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ADB:Duncker, Max

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Artikel „Duncker, Max“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 171–199, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Duncker,_Max&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 03:33 Uhr UTC)
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Duncker: Max D., preußischer Patriot, geboren zu Berlin am 15. October 1811, † am 21. Juli 1886, war der älteste Sohn des Begründers der Buchhandlung Duncker & Humblot, Karl Fr. W. Duncker, und von dessen Frau Fanny, der Tochter des jüdischen Bankiers Delmar.[WS 1] Die Dunckers waren im 17. und 18. Jahrhundert Pastoren in Westfalen. Indeß schon der Großvater von Max ließ sich 1773 in Berlin als Kaufmann nieder. Auch von mütterlicher Seite war D. mit dem Berliner Boden verwachsen. Dreizehnjährig kam er auf das damals unter Spilleke’s Leitung stehende Friedrich Wilhelms-Gymnasium in der Kochstraße. Seinen Confirmationsunterricht genoß er bei dem Hofprediger Theremin. In der letzten Zeit seines Schulbesuches hörte er eifrig die Predigten Schleiermacher’s. Das Zeugniß, mit dem er 1830 zur Universität entlassen wurde, hob Duncker’s sittlichen Ernst und seine Vorliebe für Geschichte hervor. Am 17. April 1830 ließ er sich an der Berliner Universität immatriculiren, um „Geschichte und Philologie“ zu studiren. Rector war damals Hegel, in dessen Bann er sofort gerieth. [172] Als der Philosoph im folgenden Jahre starb, hörte D. bei dessen Schülern Gans und Michelet. Daneben übten Böckh’s Vorlesungen einen starken Einfluß auf ihn aus. Im 5. Studiensemester ging er nach Bonn, wo er am 1. Mai 1832 immatriculirt wurde und gleichzeitig als Einjähriger bei den 7. Ulanen eintrat. Wissenschaftlich wurde an der rheinischen Universität der Historiker Loebell sein Berather. Zusagenden studentischen Verkehr fand er in der von patriotischem Geiste erfüllten Burschenschaft Markomannia. Ostern 1833 nach Berlin zurückgekehrt, promovirte er am 16. Juli 1834 mit der Dissertation „De historia eiusque tractandae varia ratione“. Sodann begann er eine Recensententhätigkeit an der seit 1834 im Verlage seines Vaters erscheinenden, von Büchner herausgegebenen „Litterarischen Zeitung“, und im Dienste Loebell’s eine Bearbeitung der 7. Auflage der Becker’schen Weltgeschichte, damals des Haupt- und Stammbuches im Duncker & Humblot’schen Verlage; er übernahm das Mittelalter. Vom Herbst 1834 bis zum Herbst 1835 fand er gegen Remuneration Beschäftigung an der Königlichen Bibliothek, „um das väterliche Taschengeld entbehren zu können“. Während dieser Zeit hatte er wegen seiner Mitgliedschaft an der Markomannia lange Verhöre durch den berüchtigten Criminalrath Dambach[WS 2] zu bestehen, die ihn seelisch sehr mitnahmen. Er wurde schließlich zu sechs Jahren Festung verurtheilt, die infolge eines Gnadengesuches auf sechs Monate herabgesetzt wurden. Im Juli 1837 trat er die Haft in Köpenick an. War ihm infolge der gedrückten Stimmung während der drei Untersuchungsjahre Haupt- und Barthaar leicht ergraut und ein Herzleiden erwachsen, so war die eigentliche Festungshaft für ihn eine muntere Zeit. Schmerzlich berührte es ihn, daß er infolge seiner Verurtheilung aus den Listen des 20. Landwehrregiments gestrichen wurde. Er bat 1839 um Rehabilitation, und das Bataillonscommando befürwortete sein Gesuch; seine Wiedereinsetzung erfolgte indeß erst 1843 als Lieutenant mit zurückdatirtem Patent vom 20. September 1840. Eine andere schädigende Rückwirkung hatte seine harmlose Burschenschafterzeit insofern, als es ihm anfangs verwehrt wurde, sich zu habilitiren. Als er im October 1838 die Erlaubniß dazu erhielt, wurde seine spätere Anstellung von seinem Verhalten als Privatdocent abhängig gemacht. Auch damals wäre er kaum zur Habilitation zugelassen, hätte er nicht im Cultusministerium an dem Hegelianer Johannes Schulze einen einflußreichen Fürsprecher besessen. Schulze wollte in ihm ein Gegengewicht gegen Heinrich Leo schaffen und veranlaßte ihn daher nach Halle zu gehen. In seinen Bücherbesprechungen hatte D. den conservativen Leo scharf befehdet, und Leo war ihm bei seiner stark polemischen Natur die Antwort nicht schuldig geblieben. D. hatte darauf in den „Hallischen Jahrbüchern“ des radicalen Arnold Ruge erwidert. Es ehrt beide Theile, daß Leo den jungen Docenten jetzt freundlich willkommen hieß. Im Frühjahr des folgenden Jahres vollzog D. die Habilitation mit einer historisch-philologischen Untersuchung „Origines Germanicae“.

