wende ich immer mehr Fleiß und da ich sonst ungeniert zuredete, schlägt mir jetzt das Gewissen, wenn ich’s ohne Vorbereitung da oder dort wagen muß. Uebrigens ist es mir vorgekommen, daß man nicht, wie ich wohl sonst dachte, auf der Kanzel im Conversationston reden dürfe. Der Prediger hat einen Auftrag von dem Allerhöchsten und muß das wissen. Das Kreuz des HErrn ist das Allerhöchste auf Erden, und wer von ihm redet, muß nicht eine gewöhnliche, hausbackene Demuth auf die Kanzel und in die Kanzelsprache führen. Dicta factis aequanda. Du mußt mich aber nicht misverstehen. Hohen Worten bin ich herzlich feind. Die Bibel und namentlich die Reden des HErrn selbst in ihrer einfältigen Hoheit sehe ich für das Allerschönste an.

|  „Außerdem mache ich Hausbesuche, gebe mich den Kindern hin etc., seufze und warte auf Gott. Müde werde ich oft genug. Manchmal wird mir die Erntezeit so gar lang zu erwarten. Aber wenn meine Flügel sinken wollen, wenn ich undankbar genug denken will: ,Es ist alles eitel,‘ schickt mir Gott oft augenblicklich Leute, in denen ich sein Werk deutlich merken kann, und Gottes Gnade ist nicht vergeblich. Unter den Vornehmen ist der katholische Actuar am meisten auf der Seite des Evangeliums, geht in alle Predigten und vertheidigt mich gegen den Landrichter, wenn der manchmal aus seinem bösen Gewissen rumort. Der Landrichter ist auch nicht sicher, mein ich, daß er nicht einmal als eine lang widerstrebende Eiche durch viele Arbeit der Gnade gebrochen wird. Er rühmt sich, daß ich unter seiner Aufsicht stehe, und daß er mich oft besuche, damit er sehe, ob ich keine Conventikel halte. Es ist aber beides nicht wahr, sondern ich stehe blos unter besonderer Aufsicht meines alten Herrn und des Decans, der mir fleißig meine Predigten censieren soll, aber viel zu faul dazu ist. (Sonst hätte ich mir auch das nicht gefallen lassen.) Sie möchten mich gerne von hier weghaben und haben sich auch Mühe gegeben. Aber sie können nichts. Ich bin allezeit getrost und will bleiben, bis mich Gott wo anders hinruft. Ja ich bin gerne hier, bin daheim – und da ich für die paar Widersacher auch von der andern Seite Liebe genug finde, lach’ ich zu allem und denke: ‚Haltet euch herunter zu den Niedrigen‘ und ‚Silentio ac spe!‘ Es ist gar ein großer Fehler von mir, daß ich so stolz bin, und das Consistorium hat Recht, wenn es mich einen von sich selbst eingenommenen jungen Mann nennt. Aber ich habe an meiner Sünde kein Wohlgefallen, sondern mein Sinn steht zu dem, der mich erlöset hat, und ich freue mich auch herzlich mit denen, welche sammt mir aus meiner Gemeinde erlöst sind. Mir ist| oft so wohl, als war ich im Himmel. Ich bin ein glücklicher Mensch, und nur mein Unglaube macht mich oft so düster. K., wir habens gut, auch wenns schlimm geht. Predigt von den Gerechten, daß sie es gut haben. Amen.

 Dein Bruder

W. Löhe.“




Kirchenlamitz, den 24. October 1832.

 „Geliebter Bruder P.!

 „Habe herzlichen Dank für Deinen lieben, etwas lang ausgebliebenen Brief und nimm mirs nicht übel, daß ich vor geschäftigem Müßiggang nicht eher als heute dazu gekommen bin, ihn zu beantworten.

 „Die Moosgemeinde ist allerdings das glänzende Licht nicht geworden, welches wir eine ganz kurze Zeit an ihr zu sehen vermutheten. Indeß mußten wir uns rücksichtlich dessen, was geschehen ist, mit dem Wort trösten: ,Es ist des HErrn Gnade, daß wir nicht gar aus sind.‘ Gott bewahre das Nachthüttlein im Weinberg und gebe Euch Weingärtnern Weisheit, Liebe und Kraft des Glaubens, dazu Seinen Segen, ohne welchen nichts gedeiht. Daß Ihr Raumers Gesangbuch brauchen dürft, kann einem allein schon die Moosluft versüßen. Das neue Gesangbuch ist mir ein Kreuz, das mich sticht und drückt, so oft ich dran denke, geschweige wenn ich Lieder zum Gesang suchen soll.

 „ Was mein alter Herr macht? Der ist – die guten Werke anlangend – auch katholisch. Er kann sich gar nicht drüber zufrieden geben, daß ich alle Sonntage die Rechtfertigung vorbringe, und will haben, ich soll mehr von guten Werken und seiner Lieblingslehre, von den Graden der Seligkeit, predigen. Ich thue ihm aber den Gefallen nicht. Die Rechtfertigung bleibt mein Haupt-locus, ob ich zwar die Buße, Liebe und Liebeswerke| immerwährend treibe. Mein alter Herr will nur nicht leiden, daß ichs im Geist der Rechtfertigung thue.....

 „Was mein Landrichter macht? Er richtet das Land und geht zum Bier und auf die Jagd. Uebrigens hat er mich lieb und läßt mich walten, läßt sichs auch gefallen, daß ich ihm die Wahrheit sage. Seine Kinder, namentlich sein junges, zartes Söhnlein, sind den ganzen Tag bei mir; ich bin der unumschränkte Informator, weil ich mir selber Schranken setze. Die Frau geht, wenn sie kann, in die Kirche und ist sonst brav. Die Töchter sind groß und gescheit, gehen in alle Predigten und halten brav Haus – und gehen, wenns sein kann, auch auf einen Ball. Inwendig hinein kann ich nicht sehen. Auswendig kann man nicht viel sehen.

 „Das sind zwei der faulsten Punkte in Kirchenlamitz gewesen. Der dritte bin ich. Ich kann eben an andern nicht viel, an mir gar nichts loben. Denn wenn mir auch der HErr hie und da eine Gabe oder Kraft verliehen hat, so wende ich sie schlecht an. Ich weiß nicht, wo ich mein Haupt niederlegen soll, wenn mir der einzige Ort, das grundlose Erbarmen meines Gottes in Christo, genommen wird...

 „In der Gemeinde gibt Gott Segen. Er sei gepriesen. Das Wort ist weder bei Alt noch Jung ohne Früchte geblieben, wenn gleich auch der Teufel seine Glieder stärkt. Einige habe ich, denen ich, ob sie gleich jung sind, einen seligen Tod gönnen würde, wenn es so in Gottes Rath beschlossen wäre, denn sie sind Bäumlein, die ihren ersten Herbst haben – und ich fürchte die bösen Buben, die mir meine Bäumchen beschädigen könnten. Ich sorge viel. Aber was ist mein Sorgen? ,Der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.‘ Er hat die Seinigen lieber als ich. Er wirds wohl machen.

 „Ja M. ist ein Bräutigam und zu meiner völligen Freude| ist er nach einigen Misgriffen an die gekommen, die ich ihm seit Jahren im Herzen gewünscht habe. Sie ist mein Glaubenskind und nun doppelt meine liebe Schwester. – Du beliebst meinetwegen zu spaßen. Ich bleibe bei dem: ,ein Vicar soll keine Braut haben, wenn er kann.‘ Sonst gäbe es Bräute genug.

 „Meine Seele sei eine Jungfrau (ists aber leider nicht) und der HErr sei ihr Bräutigam. Ich bitte

um ein göttliches Gemüthe,
einen königlichen Geist,
mich mit Gott verlobt zu tragen,
allem freudig abzusagen,
was nur Welt und Weltlust heißt.

 „Lebe wohl! Der Herr liebt Dich und mich und vergibt uns täglich alle Sünde reichlich.

 „Gelobt sei Jesus Christus!

Dein treuer Bruder
W. Löhe.“ 




 „Herzlich gegrüßt sei, Bruder P.!

 „Hab Dank für Deinen lieben letzten Brief, auf den ich lange wartete.

 „Mein Bruder, Du hast ein dornenvolles, sumpfiges Stück Weinberg für Deinen Antheil. Leite Dich, thue das Werk eines evangelischen Predigers, halte an! Erinnere Dich, daß wir Gehülfen eines Säemanns sind, dessen Erntetag noch nicht gekommen ist, daß wir also nicht auf das Ernten, sondern auf treues Ausüben des Saatgeschäftes angewiesen sind... Gerne wollte ich eine Sammlung für Carlshuld anstellen, wenn das in unsrer Gemeinde angienge. Der größte Fehler der letzteren ist Geiz, und wer nicht geizig ist, ist verschuldet und arm. Beiderlei| Menschen kommt man ungelegen, wenn man etwas haben will. Man weiß indeß nicht, was noch geschehen kann.

 „Ich mache meine Sache immer schlecht. Mein Gewissen predigt scharf. Es ist nichts Gesundes an mir von der Fußsohle bis zum Haupte, nichts als Striemen, Wunden und Eiterbeulen. Der grobe Stolz in Stiefeln und Sporen und seine Schwester Empfindlichkeit, die auf Tanzschuhen daher trippelt; dazu deren Mutter Selbstsucht, die alte Hexe, welche dennoch so viel Gecken und Liebhaber hat: die thun mir Tag für Tag die Pein mit ihren Besuchen an – ungebeten. Anderen Zigeunerpacks zu geschweigen. Meine Seele ist müde aller Sünde, ich möchte sprechen wie der sterbende August von Anhalt: Evolemus![3] Ich möchte sein, wo mein HErr, wenn eine so miserable Seele Ihn HErr nennen darf. Ich wüßte nicht wohin, wenn ich nicht des HErrn Prediger wäre und von vielem Predigen endlich auch so viel wüßte, daß auch ich zu ihm kommen und aus Seiner Fülle Gnade um Gnade schöpfen soll.

 „Indeß so gar nichts ich selber bin, so erfahre ich dennoch reichlich die göttliche Gnade, welche mich selber nicht verzweifeln läßt und mir fast alles segnet, was ich mit einigem Ernst angreife. Das Häuflein der Gläubigen mehrt sich, besonders im jungen Volk ist viel Segen. Widerstand finde ich nicht mehr viel, wenn auch die Widersacher viel schimpfen. Uebers Schimpfen hinaus ists in der letzten Zeit nicht gegangen.

 „Ich bin, es kurz zu sagen, einer der glücklichsten Vicarien, was das Aeußerliche anlangt. Ich wünsche nichts hinzu und begehre nichts. Ich erwarte alle Tage, daß etwa ein Rüthlein komme, welches Gott insbesondere für mich geschnitten hat. Wie ichs etwa aufnehmen werde, wenns kommt, weiß ich nicht. Ich werde zittern und zagen – meine ich. Ich verdiens nicht anders...

|  „Jetzt leb wohl. Der HErr sei Dein Schild und Dein sehr großer Lohn! Amen.

 Kirchenlamitz, den 28. Februar 1833.

Dein Bruder W. Löhe.“ 




 An P.

 „Mein Bruder!

 „In Eile schreib ich Antwort auf Deinen letzten Brief. Mit der Bibelsache stehts bei uns wie mans nimmt. Einen Bibelverein haben wir, wie Du weißt, haben unsere erste Jahresrechnung herum – circa 100 und etliche Bibeln verbreitet – ich privatim noch mehr. In den letzten paar Wochen wurden allein 36 bei mir bestellt. Aber mehr kann ich nicht sagen. Blos meine Jünglinge, unter denen recht bekehrte Herzen sind, die sind eifrig.

