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ADB:Rabener, Gottlieb Wilhelm

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Artikel „Rabener, Gottlieb Wilhelm“ von Daniel Jacoby in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 78–85, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rabener,_Gottlieb_Wilhelm&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 05:40 Uhr UTC)
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Band 27 (1888), S. 78–85 (Quelle).
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Rabener: Gottlieb Wilhelm R., der bekannte Satiriker, wurde geboren am 17. September 1717[1] zu Wachau bei Leipzig. Sein Vater, Justus Gottlieb, 1680 geboren, war Besitzer des Rittergutes Wachau und zugleich Anwalt beim Leipziger Oberhofgerichte. Von Privatlehrern erzogen, kam der Knabe 1728 auf die Fürstenschule zu Meißen, wo einst sein Großvater das Regiment führte. Seine Freunde waren Grabener, der spätere Rector an der Schulpforte, Karl Chr. Gärtner und Gellert. Auch R. hat gewiß wie später Lessing [79] schon in Meißen geglaubt, „daß man vieles daselbst lernen muß, was man in der Welt gar nicht brauchen kann“. Dem einseitigen Betriebe des Lateinischen war der Kenner des Horaz, Persius, Juvenal, wie viele seiner Satiren bezeugen, nicht hold. Doch blieben die Erinnerungen an die Schulzeit ihm lieb: Gellert’s melancholisches Auge, erzählt dessen Biograph Cramer, wurde heller bei Rabener’s frohem Muthwillen. Seit 1734 studirte R. in Leipzig die Rechte; bei seinem Geschick für praktische Wirksamkeit zog ihn besonders das Steuerwesen an. Dabei blieb er ein Freund der Musen; ein größeres scherzhaftes Gedicht verfaßte er 20 Jahre alt, jetzt im II. Bande der Satiren. Schon 1741 wurde er Steuerrevisor des Leipziger Kreises; das Amt nöthigte zu Reisen auch in die kleinen Städte und Dörfer Sachsens. In demselben Jahre erschienen zuerst seine Aufsätze in Schwabe’s neubegründeter Monatsschrift „Belustigungen des Verstandes und Witzes“ bis 1744. Dann als Gärtner die „Bremischen Beiträge“ herausgab (s. A. D. B. VIII, 544), schrieb er fleißig für diese. Mit den meisten Mitarbeitern war R. innig befreundet. Mit Joh. And. Cramer und Giseke lebte er 1747 in einem Hause, „in der Burgstraße in Madam Radickinn Hause“ (Klopstock an Hemmerde). Zehn Jahre darauf schreibt Giseke, damals Cramer’s Nachfolger in Quedlinburg, das Andenken der glücklichen Zeiten in Leipzig könne nie in ihm erlöschen. Klopstock, der später Rabener’s Gesichtskreis entschwand, besang ihn 1747 in der Ode „An meine Freunde“, später „Wingolf“: „Der Thorheit Hasser, aber auch Menschenfreund, Allzeit gerechter Rabner, Dein heller Blick, Dein froh und herzenvoll Gesicht ist Freunden der Tugend und Deinen Freunden Nur liebenswürdig, aber den Thoren bist du furchtbar.“ 1750 wurde R. auch mit Weiße befreundet, mit dem er fast täglich, so lange er in Leipzig blieb, verkehrte, dessen Richard III. er auch zuerst beurtheilte. Das beschwerliche Amt ließ Rabener’s satirische Ader nicht eintrocknen: „Alle meine Satiren“, schrieb er Weiße, „habe ich auf meinen Expeditionen und während solcher Geschäfte gemacht, wo ich mit den Antipoden des Witzes zu thun hatte“. Als Advocat der Bauern und Narren, wie R. scherzend entgegnete, machte Kästner das Epigramm auf ihn: Zu spotten und uns arm zu machen, Ist Rabners doppeltes Bemühn; Man sieht ihn über alle lachen, und alle seufzen über ihn. Schon die ersten beiden Theile seiner Satiren machten R. bekannt. „Grüßen Sie“, schreibt Gleim im Februar dieses Jahres Adolf Schlegel, „das Schrecken der Narren, den frommen Rabener.“ Die Herausgabe der „Satirischen Briefe“ (III. Theil 1752) verbreitete seinen Ruhm in weite Kreise. „Alles was hier (in Pforte) lesen kann, liest und bewundert Sie“. (Adolf Schlegel an R. Juli 1752.) Hagedorn’s Beifall, den er „unsern Vater“ nennt – seit 1747 schrieb er an ihn – erfreute ihn ganz besonders, schon am 22. Mai 1752 versichert ihm R., er werde mit dem vierten Theile „den Lauf seiner Autorschaft vollenden“.

