ADB:Rethel, Alfred

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Artikel „Rethel, Alfred“ von Lionel von Donop in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 255–273, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rethel,_Alfred&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 00:04 Uhr UTC)
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Rethel: Alfred R., Historienmaler, wurde als viertes Kind einer glücklichen Ehe im Hause Diepenbend bei Aachen am 15. Mai 1816 geboren. Sein Vater Johann Rethel, ein geborener Straßburger, war zu Anfang des Jahrhunderts als Präfecturrath nach Aachen übergesiedelt und hatte dort die Tochter eines begüterten Geschäftsmannes, Johanna Schneider, geheirathet. Auf Wunsch des Schwiegervaters verließ jener den Beamtenstand und errichtete auf Diepenbend eine chemische Fabrik. Als zartes Kind wurde Alfred durch Unwohlsein häufig an das Haus gefesselt. Die lebendigen Schilderungen der Mutter von Straßenkämpfen, welche während der Befreiungskriege in Aachen stattgefunden, von Durchzügen und Einquartirungen fremder Truppen mögen früh auf die Phantasie des Knaben eingewirkt und ihr eine bestimmte Richtung gegeben haben. Später beschäftigten ihn die Kämpfe zur Befreiung Griechenlands gegen die Türken, von welchen damals in aller Welt die Rede war. Mit Bezug auf die ursprünglichen Vorliebe für die Verwerthung von Schlachtmotiven, welche durch zahlreiche aus der Kindheit erhaltene Zeichnungen beglaubigt ist, äußerte R. noch in späteren Jahren zu seinem Bruder Otto: „Von Kindesbeinen an war ich zum Schlachtenmaler bestimmt.“ Seit dem siebenten Jahre besuchte Alfred die Schule. Der Unterricht war jedoch ein dürftiger, nicht selten unterbrochen durch Kränklichkeit und schwere Unfälle. Die unfreiwilligen Schulpausen füllte er eifrig mit Zeichnen aus. Das Auge der Mutter entdeckte zuerst das Talent ihres Sohnes und prophetisch deutete sie die große künstlerische Zukunft desselben an, indem sie einer Freundin im J. 1824 die denkwürdigen Worte schrieb: „Ein besonderes Genie zum Zeichnen ist unserem Alfred angeboren. Das Getümmel von Schlachten verleiht ihm meistentheils Ideen zu seinem Machwerk, welches manchmal zum Bewundern ausfällt. Nur ein guter Unterricht! und ich glaube, daß er es weit bringen wird in dieser Kunst.“ Die gewünschte Anleitung wurde ihm einige Jahre später durch einen alten Maler, den Flamländer Bastiné, zu theil, der zugleich veranlaßte, daß die Zeichnungen des Knaben an den Director der Akademie zu Düsseldorf, W. v. Schadow, zur Einsicht und Begutachtung eingesandt wurden.

Das früh entfaltete Talent erregte dort das größte Aufsehen. Kaum dem Knabenalter entwachsen, wurde er im J. 1829 als Schüler in die Düsseldorfer Akademie mit Gewährung eines Stipendiums aufgenommen. Die Vermögensverhältnisse der Eltern waren inzwischen durch Unglücksfälle aller Art sehr geschmälert. Haus Diepenbend wurde durch eine Windhose vollständig zerstört und das übrige heimathliche Besitzthum ging in fremde Hände über. Die Eltern verließen Aachen und siedelten nach Wetter an der Ruhr in Westfalen über, wo der Vater eine Stellung als Buchhalter bekleidete. Diese Veränderung im [256] Leben der Familie traf zusammen mit dem Eintritt Rethel’s in die Akademie. Obgleich der junge Schüler eine lebensfroh angelegte Natur war, so mögen doch jene ernsten Familienereignisse, unter welchen er aufgewachsen ist, das frühe Hinaustreten aus dem elterlichen Hause in eine ihm bisher fremde Welt nicht ohne Einfluß gewesen sein auf den tiefen, sittlich strengen Geist seiner Kunst, der in späteren Jahren sogar einen herben Charakter annimmt. Compositionen, in denen er dem Humor eine Stelle einräumte, sind sehr vereinzelt. – Die akademische Vorklasse, welche unter der Leitung von Th. Hildebrand stand, hatte R. in wenigen Jahren hinter sich. Lehrer wie Mitschüler staunten über die Schlagfertigkeit seiner Erfindungsgabe und seines Compositonstalentes. Die energischen Linien seiner ersten akademischen Blätter schienen einer geübten Künstlerhand, Empfindungen und Gedanken einer männlichen Anschauungsweise anzugehören.

Die Düsseldorfer Schule stand damals in ihren romantischen Anfängen. Ein sentimentaler Geist beherrschte alles Streben, man vermied mit Besorgniß den Ausdruck der Kraft und rauhen Wirklichkeit und gefiel sich in der Schilderung still bewegter Gestalten. Es war die Zeit, von welcher Immermann behauptete, daß „das Weiche, Ferne, Musikalische, Contemplative, Subjective vor dem Starken, Nahen, Plastischen, Handelnden vorwalte, daß die geniale Sicherheit, die überzeugende Kraft und Nothwendigkeit der Gestalten fehle.“ Schadow’s Schule verzichtete auf den kühnen Wurf der Erfindung und suchte den Fortschritt in ängstlicher Abhängigkeit vom Modell. Man gerieth allmählich auf den Weg zum Kleinleben. Ohne Fühlung mit den süßlich genrehaften Zuge dieser Richtung war Rethel’s stolzer Sinn auf kräftiges Ergreifen der geschichtlichen Naturwirklichkeit gerichtet. Auf strenge Wahrung seiner ursprünglichen Begabung bedacht, entfremdete er sich seiner nächsten Umgebung bereits nach wenigen Jahren, sodaß er schließlich der Düsseldorfer Akademie nur die Erziehung und Anleitung zum künstlerischen Handwerk zu danken hatte.

In jenen Tagen, wo die Sehnsucht nach der nationalen Einheit völlig eingeschlummert war, lebte sich R. mit starkem Willen in die Geschichte des deutschen Volkes und seiner Kaiser ein. Seine Kunst, stets auf das Große und Erhabene gerichtet, ist von echt historischem Geiste getragen. Die lebhafte Phantasie des Künstlers bewegte sich mit Vorliebe in der Welt kühner Thaten, erschütternder Kämpfe und Leidenschaften. Dem Wildphantastischen und Dämonischen wußte er den ergreifendsten Ausdruck abzugewinnen. Von seinen Zeitgenossen durch die Richtung auf das Charakteristische unterschieden, suchte er seine Gestaltungen auf das Schärfste zu individualisiren, selbst bis zur Härte und zum Absonderlichen. Als Geistesverwandter eines Dürer und Holbein entfaltete R. einen Schwung und Muth der Wahrhaftigkeit, wie sie die deutsche Kunst nur selten bethätigt hat. Fr. Vischer erkennt in seinen Werken „eine epochemachende Vereinigung und Verschmelzung des großen plastischen Formenprincips der Italiener mit der derbkräftigen, scharf individualisirenden Physiognomik der altdeutschen Meister“. Dabei ist der Stil in allen seinen Darstellungen durch die größte Einfachheit und die Beschränkung auf das durchaus Nothwendige bedingt. Die einleuchtende Wahrheit, mit der sich seine Bilder selbst erklären, ermöglichen Jedem die unmittelbare geistige Besitznahme. Deshalb ist R. auch als einer der volksthümlichsten unter den neueren deutschen Künstlern zu bezeichnen.

Sein Lebenslauf zerfällt in drei Hauptperioden: 1) die Düsseldorfer Zeit von 1829–1836; 2) die Frankfurter Periode unter dem Einflusse Veit’s und Steinle’s von 1836–1840; 3) die Zeit seiner höchsten Blüthe von 1840–1851 in Frankfurt, Dresden und Aachen.

Die Erstlingsbilder, welche seit dem Jahre 1832 in rascher Folge entstanden, [257] galten der Verherrlichung des glaubensstarken Apostels der Deutschen, Winfried-Bonifacius, der nach der Legende in heiliger Thatkraft lehrend, gefaßt und ergeben den trotzig auf sich beharrenden heidnischen Germanen gegenübersteht. Bereits im Alter von 16 Jahren malte R., noch unter Leitung von W. v. Schadow, die Einzelfigur des heiligen Bonifacius, der auf dem Stumpfe der gefällten Wodanseiche das Kreuz aufgepflanzt hat (Nationalgalerie). – Der Erfolg ermunterte den glücklichen Kunstjünger zur Ausführung des figurenreichen Bildes „Der heilige Bonifacius predigt den Sachsen das Christenthum“ (1835), im Auftrage des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, ein Werk, das ihn annährend drei Jahre lang beschäftigte. Durch Ueberanstrengung verfiel der Künstler vor Vollendung des Gemäldes in ein typhöses Fieber, das ihn dem Tode nahe brachte. Schon zu dieser Zeit entstand eine Mißstimmung in ihm gegen die Düsseldorfer Schule und infolge dessen die Absicht, Düsseldorf zu verlassen. – Er vollendete indessen noch ein kleineres Bild aus dem Leben des Bonifacius: „Der Bau einer christlichen Capelle aus dem Holze der Wodanseiche“ (1836). – Diese Staffeleibilder sind noch ganz in der glatten, farbenleuchtenden Manier der älteren Düsseldorfer Schule gemalt, an der R. nicht lange Gefallen fand. – Die Heldengestalt des deutschen Apostels hat ihn vielfach beschäftigt und so entstanden noch in Düsseldorf drei Entwürfe, welche das Martyrium des heiligen Bonifacius in den verschiedenen Stadien schildern. – Sind diese Zeichnungen zum Theil von akademischer Strenge, so gestaltet er andere gleichzeitige Compositionen freier und flüssiger.