Am lebhaftesten begrüßte Ruge, wie D. Hegelianer, Duncker’s Uebersiedlung nach Halle: „Uns sind die tapferen, wohlfundirten Leute so dünn und werden noch immer dünner werden“. Aber D. war maßvoller angelegt als Ruge, und sich in neuen Streit mit Leo einzulassen verbot ihm sein Tactgefühl; so ging er einen anderen Weg als Ruge. Er hielt Vorlesungen über „Elemente der Philosophie der Geschichte“, über Verfassungsgeschichte, Geschichte des Mittelalters, des Alterthums. Sie müssen recht langweilig gewesen sein. Da er gleichzeitig zum Theil das Geschäft seines Vaters zu leiten hatte, überarbeitete er sich und verfiel 1841 in ein Nervenfieber. In der Krankheit wurde er mit der Tochter des ihn behandelnden Arztes, Charlotte Gutike, [173] näher bekannt. Sie zeichnete sich durch reiche Herzens- und Verstandesbildung, Geist und Willensstärke aus. Im Herbst 1841 mit ihr verlobt, konnte er sie erst am 27. Mai 1843 heimführen, da er aus dem Vaterhause, obwol dort recht wohlhabende Verhältnisse herrschten, nur wenig Mittel erhielt und erst am 20. November 1842 zum außerordentlichen Professor mit 300 Thalern jährlicher Remuneration ernannt wurde. Besonderer Gunst erfreute er sich trotz dieser Beförderung bei seiner vorgesetzten Behörde immer noch nicht. So bekam es der Cultusminister Eichhorn fertig, ihm eine Remunerationsrate nur darum zu bewilligen, um ihm „durch Versagung keinen Antrieb zum Fortschreiten in seiner unersprießlichen Richtung zu geben“. Wenn D. sich auch ganz als Liberaler fühlte, so war ihm doch der Radicalismus zuwider. So nahm er in der „Litteraturzeitung“, in der er am 1. Juli 1843 die Redaction des historischen und politischen Theils übernahm, bald energisch Stellung gegen religionsfeindliche Strömungen innerhalb des Liberalismus. „Lassen wir die knabenhaften Angriffe und Renommagen gegen die Religion, die uns um allen Boden bringen“ ließ er sich dagegen vernehmen. Er gewann Droysen und Sybel als Mitarbeiter an der Zeitschrift. Diese Redactionsthätigkeit schmeckte ihm mehr als die Arbeit an Becker’s Weltgeschichte, die er liegen ließ, obwol sein Vater deren schnelle Fortsetzung wünschte. Bald schienen ihm die Bestrebungen der „Lichtfreunde“ ein geeignetes Feld zu bieten, um seinen politischen liberalen Anschauungen weitere Verbreitung zu verschaffen. Am 6. Aug. 1845 hielt er im Kreise der Lichtfreunde einen Vortrag über die Geschichte der Reformation, ihr Verhältniß zum Staat und zu den politischen Bestrebungen der damaligen Zeit. Er bekam dadurch abermals Ungelegenheiten mit der Behörde, die es bereits übel vermerkt hatte, daß Berthold Auerbach eine freiheitliche Rede in Duncker’s Hause gehalten hatte. Nunmehr ließ D. seinen Vortrag unter dem Titel „Die Krisis der Reformation“ im Buchhandel erscheinen und vertheidigte in der Vorrede die Lichtfreunde. Zugleich trat er darin mit Begeisterung für einen monarchisch geeinten deutschen Volksstaat ein und begann damit gewissermaßen seine Laufbahn als nationaler Politiker. Die Schrift wurde von ihm im December dem Minister übersandt, der ihm indeß nur mit größerer Mißgunst lohnte. Es war begreiflich, daß D. sich unter diesen Umständen nach einer Wirkungsstätte umsah, an der er freieren Herzens wirken konnte. Aber Aussichten, in Jena einen Lehrstuhl zu erhalten, zerschlugen sich.

Mächtig ergriffen wurde D. von der Schleswig-Holsteinschen Bewegung. Nicht zuletzt leitete ihn dabei die Erkenntniß, daß, wie er 1849 sagte, „Deutschlands Zukunft auf dem Meere läge“ und daß darum vor allem Schleswig-Holstein mit seinen Häfen für das Deutschthum zu retten wäre. Aus seiner Feder erschienen zahlreiche Artikel über die Schleswig-Holsteinsche Frage in der Hallischen Zeitung. Die Adresse der Bürger von Halle an die Bewohner der Elbherzogthümer vom 21. August 1846 wurde von ihm verfaßt. Mit Feuereifer suchte er Stimmung für die Bedrängten der Nordmark zu machen. Am 28. Januar 1848 schrieb er mit schmerzlicher Empfindung: „Wir haben Elsaß und Lothringen verloren, die Schweiz und Holland und die Flamänder, wir verlieren Kurland und Livland. Aber von Allem, was in langen Jahrhunderten der Erniedrigung Deutschland getroffen hat: Dänemarks Sieg über Schleswig-Holstein wäre das Schmählichste“. Dabei blieb es sein Bestreben, der Regierung den Weg zu erleichtern. Die Februarerlasse des Jahres 1847 begrüßte er mit Dank und veranlaßte ihretwegen eine Adresse der Hallischen Bürger an König Friedrich Wilhelm IV., in der er hervorhob, die Erlasse seien bestimmt, „den festen Grundstein einer neuen Epoche in [174] unserer staatlichen und nationalen Entwicklung zu bilden“. In einer Festversammlung der liberalen Bürger, die damals im Saale der Giebichensteiner Weintraube veranstaltet wurde, hielt er es für angemessen, den Versammelten ins Gedächtniß zu rufen, wie viel Preußen auch gerade an liberalen Maßnahmen lediglich dem Vorgehen der Regierung verdanke: „Beachten wir es wohl, es war die Regierung, welche es nach dem Tilsiter Frieden unternahm, den Staat auf dem Princip der Selbstregierung zu erbauen, nicht das Volk. Vergessen wir es nicht, daß wir es waren, die 1820 einschliefen und den Beamten die Zügel des Staats allein überließen, daß abermals die Regierung es ist, welche uns heut entgegenkommt“. Wenn sich zur Zeit des Vereinigten Landtages in Halle eine organisirte constitutionelle Partei bildete, so war das im wesentlichen Duncker’s Verdienst. Er hatte sich inzwischen in die Geschichte des Alterthums vertieft, die er für die Becker’sche Weltgeschichte liefern sollte. Da kam die Februarrevolution und nun wurde es ihm bewußt, daß die Politik sein eigentliches Lebenselement war. Er ließ die Wissenschaft in den Hintergrund treten und widmete sich einstweilen fast nur dem öffentlichen Leben.