Die Uebersiedelung nach Dresden, wohin er als Obersteuersecretär berufen wurde, war seiner Satire nicht günstig. „In 14 Tagen“, schreibt er Hagedorn am 25. Mai 1753, „muß ich von meinem lieben Leipzig weg und nach Dresden. Was für eine neue Lebensart wartet auf mich! Wie demüthig werde ich künftig unter meinen Originalen antichambriren, mit denen ich bisher auf meiner Stube gefrevelt habe“. Und im November aus Dresden an den damals noch in Quedlinburg lebenden Cramer, der bald darauf nach Kopenhagen ging, er sei aufgeräumt, so gut er es bei seinem Amte und in einer so weiten Entfernung von seinen alten und besten Freunden sein könne. Aber Verdrießlichkeiten hafteten nicht lange in seinem Gemüthe; das Lob wahrer Freunde stärkte ihn: So wies Hagedorn in der Einleitung zu den „Lehrgedichten“ (Werke 1800, I, 41) auf eine Stelle der „Satirischen Briefe“ seines „sinnreichen Freundes“ hin, „den [80] ich nicht zu sehr hochschätzen kann“. Im J. 1755 erschien der IV. und letzte Theil seiner Satiren. R. blieb fest bei dem Vorsatz, nichts mehr bei seinem Leben drucken zu lassen. Doch arbeitete er an mehreren Satiren, die nach seinem Tode das Licht der Welt erblicken sollten; auch an einem Lustspiel „Der Freigeist“, dessen Entwurf Weiße mittheilt. Im Beginn des Jahres 1756 schreibt er launige und neckende Briefe an Gellert, den er zum Genuß des Lebens ermuntert: Erfreue ihn übrigens der Beifall seiner Landsleute und der Fremden, so verlasse er sich doch auf ihn so wenig, wie ein vernünftiges Frauenzimmer auf ihre Schönheit. Bei allem Groll gegen die Zustände in Sachsen blieb R. in der Heimath und machte nicht einmal größere Reisen. „Ihren Rabener“, schreibt der Epigrammendichter Ewald, mit dem R. das Jahr vorher bekannt geworden, am 7. Januar 1757 an Gleim, „habe ich nur zweimal in Dresden gesehen. Hofprediger Cramer sucht ihn … nach Kopenhagen zu locken … R. will aber sein liebes Dresden nicht verlassen.“ Die Noth Sachsens bei Ausbruch des Krieges empfand er tief. Am 29. Januar 1757 klagt er Giseke das Unglück seines „unschuldigen Vaterlandes“ seit dem 29. August (1756). Er nennt sich niedergeschlagen und mürrisch 24. Februar 1758 an Ad. Schlegel: in Dresden hätte man doch noch den vernünftigen Generalmajor v. Finck, aber das arme Leipzig! Einen ganzen Band Satiren wolle er auf die Feinde schreiben, sobald der Friede komme, „aber zween Bände auf uns Sachsen“, die ihr Unglück selbst verschuldet. Wie Gellert, stand R. in hoher Achtung bei den preußischen Officieren, so daß „das Märchen“ entstand, er werde in preußische Dienste treten. Der Prinz Heinrich sah ihn öfters: „Ich habe lebhaft mit ihm gestritten“, schreibt er am 18. Januar 1757 an Gellert, „da er die deutsche Sprache und unsere Litteratur wenig schätzt; … Die wichtigsten Beweise hebe ich für den König auf.“ Allein durch den Marquis d’Argens will er sich diesem nicht vorstellen lassen. „Muß es denn eben ein Franzose sein, der mitten in Deutschland einen deutschen Autor mit einem deutschen Könige bekannt macht?“ R. freut sich mit Friedrich zu reden; „viele gelehrte und witzige Brandenburger“ will er ihm nennen, „die er und seine Franzosen noch nicht kennen“. „Ich bin durchaus muthig, wenn es mir einfällt, daß ich zum Besten meiner Muttersprache dem tapfersten und noch nicht überwundenen Könige dieser Zeit … den deutschen Witz predigen soll“. Zu einer Unterredung mit Friedrich kam es leider nicht. Gellert erfreute sich ihrer drei Jahre darauf und nannte R. und Cramer unter den guten deutschen Schriftstellern.