 „Es geht aber mit der Bibel- wie mit der Missionssache. Ich gebe den Leuten kein gutes Wort. Ich mische zuweilen in die Predigten etwas und überlasse es dem freien Willen der Leute, zu geben oder nicht. Wollte ich sie darum anreden, so würden sie mir zu Gefallen gerne mehr geben. Indeß habe ich im Juli 11 fl. und im verwichenen Februar 19 fl. an Naumann geschickt. Gebetet wird vielleicht mehr für die Sache denn anderwärts. Missions- und andere Versammlungen halt ich nicht. Bin Vicar – um des Evangeliums willen sub curatela Decani – unter’m Auge eines Landrichters, der blos die Constitution im Auge hat, nebenher Haß gegen Ihn im Herzen.

 „Dennoch geht es sehr gut. Die Kirchen werden von der ganzen Gegend her besucht. Die Jünglinge und Jungfrauen kommen in Haufen zu mir – dagegen hat der Landrichter nichts, sind Kinder von ihm selbst eifrig dabei (wie er denn selbst mich| lieb hat, sein Söhnlein den ganzen Tag bei mir ist, und ich persönlich gar viele Freiheit habe, welche andere nicht haben). Unter der Jugend sind viele wahrhaft Bekehrte, die mit einander und für einander beten, singen etc. Ich habe immer je zwei und zwei zusammengestellt, die einander mündlich und schriftlich ermahnen. Auch unter den älteren Leuten ists nicht ohne. Es hat sich erst in den letzten Wochen ein Wirth mit seinem Hause bekehrt, was wichtig ist. Kurz: der HErr ist mit uns. Er deckt seine Hand über unsern Bergkessel und verbirgt uns vor jedermanns Trotz. Die Gemeinde ist still und baut sich[.] Gott, dem Hochgelobten, sei von unsern Bergen, als Altären, brünstiges Lobopfer gebracht. Halleluja!

 „Indeß hab ich auch Demüthigung genug und der Satan feiert nicht. Ich hab Noth immer im Auge zu behalten, was über meiner Thüre steht:

 Silentio ac spe.

 „So viel in Eile.

 „Der HErr laß Dich Ostern halten im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit.

 Kirchenlamitz, den 29. März 1833.

 Dein

W. Löhe.“ 




Kirchenlamitz, den 6. Juni 1833.

 An Madame H. in Nürnberg.

 „Gottes Friede sei mit Ihnen! Amen.

 ..„Es gibt eine Erkenntnis, die keine ist. Auch die Juden meinten Joh. 7. 27 den HErrn zu kennen; Er selbst redet aber Vers 28 nur ironisch von ihrer Erkenntnis. Erkenntnis und gläubige Erkenntnis sind so verschieden, wie ein Gemälde von einem Menschen und der Mensch selbst. Jenes scheint nur und| hat kein Leben. Die Erkenntnis ist Luftspeise, wenn sie nicht zum Glauben wird. – Man spricht und hört evangelische Worte wie z. B. das Wort ‚Gnade‘ hunderttausendmal mit gleichgültiger Ruhe an; aber was für ein ganz anderes Wort ist es dem, der an Gnade meinte verzweifeln zu müssen und nun hört, er sei begnadigt – die Gnade sei sein Leben! Wer Ein evangelisches Wort aus Erfahrung erkannt hat, ist reicher, als wer den Zusammenhang der Lehre vom Reich Gottes prächtig überschaut und erzählen kann – ohne Erfahrung. Was hilft mir Gottes Reich, wenn ich selbst es, obgleich mir dargeboten, doch nicht fasse. – Mir träumte vor einer Zeit, ich stände auf dem Berg bei St. Aegidien, und in der Ferne sah ich den Stern Bileams aufgehen; alle Völker zogen Ihm entgegen in unübersehbaren Reihen, zuletzt die Mohren in weißen Taufgewändern. Es war lustig anzusehen. Aber was half’s? Ich war nicht bei meinem Volke in Reih und Glied. Ich hatte nur das Nachsehen. – Ein andermal träumte mir, der HErr HErr käme und mit ihm Sein Lohn, ich war mit allem Volk in den Gassen meiner Vaterstadt, – es war stille, – Kraussold hielt eine Vorbereitungspredigt, nach dem Amen fieng Alles an in lautem Chor zu singen: ,Gott–hat–Alles–vollendet–durch Jesum Christum. Amen.‘ Da war ich dabei, sang mit, meine Thränen rannen. Da war meine Aussicht so groß nicht, wie im ersten Traum, auch sah ich keinen Stern; aber in mir, in meiner kleinen Welt war’s hell. – Als vor 8 Tagen meine Confirmanden beichteten, kam einer, fiel auf die Kniee, rang die Hände, weinte sehr und sagte: ,Ach wie hab ich meine Eltern beleidigt!‘ Das war seine ganze Beichte; aber mich däucht, sie war besser, als eine Generalbeichte, im Zuge fort gesprochen. Dem war das Wort der Absolution wie Honig. – Ich denke, Sie verstehen mich nun, was ich meinte mit der Erkenntnis,| die keine ist. Ich habe aber nicht gesagt, daß Sie keine Erkenntnis haben.“




 „Bruder P.!

 „Obwohl herzlich erfreut über Dein Werthes vom 31. Juli, komme ich doch ziemlich spät mit meiner Antwort. Will mit Entschuldigung keine Zeit verlieren, weil doch so viel unter uns seine Richtigkeit haben wird, daß unsere Liebe nimmer aufhört 1. Cor. 13. Wir trachten beide mit vollen Segeln zum Thron des Lammes, und was da von uns und in welcher Seligkeit für Lieder werden gesungen werden, das wird der Himmel offenbaren.

 „Mit den Moosgeschichten[4] ist meines Bedünkens ein Jammer. Säßet ihr paar hundert protestantische Seelen lieber in einem unserer Thäler, so würden wir Euch trösten und Eure Feinde schlagen helfen können; aber so – in dem Sumpf, unter den Mistvögeln, da ist mir für Euch immer bang... Haltet aus und lasset Euch die Trübsalshitze nicht befremden, sondern mit dem Licht unsers heiligsten Glaubens, in dem ihr wandelt, scheinet hell, daß wir auf unsern Bergen den Brand sehen und uns mit Euch freuen! Seid männlich und seid stark! Bleibet (Ebr. 13, 13. 14) wo Ihr seid, außerhalb Jerusalems, tragt die Schmach des Berges Golgatha, geht eine Zeit als verwesliche Waizenkörner in das Felsengrab des Arimathäers und wartet, bis es dem HErrn gefällt, einen Theil Eurer inwendigen Herrlichkeit auswendig zu machen und mit Eurem strahlenden Licht die Finsternis aufzuhellen oder doch zu richten! Dominus vobiscum! Sit idem Dominus cum reprobis.[5] Er hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen. Ps. 68.

|  „Bei uns gehts – wie weit, mag der jüngste Tag offenbaren. Grobes Land – grobes Volk – grober Prediger ich! – Keil zum Klotz! – Paßt wohl. Deo gratias! Doch bekehren sich auch feine Leute, z. B. Dr. B., der Apotheker und seine überaus zarte und feine Frau aus Frankreich, eine köstliche Seele! ,Die Höhen der Berge sind auch Sein.‘

 „Gott fängt an der Stadt Hof, dem Sodom, auch gnädig zu sein. Unser B. kann nicht umsonst posaunen. Die Todten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und auferstehen. Singt brav im Sumpfloch: ,Auferstehen‘ und ,Wachet auf‘, damit die Berge hüpfen und ihre Todten wiedergeben...

 „Leb wohl im HErrn und in der Macht Seiner Stärke! Grüße von allen an alle! Schreib bald.

 Kirchenlamitz, den 28. August 1833.

 Dein

W. Löhe.“ 




 An K.

Kirchenlamitz, den 24. Januar 1834.

 „Bruder K.!

 „Hab Dank für Deinen lieben Brief mit allen den lieben Nachrichten, welche er enthält. Ich kann Dir keine besonders wohlthuenden Nachrichten entgegen melden. Daß der HErr der Predigt des göttlichen Worts in hiesiger Gemeinde Seinen Segen geschenkt hat, und in Folge dessen etliche Seelen zu einem neuen Leben aufgeweckt worden und ein großer Theil der Gemeinde heilsam angeregt sind, ist gewiß. Darüber zürnt nun die Welt. Es schleicht ein Plan seit November 1833 im Finstern und seit Weihnachten ist er herausgebrochen. Ministerial-, Regierungs- und Consistorial-Rescripte hat unser kleiner, stiller Glaube veranlaßt, – ein Theil der Gläubigen wurde einzeln verhört – und das Ende vom Lied oder vielmehr der Anfang des Endes| ist, daß vorigen Sonntag Befehl kam, ich solle in vier Wochen die Gemeinde verlassen. – Ich kann nicht Alles herschreiben, ich bin müde, davon zu reden. Aber Eins weiß ich, daß ich nicht um des Uebels willen leide, sondern um des willen, welcher für mich leidend auch mir die Verheißung gegeben hat, daß ich ihm darin einigermaßen folgen soll. Ich habe Frieden inwendig und Muth. Auch von der Gemeinde hat Niemand den HErrn verläugnet, sondern es geht besser als zuvor. Nur Eins thut uns beiderseits weh – das Scheiden. Mein alter Herr wehrt sich stark, mich ziehen zu lassen; aber es ist alles zu fein angefangen von Seiten der Feinde, als daß es etwas helfen könnte sich zu wehren.

 „Es kann durch unsere Bemühung für die Mission die Missionsfrage auf’s Tapet kommen, und es wird wohl Zeit werden, daß, wer Matth. 28, 19. 20 für Gottes Gebot hält, sich rühren muß. – Unsere Geschichten hier werden wahrscheinlich auch auf andere Orte rückwirken.

 „Der lebendige Christus ist heut so wenig geliebt, als ehedem. Wo sich’s regt, da ist der Teufel los. Aber es komme, wie es wolle, so bleib ich meines HErrn und meine Zunge in Seinem Dienst. Bin ich ein Messer, so will ich in Gottes Namen schneiden – und der HErr übergieße das Messer sammt den Wunden mit Balsam Seiner Stärkung. Sein herrlicher Name sei ewiglich gepriesen.

 „Leb wohl. Der Herr sei mit Euch Allen und mit mir.

W. Löhe.“ 




|  Aus jener Zeit stammt auch ein Gedicht Löhe’s, das wir hier mittheilen:

Jesus Christus, Dir ergeb ich mich,
Wie Du’s schickst, nehm ich es williglich;
Soll ich leiden um der Wahrheit willen,
Wird sie mich mit Himmelstrost erfüllen:
 Wort der Wahrheit, bringst Du Thränen hier,
 Ei so sei’s, dort lacht der Himmel mir.

Ich hab stark geeifert um Dein Wort:
Willst Du darum ferne gehn, mein Hort?
Laß mich, bitt ich, nicht alleine gehn,
Sonst muß ich in Schand gewiß bestehn.
 Hilf, laß durch mich siegen Deine Stimm,
 Ach Barmherz’ger, mein Gebet vernimm!

Willst Du rächen meiner Predigt Schuld?
Ich vergönne allen Gnad und Huld.
Nur mein Wort ist oft so ungeschickt,
Daß es die Gemeinde nicht erquickt,
 Deck die Sünd: ich will ja nicht zerstreun,
 Sammle durch mich, aller Sieg sei Dein.

Dein Geist bessre, was ich schlecht gemacht,
Nimm nur Du zu, laß mich sein veracht’.
Zieh von mir Dein Volk, nur zieh’s zu Dir,
Schließe mir, nur öffne Dir die Thür:
 Wenn nur siegt Dein’ starke Gnadenhand,
 Mag ich dann sein von der Heerd verbannt.




