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Lieutenant Gustl

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Textdaten
Autor: Arthur Schnitzler
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Titel: Lieutenant Gustl
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Herausgeber:
Auflage: 11.
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: S. Fischer
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Erstveröffentlichung 1900 in der Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse
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[3]
Lieutenant Gustl
Novelle von
Arthur Schnitzler


Elfte Auflage


Berlin 1906
S. Fischer, Verlag



[4]
Alle Rechte
insbesondere das der Übersetzung
vorbehalten


[5]
Lieutenant Gustl

Wie lange wird denn das noch dauern? Ich muß auf die Uhr schauen … schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht’s denn? Wenn’s einer sieht, so paßt er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch’ ich mich nicht zu genieren … Erst viertel auf zehn? … Mir kommt vor, ich sitz’ schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin’s halt nicht gewohnt … Was ist es denn eigentlich? Ich muß das Programm anschauen … Ja, richtig: Oratorium! Ich hab’ gemeint: Messe. Solche Sachen gehören doch nur in die Kirche! Die Kirche hat auch das Gute, daß man jeden Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt’! – Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End’! Vielleicht ist es sehr schön, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt’ mir auch die Laune kommen? Wenn ich [6] denke, daß ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen … Hätt’ ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt, dem machen solche Sachen Spaß; er spielt ja selber Violine. Aber da wär’ der Kopetzky beleidigt gewesen. Es war ja sehr lieb von ihm, wenigstens gut gemeint. Ein braver Kerl, der Kopetzky! Der einzige, auf den man sich verlassen kann … Seine Schwester singt ja mit unter denen da oben. Mindestens hundert Jungfrauen, alle schwarz gekleidet; wie soll ich sie da herausfinden? Weil sie mitsingt, hat er auch das Billett gehabt, der Kopetzky … Warum ist er denn nicht selber gegangen? – Sie singen übrigens sehr schön. Es ist sehr erhebend – sicher! Bravo! Bravo! … Ja, applaudieren wir mit. Der neben mir klatscht wie verrückt. Ob’s ihm wirklich so gut gefällt? – Das Mädel drüben in der Loge ist sehr hübsch. Sieht sie mich an oder den Herrn dort mit dem blonden Vollbart? … Ah, ein Solo! Wer ist das? Alt: Fräulein Walker, Sopran: Fräulein Michalek … das ist wahrscheinlich Sopran … Lang’ war ich schon nicht in der Oper. In der Oper unterhalt’ ich mich immer, auch wenn’s langweilig ist. Übermorgen könnt’ ich eigentlich wieder hineingeh’n, zur „Traviata“. Ja, übermorgen bin ich vielleicht schon eine tote Leiche! Ah, Unsinn, das glaub’ ich selber nicht! Warten S’ nur, Herr Doktor, Ihnen wird’s [7] vergeh’n, solche Bemerkungen zu machen! Das Nasenspitzel hau’ ich Ihnen herunter …

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen könnt’! Ich möcht’ mir den Operngucker von dem Herrn neben mir ausleih’n, aber der frißt mich ja auf, wenig ich ihn in seiner Andacht stör’ … In welcher Gegend die Schwester vom Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen möcht’? Ich hab’ sie ja nur zwei- oder dreimal gesehen, das letztemal im Offizierskasino … Ob das lauter anständige Mädeln sind, alle hundert? O jeh! … „Unter Mitwirkung des Singvereins“! – Singverein … komisch! Ich hab’ mir darunter eigentlich immer so was Ähnliches vorgestellt, wie die Wiener Tanzsängerinnen, das heißt, ich hab’ schon gewußt, daß es was anderes ist! … Schöne Erinnerungen! Damals beim „Grünen Tor“ … Wie hat sie nur geheißen? Und dann hat sie mir einmal eine Ansichtskarte aus Belgrad geschickt … Auch eine schöne Gegend! – Der Kopetzky hat’s gut, der sitzt jetzt längst im Wirtshaus und raucht seine Virginia! …

Was guckt mich denn der Kerl dort immer an? Mir scheint, der merkt, daß ich mich langweil’ und nicht herg’hör’ … Ich möcht’ Ihnen raten, ein etwas weniger freches Gesicht zu machen, sonst stell’ ich Sie mir nachher im Foyer! – Schaut schon weg! [8] … Daß sie alle vor meinem Blick so eine Angst hab’n … „Du hast die schönsten Augen, die mir je vorgekommen sind!“ hat neulich die Steffi gesagt … O Steffi, Steffi, Steffi! – Die Steffi ist eigentlich schuld, daß ich dasitz’ und mir stundenlang vorlamentieren lassen muß. – Ah, diese ewige Abschreiberei von der Steffi geht mir wirklich schon auf die Nerven! Wie schön hätt’ der heutige Abend sein können. Ich hätt’ große Lust, das Brieferl von der Steffi zu lesen. Da hab’ ich’s ja. Aber wenn ich die Brieftasche herausnehm’, frißt mich der Kerl daneben auf! – Ich weiß ja, was drinsteht … sie kann nicht kommen, weil sie mit „ihm“ nachtmahlen gehen muß … Ah, das war komisch vor acht Tagen, wie sie mit ihm in der Gartenbaugesellschaft gewesen ist, und ich vis-à-vis mit’m Kopetzky; und sie hat mir immer die Zeichen gemacht mit den Augerln, die verabredeten. Er hat nichts gemerkt – unglaublich! Muß übrigens ein Jud’ sein! Freilich, in einer Bank ist er, und der schwarze Schnurrbart … Reservelieutenant soll er auch sein! Na, in mein Regiment sollt’ er nicht zur Waffenübung kommen! Überhaupt, daß sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen – da pfeif ich auf’n ganzen Antisemitismus! Neulich in der Gesellschaft, wo die G’schicht’ mit dem Doktor passiert ist bei den Mannheimers … [9] die Mannheimer selber sollen ja auch Juden sein, getauft natürlich … denen merkt man’s aber gar nicht an – besonders die Frau so blond, bildhübsch die Figur … War sehr amüsant im ganzen. Famoses Essen, großartige Zigarren … Naja, wer hat’s Geld? …

Bravo, bravo! Jetzt wird’s doch bald aus sein? – Ja, jetzt steht die ganze G’sellschaft da droben auf … sieht sehr gut aus – imposant! – Orgel auch? … Orgel hab’ ich sehr gern … So, das laß’ ich mir g’fall’n – sehr schön! Es ist wirklich wahr, man sollt’ öfter in Konzerte gehen … Wunderschön ist’s g’wesen, werd’ ich dem Kopetzky sagen … Werd’ ich ihn heut’ im Kaffeehaus treffen? – Ah, ich hab’ gar keine Lust, ins Kaffeehaus zu geh’n; hab’ mich gestern so gegiftet! Hundertsechzig Gulden auf einem Sitz verspielt – zu dumm! Und wer hat alles gewonnen? Der Ballert, grad’ der, der’s nicht notwendig hat … Der Ballert ist eigentlich schuld, daß ich in das blöde Konzert hab’ geh’n müssen … Na ja, sonst hätt’ ich heut’ wieder spielen können, vielleicht doch was zurückgewonnen. Aber es ist ganz gut, daß ich mir selber das Ehrenwort gegeben hab’, einen Monat lang keine Karte anzurühren … Die Mama wird wieder ein G’sicht machen, wenn sie meinen Brief bekommt! – Ah, sie soll zum Onkel [10] geh’n, der hat Geld wie Mist; auf die paar hundert Gulden kommt’s ihm nicht an. Wenn ich’s nur durchsetzen könnt’, daß er mir eine regelmäßige Sustentation gibt … aber nein, um jeden Kreuzer muß man extra betteln. Dann heißt’s wieder: Im vorigen Jahr war die Ernte schlecht! … Ob ich heuer im Sommer wieder zum Onkel fahren soll auf vierzehn Tag’? Eigentlich langweilt man sich dort zum Sterben … Wenn ich die … wie hat sie nur geheißen? … Es ist merkwürdig, ich kann mir keinen Namen merken! … Ah, ja: Etelka! … Kein Wort deutsch hat sie verstanden, aber das war auch nicht notwendig … hab’ gar nichts zu reden brauchen! … Ja, es wird ganz gut sein, vierzehn Tage Landluft und vierzehn Nächt’ Etelka oder sonstwer … Aber acht Tag’ sollt’ ich doch auch wieder beim Papa und bei der Mama sein … Schlecht hat sie ausg’seh’n heuer zu Weihnachten … Na, jetzt wird die Kränkung schon überwunden sein. Ich an ihrer Stelle wär’ froh, daß der Papa in Pension gegangen ist. – Und die Klara wird schon noch einen Mann kriegen … Der Onkel kann schon was hergeben … Achtundzwanzig Jahr, das ist doch nicht so alt … Die Steffi ist sicher nicht jünger … Aber es ist merkwürdig: die Frauenzimmer erhalten sich länger jung. Wenn man so bedenkt: die Maretti [11] neulich in der „Madame Sans-Gêne“ – siebenunddreißig Jahr ist sie sicher, und sieht aus … Na, ich hätt’ nicht Nein g’sagt! – Schad’, daß sie mich nicht g’fragt hat …