So freudig D. es begrüßte, daß eine Zeit größerer Freiheit anzubrechen schien, so sehr empfand er auch Sorge um das Königthum. Am 19. März eilte er nach Berlin. Dort unter die Schloßwachen eingereiht, wurde er von dem unglücklichen König angesprochen: was ihn herführe. D. gab zur Antwort „die Ereignisse“. Für das Frankfurter Parlament wurde er als Candidat aufgestellt. Sein Programm lautete: „Die nächste Aufgabe ist die: sowohl das Ueberschlagen der Bewegung als den Rückfall in die früheren unglücklichen Zustände zu verhindern. Alle Ueberspannung des Fortschritts ist der sicherste Weg zur Reaction, alle Reaction ist der Weg zur Revolution“. Von 156 Wahlmännern der Stadt Halle gaben ihm 149 am 9. Mai ihre Stimme. Er glaubte sich zum Staatsmann berufen, da er, wie er es ausdrückte, „fast zwanzig Jahre in den Geschicken der Staaten zu lesen versucht“. Trotz dieses Selbstgefühls hat er sich davor gehütet, nach rednerischen Erfolgen zu haschen. Er besaß genügend Einsicht dafür, daß er eine zu lehrhafte Natur war, um durch die parlamentarische Rede zu wirken. Seine Reden waren Vorträge und verleugneten nie den Mann des Katheders. Er vermochte auch nicht zu improvisiren und selbst, wenn er vorbereitet war, hatte er mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Als er einmal in der Paulskirche das Wort ergriff, passirte ihm das Mißgeschick, von Vincke „vor das Messer genommen zu werden“, indem dieser ihn wegen seines Eintretens für ein dreiköpfiges Directorium verspottete. Schließlich stimmte D. auch Gagerns „kühnem Griffe“ zu. In der richtigen Erkenntniß, daß von Frankfurt allein aus nicht viel gemacht werden könnte, und daß die Entscheidung in Berlin läge, knüpfte er mit der Persönlichkeit daselbst, die am preußischen Hofe am meisten Sympathie für Frankfurt zeigte, mit der Prinzessin von Preußen[WS 3], Beziehungen an und suchte sie für recht anfechtbare Maßnahmen der Nationalversammlung einzunehmen. Die Schwäche der einzelnen dem preußischen Könige aufgenöthigten Ministerien reizte ihn. „Was sagst Du“, schrieb er nach dem Sturm auf das Zeughaus an seine Frau, „zu den Berliner Bubenstreichen und zu der Schwäche des Ministeriums? Warum sagt man Camphausen nicht, daß er das Blut frevlerischer Rebellen, die die Ehre der Nation besudeln, nicht zu schonen habe?“ Als mit dem Ministerium Brandenburg eine Zeit kraftvolleren Handelns begann, athmete er auf. Neue Rathschläge, die er durch die Prinzessin von Preußen an die entscheidenden Stellen zu bringen gedachte, wurden wie die ersten durch die Ereignisse überholt. Diese Rathschläge gingen dahin, die Stimmung zu „bravieren“. [175] In Halle gab er als Loosungswort aus: „Ein Hundsfott, wer die Krone in diesem Kampfe verläßt!“ und in diesem Sinne bekämpfte er den Unruh’schen Radicalismus in seinem Hallischen constitutionellen Club, wo eine starke Strömung vorhanden war, die die Steuerverweigerung der Anhänger Unruh’s billigte. Die Anarchie sei der Feind, belehrte er seine Mitbürger, durch den das junge constitutionelle Leben bedroht sei, und nur im Bunde mit der Krone wäre man im Stande diesem Gegner zu begegnen. Auch in Frankfurt wußte er diese maßvolle, auf das Positive gerichtete Haltung zu bewahren. Er schloß sich dort der großen Casinopartei, der Partei des rechten Centrums an. Besonders nützlich erwies er sich dieser durch seine gewandte Feder, als seit dem December von der Partei eine lithographische Correspondenz ins Leben gerufen worden war. Damals verfaßte er den Bericht über die Oberhauptsfrage, aus dem Vincke die Grundlagen zu seiner berühmten Rede vom 22. Januar 1849 entnahm. Der geistvolle Heinrich v. Arnim konnte nicht umhin, gegen D. über diesen durch seine Klarheit und Präcision ausgezeichneten Bericht zu äußern: „Wenn es mir gegeben wäre, Großem und Schönem gegenüber ein unedles Gefühl zu nähren, so könnte ich Sie beneiden um die glücklich ausgeführte Lösung dieser Frage und um eine Arbeit, die Ihnen ein bleibendes Denkmal in der Geschichte Deutschlands stiften wird“. Als D. es dann schließlich erleben mußte, daß es ein Unding war, den vierten Friedrich Wilhelm dazu zu zwingen, ein großer Mann zu sein, als damals sowol aus dem deutschen Kaiserreich wie aus der Befreiung Schleswig-Holsteins nichts wurde, trug er den Verhältnissen Rechnung und erklärte am 20. Mai 1849 mit 65 Mitgliedern der Gagern’schen Partei seinen Austritt aus der Nationalversammlung. Entsagungsvoll schrieb er: „Unser Gewissen ist so ruhig, als unser Schmerz und unsere Trauer tief ist“. Der Kaiserdeputation hatte er sich seiner Zeit auf Wunsch des Reichsministeriums angeschlossen, ohne ihr als Mitglied anzugehören.

Gleich nach seinem Austritte aus der Paulskirche eilte er wieder nach Berlin, und sein erster Gang dort war zur Prinzessin von Preußen. Noch gab er auf deren Urtheil viel; und warum sollten ihm ihre Klagen und Trostesworte und ihr Vertrauen zu seinem Urtheile nicht wohl thun? Der Prinz von Preußen, an den er bereits im März eine Denkschrift über die Angelegenheit der Elbherzogthümer hatte gelangen lassen, verlangte von ihm eine Zusammenfassung seiner Gedanken über die Lage. Schnell gefaßt und nicht ohne realpolitischen Blick entwickelte er sie ihm: es gälte nun das Reich von Berlin aus zu gründen; diese Eroberung müsse eine moralisch-politische und eine militärische sein; nur der vollendeten Thatsache würden sich die Regierungen fügen. Freilich kamen ihm dabei zuweilen unpraktische Ideen, so wenn er schrieb: „Auch das mittlere Deutschland muß durch fortdauernde Durchzüge von Truppen in Furcht und Staunen erhalten werden, um zu zeigen, daß Preußen eine Macht“. Als erstes Erforderniß bezeichnete er Schaffung einer Verfassung, sodann Machtentfaltung und drittens Lösung der Schleswig-Holsteinschen Frage. Ihn beseelte der unerschütterliche Glaube an den Beruf des Staates Friedrich’s des Großen. Die Betheiligung an den Vorbereitungen zu den Besprechungen in Gotha verstand sich für ihn von selbst. Seit Ende Mai entspann sich darüber zwischen ihm und Droysen, mit dem er in der letzten Zeit der Nationalversammlung bekannt geworden war, ein reger Briefwechsel. Als die Gothaer im Juni zusammentraten, um noch einmal einen Versuch der Reichsgründung zu wagen, obwohl sie selbst kein Vertrauen mehr zum Gelingen ihres Unternehmens hatten, wurde D. neben dem in Gotha lebenden Becker Präsident der Versammlung. Im Gefühl eine patriotische Pflicht mit [176] diesem Unternehmen zu erfüllen, schrieb D.: „Es hilft nichts, wir müssen es thun, wenn wir uns auch noch einmal blamiren“ und mit ruhiger Würde trug er den Spottnamen eines „Gothaers“. Am 27. Juli 1849 auf Grund des Dreiclassensystems von Halle in das Abgeordnetenhaus geschickt, strebte er die Verwirklichung der Unionsverfassung an und ergriff in diesem Sinne am 6. September das Wort. An jenem Tage sprach auch Otto v. Bismarck zu dieser Sache in ganz entgegengesetztem Sinne und mit richtigerer Erkenntniß dafür, was im Sinne einer preußischen Machtpolitik, die auch D. vorschwebte, lag. In derselben Zeit verfaßte D. das Büchlein „Zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Frankfurt“, eine Schrift zur Rechtfertigung der Politik der Paulskirchenmehrheit und zur Vertheidigung der Unionspolitik, „nahezu das Beste, was je zur Rechtfertigung der Erbkaiserlichen gesagt wurde“, wie Heinrich v. Treitschke 1886 urtheilte. Im Anfang des nächsten Jahres schickten ihn die Wähler von Halle in das Volkshaus des Erfurter Parlaments. Dort schloß er sich besonders an Mathy, den staatsmännischsten Kopf der liberalen Partei, an. Seinem Einfluß verdankte vornehmlich Simson die Wahl zum Präsidenten. In jenem Jahre entstand auch Duncker’s biographische Skizze „Heinrich v. Gagern“ als Beitrag für das damals in Leipzig bei Costenoble & Remmelmann erscheinende Sammelwerk „Männer der Gegenwart“. Noch theilte er mit vielen Anderen die Ueberschätzung der staatsmännischen Bedeutung des ersten Präsidenten der Paulskirche.