Auch bei der Beschießung Dresdens im Juli 1760 zeigte sich R. größer als seine Umgebung. Mit heiterer Fassung schildert er in dem bekannten Schreiben vom 12. August an Ferber in Warschau, wie sein Haus, seine Habe, alle seine Bücher von den Flammen verzehrt wurden. „Und die witzigen Manuscripte, welche nach meinem Tode sollten gedruckt werden, sind zum kräftigen Troste der Narren künftiger Zeit alle, alle mitverbrannt.“ Daß R. bei so trauriger Schickung so schreiben konnte, zeugt von Freiheit und einer gewissen Hoheit des Gemüths und der Denkart. Seine Zeit- und Stadtgenossen freilich konnten ihm, um mit Goethe zu reden, diese glückliche Gemüthsart nicht verzeihen. Als Sachsen aber 106 Jahre später wieder von Preußen bedroht wurde, erinnerte eine bekannte Zeitschrift – Grenzboten 1866, II, 381 f. – an diesen Brief des „gescheiten, aufgeklärten Landsmanns“, der in einer schüchternen Zeit sein festes Herz und einen männlichen Sinn sich bewahrt habe.

Als der von R. ersehnte Friede kam, wurde er Steuerrath. „Glauben Sie nur nicht“, schrieb er Weiße, „daß ich deswegen einen Heiligenschein um den Kopf bekommen habe. Sie wissen, wie ich über diesen Artikel denke.“ Jährlich zweimal kam er mit dem Freunde in Leipzig zusammen, der ihn vergeblich mahnte, [81] einen Versuch zur Wiederherstellung seiner verbrannten Schriften zu machen. Nur die Briefe seiner Freunde sammelte er und ermächtigte Weiße, sie nach seinem Tode herauszugeben. Seine Gesundheit bekam einen gefährlichen Stoß durch den ersten Schlaganfall im October 1767. Kurz vorher war er in Leipzig zur Michaelismesse gewesen: wahrscheinlich hat ihn damals Goethe gesehen und vielleicht auch kennen gelernt (Goethe, Hempel 21, 271, v. Loeper). „Der erste Schritt“, schreibt er Weiße am Schluß eines humoristisch-wehmüthigen Briefes, „der erste Schritt zum Grabe wäre also gethan. Wann kommt der zweite? Wie Gott will … Hier kann ich doch nicht bleiben“. Eine Kur in Karlsbad 1768 half nichts; nach einem härteren Anfall am 7. März 1769 verloren sich Munterkeit und Kräfte. Gotter fand ihn, nach einem Briefe an Boie (Boie von Weinhold 1868, 22), in diesem Jahre kränklich, einsam, verdrießlich und theilnahmlos gegen die neuere Litteratur. Er lebe nur noch 20 Jahre zurück und spreche mit Begeisterung von seinen damaligen Freundschaften und Verbindungen. In der Ostermesse 1770 sah er die Freunde in Leipzig zum letztenmal. Am 22. März 1771 nahm ihn ein schmerzloser Tod hinweg.