 Wir haben hisher vorzugsweise von den Erfolgen Löhe’s in Kirchenlamitz berichtet. Doch auch die zweischneidige Wirkung des Wortes wurde hier offenbar. Es bildete sich ein Gegensatz in der Gemeinde, und die Spitze brauchte für denselben nicht erst gesucht zu werden. Der Landrichter – nach damaliger Gerichtsorganisation ein kleiner Pascha – übernahm die Führerschaft der Gegner des göttlichen Wortes. Zwar war er Löhe persönlich nicht feindselig gesinnt, aber das Wort, das Löhe predigte, war, wie es schien, für sein Gewissen ein Stachel, dessen| er gerne ledig geworden wäre. Noch war Löhe nicht länger als ein Vierteljahr in Kirchenlamitz, als bereits die erste Klage wider ihn vom Landgericht beim Decanat eingereicht wurde. Es war die erste aufsteigende Wolke, die spätere ernste Stürme verkündigte. Die Klage des Landrichters trug Löhe die erste „Nase“ von Seiten des Decanats ein. Der Verweis war diesmal noch ziemlich gnädig ausgefallen. Wir theilen im Folgenden das Actenstück sammt Löhe’s Entgegnung mit.


Wunsiedel, den 9. Januar 1832. 

 „Es ist zur amtlichen Anzeige gekommen, daß der Pfarramts-Candidat und Privatvicar Löhe zu Kirchenlamitz sich in seinen öffentlichen Vorträgen einer sehr heftigen und dem liebevollen Geiste des Christenthums ganz fremden Sprache bedient, daß er als ein so junger Mann, der erst vor kurzem in die Pfarrgemeinde Kirchenlamitz eingetreten ist und den religiösen und sittlichen Zustand derselben im Allgemeinen und Besonderen noch viel zu wenig kennt, als daß es ihm zustehen sollte, so harte Urtheile über sie auszusprechen, dieser Gemeinde Gebrechen und Sünden zur Last legt, die einen hohen Grad von Verwilderung und sittlicher Verdorbenheit voraussetzen, die dem Decanate und gewiß auch dem dortigen Pfarramte bisher fremd geblieben ist.

 „Wenn man auch dem gewiß gutgemeinten Eifer des Vicar Löhe gerne Gerechtigkeit widerfahren lassen will; wenn wir auch als Prediger und Seelsorger gegen die sittlichen Gebrechen unserer Gemeinden nichts weniger als gleichgültig sein dürfen, sondern ohne Menschenfurcht und ohne Menschengefälligkeit gegen das Unrechte und Verwerfliche kräftig auftreten müssen, um Besserung zu bewirken, so darf doch die nöthige Pastoral-Klugheit und das ἀληθεύειν ἐν ἀγάπῃ nicht außer Augen gesetzt| werden, weil leidenschaftlicher, von sanftem Geiste der Liebe und Schonung nicht gemäßigter Eifer wohl verbittert, aber nicht bessert, vielmehr verschlimmert.

 „Das Decanat fühlt sich daher verpflichtet, den Herrn Vicar Löhe zu einem gemäßigten, dem liebevollen Geiste unserer sanften Christus-Religion angemessenen Tone in seinen Predigten um so mehr und um so nachdrücklicher zu vermahnen, je weniger er sich durch seine bisherige auffallende Predigtweise die Liebe und Achtung seiner Gemeinde erworben, und je weniger er durch seinen heftigen, die Gemeinde mehr verwundenden als bessernden Ton Gutes stiften wird.

 „Es sollte dem Decanate leid thun, wenn Herr Vicar Löhe, die väterlich ermahnende und warnende Stimme desselben nicht beachtend, noch mehrere misfällige Anzeigen veranlassen und die unterzeichnete Stelle nöthigen sollte, deshalb Bericht an das königliche Consistorium zu erstatten und diese hohe vorgesetzte kirchliche Stelle um kräftige Einschreitung anzugehen.

Königliches protestantisches Decanat 
N. N. 




Kirchenlamitz, den 12. Januar 1832.

 „Königliches Decanat!

 „Der ehrerbietig Unterzeichnete hat gestern, den 11. Januar, Abends, die väterliche Rüge und Ermahnung des königlichen Decanats rücksichtlich seiner Predigtweise richtig empfangen. Er selbst weiß, welchen Gefahren und Fehlern ein Jüngling überhaupt und namentlich ein Prediger-Jüngling im Predigen ausgesetzt ist. Recht reden ist schwer – Jak. 3, 2. ff. trifft auch ihn. Er selbst wendet jene Stelle des Augustinus de c. r.: Et mihi semper sermo meus displicet, auf sich an, – und wo| Luther, nach dem Urtheile vieler der größte Redner seit der Apostel Zeiten, ähnlich klagt, da kann ein Vicar von sich selbst gar leicht Gleiches sagen. Und deshalb dankt auch der Unterzeichnete gewiß aufrichtig für die väterliche Zurechtweisung.

 „Indeß scheint es ihm doch auch eine falsche Demuth, da sich schuldig zu bekennen, wo er mit Besonnenheit und ernstem Entschluß geredet hat, mit Rücksicht auf die Sache, nicht aus jugendlicher Unbesonnenheit. Er bittet daher das königliche Decanat, noch folgende Punkte mit väterlicher Geduld aufzunehmen:

a. Der Unterzeichnete Vicar hat, so viel er sich zu erinnern weiß, von keinen anderen Sünden zu seiner Gemeinde geredet als von solchen, welche in dieser Zeit sich überall finden und hiesigen Orts überdies durch eine lange über dem Bauwesen entstandene Unordnung um sich gegriffen haben, – deren Spuren ihm auch nach kurzem Hiersein unverkennbar begegnet sind. Das königliche Pfarramt kennt die Sache wohl.
b. In „leidenschaftlicher“ Weise gepredigt zu haben, ist dem Unterzeichneten nicht bewußt. Es hat ihn noch Niemand hier persönlich beleidigt, es hat ihn Niemand aufgereizt leidenschaftlich zu predigen. Er glaubt die Gemeinde zu lieben, und er betet auch täglich, daß das, was er nach 2. Tim. 4, 2. ff. thut, ein ἀληθεύειν sein möge ἐκ τῆς ἀγάπης καὶ ἐν τῇ ἀγάπῃ Wissentlich hat er die Liebe nicht verletzt.
c. Daß der Unterzeichnete sich bei der Gemeinde keine Liebe und Achtung erworben habe, weiß er nicht. Er bittet aber darum, wohl zu überlegen, ob seine Kläger, oder sein Kläger im Namen der Gemeinde rede, oder ob es nur die Stimme Eines oder einzelner Gemeindeglieder sei, – ob der Kläger jemals den Vicar selbst hat predigen hören,| oder ob er ohne Untersuchung, auf fremde Anregung, geklagt habe. Es gehen viele Gerüchte, auch nicht die Apostel und der Herr selbst sind von nachtheiligen Gerüchten unberührt geblieben. 2. Cor. 6, 8. – Wer auf geradem Wege kann das Wohlgefallen aller gewinnen, auch Christus selbst konnte es nicht dahin bringen. Luc. 2, 34. 35. – Darum bittet der Unterzeichnete dringend, nicht jede Klage über ihn für Wahrheit anzunehmen. Er steht ja gerne zur Verantwortung bereit und begehrt keinen seiner Fehler zu läugnen. – Und eben darum, weil er sich eines guten Willens bewußt ist, hat es ihm schmerzlich wehe gethan, daß ihm, der zum ersten Male angeklagt ist, ehe er sich noch verantwortet hatte, sogleich mit Einschreitung von Seite des königlichen Consistoriums gedroht wurde, da doch die väterlichen Vormünder der Kirche für diejenigen keine Furcht sein dürfen, deren voller Ernst es ist, der Sache Gottes und seiner Kirche zu dienen.

 „Beigelegt habe ich ein Zeugnis des königlichen Pfarramts dahier, welchem in dieser Sache wohl auch eine Competenz zustehen wird.

 „Gewiß werde ich auf die Rüge des königlichen Decanats hin desto mehr Inhalt und Ausdruck meiner Predigten in Acht nehmen, Gott um vermehrte Liebe bitten und, so viel an mir liegt, Friede halten mit Jedermann.

 „Mit herzlicher Ehrerbietung und voller, schuldiger Hochachtung

Eines Decanats gehorsamer 
Wilh. Löhe.“ 




|  Bereits am 15. Februar desselben Jahres erhielt Löhe Kunde, daß der Landrichter wieder grimmig gegen ihn sei, weil es heiße, er, Löhe, halte Conventikel. Der Landrichter habe erklärt, er könne den Vicarius nicht aus dem Sinn bekommen, entweder der Vicar oder er müsse fort. Wirklich wurde Löhe im Laufe des März, und zwar diesmal beim Consistorium, wegen Abhaltens von Conventikeln angeklagt, und die Folge war ein in nicht sehr glimpflichen Ausdrücken abgefaßter Verweis des königlichen Consistoriums, der hier seine Stelle finden mag.


Bayreuth, den 10. April 1832.

 „Im Namen Seiner Majestät des Königs!

 „Auf den Bericht des königlichen Decanats Wunsiedel vom 31. März d. J. in rubriciertem Betreff wird unter Zurückgabe der Beilagen desselben erinnert, daß nach diesen der Privatvicar Löhe als ein von sich eingenommener junger Mann erscheint, dem es an Welt- und Menschenkenntnis noch gar sehr fehlt, und der also wohl thun wird, bei seinem nicht berechneten Eifer, auf Andere wohlthätig einzuwirken, sich zuvor reifere Erfahrungen zu sammeln und vor geistlichem Hochmuth zu hüten.

 „Das königliche Decanat hat ihn hierauf ernstlich und väterlich aufmerksam zu machen und ihm insbesondere die nachtheiligen Folgen vorzuhalten, die ihn unausbleiblich treffen werden, wenn er bei seinem Wirken in kirchlicher und religiöser Beziehung die gesetzlichen Schranken nicht achten und besondere Zusammenkünfte zu religiösen Zwecken begünstigen oder gar veranlassen sollte. Der Decan Sommer ist aufzufordern, auf diesen jungen Mann ein ganz besonderes aufmerksames Auge zu haben und ihm mit seinen gereiften Erfahrungen zur Hand zu gehen, damit er aus Unerfahrenheit bei dem besten Willen nicht schade, statt zu nützen glaube. – Auch hat das königliche Decanat den| etc. Löhe, besonders bei gegebener Veranlassung, öfters das Concept der von ihm gehaltenen Predigt abzuverlangen und ihm dieselbe zu seiner Belehrung censiert zurückzugeben oder dieselbe erforderlichen Falles unter gutachtlicher Aeußerung dahier vorzulegen.
Königlich protestantisches Consistorium 
N. N. 
 An

 das k. Decanat zu Wunsiedel.
Besondere Zusammenkünfte zu
religiösen Zwecken, in specie den

Vicar Löhe zu Kirchenlamitz betr.“




 Den Empfang dieses Rescriptes registriert Löhe in seinem Tagebuch mit folgenden Worten: „Heute brachte mir der Herr Decan eine derbe Nase vom Consistorio, die ich nahm und abschrieb, übrigens nicht viel davon turbiert wurde. Es ist auch Wahres drin, was ich mir wohl merken muß. Gott Dank.“ – Durch das Verbot der Conventikel wurden auch die Missionsstunden, die ein Kaufmann R. von Zeit zu Zeit in seinem Hause hielt, und an denen sich Löhe durch Vorlesen betheiligte, mit betroffen. Löhe fügte sich zwar in die von dem Landgericht und dem königlichen Consistorium erlassene Verfügung, obwohl ihm Professor Krafft, den er zu Rathe gezogen, als Antwort schrieb: „Es wäre entsetzlich, wenn außer den kirchlichen Versammlungen der Gemeinden und außer der Hausandacht der Familien alles und jedes anderweitige Zusammenkommen einzelner Gemeindeglieder zur Erbauung mit dem Namen Conventikel belegt und gehindert werden dürfte, es wäre auch wohl etwas ganz Neues. Denn auf diese Weise ist der Begriff der verbotenen Conventikel meines Wissens niemals ausgedehnt worden. Man hat immer eingerichtete, fortgesetzte, nach Zeit und Ort bestimmte Zusammenkünfte darunter verstanden, und solche haben Sie ja keine gehalten. Sollte nun dem Ausdruck Conventikel bei Ihnen dort weiter| eine so ganz ungebührliche, der Seelsorge hinderliche Ausdehnung und Anwendung gegeben werden wollen, so sollen und dürfen Sie sich gewiß tapfer halten etc.“ Dennoch hielt es Löhe für gerathen, den Plan wegen Abhaltung von Missionsstunden aufzugeben, aber er gieng mit dem Gedanken um, Unterschriften von Geistlichen zu sammeln und vom Consistorium und im Weigerungsfall immer weiter hinauf Freiheit der Missionssache und der Seelsorge als ein unveräußerliches Recht der Kirche zurückzufordern.