Stark und entschlossen befreite sich R. von allen beengenden Fesseln, sobald er mit A. Dürer’s Kunst vertraut wurde. Die Formgebung zeigt bereits das entschiedenste Streben nach Charakteristik. Die Darstellungen wenden sich zumeist dem geschichtlichen Leben zu und sind vorwiegend auf das wirkungsvoll Dramatische gerichtet. Ueberraschend ist bei so früher Jugend die zwingende Klarheit und Ruhe der Anordnung und Gruppirung, in der sich die unerläßliche Eigenschaft des strengen historischen Stiles kundgibt. Einer anmuthenden Idylle gleich, von fröhlichen Gestalten belebt, ist die Composition „Zug der Longobarden nach Italien“ besonders hervorzuheben. – In das Jahr 1832 fällt die Zeichnung „Karl Martell schlägt die Mauren bei Tours“ voll lebendiger Schilderung des Stürmens und Kämpfens der Krieger. – Bewunderung ruft die Thatsache wach, daß der herrliche Entwurf „Gebet der Schweizer vor der Schlacht bei Sempach“ schon dem Jahre 1834 angehört. Hier ist namentlich die Wahl des Moments der Darstellung, die Spannung vor der Schlacht beachtenswerth. Der Beschauer ist über den Kern des Ganzen völlig im Klaren. „Welche Versenkung der Seele in diesen hartknochigen Gestalten, wie rührend die Andacht dieser Graubärte! Man glaubt diesen Linienzügen nur noch einen Ruck ins Stilkräftigere geben zu müssen, um schon ganz den Meister vor sich zu haben, wie er nachher geworden ist.“ – In die nämliche Zeit gehört wol auch die Tuschzeichnung „Tod des Arnold von Winkelried bei Sempach“, in der das Vordringen der Schweizer über die Leiche ihres bahnbrechenden Helden meisterlich dargestellt ist. – Von anderen Entwürfen, deren Entstehungszeit sich nur annährend nach dem Charakter der Technik bestimmen läßt, ist der „Fall Adolf’s von Nassau“ erwähnenswerth, ferner „Gottfried von Bouillon vor Jerusalem“, „Kaiser Heinrich IV. leistet dem Erzbischof Hanno von Mainz den Kaisereid“ und „Die drei Stände“, Lehr-, Wehr- und Nährstand, dargestellt durch einen Bischof, der Hand in Hand mit einem Krieger und Landmann schreitet. Ueber den Dreien ist Gott-Vater sichtbar und ein Engel mit dem Spruchbande: „Liebet Euch untereinander.“ –

[258] Im J. 1833 machte R. mit einigen Freunden seine erste Rheinreise, auf der er dem Leben die heiterste Seite abzugewinnen verstand. Mit frischem Sinn nahm er die Natureindrücke in sich auf und trat bei festlichen Gelagen als einer der fröhlichsten Gesellen auf, in Lied und Rede ein jugendlicher Meister. Anmuthige Zeugnisse dieser Stimmung und eines Geistes, der seiner Kunst mit ganzer Seele anhing, sind seine Briefe, welche durch die eingestreuten landschaftlichen Schilderungen einen stark entwickelten Natursinn bezeugen. Ungeachtet der Bewunderung des damaligen unreifen, redseligen Deutschthums verband sich in seinem Gemüth warme Vaterlandsliebe und echter Freiheitssinn mit natürlicher Religiosität. – Im Herbste des folgenden Jahres verlebte R. nochmals genußreiche Tage auf freier Wanderschaft und gastfrohe Stunden im Hause seines Freundes und Biographen Wolfgang Müller v. Königswinter zu Bodendorf a. d. Ahr, wo manche schöne Gelegenheitsskizze entstand. Diese Ausflüge und eine Reise im Beginne des Herbstes 1835 ins bairische Gebirge und nach Tirol kräftigten seine Gesundheit und erweiterten den Gesichtskreis des jungen Künstlers. Er verweilte damals auch mehrere Wochen in München, wo der Vergleich der Kunstleistungen mit der Düsseldorfer Schule nicht gerade zu Gunsten der letzteren ausfiel.

Die Rheinreise hat augenscheinlich auf Rethel’s Cyclus von 20 Federzeichnungen zum „Rheinischen Sagenkreis“, Gedichte von Adelheid v. Stolterfoth, fördernden Einfluß gehabt. Mit diesen von J. Dielmann gut lithographirten und im J. 1835 erschienen Jugendblättern lenkte R., durch die dämmernde Sagenwelt befangen, merklich in die Art der Düsseldorfer Schule ein, doch zeigen sich auch hier Ansätze zu einer größeren Auffassung und liebenswürdige Züge aus dem Reiche der Romantik. – Aus der Düsseldorfer Zeit ist auch ein Radirversuch zu erwähnen, wol der einzige, den R. gemacht hat. Die Composition, die er später in Frankfurt a. M. mit einigen Abänderungen wiederholt hat, stellt als bildliche Wiedergabe der Lüge dar, wie dem alten Jacob das blutbefleckte Gewand Joseph’s gebracht wird. – Es entstanden ferner noch mehrere Familienporträts, von welchen als das bedeutendste das Bild seiner Mutter, im Besitze von Otto R. in Düsseldorf, zu nennen ist.

Das mächtig aufstrebende Talent des jungen Künstlers hatte in Schadow nicht den richtigen Lehrmeister gefunden. Das einseitig coloristische Bemühen, die ins Kleine und Realistische sich verlierende Lehre konnte ihm auf die Dauer nicht genügen. Er suchte nach einem Führer, der die Kunst im Sinne ihrer monumentalen Würde auffaßte. Als damals Reibungen unter der Künstlerschaft entstanden, welche theilweise mit der politischen Stimmung in den Rheinlanden zusammenhingen, siedelten mehrere rheinische Künstler im J. 1836 von Düsseldorf nach Frankfurt a. M. über und mit ihnen Alfred R. Er war damals 20 Jahre alt.

Der Ruf und die Kunst Ph. Veit’s, der als Director das Städel’sche Kunstinstitut leitete, zogen ihn mächtig an. Er schloß sich in aufrichtiger Verehrung und Hingebung dem Meister an. Mit offenen Armen empfangen, trat er bald in ein freundschaftliches Verhältniß zu seinem Lehrer, unter dessen Augen sich die künstlerische Kraft des Jüngers reifer und voller entwickelte. In regem Verkehr mit Steinle, Schwind, Passavant, Ihlee, dem originellen Ballenberger, der später auch sein Ateliergenosse wurde, und anderen Künstlern wie Kunstfreunden, gestalteten sich in Frankfurt a. M. seine Tage zu einem heiteren, freien und ergiebigen Leben. Wie in Düsseldorf, so weckte auch hier ein Compositionsverein unter den Freunden im edlen Wetteifer den erfinderischen Sinn. R. betrieb damals besonders eingehende Studien guter historischer Werke und classischer [259] Dichtungen. Was seinen Namen unsterblich gemacht, ist zum großen Theil in Frankfurt entstanden oder wenigstens dort angeregt und entworfen.

Hier gewann R. durch Ph. Veit, Steinle und Schwind unmittelbare Fühlung mit jener Schule streng monumentalen Stils, als deren Haupt Cornelius gelten darf. Vermöge der Großheit seiner Kunst und schöpferischen Energie steht er, zumal er gleichfalls an Dürer anknüpfte, unmittelbar neben jenem, den er zwar nicht an Universalität des Geistes erreichte, aber doch auf dem engeren Gebiete der Historienmalerei mittels seines durchgebildeten Formgefühls übertraf. Sein Schaffen und Denken wurzelte zudem in der Anschauungsweise unserer Zeit. Er gebot über die Fähigkeit, auch in unserer Erscheinungswelt den Zug mächtigen Empfindens und phantastischer Vorstellung zu spüren.

Bald nach seiner Ankunft in Frankfurt vollendete er mehrere Bilder, zu welchen die Entwürfe noch in Düsseldorf entstanden waren. Als dort eines Tages sein Freund, der Clavierspieler W. Steifensand, Bruder des Kupferstechers, die „Mondsteinsonate“ von Beethoven spielte, zeichnete R. unter dem Eindrucke der überwältigenden Töne eine gewaltige, tiefempfundene Composition: „Die Gerechtigkeit mit Waage und Schwert verfolgt den entfliehenden Mörder“. Die Göttin voll hehrer, unerbittlicher Gewalt wie die Nemesis der Alten hebt sich, durch die Lüfte schwebend, als Lichtgestalt von der düsteren Erscheinung des fluchbeladenen Mörders ab. Das ist so erschütternd wahr geschaut, daß wir an die Gerechtigkeit glauben müssen. Prudhon’s „Rache und Gerechtigkeit“ im Louvre hat R. durch seine Formenstrenge und lautere Erhabenheit weit übertroffen. – Mit dieser ergreifenden Vision führte sich der junge Künstler Vertrauen erweckend in Frankfurt ein. Das Gemälde wurde 1837 vom Kunstverein daselbst angekauft und in der Verloosung von einem Beamten des Bundestages gewonnen. Nach dem bald darauf erfolgten Tode des Eigenthümers verkaufte die Familie desselben das Bild an den russischen Oberst v. Reutern[WS 1]. Später hat es Jos. Kehren in Colossalgröße für einen Gerichtssaal in Marienwerder copirt. – Noch in Düsseldorf hatte R. seinen „Daniel in der Löwengrube“ componirt, aber erst in Frankfurt ausgeführt. Der Mann des unerschütterlichen Vertrauens ist in seiner ehrfurchtgebietenden Haltung meisterhaft charakterisirt. Er hatte sich in diesem für das Städel’sche Kunstinstitut angekauften Bilde einer breiteren Maltechnik als in der „Justitia“ befleißigt. Am 13. April 1838 schrieb R., glücklich über sein Werk, den Eltern: „… Mein „Daniel“ ist, ich kann es kühn sagen, das Beste, was ich je gemacht habe, und mit einer inneren Zufriedenheit und Freude, ja mit einer Art von Verehrung und Andacht betrachte ich mein Bild, denn ohne eine göttliche Leitung und Aufsicht hätte ich es nicht zu Stande gebracht.“

Beglückt durch zahlreiche Beweise der Anerkennung wandte er sich sofort neuen Arbeiten zu. Nach einer Düsseldorfer Composition malte er den „heiligen Martin“, welcher vom Roß herab die Hälfte seines Mantels einem Armen übergibt. Unter der leicht getuschten Bleichstiftzeichnung desselben Motivs brachte er noch Kindergestalten mit Laternen an, welche die Feier des Martinsabends am Niederrhein darstellen. – Charakteristischer für R., weil feurig und dramatisch, ist „Die Auffindung der Leiche Gustav Adolf’s auf dem Schlachtfelde von Lützen“ (Kunsthalle in Stuttgart). – Es entstand ferner im Auftrage des Magistrats der Stadt Frankfurt a. M. „Die Aussöhnung Kaiser Otto’s I. mit seinem Bruder Heinrich“. – Um sich auch in der Frescotechnik zu üben, malte R. auf die Wand seines Ateliers im früheren Städel’schen Kunstinstitut auf der Neuen Mainzerstraße in Frankfurt den Schutzengel des Kaisers Maximilian I. auf der Martinswand, in Gestalt eines Hirten. Diese Figur, welche später von Antonio [260] Zacchi aus Bergamo abgenommen und in das neue Städel’sche Museum überführt worden ist, entlehnte R. seinem kleineren Bilde „Kaiser Maximilian auf der Martinswand“ (1836).