Heiß wird’s! Noch immer nicht aus? Ah, ich freu’ mich so auf die frische Luft! Werd’ ein bißl spazieren geh’n, übern Ring … Heut’ heißt’s: früh ins Bett, morgen nachmittag frisch sein! Komisch, wie wenig ich daran denk’, so egal ist mir das! Das erstemal hat’s mich doch ein bißl aufgeregt. Nicht, daß ich Angst g’habt hätt’; aber nervos bin ich gewesen in der Nacht vorher … Freilich, der Oberlieutenant Bisanz war ein ernster Gegner. – Und doch, nichts ist mir g’scheh’n! … Auch schon anderthalb Jahr her. Wie die Zeit vergeht! Und wenn mir der Bisanz nichts getan hat, der Doktor wird mir schon gewiß nichts tun! Obzwar, gerade diese ungeschulten Fechter sind manchmal die gefährlichsten. Der Doschintzky hat mir erzählt, daß ihn ein Kerl, der das erstemal einen Säbel in der Hand gehabt hat, auf ein Haar abgestochen hätt’; und der Doschintzky ist heut’ Fechtlehrer bei der Landwehr. Freilich – ob er damals schon so viel können hat … Das Wichtigste ist: kaltes Blut. Nicht einmal einen rechten Zorn hab’ ich mehr in mir, und es war doch eine Frechheit – unglaublich! [12] Sicher hätt’ er sich’s nicht getraut, wenn er nicht Champagner getrunken hätt’ vorher … So eine Frechheit! Gewiß ein Sozialist! Die Rechtsverdreher sind doch heutzutag’ alle Sozialisten! Eine Bande … am liebsten möchten sie gleich ’s ganze Militär abschaffen; aber wer ihnen dann helfen möcht’, wenn die Chinesen über sie kommen, daran denken sie nicht. Blödisten! – Man muß gelegentlich ein Exempel statuieren. Ganz recht hab’ ich g’habt. Ich bin froh, daß ich ihn nimmer auslassen hab’ nach der Bemerkung. Wenn ich dran denk’, werd’ ich ganz wild! Aber ich hab’ mich famos benommen; der Oberst sagt auch, es war absolut korrekt. Wird mir überhaupt nützen, die Sache. Ich kenn’ manche, die den Burschen hätten durchschlüpfen lassen. Der Müller sicher, der wär’ wieder objektiv gewesen oder so was. Mit dem Objektivsein hat sich noch jeder blamiert … „Herr Lieutenant!“ … schon die Art, wie er „Herr Lieutenant“ gesagt hat, war unverschämt! … „Sie werden mir doch zugeben müssen“ … – Wie sind wir denn nur d’rauf gekommen? Wieso hab’ ich mich mit dem Sozialisten in ein Gespräch eingelassen? Wie hat’s denn nur angefangen? … Mir scheint, die schwarze Frau, die ich zum Büfett geführt hab’, ist auch dabei gewesen … und dann dieser junge Mensch, der die [13] Jagdbilder malt – wie heißt er denn nur? … Meiner Seel’, der ist an der ganzen Geschichte schuld gewesen! Der hat von den Manövern geredet; und dann erst ist dieser Doktor dazugekommen und hat irgendwas g’sagt, was mir nicht gepaßt hat, von Kriegsspielerei oder so was – aber wo ich noch nichts hab’ reden können … Ja, und dann ist von den Kadettenschulen gesprochen worden … Ja, so war’s … und ich hab’ von einem patriotischen Fest erzählt … und dann hat der Doktor gesagt – nicht gleich, aber aus dem Fest hat es sich entwickelt – „Herr Lieutenant, Sie werden mir doch zugeben, daß nicht alle Ihre Kameraden zum Militär gegangen sind, ausschließlich um das Vaterland zu verteidigen!“ So eine Frechheit! Das wagt so ein Mensch einem Offizier ins Gesicht zu sagen! Wenn ich mich nur erinnern könnt’, was ich d’rauf geantwortet hab’? … Ah ja, etwas von Leuten, die sich in Dinge dreinmengen, von denen sie nichts versteh’n … Ja, richtig … und dann war einer da, der hat die Sache gütlich beilegen wollen, ein älterer Herr mit einem Stockschnupfen … Aber ich war zu wütend! Der Doktor hat das absolut in dem Ton gesagt, als wenn er direkt mich gemeint hätt’. Er hätt’ nur noch sagen müssen, daß sie mich aus dem Gymnasium hinausg’schmissen haben, [14] und daß ich deswegen in die Kadettenschul’ gesteckt worden bin … Die Leut’ können eben unserein’n nicht versteh’n, sie sind zu dumm dazu … Wenn ich mich so erinner’, wie ich das erstemal den Rock angehabt hab’, so was erlebt eben nicht ein jeder … Im vorigen Jahr bei den Manövern – ich hätt’ was drum gegeben, wenn’s plötzlich Ernst gewesen wär’ … Und der Mirovic hat mir g’sagt, es ist ihm ebenso gegangen. Und dann, wie Seine Hoheit die Front abgeritten sind, und die Ansprache vom Obersten – da muß einer schon ein ordentlicher Lump sein, wenn ihm das Herz nicht höher schlägt … Und da kommt so ein Tintenfisch daher, der sein Lebtag nichts getan hat, als hinter den Büchern gesessen, und erlaubt sich eine freche Bemerkung! … Ah, wart’ nur, mein Lieber – bis zur Kampfunfähigkeit … jawohl, du sollst so kampfunfähig werden …

Ja, was ist denn? Jetzt muß es doch bald aus sein? … „Ihr, seine Engel, lobet den Herrn“ … – Freilich, das ist der Schlußchor … Wunderschön, da kann man gar nichts sagen. Wunderschön! – Jetzt hab’ ich ganz die aus der Loge vergessen, die früher zu kokettieren angefangen hat. Wo ist sie denn? … Schon fortgegangen … Die dort scheint auch sehr nett zu sein … Zu dumm, daß ich keinen [15] Operngucker bei mir hab’! Der Brunnthaler ist ganz gescheit, der hat sein Glas immer im Kaffeehaus bei der Kassa liegen, da kann einem nichts g’scheh’n … Wenn sich die Kleine da vor mir nur ein mal umdreh’n möcht’! So brav sitzt s’ alleweil da. Das neben ihr ist sicher die Mama. – Ob ich nicht doch einmal ernstlich ans Heiraten denken soll? Der Willy war nicht älter als ich, wie er hineingesprungen ist. Hat schon was für sich, so immer gleich ein hübsches Weiberl zu Haus vorrätig zu haben … Zu dumm, daß die Steffi grad’ heut’ keine Zeit hat! Wenn ich wenigstens wüßte, wo sie ist, möcht’ ich mich wieder vis-à-vis von ihr hinsetzen. Das wär’ eine schöne G’schicht’, wenn ihr der draufkommen möcht’, da hätt’ ich sie am Hals … Wenn ich so denk’, was dem Fließ sein Verhältnis mit der Winterfeld kostet! Und dabei betrügt sie ihn hinten und vorn. Das nimmt noch einmal ein Ende mit Schrecken … Bravo, bravo! Ah, aus! … So, das tut wohl, aufsteh’n können, sich rühren … Na, vielleicht! Wie lang’ wird der da noch brauchen, um sein Glas ins Futteral zu stecken?

„Pardon, pardon, wollen mich nicht hinauslassen?“ …

Ist das ein Gedränge! Lassen wir die Leut’ lieber vorbeipassieren … Elegante Person … ob [16] das echte Brillanten sind? … Die da ist nett … Wie sie mich anschaut! … O ja, mein Fräulein, ich möcht’ schon! … O, die Nase! – Jüdin … Noch eine … Es ist doch fabelhaft, da sind auch die Hälfte Juden … nicht einmal ein Oratorium kann man mehr in Ruhe genießen … So, jetzt schließen wir uns an … Warum drängt denn der Idiot hinter mir? Das werd’ ich ihm abgewöhnen … Ah, ein älterer Herr! … Wer grüßt mich denn dort von drüben? … Habe die Ehre, habe die Ehre! Keine Ahnung hab’ ich, wer das ist … Das Einfachste wär’, ich ging gleich zum Leidinger hinüber nachtmahlen … oder soll ich in die Gartenbaugesellschaft? Am End’ ist die Steffi auch dort? Warum hat sie mir eigentlich nicht geschrieben, wohin sie mit ihm geht? Sie wird’s selber noch nicht gewußt haben. Eigentlich schrecklich, so eine abhängige Existenz … Armes Ding! – So, da ist der Ausgang … Ah, die ist aber bildschön! Ganz allein? Wie sie mich anlacht. Das wär’ eine Idee, der geh’ ich nach! … So, jetzt die Treppen hinunter: Oh, ein Major von Fünfundneunzig … Sehr liebenswürdig hat er gedankt … Bin doch nicht der einzige Offizier hiern gewesen … Wo ist denn das hübsche Mädel? Ah, dort … am Geländer steht sie … So, jetzt heißt’s noch zur Garderobe … Daß mir die Kleine [17] nicht auskommt … Hat ihm schon! So ein elender Fratz! Laßt sich da von einem Herrn abholen, und jetzt lacht sie noch auf mich herüber! – Es ist doch keine was wert … Herrgott, ist das ein Gedränge bei der Garderobe! … Warten wir lieber noch ein bissel … So! Ob der Blödist meine Nummer nehmen möcht’? …

„Sie, zweihundertvierundzwanzig! Da hängt er! Na, hab’n Sie keine Augen? Da hängt er! Na, Gott sei Dank! … Also bitte!“ … Der Dicke da verstellt einem schier die ganze Garderobe … „Bitte sehr!“ …

„‚Geduld, Geduld!‘“

Was sagt der Kerl?

„‚Nur ein bissel Geduld!‘“

Dem muß ich doch antworten … „Machen Sie doch Platz!“

„‚Na, Sie werden’s auch nicht versäumen!‘“

Was sagt er da? Sagt er das zu mir? Das ist doch stark! Das kann ich mir nicht gefallen lassen! „Ruhig!“

„‚Was meinen Sie?‘“

Ah, so ein Ton? Da hört sich doch alles auf!

„‚Stoßen Sie nicht!‘“

„Sie, halten Sie das Maul!“ Das hätt’ ich [18] nicht sagen sollen, ich war zu grob … Na, jetzt ist’s schon g’scheh’n!

„‚Wie meinen?‘“

Jetzt dreht er sich um … Den kenn’ ich ja! – Donnerwetter, das ist ja der Bäckermeister, der immer ins Kaffeehaus kommt … Was macht denn der da? Hat sicher auch eine Tochter oder so was bei der Singakademie … Ja, was ist denn das? Ja, was macht er denn? Mir scheint gar … Ja, meiner Seel’, er hat den Griff von meinem Säbel in der Hand … Ja, ist der Kerl verrückt? … „Sie, Herr …“

„‚Sie, Herr Lieutenant, sein S’ jetzt ganz stad.‘“

Was sagt er da? Um Gottes willen, es hat’s doch keiner gehört? Nein, er red’t ganz leise … Ja, warum laßt er denn meinen Säbel net aus? … Herrgott noch einmal … Ah, da heißt’s rabiat sein … ich bring’ seine Hand vom Griff nicht weg … nur keinen Skandal jetzt! … Ist nicht am End’ der Major hinter mir? … Bemerkt’s nur niemand, daß er den Griff von meinem Säbel hält? Er red’t ja zu mir! Was red’t er denn?

„‚Herr Lieutenant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh’ ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech’ ihn und schick’ die Stück’ an Ihr Regimentskommando. Versteh’n Sie mich, Sie dummer Bub?‘“

[19] Was hat er g’sagt? Mir scheint, ich träum’! Red’t er wirklich zu mir? Ich sollt’ was antworten … Aber der Kerl macht ja Ernst – der zieht wirklich den Säbel heraus. Herrgott – er tut’s! … Ich spür’s, er reißt schon dran! Was red’t er denn? … Um Gotteswillen, nur kein’ Skandal – – Was red’t er denn noch immer?