 Auf diese ersten drohenden Anzeichen folgte eine Zeit der Stille und ziemlich unangefochtener Ruhe. „Man begnügt sich“, schreibt Löhe, „bei guten Freunden über mich zu schimpfen. Uebers Schimpfen hinaus ist’s in der letzten Zeit nicht gekommen.“ Zwar fehlte es auch in dieser Zeit nicht an mancherlei Chikanen, doch blieben dieselben mehr oder minder ohnmächtige Versuche seiner Gegner ihm beizukommen. Aber gegen Ende des Jahres 1833 wurde ganz in der Stille der entscheidende Schlag gegen Löhe vorbereitet, und an Weihnachten desselben Jahres kam der bis dahin im Finstern schleichende Plan ans Tageslicht. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wurde vom königlichen Landgericht Kirchenlamitz ein Schreiben an Löhe gerichtet, das zu charakteristisch ist, als daß wir es nicht mittheilen sollten.


 „Die königliche Regierung verlangt die nähere Untersuchung abschriftlich beigefügter Anzeige der königlichen Gendarmerie dahier. Vom unterzeichneten Landgericht wird daher
Herr Vicar Löhe dahier

aufgefordert, sich binnen acht Tagen darüber schriftlich zu verantworten, oder sich dieserhalb beim königlichen Landgericht einzufinden.

 Kirchenlamitz, den 26. December 1833.

Königliches Landgericht. 
B. 


|
Abschrift des Extractes.
Kirchenlamitz, den 30. November 1833.
Die 12. Sicherheits-Brigade
an
das königliche Compagnie-
Commando,
6. Gendarmerie-Compagnie.
heimliche Zusammenkünfte hinsichtlich
neuerlichen Glaubens-Secte
betreffend.

 Unterzeichneter meldet gehorsamst, daß zu Kirchenlamitz heimliche Zusammenkünfte in mehreren Häusern stattfinden.

etc. etc.

 2. Desgleichen kommen im Pfarrhause in der Wohnung des Herrn Pfarrvicars Löhe dahier die männliche Jugend im Alter zu 14-18 Jahren öfters in der Woche nächtlicher Zeit zusammen, und ihr Treiben ist Beten und Singen.

Johann Müller, 
Brigadier zu Fuß. 

 Auf diese Anklage reichte Löhe unterm 4. Januar 1834 beim Landgerichte eine Vertheidigungsschrift ein, in der er auf die Hauptklagepunkte in folgender Weise sich verantwortet:

 „Die Anklage wegen neuerlicher Glaubenssecte ist völlig grundlos und bei ihrer Bedeutendheit zum wenigsten leichtfertig genug hingeworfen.

 „Die hiesigen Geistlichen hängen der evangelisch-lutherischen Kirche von ganzer Seele an, und alles ihr Lehren und Wirken kann nur vom Stande der symbolischen Bücher dieser Kirche recht beurtheilt werden. Der Unterzeichnete namentlich hat schon in dem zur Ordination abgegebenen Lebenslauf dagegen protestiert, für einen Menschen angesehen zu werden, welcher die Ordination in einer Kirche verlangte, deren Glauben er nicht| völlig beipflichtete, hat sich gänzlich zu den symbolischen Büchern bekannt, wie das Ordinandenbuch ausweisen kann. – Wie soll bei solchen Lehrern und zumal unter deren Schülern und Schülerinnen eine neuerliche Secte herkommen? Sollten sich die treuesten Anhänger der alt-lutherischen Kirche noch eine Secte nennen lassen, weil sie der Zahl nach wenige sind gegen die, welche im Leben und Erkenntnis diese Kirche verläugnend, dennoch auf ihren Namen und ihre Rechte fortwährend Anspruch machen? Und wo ist was neuerlich bei denen, die nichts mehr von sich weisen als die seit etwa 80 Jahren eingedrungenen neuen Lehren, die ganz dem Glauben ihrer Väter leben, den öffentlichen Gottesdienst am fleißigsten besuchen, und ihre bürgerlichen Pflichten und wo sie sonst Gehorsam schuldig sind, mit willigem Herzen leisten?

 „Wahrlich, es sollte dem Kläger schwer werden, hier Beweis zu liefern, und wir würden hier auch auf Beweis dringen, wenn nicht auf platter Hand läge, daß der Kläger nicht wußte, was er that, sondern aus Unwissenheit diese Klage stellte.

 „Was nun den eigentlichen Klagpunkt anlangt, der gegen Unterzeichneten gesetzt ist, so würde der Kläger ebenfalls diese Klage nicht gestellt haben, wenn er gewußt hätte, wie sich die Sache verhält. Er kannte nicht einmal das Aeußerliche der Sache recht; denn nicht öfters in der Woche, sondern nur einmal, am Sonntage, nicht nächtlicher Zeit, sondern zwischen vier und sieben Uhr kommen zu ihm Schüler, gesungen wird eigentlich gar nicht, außer daß etliche Sonntagsschüler von dem hiesigen Knabenlehrer auf der Stube des Unterzeichneten seit dem 7. December, also erst nach dem Datum der Klagschrift, Singunterricht haben, – auch ist hier nicht, wie sich der Kläger frivol genug ausdrückt, ,Beten und Singen das Treiben‘, sondern Unterricht in den christlichen Heilswahrheiten, welcher| freilich in der Regel, oft aber auch nicht, mit Gebet angefangen und mit Gebet geendet wurde, wie es billig und recht ist.“

 In der eben erwähnten Verteidigungsschrift hatte Löhe unter anderem auch eines Missionskränzchens Erwähnung gethan, zu welchem sich auf seine Aufforderung einige Frauen und Mädchen, sechs bis sieben an der Zahl, zusammengeschlossen hatten. Dies bot die Handhabe zu einer neuen Untersuchung. Am 23. Januar 1834 erhielt Löhe ein landgerichtliches Schreiben, das sammt seiner darauf abgegebenen Erwiderung um der Vollständigkeit der Acten willen hier eine Stelle finden mag.

 „Da vom Herrn Vicar Löhe angegeben, daß er zum Besten der Heidenmission einige Frauen und Sonntagsschülerinnen veranlaßt habe, zu spinnen und zu stricken,

 so soll nach einer Entschließung der königlichen Regierung vom 18. curr. auch angezeigt werden:

an wen die gefertigten Arbeiten abgeliefert worden sind, und wer die Sammlung der Beiträge für die Missions-Anstalt und deren weitere Beförderung im Königreiche besorgt und leitet?

 „Die Erklärung hierüber soll schleunigst eingesendet werden, wird daher bis morgen früh 9 Uhr erwartet.

 Kirchenlamitz, den 23. Januar 1834.

Königliches Landgericht.
B.“ 


Erklärung.
Kirchenlamitz, den 23. Januar 1834.

 „Königliches Landgericht!

 „Auf das soeben erhaltene landgerichtliche Schreiben vom Heutigen und die in demselben rücksichtlich Unterstützung der| Heidenmission vorgelegten Fragen erklärt der gehorsamst Unterzeichnete wie folgt:
1. daß die hiesigen Missionsarbeiten bisher noch zu unbedeutend gewesen sind, um weiter befördert zu werden. Sie sind noch nicht einmal an den Unterzeichneten abgegeben.
2. Es ist Niemand besonders vorhanden, der die Sammlung der Beiträge für diesen Zweck und deren Beförderung im Königreiche besorgen oder gar leiten sollte. Wer so etwas suchen wollte, würde einem Schemen nachjagen.
3. Da bisher in unserm bayerischen Vaterlande zur Errichtung eines förmlichen Vereins für Missionen oder auch einer Missionsschule keine Erlaubnis vorhanden ist, Privat-Unterstützungen auswärtiger Anstalten der Art aber eben so wenig verboten sein können als Privat-Unterstützung z. B. zur Linderung auswärtigen Wasser- oder Feuerschadens, im Gegentheil das in der früheren Verantwortung des Unterzeichneten angezogene höchste Ministerialrescript solcher harmlosen Bemühung nicht in den Weg treten will, welche noch überdies in leicht zu findendem Zusammenhang im göttlichen Missionsgebot Matth. 28, 19. 20 als Pflicht, also auch als Recht enthalten ist, – so schickt Jeder, der Lust hat, seine Beiträge derjenigen Missionsanstalt, die ihm die gelegenste und angenehmste ist.
4. Daß die geringen Gaben einzelner Gemeindeglieder nicht einzeln an eine Anstalt gesendet werden können, und man deshalb den Zusammenfluß mehrerer abwartet, ist natürlich und derselbe Fall wie bei Unterstützung weltlicher Zwecke.
|  Schlüßlich bemerkt der Unterzeichnete, daß gegenwärtig auch nicht mehr drei oder vier Personen an Einem Ort für benannten Zweck arbeiten. Ein Jedes thut in seinem Hause, wozu es sein Herz treibt. So ist auch der Schein von einer andern als Privat-Unterstützung weggefallen.

„Mit schuldiger Hochachtung verharrt
 Eines königlichen Landgerichts
  u. s. w.

W. Löhe.“ 


 Inzwischen hatten sich aber auch die kirchlichen Behörden schon ins Mittel gelegt, und ein Rescript jagte nun das andere. Bereits unterm 26. November 1833 war das Decanat Wunsiedel aufgefordert worden, über das zur Notorietät gewordene pietistische Treiben des Privatvicars Löhe zu Kirchenlamitz, dessen Benehmen Einschreitungen nothwendig zu machen scheine, schleunigst Bericht zu erstatten. Nun aber, am 19. Januar 1834, lief ein decanatliches Schreiben folgenden Inhalts beim Pfarramt Kirchenlamitz ein.


Wunsiedel, den 16. Januar 1834.
Auszug aus einem hohen königlichen Consistorialrescript
d. d. Bayreuth, 11. Jannar c.
u. s. w.
 „Da übrigens schon der bis jetzt ermittelte Stand der Dinge eine baldige Entfernung des Vicars Löhe von Kirchenlamitz erfordert, so hat das k. Decanat den Decan und ersten Pfarrer Sommer zu Kirchenlamitz einstweilen hievon mit dem Anhang in Kenntnis zu setzen, daß von ihm selbst zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther in der seiner geistlichen Obhut anvertrauten| Gemeinde die baldige Entlassung des Vicars Löhe und die Annahme eines andern in seinen theologischen Ansichten gemäßigten Candidaten als Gehülfen im Amte binnen Monatsfrist erwartet werde etc.

