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ADB:Raimund, Ferdinand

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Artikel „Raimund, Ferdinand“ von August Sauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 736–755, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Raimund,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 04:39 Uhr UTC)
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Raimund: Ferdinand R., Schauspieler und Dichter, geboren zu Wien am 1. Juni 1790, † zu Pottenstein in Niederösterreich am 5. Septbr. 1836. R. ist ein echtes Wienerkind und die rechte Verkörperung seiner Vaterstadt. Als Sohn eines Kunstdrechslers wurde er zum Handwerk bestimmt und erhielt nur den nothwendigsten Schulunterricht: frei von jedem Bildungsdrucke, aber auch von keinem Hebel moderner Bildung gefördert, entwickelte sich sein großes Talent ganz aus sich selbst. Er wurde zu einem Zuckerbäcker in die Lehre gegeben, aber eine unwiderstehliche Neigung zur Schauspielkunst, durch den Besuch des Burgtheaters genährt, veranlaßte den früh Verwaisten, im J. 1808 seinem Lehrherrn zu entlaufen und zur Bühne zu gehen. Seine Versuche, in Meidling bei Kralitschek und in Preßburg bei Kunz ein Engagement zu erlangen, wurden hauptsächlich durch einen organischen Sprachfehler vereitelt, den er erst allmählich durch große Beharrlichkeit überwand. Endlich fand er bei der Hain’schen Gesellschaft in Steinamanger ein Unterkommen, wo er alle möglichen Rollen, sogar den Pierrot in der Pantomime spielte und das Elend der reisenden Komödianten bis zur Neige auskostete. Nach der Auflösung dieser Truppe wurde er von Director Kunz engagirt und spielte durch vier Jahre abwechselnd in Raab und Oedenburg, hauptsächlich Intriguants und komische Alte. Aus dieser Zeit sind uns ein paar versificirte Prologe von seiner Hand erhalten, die von einer grenzenlosen Rohheit zeugen. Im April 1814 kam er nach Wien in das Theater an der Josephstadt, wo er als Karl Moor und Pachter Feldkümmel nicht ohne Beifall debutirte. Zuerst vorwiegend in ernsten Rollen beschäftigt (Geßler im „Wilhelm Tell“, Schreckenstein in den „Pilgern“, Bruno in „Klara von Hoheneichen“ etc.) und in bloßer Nachahmung aufgehend, zeichnet er sich allmählich durch feinere Schattirung und größere Individualisirung aus, so als Bäckerjunge in „Wilhelm Geiskircher der edle Wiener“, als Simperl in der „Heimkehr ins Vaterland“, in den „Bergknappen von Freiburg“ etc., bis er in der Rolle des eifersüchtigen Musikanten Adam Kratzerl in der Localposse „Die Musikanten am Hohen Markt“ von Gleich Frühjahr 1815 die allgemeine Aufmerksamkeit des Publicums erregte und solchen Beifall erntete, daß fünf Fortsetzungen dazu geschrieben werden mußten. So schuf er sich langsam sein eigenes komisches Genre und trat, nachdem er schon 1815 im Theater an der Leopoldstadt gastirt hatte, 1817 ganz zu dieser Bühne über, der er bis 1830 angehörte (erstes Auftreten am 11. October 1817 als Weißvogel in „Weißvogels Wittwenstand“ von Gleich). 1821 wurde er zum Regisseur ernannt; seit 1828 führte er unter dem Besitzer von Steinkeller die artistische Leitung der Bühne.

So weit wir aus der höchst dürftigen, widerspruchsvollen Ueberlieferung uns ein Bild des Schauspielers R. in seiner ersten Periode machen können, sehen wir ihn durchaus von ernsten Rollen zu komischen, von Nachahmung zu Selbständigkeit übergehen. In den tragischen Rollen copirte er den Schauspieler Ochsenheimer bis in die kleinste Nuance, jede Bewegung mit dem Finger, den Mantelwurf, das Vor- [737] und Rückwärtsgehen, ja sogar dessen schiefen Mund. Noch in späterer Zeit wird hervorgehoben, daß er (in einer Verwandlungsposse) die Rolle des Geizigen mit Zügen ausstattete, die an Ochsenheimer’s Darstellung des Molière’schen Geizigen erinnerten. Sein Pathos muß nach allen Berichten ein übertriebenes gewesen sein; Bauernfeld nennt seinen Karl Moor einfach abscheulich. Nichts destoweniger war Raimund’s Ehrgeiz damals (und auch später) nach der Hofbühne gerichtet, wie Grüner, Fritz Demmer, Scholz, Heurteur u. a. um jene Zeit von den Vorstadtbühnen an das Burgtheater gelangten, und Bauernfeld überliefert uns das drollige Bekenntniß Raimunds: „Ich bin zum Tragiker geboren, mir fehlt dazu nix, als die G’stalt und ’s Organ“. Noch 1819 ist er in tragischen Rollen (als Gottlieb Koke in Ziegler’s „Parteiwuth“) aufgetreten.

Auch als Komiker beginnt er mit fast sklavischer Nachahmung. Seit Stranitzky und Prehauser war der Hanswurst auf der Wiener Bühne durch verschiedene Individualitäten vertreten gewesen, die uns am eindringlichsten Castelli in seinen Memoiren geschildert hat. Der „Kasperl“ La Roche wirkte vor allem durch seine eckigen Bewegungen, durch seine pöbelhafte Physiognomie, durch seine Hausknecht- und Nachtwächterstimme, durch die Verballhornung der Sprache (er hängte an das Ende der Worte einfach ein gedehntes a an), mehr durch platte, derbe Späße, als durch Witze; dumme Bediente, in Zauberstücken tölpische Schildknappen waren seine Stärke; ihn löste der „Thaddädl“ Hasenhut ab, gewöhnlich ein Geselle oder Lehrjunge, läppisch, furchtsam, dumm, dabei vorwitzig und jung, der vor allem durch seine feine gellende, dem Schmettern einer Kindertrompete ähnliche Stimme und durch große Ungeschicklichkeit wirkte; im ganzen feiner und anständiger als La Roche; seine Bewegungen runder. Baumann, der, immer voll Ernst, Rede und Gebärde in Contrast zu setzen verstand, war in der Parodie am vorzüglichsten. Der kleine und bucklige „Staberl“ Schuster nützte das Mißgestaltete seiner Figur zu komischen Zwecken aus, nahm sich besonders in fremden Costümen drollig aus und lieferte vielbeklatschte Caricaturen des Wiener Spießbürgers. Alle diese Stufen des Wiener Hanswursts machte R. durch. Er copirte La Roche als Kaspar in der Zauberzither und in den sonstigen Knappenrollen; er ahmte Hasenhut und Baumann mit allen ihren Eigenthümlichkeiten und Sprachfehlern nach und legte sich sogar Schuster’s Buckel bei; er spielte alle Paraderollen seiner Vorgänger, den Rochus Pumpernickel und den Prinzen Schnudi, den Hierophanten in der Alceste, den Hausmeister im Neusonntagskind und die Verkleidungsrolle in den „Schwestern von Prag“ ; ja er wagte sich sogar an den Staberl und übertraf nach den gleichzeitigen Kritiken auch in dieser Rolle die früheren Lieblinge des Publicums. Mehr und mehr kam seine eigene Individualität zur Geltung. Eine auffallende Heftigkeit war in allen seinen Bewegungen und Geberden, ein eigenthümliches Herumwerfen der Hände und des Kopfes wird hervorgehoben, besonders aber das Rollen seiner großen und lebhaften Augen; schnell stieß er die Worte heraus, daß man ihm einen fortwährenden innern Grimm hätte zumuthen müssen, wenn dies Alles nicht wieder von der andern Seite durch die tiefste Gemüthlichkeit gemildert worden wäre. Feinere Durcharbeitung der einzelnen Rollen, strenges Memoriren, reine Bewahrung des Dichterwortes hatte er vor allen seinen Vorläufern voraus; mehr aber als dies alles war es der warme Herzenston, die ernste sittliche Grundlage seines Wesens, die Reinheit des Gemüthes, der Adel der Seele, was allen, auch den rohesten seiner Rollen einen höheren Anstrich verlieh. Die Hauptrollen in den Stücken von Bäuerle (s. A. D. B. II, 147), Gleich (s. A. D. B. IX, 226) und Meisl arbeitete er zu kleinen Kunstwerken aus.

Der Dichter R. ist aus dem Schauspieler erwachsen. Zuerst forderten ihn die Ankündigungen der für den folgenden Tag bestimmten Stücke zu kleinen [738] improvisirten Scherzen heraus; dann versuchte er, sich gelegentlich eine neue Arie, ein Couplet, ein Quodlibet einzulegen, besonders an seinen Beneficeabenden; endlich arbeitete er einzelne Scenen, ja ganze Acte fremder Stücke um. Einiges hat sich in alten Souffleurbüchern des Leopoldstädter Theaters erhalten, Repetitionsstrophen zu der Arie des Hamlet in der Perinet’schen Parodie mit dem Refrain: „Ich kann nicht mehr reden, ich bring’ nichts heraus“; ein Lied des Sandelholz in Bäuerle’s „Verwunschenem Prinzen“ u. a., das meiste ist verloren.

Im J. 1823 verzögerte sich Raimund’s Benefice aus Mangel eines tauglichen Stückes; er klagt: „Mit unsern Dichtern geht es immer miserabler, sie betreiben ihre Kunst bloß, um Geld herauszulocken, nicht um Ehre zu ärnten, und es ist zum verzweifeln, was man für Schmierereien lesen muß“. Er munterte Meisl zur Dramatisirung des Langbein’schen Märchens „Prinz Tutu“ auf, und als dieser nicht rasch genug damit fertig wurde, griff er selbst zur Feder. „Ich habe jetzt sehr viel Verdruß wegen meiner Einnahme und trotz aller meiner Bemühung, wer weiß wie es ausfallen wird. Nach meiner Einsicht sollte das Stück gefallen können, ich werde auch dem Müller die Musikstücke aus meinem eigenen Kopf vorsingen. Morgen überschicke ich Dir es und bitte Dich um das Urtheil Deines Gefühls. Den elenden Schmarn von einem ersten Act, den ich von Meisl erhalten habe, werd’ ich Dir auch schicken, damit Du den Unterschied siehst.“ Nur zwei Scenen, die in Raimund’s Manuscript fehlen, scheint er von seinem Vorgänger herübergenommen zu haben. Am 18. December 1823 wurde die zweiactige Zauberposse: „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ zum ersten Male mit großem Erfolge aufgeführt. Bei der dritten Vorstellung entpuppte sich R. als Autor. Die zweifelnden Stimmen der Journalistik verwies er in einer öffentlichen Erklärung kräftig zur Ruhe.