Der Mißerfolg aller Einigungsversuche bedrückte ihn in hohem Maaße, aber er ließ sich nicht entmuthigen, sondern richtete nach wie vor unablässig sein Denken und Trachten darauf, wie er dem nationalen Gedanken nützen könnte. War doch Hoffnungsfreudigkeit der Grundzug seines Wesens. Er vermochte daher nicht anders, als unablässig zu treiben und zu trösten. Der neugegründeten Constitutionellen Zeitung in Berlin verschaffte er in der Person Rudolf Haym’s, dem er seiner Zeit auch zu einem Sitz in der Nationalversammlung verholfen hatte, einen fähigen Redacteur. Besonders wandte er sich jetzt wieder der Beschäftigung mit der Sache der Elbherzogthümer zu, indem er als Agitator im Lande nach Kiel, Bremen, Oldenburg, am Rhein herumreiste. In Oldenburg suchte er vergeblich auf Nichtratification des Friedens vom 2. Juli 1850 hinzuwirken. „Es muß alles versucht werden“ schrieb er. „Sie glauben nicht, was ich in allen Coupés, Dampfbooten und Wirthshäusern ganz gegen mein Naturell aufstellte. Meine Litanei weiß ich bereits auch im Schlafe“. In Kiel freundete er sich näher mit Gagern an. Doch vermied er es, dessen Beispiel zu folgen und wiederum den Soldatenrock anzuziehen, weil er fühlte, daß er mit seiner Feder nützlicher sein konnte. Mit Feuereifer wirkte er für seine Gedanken in der Presse, besonders in der Constitutionellen Zeitung. „Krieg auf Leben und Tod gegen die Jammergeschöpfe, die Volk und Vaterland ruiniren“ schrieb er und glaubte sich voller Selbstbewußtsein sagen zu dürfen: „Ohne mich schliefe Deutschland jetzt schon wieder viel fester, als wirklich der Fall ist“. Niederschmetternd wirkte es auf ihn, als Preußen die Sache Schleswig-Holsteins in Olmütz aufgab. Schon am 11. November 1850, einige Tage nach dem entscheidenden Kronrathe vom 2. November, der den Kriegsgedanken fallen ließ, schrieb er zornerfüllt: „Wir sind Dupirte, nieder mit den Schuften! Ich gehe zum Andreas, d. h. ins demokratische Lager.“ Staatsmännischer faßte Mathy die Sachlage auf, der dem Freunde schrieb: „Ich gräme mich nicht über die Wendung der Dinge; was hätten wir uns von einem Kriege versprechen dürfen, der unter den Auspicien Friedrich Wilhelm’s IV. geleitet worden wäre?“ Zum Demokraten war D. freilich nicht geschaffen; aber eine [177] Zeit lang war er jetzt doch geneigt, die Flinte ins Korn zu werfen. Er dachte daran, eine Sprengung der Kammer durch Massenaustritt herbeizuführen. „Schleswig-Holstein“, schrieb er am 5. Februar 1851 „bricht mir fast das Herz“. Seine Stimmung entlud sich in der kleinen, von ihm zusammen mit Samwer und Forchhammer verfaßten, im Januar erscheinenden Schrift „Vier Wochen auswärtiger Politik“, die die Ereignisse vom 2. November bis zur Eröffnung der Dresdener Conferenzen behandelte, und gleich darauf noch vollständiger in der allein von ihm herrührenden, ohne Namensnennung veröffentlichten berühmten Flugschrift „Vier Monate auswärtiger Politik“, in der er das Ministerium Manteuffel, dessen Politik zu dem demüthigenden Gange nach Olmütz geführt hätte, schonungslos angriff. Zur Kenntniß der Zeitgeschichte nicht von großem Belange, da ihm die treibenden Ursachen der damaligen politischen Ereignisse verborgen waren, begründete sie doch für immer seinen Ruf als Publicist, der mit Verve zu schreiben weiß. Am 3. April sah sich der Polizeipräsident Hinckeldey zur Confiscation der Schrift veranlaßt, worauf D. sich als Verfasser bekannte. Die Untersuchung zog sich länger als anderthalb Jahre hin. Schließlich wurde das Strafverfahren eingestellt.

Die völlige Aussichtslosigkeit, in der Reactionszeit irgendwie seiner Politik dienlich zu sein, lenkte D. darauf, sich wieder mehr der Wissenschaft zu widmen. Im März 1852 erschien der erste Band seiner „Geschichte des Alterthums“, der im Böckh’schen Geiste die überreichen Ergebnisse der letzten Jahrzehnte orientalischer Forschung zu einer zusammenhängenden Darstellung zu verwenden begann. Im Herbst 1853 war der zweite fertiggestellt, und mit großer Thatkraft ging der Verfasser an die Fortsetzung des Werkes. Von den ersten Bänden wurden in kurzer Zeit neue Auflagen erforderlich, sodaß der wissenschaftliche Ruf Duncker’s bald begründet war. Politisch wurde D. um so stiller, als die „Constitutionelle Zeitung“ ihr Erscheinen einstellte und er dadurch das Hauptorgan, das ihm zur Verfügung stand, verlor. Als jedoch der Krimkrieg heraufzog, litt es ihn nicht, ruhig zu sein. Im März 1854 ließ er die Flugschrift „Preußen und Rußland“ erscheinen, in der er die Neutralitätspolitik König Friedrich Wilhelm’s IV. angriff, obwohl sie die einzig richtige Haltung für Preußen und ein schlagendes Beispiel für den politischen Weitblick des nur nicht zum Handeln geborenen Königs war. Statt der Neutralität verlangte D. ein Bündniß mit England. An der mit der seinigen übereinstimmenden Haltung des Prinzen von Preußen hatte er helle Freude und er bewog daher die Stadt Halle und andere Orte der Provinz Sachsen zu Glückwunschadressen bei Gelegenheit der silbernen Hochzeit des prinzlichen Paares im Juni 1854.