„‚Aber ich will Ihnen die Karriere nicht verderben … Also, schön brav sein! … So, hab’n S’ keine Angst, ’s hat niemand was gehört … es ist schon alles gut … so! Und damit keiner glaubt, daß wir uns gestritten haben, werd’ ich jetzt sehr freundlich mit Ihnen sein! – Habe die Ehre, Herr Lieutenant, hat mich sehr gefreut – habe die Ehre!‘“

Um Gotteswillen, hab’ ich geträumt? Hat er das wirklich gesagt? … Wo ist er denn? … Da geht er … Ich müßt’ ja den Säbel ziehen und ihn zusammenhauen – – Um Gotteswillen, es hat’s doch niemand gehört? … Nein, er hat ja nur ganz leise geredet, mir ins Ohr … Warum geh’ ich denn nicht hin und hau’ ihm den Schädel auseinander? … Nein, es geht ja nicht, es geht ja nicht … gleich hätt’ ich’s tun müssen … Warum hab’ ich’s denn nicht gleich getan? … Ich hab’s ja nicht können … er hat ja den Griff nicht auslassen, und er ist zehnmal stärker als ich … Wenn ich noch ein Wort [20] gesagt hätt’, hätt’ er mir wirklich den Säbel zerbrochen … Ich muß ja noch froh sein, daß er nicht laut geredet hat! Wenn’s ein Mensch gehört hätt’, so müßt’ ich mich ja stante pede erschießen … Vielleicht ist es doch ein Traum gewesen … Warum schaut mich denn der Herr dort an der Säule so an? – Hat der am End’ was gehört? … Ich werd’ ihn fragen … Fragen? – Ich bin ja verrückt! – Wie schau’ ich denn aus? – Merkt man mir was an? – Ich muß ganz blaß sein. – Wo ist der Hund? … Ich muß ihn umbringen! … Fort ist er … Überhaupt schon ganz leer … Wo ist denn mein Mantel? … Ich hab’ ihn ja schon angezogen … Ich hab’s gar nicht gemerkt … Wer hat mir denn geholfen? Ah, der da … dem muß ich ein Sechserl geben … So! … Aber was ist denn das? Ist es denn wirklich gescheh’n? Hat wirklich einer so zu mir geredet? Hat mir wirklich einer „dummer Bub“ gesagt? Und ich hab’ ihn nicht auf der Stelle zusammengehauen? … Aber ich hab’ ja nicht können … er hat ja eine Faust gehabt wie Eisen … ich bin ja dagestanden wie angenagelt … Nein, ich muß den Verstand verloren gehabt haben, sonst hätt’ ich mit der anderen Hand … Aber da hätt’ er ja meinen Säbel herausgezogen und zerbrochen, und aus wär’s gewesen – Alles wär’ aus [21] gewesen! Und nachher, wie er fortgegangen ist, war’s zu spät … ich hab’ ihm doch nicht den Säbel von hinten in den Leib rennen können …

Was, ich bin schon auf der Straße? Wie bin ich denn da herausgekommen? – So kühl ist es … ah, der Wind, der ist gut … Wer ist denn das da drüben? Warum schau’n denn die zu mir herüber? Am Ende haben die was gehört … Nein, es kann niemand was gehört haben … ich weiß ja, ich hab’ mich gleich nachher umgeschaut! Keiner hat sich um mich gekümmert, niemand hat was gehört … Aber gesagt hat er’s, wenn’s auch niemand gehört hat; gesagt hat er’s doch. Und ich bin dagestanden und hab’ mir’s gefallen lassen, wie wenn mich einer vor den Kopf geschlagen hätt’! … Aber ich hab’ ja nichts sagen können, nichts tun können; es war ja noch das einzige, was mir übrig geblieben ist: stad sein, stad sein! … ’s ist fürchterlich, es ist nicht zum Aushalten; ich muß ihn totschlagen, wo ich ihn treff’! … Mir sagt das einer! Mir sagt das so ein Kerl, so ein Hund! Und er kennt mich … Herrgott noch einmal, er kennt mich, er weiß, wer ich bin! … Er kann jedem Menschen erzählen, daß er mir das g’sagt hat! … Nein, nein, das wird er ja nicht tun, sonst hätt’ er auch nicht so leise geredet … er hat auch nur wollen, [22] daß ich es allein hör’! … Aber wer garantiert mir, daß er’s nicht doch erzählt, heut’ oder morgen, seiner Frau, seiner Tochter, seinen Bekannten im Kaffeehaus. – – Um Gotteswillen, morgen seh’ ich ihn ja wieder! Wenn ich morgen ins Kaffeehaus komm’, sitzt er wieder dort wie alle Tag’ und spielt seinen Tapper mit dem Herrn Schlesinger und mit dem Kunstblumenhändler … Nein, nein, das geht ja nicht, das geht ja nicht … Wenn ich ihn seh’, so hau’ ich ihn zusammen … Nein, das darf ich ja nicht … gleich hätt’ ich’s tun müssen, gleich! … Wenn’s nur gegangen wär’! Ich werd’ zum Obersten geh’n und ihm die Sache melden … ja, zum Obersten … Der Oberst ist immer sehr freundlich – und ich werd’ ihm sagen: Herr Oberst, ich melde gehorsamst, er hat den Griff gehalten, er hat ihn nicht aus’lassen; es war genau so, als wenn ich ohne Waffe gewesen wäre … – Was wird der Oberst sagen? – Was er sagen wird? – Aber da gibt’s ja nur eins: quittieren mit Schimpf und Schand’ – quittieren! … Sind das Freiwillige da drüben? … Ekelhaft, bei der Nacht schau’n sie aus, wie Offiziere … sie salutieren! – Wenn die wüßten – wenn die wüßten! … – – Da ist das Café Hochleitner … Sind jetzt gewiß ein paar Kameraden drin … vielleicht auch einer [23] oder der andere, den ich kenn’ … Wenn ich’s dem ersten Besten erzählen möcht’, aber so, als wär’s einem andern passiert? … – Ich bin ja schon ganz irrsinnig … Wo lauf’ ich denn da herum? Was tu’ ich denn auf der Straße? – Ja, aber wo soll ich denn hin? Hab’ ich nicht zum Leidinger wollen? Haha, unter Menschen mich niedersetzen … ich glaub’, ein jeder müßt’ mir’s anseh’n … Ja, aber irgendwas muß doch gescheh’n … Was soll denn gescheh’n? … Nichts, nichts – es hat ja niemand was gehört … es weiß ja niemand was … in dem Moment weiß niemand was … Wenn ich jetzt zu ihm in die Wohnung ginge und ihn beschwören möchte, daß er’s niemandem erzählt? … – Ah, lieber gleich eine Kugel vor den Kopf, als so was! … Wär’ so das Gescheiteste! … Das Gescheiteste? Das Gescheiteste? – Gibt ja überhaupt nichts anderes … gibt nichts anderes … Wenn ich den Oberst fragen möcht’, oder den Kopetzky – oder den Blany – oder den Friedmaier: – jeder möcht’ sagen: Es bleibt dir nichts anderes übrig! … Wie wär’s, wenn ich mit dem Kopetzky spräch’? … Ja, es wär’ doch das Vernünftigste … schon wegen morgen … Ja, natürlich – wegen morgen … um vier in der Reiterkasern’ … ich soll mich ja morgen um vier Uhr [24] schlagen … und ich darf’s ja nimmer, ich bin satisfaktionsunfähig … Unsinn! Unsinn! Kein Mensch weiß was, kein Mensch weiß was! – Es laufen viele herum, denen ärgere Sachen passiert sind, als mir … Was hat man nicht alles von dem Deckener erzählt, wie er sich mit dem Rederow geschossen hat … und der Ehrenrat hat entschieden, das Duell darf stattfinden … Aber wie möcht’ der Ehrenrat bei mir entscheiden? – Dummer Bub – dummer Bub … und ich bin dagestanden –! heiliger Himmel, es ist doch ganz egal, ob ein anderer was weiß! … Ich weiß es doch, und das ist die Hauptsache! Ich spür’, daß ich jetzt wer anderer bin, als vor einer Stunde – Ich weiß, daß ich satisfaktionsunfähig bin, und darum muß ich mich totschießen … Keine ruhige Minute hätt’ ich mehr im Leben … immer hätt’ ich die Angst, daß es doch einer erfahren könnt’, so oder so … und daß mir’s einer einmal ins Gesicht sagt, was heut’ abend gescheh’n ist! – Was für ein glücklicher Mensch bin ich vor einer Stund’ gewesen … Muß mir der Kopetzky die Karte schenken – und die Steffi muß mir absagen, das Mensch! – Von so was hängt man ab … Nachmittag war noch alles gut und schön, und jetzt bin ich ein verlorener Mensch und muß mich totschießen … Warum renn’ ich denn so? Es lauft [25] mir ja nichts davon … Wieviel schlagt’s denn? … 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 … elf, elf … ich sollt’ doch nachtmahlen geh’n! Irgendwo muß ich doch schließlich hingeh’n … ich könnt’ mich ja in irgendein Beisl setzen, wo mich kein Mensch kennt – schließlich, essen muß der Mensch, auch wenn er sich nachher gleich totschießt … Haha, der Tod ist ja kein Kinderspiel … wer hat das nur neulich gesagt? … Aber das ist ja ganz egal …

Ich möcht’ wissen, wer sich am meisten kränken möcht’? … Die Mama, oder die Steffi? … die Steffi … Gott, die Steffi … die dürft’ sich ja nicht einmal was anmerken lassen, sonst gibt „er“ ihr den Abschied … Arme Person! – Beim Regiment – kein Mensch hätt’ eine Ahnung, warum ich’s getan hab’ … sie täten sich alle den Kopf zerbrechen … warum hat sich denn der Gustl umgebracht? – Darauf möcht’ keiner kommen, daß ich mich hab’ totschießen müssen, weil ein elender Bäckermeister, so ein niederträchtiger, der zufällig stärkere Fäust’ hat … es ist ja zu dumm, zu dumm! – Deswegen soll ein Kerl wie ich, so ein junger, fescher Mensch … Ja, nachher möchten’s gewiß alle sagen: das hätt’ er doch nicht tun müssen, wegen so einer Dummheit; ist doch schad’! … Aber wenn ich jetzt wen immer fragen tät’, jeder möcht’ mir die gleiche [26] Antwort geben … und ich selber, wenn ich mich frag’ … das ist doch zum Teufelholen … ganz wehrlos sind wir gegen die Zivilisten … Da meinen die Leut’, wir sind besser dran, weil wir einen Säbel haben … und wenn schon einmal einer von der Waffe Gebrauch macht, geht’s über uns her, als wenn wir alle die geborenen Mörder wären … In der Zeitung möcht’s auch steh’n: … „Selbstmord eines jungen Offiziers“ … Wie schreiben sie nur immer? … „Die Motive sind in Dunkel gehüllt“ … Haha! … „An seinem Sarge trauern …“ – Aber es ist ja wahr … mir ist immer, als wenn ich mir eine Geschichte erzählen möcht’ … aber es ist wahr … ich muß mich umbringen, es bleibt mir ja nichts anderes übrig – ich kann’s ja nicht d’rauf ankommen lassen, daß morgen früh der Kopetzky und der Blany mir ihr Mandat zurückgeben und mir sagen: wir können dir nicht sekundieren! … Ich wär’ ja ein Schuft, wenn ich’s ihnen zumuten möcht’ … So ein Kerl wie ich, der dasteht und sich einen dummen Buben heißen läßt … morgen wissen’s ja alle Leut’ … das ist zu dumm, daß ich mir einen Moment einbilde, so ein Mensch erzählt’s nicht weiter … überall wird er’s erzählen … seine Frau weiß’s jetzt schon … morgen weiß es das ganze Kaffeehaus … die Kellner werd’n’s wissen … [27] der Herr Schlesinger – die Kassierin – – Und selbst, wenn er sich vorgenommen hat, er red’t nicht davon, so sagt er’s übermorgen … und wenn er’s übermorgen nicht sagt, in einer Woche … Und wenn ihn heut’ nacht der Schlag trifft, so weiß ich’s … ich weiß es … und ich bin nicht der Mensch, der weiter den Rock trägt und den Säbel, wenn ein solcher Schimpf auf ihm sitzt! … So, ich muß es tun, und Schluß! – Was ist weiter dabei? – Morgen nachmittag könnt’ mich der Doktor mit ’m Säbel erschlagen … so was ist schon einmal dagewesen … und der Bauer, der arme Kerl, der hat eine Gehirnentzündung ’kriegt und war in drei Tagen hin … und der Brenitsch ist vom Pferd gestürzt und hat sich ’s Genick gebrochen … und schließlich und endlich: es gibt nichts anderes – für mich nicht, für mich nicht! – Es gibt ja Leut’, die’s leichter nähmen … Gott, was gibt’s für Menschen! … Dem Ringeimer hat ein Fleischselcher, wie er ihn mit seiner Frau erwischt hat, eine Ohrfeige gegeben, und er hat quittiert und sitzt irgendwo auf’m Land und hat geheiratet … Daß es Weiber gibt, die so einen Menschen heiraten! … – Meiner Seel’, ich gäb’ ihm nicht die Hand, wenn er wieder nach Wien käm’ … Also, hast’s gehört, Gustl: – aus, aus, abgeschlossen mit dem Leben! [28] Punktum und Streusand d’rauf! … So, jetzt weiß ich’s, die Geschichte ist ganz einfach … So! Ich bin eigentlich ganz ruhig … Das hab’ ich übrigens immer gewußt: wenn’s einmal dazu kommt, werd’ ich ruhig sein, ganz ruhig … aber daß es so dazu kommt, das hab’ ich doch nicht gedacht … daß ich mich umbringen muß, weil so ein … Vielleicht hab’ ich ihn doch nicht recht verstanden … am End’ hat er ganz was anderes gesagt … Ich war ja ganz blöd von der Singerei und der Hitz’ … vielleicht bin ich verrückt gewesen, und es ist alles gar nicht wahr? … Nicht wahr, haha, nicht wahr! – Ich hör’s ja noch … es klingt mir noch immer im Ohr … und ich spür’s in den Fingern, wie ich seine Hand vom Säbelgriff hab’ wegbringen wollen … Ein Kraftmensch ist er, ein Jagendorfer … Ich bin doch auch kein Schwächling … der Franziski ist der einzige im Regiment, der stärker ist als ich …