Das schöne Bildniß Rabener’s von Graff wurde oft gestochen, z. B. von Bause und D. Berger; ein hübscher Stich von H. Pfenninger in Leonhard Meister’s „Charakteristik teutscher Dichter“. II, 141 f. Die zahlreichen Auflagen der Schriften bezeugen, wie viele Leser R. einst in Deutschland hatte. Die zweite erschien 1755, die dritte 1757, die achte 1764, die zehnte 1771 ebenfalls in vier Theilen, in kleinem Druck mit Vignetten von Geyser (s. d.) nach Mechau (s. d.), sechs Jahre darauf eine in sechs Theilen – der vierte in zwei Hälften – mit dem Leben Rabener’s von Weiße und den Briefen an Cramer, Schlegel, Hagedorn, Giseke, Gellert, Weiße, Ferber. Alle diese Ausgaben sind bei Dyck in Leipzig erschienen. Nachgedruckt wurden die Satiren, zum Aerger Rabener’s – vgl. Vorbericht zur 6. Auflage 1761 – häufig in der Schweiz, auch in Wien 1776; auch Weiße’s Schrift „Rabener’s Briefe nebst Nachricht von seinem Leben“ schon im Jahr des Erscheinens 1772, Frankfurt und Leipzig auf dem Titelblatt. Sehr bald wurden die Satiren auch in fremde Sprachen übersetzt. Schon 1757 am 25. November schreibt Lessing an Nicolai, die satirischen Briefe Rabener’s sind ins Englische übersetzt worden. Die Anzeige dieser Uebersetzung in Nicolai’s „Bibliothek“ 1758 rührt, fast sicher, von Lessing selbst her. Trotz ihren Mängeln, meint er, wird die Uebersetzung doch ihr Glück machen. „An einem R. muß man sehr viel verderben, wenn er gar nicht mehr gefallen soll“ (Lessing’s Werke Hempel XII, 649; vgl. Briefe Lachm. Maltz. XII, 123). In unserem Jahrhundert gab Ernst Ortlepp (s. A. D. B. XXIV, 447) Rabener’s „sämmtliche Werke“ mit dem Briefwechsel heraus in 4 Bänden, Stuttgart 1839. „Nennt mir doch einmal einen jetzigen Satiriker, der R. gleich stünde!“ rief er im Vorwort aus.

Rabener’s Andenken schadete besonders der Angriff von Gervinus. Durch die Vergleichung mit Liscow drückte er R. herunter. Schon Schubart hat über R. abfällig geurtheilt, der „nie Leute züchtigte, die ihm trutzen oder schaden konnten“ (Schnorr’s Archiv VI, 362). Die Vergleichung mit Liscow war schon bei Lebzeiten Rabener’s gemacht worden. Liscow wurde Goethe und seinen Freunden als „vorzüglicher Satiriker“ gepriesen: sie konnten aber weiter nichts in seinen Schriften erkennen, als daß er das Alberne albern gefunden habe. Und Wieland äußerte 1753 im Gespräch: „Liscow sollte jetzt noch einmal schreiben und sich einen seiner Satire würdigeren Gegenstand wählen als den jedermann lächerlichen Professor Philippi. R. weiß das Ding besser zu treffen.“ Außer Hettner, der Liscow jedoch zu tief stellte, richtete sich gegen Gervinus auch [82] Henneberger 1847 in Herrig’s Archiv. In der That verdient Liscow weder als Märtyrer gepriesen, noch R. ohne weiteres vorgezogen zu werden. Andererseits ist auch eine Ueberschätzung Rabener’s zu vermeiden, wie sie neuerdings hervorgetreten ist. Goethe hat seine Grenzen betont, aber doch gesagt, „daß sich niemand gefunden, der sich ihm gleich oder ähnlich hätte halten“ dürfen. Auch in R. ist ein bestimmtes Ideal lebendig, von welchem aus er die Wirklichkeit bekämpft. Aus einem bestimmten sittlichen Begriff, wie die Welt sein sollte, so hat Goethe schon gesagt, entspringt Rabener’s Satire. Auch hat er ein klares Bewußtsein der Niedrigkeit, Kleinlichkeit, Enge seiner Umgebung. Im Sinne Schiller’s muß man ihm den Beruf eines satirischen Malers seiner Zeit zugestehen, denn R. war nicht ihr Geschöpf. Weil er sich über das, was die Zeitgenossen hoch hielten, erheben konnte, eignete ihm jener Humor, der uns seine Persönlichkeit achtungswerth und lieb macht. Er wendet sich durchaus nicht bloß, wie Gervinus meint, gegen die kleinlichen Uebel der Gesellschaft, die zu jeder Zeit sich finden. Er straft die Mißachtung der deutschen Sprache, des deutschen Wesens durch die Franzosen, durch die Vornehmen, durch die Pedanten. Deutsch, sagt er im „Beitrag zum deutschen Wörterbuch“, ist ein Schimpfwort. Er kennt und geißelt die unwürdige Abhängigkeit des Bürgerstandes von einem rohen und frivolen Adel. Er ereifert sich, ohne das positive Christenthum anzugreifen, gegen die Beschränktheit