Mittlerweile machte sich der Umstand drückend geltend, daß D. nicht befördert wurde. Er blieb nach wie vor außerordentlicher Professor, seit Mai 1848 mit einem festen Gehalt von 400 Thalern. Der Curator der Hallischen Universität, Pernice, ein schroffer Reactionär, besaß ein durchschlagendes Mittel, um die Verleihung einer ordentlichen Professur an D. zu verhindern, indem er auf die geringen Lehrerfolge Duncker’s hinwies. Gern wäre D. daher auf einen andern Lehrposten gegangen, wenn sich ihm etwas Passendes geboten hätte. Es zeigten sich auch Aussichten, in Greifswald, Bern oder Basel einen Lehrstuhl zu erhalten; einen Ruf nach Basel entschloß sich D. jedoch auf Mathy’s Rath abzulehnen, obwol Sybel ihm zugeredet hatte. Sein alter Gönner Johannes Schulze befürwortete bei dem Cultusminister v. Raumer Duncker’s Ernennung für Greifswald, und in der That schien Raumer darauf eingehen zu wollen; doch wurde die Anstellung von einer Erklärung Duncker’s über die von ihm zu erwartende politische Haltung abhängig gemacht. D. setzte eine Denkschrift [178] auf, in der er seine politische Haltung rechtfertigte und kühnerweise der Regierung Rathschläge ertheilte; die Regierung hatte eher einen Widerruf erwartet. Raumer fand die Erklärung „nicht Vertrauen erweckend“, und damit war die Greifswalder Aussicht in nichts zerronnen. Inzwischen fühlte D. immer mehr den Boden unter seinen Füßen schwinden. Seine gemäßigte Haltung machte ihm die Mehrzahl seiner Amtsgenossen zu Feinden; mit Studenten besaß er wenig Fühlung. Unter diesen Umständen sah er sich veranlaßt, sich mit verdoppelter Kraft wissenschaftlicher Production hinzugeben; er ließ sich zeitweilig von seinen Vorlesungen dispensiren, um ungestörter arbeiten zu können. Da setzte Rümelin, sein alter Parteifreund, im Sommer 1857 Duncker’s Berufung an die in Tübingen freigewordene Professur für politische Geschichte, Völkerrecht und Theorie der Statistik durch, sodaß D. vor die Frage gestellt wurde, ob er sein Preußen, an dem er mit ganzer Seele hing, verlassen sollte. Er erkundigte sich bei Johannes Schulze, ob er irgendwelche Hoffnung hegen dürfe, daß man ihn in Preußen festhalten würde. Als er erfuhr, daß von Raumer nichts für ihn zu erwarten sei, nahm er in Tübingen an; von Vorlesungen über Statistik befreite man ihn dort auf seinen Wunsch. Es war ein bitteres, aber wahres Wort, das er in seiner Abschiedsrede im Kreise seiner Freunde aussprach: die Hochschule, an der er achtzehn Jahre hindurch thätig gewesen wäre, habe „niemals ein Wort für ihn gehabt“. Noch einen letzten Versuch, in Preußen zu bleiben, machte er, indem er unter Ueberreichung des vierten Bandes seiner Geschichte des Alterthums an die Prinzessin von Preußen, „deren einflußreicher Theilnahme er bei seinem Weggange aus Preußen nicht entrückt zu werden wünschte“, ein Schreiben richtete und ihr gestand, daß er seine akademische Laufbahn aufzugeben entschlossen sei, wenn er eine andere Verwendung in seinem engeren Vaterland finden könnte. Ja er rückte mit einem Geständniß heraus, das seine innersten Neigungen verrieth. Sein Ehrgeiz ging auf eine Verwendung im auswärtigen Amte: „Den Interessen und Studien des Historikers ist die auswärtige Politik verwandt genug. Die auswärtige Politik bildet gerade den schwierigsten und gefährlichsten Punkt der preußischen Staatsleitung. Gerade diese ist unausgesetzt der Gegenstand meiner Aufmerksamkeit und meiner Forschungen gewesen. Ihre Versuche und Wechsel, ihr Gelingen und Mißlingen liegen mir seit den Zeiten des zweiten Friedrich ziemlich klar vor Augen, und ich würde hier und da vielleicht einen fachkundigen Rath zu ertheilen vermocht haben“. In jenem Augenblick war die stolze Prinzessin im Koblenzer Schlosse vielleicht weniger wie je in der Lage, solchen Wünschen Rechnung tragen zu können.

So ging D. also nach Schwaben. Am 9. November 1857 fing er an zu lesen und zwar über die französische Revolution. Gleich in der Einleitungerede warb er für die deutsche Einheitsidee: „Unsere Stämme stehen politisch nebeneinander; sie haben seit zwei Jahrhunderten ihre besondere Geschichte und dadurch ein verschiedenes Selbstgefühl erhalten“. Während sonst die Norddeutschen auf diesem Boden gewöhnlich das Loos hatten mit einigem Mißtrauen betrachtet zu werden, gewann D. in Tübingen sofort eine sehr günstige Stellung unter den Collegen und in der Studentenschaft. Neben dem Oberbibliothekar Klüpfel schlossen sich ihm besonderes einige Jüngere, wie K. H. Weizsäcker, Chr. v. Sigwart und der damalige Studiosus Gustav Schmoller an. Kaum war D. nach Tübingen übergesiedelt, da eröffnete die Uebernahme der Stellvertretung für den erkrankten König Friedrich Wilhelm IV. durch den Prinzen von Preußen die Aussicht auf einen baldigen Wechsel der Dinge in Preußen.