Die in den arbeitsamen Jahren von 1837–1839 entstandenen Zeichnungen des Künstlers zeigen unverkennbar den Einfluß Ph. Veit’s und Steinle’s in der fast absichtlich hervortretenden Schönheit der Gewandung, der Stellung und äußeren Silhouette der Gestalten. Zum Theil sind es biblische Stoffe, die er mit Betonung des Gegensätzlichen und Dramatischen als geschichtliche Vorgänge ohne religiöse Beimischung behandelt. Anlehnungen findet man bei R. nicht, er ist durchaus original, aber man fühlt, daß er innig vertraut sein mußte mit den Werken Dürer’s, Hans Sebald Beham’s und Holbein’s, deren naive Kraft und ethischer Zug nachhaltig auf ihn gewirkt. Hierher gehört u. a.: „Hiob mit seinen Freunden“ (1838) von furchtbarer Energie der Klage, die auch in der Localstimmung widerhallt, ferner zur Geschichte David’s „Die Salbung“, sowie „David und Abisai im Lager Saul’s“. – Von den alttestamentlichen Zeichnungen ist unstreitig die hervorragendste der „Moses“, wie er vom Sinai herabsteigend zornmüthig die Gesetzestafeln zertrümmert, da er die Israeliten in wildem Taumel um das goldene Kalb tanzen sieht. Das Landschaftliche in Feld und Wald ist hier mittels der breiten und energischen Strichführung der Feder zu ungewöhnlich großartigem Charakter durchgebildet. – Die Episode „Bileam’s und der redenden Eselin“ aus der mosaischen Zeit hat R. gleichfalls behandelt. – Eine Tuschzeichnung aus dem Jahre 1840 verdeutlicht den Gegensatz zwischen Moses und Christus. Moses mit den Gesetzestafeln weist finsteren Blickes vor sich hin, während Christus mit dem Kreuze auf der Schulter und sein Antlitz verhüllend sich abwendet.

Die Mehrzahl der Compositionen, welche R. während des Frankfurter Aufenthaltes zeichnete, gehört stofflich der späteren Geschichte an. Zunächst sei die in der Unglückszeit des Künstlers überzeichnete Darstellung erwähnt, wie Bischof Ambrosius den mit Blutschuld beladenen Kaiser Theodosius am Eingange von St. Ambrogio in Mailand zurückweist und in die Acht erklärt. – Kühnheit und Kraft athmet die „Schlacht gegen die Hunnen bei Merseburg“ (1839), deren Mittelpunkt Kaiser Heinrich der Vogler mit seinen Rittern bildet. – Andere Blätter gelten der Geschichte Rudolf’s von Habsburg. Das erste stellt den Kampf des Grafen gegen die Raubritter dar, ein anderes zeigt den Habsburger, wie er während der Belagerung von Basel die Königsbotschaft vernimmt. – Höchst anziehend ist jenes historische Idyllion, wie Rudolph von Habsburg dem Bischof Werner von Mainz sicheres Geleit über die Alpen gibt, ein Bild von ansprechender Naturwahrheit mit einer Fülle traulicher Gestalten aus dem mittelalterlichen Leben, zugleich eine Lieblingsarbeit des Meisters selbst. – Diese letzteren Compositionen bilden wol den Uebergang zu den bedeutendsten Werken seines künstlerischen Lebens. Wie bei den ausgeführten Bildern, so zeigt sich auch in den der Zahl nach überwiegenden Entwürfen, daß von Blatt zu Blatt sein Stil sich gefestigt hat. Er beherrscht die Schönheit der Gestalt, zugleich aber drängt ihn sein Geschmack entschiedener zu den altdeutschen Meistern. Diesen Stil behielt er fortan unwandelbar fest im Auge.

Zur Beglaubigung seiner Vollreife konnte R. jetzt nichts lebhafter wünschen als eine große monumentale Aufgabe. Das Glück schien ihm in überraschendem Maaße willfährig zu sein. Im J. 1840 beschloß der Gemeinderath seiner Vaterstadt Aachen, den alten Krönungssaal des Rathhauses in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herzustellen. In Gemeinschaft mit dem opferwilligen Kunstvereine für die Rheinlande und Westfalen wurden eine Concurrenz ausgeschrieben, durch welche man die Künstler Deutschlands zur Einsendung von [261] Entwürfen behufs Ausmalung des Saales aufforderte. Man einigte sich auch darin, daß der Stoff zu den Wandgemälden der Geschichte Karl’s des Großen entlehnt werden sollte, zumal Aachen des Kaisers Residenz und Lieblingsort gewesen. Mit Begeisterung nahm R. die Arbeit in Angriff. Unter Leitung seines Freundes Dr. Hechtel, der auf die geistige Entwicklung Rethel’s von großem Einflusse gewesen, machte er umfassende Studien in der Geschichte des großen Kaisers und componirte, wohl vorbereitet, in verhältnißmäßig kurzer Zeit den berühmten Cyclus aus dem Leben Karl’s des Großen. Ursprünglich aber beschränkte sich R. auf sieben Compositionen. Am 14. April 1840 schrieb er an seine Eltern: „Mit meinen sieben großen Aachener Bildern bin ich so ziemlich fertig.“ Diese Notiz bezieht sich zweifellos auf die folgenden Darstellungen: Die Zerstörung der Irmensäule, die Schlacht bei Cordova, die Taufe Wittekind’s, die Kirchenversammlung zu Frankfurt a. M., die Krönung Karl’s des Großen durch Leo III., die Uebergabe der Reichskrone an Ludwig den Frommen, Kaiser Otto III. öffnet die Gruft Karl’s des Großen. Die Wahl dieser Motive hat R. in folgendem selbstverfaßten und bisher ungedruckt gebliebenen Berichte näher begründet.

„Die Geschichte Kaiser Karl’s des Großen ist so reich und fruchtbar für künstlerische Darstellungen, daß, wenn auch nicht durch den Raum, wie das bei dem Aachener Unternehmen der Fall ist, Beschränkung geboten würde, doch schon die Masse des Stoffes auffordert, das Wesentliche von dem minder Bedeutenden zu unterscheiden und Momente aufzusuchen, welche den Hauptinhalt der karolingischen Geschichte mit scharfen Zügen bezeichnen. Nach diesem Grundsatz mußten Scenen, welche die Sage oder einer späteren Erfindung ihren Ursprung verdanken, aus meinen Compositionen ausgeschlossen bleiben. Daher konnte auch jene reizende Liebesgeschichte, obwohl sie, wenn man an Einhard’s Stelle Angelbert und an die Stelle der fingirten Emma Karl’s zweite Tochter Bertha setzt, in der Hauptsache wahr ist, so sehr sie auch von einer Seite wenigstens das Familienleben Karl’s trefflich charakterisiren würde, keinen Platz finden. Nur für die zweite Composition: die Schlacht bei Corduba 778, glaubte ich, weil die Quellen, die ich bei Pertz monumente Germaniae historica I,II nachgelesen, nichts Näheres über den Hergang berichten, von meiner Regel insoweit abweichen zu dürfen, als ich nach Turpin’s poetischer Bearbeitung Friedrich Schlegel’s Werke Bd. 8, S. 57 ff. aus der Sage das Factum ergänzte. Da diese ganze Unternehmung Karl’s ein abenteuerlich-romantisches Gepräge trägt, und jene phantastisch-zauberischen Gestalten dem Islam in seiner erobernden Epoche vorzüglich eignen, so verschwindet der Schein des Willkürlichen in meiner Auffassung gleichsam von selbst und nimmt das Vorrecht künstlerischer Freiheit in der Behandlung für sich in Anspruch. Das historisch Bedeutsame aber, welches mich bestimmt, gerade diesen Gegenstand unter die Hauptcompositionen aufzunehmen, liegt für mich darin, daß die Zeit der Kreuzzüge, sowie überhaupt das ganze Mittelalter seine kirchlichen und staatlichen Verhältnisse, die Kaiser ihre Prätensionen, die Päpste ihre an sie gemachten Schenkungen auf Karl zurückführten, in diesem Heereszuge gegen die Ungläubigen ein großartiges, ihren Glaubenseifer und Heldenmuth mächtig anfeuerndes Vorbild christlicher Ritterlichkeit verehrten. Läßt sich nun die ausschließliche Wahl rein historischer Gegenstände für die Hauptcompositionen aus den angegebenen Gründen rechtfertigen, so macht die Oeconomie des Raumes meiner Ansicht nach dieselbe auch insofern wünschenswerth, als man dann die ganze volle Fläche der Wand zu einer einzigen Composition benutzen und, was Frescobildern immer zum Vortheil gereicht und in der ursprünglichen Bestimmung dieser Art der Malerei liegt, die Dimension lebensgroß, womöglich die vorderen Figuren überlebensgroß gehalten sind. [262] Alle kleinlichen allegorischen Umgebungen, Arabesken und Verzierungen, die nur zu oft das Bild zur Nebensache machen, der Malerei mehr oder minder den Charakter einer Wandverzierung geben und den Totaleindruck stören, sind dem ernsten historischen Stile fremd. Die Sagen und Anekdoten aus dem Leben des Kaisers dürfen dagegen in den Räumen über den Fenstern, wo sie den Blick nicht von dem Hauptgegenstande des Beschauers ablenken, eine bescheidene Stelle finden, wenn man nicht lieber in diesen Feldern die charakteristischen Bildnisse der merkwürdigen Zeitgenossen Karl’s, z. B. des Eckhard, Anselm, Rutland, Turpin, Alkuin, Eginhard u. s. w., anbringen will. Dieses scheint mir insofern zweckmäßig, als es die Einheit des Ganzen nicht durch die Verschiedenartigkeit der Gegenstände beeinträchtigt und der Totalwirkung nichts benimmt. Bei der Anordnung der Hauptcomposition beginne ich absichtlich auf der rechten Seite des Haupteinganges und lasse die Scenen nach der Jahreszahl folgen, sodaß diejenigen, welche für Aachen specielles Interesse haben, die beiden Seitenwände füllen. Da nun bei der ziemlich bedeutenden Höhe des Bildes der obere Raum zu leer erscheinen wird, so bin ich gesonnen, eine Einfassung wie beiliegende zu der Taufe Wittekind’s mit Bezug auf die Haupthandlung und in womöglich stets verschiedenem Charakter, doch durchaus als Nebensache behandelt, über jedem Bilde anzubringen. Doch gestehe ich gern, daß diesem Mißstande vielleicht auf eine noch zweckmäßigere Weise abgeholfen werden könnte.