Die Aspernbrücke … Wie weit renn’ ich denn noch? – Wenn ich so weiterrenn’, bin ich um Mitternacht in Kagran … Haha! – Herrgott, froh sind wir gewesen, wie wir im vorigen September dort eingerückt sind. Noch zwei Stunden, und Wien … todmüd’ war ich, wie wir angekommen sind … den ganzen Nachmittag hab’ ich geschlafen wie ein Stock, und am Abend waren wir schon beim Ronacher [29] … der Kopetzky, der Ladinser und … wer war denn nur noch mit uns? – Ja, richtig, der Freiwillige, der uns auf dem Marsch die jüdischen Anekdoten erzählt hat … Manchmal sind’s ganz nette Burschen, die Einjährigen … aber sie sollten alle nur Stellvertreter werden – denn was hat das für einen Sinn? Wir müssen uns jahrelang plagen, und so ein Kerl dient ein Jahr und hat genau dieselbe Distinktion wie wir … es ist eine Ungerechtigkeit! – Aber was geht mich denn das alles an? – Was scher’ ich mich denn um solche Sachen? – Ein Gemeiner von der Verpflegsbranche ist ja jetzt mehr als ich: ich bin ja überhaupt nicht mehr auf der Welt … es ist ja aus mit mir … Ehre verloren, alles verloren! … Ich hab’ ja nichts anderes zu tun, als meinen Revolver zu laden und … Gustl, Gustl, mir scheint, du glaubst noch immer nicht recht dran? Komm’ nur zur Besinnung … es gibt nichts anderes … wenn du auch dein Gehirn zermarterst, es gibt nichts anderes! – Jetzt heißt’s nur mehr, im letzten Moment sich anständig benehmen, ein Mann sein, ein Offizier sein, so daß der Oberst sagt: Er ist ein braver Kerl gewesen, wir werden ihm ein treues Angedenken bewahren! … Wieviel Kompagnien rücken denn aus beim Leichenbegängnis von einem Lieutenant? … Das müßt’ [30] ich eigentlich wissen … Haha! Wenn das ganze Bataillon ausrückt, oder die ganze Garnison, und sie feuern zwanzig Salven ab, davon wach’ ich doch nimmer auf! – Vor dem Kaffeehaus, da bin ich im vorigen Sommer einmal mit dem Herrn von Engel gesessen, nach der Armee-Steeple-Chase … Komisch, den Menschen hab’ ich seitdem nie wieder geseh’n … Warum hat er denn das linke Aug’ verbunden gehabt? Ich hab’ ihn immer d’rum fragen wollen, aber es hätt’ sich nicht gehört … Da geh’n zwei Artilleristen … die denken gewiß, ich steig’ der Person nach … Muß sie mir übrigens anseh’n … O schrecklich! – Ich möcht’ nur wissen, wie sich so eine ihr Brot verdient … da möcht’ ich doch eher … Obzwar, in der Not frißt der Teufel Fliegen … in Przemysl – mir hat’s nachher so gegraust, daß ich gemeint hab’, nie wieder rühr’ ich ein Frauenzimmer an … Das war eine gräßliche Zeit da oben in Galizien … eigentlich ein Mordsglück, daß wir nach Wien gekommen sind. Der Bokorny sitzt noch immer in Sambor und kann noch zehn Jahr dort sitzen und alt und grau werden … Aber wenn ich dort geblieben wär’, wär’ mir das nicht passiert, was mir heut’ passiert ist … und ich möcht’ lieber in Galizien alt und grau werden, als daß … als was? als was? – Ja, was ist denn? was ist [31] denn? – Bin ich denn wahnsinnig, daß ich das immer vergeß’? – Ja, meiner Seel’, vergessen tu’ ich’s jeden Moment … ist das schon je erhört worden, daß sich einer in ein paar Stunden eine Kugel durch’n Kopf jagen muß, und er denkt an alle möglichen Sachen, die ihn gar nichts mehr angeh’n? Meiner Seel’, mir ist geradeso, als wenn ich einen Rausch hätt’! Haha! Ein schöner Rausch! Ein Mordsrausch! Ein Selbstmordsrausch! – Ha! Witze mach’ ich, das ist sehr gut! – Ja, ganz gut aufgelegt bin ich – so was muß doch angeboren sein … Wahrhaftig, wenn ich’s einem erzählen möcht’, er würd’ es nicht glauben. – Mir scheint, wenn ich das Ding bei mir hätt’ … Jetzt würd’ ich abdrücken – in einer Sekunde ist alles vorbei … Nicht jeder hat’s so gut – andere müssen sich monatelang plagen … meine arme Cousin’, zwei Jahr ist sie gelegen, hat sich nicht rühren können, hat die gräßlichsten Schmerzen g’habt – so ein Jammer! … Ist es nicht besser, wenn man das selber besorgt? Nur Obacht geben heißt’s, gut zielen, daß einem nicht am End’ das Malheur passiert, wie dem Kadett-Stellvertreter im vorigen Jahr … Der arme Teufel, gestorben ist er nicht, aber blind ist er geworden … Was mit dem nur geschehen ist? Wo er jetzt lebt? – [32] Schrecklich, so herumlaufen, wie der – das heißt: herumlaufen kann er nicht, g’führt muß er werden – so ein junger Mensch, kann heut’ noch keine Zwanzig sein … seine Geliebte hat er besser getroffen … gleich war sie tot … Unglaublich, weswegen sich die Leut’ totschießen! Wie kann man überhaupt nur eifersüchtig sein? … Mein Lebtag hab’ ich so was nicht gekannt … Die Steffi ist jetzt gemütlich in der Gartenbaugesellschaft; dann geht sie mit „ihm“ nach Haus … Nichts liegt mir dran, gar nichts! Hübsche Einrichtung hat sie – das kleine Badezimmer mit der roten Latern’. – Wie sie neulich in dem grünseidenen Schlafrock hereingekommen ist … den grünen Schlafrock werd’ ich auch nimmer seh’n – und die ganze Steffi auch nicht … und die schöne, breite Treppe in der Gußhausstraße werd’ ich auch nimmer hinaufgeh’n … Das Fräulein Steffi wird sich weiter amüsieren, als wenn gar nichts gescheh’n wär’ … nicht einmal erzählen darf sie’s wem, daß ihr lieber Gustl sich umgebracht hat … Aber weinen wird s’ schon – ah ja, weinen wird s’ … Überhaupt, weinen werden gar viele Leut’ … Um Gottes willen, die Mama! – Nein, nein, daran darf ich nicht denken. – Ah, nein, daran darf absolut nicht gedacht werden … An Zuhaus wird nicht gedacht, [33] Gustl, verstanden? – nicht mit dem allerleisesten Gedanken …

Das ist nicht schlecht, jetzt bin ich gar im Prater … mitten in der Nacht … das hätt’ ich mir auch nicht gedacht in der Früh, daß ich heut’ nacht im Prater spazieren geh’n werd’ … Was sich der Sicherheitswachmann dort denkt? … Na, geh’n wir nur weiter … es ist ganz schön … Mit’m Nachtmahlen ist’s eh’ nichts, mit dem Kaffeehaus auch nichts; die Luft ist angenehm, und ruhig ist es … sehr … Zwar, ruhig werd’ ich’s jetzt bald haben, so ruhig, als ich’s mir nur wünschen kann. Haha! – aber ich bin ja ganz außer Atem … ich bin ja gerannt wie nicht g’scheit … langsamer, langsamer, Gustl, versäumst nichts, hast gar nichts mehr zu tun – gar nichts, aber absolut nichts mehr! – Mir scheint gar, ich fröstel’? – Es wird halt doch die Aufregung sein … dann hab’ ich ja nichts gegessen … Was riecht denn da so eigentümlich? … es kann doch noch nichts blühen? … Was haben wir denn heut’? – den vierten April … freilich, es hat viel geregnet in den letzten Tagen … aber die Bäume sind beinah’ noch ganz kahl und dunkel ist es, hu! Man könnt’ schier Angst kriegen … Das ist eigentlich das einzige Mal in meinem Leben, daß ich Furcht gehabt hab’, als kleiner Bub, damals im [34] Wald … aber ich war ja gar nicht so klein … vierzehn oder fünfzehn … Wie lang ist das jetzt her? – neun Jahr’ … freilich – mit achtzehn war ich Stellvertreter, mit zwanzig Lieutenant … und im nächsten Jahr werd’ ich … Was werd’ ich im nächsten Jahr? Was heißt das überhaupt: nächstes Jahr? Was heißt das: in der nächsten Woche? Was heißt das: übermorgen? … Wie? Zähneklappern? Oho! – Na lassen wir’s nur ein biss’l klappern … Herr Lieutenant, Sie sind jetzt allein, brauchen niemandem einen Pflanz vorzumachen … es ist bitter, es ist bitter …