Der Barometermacher steht ganz auf dem Boden der alten Wiener Zauberposse. Wie Quecksilber, der auf einer Reise Schiffbruch erleidet, auf einer Insel durch die Gunst einer Fee mit drei Zaubergaben beschenkt wird, die ihm durch die List einer Prinzessin nacheinander entlockt werden; diese Handlung erinnert an die Fortunatsage, die bei den Wiener Dramatikern bis auf Lembert, Grillparzer und Bauernfeld sehr beliebt war; Anfang 1815 wurde zu Hasenhut’s Benefice ein Stück „Fortunatus’ Wunschhütlein“ gegeben; 1819 eine gleichnamige Zauberposse von Stegmayer; die Scenen, in denen Quecksilber seinen Gegnern durch die Zauberfeigen lange Nasen anzaubert und sie dann als Wunderdoctor wieder curirt, sind den Hörnerscenen des Tieck’schen Fortunat nachgebildet. Noch Wurzel’s Vorname Fortunatus weist auf diesen Zusammenhang hin. Eine wenig complicirte Handlung mit einer nicht tiefen Moral am Schlusse; viel Verwandlungs- und Decorationswesen: ein neuer Midas, vergoldet Quecksilber die Thüren und Wände des fürstlichen Palastes, am Schlusse des ersten Actes die Erstürmung einer Festung durch Zwergsoldaten, die Flugmaschinen werden tüchtig ausgenützt. Quecksilber ist nur eine Metamorphose des alten Hanswurst; sein Vorname Bartl (Bartolomäus) erinnert an die Kasperl, Lipperl und Thadäddl; er ist ein herabgekommener Barometermacher, wie Bäuerle’s Staberl ein Parapluiemacher, wie Sandelholz im „Verwunschenen Prinzen“ ein abgewirthschafteter Waderlmacher, wie Spindel in Meisl’s „Ein Tag in Wien“ ein zu Grunde gegangener Seidenfabrikant, wie Würfel in Bäuerle’s Leopoldstag ein Strumpfwürker etc. (in den herangezogenen Stücken hatte R. meist selbst mitgespielt); er ist der gemüthliche Wiener Bürger im fremden Lande, wie Staberl und andere gerne auf Reisen geschickt wurden. Die übrigen Rollen sind seinen Mitschauspielern in herkömmlicher Weise auf den Leib geschrieben, der ewig schläfrige Fürst Tutu gleicht dem Fürsten Pamstig in Evakathel und Schnudi; [739] Zoraide hat ihre Bissigkeit von Hafner’s „Bürgerlicher Dame“ geerbt. Das Stück ist voll von harmlosen, zahmen, kindlichen Wienerspäßen; einige Wortspiele stammen aus Abraham a Sancta Clara, der damals Raimund’s Lieblingslectüre war, hier so wenig wie in den dürftigen Arientexten kann ein namhafter Fortschritt gegen seine Vorgänger constatirt werden. Wol aber spürt man die Hand des geborenen Dramatikers im strammeren Aufbau der Acte, in der Retardation am Schlusse, in der geschickten Verwendung der Musik zu komischen Effecten; man sieht, ein ernster Mann beginnt hier eine Dichtungsgattung sorgsam zu pflegen, die man bisher immer recht leicht genommen hatte; die Abwesenheit der Zote läßt uns eine reinere Luft athmen, als sie sonst auf seiner Bühne wehte und in leisen Ansätzen senken sich schon die Nebelschleier jener Märchenstimmung hernieder, die uns in den folgenden Stücken entzücken wird.

In seinem zweiten Stücke: „Der Diamant des Geisterkönigs“ (zum ersten Male aufgeführt am 17. December 1824) ist R. schon viel selbständiger. Der Stoff ist aus 1001 Nacht geschöpft: die Geschichte vom Prinzen Seyn Alasman und dem Geisterkönig. Sechs Statuen hat der Vater, ein Zauberer, seinem Sohne hinterlassen, die siebente fehlt, die werthvollste, schönste, am schwersten zu erringende, die diamantene. Eduard, von seinem Diener Florian begleitet, macht sich auf, sie vom Geisterkönig zu erbitten. Dieser verlangt dafür ein achtzehnjähriges Mädchen, das noch niemals gelogen habe. Eduard geht auf die Suche und findet ein solches in Amine (der Name ist andern Erzählungen von 1001 Nacht entnommen), die im Lande der Sittsamkeit und Wahrheit als Verbrecherin zum Tode verurtheilt wird. Schweren Herzens übergibt er die ihm theuer gewordene dem Geisterkönig und empfängt dafür die Statue: seine Geliebte selbst sinkt ihm in die Arme, wie Rosenblüthchen ihrem Hyacinth in Novalis’ Märchen. Beim Barometermacher wird es Niemand einfallen, nach einer Idee zu fragen: hier ist eine solche vorhanden. Der schönste Schatz auf Erden ist der Besitz reiner und schöner Weiblichkeit: in diesem Grundgedanken gipfelt das Stück; der Mahnruf: „Weh dem der lügt“ klingt laut und kräftig daraus hervor, wie aus der Zauberflöte; und wie dort wird das Erreichen hoher und edler Ziele an schwere Prüfungen geknüpft. Von diesen ernsten Grundlagen hebt sich die Handlung um so kräftiger ab, der bloße Spaß nähert sich dem Humor.

In der Rolle des Florian Waschblau zieht R. wieder die Bedientenjacke an, die der alte Hanswurst oft und oft getragen hatte; aber er gießt diesem selbst neues strotzendes Leben in die Adern. An diesen gutherzigen treuen Diener, der sich nicht scheut, seine und seiner Geliebten Siebensachen zu verkaufen, um seinem verarmten Herrn Unterhalt zu verschaffen, der diesem trotz den Bitten und Thränen seiner Verlobten in die Lüfte zum Geisterkönig folgt, der in unnachahmlich drolliger Weise sogar ein Lügenbarometer aus seinem Körper machen lassen muß: an diesen pudeltreuen Kumpan scheint Lessing’s Just einen Theil seines Wesens abgetreten zu haben. Während sein Herr die ihm auferlegten Proben besteht, erliegt er seiner Neugierde. Wie sich Juno in Meisl’s „Orpheus und Euridice“ als Harfenist verkleidet und Orpherl sie für seinen Feind, den blinden Seppel hält und sich umsieht, so wird Florian durch Mariandel’s Gestalt zum Umsehen bewogen. Zur Strafe wird er in einen Pudel verwandelt, wie schon Wastl-Papageno in Meisl’s Parodie der Zauberflöte für seine Beschimpfung gleich einem Hunde bellen mußte. R. konnte sich hier der Modethorheit nicht entziehen, die in Mozart’s Oper eine ganze Menagerie auf die Bühne brachte, in zahlreichen Kinderkomödien sich amüsirte und dem Esel des Timon ebenso zujubelte, wie dem Stier, der die Prinzessin Europa entführte. Und wenn R. am Schlusse des Actes die ganze Bühne mit Pudeln anfüllt und in einen See verwandelt, so copirt er bloß Perinet’s Fortsetzung der Zauberzither, wo Terramontano’s [740] Leute in Frösche und Zumio in einen Stockfisch verwandelt, die Köpfe aus einem tiefen Rohrsumpf emporrecken und das Quaken noch lange nach dem Fallen des Vorhangs gehört wird. Der Theatermaschinist war ja der Wiener Posse seit alter Zeit ganz unentbehrlich. R. aber machte aus dieser Nothwendigkeit eine Tugend, indem er einen wichtigen Fortschritt der Handlung damit verband und Florian’s Verwandlung symbolisch verwerthete. Florian ist ferner dumm und gefräßig und verliebt wie der echte Hanswurst; er ist beim Abschied von der Geliebten um den Gugelhupf besorgt, den sie ihm versprochen, wie jener Zumio seine Palmire für ein heimisches Speckknödel hingäbe; er singt vom Essen wie die Köche bei Hafner und Perinet, wie Theseus und Ariadne in der Parodie und mit Baumschabel in „Evakathel und Schnudi“ kann er sagen:

„Ein’ Ochsentheilung, ein’ Hetz’, ein’ Execution und ein Kramelsterz,
Das sind die vier besten Ding’ für ein gefühlvolles Herz.“

In allem ist Florian der Typus des Wieners, nicht zuletzt in der grenzenlosen Liebe zu seiner Vaterstadt. Wie Grillparzer wurzelt R. ganz im Boden seiner Heimath; wie Grillparzer versteht man ihn und seine Werke nur dann, wenn man vom Kahlenberg das Land sich rings besehen hat; wie Grillparzer liebte R. sein Wien und dessen Bewohner, auch wo er ihre Schwächen einsah und verurtheilte. Schon Wolfgang Schmelzl und Jakob Sturm hatten das Lob der Donaustadt laut verkündigt; seitdem Stranitzky’s lustige Reisebeschreibung in der „schönen und herrlichen Residenzstadt Wien“ ihr Ende gefunden hatte, wurde auch die Wiener Posse zur Stätte dieses Lobes. Der vazirende Schneidergesell Crispin in Hafner’s „Schwestern von Prag“ eröffnet den Reigen: „Aber das ist wahr, daß Wienn eine so schöne Stadt ist, als ich in meinem Leben gesehen hab’, ich bin doch die vornehmsten Städt’ durchgereist, ich bin doch zu Pariß, zu Neapel, zu London, zu Venedig, zu Gumpoldskirchen, zu Währing, und in mehreren Hauptstädten gewesen, doch eine so schöne Stadt, wie Wienn, hab ich noch nie gesehen.“ So winden alle Possendichter bis auf Huber und Meisl der Stadt Wien einen Ehrenkranz und Bäuerle singt sein allbekanntes:

„Ja nur ein’ Kaiserstadt, ja nur ein Wien!“

Hier durfte R. nicht zurückbleiben. Schon sein Barometermacher war durch die halbe Welt gereist, war in den kältesten und heißesten Zonen, in England und in Italien, in Tirol und in Ungarn, am Rhein und an der Mosel gewesen; nirgends aber fühlte er sich so wohl, als in Wien sammt seinen alten Vorstädten; den vollendetsten Ausdruck erhielt diese Localpoesie in Florian’s Versen, durch die sich diese erste von Raimund’s meisterhaften Gestalten für alle Zeiten das Herz der Wiener gewann:

„Denn mir liegt nichts an Stammersdorf und an Paris;
Nur in Wien ists am besten, das weiß man schon g’wiß.“