„In Beziehung auf die Wahl der historischen Gegenstände ließ ich mich durch den Grundgedanken bestimmen, der sich in Karl’s Leben ausspricht und in seinem geschichtlich folgenreichen Unternehmungen immer wiederkehrt: Durchdringung des Staats mit christlichen Principien, Ausrottung und Umgestaltung der heidnischen Natur und Verhältnisse, bewerkstelligt durch Einführung des Christenthums, als dessen Haupt der Papst gedacht wurde. Karl erscheint überall als der christliche Held, der Gegensatz gegen Heidenthum und Muhammedanismus. Dieser Gedanke spricht sich zunächst in der Composition, die den Cyclus eröffnet, in dem ersten Siege Karl’s über die Sachsen bei Paderborn 772 aus. Durch diese Schlacht beginnt der junge Held seine Siegesbahn. Die Irmensäule stürzt, dem Sachsenvolke eine Wahrschau, daß den Waffen des christgläubigen Helden selbst der Pfeiler des Weltalls nicht zu widerstehen vermag; den frommen Kämpfern eine Weissagung künftigen Triumphs. Dem Islam, dem in Spanien das Kreuz zu erliegen droht, zieht Karl mit seinen Franken 778 entgegen und die entscheidende Schlacht bei Corduba sichert dem Sieger die spanische Mark zu. Die Einzelnheiten dieser zweiten Composition, deren Aufnahme in den Cyclus ich oben zu rechtfertigen versucht habe, erklären sich hinreichend aus der angezogenen Schlegelschen Romanze. – Unterdessen waren die Wirkungen von Karl’s Siegen über die Sachsen nur vorübergehend. Das Volk benutzt des Zwingherrn Abwesenheit und erhebt sich in Massen, um im verzweifelten Kampfe seine nationale Selbstständigkeit und den väterlichen Glauben zu vertheidigen. Erst mit der Taufe ihrer Anführer Wittekind und Alboin, die sich nach vielen Aufforderungen zu Attigny in der Champagne bei Karl freiwillig einfinden, verliert der Widerstand seine Kraft und der Sieg des Christenthums, der sich 803 zu Seltz vollendet, ist durch die heilige Handlung 785, den Inhalt der dritten Composition, bedeutungsvoll vorbereitet. In der Ausführung war mir hier, weil die Quellen nichts Umständlicheres melden, der freieste Spielraum gegönnt. – Nicht allein unter den Heiden ausbreiten und begründen wollte Karl das Christenthum; auch gegen feindliche Einflüsse aus seiner eigenen Mitte her sollte es bewahrt bleiben, und wenn gefährliche Ketzereien die Einheit der abendländischen Kirche bedrohen, so war sein Ansehen und seine Gegenwart kräftig genug, den Geist der Zwietracht zu beschwören und den kirchlichen Frieden wiederherzustellen. Dies war ganz [263] besonders der Fall auf der Versammlung zu Frankfurt 794, der fünften, der Karl in Person beiwohnte. Von allen Seiten durch drängende Zeitereignisse bestürmt, (Pipin an der Spitze einer Verschwörung, die Sachsen in den Waffen, die Sarazenen in des Langedok’s reichen Städten,) erhält der Monarch die Klagebriefe seiner rechtgläubigen Bischöfe, voll der übertriebensten Schilderungen gefährlicher Ketzereien, die sich über das fränkische Reich zu verbreiten drohen. Karl wußte Rath. Die Sachsen zu beobachten schickt er einen Heerhaufen an die nördliche Gränze, seinen Sohn Ludwig stellt er den Sarazenen entgegen und eilt selbst nach Frankfurt, wohin die Versammlung der Väter beschieden war. Baronius rechnet ihrer dreihundert. Die feierlichen Sitzungen wurden in Ermangelung einer geräumigen Kirche in dem kaiserlichen Palaste gehalten. In dem Sacrosyllabo Paulini, welches meiner Auffassung zu Grunde lag, heißt es: Multitudo antistitum, sacris obtemperando praeceptis, in uno collegio congregata convenit quadam die, residentibus cunctis in aula sacra palatii, assistentibus in modum coronae presbyteris, diaconibus cunctoque cleru sub praesentia praedicti principis und an einer anderen Stelle: Praeter Paulinum patriarcham Aquilejensem et legatos apostolicos adfuerunt: Petrus Mediolanensis archep.; Italiae, Galliae, Gothiae, Aquitaniae Galleciae episcopi. Alcuin natione Britannicus et monachi Aimo, Rabanus, Georginus cum fratribus. Die Verhandlungen betrafen die adoptianischen Streitigkeiten und die in Folge derselben veranlaßten Klagen gegen Felix und Elipandus. Wichtiger waren die Berathungen über die Verehrung der Bilder. Als die erste Macht des Abendlandes war das fränkische Reich in den Bilderstreit gezogen worden. Die Geistesgegenwart Karl’s entschied gegen jede Bilderverehrung und eine unter seinem eigenen Namen 790 verfaßte Schrift, Libri Carolini, setzte den Grundsatz einer alleinigen Verehrung Gottes im Geiste und der Wahrheit den Beschlüssen der zweiten Nicänischen Synode entgegen. Dieselbe Ansicht wird hier auf dem Concil zu Frankfurt, in dem Momente, in welchem unsere Composition, als dem bedeutendsten sie auffaßt, mit offener Rüge einer Schrift Hadrian’s für die Bilderverehrung ausgesprochen. Der Kaiser bringt hier auf die Stelle seines Buches Libri Carolini II, c. 21 hindeutend den Streit durch die Worte zur Ruhe: Solus igitur Deus colendus, solus adorandus, solus glorificandus est, de quo per Prophetam dicitur: Exaltatum est nomen ejus solius. Ps. 148, 13. – Dem Streben Karl’s, alle Völker des Abendlandes unter seiner Herrschaft zu vereinigen, wird durch den Krönungsact am Christfeste 800 erst die höhere Berechtigung und Weihe zu theil. Der Ausspruch der Kirche galt als Gottes Ausspruch und was sie durch das Organ von St. Peter’s Nachfolger befahl, ward als Wille des Himmels betrachtet. Seinem gütigen Patron und Vertheidiger verleiht der dankbare Leo III. durch seine Krönung eine Würde in der Vorstellung der Völker, durch welche Karl’s Gewalt über das Abendland geheiligt wurde. Die Handlung geschieht in der alten Basilica St. Peter, über deren Bau und Einrichtung ich Zeichnungen eingesehen und, wo dieselben mangelhaft waren, aus Analogien der Architekturen dieser Zeit ergänzt habe. Der Kaiser erscheint nach Einhard’s Bericht in der Kleidung eines römischen Patricius. Die Blindheit des Papstes, welche in dem Bilde angedeutet ist, gründet sich auf genaue Aussagen der Quellen, welche ich in den Anhängen der Bredow’schen Ausgabe des Eginhard nachgesehen. – Die Feinde in der Nähe und Ferne waren besiegt und der Kaiser erfreute sich seit dem Jahre 800 einer Ruhe, die er dazu verwendete, seinen Staatshaushalt zu ordnen und seinen Schöpfungen durch zweckmäßige Einrichtungen und Gesetze Dauer und Festigkeit zu geben. Auch über sein Leben hinaus erstreckt sich seine Sorge für des Reiches Wohl. Darum beruft er, als er das Ende seiner Tage nahe fühlte, im Herbste des [264] Jahres 813 seinen einzigen, ihm noch übrig gebliebenen ehelichen Sohn Ludwig in das Hoflager nach Aachen; zugleich beschied er die Reichsversammlung nach diesem Ort. Es war die letzte, die er hielt, und eine der glänzendsten. Zuerst ließ er seinem Sohne als König der Franken huldigen und dann fragte er die Anwesenden, ob sie es billigten, wenn er auch die römische Kaiserwürde auf seinen Nachfolger übertrüge. Die Versammlung gab ihre lebhafte Zustimmung zu erkennen, und der nächste Sonntag wurde zu diesem feierlichen Act anberaumt. An diesem Tage ging Karl im kaiserlichen Ornate in die Marienkirche. Nachdem er mit seinem Sohne lange und inbrünstig gebetet hatte, ermahnte er ihn vor der Versammlung mit lauter und fester Stimme, den allmächtigen Gott zu lieben, seine Gebote zu halten, die Kirche zu schützen, seine Geschwister und Verwandten mild zu behandeln. Ludwig versprach ihm, diesen Ermahnungen nachleben zu wollen. Darauf befahl ihm der Kaiser, die Krone sich selbst aufzusetzen. Dieser letzte Act ist von mir für die bildliche Darstellung gewählt, weil er symbolisch die ganze Begebenheit in einer bedeutungsvollen Handlung zusammenfaßt. Da über die Marienkirche keine nähere Beschreibung vorhanden und Einhard, selbst ein Bauverständiger, zwar mit der größten Bewunderung von dem Dome redet und sowol den Geschmack in der Ausführung als die Freigebigkeit in der Ausschmückung derselben lobt, aber leider nicht ins einzelne bestimmt, so verfuhr ich in Bezug auf die Architektur auf dieselbe Art, wie bei der Basilica Petri. – Unter Karl’s Nachfolgern ist es keinem gelungen, dieses großen Reiches Herrlichkeit zu erneuern. In dem Drange schwerer Zeiten, welchem das Reich unter den übrigen Karolingern fast erlag, suchte das niedergebeugte Nationalgefühl sich durch liebevolle Betrachtung jener großen Vergangenheit für den Jammer der Gegenwart zu entschädigen und die ehrwürdige Gestalt des gewaltigen Karl bildet sich auf diese Weise in der Volksvorstellung zu einem Ideale aus, dessen Verwirklichung Ziel und Streben der kräftigsten Kaiser des Mittelalters wird. In hoher Begeisterung für die Tugenden seines großen Ahnen pilgert Otto III. nach Aachen, läßt sich die Gruft desselben öffnen und stärkt sich durch inbrünstiges Gebet vor der mächtigen Leiche zur kräftigen Nacheiferung in Gesinnungen und Thaten. Diese Darstellung, welche gleichsam als eine geschichtliche Apotheose des Helden betrachtet werden kann, nach welcher derselbe der dankbaren Nachwelt ein Gegenstand andächtiger Verehrung geworden ist, schließt den Cyclus meiner Compositionen. Die Auffassung der siebenten und letzten beruht auf der Darstellung Meyer’s: Aachensche Geschichten ad annum 1000, S. 216.“ –