Die Gründung der „Preußischen Jahrbücher“ im Januar 1858 war gleichsam das Zeichen eines neuen Anschwellens der liberalen Ideen. In dieser Zeitschrift, [179] deren Leitung sein alter Schützling Haym übernahm, fand Duncker’s Feder die rechte Stelle, um der preußischen Sache zu dienen. Bereits im ersten Hefte begrüßte er in dem Aufsatze „Preußen und England“ die bevorstehende Verbindung des preußischen mit dem englischen Königshause. Den Gedanken von 1854 wieder aufnehmend, führte er aus, daß beide Staaten vereinigt emporgekommen und niemals ohne Schaden für beide ernsthaft getrennt gewesen seien. In einem weiteren Aufsatz: „Die Politik der Zukunft“ griff er Bismarck’s Haltung in Frankfurt heftig an, indem er sie eine Politik kleinlicher Rache und muthwilligen Widerspruchs nannte und neben abermaliger Befürwortung des Anschlusses an England für Freundschaft mit Oesterreich plaidirte. „Zänkereien sind keine Politik“ rief er dem Bundestagsgesandten zu. „Diese Politik der Rancune mußte verderben, was noch zu verderben war“. „Und neben diesen Kleinlichkeiten, bei aller dieser Erbitterung und bei all diesem Widersprechen gab Preußen in jeder wesentlichen Frage nach. Man ließ sich in der Zollvereinsfrage, in der Handelsrechtsfrage auf eine kümmerliche Defensive zurückdrängen.“ So mißmuthig sah er Preußens Lage an, so abfällig urtheilte er über den genialen Vorkämpfer des preußischen Machtgedankens, während dieser in Frankfurt gerade die Bahnen suchte und erkannte, die Preußen gehen mußte, um ungefähr die Ziele zu erreichen, nach denen die Gothaer strebten. Aber während sich D., beeinflußt durch liberale Romantik, mehr als wünschenswerth in einen Gegensatz zu Factoren hineinlebte, deren Hilfe doch nicht zu verachten war, bekundete er auf der andern Seite wachsendes Verständniß für einzelne Lebenselemente des preußischen Staates. Ungefähr gleichzeitig mit dem Aufsatz „Die Politik der Zukunft“ erschien sein Vortrag „Feudalität und Aristokratie“, mit dem er sich am 18. März 1858 im Tübinger Senat eingeführt hatte, im Buchhandel. Darin wies er wieder auf England hin, zeigte aber auch zugleich, daß er von dem preußischen Adel und dessen politischer Befähigung nicht durchaus schlecht dachte, eine Anschauung, die ihm der Liberalismus vielfach als Ketzerei auslegte. Sehr bald nach diesem Vortrage eilte er nach Berlin, um mit den alten Freunden und Gesinnungsgenossen wie Droysen, Ad. Schmidt, Sybel, Curtius, Waitz über die Lage zu sprechen. Auch mit der Prinzessin von Preußen gewann er neue Fühlung. Gleichsam als wäre er ein Mann der kommenden Zeit, wurde er in den Kreisen des Liberalismus hoch gefeiert. Ihm zu Ehren veranstaltete man große Festessen, zu denen die Häupter der liberalen Partei geladen wurden. Auf einem solchen, das ihm die Fraction Schwerin gab, hielt Graf Schwerin eine schwungvolle Rede auf die Historiker, die das Beste zur Gründung politischer Freiheit und Größe thäten, indem sie bei der studirenden Jugend Verständniß dafür weckten. Wenn D. in seiner Antwort sagte, daß „Geschichte machen zu allen Zeiten mit Recht für ein höheres Streben gegolten habe, als Geschichte schreiben“, verneigte er sich wohl vor den anwesenden Staatsmännern und Parlamentariern; wer ihn genau kannte, mußte darin aber zugleich den verhüllten Ausdruck seines sehnlichsten Wunsches erkennen, selbst ein Mann des öffentlichen Lebens zu sein. Daß er mehr das Zeug zu einem solchen hatte, wie die meisten der anwesenden Männer, die er feierte, ist zweifellos. Er selbst nahm nach Süddeutschland zum Theil nicht die besten Eindrücke von dem politischen Verständniß seiner Parteigenossen mit. Er erkannte, daß manche gar zu doctrinär waren.

Als im October 1858 der Prinz von Preußen die Regentschaft antrat, ergriff D. sofort die Gelegenheit, um sich in Erinnerung zu bringen, indem er eine Denkschrift über den Systemwechsel in Preußen aufsetzte, die dem Regenten in die Hände gespielt werden sollte, Sie enthielt abermals einen [180] Angriff auf Manteuffel, dessen Stunden inzwischen gezählt waren, und schloß mit der tiefes Verständniß für die in Preußen schlummernden und zu lösenden Kräfte verrathenden Apostrophe: „Preußen besitzt einen Bauernstand wie kein anderes Land in Europa, einen Bürgerstand voll Intelligenz, von seltener Rührigkeit und Arbeitskraft, eine Ritterschaft voll von den schätzbarsten Kräften für die Armee. Die bedenklichen Tendenzen in diesem Stande werden verschwinden, sobald er nur eine feste Hand und einen festen Zug von oben her empfindet. Alle diese reichen Kräfte stehen bereit, einer Führung zu folgen, welche ihnen Gewähr bietet, einem in Deutschland und Europa geachteten Staate anzugehören. Das preußische Volk verlangt nichts mehr, als zu Anstrengungen aufgefordert, zu großen Aufgaben geführt zu werden“. Bald darauf knüpfte der junge Prinz Friedrich Wilhelm, der Thronerbe, mit ihm an, und D. nahm Gelegenheit, auch diesem die Aufgaben zu entwickeln, die nach seiner Ansicht Preußen zu lösen hatte. So bereitete er sich die Bahn und bald erfüllte sich denn auch sein Sehnen nach Preußen, „dem natürlichen Boden meiner Wirksamkeit“, wie er sagte, zurückberufen zu werden. Sein Freund von Schleswig her, Samwer, kam auf den Gedanken, daß D. der richtige Mann zur Leitung der preußischen Regierungspresse sein würde. Dem schloß sich Herzog Ernst von Coburg an, und der Vertraute des preußischen Thronerben, Ernst v. Stockmar, setzte schließlich diese Ernennung beim Prinzregenten durch. Es war nicht eine Rolle, wie sie sich D. erträumt hatte. Er fühlte, daß er auf diesem Posten seine Individualität nicht zur Geltung würde bringen können. „Man kann, wie ich glaube, eine Politik nur dann wirksam vertreten, wenn man nicht ausschließlich auf ihre Apologie angewiesen ist“, schrieb er treffend. „Ich kann keine Politik vertheidigen, wenn ich nicht auf deren Leitung, tant soit peu, Einfluß habe und zwar amtlicher Weise.“ Die neuen Minister rissen sich förmlich um D. Der Cultuesminister Bethmann-Hollweg verlangte im Februar 1859 von der philosophischen Facultät in Halle Vorschläge zu einer Professur für alte Geschichte und hatte die Genugthuung, daß der Wink verstanden und D. mit allen Stimmen, ausgenommen die Leo’s, an erster Stelle vorgeschlagen wurde. Schon aber erhielt D. auch vom Minister Rudolf von Auerswald die dringende Aufforderung, sich zu einer Unterredung in Berlin einzufinden, und die Aussicht eine politische Anstellung zu erlangen, bestimmte ihn, die Professur fahren zu lassen. Freilich handelte es sich zunächst doch nur um die Leitung der Presse. Aber D. entschloß sich, diese Stelle anzunehmen, weil sie doch die erste Staffel für eine politische Laufbahn sein konnte und weil von vornherein diese ganze Beschäftigung nur ein Durchgangsposten zu sein schien. Auerswald stellte ihm die Wahl, ob er amtlich eine ordentliche Professur in Berlin oder eine Rathsstelle im auswärtigen Ministerium bekleiden wolle. D. wünschte, zumal da er von Vorlesungen befreit sein sollte, lieber die Professur, weil er dadurch unabhängiger dazustehen hoffte. Eine solche Ausnahmeprofessur wollte Bethmann jedoch nicht schaffen. Zum Rath wollte ihn wiederum der Unterstaatssecretär Gruner nicht haben, weil ihm die geschäftige Lebhaftigkeit Duncker’s unbequem erschien, obwohl sich D. sonst sehr seiner Werthschätzung und Gunst erfreute. Herzog Ernst und Samwer, denen es darum zu thun war, den alten Freund in einflußreicher Stellung zu sehen, wußten einen Ausweg zu finden. D. sollte zwar Rath im auswärtigen Amte werden, aber lediglich dem Ministerpräsidenten Fürst Hohenzollern beigegeben sein. So bereitete schon der Eintritt in die neue Stellung gleich Schwierigkeiten. Nach deren Beseitigung übernahm D. die ihm zugewiesenen Geschäfte, die, wie er bald merkte, unerschöpflich reich an Dornen für ihn sein sollten. Nachdem ihm in Tübingen [181] Uhland eine warme Abschiedsrede gehalten hatte, traf er am 28. April 1859 in Berlin ein.