und andererseits auch die Heuchelei der Geistlichen. Ihn erfüllen die Zustände in seinem engeren Vaterlande mit Widerwillen. Aber Rabener’s Satire ist doch zahm; denn er fühlte sich von allen Seiten eingeengt. Der Satiriker galt als böser Mensch: nicht bloß die Unwissenden, die Frömmler, die satten Tugendhelden – die feisten Bürger nennt sie R. –, auch die Juristen, auch die Dichter, auch die Gelehrten schrieen über Verleumdung. Auch diese, heißt es in dem 1755 geschriebenen Vorbericht zum IV. Theil, sind die ersten, welche die Satire verdammen; es müßte denn eine Satire aus dem Horaz sein, welcher sie unmöglich gemeint haben kann. Und schon 1751 berichtet er, wie er wegen des Spottes über den Leichtsinn bei der Eidesleistung von dem Geistlichen und dem Gerichtsverwalter eines Dorfes im Voigtland als Feind der Religion mit schnöden Ausdrücken verhetzt wurde. „Die Bauern haben mit Vergnügen darin gelesen, und das ist ein Verbrechen … Hätte man wohl eine grimmigere Untersuchung wider Faustens Höllenzwang anstellen können?“. „Es ist ein Glück für mich, daß wir in Sachsen kein Auto da Fe haben.“ R. empfand tiefer als es scheint die mangelnde Freiheit in Deutschland und ganz besonders in Sachsen unter dem Willkürregiment des unehrlichen, habsüchtigen Brühl. Das böse Gewissen der Machthaber fürchtete jedes offene Wort. R. weist auf Paris hin im Vorbericht zum IV. Theil, wo die Satire Boileau’s und Molière’s auch dem Könige lieb war. „Deutschland ist das Land nicht, in welchem eine billige und bessernde Satire es wagen darf, ihr Haupt … zu erheben“. Wie alle Freigesinnten damals in Deutschland blickt er auf England, „wo auch nicht einmal der größte Mißbrauch die Billigkeit der Satire verdächtig macht“. „In Deutschland mag ich es nicht wagen, einem Dorfschulmeister diejenigen Wahrheiten zu sagen, die in London ein Lord-Erzbischof anhören und schweigen oder sich bessern muß.“ So war R. in seinen Satiren viel zahmer als in seinen brieflichen Aeußerungen. In seinen Schriften schlägt er häufig auf den Sack und meint den Esel. Es erinnert beinahe an jene viel später geschriebenen, bekannten Worte des Herrn v. Rochow, wenn R., und hier nicht ironisch, die „Unzufriedenen“ angreift, die sich einbilden „von ihrem finsteren Winkel“ schärfer als die Obrigkeit das Beste des Staates zu erkennen. Aber diese und ähnliche Anfälle von – Behutsamkeit sind doch selten. Und oft genug theilt er doch Hiebe aus auf die geschützten Stände. Wenn er „die Schleifwege [83] zum geistlichen Schafstall“ in seinen „satirischen Briefen“ aufzeigt, wenn er die Blutsauger der Bauern, die Rentmeister, wenn er die bestechlichen Richter, die unehrlichen Bankeruttirer, die Landjunker, denen „Saufen“ und Jagen das Höchste ist, wenn er die sich „ehrwürdig“ dünkenden „Männer im schwarzen Rocke“ striegelt, so ist seine eigentliche Herzensmeinung nicht zu verkennen: Wie viel ist faul in diesem Lande! Die Kriecherei derjenigen verhöhnend, welche unwissenden Großen ihre Werke widmen, läßt R. seinen Anton Pansa von Mancha dem Esel des großen Sancho Pansa die „Abhandlung von Sprichwörtern“ widmen. Wie glücklich ist er vor anderen Lobrednern. „Die Verfasser quälen sich“, heißt es deutlich genug gegen die Brandschatzer des unglücklichen Sachsen, „die Welt zu betäuben und zu überreden, daß ihr niederträchtiger Wucherer ein großmüthiger Versorger der Verlassenen, ihr erlauchter Ignorant ein Kenner und Beschützer der Musen, daß er gerecht sei, da doch das halbe Land unter seinen Räubereien enkräftet seufzet.“ Nach seiner Uebersiedelung nach Dresden trat er dem Treiben des sächsischen Hofes in Dresden noch näher: es forderte den Griffel der Satire heraus. Erklärlich ist es, warum er nach dem vierten Theile nichts mehr veröffentlichen wollte. „Mit den Kathederthoren“, schreibt er Weiße, „und den Narren aus den drei Fakultäten konnte ich fertig werden, … aber die Thoren aus den Palästen und den Antichambren sind mir zu gefährlich und – im Vertrauen! – es sind nicht die kleinsten.