Ich will mich auf die Bank setzen … Ah! – wie weit bin ich denn da? – So eine Dunkelheit! Das da hinter mir, das muß das zweite Kaffeehaus sein … bin ich im vorigen Sommer auch einmal gewesen, wie unsere Kapelle konzertiert hat … mit’m Kopetzky und mit’m Rüttner – noch ein paar waren dabei.. – Ich bin aber müd’ … nein, ich bin müd’, als wenn ich einen Marsch von zehn Stunden gemacht hätt’ … Ja, das wär’ sowas, da einschlafen. – Ha! Ein obdachloser Lieutenant … Ja, ich sollt’ doch eigentlich nach Haus … was tu’ ich denn zu Haus? aber was tu’ ich denn im Prater? – Ah, mir wär’ am liebsten, ich müßt’ gar nicht aufsteh’n – da einschlafen und nimmer aufwachen [35] … ja, das wär’ halt bequem! – Nein, so bequem wird’s Ihnen nicht gemacht, Herr Lieutenant … Aber wie und wann? – Jetzt könnt’ ich mir doch endlich einmal die Geschichte ordentlich überlegen … überlegt muß ja alles werden … so ist es schon einmal im Leben … Also überlegen wir … Was denn? … – Nein, ist die Luft gut … man sollt’ öfters bei der Nacht in’ Prater geh’n … Ja, das hätt’ mir eben früher einfallen müssen, jetzt ist’s aus mit’m Prater, mit der Luft und mit’m Spazierengeh’n … Ja, also was ist denn? – Ah, fort mit dem Kappl; mir scheint, das drückt mir aufs Gehirn … ich kann ja gar nicht ordentlich denken … Ah … so! … also jetzt Verstand zusammennehmen Gustl … letzte Verfügungen treffen! Also morgen früh wird Schluß gemacht … morgen früh um sieben Uhr … sieben Uhr ist eine schöne Stund’. Haha – also um acht, wenn die Schul’ anfangt, ist alles vorbei … der Kopetzky wird aber keine Schul’ halten können, weil er zu sehr erschüttert sein wird … Aber vielleicht weiß er’s noch gar nicht … man braucht ja nichts zu hören … Den Max Lippay haben sie auch erst am Nachmittag gefunden, und in der Früh hat er sich erschossen, und kein Mensch hat was davon gehört … Aber was geht mich das an, ob der Kopetzky Schul’ halten wird oder nicht? [36] … Ha! – also um sieben Uhr! – Ja … na, was denn noch? … Weiter ist ja nichts zu überlegen. Im Zimmer schieß’ ich mich tot, und dann is basta! Montag ist die Leich’ … Einen kenn’ ich, der wird eine Freud’ haben: das ist der Doktor … Duell kann nicht stattfinden wegen Selbstmord des einen Kombattanten … Was sie bei Mannheimers sagen werden? – Na, er wird sich nicht viel d’raus machen … aber die Frau, die hübsche, blonde … mit der war was zu machen … O ja, mir scheint, bei der hätt’ ich Chance gehabt, wenn ich mich nur ein bissl zusammengenommen hätt’ … ja, das wär’ doch was anders gewesen, als die Steffi, dieses Mensch … Aber faul darf man halt nicht sein … da heißt’s: Kour machen, Blumen schicken, vernünftig reden … das geht nicht so, daß man sagt: Komm’ morgen nachmittag zu mir in die Kasern’! … Ja, so eine anständige Frau, das wär’ halt was g’wesen … Die Frau von meinem Hauptmann in Przemysl, das war ja doch keine anständige Frau … ich könnt’ schwören: der Libitzky und der Wermutek und der schäbige Stellvertreter, der hat sie auch g’habt … Aber die Frau Mannheimer … ja, das wär’ was anders, das wär’ doch auch ein Umgang gewesen, das hätt’ einen beinah’ zu einem andern Menschen gemacht – da hätt’ man [37] doch noch einen andern Schliff gekriegt – da hätt’ man einen Respekt vor sich selber haben dürfen. – – Aber ewig diese Menscher … und so jung hab’ ich ang’fangen – ein Bub war ich ja noch, wie ich damals den ersten Urlaub gehabt hab’ und in Graz bei den Eltern zu Haus war … der Riedl war auch dabei – eine Böhmin ist es gewesen … die muß doppelt so alt gewesen sein wie ich – in der Früh bin ich erst nach Haus gekommen … Wie mich der Vater ang’schaut hat … und die Klara … Vor der Klara hab’ ich mich am meisten g’schämt … Damals war sie verlobt … warum ist denn nichts draus geworden? Ich hab’ mich eigentlich nicht viel drum gekümmert … Armes Hascherl, hat auch nie Glück gehabt – und jetzt verliert sie noch den einzigen Bruder … Ja, wirst mich nimmer seh’n, Klara – aus! Was, das hast du dir nicht gedacht, Schwesterl, wie du mich am Neujahrstag zur Bahn begleitet hast, daß du mich nie wieder seh’n wirst? – und die Mama … Herrgott, die Mama … nein, ich darf daran nicht denken … wenn ich daran denk’, bin ich imstand, eine Gemeinheit zu begehen … Ah … wenn ich zuerst noch nach Haus fahren möcht’ … sagen, es ist ein Urlaub auf einen Tag … noch einmal den Papa, die Mama, die Klara seh’n, bevor ich einen [38] Schluß mach’ … Ja, mit dem ersten Zug um sieben kann ich nach Graz fahren, um eins bin ich dort … Grüß’ dich Gott, Mama … Servus, Klara! Na, wie geht’s euch denn? … Nein, das ist eine Überraschung! … Aber sie möchten was merken … wenn niemand anders … die Klara … die Klara gewiß … Die Klara ist ein so gescheites Mädel … Wie lieb sie mir neulich geschrieben hat, und ich bin ihr noch immer die Antwort schuldig – und die guten Ratschläge, die sie mir immer gibt … ein so seelengutes Geschöpf … Ob nicht alles ganz anders geworden wär’, wenn ich zu Haus geblieben wär’? Ich hätt’ Ökonomie studiert, wär’ zum Onkel gegangen … sie haben’s ja alle wollen, wie ich noch ein Bub war … Jetzt wär’ ich am End’ schon verheiratet, ein liebes, gutes Mädel … vielleicht die Anna, die hat mich so gern gehabt … auch jetzt hab’ ich’s noch gemerkt, wie ich das letztemal zu Haus war, obzwar sie schon einen Mann hat und zwei Kinder … ich hab’s g’sehn’, wie sie mich ang’schaut hat … Und noch immer sagt sie mir „Gustl“ wie früher … Der wird’s ordentlich in die Glieder fahren, wenn sie erfährt, was es mit mir für ein End’ genommen hat – aber ihr Mann wird sagen: Das hab’ ich vorausgesehen – so ein Lump! – Alle werden meinen, es ist, weil ich Schulden gehabt [39] hab’ … und es ist doch gar nicht wahr, es ist doch alles gezahlt … nur die letzten hundertsechzig Gulden – na, und die sind morgen da … Ja, dafür muß ich auch noch sorgen, daß der Ballert die hundertsechzig Gulden kriegt … das muß ich niederschreiben, bevor ich mich erschieß’ … Es ist schrecklich, es ist schrecklich! … Wenn ich lieber auf und davon fahren möcht’ – nach Amerika, wo mich niemand kennt … In Amerika weiß kein Mensch davon, was hier heut’ abend gescheh’n ist … da kümmert sich kein Mensch d’rum … Neulich ist in der Zeitung gestanden von einem Grafen Runge, der hat fortmüssen wegen einer schmutzigen Geschichte, und jetzt hat er drüben ein Hotel und pfeift auf den ganzen Schwindel … Und in ein paar Jahren könnt’ man ja wieder zurück … nicht nach Wien natürlich … auch nicht nach Graz … aber aufs Gut könnt’ ich … und der Mama und dem Papa und der Klara möcht’s doch tausendmal lieber sein, wenn ich nur lebendig blieb’ … Und was geh’n mich denn die andern Leut’ an? Wer meint’s denn sonst gut mit mir? – Außerm Kopetzky könnt’ ich allen gestohlen werden … der Kopetzky ist doch der einzige … Und grad’ der hat mir heut das Billett geben müssen … und das Billett ist an allem schuld … ohne das Billett wär’ [40] ich nicht ins Konzert gegangen, und alles das wär’ nicht passiert … Was ist denn nur passiert? … Es ist grad’, als wenn hundert Jahr’ seitdem vergangen wären, und es kann noch keine zwei Stunden sein … Vor zwei Stunden hat mir einer „dummer Bub“ gesagt und hat meinen Säbel zerbrechen wollen … Herrgott, ich fang’ noch zu schreien an mitten in der Nacht! Warum ist denn das alles gescheh’n? Hätt’ ich nicht länger warten können, bis ganz leer wird in der Garderobe? Und warum hab’ ich ihm denn nur gesagt: „Halten Sie’s Maul!“? Wie ist mir denn das nur ausgerutscht? Ich bin doch sonst ein höflicher Mensch … nicht einmal mit meinem Burschen bin ich sonst so grob … aber natürlich, nervos bin ich gewesen – alle die Sachen, die da zusammengekommen sind … das Pech im Spiel und die ewige Absagerei von der Steffi – und das Duell morgen nachmittag – und zu wenig schlafen tu’ ich in der letzten Zeit – und die Rackerei in der Kasern’ – das halt’ man auf die Dauer nicht aus! … Ja, über kurz oder lang wär’ ich krank geworden – hätt’ um einen Urlaub einkommen müssen … Jetzt ist es nicht mehr notwendig – jetzt kommt ein langer Urlaub – mit Karenz der Gebühren – haha! …