Wie sich hier ein fast wörtlicher Anschluß an die alte Tradition aufdecken läßt, so noch für manche andere Figur und manche andere Scene des Stückes; sogar der liebliche kleine Genius Kolibri trippelt den Winziwinzis und Pizicchis der früheren Stücke nach. Parodie und Travestie war auf der Wiener Volksbühne zu Hause. Im Volksschauspiel vom Doctor Faust wurde nach des Helden ergreifendem Ende auch Hanswurst zum Spaße vom Teufel geholt. Kurz-Bernardon setzte dem gespreizten Alexandrinerpathos der Asiatischen Banise des Gottschedianers Grimm seine groteske Prinzessin Pumphia entgegen. Jeder bedeutenden Novität des Burgtheaters folgte die Parodie in der Vorstadt eiligst nach und weder Shakespeare noch Schiller wurden da verschont; in der Parodie des Hamlet wetteiferte Ludwig Gieseke mit Joachim Perinet; der erste dramatische Versuch des jungen Castelli war ein travestirter Lear; man verbot den echten [741] Schiller, während die Parodien seiner Stücke erlaubt wurden; ja es bezeichnet so recht die Unbefangenheit, mit der dieses Genre in Wien gepflegt wurde, daß es möglich war, die Parodie dem Verfasser des parodirten Stückes selbst im Drucke freundschaftlich zuzueignen. Die Schicksals- und Geisterstücke, zumal Grillparzer’s Ahnfrau hatte eine Schaar von Parodien und Caricaturen im Gefolge, unter denen Meisl’s oftgespieltes „Gespenst auf der Bastei“ hervorragt. Hier schließt sich die bekannte unsinnige Scene an, in welcher Zephises seinem Sohne erscheint und auch der Lakonismus dieses Geistes: „Ich bin dein Vater Zephises und sage Dir nichts als dieses“ ist nur die glückliche epigrammatische Fassung einer längst vorbereiteten Wendung; Perinet legte dem Geist von Hamlet’s Vater beim ersten Auftreten bloß die Worte in den Mund: „Ich bin ein Geist und darf nichts reden“. – Am beliebtesten unter allen war die mythologische Caricatur. Blumauer’s Aeneide wurde von Gieseke auf die Bretter gebracht. Der ganze Olymp miethete sich auf den Wiener Theatern ein. Perinet und Meisl schwelgten in solchen Stoffen. Gemächlich macht Papa Jupiter in seinem Boudoir Toilette, läßt sich von Lichoris den Bart salben, von Ganymed die Sandalen wichsen und führt zahllose Ehestandsscenen mit seiner eifersüchtigen Gattin auf. Wie ein Wiener Laternenbube kommt Ganymed am Morgen mit einer großen Lichtputze auf einer Stange und löscht die Sterne der Reihe nach aus. Cerberus ist in diesen Possen ein grober Wiener Hausmeister mit 3 Köpfen, der – statt des Sperrsechsers – mit Krapfen befriedigt wird, die Furien Fratschelweiber vom Naschmarkt oder Schanzel und die elysäischen Felder stellen jenen Theil des Wurstelpraters vor, in dem es am lustigsten hergeht. Auch dies setzt R. fort; zwar nimmt er seine Figuren zunächst nicht aus der antiken Mythologie, aber er schafft sich seine eigene Geisterwelt ganz nach den alten bewährten Recepten: den Geisterkönig Longimanus mit seinem Kammerdiener Pamphilius (Pamphili ist eine Art von Schimpfwort in Oesterreich), mit den Feen und Druden, den Zauberern und Feuergeistern. Longimanus, der gutmüthige Hitzkopf und Polterer, lecker und kindisch, faul und schwachköpfig, war wie der Fürst Tutu auf den Schauspieler Korntheuer berechnet, bei dem nach Castelli’s Schilderung alles lang war: Gesicht und Nase, Füße und Hände, in dessen Vortrag etwas langsames, schleppendes, faules, in dessen Bewegungen ein unbeschreibliches Phlegma war. So konnte er in dieser Rolle sich selbst spielen und einige Anspielungen auf persönliche Schwächen des Darstellers mögen den Reiz dieser prächtigen Rolle für die Eingeweihten noch erhöht haben.

Der Erfolg des „Diamant“ war ein großer; in 11/2 Monaten wurde er 21mal vor ausverkauftem Hause gespielt und nach der 50. Aufführung am 30. Mai 1825 mußte der erschöpfte Darsteller des Florian in einem Epiloge bekennen, er sei durch das viele Reißen so zusammengerissen, daß ihm die Krankheit aus allen Knopflöchern herausschaue. Die Lieder, besonders das Abschiedsduett: „Mariandel, Zuckerkandel meines Herzens bleib gesund; Floriani, um Dich wan’ i, wenn Du fort bist jede Stund“, waren auf allen Lippen; Raimund’s dichterischer Ruf war fest begründet; sein drittes Stück übertraf aber auch die kühnsten Hoffnungen seiner Verehrer noch bei weitem.

Der Stoff zu dem romantischen Originalzaubermärchen „Das Mädchen aus der Feenwelt oder der Bauer als Millionär“ ist von R. zwar frei erfunden worden, gehört aber doch dem großen Stoffkreise vom „Träumenden Bauer“ an, den wir ebenso bei Shakespeare und Holberg, wie in der Operette des Vorigen und dem Wiener Volksstücke dieses Jahrhunderts verfolgen können: der übermüthige Glückspilz, der wieder in sein Nichts zurücksinkt. Die Einkleidung, die Erlösung der Fee Lacrimosa aus ihrer selbstverschuldeten Verbannung interessirt [742] uns wenig; nur wie sich das üppige Wienerleben mit seinen Soireen und Hausconcerten im Geisterreiche abspiegelt, zieht uns an. Der Zauberer Bustorius aus Warasdin und der Magier Ajaxerle aus Schwaben, die beide in ihrer heimischen Mundart reden, sind Ueberbleibsel aus der älteren Posse, die es, in der Hauptstadt eines polyglotten Staates entstanden, liebte, die verschiedenen Nationalitäten charakterisirend vorzuführen. Der radebrechende Spazzo Camino Leopold Huber’s („Das Sternenmädchen im Meidlinger Walde“), der Tiroler Wastl, der Böhme waren Typen. Von Prehauser bis Castelli ist die Schwäbin auf der Bühne heimisch. Meisl’s „Schwabenwanderung“ verpflanzt die Schwaben nach Ungarn. Umgekehrt ist „Der Ungar in Wien“ schon der Titel einer Posse von Martinelli (1774) und in Meisl’s „Ein Tag in Wien“ soll dem Juratus Tolpatsch aus Arad nichts geringeres bewiesen werden, als daß ein Tag in Wien eine ganze Lebenszeit in Arad aufwiege. R. hat die beiden Fremdlinge köstlich individualisirt; als sein Stück in Pest aufgeführt wurde, mußte der ungarische Zauberer in einen böhmischen verwandelt werden.

Eine zweite Gruppe bilden die allegorischen Gestalten. Die volksthümliche Dramatik konnte zu keiner Zeit auf dieses mit Unrecht angefeindete Kunstmittel verzichten, durch welches die deutschen Dramatiker des sechzehnten Jahrhunderts ebenso wie Calderon und Goethe in großartiger Weise zu ergreifen und zu erschüttern verstanden. R. nimmt es mit den höchsten Mustern auf. Die Wiener Dramatik hatte ihm hier wenig vorgearbeitet; wol erscheinen Tugend und Laster bei Perinet und Meisl im Travestirten Hercules; wol führt letzterer das Schicksal in einer recht gelungenen Scene in der Unterwelt vor („Amor und Psyche“) und personificirt die Wahrheit und alle Leidenschaften („Esel des Timon“). Ueber diese schwachen Ansätze war R. schon im Diamant hinausgekommen, wo er die Hoffnung und die Jahreszeiten mit ein paar kecken Strichen skizzirte. Jetzt liegt Schürzung und Lösung der Intrigue in den Händen von Haß und Neid einerseits, der Zufriedenheit andererseits; unter Lacrimosens Gästen finden wir den Morgen, den Abend, die Nacht, die Trägheit und andere allegorische Figuren, sogar den Blödsinn. Will man aber sehen, was R. aus dem ihm von seinen Vorgängern überlieferten Material gemacht hat, muß man die geniale Verwandlungsscene des zweiten Actes mit der entsprechenden Scene des „Lustigen Fritz“ vergleichen, wo die Satire, der Wahnsinn, Laster und Luxus, Caprice und Mode, Compliment und Koketterie, Luftschlösser und Schulden, Hoffnung und Begierde, endlich Armuth und Schande auftreten. Die Armuth verflucht den hartherzigen Fritz: „Du selbst wirst vergebens nach Hülfe flehen und verzweifeln“; das Laster führt ihn in das Haus des Luxus; mitten im besten Wohlleben wird der Uebermüthige in seine vorige armselige Gestalt verwandelt, mit einem Schlage in die Hütte der Armuth versetzt, wo abgenagte Knochen und Thränen ihm Speise und Trank vertreten, die harpyenähnlichen Gestalten der Schulden schlagen ihre Klauen in sein Fleisch, Wahnsinn und Verzweiflung geben ihm den Bruderkuß, die Hoffnung mit dem Lilienstengel – das ganze ist ein Traum – geleitet ihn wieder ins Leben zurück. Aus diesem dürftigen Scenengerippe mit dem Quodlibet des Wahnsinnigen hat R. eine ergreifende tief symbolische Darstellung menschlicher Vergänglichkeit gestaltet: wie der reich und protzig gewordene Wurzel von der Jugend verlassen, vom hohen Alter heimgesucht seinen Reichthum verflucht und plötzlich zum bettelnden Aschenmann wird mit Butte und Krücke. Diesen allegorischen Gestalten hat er das warme Blut bis in die Fingerspitzen getrieben. Jugend und Alter sind wunderbar contrastirt; wie Sommer und Winter im alten Volksspiel stehen sie einander gegenüber; der Contrast erstreckt sich auf ihre Begleitung, auf die ganze Umgebung, auf Landschaft und Witterung. Erschüttert es uns bis ins Innerste, wenn Goethe’s Faust, den wir so lange durchs Leben begleitet [743] haben, endlich als alter Mann uns entgegentritt, so doppelt und dreifach, wenn diese Verwandlung vor unseren Augen auf der Bühne geschieht, und nicht mit der abschreckenden Gräßlichkeit eines vereinzelten Naturspiels wie in Grabbe’s „Herzog von Gothland“, sondern mit der versöhnenden Milde eines unabweislichen Lebensprocesses:

„Jugend, ach! ist dem Alter so nah durchs Leben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband.“