Der Erfolg, den der Meister mit seinem Werke davon trug, war ein entscheidender. Der 24jährige Künstler schlug seine Concurrenten siegreich aus dem Felde. Das akademische Collegium, welches den 16jährigen in die Düsseldorfer Akademie aufgenommen hatte, erkannte ihm, dem Sohne der alten Königsstadt, den ersten Preis zu und betraute ihn mit der Ausführung seiner Entwürfe in Frescomalerei. In Frankfurt wurde ihm ein glänzendes Ehrenfest gegeben. Ph. Veit überreichte dem jungen Sieger einen Ehrenpocal mit einem Lorbeerkranze. Alfred R. stand auf der Höhe seines Glückes und Ruhmes.

Unter den ersten Entwürfen fehlt der „Einzug Karl’s des Großen in Pavia“. Die Darstellung der „Kirchenversammlung zu Frankfurt a. M.“ wurde vom Comité der Stadt Aachen abgelehnt, weil ein weltlicher Herrscher in einem kirchlichen Concil nicht den Vorsitz führen könne. R. schloß diese Composition, die er für eine der gelungensten hielt, nur ungern von seinem Cyclus in der Hoffnung aus, dieselbe später als Oelgemälde auszuführen. Er entwarf zwei neue Compositionen „Karl der Große erbaut den Aachener Münster“ und „Empfang der Gesandtschaft des Harun al Raschid“, von welchen erstere gewählt [265] wurde, vielleicht weil sie Karl den Großen mit seiner Familie und die Legaten des Papstes darstellte, welche die Marmorsäulen von Ravenna zum Geschenk darbringen. – Außer den bereits erwähnten Blättern entwarf R. in den letzten Jahren seines Schaffens noch die Compositionen „Karl der Große auf der Jagd“ und „Karl der Große mit der Aachner Quellnymphe“, welche er zur Ausschmückung des Treppenhauses bestimmte. Ferner sei noch eine Federzeichnung erwähnt, welche den „Dombau in Aachen“ in einem größeren Mittel- und vier kleineren Seitenbildern darstellt. Unter derselben ist die Gruft Kaiser Karl’s sichtbar, der noch als Leiche mit den Reichsinsignien geschmückt thront. – Sämmtliche Entwürfe sind einfache, wenig schattirte Blätter, welche ohne Abänderungen, durchs Quadrat vergrößert, später den Cartonzeichnungen zu Grunde gelegt wurden. – R. hoffte die Ausführung des Werkes bald beginnen zu können, doch das Schicksal gebot einen anderen Verlauf. Die ultramontane Partei in Aachen blickte mit Mißgunst auf den protestantischen Künstler, der in der katholischen Stadt das große Werk ausführen sollte, der Karl den Großen nicht als Ortsheiligen, sondern als historischen Helden und Kaiser darstellen wollte. Die Gegner gingen von der Entdeckung aus, daß die Hauptwand, welche für die Gemälde bestimmt war, in früheren Zeiten von Fenstern durchbrochen gewesen; man forderte demnach die Wiederherstellung des alten Kaisersaales mit dieser Zugabe. Die andere Partei trat energisch für die Ausführung der Gemälde durch R. ein. Es entspann sich ein heftiger Streit, der das Werk einstweilen in Frage stellte.

Noch vor Beginn der Entwürfe zu den Aachener Fresken hatte R. zehn vorzügliche, den jedesmaligen Vorgang durch wenige Figuren erläuternde Illustrationen zur Uebersetzung des Nibelungenliedes von G. O. Marchbach geliefert, welche im J. 1840 veröffentlicht wurde. Dem Geiste der Dichtung entsprechend, lehnt sich die Zeichnung an die alte Holzschnittmanier. Die Heldengestalten, theils von Arabesken umschlungen, theils von architektonischem Grunde sich abhebend, sind von einer Kraft und Männlichkeit, welche seine Mitarbeiter Bendemann, Hübner und Stilke nicht zu erreichen vermochten. – An diesen Cyklus reihen sich die in den Jahren 1841–44 entstandenen 24 Illustrationen zu Rotteck’s Weltgeschichte, welche 1848 auch als „Album historischer Skizzen“ erschienen. Die Reproductionstechnik des Stahlstichs beeinträchtigt zwar den künstlerischen Werth der Blätter, doch ist die prägnante, auf Verherrlichung weltgeschichtlicher Größen zielende Auffassung mit unverlierbarer Meisterschaft zum Ausdruck gelangt.

Ernste Historienbilder von eindringender Charakteristik der Persönlichkeit und ihrer Bedeutung sind die für den Römersaal in Frankfurt a. M. 1840–43 in Oel ausgeführten Kaiserbildnisse: Philipp von Schwaben, Maximilan I., Karl V. und Maximilian II. in ganzer Figur und über Lebensgröße. – Inzwischen hatte sich R. 1842 nach Dresden begeben. Unter dem nachhaltigen Eindrucke der dortigen Gemäldegallerie reiften bald neue Werke heran, so der „Tod des Kaisers Barbarossa im Flusse Kalykadnus“ (1844), von Franz Keller gestochen und den Mitgliedern des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen als Vereinsgabe für 1849 dargebracht. – Eine charakteristische Composition Rethel’s ist die vielleicht hierher gehörige Darstellung, wie ein Krieger, nach verlorener Schlacht von den Feinden verfolgt, umhüllt vom deutschen Reichsbanner, zur Rettung desselben in die Fluthen springt. Die Episode ist aus den Kämpfen Karl’s von Anjou gegen die Hohenstaufen entnommen. Am Ufer knieen tiefgebeugt und von Schmerz ergriffen die Genossen, um sich dem Sieger zu ergeben. – Daneben behandelte R. geschichtliche Stoffe in einer Auffassung, welche die sagenbildende Phantasie festgestellt und dadurch der künstlerischen Darstellung zugänglicher [266] gemacht hat. Die Veranlassung dazu gab der unter Veit, Steinle, Ballenberger, Rethel, u. A. bestehende Compositionsverein. Zur Charakteristik der „Verwunderung“ wählte R. „Heinrich der Finkler am Vogelheerd“, dem der Zug der weltlichen und geistlichen Würdenträger sich nähert, um die Wahlurkunde, Krone und Schwert zu überbringen. – Als ferner die Aufgabe gestellt wurde, die „Faulheit“ darzustellen, lieferte R. das humoristische Blatt „Kaiser Wenzel der Faule als Erfinder des Pettschaftes“. Beide Blätter fallen vermuthlich in die Jahre von 1844–1846. – Daß R. auch die zarteren und innigen Seelenregungen zu verkörpern wußte, beweist die klar und groß gehaltene Darstellung der „Bestattung Heinrich Frauenlobs durch edle Frauen“. Welch’ poetische Stimmung! Es ist der weihevolle Ausdruck edler, von wahrem Schmerze hingerissener Weiblichkeit. Diese Zeichnung, welche als eine der schönsten und ergreifendsten zu bezeichnen ist, hat R. drei Mal in den verschiedenen Perioden seines Künstlerlebens beschäftigt, zunächst für den „Rheinischen Sagenkreis“, dann 1840 in völlig veränderter Auffassung für die ihm befreundete Familie von Georg Springsfeld in Frankfurt a. M. (jetzt im Besitz des Senator Dr. Speltz daselbst) und endlich das dritte Mal für seine Braut im J. 1851.

Einige Jahre später als die Entwürfe zu den Aachener Fresken begann R., durch jenen Erfolg ermuthigt und in seinem künstlerischen Selbstbewußtsein gehoben, den herrlichen Cyklus des Hannibalzuges, zu welchem ihm sein Freund Dr. Hechtel den Livius XXI. als die wichtigste Quelle erschlossen hatte. In einem Briefe vom 10. December 1842 bemerkt R. ausdrücklich, daß er den Cyklus bereits unter Händen habe.