“ Charakteristisch ist die Aeußerung an Cramer vom 18. November 1753 in der ursprünglichen Gestalt, Weiße hat einiges weggestrichen: „Neuigkeiten wollen Sie? … Fünf Castraten aus Venedig sind vorige Woche ganz verhungert angekommen, und werden auf die Fasten satt wieder zurückkehren, um daselbst zu verdauen und in der Charwoche dem heiligen Antonio zu danken, der für sein Vieh so väterlich sorgt. Die Jagd ist vorbei … Des Königs Majestät waren sehr ungnädig.“ Die Stadt Oederan sei niedergebrannt; helfen könne man „den albernen Leuten“ nicht. „Die gegenwärtigen Cassen-Umstände leiden es nicht, ihnen und ihren Fabriken mit Gelde unter die Arme zu grefen.“ Laut zu reden wagte R. nicht. „Ich muß die besten Themata fahren lassen. Ein Märtyrer der Wahrheit mag ich nicht werden.“ Aber R. ist auch nie ein Schmeichler der Machthaber, noch ein Beschöniger des Unrechts gewesen. Die Gluth und Kraft der Leidenschaft und des Hasses, die den großen für ein hohes Ziel begeisterten Satirikern zu allen Zeiten eigen war, ist R. fremd. In dieser Hinsicht steht er weit zurück gegen den kühnen Swift, den Sohn des freien Englands, und in Deutschland gegen den herben, männlichen Haller. R. blieb die scherzhafte Satire. Vorwiegend, aber durchaus nicht ausschließlich, wie wir gesehen, bezieht sie sich freilich auf den Mittelstand. Narren aller Art giebt er dem Gelächter preis: die Büchernarren, die Pergamentverehrer; die dunklen Modephilosophen; die Magister mit ihrer Citaten- und Notenweisheit, mit welchen noch Lessing im „jungen Gelehrten“ zu thun hat; die Glückwunsch- und Zueignungsschreiber; die demüthigen Stellensucher, „ehrfurchtsvolle Pinsel“; die „lateinischen Zeloten“, die das Deutsche verachten, weil ihr Schuster deutsch spricht, die „schwarzen Ritter aus dem Königreich Latium“, wie er sie ein andermal nennt; die Landjunker, die auf einen Jagdhund mehr wenden wollen, als auf einen guten Lehrer; endlich die adelstollen Bürgermädchen, die Betschwestern u. s. w. Auf jene Philologen, „die, ohne selbst zu denken, die Gedanken der Alten erklären“ (Hinkmars von Repkow Noten ohne Text), ist er wie sein Landsmann, der Leipziger Thomasius, nicht gut zu sprechen. Den „kritischen Panduren“ Burmann, den Haller einen „hitzigen Schulfuchs“ nannte, Holberg durchhechelte, nimmt er öfters vor, z. B. im „Märtyrer der Wahrheit“ und im „Schreiben des Gratulanten an den Autor“.

[84] Die Art, sagt Goethe, wie R. seine Gegenstände behandelt, hat wenig Aesthetisches. Dieser Tadel ist meines Erachtens gerechtfertigt. Die directe Ironie, deren R. sich zu oft bedient, ermüdet in der That um so mehr, als R. trotz seinem Angriff gegen die „weitläufige Schreibart“, von dem verspotteten Fehler selbst nicht frei ist: darin ist er ein Sohn der „weitschweifigen Periode“. Selbst in seinen durch sorgsamere Charakterzeichnung wie durch Laune hervorragenden „satirischen Briefen“ stört es den Leser, daß er zu oft das Wort nimmt und ernsthaft jedes Laster, sein Entstehung, seine Folgen, die Moral der Geschichte bespricht, so daß man öfters an Schiller’s Spott über die alte Prosa erinnert wird, die alles so ehrlich heraussagt, was sie denkt und gedacht, auch was der Leser sich denkt. Und doch wußte R. sehr gut, es beleidige die Leser, wenn man ihnen nicht zutraut, sie könnten die „lachende Sprache der Ironie ohne sein Erinnern“ nicht erkennen. Seine Sprache aber zeigt doch gegen die seiner Vorgänger einen großen Fortschritt in ihrer Reinheit und Schmeidigkeit; R. ist breit, aber nie ganz ohne Geist und Witz, wenn dieser auch nicht tief und andrerseits auch nicht scharf zugespitzt ist. An nicht wenigen Stellen seiner „Chronik von Querlequitsch“, der „satirischen Briefe“, „Pansa’s Abhandlung von Sprüchwörtern“ erscheint R. wie ein Vorläufer und ein Geistesverwandter Wieland’s. R. ist heute so gut wie vergessen: der Satiriker hat in Deutschland fast nie für ein Jahrhundert die Gunst der Leser zu behaupten vermocht. Aber auch R. gehört zu den Vorkämpfern einer freieren und menschlichen Bildung, und Goethe, den Gervinus hier gröblich mißversteht, hat mit Recht gesagt, R. verdiene von allen heiteren, verständigen, in die irdischen Ereignisse froh ergebenen Menschen als Heiliger verehrt zu werden.