In dieser Verwandlungsscene faßte R. sein ganzes schauspielerisches Können zusammen: „Der Mann ist so wahr – rief Devrient dabei aus – daß ein so miserabler Mensch wie ich ordentlich mitfriert und leidet.“ Und dennoch übertraf er sich als Aschenmann in der Glanzrolle seiner ersten dichterischen Periode. Wenn der Gebeugte, Gebrochene mit dem Rufe „Ein Aschen! au weh!“ hereinhumpelte, wer mochte das alte „Auwedl! Auwedl!“ wieder erkannt haben, mit dem weiland La Roche als Kasperl bei seinem Entrée wahre Lachsalven zu entfesseln pflegte. Die komische Figur war zur humoristischen erhöht worden: „Was bin ich für ein miserabler Mensch! Ein Aschen! Was war ich? Und was bin ich jetzt?“ Die Töne des Aschenliedes erklingen; Text und Melodie von herzergreifender Einfachheit und Schlichtheit; eine Satire auf alle Stände, ein Rundblick über die Welt, wie Mercur auf seiner Erdenreise in Meisl’s „Entführung der Europa“ nichts Gutes entdecken konnte:

„Alles ist aus seinem Gleise geschritten,
Paläste sind entstanden aus Bauernhütten.
Die Diener sind Herren geworden, die Herren verarmen,
Jeder denkt an sein Ich, man findet kein Erbarmen.
Keiner kann eine gnädige Frau von einer Köchin unterscheiden,
Denn beide tragen Federn, Spitzen und Seiden.“

Raimund’s Verse aber sind kürzer und knapper, und schmiegen sich der Melodie prächtig an. In den Refrain drängt der fromme Katholik die stete Mahnung seiner Kirche an die Vergänglichkeit alles Irdischen zusammen; aber ein siegreicher Glaube an das Edle und Gute durchbricht den düstern Flor. In der Einfachheit und Anspruchslosigkeit liegt der Zauber seiner Dichtung. Am Schlusse des Stückes läßt die Zufriedenheit die „Quelle der Vergessenheit des Ueblen“ entspringen und macht alle in bescheidenen Grenzen glücklich. Zufriedenheit ist der Ruf, der aus dem Stücke heraustönt und alles überschallt. Fröhlichkeit in bescheidenem Glück ist das Lebensideal der Raimund’schen Poesie, und auch hier trifft er mit seinem Zeitgenossen und Landsmanne Grillparzer aufs nächste zusammen.

„Man muß stets lustig sein
Und sich des Lebens freun,
Außer man hat kein Geld,
Nachher ist’s freilich g’fehlt,“

so hatte noch der Barometermacher geschlossen, ganz in der alten Weise der abgelebten Wiener Posse, in der es immer Sonntag gewesen, immer am Heerde der Spieß sich gedreht hatte, wo der Himmel in Wirklichkeit voller Geigen hing, wo die Bühne sich in einen Kälberschlegel verwandelte oder eine Art Schlaraffenland darstellte, wo die Götter am Schlusse „Schunkenfleckerln“ auf die beglückte Menschheit regnen ließen.

„Drum will ich lustig sein
Und mich des Lebens freun!“

hatte auch noch Florian gesungen. Dem rückverwandelten Wurzel dagegen werden die Worte ewig in die Ohren klingen, mit der die Jugend von ihm Abschied nahm:

„Brüderlein fein! Brüderlein fein!
Mußt mir ja nicht böse sein!
[744] Scheint die Sonne noch so schön
Einmal muß sie untergehn.“

Das gutmüthige Phäakenvolk ist aus dem Traume des Genusses aufgerüttelt und wird in die engeren Schranken bürgerlichen Lebens zurückgewiesen, zu Fleiß und Arbeit gemahnt.

Die Wiener ließen sich diese heitere Lection gerne gefallen. „Der Bauer als Millionär“ wurde am 10. November 1826 zum ersten Male aufgeführt, die ersten zwanzig Vorstellungen hatten bereits 26 000 fl. eingetragen; bis zum Frühjahr 1827 war er schon 51mal, bis zum October bereits 84mal bei vollem Hause gegeben worden. Im Theater an der Josephstadt gab man eine Pantomime: „Colombine aus der Feenwelt“, in welcher Platzer als Pamphilius Pflanzerl eine getreue Copie Raimund’s in Kleidung, Bewegungen, ja selbst in den Gesichtszügen lieferte; eine andere: „Das Feenmädchen“. Eine Parodie „Das Lerchenfeldermädchen oder das Fischweib als Millionärin“ scheint sich bloß auf das Mödlinger Theater gewagt zu haben; aber Meisl’s Stück „Fee Sanftmuth und Fee Gefallsucht“, das R. selbst auf seiner Bühne ankündigen mußte, ist mit seinem Fabian Tintenmann doch auch mehr Parodie als Nachahmung.

Raimund’s erste Stücke bilden eine aufsteigende und geschlossene Gruppe. Ohne die geringste Beimischung fremder, gelehrter Elemente sind sie unmittelbar aus der volksthümlichen deutschen Dramatik hervorgegangen, welche sich in Oesterreich zu einer Zeit noch erhalten hatte, da sie im übrigen Deutschland längst einer gelehrten Renaissancelitteratur gewichen war. Das gesammte Erbe zweier Jahrhunderte liegt vor ihm und er schöpft daraus mit beiden Händen. Vom Hanswurst Stranitzky’s und Prehauser’s führt der Pfad schnurgerade zu Florian und Wurzel, um dann leider erst nach mancherlei Irr- und Abwegen beim Valentin anzulangen. In diesen drei Stücken schafft R. unbewußt, instinctiv, völlig naiv; für sie, aber auch nur für sie gilt Grillparzer’s ausgezeichnete Charakteristik, daß der gesunde Sinn der Nation Raimund’s natürlich anmuthige Werke hervorgebracht habe, daß das Publicum ebenso viel daran gedichtet habe, als er selbst, daß es der Geist der Masse gewesen, in dem seine halb unbewußte Gabe wurzelte.

Schon während der Arbeit am „Mädchen“ geht eine Wandlung in R. vor. Der durch die großen Erfolge gesteigerte Ehrgeiz des Künstlers steht in schroffem Gegensatz zu der angeborenen Bescheidenheit seines Wesens; der Beruf des Komikers zu seiner ernsten, ja düsteren Gemüthsanlage, sein Drang nach öffentlicher Wirksamkeit zu seiner heißen Sehnsucht nach Natur und Weltabgeschiedenheit. Er wird sich der Mängel seiner Erziehung, der Lücken seiner Bildung bewußt; er wollte über das, was das Theater ihm bieten konnte, seine Kenntnisse erweitern. Es ist uns von mehreren Seiten bezeugt, daß er sich die Werke Shakespeare’s, mit dem einige Kritiker ihn verglichen hatten, kaufte und sie aufs eifrige studirte; wir dürfen es Bauernfeld glauben, daß er auch mit demselben Heißhunger über Calderon, den damaligen Beherrscher des Burgtheaters, hergefallen sei. Ein gelehrtes Element drängt sich nun in seine Schöpfungen ein, er will mit den größten Dramatikern der Weltlitteratur, denen er allerdings an Begabung kaum nachstand, kühn rivalisiren; er sucht nach Stoffen; der alte Drang nach der Hofbühne erwacht wieder in ihm; er drängt den Spaß fast ganz zurück zu Gunsten eines Ernstes, der nicht selten an Schwulst und Bombast grenzt. Traurige Lebenserfahrungen befördern diese innere Wandlung. Wenn wir den Anecdoten, die Raimund’s bisherige Biographen erzählen, trauen dürfen, so hat sich der Leidenschaftliche einer Liebesgeschichte wegen in Raab ins Wasser gestürzt und war halbtodt herausgefischt worden. Ein anderes Mal wieder soll ihn der Tod einer Geliebten halb wahnsinnig gemacht haben. Sicher ist, [745] daß er im J. 1819 um die Hand der Toni Wagner, die Tochter eines Cafetiers in der Leopoldstadt anhielt und daß ihm diese seines Standes wegen verweigert wurde; niemals dürfe er es wagen, seinen Fuß in das Haus des angesehenen Bürgers zu setzen, war der harte Spruch des Vaters. Dies trieb ihn einer Theatercollegin, Louise Gleich, der Tochter des Possendichters und Romanfabrikanten, in die Arme, der er aber noch vor der Hochzeit überdrüssig wurde, so daß er bei der Trauung nicht erschien. Ein Scandal in Schauspielerkreisen wurde im vormärzlichen Wien wie ein Staatsereigniß behandelt, das Publicum, das, wie er selbst gestand, keine Kenntniß von seiner Denkungsart und seinem Herzen hatte, ergriff gegen ihn Partei, zwang ihn, ein paar Tage später, am 8. April 1820, die Trauung vornehmen zu lassen und verursachte so „sein Unglück im bürgerlichen Leben“. Er trennte sich bald von seiner Frau und fühlte sich von neuem zu Toni hingezogen; aber nur heimlich konnte sie ihm – anfangs wenigstens – angehören und nicht vor dem Altar, sondern nur vor einer Mariensäule in Neustift schwuren sie sich ewige Treue. Auch dieses Verhältniß war jedoch durch Raimund’s grundlose Eifersucht und aufbrausende Leidenschaftlichkeit getrübt. In den zahlreichen Briefen an Toni machte er seinem gepreßten Herzen Luft, in einer halbrhythmischen, verstiegenen, oft an Jean Paul gemahnenden Prosa wühlte er seine Schmerzen aufs Papier; solche Tiraden laufen dann meist in Betrachtungen aus wie die folgende: „Du weißt, wie wenig wahre Freuden mir das Leben bringt, weil mein Gemüth zu Leid geboren ist. Doch hat die Trauer besserer Menschen einen tröstenden Begleiter: Höheres Bewußtsein“. Dazu kam die Ueberanstrengung in seinem aufregenden Berufe. Im J. 1825 verfiel er in ein Nervenfieber (einen „unbegreiflichen Nerventraum“ nannte er es), das ihn durch vier Monate der Bühne entzog und von dem er nur durch die rastlosen Bemühungen seines Freundes Dr. v. Lichtenfels genas. Am Tage vor seinem Wiederauftreten (7. October 1825 als Hausknecht in Korntheuer’s „Alle sind verheirathet“) druckte der „Sammler“ den ersten lyrischen Versuch Raimund’s ab: „An die Dunkelheit“. Wie Lacrimosa die stille Nacht apostrophirt, an deren Busen sich so oft ihr sinnend Haupt gelegt hatte, so besingt er hier die arme Dunkelheit, die melancholische Tochter des Lichtes und der alten Finsterniß, das freudearme Kind des Strahlengottes, in deren stillem Tempel ihn des goldenen Friedens sanfter Hauch umwehte. Ein ernster Prolog zur Rückkehr des Komikers in die Welt.

Noch vor der ersten Aufführung des „Mädchens“ hatte R. am 24. September 1826 ein neues Stück abgeschlossen, das aber erst am 8. Januar 1828 auf die Bühne gelangte: „Die gefesselte Phantasie“. Er wollte seinen Neidern gegenüber beweisen, daß man auch ohne ein Gelehrter zu sein, ein unschuldiges Gedicht ersinnen könne: „Gelehrsamkeit allein verfasset kein Gedicht. Wissen ist ein goldener Schatz, der auf festem Grunde ruht; doch in das Reich der holden Lieder trägt uns nur der Phönix Phantasie“. Es ist der Zwiespalt in seinem Innern, den er hier verkörpert; er will seinen eigenen Drang nach Bildung zum Schweigen bringen.