Im Herbste des Jahres 1844 unternahm der junge Meister eine Reise nach Italien und verblieb in Rom bis zum Frühjahr 1845. So wenig ihm das Leben und Treiben seiner Landsleute unter den dortigen Künstlern zusagte, so groß war der Eindruck, den die Meisterwerke der italienischen Renaissance auf ihn machten. Der Anblick der Fresken Rafael’s gewährte ihm eine herrliche Bestätigung, daß der Weg, den Veit ihm angewiesen, der richtige sei. Ohne Zweifel haben in Italien auch die herbkräftigen Quattrocentisten wie Signorelli, Pollajuolo, Verrocchio, Mantegna u. A. auf R. eingewirkt, wenngleich das Studium des heimischen, ihm wahlverwandten Meisters Dürer in seiner Kunst merklich überwiegt. In Rom setzte er seine Arbeit rüstig fort. Er begann das Altargemälde für die Nikolaikirche zu Frankfurt a. M. „Die Auferstehung Christi“, deren Composition und Farbenskizze noch in Frankfurt entstanden war, wie aus einem Schreiben Rethel’s an seinen Bruder Otto vom 18. Mai 1844 erhellt. Auch beschäftigten ihn Vorarbeiten zu dem großen Oelgemälde „Petrus und Johannes heilen den Lahmen an der Pforte des Tempels“ (Städt. Museum in Leipzig). – Gleichzeitig componirte er einige Scenen aus der Geschichte des Apostels Paulus, so „Die Steinigung des Stephanus“, zu der die Juden durch den stolzen Paulus entflammt wurden, ferner als Gegenstück „Die Bekehrung des Saulus auf dem Wege nach Damaskus“. Paulus liegt zu Boden gestreckt, sein Pferd steht mit aufgeblähten Nüstern erschreckt neben ihm. In den Wolken aber erscheint Christus, den Apostel berufend. – Hieran reiht sich „Das Opfer zu Lystra, mit welchem dem Paulus und Barnabas gehuldigt werden soll,“ endlich die überaus schöne Composition, „Christen holen die Leiche des heiligen Sebastian aus der Cloaca maxima zu Rom“. – Wahrscheinlich zeichnete R. damals auch die ersten Cartons zu den Aachener Fresken „Die Eröffnung der Gruft Karls des Großen durch Otto III. im Jahre 1000“ und „Die Zerstörung der Irmensäule“. – Die monumentale Großheit und erhabene Ruhe, welche der Composition „Josua’s Zug durch den Jordan“ eigen ist, läßt gleichfalls die Entstehung des Blattes in Rom vermuthen. – Schließlich reifte der bereits in [267] Frankfurt begonnene Cyklus „Hannibals Zug über die Alpen“, den er später al fresco auszuführen hoffte, in Rom seiner Vollendung entgegen. Auf Betrieb der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wien sind diese in Blei- und Wasserfarben behandelten Compositionen durch den Holzschnitt von H. Bürkner reproducirt. Rethel’s Kunst zeigt sich in dieser Folge zur reifen Blüthe entwickelt. Selten ist der Kampf von Mensch und Thier mit den Schrecknissen der Natur in der Alpenwelt mit packenderen Zügen geschildert. Tod und Leben bezwingt die stürmende Phantasie des Künstlers mit gleicher Gewalt. Nirgends vermißt man die mannhafte, auf Selbständigkeit beruhende Energie der Erfindung und des künstlerischen Ausdrucks, wie ein Blick auf die sechs Darstellungen erweist, welche folgenden Inhalt haben: 1) Einleitung: Schweizer Alpenhirten betrachten die im aufthauenden Schnee sichtbaren Spuren des Heerzuges der Karthager; 2) Hannibal’s afrikanisches Heer erblickt im Anmarsch auf Italien beim Ueberschreiten der Druentia die schneebedeckten Berge; 3) Gefahren und Strapazen des Heeres bei seinem durch Angriffe der Helvetier erschwerten Marsche über die stürmischen Alpenpässe; 4) Kampf mit den Elementen in der Eisregion; 5) Blick in eine Gletscherspalte mit verunglückten punischen Kriegern; 6) Hannibal zeigt seinem Heere von der Höhe der Berge herab die Gefilde Italiens. – In diesen wie in den folgenden Werken Rethel’s gewahrt man den erstarkten Zug in der markigen Charakteristik, ein Wachsen der Empfindung und des Gedankens ins Große. Mit dem Menschen war auch der Künstler in Rom ernster geworden. – Die nach der Heimkehr Rethel’s entstandenen wenigen Oelgemälde, zu welchen u. a. „Der Eintritt Karls V. in das Kloster St. Just“ gehört, theilen in der Zeichnung und Composition alle Vorzüge des Künstlers, sind aber in ihren malerischen Eigenschaften den früheren Gemälden zum Theil unterlegen.

Mittlerweile hatte die Ungewißheit über die Entscheidung der Aachener Fresken-Angelegenheit, die Jahre des Wartens und Harrens, auf das lebhafte Gemüth des Künstlers naturgemäß eine nachtheilige Wirkung zur Folge. Um der peinlichen Lage zu steuern, begab sich R. im März 1846 nach Berlin und erfreute sich einer Audienz beim Könige Friedrich Wilhelm IV., der als lebhafter Bewunderer seiner Kunst die sofortige Ausführung der Fresken im Aachener Rathhause anordnete. Beglückt erledigte R. noch einige Vorarbeiten in Frankfurt und verließ die Stadt, welche fast zehn Jahre lang seine künstlerische Heimath gewesen, im Frühjahr 1847. Dissonanzen in seinen dortigen Beziehungen hatten ihm den Aufenthalt verleidet. Er ist nicht mehr dahin zurückgekehrt. Während des Sommers von 1847–51 war R. durch die Ausführung der Fresken an seine Heimathstadt gefesselt. Er fand hier keineswegs die gewünschte Befriedigung, lebte einsam und entbehrte des mitfühlenden, fördernden Verständnisses seiner Umgebung. Mancherlei Reibungen mit der gegen ihn feindselig gestimmten Partei in der Stadt versetzten seinen Geist häufig in die trübste Stimmung. Sein berechtigter Ehrgeiz litt zu Zeiten unter den gröbsten Verletzungen. Nach Beendigung der im Sommer auszuführenden Arbeit nahm er seinen Wohnsitz im Winter abwechselnd in Düsseldorf oder in Dresden. An letzterem Orte setzte er zumeist die Cartonsarbeiten fort. Er führte sie, wie für den Holzschnitt bestimmt, überaus einfach in energischen Conturen mit wenigen schattirenden Strichlagen aus und übertrug diese mittels vergrößerter Pausen auf die Wand. Die Meisterschaft der Zeichnung verleiht den Cartons, die in der technischen Art des Zeichnens von einander erheblich verschieden sind, einen durchaus selbständigen Werth. Er erreichte in diesem Werke, von seinem auf kurzgefaßten Ausdruck bedachten Formgefühl geleitet, eine wahrhaft monumentale [268] Wirkung. Jeder Composition legte er überdies Farbenskizzen zu Grunde, sowie figürliche Detailstudien in Oel wie in Blei.

Bereits das von ihm zuerst ausgeführte Freskogemälde „Die Eröffnung der Gruft Karls des Großen durch Kaiser Otto III. im Jahre 1000“ bestätigte seine Meisterschaft. Die allbekannten, oft und eingehend beschriebenen Darstellungen bedürfen keiner näheren Besprechung. Es sei nur der auf einem besonderen Blatte wiedergegebene Studienkopf des Kaisers erwähnt, welcher die wie zu Granit erstarrten Züge von einem Schleier leise verhüllt erscheinen läßt. Welche Erhabenheit der entseelten Hülle! – Den folgenden Winter brachte R. bei den Seinigen in Düsseldorf zu und malte hier sein letztes Oelbild, die Einzelfigur des heil. Bonifacius, für eine katholische Kirche in Wiesbaden. Zugleich beschäftigte er sich mit weiteren Vorstudien zu den Fresken und vollendete trotz der politisch aufgeregten Zeit im Sommer 1848 das zweite Freskogemälde „Der Sturz der Irmensäule“, wo das milde Licht des Christenthums in die germanischen Wälder dringt, eine Verherrlichung des Sieges über den trotzigen Geist einer abgelebten Zeit. – Den Winter von 1848 auf 1849 verlebte R. in Dresden, in seiner Gemüthsstimmung aufgefrischt durch den Verkehr mit Schnorr, Rietschel, Bendemann, Hübner, Reinick und der Familie Grahl. Er zeichnete damals für ein Album die reizende humoristische Composition „Wissenschaft und Poesie“, zwei schöne Frauengestalten auf Wolken thronend, während unter denselben Dichter, Maler, Theologen, Mathematiker u. s. w., schalkhafte Kinderfiguren, in einer lustigen Schlägerei begriffen sind. Alsdann führte er den Carton zu „Karls des Großen Sieg über die Sarazenen bei Cordova“ aus, den er im August des folgenden Jahres al fresco malte. Das Bild zeigt den Meister in seinem wahren Element, wo die höchste dramatische Spannung waltet. Welch’ ein Kaiser! Mit unwiderstehlicher Gewalt entreißt er, hoch zu Roß heranstürmend, das feindliche Banner. Man fühlt, der Sieg gehört den Franken. – Auch das vierte 1850–51 gemalte Fresko „Der Einzug Karls des Großen in Pavia“ fesselt bereits durch das Motiv an sich. Wie einfach, groß und majestätisch zieht der Sieger unter rauchenden Trümmern in die eroberte Stadt ein! –

Mit all seiner Kunst schien der Meister der feindseligen Partei in Aachen nicht zu genügen. Die Anerkennung entsprach nicht dem Verdienste. Der Unverstand ließ sich wohl auch zu gehaltloser Beurtheilung hinreißen, die ihn verbittern mußte. Namentlich haben ihm völlig verkehrte Ansprüche an die Freskomalerei großen Verdruß bereitet. Dazu kam die unvermeidliche, bei zarter Körperkraft erschöpfende Anstrengung, der er auf die Dauer nicht gewachsen war. Es sollte ihm nur noch beschieden sein, im Winter von 1851 auf 1852 den Carton zur „Taufe Wittekinds“ zu zeichnen, durch den Gegensatz des trotzigen, schwer gebeugten Sachsenherzogs und des kaiserlichen, edlen Siegers eine der schönsten Compositionen des Cyklus.