Wie lang werd’ ich denn da noch sitzen bleiben? [41] Es muß Mitternacht vorbei sein … hab’ ich’s nicht früher schlagen hören? – Was ist denn das … ein Wagen fährt da? Um die Zeit? Gummiradler – kann mir schon denken … Die haben’s besser wie ich – vielleicht ist es der Ballert mit der Bertha … Warum soll’s grad’ der Ballert sein? – Fahr’ nur zu! – Ein hübsches Zeug’l hat Seine Hoheit in Pzremysl gehabt … mit dem ist er immer in die Stadt hinunterg’fahren zu der Rosenberg … Sehr leutselig war Seine Hoheit – ein echter Kamerad, mit allen auf du und du … War doch eine schöne Zeit … obzwar … die Gegend war trostlos und im Sommer zum verschmachten … an einem Nachmittag sind einmal drei vom Sonnenstich getroffen worden … auch der Korporal von meinem Zug – ein so verwendbarer Mensch … Nachmittag haben wir uns nackt aufs Bett hingelegt. – Einmal ist plötzlich der Wiesner zu mir hereingekommen; ich muß grad geträumt haben und steh’ auf und zieh’ den Säbel, der neben mir liegt … muß gut ausg’schaut haben … der Wiesner hat sich halb tot gelacht – der ist jetzt schon Rittmeister … – Schad’, daß ich nicht zur Kavallerie gegangen bin … aber das hat der Alte nicht wollen – wär’ ein zu teurer Spaß gewesen – jetzt ist es ja doch alles eins … [42] Warum denn? – Ja, ich weiß schon: sterben muß ich, darum ist es alles eins – sterben muß ich … Also wie? – Schau, Gustl, du bist doch extra da herunter in den Prater gegangen, mitten in der Nacht, wo dich keine Menschenseele stört – jetzt kannst du dir alles ruhig überlegen … Das ist ja lauter Unsinn mit Amerika und quittieren, und du bist ja viel zu dumm, um was anderes anzufangen – und wenn du hundert Jahr’ alt wirst, und du denkst dran, daß dir einer hat den Säbel zerbrechen wollen und dich einen dummen Buben g’heißen, und du bist dag’standen und hast nichts tun können – nein, zu überlegen ist da gar nichts – gescheh’n ist gescheh’n – auch das mit der Mama und mit der Klara ist ein Unsinn – die werden’s schon verschmerzen – man verschmerzt alles … Wie hat die Mama gejammert, wie ihr Bruder gestorben ist – und nach vier Wochen hat sie kaum mehr dran gedacht … auf den Friedhof ist sie hinausgefahren … zuerst alle Wochen, dann alle Monat – und jetzt nur mehr am Todestag. – – Morgen ist mein Todestag – fünfter April. – – Ob sie mich nach Graz überführen? Haha! da werden die Würmer in Graz eine Freud’ haben! – Aber das geht mich nichts an – darüber sollen sich die andern den Kopf zerbrechen … Also, was geht mich denn [43] eigentlich an? … Ja, die hundertsechzig Gulden für den Ballert – das ist alles – weiter brauch’ ich keine Verfügungen zu treffen. – Briefe schreiben? Wozu denn? An wen denn? … Abschied nehmen? – Ja, zum Teufel hinein, das ist doch deutlich genug, wenn man sich totschießt! – Dann merken’s die andern schon, daß man Abschied genommen hat … Wenn die Leut’ wüßten, wie egal mir die ganze Geschichte ist, möchten sie mich gar nicht bedauern – ist eh’ nicht schad’ um mich … Und was hab’ ich denn vom ganzen Leben gehabt? – Etwas hätt’ ich gern noch mitgemacht: einen Krieg – aber da hätt’ ich lang’ warten können … Und alles übrige kenn’ ich … Ob so ein Mensch Steffi oder Kunigunde heißt, bleibt sich gleich. – – Und die schönsten Operetten kenn’ ich auch – und im Lohengrin bin ich zwölfmal drin gewesen – und heut’ abend war ich sogar bei einem Oratorium – und ein Bäckermeister hat mich einen dummen Buben geheißen – meiner Seel’, es ist grad’ genug! – Und ich bin gar nimmer neugierig … – Also geh’n wir nach Haus, langsam, ganz langsam … Eile hab’ ich ja wirklich keine. – Noch ein paar Minuten ausruhen da im Prater, auf einer Bank – obdachlos. – Ins Bett leg’ ich mich ja doch nimmer – hab’ ja genug Zeit zum [44] Ausschlafen. – – Ah, die Luft! – Die wird mir abgeh’n …


Was ist denn? – He, Johann, bringen S’ mir ein Glas frisches Wasser … Was ist? … Wo … Ja, träum’ ich denn? … Mein Schädel … o, Donnerwetter … Fischamend … Ich bring’ die Augen nicht auf! – Ich bin ja angezogen! – Wo sitz’ ich denn? – Heiliger Himmel, eingeschlafen bin ich! Wie hab’ ich denn nur schlafen können; es dämmert ja schon! – Wie lang’ hab’ ich denn geschlafen? – Muß auf die Uhr schau’n … Ich seh’ nichts? … Wo sind denn meine Zündhölzeln? … Na, brennt eins an? … Drei … und ich soll mich um vier duellieren – nein, nicht duellieren – totschießen soll ich mich! – Es ist gar nichts mit dem Duell; ich muß mich totschießen, weil ein Bäckermeister mich einen dummen Buben genannt hat … Ja, ist es denn wirklich g’scheh’n? – Mir ist im Kopf so merkwürdig … wie in einem Schraubstock ist mein Hals – ich kann mich gar nicht rühren – das rechte Bein ist eingeschlafen. – Aufstehn! Aufstehn! … Ah, so ist es besser! – Es wird schon lichter … Und die Luft … ganz wie damals in der Früh, wie ich auf Vorposten war und [45] im Wald kampiert hab’ … Das war ein anderes Aufwachen – da war ein anderer Tag vor mir … Mir scheint, ich glaub’s noch nicht recht – Da liegt die Straße, grau, leer – ich bin jetzt sicher der einzige Mensch im Prater. – Um vier Uhr früh war ich schon einmal herunten, mit’m Pausinger – geritten sind wir – ich auf dem Pferd vom Hauptmann Mirovic und der Pausinger auf seinem eigenen Krampen – das war im Mai, im vorigen Jahr – da hat schon alles geblüht – alles war grün. Jetzt ist’s noch kahl – aber der Frühling kommt bald – in ein paar Tagen ist er schon da. – Maiglöckerln, Veigerln – schad’, daß ich nichts mehr davon haben werd’ – jeder Schubiak hat was davon, und ich muß sterben! Es ist ein Elend! Und die andern werden im Weingartl sitzen beim Nachtmahl, als wenn gar nichts g’wesen wär’ – so wie wir alle im Weingartl g’sessen sind, noch am Abend nach dem Tag, wo sie den Lippay hinausgetragen haben … Und der Lippay war so beliebt … sie haben ihn lieber g’habt, als mich, beim Regiment – warum sollen sie denn nicht im Weingartl sitzen, wenn ich abkratz’? – Ganz warm ist es – viel wärmer als gestern – und so ein Duft – es muß doch schon blühen … Ob die Steffi mir Blumen bringen wird? – Aber fallt ihr ja gar nicht [46] ein! Die wird grad’ hinausfahren … Ja, wenn’s noch die Adel’ wär’.. Nein, die Adel’! Mir scheint, seit zwei Jahren hab’ ich an die nicht mehr gedacht … Was die für G’schichten gemacht hat, wie’s aus war … mein Lebtag hab’ ich kein Frauenzimmer so weinen geseh’n … Das war doch eigentlich das Hübscheste, was ich erlebt hab’ … So bescheiden, so anspruchslos, wie die war – die hat mich gern gehabt, da könnt’ ich d’rauf schwören. – War doch was ganz anderes, als die Steffi … Ich möcht’ nur wissen, warum ich die aufgegeben hab’ … so eine Eselei! Zu fad ist es mir geworden, ja, das war das Ganze … So jeden Abend mit ein und derselben ausgeh’n … Dann hab’ ich eine Angst g’habt, daß ich überhaupt nimmer loskomm’ – eine solche Raunzen – – Na, Gustl, hätt’st schon noch warten können – war doch die einzige, die dich gern gehabt hat … Was sie jetzt macht? Na, was wird ’s machen? – Jetzt wird ’s halt einen andern haben … Freilich, das mit der Steffi ist bequemer – wenn man nur gelegentlich engagiert ist und ein anderer hat die ganzen Unannehmlichkeiten, und ich hab’ nur das Vergnügen … Ja, da kann man auch nicht verlangen, daß sie auf den Friedhof hinauskommt … Wer ging denn überhaupt mit, wenn er nicht müßt’! – Vielleicht der Kopetzky, und dann [47] wär’ Rest! – Ist doch traurig, so gar niemanden zu haben …

Aber so ein Unsinn! der Papa und die Mama und die Klara … Ja, ich bin halt der Sohn, der Bruder … aber was ist denn weiter zwischen uns? gern haben sie mich ja – aber was wissen sie denn von mir? – Daß ich meinen Dienst mach’, daß ich Karten spiel’ und daß ich mit Menschern herumlauf’ … aber sonst? – Daß mich manchmal selber vor mir graust, das hab’ ich ihnen ja doch nicht geschrieben – na, mir scheint, ich hab’s auch selber gar nicht recht gewußt – Ah was, kommst du jetzt mit solchen Sachen, Gustl? Fehlt nur noch, daß du zum Weinen anfangst … pfui Teufel! – Ordentlich Schritt … so! Ob man zu einem Rendezvous geht oder auf Posten oder in die Schlacht … wer hat das nur gesagt? … ah ja, der Major Lederer, in der Kantin’, wie man von dem Wingleder erzählt hat, der so blaß geworden ist vor seinem ersten Duell – und gespieben hat … Ja: ob man zu einem Rendezvous geht oder in den sichern Tod, am Gang und am G’sicht laßt sich das der richtige Offizier nicht anerkennen! – Also, Gustl – der Major Lederer hat’s g’sagt! ha! –

Immer lichter … man könnt’ schon lesen … Was pfeift denn da? … Ah, drüben ist der Nordbahnhof [48] … Die Tegetthoffsäule … so lang hat sie noch nie ausg’schaut … Da drüben stehen Wagen. … Aber nichts als Straßenkehrer auf der Straße … meine letzten Straßenkehrer – ha! ich muß immer lachen, wenn ich dran denk’ … das versteh’ ich gar nicht … Ob das bei allen Leuten so ist, wenn sie’s einmal ganz sicher wissen? Halb vier auf der Nordbahnuhr … jetzt ist nur die Frage, ob ich mich um sieben nach Bahnzeit oder nach Wiener Zeit erschieß’? … Sieben … ja, warum grad’ sieben? … Als wenn’s gar nicht anders sein könnt’ … Hunger hab’ ich – meiner Seel’, ich hab’ Hunger – kein Wunder … seit wann hab’ ich denn nichts gegessen? … Seit – seit gestern sechs Uhr abends im Kaffeehaus … ja! Wie mir der Kopetzky das Billett gegeben hat – eine Melange und zwei Kipfel. – Was der Bäckermeister sagen wird, wenn er’s erfahrt? … der verfluchte Hund! – Ah, der wird wissen, warum – dem wird der Knopf aufgeh’n – der wird draufkommen, was es heißt: Offizier! – So ein Kerl kann sich auf offener Straße prügeln lassen, und es hat keine Folgen, und unsereiner wird unter vier Augen insultiert und ist ein toter Mann … Wenn sich so ein Fallot wenigstens schlagen möcht’ – aber nein, da wär’ er ja vorsichtiger, da möcht’ er sowas nicht riskieren … [49] Und der Kerl lebt weiter, ruhig weiter, während ich – krepieren muß! – Der hat mich doch umgebracht … Ja, Gustl, merkst d’ was? – der ist es, der dich umbringt! Aber so glatt soll’s ihm doch nicht ausgeh’n! – Nein, nein, nein! Ich werd’ dem Kopetzky einen Brief schreiben, wo alles drinsteht, die ganze G’schicht’ schreib’ ich auf … oder noch besser: ich schreib’s dem Obersten, ich mach’ eine Meldung ans Regimentskommando … ganz wie eine dienstliche Meldung … Ja, wart’, du glaubst, daß sowas geheim bleiben kann? – Du irrst dich – aufgeschrieben wird’s zum ewigen Gedächtnis, und dann möcht’ ich sehen, ob du dich noch ins Kaffeehaus traust! – Ha! – „das möcht’ ich sehen“, ist gut! … Ich möcht’ noch manches gern seh’n, wird nur leider nicht möglich sein – aus is! –