Woher hat R. die Anregung dazu empfangen? Volksthümliche Gedichte unserer Litteratur, wie Wolfhart Spangenberg’s „Ganskönig“, wo die ehrsame Frau Phantasey den Dichter in die Lüfte entführt, waren R. nicht bekannt. Ob er etwa durch Grillparzer davon Kenntniß hatte, wie in Lope de Vega’s Columbus der Held von der Phantasie zum Throne der Vorsehung gebracht wird, vor dem Religion und Götzendienst um Amerika streiten, wie er auf ihren Schwingen zu König Fernando fliegt? Ob ihm desselben Spaniers Zwischenspiel „Der Poet“ bekannt war, wo Donna Livia ihre Hand nur dem besten Dichter ertheilen will und wo der närrische unerschöpfliche Poet wirklich den Sieg davonträgt? [746] Jedenfalls war es ein romantischer Gedanke, die Dichtung selbst zum Gegenstand der Dichtung zu machen und die Figur des Narren zeigt deutlich, wie er Shakespeare nachstrebte. Rührend aber bricht auch hier das Bekenntniß des Dichters, auf das Hobellied vordeutend, durch die komische Maske durch: „Undankbare Welt! Da glaubt so mancher oft, er wär’ allein der Narr im Haus, da kommt ein andrer her und sticht ihn wieder aus; und dieser andre wird von einem andern Andern dann verdrängt und so zerstreiten sich die armen Narren ums traurige Narrenthum. Ein jeder möcht’ der größere sein, und jeder narrt sich selbst. O eitle Narrethei, o närr’sche Eitelkeit! Ich wollt’, ich hätt’ brav Geld, dann mach’ ein’ Narr’n, wer will!“

Schon das oft umgearbeitete Manuscript zeigt, wie es diesmal R. nicht von der Hand ging. Die ernsten Partien des Stückes sind wenig gelungen; die Zauberschwestern Vipria und Arrogantia reichen an seine früheren Personificationen nicht hinan; der königliche Hirte Amphyo ist eine schwächliche Gestalt; sein lendenlahmes Preisgedicht fällt gänzlich ab; selbst die zartgedachte Phantasie kann sich mit der „Jugend“ in Lebenswahrheit, Lieblichkeit und Schalkhaftigkeit nicht messen.

Nur eine Person des Stückes ist mit der alten Kraft gezeichnet, wenn sie auch mehr einen Rückfall in die derbere Art des Barometermachers bedeutet: der Harfenist Nachtigall. Die jetzt ausgestorbene Wiener Vorstadtfigur des Harfenisten gehörte zum stehenden Apparat der vorraimundischen Posse. In Gieseke’s „Travestirtem Aeneas“ singt der Harfenist der Dido die Geschichte der Eroberung von Troja. Pan und Orpheus in Meisl’s Travestien sind nichts als Bierhausharfenisten; dem ersten erkennt Midas für sein „Ludeln, sein göttliches Dudeln“ den Preis zu vor Apollo’s singendem Recitiren; der zweite ersingt sich mit seinem unsinnigen Quodlibet: „Altes Eisen, Messing, Blei, Lumpen, Fetzen, Hahnenschrei“ etc. das Herz der Juno. In „Sylphide, das Seefräulein“ wechselten R. und Schuster in der Rolle des blinden Harfenisten miteinander ab. Daß R. in der Kneipscene nicht allzu dick aufgetragen habe, zeigt der Ausspruch des Cerberus bei Meisl: „Es ist kein Mensch, es ist nur ein Wiener Harfenist“. Wie dieser urwüchsige ungeschlachte Wiener Natursänger auf fremden Boden verpflanzt und endlich sogar der Phantasie, die er nicht kennt, von der er niemals etwas gehört hat, gegenüber gestellt wird, wie er harmlos alles, was die Gefesselte in ihrer Verzweiflung ausstößt, mit fieberhafter Eile nachkritzelt, sogar ihre Schimpfworte; wie er nun seinerseits zu fluchen beginnt und wie er endlich, als er nichts zu Stande gebracht hat, doch so viel Geistesgegenwart besitzt, um sich im entscheidenden Augenblick mit einem alten Gassenhauer eigener Fabrikation aus der Schlinge zu ziehen: alles das waren zwar Scenen von unverwüstlicher Komik, von echtem Grobianismus; aber sie nahmen einen zu geringen Raum ein in der Oekonomie des Stückes, als daß sie für dessen schwächere Theile hätten Ersatz leisten können.

Während die „Phantasie“ noch im Pulte lag, arbeitete R. in der Zeit vom 19. März bis 20. Juni 1827 sein ernstestes Stück: „Moisasurs Zauberfluch“ aus, das am 25. September im Theater an der Wien in Scene ging. Den Grundgedanken, die Verherrlichung der ehelichen Liebe und Treue über das Grab hinaus hat ihm sein eigenes Herz eingegeben. „Nicht nur die Leidenschaft muß uns zwingen uns nie zu verlassen, sondern unsere Ehre, unser edler Sinn. Was sich so eng gekettet, darf nie zerreißen. Noch im Tode will ich Dich umschlingen und nur dann wirst Du erkaltet meine Hand aus der Deinen ziehen“ (an Toni). So umschlingt Hoanghu seine Gattin Alcinde. als sie sich bereits dem Tod in die Arme geworfen hat. Das Motiv ist eine Mischung der Orpheussage mit der Alcestefabel, für die beide Tradition von Gluck her in Wien vorhanden [747] war und die beide in der Parodie lebendig waren. Durch Grillparzer, der seit Anfang der zwanziger Jahre tief im Euripides steckte, mag er auch auf das antike Drama hingewiesen worden sein; er führt den Genius der Tugend mit dem Genius der Vergänglichkeit im Wortwechsel vor, wobei ihm die Unterredung zwischen Thanatos und Apollo in der Alceste des Euripides vorgeschwebt haben mag. So poetisch alle diese Scenen auch gedacht sein mögen, zur Durchführung reichte seine Kraft nicht aus und Grillparzer hatte Recht ihm zuzurufen: „Das Ernste ist ihnen bloß bildlose Melancholie; wie Sie es nach Außen darzustellen suchen, zerfließt es in unkörperliche Luft. Im Komischen haben Sie mehr Freiheit und gewinnen Gestalten, dahin sollte Ihre Thätigkeit gehn.“ Diesmal fehlte die komische Rolle ganz, ja R. spielte anfangs gar nicht mit und wenn das Stück trotzdem nicht mißfiel, so lag dies hauptsächlich daran, daß man im Theater an der Wien an ernstere Stoffe gewöhnt war. Diesmal hatte die unvermeidliche Parodie leichtes Spiel. Auf der Leopoldstädter Bühne spielte die Krones die Hauptrolle in „Moisasuras Hexenspruch“ von Meisl; da verbietet Alcinde den Caffee und ihr Volk wird zu Butter. Eine andere witz- und geistlose Parodie wurde im Theater an der Josephstadt ausgezischt. Jugend und Vergänglichkeit erschienen da als Dummheit (Simplicitas) und als Hausmeister!

Einen großen durchschlagenden Erfolg erreichte R. erst wieder, als er auf den Boden, von dem er ausgegangen war, zurückkehrte. Im Sommer 1828 wurde „der Alpenkönig und der Menschenfeind“ gedichtet, am 17. October zum ersten Male aufgeführt. In diesem Stücke hatte R. wieder die Hauptrolle; hier konnte er sich selbst spielen, sich selbst in Scene setzen; zu seinem Rappelkopf hat sich R. selbst Modell gesessen; er suchte sich durch diese poetische Copie von eigenen krankhaften Stimmungen zu befreien, er machte sich mit romantischer Ironie über sich selbst lustig. Seit seiner Krankheit häuften sich die Klagen über die Undankbarkeit der Welt, gegen welche er mit dem weisen Mißtrauen einen ewigen Bund schließt; nur die heilige Natur sei fähig, ihn mit den Beleidigungen auszusöhnen, womit ihre abtrünnigen Söhne das schlichte arglose Gemüth ihrer besseren Brüder so grausam zu verletzen und zu verderben suchen; es häufen sich aber auch die Ausbrüche seiner leidenschaftlichen Erregtheit. „Ich kann Dir nichts schreiben, als daß mein Herz betrübt ist bis in den Tod. Wenn ich heute durch mein leidenschaftliches Betragen Dich beleidigt habe, so verzeihe mir, wenn Du kannst – schreibt er an Toni –. Ich fühle es tief in meinem Innern, daß ich Glück und Ruhe vergebens über dieser Erde suche, ich bin nur geboren, um mich und andere zu quälen, die das Schicksal in meine Nähe stellt.“ Aus ähnlichen Stimmungen heraus ist der Menschenfeind concipirt worden. Und charakteristisch genug geht der Dichter über die Ursachen von Rappelkopfs Mißtrauen und Menschenhaß, die schon anfangs bis zum Verfolgungswahn gesteigert erscheinen, rasch hinweg und beschäftigt sich fast das ganze Drama hindurch nur mit der Heilung dieses Zustandes, welche dadurch bewirkt wird, daß Rappelkopf sein eigenes Benehmen, sich selbst vor seine eigenen Augen gebracht sieht. Der Alpenkönig, eine milde, segnende Gottheit, verwandelt sich in die Gestalt Rappelkopfs, diesen in die Gestalt seines eigenen Schwagers. Als solcher muß er in sein Haus zurückkehren und dort seinen Doppelgänger in übertriebener carikirter Rappelköpfigkeit wirthschaften sehen. Er beginnt die Grundlosigkeit seines Argwohns, die ganze Ungerechtigkeit und Tollheit seines Benehmens einzusehen, er beginnt seinem Ebenbilde zuzureden, es zu besänftigen. Da kehrt sich der Alpenkönig gegen ihn selbst, sie gerathen in Streit. Rappelkopf weiß, daß sein Leben an das seines Doppelgängers geknüpft ist, daß sie zwei Körper aber nur eine Seele besitzen und muß es nun geschehen lassen, wie [748] dieses sein zweites Ich ganz außer sich gebracht, zerrüttet, toll, sich für vergiftet hält, den Verlust seines Vermögens erfährt und sich in den Fluß stürzt: eine Hinrichtung bei lebendigem Leibe, ein Selbstmord wider Willen. Im Tempel der Erkenntniß findet Rappelkopf sich selbst und seine Familie, sein Vermögen, sein Glück wieder. Ein psychologisch wahreres, an Entwicklungen reicheres Thema, sagt Grillparzer, hat noch kein Lustspieldichter gewählt; es war eine hohe dichterische, eine ebenso hohe schauspielerische Leistung.