Zum Fürsten Hohenzollern gewann er eine gute Stellung D. ging noch über den von Bismarck mit Recht durchaus verworfenen Gedanken der bewaffneten Friedensvermittelung, den der Prinzregent vertrat, hinaus, indem er mit allen Mitteln dahin zu arbeiten suchte, daß Napoleon so schnell wie möglich durch Waffengewalt gedemüthigt würde, und zwar deswegen, weil er einen Angriff Rußlands als bevorstehend ansah. Unter anderem unterhielt D. mit dem damals in München wirkenden Sybel einen regen Briefwechsel, der seinen Zielen dienen sollte. Doch die Besiegung Napoleon’s hätte auch die Vereitelung der Einigung Italiens bedeutet, die D. selbst wünschte. Wie der Regent, war D. tief betroffen, als der Friede von Villafranka es zum Glück verhinderte, daß Preußen den Oesterreichern die Kastanien aus dem Feuer holte. Er schob diese angebliche Versäumung der Gelegenheit, die deutsche Frage zu lösen, irrigerweise der Langsamkeit des auswärtigen Amtes zu, und in seiner temperamentvollen Art war er rasch dabei, diese Politik, die er doch zu vertheidigen angewiesen war, zu verdammen und launig davon zu sprechen, daß er nicht übel Lust verspüre, gegen sein Ministerium über „Sechs Monate auswärtiger Politik“ zu schreiben. Er suchte nun wenigstens zu thun, was in seiner Macht stand, um die diplomatische Lage Preußens zu verbessern, und verfaßte im Einvernehmen mit Karl Anton und Auerswald am 16. Juli für die officiöse „Preußische Zeitung“ einen Artikel zur Beleuchtung der redlichen Absichten Preußens und gegen die vermeintliche Unehrlichkeit Oesterreichs. Zu seinem Schmerze erschien statt dessen ein Artikel des Grafen v. d. Goltz, in dem gleichsam um Entschuldigung für die bereits bewerkstelligte preußische Mobilmachung gebeten wurde. Sofort bat D. um seinen Abschied. Doch das Ministerium hielt ihn, und der Goltz’sche Artikel wurde durch die Schrift Aegidi’s „Preußen und der Friede von Villafranca“ desavouirt. D. ließ sich nun wenigstens die ausdrückliche Zusicherung geben, daß er über den Gang der Politik stets genau unterrichtet würde, da er sonst nicht imstande wäre, seine Functionen nach Wunsch zu versehen. Er machte sich sodann daran, das officiöse Preßwesen vollkommen neu zu gestalten und entwickelte dabei nicht nur einen wahren Feuereifer, sondern auch großes Organisationstalent. Eine große Anzahl von Zeitungen wurde durch ihn gegründet und er wußte mancherlei gute Federn zu gewinnen. Zugleich war es ein Hauptaugenmerk von ihm, Ehrlichkeit in die ihm unterstellte Presse zu bringen, ein Unternehmen, dessen völliges Gelingen allerdings durch die Natur der Verhältnisse ausgeschlossen war. Einen neuen Freund fand er in Theodor Bernhardi, mit dem er politisch aufs beste harmonirte, während die früheren Parteifreunde ihm nicht mehr so folgten. In Bernhardi warb er auch den sachkundigsten publicistischen Vertreter der Militärreform, an die der Prinzregent jetzt ging. Charakteristisch für ihn war es, daß er es nicht unterlassen konnte, auch an den Aufsätzen dieses von ihm ganz außerordentlich geschätzten Mannes ohne dessen Wissen erhebliche Aenderungen vorzunehmen, sodaß Bernhardi tief verstimmt war und nur deswegen seinen Unmuth still bewältigte, weil es ihm nicht möglich war, dem Freunde, „der es so treu und redlich mit mir, so treu und redlich mit der Sache meint“ deswegen irgendwie entgegenzutreten. Im December 1859 wurde er von dem Wahlkreis Neustettin-Schievelbein gegen Ludwig v. Gerlach für das Abgeordnetenhaus gewählt.

Er erkannte allmählich, daß der Mann, der am meisten das Vertrauen der Prinzessin von Preußen besaß, der Minister des Aeußeren [182] Freiherr v. Schleinitz, nicht für seinen Posten geeignet war, und verfaßte demgemäß im März 1860 eine Denkschrift für den Prinzregenten, in der er zur Beseitigung von Schleinitz rieth. Darin führte er aus, daß die Heeresverbesserung eine Lebensfrage für Preußen sei, Preußen müsse eine kräftige auswärtige Politik einschlagen, um der inneren Schwierigkeiten wegen der Heereereform Herr zu werden, und demgemäß an die Lösung der Schleswig-Holsteinschen Frage gehen. Mit Herrn v. Schleinitz sei eine solche kühne Politik nicht durchzuführen; sein Wort habe nirgends mehr Gewicht und Vertrauen; gestände er ja doch selbst, daß er seiner Aufgabe nicht gewachsen wäre. Aber er plaidirte nicht für Bismarck’s Berufung, die, wie heute jeder erkennt, die richtige Lösung der Schwierigkeiten hätte sein können, sondern äußerte sich gerade vor diesem besorgt und beruhigte sich erst, als Fürst Hohenzollern ihm sagte, so weit sei man noch nicht, um „den Bock zum Gärtner zu setzen“. Ihm galt vielmehr gerade Fürst Karl Anton als der einzige Retter in der Noth, wie er auch dem Regenten in jener Schrift darlegte. Wie einst in Gagern, so überschätzte er jetzt in Hohenzollern die staatsmännischen Fähigkeiten. Bei der Zusammenkunft des Regenten mit Napoleon im Juni 1860 zu Baden war D. im Gefolge Hohenzollern’s zugegen und eifrig thätig, um das Ereignis publicistisch im preußischen Sinne zu verwerthen. Seine Feder gab dem Regenten die schriftlichen Unterlagen zu dessen Rede an die in Baden versammelten deutschen Fürsten. Noch immer hielt er an dem Gedanken der Allianz mit England fest und suchte in diesem Sinne auf englische Staatsmänner einzuwirken. Er hatte die Hand dabei im Spiele, als ein Besuch der Königin Victoria in Koblenz verabredet wurde, bei dem ein gemeinschaftliches Programm für Preußen und England vereinbart werden sollte. Nach seiner Idee sollte England von Preußen im Orient und in Italien unterstützt werden, wofür England Preußens Standpunkt in der deutschen und holsteinschen Frage vertreten sollte. Bald zeigte es sich, daß dergleichen Pläne keine Aussicht auf Verwirklichung hatten, und das Ergebniß der Koblenzer Besprechung war lediglich eine Verstimmung Oesterreichs und Rußlands. Wenig Erfolg hatte D. auch mit einer für den Nationalverein bestimmten Denkschrift, in der er diesen zur Rücksichtnahme auf die preußische Regierung zu bestimmen suchte. Dafür gelang es ihm bei dem Minister des Innern Graf Schwerin die Amtsentsetzung des dem Liberalismus mißliebigen Polizeipräsidenten v. Zedlitz zu bewirken, was allerdings eine tiefe Verstimmung des Regenten zur Folge hatte. Vielleicht der erfreulichste Theil seiner Thätigkeit in dieser Zeit war die Redaction der Thronreden. Es war D. gegeben, sich in die Seele und Art des Regenten hineinzuversetzen, sodaß er in jenen Ausarbeitungen den dem hohen Herrn zusagenden Ton zu finden vermochte. Hin und wieder gelang es ihm auch, Spitzen aus den Entwürfen herauszubrechen. Auf die Dauer war indeß die Stellung als Leiter der Regierungspresse für ihn nicht zu ertragen, und so war er auf der Stelle bereit, die ihm im März 1861 vom Cultusminister angebotene, durch Dahlmann’s Tod erledigte Professur in Bonn zu übernehmen. Auerswald suchte jedoch wiederum seine Kraft für die politischen Geschäfte zu erhalten und stellte es ihm frei, Bedingungen zu nennen, unter denen er auf die Professur verzichten würde.