Jetzt kommt der Johann in mein Zimmer, jetzt merkt er, daß der Herr Lieutenant nicht zu Haus geschlafen hat. – Na, alles mögliche wird er sich denken; aber daß der Herr Lieutenant im Prater übernachtet hat, das, meiner Seel’, das nicht … Ah, die Vierundvierziger! zur Schießstätte marschieren s’ – lassen wir sie vorübergeh’n … so, stellen wir uns daher … – Da oben wird ein Fenster aufgemacht – hübsche Person – na, ich möcht’ mir [50] wenigstens ein Tüchel umnehmen, wenn ich zum Fenster geh’ … Vorigen Sonntag war’s zum letztenmal … Daß grad die Steffi die letzte sein wird, hab’ ich mir nicht träumen lassen. – Ach Gott, das ist doch das einzige reelle Vergnügen … Na ja, der Herr Oberst wird in zwei Stunden nobel nachreiten … die Herren haben’s gut – ja, ja, rechts g’schaut! – Ist schon gut … Wenn ihr wüßtet, wie ich auf euch pfeif’! – Ah, das ist nicht schlecht: der Katzer … seit wann ist denn der zu den Vierundvierzigern übersetzt? – Servus, servus! – Was der für ein G’sicht macht? … Warum deut’ er denn auf seinen Kopf? – Mein Lieber, dein Schädel interessiert mich sehr wenig … Ah, so! Nein, mein Lieber, du irrst dich: im Prater hab’ ich übernachtet … wirst schon heut’ im Abendblatt lesen. – „Nicht möglich!“ wird er sagen, „heut’ früh, wie wir zur Schießstätte ausgerückt sind, hab’ ich ihn noch auf der Praterstraße getroffen!“ – Wer wird denn meinen Zug kriegen? – Ob sie ihn dem Walterer geben werden? – Na, da wird was Schönes herauskommen – ein Kerl ohne Schneid, der hätt’ auch lieber Schuster werden sollen … Was, geht schon die Sonne auf? – Das wird heut ein schöner Tag – so ein rechter Frühlingstag … Ist doch eigentlich zum Teufelholen! – der Komfortabelkutscher [51] wird noch um achte in der Früh auf der Welt sein, und ich … na, was ist denn das? He, das wär’ sowas – noch im letzten Moment die Kontenance verlieren wegen einem Komfortabelkutscher … Was ist denn das, daß ich auf einmal so ein blödes Herzklopfen krieg’? – Das wird doch nicht deswegen sein … Nein, o nein … es ist, weil ich so lang’ nichts gegessen hab’. – – Aber Gustl, sei doch aufrichtig mit dir selber: – Angst hast du – Angst, weil du’s noch nie probiert hast … Aber das hilft dir ja nichts, die Angst hat noch keinem was geholfen, jeder muß es einmal durchmachen, der eine früher, der andere später, und du kommst halt früher dran … Viel wert bist du ja nie gewesen, so benimm dich wenigstens anständig zu guter Letzt, das verlang’ ich von dir! – So, jetzt heißt’s nur überlegen – aber was denn? … Immer will ich mir was überlegen … ist doch ganz einfach: – im Nachtkastelladel liegt er, geladen ist er auch, heißt’s nur: losdrucken – das wird doch keine Kunst sein! – –

Die geht schon ins G’schäft … die armen Mädeln! – die Adel’ war auch in einem G’schäft – ein paar Mal hab’ ich sie am Abend abg’holt … Wenn sie in einem G’schäft sind, werd’n sie doch keine solchen Menscher … Wenn die Steffi mir allein [52] g’hören möcht’, ich ließ sie Modistin werden oder sowas … Wie wird sie’s denn erfahren? – Aus der Zeitung! … Sie wird sich ärgern, daß ich ihr’s nicht geschrieben hab’ … Mir scheint, ich schnapp’ doch noch über … Was geht denn das mich an, ob sie sich ärgert … Wie lang’ hat denn die ganze G’schicht’ gedauert? … Seit’m Jänner? … Ah nein, es muß doch schon vor Weihnachten gewesen sein … ich hab’ ihr ja aus Graz Zuckerln mitgebracht, und zu Neujahr hat sie mir ein Brieferl g’schickt … Richtig, die Briefe, die ich zu Haus hab’, – sind keine da, die ich verbrennen sollt’? … Hm, der vom Fallsteiner – wenn man den Brief findet … der Bursch könnt’ Unannehmlichkeiten haben … Was mir das schon aufliegt! – Na, es ist ja keine große Anstrengung … aber hervorsuchen kann ich den Wisch nicht … Das beste ist, ich verbrenn’ alles zusammen … wer braucht’s denn? Ist lauter Makulatur. – – Und meine paar Bücher könnt’ ich dem Blany vermachen. – „Durch Nacht und Eis“ … schad’, daß ich’s nimmer auslesen kann … bin wenig zum Lesen gekommen in der letzten Zeit … Orgel – ah, aus der Kirche … Frühmesse – bin schon lang’ bei keiner gewesen … das letztemal im Feber, wie mein Zug dazu kommandiert war … Aber das gilt nichts – ich hab’ [53] auf meine Leut’ aufgepaßt, ob sie andächtig sind und sich ordentlich benehmen … – Möcht’ in die Kirche hineingeh’n … am End’ ist doch was dran … – Na, heut nach Tisch werd’ ich’s schon genau wissen … Ah, „nach Tisch“ ist sehr gut! … Also, was ist, soll ich hineingeh’n? – Ich glaub’, der Mama wär’s ein Trost, wenn sie das wüßt’! … Die Klara gibt weniger drauf … Na, geh’n wir hinein – schaden kann’s ja nicht!

Orgel – Gesang – hm! – was ist denn das? – Mir ist ganz schwindlig … O Gott, o Gott, o Gott! ich möcht’ einen Menschen haben, mit dem ich ein Wort reden könnt’ vorher! – Das wär’ so was – zur Beicht’ geh’n! Der möcht’ Augen machen, der Pfaff’, wenn ich zum Schluß sagen möcht’: Habe die Ehre, Hochwürden; jetzt geh’ ich mich umbringen! … – Am liebsten läg’ ich da auf dem Steinboden und tät’ heulen … Ah nein, das darf man nicht tun! Aber weinen tut manchmal so gut … Setzen wir uns einen Moment – aber nicht wieder einschlafen wie im Prater! … – Die Leut’, die eine Religion haben, sind doch besser dran … Na, jetzt fangen mir gar die Händ’ zu zittern an! … Wenn’s so weitergeht, werd’ ich mir selber auf die Letzt’ so ekelhaft, daß ich mich vor lauter Schand’ umbring’! – Das alte Weib da [54] – um was betet denn die noch? … Wär’ eine Idee, wenn ich ihr sagen möcht’: Sie, schließen Sie mich auch ein … ich hab’ das nicht ordentlich gelernt, wie man das macht … Ha! mir scheint, das Sterben macht blöd’! – Aufsteh’n! – Woran erinnert mich denn nur die Melodie? – Heiliger Himmel! gestern abend! – Fort, fort! das halt’ ich gar nicht aus! … Pst! keinen solchen Lärm, nicht mit dem Säbel scheppern – die Leut’ nicht in der Andacht stören – so! – doch besser im Freien … Licht … Ah, es kommt immer näher – wenn es lieber schon vorbei wär’! – Ich hätt’s gleich tun sollen – im Prater … man sollt’ nie ohne Revolver ausgehn … Hätt’ ich gestern abend einen gehabt … Herrgott noch einmal! – In das Kaffeehaus könnt’ ich geh’n frühstücken … Hunger hab’ ich … Früher ist’s mir immer sonderbar vorgekommen, daß die Leut’, die verurteilt sind, in der Früh noch ihren Kaffee trinken und ihr Zigarrl rauchen … Donnerwetter, geraucht hab’ ich gar nicht! gar keine Lust zum Rauchen! – Es ist komisch: ich hätt’ Lust, in mein Kaffeehaus zu geh’n … Ja, aufgesperrt ist schon, und von uns ist jetzt doch keiner dort – und wenn schon … ist höchstens ein Zeichen von Kaltblütigkeit. „Um sechs hat er noch im Kaffeehaus gefrühstückt, und [55] um sieben hat er sich erschossen“ … – Ganz ruhig bin ich wieder … das Gehen ist so angenehm – und das Schönste ist, daß mich keiner zwingt. – Wenn ich wollt’ könnt’ ich noch immer den ganzen Krempel hinschmeißen … Amerika … Was ist das: „Krempel“? Was ist ein „Krempel“? Mir scheint, ich hab’ den Sonnenstich! … Oho, bin ich vielleicht deshalb so ruhig, weil ich mir noch immer einbild’, ich muß nicht? … Ich muß! Ich muß! Nein, ich will! – Kannst du dir denn überhaupt vorstellen, Gustl, daß du dir die Uniform ausziehst und durchgehst? Und der verfluchte Hund lacht sich den Buckel voll – und der Kopetzky selbst möcht’ dir nicht mehr die Hand geben … Mir kommt vor, ich bin jetzt ganz rot geworden. – – Der Wachmann salutiert mir … ich muß danken … „Servus!“ – Jetzt hab’ ich gar „Servus“ gesagt! … Das freut so einen armen Teufel immer … Na, über mich hat sich keiner zu beklagen gehabt – außer Dienst war ich immer gemütlich. – Wie wir auf Manöver waren, hab’ ich den Chargen von der Kompagnie Britannikas geschenkt; – einmal hab’ ich gehört, wie ein Mann hinter mir bei den Gewehrgriffen was von „verfluchter Rackerei“ g’sagt hat, und ich hab’ ihn nicht zum Rapport geschickt – ich hab’ ihm nur gesagt: „Sie, passen S’ auf, das könnt’ [56] einmal wer anderer hören – da ging’s Ihnen schlecht!“ … Der Burghof … Wer ist denn heut auf der Wach’? – Die Bosniaken – schau’n gut aus – der Oberstlieutenant hat neulich g’sagt: Wie wir im 78er Jahr unten waren, hätt’ keiner geglaubt, daß uns die einmal so parieren werden! … Herrgott, bei so was hätt’ ich dabei sein mögen – Da steh’n sie alle auf von der Bank. – Servus, servus! – Das ist halt zuwider, daß unsereiner nicht dazu kommt. – Wär’ doch schöner gewesen, auf dem Feld der Ehre, fürs Vaterland, als so … Ja, Herr Doktor, Sie kommen eigentlich gut weg! … Ob das nicht einer für mich übernehmen könnt’? – Meiner Seel’, das sollt’ ich hinterlassen, daß sich der Kopetzky oder der Wymetal an meiner Statt mit dem Kerl schlagen … Ah, so leicht sollt’ der doch nicht davonkommen! – Ah, was! Ist das nicht egal, was nachher geschieht? Ich erfahr’s ja doch nimmer! – Da schlagen die Bäume aus … Im Volksgarten hab’ ich einmal eine angesprochen – ein rotes Kleid hat sie angehabt – in der Strozzigasse hat sie gewohnt – nachher hat sie der Rochlitz übernommen … Mir scheint, er hat sie noch immer, aber er red’t nichts mehr davon – er schämt sich vielleicht … Jetzt schlaft die Steffi noch … so lieb sieht sie aus, wenn sie schlaft … [57] als wenn sie nicht bis fünf zählen könnt’! – Na, wenn sie schlafen, schau’n sie alle so aus! – Ich sollt’ ihr doch noch ein Wort schreiben … warum denn nicht? Es tut’s ja doch ein jeder, daß er vorher noch Briefe schreibt. – Auch der Klara sollt’ ich schreiben, daß sie den Papa und die Mama tröstet – und was man halt so schreibt! – und dem Kopetzky doch auch … Meiner Seel’, mir kommt vor, es wär’ viel leichter, wenn man ein paar Leuten Adieu gesagt hätt’ … Und die Anzeige an das Regimentskommando – und die hundertsechzig Gulden für den Ballert … eigentlich noch viel zu tun … Na, es hat’s mir ja keiner g’schafft, daß ich’s um sieben tu’ … von acht an ist noch immer Zeit genug zum Totsein! … Totsein, ja – so heißt’s – da kann man nichts machen …