 „Welches dem K. Herrn Decan und ersten Pfarrer Sommer in Kirchenlamitz hiemit zur Nachachtung eröffnet wird.

K. prot. Decanat
R.“ 


 In Folge des hier erwähnten Consistorial-Rescripts erhielt nun Löhe eine Citation vor das Decanat, um sich persönlich über mehrere Punkte hinsichtlich seines „mystischen Wirkens“ protocollarisch vernehmen zu lassen. Das Protokoll dieser mehrstündigen Verhandlung ist in Löhe’s schriftlichem Nachlaß noch vorhanden und jedenfalls ein zu merkwürdiges, die theologische und pastorale Misère des weiland Rationalismus zu getreu kennzeichnendes Actenstück, als daß wir es nicht in extenso mittheilen sollten.

„Geschehen Wunsiedel, den 27. Januar 1834. 

 Gegenwärtig:
Der königl. Decan R.

 In Folge eines hohen Consistorial-Rescripts vom 11. et praes. 15. d. M. wurde der Pfarramts-Candidat und Privat-Vicar des königl. ersten Pfarrers und Titular Decans Herrn Sommer zu Kirchenlamitz, Herr Johann Conrad Wilhelm Löhe, mittelst decanatlichen Schreibens vom 24. d. M.
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vorgeladen, im hiesigen Decanate persönlich zu erscheinen, um über mehrere Punkte im Betreff eines ihm zur Last gelegten schädlichen und zu weit gehenden Mystizismus vernommen zu werden.
 Gedachter Pfarramts-Candidat und Privat-Vicar Herr Löhe erschien auch zur bestimmten Stunde, und als derselbe ermahnt worden war, die Wahrheit nach seinem besten Wissen und Gewissen zu bekennen, und er dieses auch durch ein feierliches Handgelübde zugesagt hatte, begann die Vernehmlassung auf folgende Weise:
 1. „Sie stehen schon seit längerer Zeit, und zwar von dem Augenblicke an, wo Sie Ihre Stelle als Privat-Vicar in Kirchenlamitz angetreten haben, in einem weiten Umkreis in dem Rufe eines ausschweifenden und schädlichen Mysticismus und eines übertriebenen Eifers, wodurch Sie sich Schritte erlauben, welche in die häusliche und bürgerliche Ordnung störend
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eingreifen, einen nachtheiligen religiösen Separatismus erzeugen und das thätige Christenthum in eine todte, kraft- und lebenlose Gefühlsreligion verwandeln. Was können Sie dagegen vorbringen?“
 Herr Vicar Löhe erwiderte hierauf:
 „Wenn man unter Mysticismus so viel versteht, als ein Festhalten an den Symbolen der lutherischen Kirche, so bekenne ich allerdings, daß ich ein Mystiker bin; daß ich aber dadurch in die häusliche und bürgerliche Ordnung störend eingreife und einen religiösen Separatismus d. h. nach meinem Sinn eine Lossagung von der kirchlichen Lehre und dem kirchlichen Gottesdienste erzeuge und das thätige Christenthum in eine kraft- und lebenlose Gefühlsreligion verwandle, ist mir nicht bewußt; solche Anklagen müßten näher bewiesen werden.“[6]
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 2. „Man legt Ihnen zur Last, Sie haben auf der Kanzel in Gegenwart Ihres ehrwürdigen Pfarrers und Titular-Decans geäußert, daß von den seitherigen Seelsorgern die Kirchengemeinde dortselbst vernachlässigt worden sei.“
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 Herr Vicar Löhe entgegnete:
 „Es ist wahr, ich habe wohl öfters geäußert, daß seit vierzig bis fünfzig Jahren ein neues Leben in der evangelisch-lutherischen Kirche erwacht sei, und daß vorher allerdings ein Verderben durch Unglauben und Lauigkeit herrschend geworden war; daß ich aber niemals in Bezug auf Kirchenlamitz gesprochen habe, wird Herr Decan Sommer, welcher ja zugegen gewesen sein soll, selbst beglaubigen können.“
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 3. „Man setzt hinzu, dies geht ferner aus den öfteren Klagen in Ihren und Ihrer Consorten Predigten hervor, daß das Evangelium von den meisten nicht lauter und rein gepredigt werde!“
 „Ich gestehe, daß ich bei im Texte liegender Veranlassung einige Mal geäußert habe, daß in unserer Zeit von sehr vielen das Evangelium nicht lauter und rein gepredigt werde, wobei ich aber bemerke, daß dies in Bezug auf die Umgegend um so weniger geschehen sei,
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als ich mit fast keinem Pfarrer in persönlicher Berührung stand.“
 4. „Es wurde ferner angegeben, beide Vicare, nämlich die Herren Löhe und Seyler, und der Herr Pfarrer Georg halten es nicht für zweckwidrig und unziemlich, Verdammungsurtheile über alle, die nicht nach ihrer Art denken, glauben und leben, auszusprechen; diejenigen, welche ihr Tadel treffen soll, auf der Kanzel so genau zu bezeichnen, daß es Jedermann auffallen muß.“
 „Ich habe in meinen öffentlichen Vorträgen nie auf einzelne Personen hingedeutet. Fand sich bisweilen der eine oder der andere getroffen, so war dies nicht meine Absicht.“
 5. „Am Namensfeste der Königin sollen Sie geäußert haben, diejenigen Beamten, die andern gutes Beispiel geben sollen, aber die Kirche nur selten besuchen, seien die eigentlichen Vaterlandsfeinde, womit Sie den Landrichter B. bezeichnen wollten.“
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 Hierauf erwiderte Herr Vicar Löhe:
 „In jener Predigt war meines Wissens von Beamten keine Rede; gesagt habe ich jedoch, daß nicht Vaterlandsfreunde, sondern Vaterlandsfeinde seien, welche das wahre Christenthum durch Wort und Beispiel zu hindern suchen. Der Beweis wurde damit geliefert, daß auseinander gesetzt wurde, wie der beste Christ auch der beste Bürger sei, und Christen niemals die Zeitgesinnungen in revolutionärer Hinsicht theilen.
 „Dies werden wohl mehrere auf sich zu beziehen gehabt haben als einer.“
 6. „Die Töchter des königl. Landrichters B. sollen Sie darüber zur Rede gesetzt haben, daß sie nicht auch, wie andere junge Personen, die Zusammenkünfte bei Ihnen, welche Sie unter dem Schilde eines Vereins halten, besuchen?
„Ist eine baare Lüge.“
 7. „Die krank gewesene Ehegattin des königlichen Landrichters
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B. sollen Sie, wie auch die beiden andern Geistlichen in Kirchenlamitz, so oft und stark mit den bestimmtesten Vorbereitungen zum Tode bestürmt haben, daß dieselbe wirklich vor Todesfurcht gefährlich krank wurde, und sich der königliche Landrichter Ihre Besuche ernstlich verbitten mußte.“
 „Ich habe die kranke Frau Landrichter B. auf zweimaliges Einladen durch ihre jüngere Tochter nur einmal besucht und um so weniger mit ihr auf eine auffallend ernste Weise reden können, als ich ihren Gemüthszustand und ihre Krankheit nicht beurtheilen konnte; daß sich der Herr Landrichter die Besuche ernstlich verbeten habe, ist nicht an dem.“
 8. „Ueber die neuen Wohnhäuser des Kaufmanns M. und des Landgerichtsdieners W. sollen Sie sich die Bemerkung erlaubt haben, daß beide recht viele Fenster hätten, damit recht viele Teufelchen Eingang finden könnten.“
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 „Ich finde in meiner ganzen Erinnerung nichts dergleichen und glaube, daß sich so etwas zu einer Klage nicht eigne.“
 9. „Man macht Ihnen zum Vorwurf, daß Sie jedes sinnliche Vergnügen, auch die kleinste unschuldige Lustbarkeit unbedingt verdammen.“
 „Ist eine Lüge. Was mit Gottes Geboten vereinbar ist, habe ich nie verdammt. Wider die Sonntags-Belustigungen, Treibjagden, Schießen während der Kirche, auch Sonntagsmärkte wurde hie und da, obwohl für den häufigen Misbrauch nicht oft, geredet.“
 10. „Sie verbreiten schädliche Tractätchen und Schriften, wodurch Sie den religiösen Aberglauben befördern, die Gemüther beunruhigen und besonders nachtheilig auf die Jugend wirken. Besonders legt man Ihnen zur Last, daß Sie jenes bekannte Büchlein: ,Das Herz des Menschen, ein Tempel Gottes oder eine Werkstätte des Satans, in 10 Figuren sinnbildlich dargestellt‘,
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verbreitet und auch neuerlich ein Tractätchen geschrieben und dem Drucke übergeben haben, welches den Titel ,Dina‘ führt, und welches für die Jugend höchst schädlich sein soll.“
 Ich erwidere hierauf:

 a. „Daß ich meines Wissens weder ein größeres noch ein kleineres Buch ausgegeben habe, das wider die Glaubensschriften unserer Kirche stritte.
 b. „Das Büchlein: ,Das Herz des Menschen etc.‘ habe ich zwar etlichen verschafft, mich aber trotz vieler Bitten geweigert, es ferner zu verschaffen, seitdem ich hörte, daß es verboten sei.
 c. „Mit dem Tractätchen ,Dina‘ wollte ich der im Obermainkreise überaus stark überhand nehmenden (siehe Hoffmann’s: die Erde und ihre Bewohner) Unzucht meinerseits in den Weg treten; will übrigens die ganze Auflage cassieren, wenn es im Vergleich mit dem Zustande des Volkes für zu stark befunden wird. Zur Beurtheilung bin ich bereit,

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dem königlichen Decanate ein Exemplar zuzuschicken.

 „Uebrigens bitte ich, meine Kläger mir namhaft zu machen, damit ich mich noch ausführlicher, und zwar schriftlich vertheidigen könne.“
 Da weiter nichts mehr zu verhandeln war, so wurde dieses Protocoll geschlossen.

V. g. u. u.
W. Löhe, Privatvicar.
a. u. s.
R.


 Seinen Empfindungen in dieser Zeit, wo er mit Anklagen förmlich gehetzt wurde, hat Löhe in den aus jenem Zeitraum stammenden Briefen Ausdruck gegeben, von denen wir hier zwei folgen lassen, einen an Madame H. in Nürnberg und einen an seinen Freund Z. ebendaselbst.


Kirchenlamitz, 24. Januar 1834. 
Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, dem Vater und von dem treuen Heilande Jesu Christo!
Amen.
 „Die Operation ist bei mir vorüber, der Backen gesünder, als das Herz. Am Leib fehlt überhaupt gegenwärtig nichts. Desto ernsthafter geht es in der Gemeinde her. Der HErr gibt Gnade, manche wachen auf, aber meine Obern zürnen| mit mir bis hinauf zum Ministerium, und ich habe Befehl, in vier Wochen die Gemeinde zu räumen, wo ich ,Unruhe‘ angerichtet habe. Guter Gott! Ich bin stille, willig, fröhlich, muthig – oft zu sehr.

 „Mein Herr Decan will mich nicht ziehen lassen, die Gemeinde drängt sich an mich, aber es wird schwerlich helfen. Es war hier zu schön für mich. Ich werde wohl bald als exilierter Vicar zu meinen Lieben kommen und brach liegen. Der HErr wirds versehen. Auch mein Jesus ist zuweilen in die Stille gegangen. Er ist gerne bei den Stillen. Gott, heißt es, man lobt Dich in der Stille zu Zion. Ich weigere mich nicht. Mein Herz wird ja aufhören zu bluten, wenn ich eine Zeit lang weg bin, und ich will den HErrn bitten, daß hinfort mein Herz sich an keine Gemeinde mehr und an keine Creatur so gar hänge; denn es thut weh, wenn sich ein Haufe weinender Kinder an einen Vater hängen, und der Vater muß tapfer thun und mit dem Weinen warten, bis ihn seine Kindlein nicht mehr sehen. Und doch lob ich Ihn! Bei Ihm will ich, ach hilf mein JEsu, nun ganz allein bleiben. Ich habe nur Eine Seele und Ein Herz; aber das, das Schlechteste und Beste, was ich habe, sei Sein mit dem letzten Pulsschlag, meinem letzten Gedanken. Gibt Er mir doch zum Krieg mit Herz und Welt Seinen Frieden.“




 „Liebster Bruder!