Für den Charakter darf man kaum auf Molière’s Misanthrope, eher noch auf Shakespeare’s Timon verweisen. Näher liegt Meisl’s „Esel des Timon“ wo der (wenig individualisirte) Menschenfeind auf Jupiters Befehl von Mercur geheilt und im Tempel der Ceres von Socrates mit guten Lehren regalirt wird oder „Der Berggeist“ von Gleich, wo ein Herr von Mißmuth dadurch geheilt wird, daß dieser ihm in verschiedenen Gestalten entgegen tritt. R. geht aber über die bloße Verwandlungsposse, der er im Mädchen noch huldigt, hinaus. Schon im Moisasur wird ein Gestaltentausch vorgenommen: eine junge Seele in einen alten Körper gezaubert. Man wäre versucht hier wie dort an Gozzi’s „König Hirsch“ als Vorbild zu denken, wenn Raimund’s Bekanntschaft mit dem italienischen Märchendichter nicht erst in eine spätere Zeit fiele; erst nach dem Verschwender wollte er dessen „Raben“ für die deutsche Bühne bearbeiten. Boten ihm denn nicht aber auch die deutschen Romantiker, insbesondere Jean Paul und E. T. A. Hoffmann das Motiv der Doppelgängerschaft dar? Mußte es einen Schauspieler von Raimund’s Talent nicht reizen, mit so großen Aufgaben zu wetteifern, wie sie Molière’s Amphytrio, wie sie Shakespeare’s Komödie der Irrungen aufstellen? Und endlich, wenn die parodistische Tendenz der Wiener Bühnen sich nicht bloß auf die Dichter, sondern auch auf die Darsteller erstreckte, wenn jeder Schauspieler nachgemacht wurde, wenn Schuster als falsche Catalani Triumphe feierte und von der echten wüthend beklatscht wurde, was that denn R. hier anders, als daß er seiner eigenen schauspielerischen Individualität, die bis dahin Niemand ernstlich nachzuahmen versucht hatte, selbst die Parodie, die Caricatur gegenüberstellte? Grillparzer fand das Motiv so glücklich, daß er es von R. gerne noch weiter ausgenutzt gesehen hätte und in der That wollte R. in einem Stücke, von dem er in den dreißiger Jahren einiges niedergeschrieben zu haben scheint „Eine Nacht auf dem Himalaja“ von dem Gestaltentausch bis zu einem Wesensaustausch vordringen.

Gegen die bis ins kleinste und feinste ausgemeißelte Figur des Rappelkopf treten alle anderen Personen des Stückes zurück; auch der Alpenkönig gewinnt erst Leben in seiner Verwandlungsrolle. Wenn Gutzkow in ihm den „Kaiser Franzel im Incognito“ sehen wollte, so ist es nicht unmöglich, daß man sich in Wien eine ähnliche Auffassung ins Ohr flüsterte, zu einer Zeit, da Grillparzer seine Fortsetzung der Zauberflöte schrieb, beim Rudolf von Habsburg an den Kaiser dachte und seinen Rudolf II. schon im Kopfe trug; R. selber lagen solche Anspielungen wol gänzlich fern. Rappelkopf’s Familie ist nur flüchtig skizzirt, auch Antonie, trotzdem sie den Namen der Geliebten verewigen sollte. Hier könnte ein geschickter Bearbeiter dem Stücke leicht nachhelfen. Nur Lischen und der köstliche Habakuk (der Name schon bei Meisl) gehen über die Schablone des Iffland-Ziegler’schen Familienstückes hinaus.

Daß aber gerade dieses Stück den Oesterreichern so ans Herz gewachsen ist, das verdankt es jener kleinen Contrastscene in der Köhlerhütte, von der schon Grillparzer sagt, daß er ihr an niederländischer Gemäldewahrheit kaum etwas an die Seite zu setzen wüßte. Seitdem er in Wurzel den Bauer in der Stadt geschildert hatte, war R. mit dem Leben des Landvolkes in den Alpen erst vertraut worden. Gluthahn und sein Weib, Mirzel und Hansl im Moisasur waren [749] schon nach der Natur gezeichnete bäuerliche Gestalten. Hier nun schöpft er aus der intimsten Kenntniß des dörflichen Lebens und mit wahrem Behagen hat er alle einzelnen Bühnenbemerkungen bis zur unwichtigsten niedergeschrieben. Wie die Partitur eines Orchesterstückes sieht das Manuscript aus. Eine wüste verlotterte Häuslichkeit, gänzliche Armuth, die niederste Stufe des socialen Lebens und doch dabei das Gefühl der Zufriedenheit, der Genügsamkeit, der gegenseitigen herzlichen Zuneigung. Als Rappelkopf da hineinstürmt und ihnen die Hütte abkauft, da erscheint er uns als Friedensstörer, als unberechtigter Eindringling. Und da kommt die Treue und Anhänglichkeit an das winzige Fleckchen Erde, das die armen Leute ihr eigen nannten und das ihnen um theures Geld abgelöst wurde, auf die rührendste Weise zum Ausdrucke. „So leb’ denn wohl, du stilles Haus“, ist vielleicht dasjenige unter den Raimundischen Liedern, das heute noch am öftesten gesungen wird; wie bei den meisten derselben rührt auch hier die Melodie von ihm selbst her, sehr langsam und mit bewegtem Gemüthe müße es vorgetragen werden, schrieb er. Man könnte sich keinen effectvolleren Abschluß dieses Idylls denken als den leise verklingenden Chor. Zu Raimund’s großer Freude versicherte ihm der Gutsverwalter in Gutenstein, daß die Originale solcher Alpenhütten in jener Gegend sich hundertfach vorfänden und daß ihn die Wahrheit der Darstellung entzückt habe. Hier sind die Anfänge des modernen Bauernstückes zu suchen; an dieser einzigen Scene lernte Anzengruber mehr als von allen Salonbauern Nissel’s und Mosenthal’s.

Die überaus günstige Aufnahme des Alpenkönigs, der es im Frühjahr 1829 schon zu 50 Aufführungen gebracht hatte, hielt den Dichter nicht ab, wieder einen Schritt ins hochtragische zu wagen. Von August bis October 1829 entstanden, wurde „Die unheilbringende Krone oder König ohne Reich, Held ohne Muth, Schönheit ohne Jugend“ am 4. December zum ersten Male gegeben, erlebte aber nur drei Aufführungen. Es ist das am wenigsten gekannte Stück Raimund’s, dem auch Goedeke’s Rettung nichts genützt hat, und doch ist es ein großartiger Entwurf, der bei allen aufgelegten Fehlern und Schwächen eine Fülle tiefer Poesie und wunderbarer Schönheit in sich birgt. Es strebt ganz aus den modernen Traditionen der Bühne heraus; wie der Faust kennt es keine Schranke in Raum und Zeit; der Schauplatz umfaßt Erde, Himmel und Hölle wie auf der mittelalterlichen Mysterienbühne; die ganze Handlung wird umrahmt durch eine Wette zwischen Hades, dem Fürsten der Unterwelt und Lucina, der Schutzgöttin von Agrigent, wie der Faust von einer Wette zwischen Gott und dem Teufel. Eine Fülle von Geschehnissen, eine Unmasse von Personen, vier Fürsten deren jeder für sich allein unser Interesse in Anspruch nehmen könnte. Das Werk ist für einen Abend zu lang gerathen; daß es bis nach 11 Uhr dauerte, trug auch wesentlich zum Mißerfolge der Premiere bei. Aus welchen Quellen R. hier geschöpft, dürfte schwer festzustellen sein. Der Name Lucina kommt in Calderon’s „Tochter der Luft“ vor, welche Schreyvogel für die Bühne vorbereitete; bei den Namen Octavian und Kreon darf man an Tieck’s und Grillparzer’s Stücke denken; wenn Massana durch ein Erdbeben zerstört wird, so erinnern wir uns, daß R. 1818 in einem Stücke: „Das Erdbeben von Messina“ gespielt hatte. Wenn er es wagt, die wuchtigen Schritte der Furien auf einer Bühne erdröhnen zu lassen, auf der sie bis dahin Zoraide nur parodistisch beschworen hatte, so hat er die Hände nach den Kränzen der antiken Tragiker ausgestreckt. Den Genius des Todes führt er als bleichen Jüngling ein, der mit geschlossenen Augen und gesenkten Hauptes den Augenblick des Scheidens erwartet und dann mildlächelnd die Fackel stürzt, daß sie erlischt, als ob er Lessing’s Mahnung in der Abhandlung „Wie die Alten den Tod gebildet“ gekannt und beherzigt hätte. Ein wunderbar poetischer Hauch liegt über dieser [750] von Goedeke mit Recht bewunderten Scene; doch darf der mehr melodramatische Charakter nicht geleugnet werden; eine Vorstufe des tragischen, welche R. einzig und allein erreichbar ist. Dem gegenüber steht viel Schwulst und Unnatur, falsches Pathos, wenn auch nicht gerade Coulissenreißerei. Und wer möchte den Rattenkönig von Knittel- und Streckversen, von falschen Betonungen und verrenkten Wortformen vertheidigen wollen; das „Wienerisch-Hochdeutsch“, das Platen ungerechter Weise der „Ahnfrau“ Grillparzers vorwarf! Hier wird eine künftige Bearbeitung tief einschneiden müssen, um den echt poetischen Gehalt und die komischen Theile des Stückes zu retten. Dann aber wird der windige Poet seine verschönernde und verjüngende Zauberfackel wieder auf der Wienerbühne schwingen; dann wird der Schneider Simplicius Zitternadel wieder sein Eberfell umnehmen und seine Dankrede stammeln; er, dessen Ahnen bis zu Hafner’s Crispin und Huber’s Taddäus Nadelöhr („Teufelsthurm bei Linz“) zurückreichen, den Schneider Fips, Raimund’s Lieblingsrolle nicht zu vergessen; und dann erst wird Raimund’s komische Kraft wieder voll gewürdigt werden können. – Auch dieses Stück verfiel der Parodie. Meisl erklärte öffentlich an der „Goldpapierenen Zauberkrone oder Nichts ist unmöglich“ keinen Antheil zu haben. Thanatos wurde da zu einem schläfrigen Genius herabgewürdigt. Von Kreon heißt es im Personenverzeichniß, er erscheine zweimal auf den Füßen und einmal auf den Knieen. Man begreift den Ekel, von dem R. am Ende seiner Laufbahn gegen die Wiener Theater erfüllt war.