Rethel’s Cartons und Fresken beweisen zur Genüge, daß er den geschichtlichen Stoff in jenem Stil, wie die Monumentalmalerei ihn fordert, zu behandeln verstand und das streng Charakteristische, die unerläßliche Bedingung historischer Darstellung festzuhalten wußte. Der dem Cyklus zu Grunde liegende Hauptgedanke, der siegreiche Kampf des großen Kaisers gegen die trotzigen Völker ist ein echt dramatischer und in jedem einzelnen Bilde kraftvoll hervorgehoben. Karl der Große tritt überall als Held auf, dem man die Kraft und Macht zutraut, die Welt in ihren Fugen zu erschüttern. So ist R. durch dieses Werk unser monumentaler Meister geworden, vor allem der rechte Künstler für die Verherrlichung deutscher Geschichte.

[269] Zweifellos gehört R. zu den Meistern, deren Sprache in erster Linie die Zeichnung ist. Seine Malerei entbehrt völlig des Farbengepränges und ist mit großem Feingefühl auf monumentale Wirkung gestimmt. Bei kühner Breite des Vortrags wahrte er mittels gedämpfter Töne eine weise Mäßigung. Einzelne durch das Auftrocknen der Farben entstandene Mängel in der Haltung des Ganzen zu beseitigen, war ihm nicht mehr vergönnt. – Ein günstiges Geschick bewahrte Rethel’s Fresken bei dem Rathausbrande am 29. Juni 1883 vor dem Untergange. Neuerdings sind leider die Nachwirkungen der durch jenen Brand bedingten Löschung so störend zu Tage getreten, daß eine Beseitigung der Schäden dringend erwünscht ist.

Schlimmere Gefahr noch drohte den Fresken zu Lebzeiten Rethel’s, als er geisteskrank geworden und an der Fortsetzung der Arbeit verhindert war. Im Stadtrath von Aachen wurde der Antrag gestellt, die Gemälde herunterschlagen zu lassen. Doch fanden sich in Aachen selbst einige beherzte Männer, die der schwer gefährdeten Werke sich annahmen, in erster Reihe B. Suermondt und G. Schwenzer. Letzterer legte als Vertreter des rheinisch-westfälischen Kunstvereins seine schützende Hand auf das Werk, besonders als Lessing, Sohn und Wiegmann, die zur Begutachtung der Gemälde nach Aachen geschickt waren, einen begeisterten Bericht abstatteten. Jos. Kehren, der Mitarbeiter Rethel’s, nahm infolge dessen von der Verpflichtung, die Fresken seines Meister theilweise zu übermalen, Abstand und führte nach einem Carton und den übrigen Entwürfen die noch fehlenden Fresken „Die Taufe Wittekind’s“, „Die Krönung Karl’s des Großen durch Leo III.“, „Die Erbauung des Münsters zu Aachen“ und „Karl der Große übergibt die Krone des Reiches seinem Sohne Ludwig dem Frommen“ aus. Leider besaß Kehren nicht die erforderliche Pietät vor dem Farbenprincipe seines großen Vorgängers. In einer leuchtenden und gefallsüchtigen Farbe, die weder auf Rethel’s Fresken, noch auf den Gesammteindruck des Saales Rücksicht nahm, zeigen Kehren’s Malereien, daß er den Unterschied zwischen Fresko- und Oelmalerei nicht verstand und die Bedingungen monumentalen Stiles nicht erfüllte zum Nachtheil des Werkes und seiner selbst. Belgische und französische Meister jener Zeit waren begeistert von Rethel’s Arbeiten. Horace Vernet und Paul Delaroche besuchten den Meister in Aachen und beglückwünschten ihn herzlichst. Die Cartons von Guffens und Swerts für die Börse in Amsterdam sind unverkennbar aus dieser Anregung hervorgegangen. Die Aachener Fresken sind Rethel’s Hauptwerk, welches er nicht vollenden konnte und mit seinem Leben bezahlte.

Der Unterbrechung der Arbeit ging ein wechselnder Hang des Künstlers zum Trübsinn voraus. Den Winter von 1847 zu 1848 brachte er in Düsseldorf bei den Seinigen zu. Er war damals Zeuge des Straßenkampfes, welchen die entfesselten Leidenschafen der Demokratie in seiner Vaterstadt heraufbeschwor. Bald darauf erlebte er auch in Dresden den erbitterten Aufstand des Volkes, der seine Phantasie mächtig erregte. R. besaß ein starkfühlendes Herz für die Geschicke des Vaterlandes und für die Einheit Deutschlands; zugleich liebte er die Freiheit und jubelte, als König Friedrich Wilhelm IV. die Verfassung erließ. Allein er war ein entschiedener Feind der Ueberstürzung und rohen Gewalt. Darum schuf er das epochenmachende Werk „Auch ein Todtentanz“, in welchem er den Auswuchs der Freiheitsbewegung, die rothe Republik in der Person des Russen Bakunin, des Leiters des Dresdener Aufstandes, geißelte, indem er das menschenwürgende Scheusal die Maske des socialdemokratischen Agitators annehmen läßt. Die in wenigen Tagen entstandenen, nur das Nothwendige in Lapidarstil hinschreibenden sechs Bleistiftzeichnungen, welche H. Bürkner in die charaktervolle, auf breite Wirkung zielende Technik der alten Holzschnittmanier [270] übertrug und Rethel’s Freund Rob. Reinick mit Versen begleitete, enthalten geisterhafte Motive, entnommen aus dem Volksglauben, schon lange vor R. häufig benutzt, von ihm jedoch neu und frei entwickelt. Die Gestalt des großen Schnitters lebte in Rethel’s Phantasie, wie sie dem Meister Holbein vorgeschwebt. Wie hat der Künstler das wüste Straßentreiben jener Tage dargestellt! Er versetzt den grinsenden Knochenmann mitten unter das Volk. Dabei steht R. in der Auffassung des unbarmherzigen Sensenmannes, in der geistreichen Art, ihm den Ausdruck des Hohnes und Siegesbewußtseins abzugewinnen, auf gleicher Höhe mit Holbein. Die entsetzende Wahrheit, welche die einzelnen Blätter verkünden, bleibt jedem Beschauer des Werkes unauslöschlich: Eitelkeit, List, Lüge und die bösen Begierden rüsten in Sirenengestalt ihren Ritter, den Tod, mit den Attributen der gefesselten Gerechtigkeit zum Verderben des Menschen. – Er trabt auf seinem Klepper übers Feld zur Stadt. – Vor dem Wirthshause reizt er das Volk gegen die Machthaber auf, indem er eine Krone und einen Pfeifenstiel grinsend gegeneinander abwägt. – Als Volksbeglücker reicht er dem Pöbel, der Barrikaden errichtet hat, sein Schwert zur Selbsthülfe. – Er hält seine Ernte auf der Barrikade. – Als Revolutionsheld zieht er mit teuflischer Genugthuung über Leichen- und Trümmerhaufen von dannen. –

Eine unheimliche, geisterhafte Stimmung durchweht auch die Composition, welche den „Tod als Würger“ (1850) darstellt. Die Anregung zu derselben bot ihm die Erzählung, wie im Carneval 1831 zu Paris mitten in der Freude eines Maskenballes die Cholera auftrat und ihre Opfer aus den Reihen der Tanzenden forderte. In angstvoller Hast verlassen Tänzer wie Spielleute den Saal. Nur ein mumienhaftes Gespenst, die Cholera, eine Gestalt des Entsetzens, behauptet wie versteinert ihren Platz und hält die siegreiche Geißel gleich einem Scepter in der Knochenhand. In der Mitte des Tanzsaales aber steht der Tod in langem Talar, als der einzige Spielmann mit der Knochengeige. Auf dem Boden liegen Leichen umher, noch angekleidet mit der Harlekinsjacke; unter der Larve der Masken lugen die verzerrten Züge hervor. Man bangt fast für den Künstler selbst, der eine solche dämonische Welt in sich trug.

Rührend aber und in milder Versöhnung die grausigen Eindrücke ausgleichend, tritt uns an der Hand des Künstlers der „Tod als Freund“ (1851) entgegen. In hohem Thurmgemach, verklärt vom Strahl der scheidenden Sonne, ist der greise Thürmer, die welken Hände zum Gebet gefaltet, auf seinem Armstuhle selig entschlafen. Wie oft hat er den Heimgang eines Erdenpilgers in der Stadt mit den Feierklängen seines Glöckleins begleitet! Jetzt erweist der Tod ihm selber den Dienst, tiefernst und sinnend, aber ein barmherziger und vertrauter Freund, denn er weiß, er bringt dem müden Alter selige Ruhe und ewigen Frieden. – R. trug sich mit dem Gedanken, diese und eine dritte Composition „Der Tod als Diener“ in Verbindung mit noch anderen Entwürfen zu einem größeren Cyclus zu vereinigen. Die allgemeine Ansicht machte sich geltend, daß er nur noch Ernstes und Grausiges zu schaffen vermöge. –