 „Hab herzlichen Dank für Deinen lieben Brief vom 27. Januar. Ich habe mich sehr gefreut. Es scheint zwar gegenwärtig, als wolle das Wetter für mich günstiger werden, weil die Lügen zu grob waren. Aber ich weiß noch gar nichts. Es ist ein paar Tage ganz still. Die Gegner reservieren sich,| und Senior M., der tapfer wider mich war, schreibt mir auf drei und einer halben Folioseite, daß er mich in guter Meinung verklagt habe. Laß sein. Ich halte auf Menschen nichts. Alle Menschen sind Lügner und ich dazu, und wenn mir Gott eine That thun will, so geschieht mir, wenn auch vor Menschen Unrecht, doch vor Gott ganz recht. Ich bin zu aller Schmach gefaßt, und wenn’s auch wieder himmelheiter wird, so will ich mir doch nicht einbilden, daß es immer so bleiben werde. Einen Tag und heute ists immer mein Sprüchwort: ,Je näher dem Herzen, je näher den Schmerzen Christi.‘

 „Layriz verlangte einen Tag eher, als ich Deinen lieben Brief erhielt, eine Darstellung der Sache. Allein, wenn ich betrachte, welche Actenbündel ich schon vor Weihnachten, da es erst losbrach, im Landgericht und vor acht Tagen im Decanat gesehen habe, so ist mir klar, daß ich wie ein Kind in der Geburt bin und von der Sache wenig weiß..... Laß Du sie machen. Es hat alles Ding sein Ende von Gott, auch das Kreuz. Ich will Geduld haben – zumal ich Gottes Gnadenbeistand spüre. Ich verläugne drum meinen HErrn noch nicht, denn Er ist mein Hirte, ich sein treues Schaf und muntrer Schafhund oben drein. Er wird mich in Seinem Namen erhalten und die Stimme zum Bellen nicht ausgehen lassen. Er lasse aber auch die Predigt von Seiner Liebe immer reicher von meinem Leibe gehn. Denn die Fastenzeit ist vor der Thür und es steht geschrieben: ‚Schicket euch in die Zeit, nämlich die Fastenzeit!‘ So will ich denn Sein nie vergessen, und das Lob des Verlästerten soll nie von meinen Lippen kommen.

 „Weiter als zu dienen begehre ich nichts. Ja, wenn ich der Sache Gottes mit Schweigen am besten diene, will ich gerne schweigen. Wie selig ist der Mensch, welcher schweigt und in der Stille Gott vernimmt. Ach, selig sind,| die Gottes Wort hören und bewahren. Gib mir, o Gott, ein feines gutes Herz!

 Dein

treuer Bruder 
W. Löhe, 
in Kirchenlamitz, den 6. Februar 1834.“


 In dieser Zeit der Verfolgung und drohenden Abschiedwehes war Löhe die Theilnahme der Gemeinde und seiner Brüder und Freunde in der Ferne zum Trost. Namentlich ein sehr schöner und herzlicher Brief seines Freundes Layriz erquickte sein Herz. Wir lassen denselben hier folgen.


Erlangen, 28. Januar 1834. 

 „Innig geliebter, theurer Bruder!

 „Zwar sind es nur noch Viertelstunden, die ich diesen Morgen übrig habe zur Vorbereitung auf den unerwartet schnell herbeigekommenen ernsten Augenblick unserer feierlichen Verpflichtung und öffentlichen Einführung in unser neues Amt durch den königlichen Regierungspräsidenten; dennoch kann ich nicht umhin, wenigstens mit einigen Worten auf Deinen lieben Brief zu antworten, den ich seltsamer Weise gestern Abend erhielt, gerade als ich in des Chrysostomus Leben (von Neander) die Erzählung seiner schändlichen, teuflischen Verurtheilung las. Gewiß, habe ich schon an dem leiblichen Leiden, das die Hand des HErrn Dir sandte, den herzlichsten Antheil genommen, so muß ich das noch weit mehr bei den Schmerzen, die der alte Drache mit seiner Brut Deinem und so vieler treuen Christen Herzen jetzt zu erregen sucht. Doch was soll ich sagen, lieber Bruder? soll ich Dich bedauern oder nicht vielmehr glücklich preisen? Solch Leiden trägt ja überschwänglichen Trost in sich selber. Weißt Du ja doch, daß die Schmach Christi köstlicher| ist als alle Reichthümer dieser Welt, und der Wermuthskelch seiner Kämpfer süßer als alle Becher ihrer Lust! Weißt Du ja doch, um weswillen man Dich hasset, und für wen Du auch jetzt so manche schöne Freudenstunde, die Dir bei längerem Verweilen im Kreise Deiner Lieben geworden wäre, hinzugeben bereit bist! Ei Du Gesegneter des HErrn, wie mächtig bekennt Er sich zu Dir! Wie hat doch Er, der Sanftmüthige und von Herzen Demüthige, auch Dich mit einer Sanftmuth, Geduld und freudigen Ergebung ausgerüstet, die meinen Donnerkindssinn tief beschämt. Halte was Du hast! Und, wir alle flehen zum HErrn, daß er es Dir verleihe zu können gleich zu werden dem bewährten Gottesknechte, der da spricht: Man schilt uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir; man lästert uns, so flehen wir! Sei getrost! denn wo Kreuz ist, da ist Licht; und auf den HErrn harren, läßt nicht zu Schanden werden; wo Streit vorhanden, da gibt es Kronen zu erringen, und unser Glaube ist das Unterpfand unseres Siegs. – Nein, ich kann Dich nicht bedauern, nur freuen kann ich mich mit Dir und frohlockend Dir zurufen, was 1. Petr. 4, 12-16 geschrieben steht. – Und denke ich an die vielen tausend Heerdlein unsres großen Erzhirten, so weiß ich gar nicht was ich wünschen soll, Dein Gehen oder Dein Bleiben. Welch ein Segen, wenn der HErr Dich einige Monate in Fürth hielte und Dich dann wieder weiter sendete durch alle Kreise unseres Vaterlandes! Doch ich will schweigen, denn ich weiß, es thut Deinem Herzen wehe; auch ich weiß es, wie schwer es hält von einer lieben Gemeinde zu scheiden! Darum bleibe und weiche nicht, so lange der HErr Dirs erlaubt; heißt er Dich aber ziehen, so weißt Du ja den, der da spricht: Ich will Dich nicht verlassen noch versäumen! und: Ich will mich meiner Heerde selbst annehmen!
.
|  „,Ich war nicht der erste Lehrer des Evangeliums und werde auch nicht der letzte sein‘, sprach Chrysostomus. ,Starb nicht Moses und trat nicht Josua auf? Jeremia schied aus diesem Leben, war nicht Baruch da? Elias wurde zum Himmel erhoben, weissagte nicht Elisa? Paulus starb den Märtyrertod, ließ er nicht einen Timotheus, Titus, Apollos und viele andere zurück?‘

 „Georg wird ja treulich der Schwachen pflegen; Du wirst auch wohl in Verbindung mit Deinem lieben Herrn Decan einen Gleichgesinnten an Deine Stelle bringen können. Doch, was machen wir Pläne? Der HErr wirds wohl machen. Ich sage nochmals: ,Sei getrost, bleibe und weiche nicht, so lange Du nicht mußt‘. Daß doch Dein Herr Decan an das königliche Oberconsistorium appellierte; Du weißt gar nicht, wie liebreich und freundlich man dort gegen Dich gesinnt ist, und gewiß weiß man dort von der ganzen Sache nichts.

 „Der HErr sei mit Euch. Ach ja, Du treue, ewige Liebe, sei mit uns, denn bei Dir ist gut sein, in Leid wie in Freud! Führe uns auch fernerhin, nicht wie wir wollen, sondern wie Du willst! Und gib uns nur allezeit ein recht williges und demüthiges Herz, auf daß uns Dein sanftes Joch doch niemals hart und Deine leichte Last uns niemals schwer dünke, und weder Trübsal noch Angst noch Tod uns jemals von Dir zu scheiden vermöge! Amen.

Dein 
Layriz.“ 


 Es fehlte nicht an Vorstellungen hohen Ortes, welche für Löhe die Erlaubnis zum Bleiben auszuwirken versuchten, indeß vergeblich. Auch die ausführliche Vertheidigung, die Löhe auf seine Bitte beim Consistorium einreichen durfte, konnte an seiner| Lage nichts mehr ändern, denn in demselben Rescript, in welchem ihm die schriftliche Verantwortung vor der kirchlichen Behörde zugestanden wurde, war auch ausgesprochen, „daß es hinsichtlich der Entfernung des Vicars Löhe bei der Entschließung vom 11. v. M. sein Bewenden haben müsse, aber wegen der nunmehr abgelaufenen Monatsfrist der Termin bis zum ersten März l. J. verlängert werde, bis wohin der Herr Decan und Pfarrer Sommer den genannten Vicar zu entlassen und einen anderen Candidaten anzunehmen oder zu gewärtigen habe, daß ein qualificiertes Subject von dem königlichen Consistorium nach Kirchenlamitz abgesendet werde.“ Löhe ahnte die Nutzlosigkeit des ihm gestatteten Vertheidigungsversuches, wie aus folgendem Brief hervorgeht, den er unterm 14. Februar 1834 an seinen Freund Kündinger richtete, und der hier mitgetheilt zu werden verdient.


 „Mein theurer Bruder!

 „Heute Morgen erhielt ich von Köditz aus Deinen lieben Brief und danke einstweilen herzlichst. – Noch bin ich hier. Wahrscheinlich ists, daß ich gehen muß, besonders wenn mein alter Herr sterben sollte, der ernsthaft krank ist. Erst unterm 8. Februar hab ich Erlaubnis erhalten, mich in extenso gegen so viel Lügen zu verantworten und heut hab ichs gethan. Es wird aber nichts helfen, denn was sie nicht leiden wollen, ist freilich doch geschehen; es hat sich ein Theil bekehrt und ein großer Theil war nahe dran.

 „Wenn sich Christus irgendwo lebendig sehen läßt, heben sie Steine auf; aber er entgeht ihnen unter den Händen. Er läßt den Kriegsknechten den Rock zum Würfelspiel, den Körper müssen sie ihm bewahren. Ich habe ohne Ansehn der Person gepredigt Buße und Evangelium. Das ist mein Verbrechen.

|  „Es ist recht boshaft, wie es hier zugeht. Wir sind ecclesiola pressissima. Ich hab es noch nirgend erlebt. Aber ich hoffe auch, es werde ein Ende nehmen, wenn ich gehe.

 „So geht mirs – so wird mirs gehen. Ich bin ein Messer, und wer läßt sich gerne schneiden? Ich hab wohl Balsam, aber für Wunden, nicht um die Leute zu parfümieren.

 „Ich gehe gerne in die Stille, o wie gerne! Mag mein Herz bluten, es wird schon ausbluten. Man wird an alles gewöhnt, auch ans Herzblut. Es wird ja am Ende doch auch ein Ende nehmen, wenn nicht unterm, doch im Himmel.

 „O mein Bruder, bitte den HErrn, daß ich meine Seele in Geduld fasse und meine Feinde liebe. Ach ich armer Staub möchte gern Seinem geduldigen und liebevollen Leiden ähnlich werden.