Im J. 1830 ging Raimund’s Contract mit dem Besitzer des Leopoldstädter Theaters zu Ende und er erneuerte ihn nicht wieder. Wesentlich durch sein Verdienst hatte sich während des abgelaufenen Decenniums ein ganz einziges Ensemble herausgebildet; auch die weniger bedeutenden Schauspieler hatten sich an R. hinangespielt. Mit Raimund’s Austritt und dem in demselben Jahre erfolgten Tode seiner Partnerin Therese Krones – der treffliche Korntheuer war schon 1829 gestorben – war die Glanzzeit dieser Bühne vorüber und wie Ignaz Schuster, der 1828 sein festes Engagement aufgegeben hatte, trat R. von da ab nur mehr als Gast in Wien auf. Während der nächsten Jahre führten ihn seine Kunstreisen nach Prag und Breslau, nach Berlin, Hamburg und München; er knüpfte zahlreiche Verbindungen an; voll brennenden Ehrgeizes wie er war sammelte er gierig alle Zeichen des Ruhmes; Kränze und Schleifen, Gedichte und Kritiken fanden sich in seinem Nachlaß. Als Florian, als Wurzel, als Rappelkopf entzückte er gleichmäßig die süddeutschen wie die norddeutschen Zuschauer; am lautesten und nachhaltigsten aber war der Beifall, der ihm als Valentin im „Verschwender“ entgegengebracht wurde.

Während Raimund’s frühere Werke meist eine Frucht seines sommerlichen Landaufenthaltes waren, so ist sein letztes Stück in winterlicher Einsamkeit und Sammlung (in Gaden bei Wien) October bis December 1833 gedichtet worden. Er kehrt hier wieder zurück in die Sphäre des bürgerlichen Lebens und kein Zweifel, daß er sich hier freier und ungezwungener bewegt als auf dem tragischen Kothurn unter pseudogriechischen Helden, er kehrt wieder zurück zum heimischen Dialekt, den er wie kein zweiter beherrschte; er schafft wieder aus dem vollen. Mit der ersten Aufführung (20. Februar 1834 im Theater in der Josephstadt) steht R. auf der Höhe seiner Laufbahn.

„Bilder aus dem Leben eines Verschwenders“ ist das Manuscript überschrieben. Die drei Acte bilden jeder ein ganzes; der erste schildert Flottwell’s poetische Jugendliebe zu Cheristane, der zweite den Saus und Braus, in dem er sein Vermögen durchbringt, der dritte die Rückkehr des Verarmten aus fremdem Lande und seine Rettung von Verzweiflung und Selbstmord; der erste eine Verherrlichung selbstloser Liebe und Treue in der von der Erde scheidenden Fee, [751] der zweite, eine Verklärung der Pflichttreue in dem aufopferungsvollen Beruf des Bettlers; der dritte, ein poetisches Denkmal der Dienertreue und Dankbarkeit in Valentin und seinen Kindern; im ersten Act herrscht eine resignirte und sentimentalische Stimmung, der zweite ist durch derben Spaß und prächtige Episoden ausgezeichnet, der dritte echt humoristisch; so vereinigt das Stück alle Töne, die R. anzuschlagen im Stande war, zu einem herrlich klingenden Accorde.

Durch Cheristane und ihren dienstbaren Geist Azur ist „Der Verschwender“ mit den Feenmärchen und Zauberspielen verknüpft. Aber nicht mehr der Zufall lenkt ihre Gaben wie die der Fee Rosalinde im Barometermacher, sondern die Liebe; nicht mehr Neid und Haß hemmen ihre Wohlthaten wie die der Fee Lacrimosa, sondern die Leidenschaften in der Brust ihres Schützlings. Nur der Name verknüpft diese rührende Gestalt mit der Fee Cherestani in Gozzi’s „La Donna Serpente“; weit tiefer und edler hat sie der Dichter aufgefaßt; der Geist Azur, ein Jahr von Flottwell’s Leben, als Bettler in Gestalt und Kleidung eine Vision von dessen Zukunft, da er nur für Flottwell hörbar und sichtbar, ist zugleich die Personification seines Gewissens; Raimund’s poetischeste Erfindung, so viel ich sehe, ohne Anlehnung an irgend ein Vorbild.

Der gutmüthige sorglose Verschwender war ein Lieblingstypus der älteren Wienerposse; in den „Brüdern Liederlich“, im „Lustigen Fritz“, vor allem aber in Gleich’s „Ydor“, wo er den Geizigen und den Verschwender so trefflich contrastirte, hatte R. ähnliche Rollen oft gespielt. Die äußere Handlung lehnt sich an ein Lustspiel von Destouches „le dissipateur“ an, das in der Uebersetzung der Gottschedin in Wien aufgeführt wurde; an die charakterisirenden Namen der deutschen Bearbeitung Lockerfeld, Ehrlichsdorfin u. s. w. erinnert der Name Flottwell. Lockerfeld kommt durch seinen spitzbübischen Verwalter herunter; seine Geliebte beschließt so viel Geld als möglich aus ihm herauszulocken, um es für ihn aufzubewahren; sie gewinnt ihm im Spiele alles ab, sein Geld, seine Wechsel, seine Pachtbriefe, seine Mobilien, seine Kutsche, sein Schloß, sie macht ihn zum Bettler. Der letzte Auftritt zeigt uns den Verzweifelten: „Unnütze Reue! was quäle ich mich viel? O gar zu saumselige Vernunft! warum kamst du meinem Unglücke nicht zuvor? Ich bin verlassen, verrathen, enterbt und was mein Elend noch größer macht: ich habe es verdient! O Glück! du lehrst mich die Menschen kennen. Ist denn in diesem Jahrhundert kein Freund zu finden? Ach! ich überließ mich diesen falschen Freunden und als ein Unverständiger schloß ich von meinem Herzen auf die ihrigen. Wie sehr habe ich mich geirrt! wie thöricht bin ich nicht gewesen!“ … Als er sich erstechen will, reißt ihm die Ehrlichsdorfin den Degen aus der Hand und übergiebt ihm mit dem Geständnisse ihrer Liebe das für ihn gerettete Vermögen: „Ich habe Sie arm zu machen gesucht, um es Ihnen zu retten und Ihnen alles entzogen, um es Ihnen aufzuheben; denn dies war bei Ihrer Verblendung das einzige Mittel“. So waren in der That wichtige Scenen des Stückes hier vorbereitet; aber R. arbeitet mit feineren Mitteln und aus tieferer Kenntniß des menschlichen Herzens und er ist weit entfernt davon, am Schlusse das Füllhorn über den Verschwender wieder auszugießen wie sein französischer Vorgänger. Es sei gar nicht seine Absicht gewesen, schreibt er, den Verschwender Flottwell für sein zwar edles, aber zu wild leidenschaftliches Herz am Ende seiner verfehlten Laufbahn belohnen zu lassen. Eigentlich müßte er untergehen. Nur vor der unverdienten Schmach und dem empörenden Undank der Menschen wollte er ihn geschützt wissen. Mit dem Lohne seiner (nicht immer aus wahrer Tugend hervorgehenden) Großmuth sei er an den Himmel gewiesen. Sein Verschwender sollte nicht bloß die lebenswahre Schilderung eines Charakters sein, wie er R. oft in Wien begegnet war, sondern zugleich eine [752] eindringliche Mahnung an den leichten Sinn seines Volkes zu Sparsamkeit und Mäßigkeit. R. faßt den Beruf des Volksdichters im ernstesten Sinne auf.

Für den Kreis von Flottwell’s Freunden fand er bei Destouches und in zahlreichen sonstigen Stücken Ansätze genug, und die gelungenste dieser Figuren, der Chevalier Dumont erinnert ebenso an Lessing’s Riccaut wie an Hafner’s Chevalier Chemise in „dem von den dreien Schwiegersöhnen geplagten Odoardo“. Aber wie unerschöpflich reich ist R. in kleinen Nebenzügen und wie rund und plastisch stellt er das alte Weib hin, die allerprächtigste seiner ländlichen Figuren, „wahrhaft aus der niederländischen Schule“.

Auch Valentin, der treue Diener, ist bei Destouches vorbereitet in jenem Christian, der entschlossen ist, bis in den Tod bei seinem Herrn zu bleiben und sein weniges Geld mit ihm zu theilen. Aber was brauchte der Dichter des Florian so weithergeholte Krücken bei der Schöpfung seiner vollendetsten Gestalt! Auch dieser Bediente ist aus dem alten Hanswurst herausgewachsen; er sollte zuerst Kilian heißen nach dem Kilian Buchtel, den R. in Welling’s Zauberposse „Die Schlafenden im Walde“ gespielt hatte; den Namen Valentin verdankte er einer anderen, glänzenderen Rolle Raimund’s, dem Pächter Valentin in einem Stücke von Gleich, worin er den Tod mit drei Zaubergaben zum besten hielt; doch schon der Bediente in einer Harlekinsposse bei König (aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts) trägt diesen Namen. R. hat sich ihn anfangs auch noch mehr als Hanswurst vorgestellt; er wollte ihn im ersten Acte in einem komischen, etwas zu weiten Jagdanzuge mit einer Pelzhaube und in juchtenen Stiefeln carikirt auftreten lassen. Das hat er später in weiser Mäßigung gestrichen; auch seine Feigheit ist jetzt gemildert; jedoch stecken im Jagdlied noch viele derbkomische Elemente. Valentin erinnert hier ebenso an Simplicius, wie er in seinem Räuschchen am Schluß des zweiten Actes an Florian und Nachtigall gemahnt. Erst im letzten Act erhebt er sich weit über seine älteren Brüder. Der Tischlermeister, der sich im Dienste seines Herrn ein bescheidenes Sümmchen erspart und sich damit seine Häuslichkeit begründet hat, glaubt in dem Bettler, dem er eben einen Groschen schenken will, diesen seinen Herrn zu erkennen, an den er noch immer in treuer Erinnerung hängt; er traut seinen Augen nicht, er wagt es nicht, den Fremden um seinen Namen zu fragen; als er endlich auf die zaghafte Frage, ob dieser das Schloß kenne, die Antwort erhält: es sei einst sein Eigenthum gewesen, da schreit er rasch: „Mein gnäd’ger Herr!“ Eine Mischung von Freude, Wehmuth und Erstaunen macht ihn erzittern, er weiß sich nicht zu fassen. Er ruft noch einmal: „Mein gnäd’ger Herr!“ Die Thränen treten ihm in die Augen und stumm küßt er dem weinenden Flottwell die Hand. So hat R. selbst in seinem Manuscripte diese Erkennungsscene skizzirt. Es war Raimund’s größter Moment auf der Bühne, der kein Auge trocken ließ und Niemand wol hat diese Scene je wieder so dargestellt wie er. Und erst dieser veredelten, gereinigten, verklärten Hanswurstgestalt, welche alle guten und edlen Züge des Wienerthums an sich trägt, kann R. das Hobellied in den Mund legen, das in schlichtester Form tiefste Lebenswahrheiten wiedergiebt und das ihn beim Singen immer von neuem ergriff. Als er im Frühjahr 1836 zum letzten Male zu Hamburg in dieser Rolle auftrat, soll er gesagt haben: „Ich habe mir da selbst mein Todtenlied geschrieben“.