Auf Rabener’s Vorbilder hat Wilhelm Scherer schon hingewiesen. R. knüpft nicht bloß an die alten deutschen Satiriker an, er hat auch von Lucian, Cervantes, Holberg, viel von dem Zittauer Chr. Weise gelernt, ferner von Swift und den englischen Wochenschriften, die in Zürich und Hamburg so viel nachgeahmt wurden. Die Namen verrathen schon die Anlehnung. So war ihm Holberg, der den Bürger- und Bauernstand besonders vor Augen hat, durch die 1741 lateinisch und deutsch erschienene Satire „Nicolai Klims Unterirdische Reise“ bekannt geworden. Zwei Jahre darauf ließ R. in den „Belustigungen“ „Eine Totenliste von Nicolaus Klim“ drucken: B. Abelinsohn findet unter dem Büchervorrath seines Vaters den Aufsatz des berühmten Klim, des einstigen Kaisers in Quama. Und in der „Chronik des Dörfchens Querlequitsch“ – R. erklärt selbst querelarum quies – kommt Weise’s „Bäurischer Macchiavellus“ in Erinnerung, der im „weitberühmten Markflecken Querlequitsch“ spielt. Den Namen des Schulfuchses Martin Scribler finden wir bei Swift öfter, z. B. in der Satire „des hochgelehrten Martinus Scriblerus Schrift über das Bathos.“

Daß R. nicht phantasielos war, zeigt die Mannigfaltigkeit seiner Formen. „Er ist“, sagt Scherer, mit dessen Worten ich schließen will, „unerschöpflich in neuen Einkleidungen: bald giebt er ironische Lobschriften, wie sie die Humanisten liebten; bald erzählt er ein Märchen, bald einen Traum; bald theilt er ein Stück Chronik, bald eine Totenliste, bald ein Testament mit; bald wählt er gelehrte, litterarische Formen, wie die der Abhandlung oder des Wörterbuchs; bald bedient er sich der Parodie, bald der mimischen Satire in Briefform, wie einst die Verfasser der Dunkelmännerbriefe.“

Cramer, Leben Gellerts, 1774, S. 15. – Weiße s. oben. – Weiße von Minor, 1880, S. 15, 25 vgl. 209. – Archiv f. Litteraturgesch., viele der angeführten Stellen, die bei Weiße sich nicht finden: IV, 12, 277; IX, 455, 465 f.; XII, 231; siehe außerdem XIII, 490; XIV, 277. – Gellert’s [85] Schriften, 1867, IX, 18 f. – Hagedorn’s Werke, 1800, V, 222 f. – Gervinus, Geschichte d. d. Dicht. IV4, 81 f. – Wilhelm Scherer, Gesch. d. d. Litt., 405 f. – Erich Schmidt, Anz. der Zeitschrift f. d. Alt. u. d. Litt. V, 156. – Henneberger in Herrig’s Archiv 1847, II, 131 f. – P. Richter, Rabener und Liscow. Dresden. Progr. 1884. Nr. 487. – Auf „die ersten moralischen Wochenschriften Hamburgs“ hat Karl Jacoby hingewiesen. (Programm Nr. 687. 1888.)

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 78. Z. 6 v. u. l. 1714 (statt 1717). [Bd. 29, S. 776]