 „Aller Segen Seiner Leiden kehre in Deinem Hause ein! Amen!

 Kirchenlamitz, den 14. Februar 1834.

Dein 
W. Lohe.“ 


 Die Absicht des Löhe wohlwollenden Magistrates, der im Verein mit den Ortsvorständen der eingepfarrten Gemeinden eine Deputation nach Bayreuth abzufertigen im Sinne hatte, wurde durch das Einschreiten des Landrichters, der die Berathenden auseinander jagte, vereitelt. So schloß mit dem 26. Februar die schöne und reich gesegnete Wirksamkeit Löhe’s in Kirchenlamitz, die er selbst gerne die Hochzeit seines Lebens nannte. Noch am Tag seiner Abreise verfolgte ihn das Gekläff einer letzten Anklage. Als Abschiedsgruß von Seiten des königlichen Landgerichts lief am Morgen seines letzten Tages in Kirchenlamitz ein Schreiben folgenden Inhalts ein.


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Kirchenlamitz, 26. Februar 1834. 

 „An den Fleischbänken dahier wurde heute ein schriftlich verabfaßter Anschlag folgenden Inhalts gefunden:

„Wer die Feder gespitzt hat und Urheber war des Pfarrer Leh, ist ein selbst Mörder an seiner Seele er ist karaker Loß, ein verdorbener sittenloser aufbralischer Mensch, er verneune unsern Heiland seine Wunden, wirde Gott ein Vergelder sein, so würde er ihm morgen sein Brod nehmen, es wird sich aber bei der letzten Todes Stunde geben, was er gethan hat, es geht Gewald vor Recht unverlöschlich wird es sichs aufbewahrt was geschehen ist zu dieser Zeit in hundert Jahren wird man es wieder finden und die Ursaecher werden erkannt werden.“

 „Derselbe wird sich daraus überzeugen, daß der von ihm ausgestreute Same keine guten Früchte bringen wird, dem Landgericht aber auch nicht verargen, wenn das bisher Geschehene näher untersucht und der königlichen Regierung Bericht darüber erstattet wird.

Hochachtungsvoll 
Königl. Landgericht. 
B. 


 Darauf erwiderte Löhe, ehe er sich persönlich bei dem Landrichter verabschiedete, noch Folgendes:


Kirchenlamitz, 26. Februar 1834. 

 „Königliches Landgericht!

 „Der gehorsamst Unterzeichnete erkennt mit Dank die gütige Gesinnung, mit welcher das königl. Landgericht ihm den Inhalt des an der Fleischbank angeschlagenen Zettels mittheilt. Auch ich erkenne darin nichts Gutes, viel weniger eine Frucht der von mir ausgestreuten reinen Lehre, wohl aber eine unreife Frucht| unreiner Liebe zu mir. Aber ich bin weit entfernt zu glauben, daß um solcher Dinge willen weitläufige Untersuchungen anzustellen der Mühe werth sei. Wie hoch so etwas anzuschlagen sei, ist billig dem Urtheil eines jeden uneingenommenen Gemüthes zu überlassen, zumal wenn man die Aufregung bedenkt, welche von mir unverschuldet, durch meinen Weggang, nicht durch mein Dasein veranlaßt wurde.

 „Uebrigens hat sich der Unterzeichnete längst in die Führung des Höchsten übergeben und hegt bei seinem Abgang die Ueberzeugung, daß seine Amtsführung eben so wenig Schaden bewirkte als beabsichtigte. Geistliche Wirksamkeit muß ja doch auch, wie Alles, nach ihrem eigenen Maße und geistlich bemessen werden.

 „Uebrigens gebe ich noch die gewiß überflüssige Versicherung, daß ich von jenem Anschlag nicht das Mindeste wußte.

 „Hochachtungsvoll sagt Lebewohl
 des königlichen Landgerichts
 gehorsamster

W. Löhe, 
eines evangelisch-lutherischen Predigtamts
ordinierter Candidat.“ 


 Mit der Schmach Christi bedeckt gieng Löhe von Kirchenlamitz ab. Indeß durch die Liebe, mit welcher der größte Theil der Gemeinde ihm zugethan war, gestaltete sich sein Weggang dennoch für ihn ehrenvoll genug. Ein Wagen fuhr voraus, in dem die Kinder des Landrichters Platz genommen hatten, und drei Chaisen mit Magistratspersonen folgten mehrere Stunden weit der seinigen. Seine Freunde Georg und Seyler gaben ihm bis Streitberg, wo man am andern Tag anlangte, das Geleite. Am dritten Tag kam Löhe in seiner Vaterstadt an, wo er nach mehrjähriger Trennung der Gemeinschaft mit seinen Lieben wieder froh werden durfte.

|  Löhe befand sich bereits in seiner Heimath, als beim königlichen Decanat Wunsiedel noch ein Consistorialrescript einlief, das wir als letztes Wort der kirchlichen Oberbehörde in Löhe’s Angelegenheit hier folgen lassen.


Bayreuth, den 1. März 1834.

 „Im Namen Seiner Majestät des Königs!

 „Auf die Berichte des königlichen Decanats Wunsiedel vom 6. und 16. Februar l. J. nebst vorgelegten Acten wird folgende Entschließung ertheilt:

 „Es ist unverkennbar, daß Vicar Löhe in Kirchenlamitz neben seinen gründlichen Kenntnissen zugleich auch frommen Willen und rastlosen Eifer besitzt, und mit eben so großer Gewissenhaftigkeit und Treue dem Prediger-Berufe, dem Unterrichte der Jugend und der speciellen Seelsorge sich widmet, als er sich durch einen musterhaften Wandel und Wohlthätigkeitssinn auszeichnet; aber so sehr auch dessen frommes Wollen und Wirken ehrende Anerkennung verdient, so muß es doch eben so sehr gemisbilligt werden, daß derselbe bei seiner einseitigen theologischen Richtung rücksichtslos andere für seine Ansichten zu gewinnen und Anhänger zu erzwingen strebt, ohne die Grenzen der geistlichen Gewalt zu kennen oder zu beachten, im ungemessenen Eifer seine asketische Strenge überall aufzudringen sucht, und Andersdenkende, selbst Lehrer der Religion, sogar auf der Kanzel verketzert, wodurch die mit den verschiedenen theologischen Systemen und Streitigkeiten unbekannten Gemeinden in ihrem Glauben irre gemacht, und nur Spaltungen erzeugt werden. Auch verdient es eine ernste Rüge, daß von demselben Schriften, wie z. B. ‚Das Herz des Menschen, ein Tempel Gottes oder eine Werkstätte des Teufels,‘ verbreitet worden sind, indem es wider den Geist des Christenthums| streitet, auf eine so grob sinnbildliche und tändelnde Weise zur Buße zu ermuntern, und überhaupt dadurch Vorstellungen in der Seele geweckt werden, durch welche zu keiner Zeit das wahre Christenthum gefördert worden ist.

 „Am meisten aber hat der genannte Vicar darinnen gefehlt, daß er besondere Erbauungsstunden außer der Kirche und Schule gehalten und Zusammenkünfte von einzelnen Familiengliedern da und dort veranlaßt und begünstigt hat, welche ein Zerwürfnis in Familien selbst zur Folge haben, durch leidenschaftliches und unkluges Eifern gegen so manche an sich erlaubte Vergnügungen oder noch allgemein bestehende Einrichtungen selbst den Frieden im bürgerlichen Verbande stören und früher oder später, wie noch überall die Erfahrung gelehrt hat, einen kirchlichen Separatismus herbeiführen.

 „Ueberdies ergibt sich noch aus den Acten zur Genüge, daß bei dem Vicar Löhe alle frühere und neuere Ermahnungen und Warnungen fruchtlos geblieben sind, daß vielmehr derselbe kein Hehl daraus macht, daß durch sein Versehen Beispiele von Zwietracht in den Familien vorgekommen seien, und sich und seine Stellung gänzlich vergessend, in dem irrigen Wahne steht, als ob er, indem er sich auf Christum (Luc. 12, 51-53) in dieser Beziehung beruft, noch ein verdienstliches Werk übte, und als ob es sich hier um die Gründung des wahren Christenthums durch seine Person handelte, was bei aller äußern Demuth desselben doch zugleich von geistlichem Stolze und Anmaßung zeugt.

 „Aus diesen Gründen, und weil das Treiben dieses jungen Geistlichen in der Gemeinde Kirchenlamitz und in der ganzen Umgegend solches Aufsehen gemacht und so großen Anstoß erregt hat, daß selbst die weltlichen Behörden ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet haben, und eine nähere Untersuchung| eingeleitet worden ist, ist die Abberufung des Candidaten Löhe von seinem bisherigen Privat-Vicariate für eben so nothwendig als zweckmäßig erkannt worden, und es muß deshalb um so mehr bei den diesseitigen Entschließungen vom 11. Januar und 12. Februar l. J. sein Bewenden haben, als eines Theils der nachtheilige Einfluß der Wirksamkeit desselben im Allgemeinen stärker hervortritt, als der gestiftete wesentliche Nutzen im Einzelnen sich zeigt, und andern Theils es die Pflicht der kirchlichen Aufsichts-Behörden erheischt, der mit allem Grunde zu befürchtenden Religionsschwärmerei und einem kirchlichen Separatismus in jener Gemeinde rechtzeitig entgegen zu arbeiten.

 „Indessen soll diese Entfernung des Privat Vicars Löhe, welche übrigens bei allen Candidaten, als nicht stabilen Geistlichen, aus administrativen Rücksichten jederzeit vom königl. Consistorium verfügt werden kann, demselben nicht als Strafe angerechnet werden; vielmehr bleibt es demselben unbenommen, sich um ein anderes Vicariat zu bewerben, indem es sich erwarten läßt, daß derselbe die bisher gemachten Erfahrungen und selbst diese Abberufung dazu benützen werde, seinem frommen Eifer eine mehr geregelte Richtung zu geben und die weise berechneten Schranken der geistlichen Amtswirksamkeit nicht mehr zu überschreiten.

 „Das königliche Decanat hat den Vicar Löhe hiervon in Kenntnis zu setzen und demselben väterlich ernste Ermahnungen zu ertheilen, und erhält zugleich den Auftrag, dem zweiten Pfarrer Georg in Kirchenlamitz zu eröffnen, daß er sich fernerhin und zwar bei großer Verantwortung, nicht mehr beigehen lassen dürfe, besondere Zusammenkünfte zur Belehrung und Erbauung einzelner Gemeindeglieder zu halten oder zu veranlassen und zu fördern, indem Kirche und Schule hinreichende| Gelegenheit dazu darbieten, und die besonderen Zusammenkünfte gewöhnlich in ein schädliches Conventikelwesen ausarten.

 „Dem Pfarramt in Kirchenlamitz ist hievon vollständige Notiz zu geben.

 „Was den Privat-Vicar Seyler zu Oberrösslau betrifft, so hat das königliche Decanat denselben vorzurufen, über die schädlichen Folgen seines zelotischen Eifers zu belehren und allen Ernstes zu warnen, damit nicht ähnliche Erscheinungen in der Gemeinde Oberrösslau wie in Kirchenlamitz hervortreten, wobei demselben bemerklich zu machen ist, daß er laut des diesseitigen Rescriptes vom 11. Januar l. J. unter specielle Aufsicht gestellt sei. Hierüber ist ein Protocoll aufzunehmen und in der Decanats-Registratur aufzubewahren.

 „Uebrigens erwartet man, daß das königliche Decanat die genannten Geistlichen und Gemeinden genau beaufsichtige und bei allenfallsigen neuen Vorfällen rechtzeitig einschreite.