Längst hatte R. sich nach Ruhe und dauerndem Landaufenthalte gesehnt. 1834 kaufte er sich aus den reichen Erträgnissen des Verschwenders zwischen Pernitz und Gutenstein eine reizend gelegene Villa. Hier verbrachte er die Pausen zwischen den Gastspielreisen seiner letzten Lebensjahre. Immer mehr aber nahm seine melancholische Stimmung zu, so daß Toni seit den ersten dreißiger Jahren oft um sein Leben zitterte. Die Hauptursache an dieser Verbitterung muß dem [753] Umschwung zugeschrieben werden, der zu seinen Ungunsten in den Wiener Theaterverhältnissen eingetreten war. Er mußte es geschehen lassen, daß ihm übelwollende Kritiker, wie Saphir und August Lewald boshaft am Zeuge flickten; R. zäume seinen Pegasus im Aether und führe ihn dann ins Lerchenfeld zur Tränke, ließ Saphir im Humoristen drucken, in welchem Blatte er gleichzeitig Nestroy’s Anfänge mit Jubel begrüßte, und dieser verspottete Raimund’s Stücke nun auf derselben Bühne, auf welcher R. einst seine schönsten Lorbeeren geerntet hatte (vgl. A. D. B. XXIII, 447). Er fühlte, daß seine Zeit vorbei sei. Mit Nestroy’s frivoleren, schärferen, pikanteren Possenerzeugnissen konnte Raimund’s reines Kindergemüth nicht concurriren; er begegnete hier einem unbarmherzigen Witze, dem er nicht gewachsen war, einer Fingerfertigkeit, der seine launische Muse nie hatte gehorchen wollen; er sah die Zote, die er mit Mühe von der Bühne verdrängt hatte, im Feierzuge wieder dahin zurückgeführt, das Volksstück wieder in den Schmutz gezerrt, aus dem er es mit Anspannung aller seiner Kräfte emporgehoben hatte. So einen gemeinen Titel hätte er niemals niederschreiben können, sagte er zu Bauernfeld, als er den Anschlagzettel des Lumpazi-Vagabundus las und an Toni schrieb er folgende ergreifenden Zeilen, die, wenn auch vielleicht in frühere Zeit gehörig, seine damalige Stimmung getreu wiederspiegeln: „In den jetzigen Zeiten, wo die unparteiische Meinung und das richtige Gefühl des Publicums durch Charlatanerien wenigstens auf Augenblicke so sehr irregeleitet werden kann, daß manche Halbgenies ein ordentliches Handwerk mit diesen phantasmagorischen Trugbildern treiben, hat jeder Schauspieler, der nicht den gänzlichen Reiz der Neuheit für sich hat und der ohne Intrigue bloß durch Anwendung seines Talentes siegen will, es sehr nöthig, alle Kräfte aufzubieten, wenn er gegen die Kabalen dieser theatralischen Buschklepper aufkommen und stehen bleiben will. Mein physisches und moralisches Leben ist von meiner Ehre unzertrennlich“.

Im Sommer 1836 erreichte seine Reizbarkeit und Verstimmung den höchsten Grad. Sein letztes Gedicht ist nicht mehr an die Dunkelheit gerichtet, sondern ist eine Hymne an die Nacht:

„In des Lebens Sommertagen
Sinkt die Freude mir in Nacht;
Und nur ihr will ich es klagen,
Was so elend mich gemacht.“

Ende August wurde er von einem Hunde gebissen, den er für toll hielt. Auf der Reise nach Wien griff er am Morgen des 30. August im Gasthause zu Pottenstein nach der Pistole, die er seit langer Zeit immer geladen bei sich getragen hatte. Nur so – fühlen wir – blieb er vor Lenau’s furchtbarem Schicksale verschont. Nach gräßlichen Leiden starb er erst am 5. September. Sein Grab auf dem herrlich gelegenen Friedhof seines geliebten Gutenstein hat seine Freundin und Erbin mit einem einfachen Denkmale geschmückt, das die Pietät seiner Verehrer schon mehrfach restaurirt hat und vor dem schon manche Erinnerungsfeier stattfand, die letzte bei der 50. Wiederkehr seines Todestages.

R. nimmt in der Geschichte des Wiener Volkstheaters die erste Stelle ein; in ihm vereinigen sich alle Kräfte, die getrennt und ungenützt seit Jahrhunderten in einem hochbegabten Volksstamm verborgen waren; als Schauspieler wie als Dichter beherrschte er die nachfolgenden Generationen fast ausschließlich; von der gewürzteren Tafel Nestroy’s und seiner Nachfolger kehrte das Volk immer wieder zur gesünderen, einfacheren Kost Raimund’s zurück. Seine Lieder wurden zu Volksliedern; seine glücklichen Einfälle schwirren noch heute als geflügelte Worte zahlreich durch die Luft; das Volksstück zehrt bis zur Gegenwart an den von ihm aufgespeicherten Capital. Er schuf ein neues Rollenfach, das nach ihm den [754] Namen erhielt; Karl Platzer, Wallner, Eduard Weiß, K. M. Rott, J. B. Lang, Karl Friese und viele andere leben nur als Nachahmer Raimund’s in der Geschichte der Schauspielkunst fort und noch gegenwärtig ist es der höchste Ehrgeiz der Wiener Komiker, die Rolle des Valentin dem Wiener Publicum zu Danke zu spielen. Selbst die Pforten der Hoftheater mußten sich dem Zauberstabe des Märchendichters erschließen. Die Geschichte der deutschen Litteratur aber hat R. erst spät die verdiente Würdigung angedeihen lassen. Unsere classische Litteratur hatte die Fühlung mit der volksthümlichen Richtung der früheren Jahrhunderte fast gänzlich verloren, treu den Principien der Renaissance sich in bewußten Gegensatz zu derselben gesetzt oder das Vorhandensein einer solchen Unterströmung geleugnet. Was die romantischen Dichter in den alten Chroniken, Sagen, Märchen und Legenden suchten, was sie aus der Litteratur des 16. Jahrhunderts wieder erwecken zu müssen glaubten, das stand in ihrer nächsten Nähe da voll kräftigen strotzenden Lebens. In Oesterreich, das hinter den protestantischen deutschen Ländern an Bildung und Kenntnissen weit zurückgeblieben war, wirkten die volksthümlichen Bestrebungen des 16. und 17. Jahrhunderts ohne Unterbrechung fort, durch die Verbindung mit einer der höchsten Entwicklung zueilenden Musik veredelt und gehoben. In Oesterreich mußte daher die Verschmelzung zwischen gelehrter und volksthümlicher deutscher Dichtung angebahnt werden. Es war dies auf doppelte Weise möglich. Entweder indem ein im Vollbesitze moderner Bildung stehender und von den Weimarischen Traditionen erfüllter Dichter die Bächlein der Volksbühne in den Strom des deutschen Dramas höheren Stiles hinüberleitete, die Gespenster-, Zauber- und Abenteurerstücke in das Bereich der Tragödie erhob, die Vorliebe seines naiven Publicums für märchenhafte Stoffe benützte und im Dämmerschein des beginnenden Culturlebens tragische Verwicklungen vorführte, wie dies Grillparzer gethan hat, oder indem das vorhandene Volksstück von einem mächtigen Talent, aus sich heraus, mit möglichster Fernhaltung allen fremden Beiwerkes allseitig ausgestaltet und auf eine Stufe gebracht wurde, auf der es die einseitige gelehrte Litteratur zur Anerkennung zwang. Dies ist R. in seinen besten Werken gelungen. Durch ihn hat sich die Naturpoesie die verlorene Gleichberechtigung mit der Kunstpoesie wieder errungen; die sehnsüchtigen Träume der Romantiker nach einer Märchenkomödie gehen durch R. in Erfüllung, er ist eine nothwendige Ergänzung zur romantischen Schule. Wer, wie Karl Goedeke in der einseitigen bildungsabwehrenden volksthümlichen Richtung das Heil unserer Litteratur sieht, wird in R. und Hans Sachs die eigentlich nationalen Dichter erkennen müssen. Jedenfalls bedeutet Raimund’s Wirksamkeit einen der wenigen Höhepunkte des deutschen Theaters, ja der dramatischen Litteratur aller Zeiten.

Sämmtliche Werke, hrsgeg. von Joh. N. Vogl, Wien 1837, 4 Bde.; nach den Original- und Theater.-Manuskripten, hrsgeg. von Dr. Karl Glossy und Dr. August Sauer, Wien 1881, 3 Bde. (Ergänzungen dazu: Archiv für Litteraturgeschichte V, 278 f.; Deutsche Wochenschrift 1883, Nr. 8; Beilage zur Bohemia 1886, Nr. 36; Meyer Cohn’s Autographensammlung, S. 75); der vierte Band, der die Biographie enthalten soll, steht noch aus; die namhaften Vorarbeiten dazu hat mir Dr. Glossy nebst den neu aufgefundenen Briefen an Toni für meine Darstellung zur Verfügung gestellt. – L. A. Frankl, Zur Biographie Ferdinand Raimund’s, Wien, Pest, Leipzig 1884. (Die darin mitgetheilten Briefe wahrscheinlich unecht, vgl. Deutsche Litteraturzeitung 1885, Nr. 11.) – Carol. Pichler, Denkwürdigkeiten IV, 173, 185 ff. – Castelli, Memoiren I, 229 ff.; besonders 259 ff. – Bauernfeld’s Werke XII, 45 ff., 58, 132, 177. – Grillparzer’s Werke, 4. Aufl., XI, 120; XIV, 171 ff. – Laube’s Werke IX, 37. – Th. H. Graf [755] Heussenstamm in Hormayrs Archiv 1828, Nr. 63. – A. Schumacher in Bäuerle’s Theaterzeitung 1831, Nr. 17, 19, 21. – D. F. Reiberstorffer in Vogl’s Oesterreichischem Morgenblatt 1841, Nr. 112, 113, 116–123. – E. Schmidt, Allgemeine Zeitung 1880, Nr. 352, Beilage; Charakteristiken, Berlin 1886, S. 381 ff. (meine Auszüge aus der älteren Wiener Possendichtung lagen Schmidt vor). – K. Glossy, Neue Freie Presse 1884, Nr. 6999; 1886, Nr. 7912. – L. Speidel, Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Heft 17. – A. Sauer, Deutsche Zeitung 1886, Nr. 5273. – Goedeke, Grundriß III, 835 ff. – Wurzbach XXIV, 254 ff.

[736] *) Zu S. 181.