Ringstraße – jetzt bin ich ja bald in meinem Kaffeehaus … Mir scheint gar, ich freu’ mich aufs Frühstück … es ist nicht zum glauben. – – Ja, nach dem Frühstück zünd’ ich mir eine Zigarr’ an, und dann geh’ ich nach Haus und schreib’ … Ja, vor allem mach’ ich die Anzeige ans Kommando; dann kommt der Brief an die Klara – dann an den Kopetzky – dann an die Steffi … Was soll ich denn dem Luder schreiben? … „Mein liebes Kind, du hast wohl nicht gedacht“ … Ah, was, [58] Unsinn! – „Mein liebes Kind, ich danke dir sehr“ … – „Mein liebes Kind, bevor ich von hinnen gehe, will ich es nicht verabsäumen“ … – Na, Briefschreiben war auch nie meine starke Seite … „Mein liebes Kind, ein letztes Lebewohl von deinem Gustl“ … – Die Augen, die sie machen wird! Ist doch ein Glück, daß ich nicht in sie verliebt war … das muß traurig sein, wenn man eine gern hat und so … Na, Gustl, sei gut: so ist es auch traurig genug … Nach der Steffi wär’ ja noch manche andere gekommen, und am End’ auch eine, die was wert ist – junges Mädel aus guter Familie mit Kaution – es wär’ ganz schön gewesen … – Der Klara muß ich ausführlich schreiben, daß ich nicht hab’ anders können … „Du mußt mir verzeihen, liebste Schwester, und bitte, tröste auch die lieben Eltern. Ich weiß, daß ich euch allen manche Sorge gemacht habe und manchen Schmerz bereitet; aber glaube mir, ich habe euch alle immer sehr lieb gehabt, und ich hoffe, du wirst noch einmal glücklich werden, meine liebe Klara, und deinen unglücklichen Bruder nicht ganz vergessen“ … Ah, ich schreib’ ihr lieber gar nicht! … Nein, da wird mir zum Weinen … es beißt mich ja schon in den Augen, wenn ich dran denk’ … Höchstens dem Kopetzky schreib’ ich [59] – ein kameradschaftliches Lebewohl, und er soll’s den andern ausrichten … – Ist’s schon sechs? – Ah, nein: halb – dreiviertel. – Ist das ein liebes G’sichtel! … der kleine Fratz mit den schwarzen Augen, den ich so oft in der Florianigasse treff’! – was die sagen wird? – Aber die weiß ja gar nicht, wer ich bin – die wird sich nur wundern, daß sie mich nimmer sieht … Vorgestern hab’ ich mir vorgenommen, das nächste Mal sprech’ ich sie an. – Kokettiert hat sie genug … so jung war die – am End’ war die gar noch eine Unschuld! … Ja, Gustl! Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! … Der da hat sicher auch die ganze Nacht nicht geschlafen. – Na, jetzt wird er schön nach Haus geh’n und sich niederlegen – ich auch – Haha! Jetzt wird’s ernst, Gustl, ja! … Na, wenn nicht einmal das biss’l Grausen wär’, so wär’ ja schon gar nichts dran – und im ganzen, ich muß’s schon selber sagen, halt’ ich mich brav … Ah, wohin denn noch? Da ist ja schon mein Kaffeehaus … auskehren tun sie noch … Na, geh’n wir hinein …

Da hinten ist der Tisch, wo die immer Tarok spielen … Merkwürdig, ich kann mir’s gar nicht vorstellen, daß der Kerl, der immer da hinten sitzt an der Wand, derselbe sein soll, der mich … – [60] Kein Mensch ist noch da … Wo ist denn der Kellner? … He! Da kommt er aus der Küche … er schlieft schnell in den Frack hinein … Ist wirklich nimmer notwendig! … ah, für ihn schon … er muß heut’ noch andere Leut’ bedienen! –

„Habe die Ehre, Herr Lieutenant!“

„Guten Morgen.“

„So früh heute, Herr Lieutenant?“

„Ah, lassen S’ nur – ich hab’ nicht viel Zeit, ich kann mit’m Mantel dasitzen.“

„Was befehlen Herr Lieutenant?“

„Eine Melange mit Haut.“

„Bitte gleich, Herr Lieutenant!“

Ah, da liegen ja Zeitungen … schon heutige Zeitungen? … Ob schon was drinsteht? … Was denn? – Mir scheint, ich will nachseh’n, ob drinsteht, daß ich mich umgebracht hab’! Haha! – Warum steh’ ich denn noch immer? … Setzen wir uns da zum Fenster … Er hat mir ja schon die Melange hingestellt … So, den Vorhang zieh’ ich zu; es ist mir zuwider, wenn die Leut’ hereingucken … Es geht zwar noch keiner vorüber … Ah, gut schmeckt der Kaffee – doch kein leerer Wahn, das Frühstücken! … Ah, ein ganz anderer Mensch wird man – der ganze Blödsinn ist, daß ich nicht genachtmahlt hab’… Was steht denn der Kerl schon [61] wieder da? – Ah, die Semmeln hat er mir gebracht …

„‚Haben Herr Lieutenant schon gehört?‘“ …

„Was denn?“ Ja, um Gotteswillen, weiß der schon was? … Aber, Unsinn, es ist ja nicht möglich!

„‘Den Herrn Habetswallner …‘“

Was? So heißt ja der Bäckermeister … was wird der jetzt sagen? … Ist der am End’ schon dagewesen? Ist er am End’ gestern schon dagewesen und hat’s erzählt? … Warum red’t er denn nicht weiter? … Aber er red’t ja …

„‚ … hat heut’ nacht um zwölf der Schlag getroffen.‘“

„Was?“ … Ich darf nicht so schreien … nein, ich darf mir nichts anmerken lassen … aber vielleicht träum’ ich … ich muß ihn noch einmal fragen … „Wen hat der Schlag getroffen?“ – Famos, famos! – ganz harmlos hab’ ich das g’sagt! –

„‚Den Bäckermeister, Herr Lieutenant! … Herr Lieutenant werd’n ihn ja kennen … na, den Dicken, der jeden Nachmittag neben die Herren Offiziere seine Tarokpartie hat … mit’n Herrn Schlesinger und ’n Herrn Wasner von der Kunstblumenhandlung vis-à-vis‘“

Ich bin ganz wach – stimmt alles – und doch [62] kann ich’s noch nicht recht glauben – ich muß ihn noch einmal fragen … aber ganz harmlos …

„Der Schlag hat ihn getroffen? … Ja, wieso denn? Woher wissen S’ denn das?“

„‚Aber Herr Lieutenant, wer soll’s denn früher wissen, als unsereiner – die Semmel, die der Herr Lieutenant da essen, ist ja auch vom Herrn Habetswallner. Der Bub, der uns das Gebäck um halber fünfe in der Früh bringt, hat’s uns erzahlt.‘“

Um Himmelswillen, ich darf mich nicht verraten … ich möcht’ ja schreien … ich möch’ ja lachen … ich möcht’ ja dem Rudolf ein Bussel geben … Aber ich muß ihn noch was fragen … Vom Schlag getroffen werden, heißt noch nicht: tot sein … ich muß fragen, ob er tot ist … aber ganz ruhig, denn was geht mich der Bäckermeister an – ich muß in die Zeitung schau’n, während ich den Kellner frag’ …

„Ist er tot?“

„‚Na, freilich, Herr Lieutenant; auf’m Fleck ist er tot geblieben.‘“

O, herrlich, herrlich! – Am End’ ist das alles, weil ich in der Kirchen g’wesen bin …

„‚Er ist am Abend im Theater g’wesen; auf der Stiegen ist er umg’fallen – der Hausmeister hat den Krach g’hört … na, und dann haben s’ ihn [63] in die Wohnung getragen, und wie der Doktor gekommen ist, war’s schon lang’ aus.‘“

„Ist aber traurig. Er war doch noch in den besten Jahren.“ – Das hab’ ich jetzt famos gesagt – kein Mensch könnt’ mir was anmerken … und ich muß mich wirklich zurückhalten, daß ich nicht schrei’ oder aufs Billard spring’ …

„‚Ja, Herr Lieutenant, sehr traurig; war ein so lieber Herr, und zwanzig Jahr’ ist er schon zu uns kommen – war ein guter Freund von unserm Herrn. Und die arme Frau …“

Ich glaub’, so froh bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen … Tot ist er – tot ist er! Keiner weiß was, und nichts ist g’scheh’n! – Und das Mordsglück, daß ich in das Kaffeehaus gegangen bin … sonst hätt’ ich mich ja ganz umsonst erschossen – es ist doch wie eine Fügung des Schicksals … Wo ist denn der Rudolf? – Ah, mit dem Feuerburschen red’t er … – Also, tot ist er – tot ist er – ich kann’s noch gar nicht glauben Am liebsten möcht’ ich hingeh’n, um’s zu seh’n. – – Am End’ hat ihn der Schlag getroffen aus Wut, aus verhaltenem Zorn … Ah, warum, ist mir ganz egal! Die Hauptsach’ ist: er ist tot, und ich darf leben, und alles g’hört wieder mein! … Komisch, wie ich mir da immerfort die Semmel einbrock’, die mir der [64] Herr Habetswallner gebacken hat! Schmeckt mir ganz gut, Herr von Habetswallner! Famos! – So, jetzt möcht’ ich noch ein Zigarrl rauchen …

„Rudolf! Sie, Rudolf! Sie, lassen S’ mir den Feuerburschen dort in Ruh’!“

„‚Bitte, Herr Lieutenant!‘“

„Trabucco“ … – Ich bin so froh, so froh! … Was mach’ ich denn nur? … Was mach ich denn nur? … Es muß ja was gescheh’n, sonst trifft mich auch noch der Schlag vor lauter Freud’! … In einer Viertelstund’ geh’ ich hinüber in die Kasern’ und laß mich vom Johann kalt abreiben … um halb acht sind die Gewehrgriff’, und um halb zehn ist Exerzieren. – Und der Steffi schreib’ ich, sie muß sich für heut’ abend frei machen, und wenn’s Graz gilt! Und nachmittag um vier … na wart’, mein Lieber, wart’, mein Lieber! Ich bin grad’ gut aufgelegt … Dich hau’ ich zu Krenfleisch!

Reichenau, 13.-17. Juli 1900.



Herrosé & Ziemsen, G.m.b.H., Wittenberg.