Während der in Dresden verbrachten Winter von 1848–1851 zeichnete R. noch manche andere Entwürfe, in welchen jedoch eine leise Abschwächung der bildenden Kraft wahrnehmbar ist. – Er betheiligte sich mit zwei Blättern: „Jesus verwandelt Wasser in Wein“ und „Jesus der Obdachlose“ an der im Verlage von J. G. Cotta 1850 erschienenen Prachtbibel. – Den gehaltvollen Compositionen aus guter Zeit steht wohl am nächsten „Die Poesie und die drei Stände“. Die Poesie sitzt auf einer Anhöhe, zu ihren Füßen sprudelt ein Quell, in dessen Nähe ein Ritter, ein Geistlicher und ein Landmann stehen. – Ferner die schöne Composition „Die Musik und die Natur“, umgeben vom Lehr-, Nähr- und Wehrstand. – Für das Album des Prinzen Johann von [271] Sachsen zeichnete R. nach Dante die großartige Darstellung „Manfred’s Leiche“ (1850), wiederum ein Meisterwerk nerviger Charakteristik. Der gefallene Held liegt nach der Schlacht bei Benevent neben seinem zerbrochenen Schilde in einem offenen ungeweihten Felsengrabe. Die feindlichen Krieger nahen und raffen Steine zusammen, um in tiefer Rührung den Todten zu bestatten. – Die späteren Blätter tragen bereits in den knorrigen, von zitternder, schwankender Hand gezogenen Linien Spuren der hereinbrechenden Krankheit an sich. – Nach den Fröschen des Aristophanes bearbeitete er wiederholt das Motiv, wie Sophocles durch Aeschylus, den Vater der griechischen Tragödie, gekrönt und Euripides verworfen wird. – Zu den Lieblingsblättern Rethel’s zählt die Zeichnung „Phrygier bändigen das Pferd“, als Darstellung der Kraft, welche er in krankhaftem Zustande leider überarbeitet hat. – Ein unvollendeter Cyclus aus dem Leben Alfred’s des Großen (1852) schildert in sieben, auf einem Blatte ornamental verbundenen Feldern und zwar in zwei kleinen Mittelbildern: die Erziehung durch die Mutter und wie Alfred in der Bauernhütte das Brod verbrennen läßt, im großen Mittelfelde: Alfred als Sänger verkleidet im Lager der Feinde, als Seitenbilder: Alfred begehrt Einlaß und der Gewinn der Königskrone, unter der letzten Scene: Alfred verläßt seine Burg bei Nacht und errichtet nach dem Frieden neue Bauten. – In die nämliche Zeit (1851) gehören auch drei von A. Gaber in Holz geschnittene Compositionen zu Luther’s Bild: „Ein’ feste Burg ist unser Gott“. –

Inmitten seiner schöpferischen, den Geist anspannenden Thätigkeit hatte den Künstler in den letzten Jahren eine große Sehnsucht nach der Gründung eines eigenen Heims ergriffen. Er hatte seinen Bruder Otto in dessen jungem Eheglück gesehen. Nach schwerer Tagesarbeit im Aachener Rathhause war er allabendlich der Gast im traulichen Hause des Bruders, dessen junge Frau durch Musik ihn zu erheitern suchte. Noch durchschwirrten sein Phantasieleben die gewaltigen Todtenbilder, als die Seinigen im J. 1850 plötzlich die Nachricht von seiner Verlobung mit Fräulein Marie Grahl in Dresden auf das freudigste überraschte. Die ganze Familie athmete jubelnd auf, man hoffte auf ein ungetrübtes Glück. Der Bräutigam beseligte seine Braut durch anmuthige Gaben seiner Kunst, unter welchen ein kleiner Kalender mit den Darstellungen der Monate in Kindgestalten (1851), ein Werkchen voll köstlichen kindlichen Humors, hervorzuheben ist. Dasselbe ist später von Frau Marie R. in Holzschnitten, mit sinnigen Versen begleitet, veröffentlicht. Es war der Wiederschein eines kurzen Glückes. Nach Beendigung des vierten Freskogemäldes in Aachen „Einzug Karls des Großen in Pavia“ sah sich R. genöthigt, im September 1851 die Seebäder zu Blankenberge zu gebrauchen. Im October desselben Jahres fand die Hochzeit statt. Nach kurzer Zeit verfiel die junge Frau in ein schweres typhöses Fieber, das sie dem Grabe nahe brachte. Es bemächtigte sich seines Geistes unter dem Drucke des Erlebnisses eine immer trübere Stimmung. Doch sie genas und er feierte ihre Genesung durch eine tief empfundene, von ernster Schönheit durchhauchte Composition (1852), in der namentlich die Sorge und Pflege, sowie der innige Dank über das wiedergewonnene Leben der Theuern in unmittelbar ergreifenden Idealfiguren verkörpert ist. – Er vollendete auch noch mit unsicherer Hand den Carton zur „Taufe Wittekind’s“ für die Aachener Fresken und beschloß sein künstlerisches Dasein mit der Allegorie auf den Jahreswechsel (1853). Ein Eisenbahnzug, der den Lauf des Lebens darstellt, hält auf der Station. Der Gott der Zeit und ihm zur Seite der Tod als Heizer stehen auf der Locomotive. Der Moment als diensteifriger Schaffner bewillkommnet die neu Einsteigenden. Es ist das neue Jahr, ein blühender Jüngling mit dem Füllhorn, dem eine edle Jungfrau, der Frieden, folgt. Jubelnd und frohlockend werden sie von den [272] Fahrgästen begrüßt, während das alte Jahre mit dem Buche der Historie auf dem Rücken und einen den Frieden ankläffenden Hund, den Krieg, mit sich ziehend, den letzten Wagen verlassen hat und grimmig fortschleicht. Verächtlich wirft der Gepäckmeister der grämlichen Alten ihr Bündel „Erfahrung“ nach, das sie zurücklassen wollte. Mit schneidiger Schärfe ist hier der Gegensatz von Hoffnung und Enttäuschung ausgeprägt. – Im Frühjahr 1852 begab sich R. auf Rath der Aerzte an den Rhein, nach Düsseldorf und Aachen, wo der Familie seine weiche Stimmung und seine unsichere Sprache auffiel. Er weinte, als er den Erstgeborenen seines Bruders Otto erblickte. Was ärztliche Kunst vermochte, geschah, um das kostbare Leben zu retten. Man hoffte zuversichtlich, durch einen Aufenthalt des Künstlers in Italien der bis zu zeitweiligem Stumpfsinn gesteigerten Abspannung entgegenwirken zu können. Im Spätsommer reiste R. mit seiner jungen Frau in den Süden. Der Winter wurde in Rom zugebracht, wo dem Elternpaare ein Töchterchen geboren wurde. In Rom aber meldeten sich zugleich die finsteren Vorboten der beginnenden Geisteskrankheit. Er machte noch Zeichenversuche und überarbeitete zum Schaden der Zeichnung frühere Compositionen. So veränderte er im letzten Blatte des Hannibalzuges die Gestalt des Feldherrn, welche ursprünglich Rückenfigur war. Im Frühjahr 1853 kehrte die kleine Familie nach einer schweren Reise zurück. Als sein Bruder Otto und sein Schwiegervater Professor Grahl ihn alsdann nach Bonn brachten, führten sie ihn auf der Reise in den Kölner Dom, um sein künstlerisches Erkennungsvermögen zu prüfen. Bei dem Anblick der Münchner Glasmalereien winkte er mit einer Geberde des Unwillens ab. Die Fähigkeit der Sprache hatte er bereits verloren. Auch von den Steinle’schen Einzelfiguren im Chor wollte er nichts wissen, dagegen weilte sein Blick mit Entzücken auf den alten Glasmalereien. Die Gehirnkrankheit machte reißende Fortschritte und stellte sich als unheilbar heraus. In fast völliger Geistesnacht, von aufopfernder Liebe und Ausdauer der Seinigen gepflegt, verlebte R. noch über sechs Jahre in erschütternder Einsamkeit in Düsseldorf. Wenige Tage vor seinem plötzlichen Ableben machte sein Bruder Otto mit ihm und dem Wärter einen Spaziergang auf die sogenannte Rheinhöhe, einen Punkt des Düsseldorfer Hofgartens, von wo man den Rhein und die jenseitige Gegend überblickt. Die Sonne war untergegangen und ein schönes Wolkengebirge mit glänzenden Rändern stand vor den Augen der Brüder. Mit trunkenen Blicken sah er hin und zeichnete mit hochgehobener Hand die Umrisse der Wolke in die Luft. Bald darauf, am 1. December 1859, erschien auch ihm der Tod als Freund und zog die Sterbeglocke.

Den Künstler zeichneten in seinen gesunden Tagen die edelsten menschlichen Eigenschaften aus. Die Briefe an die Mutter und den geliebten Bruder beweisen seine Gemüthstiefe, wie er auch in werkthätiger Liebe zu seiner Familie das beste Herz kundgab. Seinem Lehrer Ph. Veit hatte er Zeit seines Lebens unerschütterliche Treue und Verehrung bewahrt.

Die Ursprünglichkeit seiner künstlerischen Kraft und sein großer Sinn für die Monumentalkunst haben ihm eine ganz hervorragende Bedeutung gesichert, die weit hinaus in die Zukunft gebietet. –

Vergl. Alfred Rethel, Blätter der Erinnerung von Wolfgang Müller von Königswinter. Leipzig 1861. – Zweite Ausstellung in der k. Nationalgalerie zu Berlin. December 1876. – Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, Studien und Erinnerungen von Friedrich Pecht. 2. Reihe. Nördlingen 1879. – Altes und Neues von Fried. Vischer. 3. Heft. Stuttgart 1882 (zuerst im „Illustrirten Familienbuch“, herausgeg. v. Oesterreich. Lloyd. 12. Jahrg. 2. Bd. 1860). – Kleine Schriften von Hermann Hettner, Braunschw. 1884. [273] – Geschichte der neueren deutschen Kunst von Fr. v. Reber. 2. Aufl. 2. Bd. Leipzig 1884. – Geschichte der modernen Kunst von A. Rosenberg. 2. Bd. Leipzig 1887. – Katalog der Ausstellung von Werken Alfred Rethel’s veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt a. M. Juni 1888. – Handschriftliche Mittheilungen von Otto Rethel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vielleicht Gerhard von Reutern, der aber bereits als Leutnant aus dem Militärdienst ausgeschieden war; dann wohl ein Angehöriger.