Königlich Protest. Consistorium. 
F. 
An
das königl. Protest. Districts-
Decanat Wunsiedel,
die Privat-Vicare Löhe und
Seyler betreffend.




 Einmal noch, im Juli 1837, hat Löhe die Stätte seiner reichgesegneten jugendlichen Wirksamkeit besucht. Sein alter Herr war noch am Leben. Mit unveränderter Liebe hieng die Gemeinde noch an ihm, aber auch die Feindseligkeit seiner Gegner dauerte in ungeminderter Heftigkeit noch fort. Als das Gerücht sich verbreitete, daß Löhe predigen würde, beeilte sich das königliche Landgericht, sofort dagegen zu remonstrieren, indem es an das| königliche Pfarramt folgendes Schreiben des Vertreters der Gemeindebevollmächtigten von Kirchenlamitz mittheilte.


„Geschehen Kirchenlamitz, den 8. Juli 1837. 
Praes.:
Königlicher Landrichter B.
Prot.: Thierfelder.

 „Der Vorsteher der Gemeindebevollmächtigten dahier

Christoph Weichsel

erklärt:

 „Der vormalige Herr Vicar Löhe, der hier eine Zeitlang gewesen, aber wegen Verbreitung des Pietismus von hier entfernt worden ist, ist wieder hier eingetroffen, und will, wahrscheinlich von seinen Anhängern eingeladen, morgen predigen.

 „Die hiesige Gemeinde hat schon früher ihre Meinung darüber ausgesprochen, ich habe daher von vierzehn Gemeindebevollmächtigten den Auftrag erhalten, dagegen Verwahrung einzulegen, denn die bisherigen Erfahrungen haben bewiesen, daß der Herr Vicar Löhe überall stört und aus diesem Grund auch anderwärts, wie z. B. in Nürnberg etc., viele Veranlassung zu Unfrieden gegeben hat.

 „Es ist vorauszusehen, daß auch hier wieder der mit Vorsicht und Klugheit herbeigeführte Friede, der auch früher hier gestört worden, vielleicht mehrere Gemeindeglieder von neuem entzweit (sic).

 „Ich glaube daher aufgerufen zu sein, dem Landgericht hievon Anzeige machen zu müssen.

 „Ich bemerke dieserhalb:

1. daß ich weiß, daß die Anhänger des Herrn Vicar Löhe,| die hier befindlich sind, ihre übrigen (sic) davon theils mündlich, theils schriftlich benachrichtigt haben,
2. daß ich selbst den hiesigen ersten Pfarrer Herrn Decan Sommer darauf aufmerksam gemacht und gebeten habe, zu verhindern, daß Herr Vicar Löhe als Prediger hier wieder auftritt.

 „Von demselben erhielt ich aber lediglich die Antwort, daß er selbst nichts darum wisse und noch nicht darum angegangen worden sei, daß der Herr etc. Löhe hier predigen wolle, daß er aber nicht versagen könne, zu predigen (sic), wenn darum nachgesucht würde, denn eine Gastpredigt von einem Geistlichen sei ja erlaubt.

 „Ich habe auf diese Antwort wohl den Wunsch der Gemeinde zu erkennen gegeben und darauf aufmerksam gemacht, daß eine einzige Predigt des Herrn Löhe neuen Zwist zwischen den Gemeindegliedern herbeiführen könne, während wir bisher so friedlich (sic) mit einander gelebt haben.

 „Ich bitte das Landgericht, meine Anzeige, mit der wohl alle diejenigen Bürger von hier einverstanden sind, die nicht zu der bekannten Secte gehören, zu vertreten und dieselbe dem ersten Pfarrer Herrn Decan Sommer mitzutheilen.

 „Unterschreibt zur Bestätigung

Weichsel. 
g. w. o.
B. Thierfelder. 


 Unter diesen Verhältnissen stand Löhe freiwillig von dem Abhalten einer Gastpredigt ab, was der alte Pfarrer dem königl. Landgericht kundgab, nicht ohne Beifügung eines mannhaften Protestes „gegen dergleichen Eingriffe des königlichen Landgerichtes in die pfarramtlich-kirchlichen Rechte“.




|  Löhe hat von da an Kirchenlamitz nicht mehr besucht. Die Spuren des von ihm daselbst gestifteten Segens aber sind selbst in der Gegenwart noch nicht gänzlich verwischt.[7]



  1. Dabei passierten hie und da auch komische Geschichten. Eine derartige erzählt Löhe in seinem Tagebuch: „Eine Bauerndirne kommt, sie wolle den Herrn Vicarius auch einmal besuchen. Ich fragte über geistliche Dinge und es schien beinahe, als wäre sie nicht gar ohne geistlich Leben. Ich merkte, sie wolle etwas Anderes, ermunterte sie, es zu sagen. Ob ich ihr dienen, helfen könne? Antwort: „Weiß halt net.“ Nach noch mehreren Fragen sagte sie: „Ich mahn halt immer, – Sie senn mei Schatz.“ – Ich gab ihr derbe Lehren und wies sie sanftmüthiger auf Christum Jesum hin. Da gieng sie weinend fort.“
  2. Ein einfacher Handwerker aus H., der als Jüngling Löhe in Kirchenlamitz kennen gelernt hatte, besuchte den Herausgeber vor einigen Wochen und gab auf Befragen folgende Schilderung von Löhe’s äußerer Erscheinung: Er sah dürr, schmächtig, wie ein Jude aus, aber ein Paar Augen hatte er, daß er durch neun Paar Hosen schauen konnte.
  3. Laßt uns davonfliegen.
  4. Die betrübten Zustände im Donaumoos nach Lutzens Abfall sind gemeint.
  5. Möge der HErr auch mit den Abtrünnigen sein.
  6. Auf seine Bitte erhielt Löhe die Erlaubnis, sich gegen die obigen zehn Klagepunkte schriftlich bei dem Consistorium zu verantworten. Seine schriftliche Vertheidigung ist im Wesentlichen von seinen protocollarisch abgegebenen [189] Erklärungen nicht verschieden, nur die Entgegnung auf den ersten Klagepunkt ist bedeutend eingehender, als in der Vernehmlassung vor dem Decanat und stellenweise nicht ohne bittere Ironie ausgefallen. Wir theilen daher seine schriftliche Erklärung und Entgegnung auf den ersten Punkt der Anklage mit.
     Ad 1a. Da es heut zu Tage gewöhnlich ist, obwohl wider allen historischen Grund, mit dem Namen Mystiker diejenigen zu bezeichnen, welche am Glauben der alten Kirche hängen, nach ihm lehren, leben und wirken; so muß ich mir – im Sinne meiner Kläger – diesen Namen allerdings gefallen lassen. Daß mein sogenannter Mysticismus ‚ausschweifend und schädlich‘ sei, steht und fällt wohl mit den noch weiter zu beantwortenden Punkten.
     b. Daß ich störend in die häusliche und bürgerliche Ordnung eingegriffen habe, ist mir nicht bewußt. Doch kann ich mir denken, was die Gegner unter Störung der häuslichen Ordnung meinen. Das nämlich, was Lucä 12, 51-53 von dem HErrn selbst als eine Folge des Evangeliums beschrieben wird.
     „Dies ist bei uns, wie überall, in einigen Beispielen vorgekommen. Indeß haben meine Gegner nicht auch das Gegentheil berichtet, daß hie und da das Evangelium den Frieden in Familien gebracht hat, die ihn zuvor nicht kannten. – Bürgerliche Ordnung habe ich nimmermehr gestört.
     c. Eben so wenig habe ich ,religiösen Separatismus‘ bewirkt. Gerade die, welche von einigen in der Gegend so sehr verlästert werden, sind die kirchlichsten Personen, kennen und halten den alten Glauben fest. Gerade jene hingegen, welche lästern, haben auf die Kirche niemals viel gehalten, kennen ihre Lehre nicht und verwerfen sie dennoch.
     „Indeß ist mir ganz bekannt, was man hier gern als ‚religiösen‘ Separatismus darstellen möchte. Da ich einst – am 20. December 1833 – mit dem königlichen Landrichter B. (aus dessen Munde ich die meisten [190] der 10 Klagepunkte schon lange vernommen habe und von dem sie auch im Grunde herrühren mögen) – von Separatismus redete und ihn nach alter Weise erklärte, gab er mir offen eine Antwort dieses Inhalts: Es sei auch Separatismus, wenn man sich im gewöhnlichen Leben von der Gesellschaft seiner Mitbürger lossage. Er meinte damit die Gesellschaften in den Wirthshäusern. Da nun diese hiesigen Orts nicht eben scheinen gelobt werden zu dürfen; da ohnehin Jedermann die Freiheit hat, seinen Umgang nach Neigung zu wählen; so scheint mir wenigstens nichts Tadelnswerthes dahinter zu sein, wenn einige Bürger – vielleicht aus religiösen Gründen – aufhörten, ihre sonst gewöhnlichen Gesellschaften zu besuchen. ,Religiöser‘ Separatismus aber ist das gewiß nicht.
     „Der Besuch des Wirthshauses an sich (ein Punkt, der zugleich auf Nr. 9 der zehn Klagepunkte antwortet) ist von mir so wenig als verwerflich dargestellt, daß bis auf den heutigen Tag viele der frömmsten Bürger es hie und da besuchen. Wiewohl auch dies von den Gegnern scheel angesehen wird und nicht ungestört geblieben ist. Unglücklicher Weise sind hiesigen Orts diejenigen, welche an der Spitze stehen, dem größten Theile nach Feinde der alten Lehre und des daraus folgenden Lebens, entschlossen, Alles, was anders denkt und lebt, entweder mit sich zu vereinigen oder wenigstens zum Schweigen zu bringen, damit sie unangefochten thun [191] können, was sie mögen. Daher die ganze Sache. Wären andere Männer an der Spitze, so würden wir Lob ernten; unter solchen Umständen ist’s kein Wunder, daß man uns plagt.
     „So kann man auch zuversichtlich behaupten, daß sich hiesigen Orts keine ,Conventikel‘ ergeben hätten, wenn ein Mann von anderer Ueberzeugung die bewußte Untersuchung geleitet hätte. Man hat gefunden, was man finden wollte.
     d. ,Ich solle das thätige Christenthum in todten Gefühlsglauben verwandelt haben.‘
     „So viel ich weiß, hat Herr Landrichter B. selbst an die Regierung berichtet, daß jene der Conventikel beschuldigten hiesigen Frauen großen Theils nicht ein reines Leben geführt haben. Dennoch werden sie jetzt ,Pietistinen‘ genannt, gewiß nicht darum, daß sie in ihren Sünden geblieben sind. Ihr gegenwärtiges Leben ist meines Wissens unsträflich. Sie sind auch keineswegs die einzigen Gemeindeglieder, welche hiesigen Orts ihr Leben gebessert haben. – Wo nun das Leben der Menschen sich ändert, da ist ja der Glaube nicht todt, sondern lebendig. Diese Klage hat keinen Grund und ist als eine Lüge Beweis keines besonders thätigen ,Christenthums‘.“
  7. Wir bitten unsre Leser uns zu entschuldigen, wenn wir in diesem Capitel manchem mit der Mittheilung von Actenstücken zu freigebig gewesen sind. Wir glaubten indessen, hier mit der Auswahl aus dem schriftlichen Nachlaß des seligen Löhe weniger uns beschränken zu sollen, da uns Löhe’s Wirksamkeit in Kirchenlamitz und die Angriffe, die er wegen derselben erfuhr, nicht nur ein interessanter Abschnitt in seinem Leben, sondern auch eine charakteristische Episode in dem Kampf zu sein schien, der zwischen dem alternden Rationalismus und dem neu erwachten kirchlichen Glaubensleben in dem dritten und vierten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in unserm engeren Vaterland geführt worden ist.


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Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)
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