So hielt D. sein Schicksal in seiner Hand, und er zauderte nicht, jetzt den Wunsch auszusprechen, den er schon seit langem im Herzen getragen haben mochte. Er wünschte dem Kronprinzen, dem Fürsten von Hohenzollern und dem Minister des Auswärtigen, vielleicht auch dem Könige über die politische Lage und den Stand der öffentlichen Meinung von Zeit zu Zeit mündlich oder schriftlich Bericht erstatten zu dürfen. Sein Gedanke war es dabei natürlich, alle diese Instanzen [183] nach Möglichkeit zu beeinflussen. Es war allerdings ein weitgehender Wunsch, den er damit äußerte. Die einflußreichen Freunde, die er hatte, bewirkten es, daß wenigstens ein Theil seines Wunsches in Erfüllung ging. Wiederum war es der Vertraute der kronprinzlichen Familie, den Königin Victoria von England mitgeschickt hatte, Stockmar, der, wie er vor zwei Jahren Duncker’s Ernennung zum Leiter der Preßangelegenheiten anregte, ihm jetzt den Posten eines Berathers des Kronprinzen verschaffte. Stockmar hatte schon seit dem Anfange des Jahres 1860 eine Annäherung zwischen den jungen Herrschaften und D. herbeigeführt. Prinz Friedrich Wilhelm wie seine Gemahlin fanden Gefallen an D., und der Prinz ließ sich öfter durch D. über schwebende Fragen unterrichten, was D. getreulich in allerlei Denkschriften that. Stockmar glaubte daher, in D. den passenden Mann gefunden zu haben, der sein Nachfolger in der Berathung des kronprinzlichen Paares werden könnte. Schon seit November 1860 ging er in seinem Verkehr mit D. von diesem Grundgedanken aus. So fehlte schon damals nicht mehr viel daran, daß Duncker’s Wünsche nach dieser Seite hin in Erfüllung gingen. Es kam hinzu, daß Fürst Karl Anton den Verkehr des Kronprinzen mit D. gern sah. Im März 1861 äußerte er zu D.: „Der Kronprinz ist die einzige Stütze des Ministeriums; seit er Sie sieht, ist er ein ganz anderer geworden!“ Daher brauchte es dem Kronprinzen nur von Stockmar oder einer andern Seite nahegelegt zu werden, einen dahingehenden Wunsch zu äußern, so erhielt D. die Stelle eines Rathgebers bei ihm. In der That sprach sich der Thronfolger sehr bald in diesem Sinne aus. Nun, am 15. April 1861, erklärte D. in Berlin bleiben zu wollen, wenn ihm eine fest umschriebene Stellung eingeräumt würde, und zwar wünschte er den Vortrag beim Kronprinzen als amtliche Aufgabe betrachten zu dürfen und diesen Vortrag allein zu halten. Man bewilligte ihm alles. Am 6. Juni hatte er seine Ernennung in Händen, um damit in den denkwürdigsten Abschnitt seines Lebens einzutreten.

Hatte D. sich dadurch, daß er sich fortgesetzt zur Bekämpfung von Schleinitz veranlaßt sah, gelegentlich diese sogar der Königin direct als erforderlich bezeichnete, zweifellos die Gunst der hohen Frau verscherzt, so wollte es der Gang der Dinge, daß er sich in demselben Augenblicke, da er sozusagen durch englische Protection die scheinbar seinem Wesen homogenste Stellung fand, auch den englischen Kreisen entfremdete, während er doch selbst bisher ein Hauptvorkämpfer des Gedankens an ein Zusammengehen zwischen England und Preußen gewesen war. Er erkannte, daß England in der schleswigschen Sache eine feindliche Haltung gegen Deutschland einnahm und fand es deswegen durchaus angebracht, als der bald darauf an Schleinitzens Stelle tretende Graf Bernstorff eine Wendung zu Frankreich vollzog. Mit Bedauern nahm er wahr, daß er es dadurch auch mit Herzog Ernst verdarb, und suchte, wenn auch durchaus vergeblich, auf diesen in seinem Sinne einzuwirken. Gleich nachdem er seine Stelle angetreten hatte, reiste er nach England, wo der Kronprinz gerade weilte, und lernte dort in Gesprächen mit dem Prinzgemahl, Russell und Palmerston die deutschfeindliche Politik Englands an der Quelle kennen. Empört äußerte er sich über die Vermählung des Prinzen von Wales mit der Prinzessin von Glücksburg, der Tochter des Protokollprinzen, da dadurch die dänenfreundliche Politik Englands öffentlich bekundet wurde. Mit jener Heirath, so erklärte er, sei der sittliche Boden der Allianz zwischen Deutschland und England vernichtet. Durch diese Erfahrungen wurde indeß sein Verhältniß zu dem Kronprinzen nicht berührt. Ein anderes Element, durch das seine allgemeine Stellung eine Veränderung erfuhr, war der beginnende Kampf um die Heereereform, der ihn mit seinen alten Parteigenossen [184] auseinander zu bringen drohte. Er sah, daß seine politischen Freunde in einem bösartigen Doctrinarismus befangen waren, und um dem preußischen Staate zu einem Auswege aus den dadurch entstehenden Wirren zu verhelfen, befürwortete er im November 1861 in einer an den Kronprinzen gerichteten Denkschrift unter Umständen eine liberale Dictatur des Königs. Als die Wahlen im December sehr demokratisch ausfielen, setzte er noch einmal alles in Bewegung, um seine Partei zum Entgegenkommen zu überreden, weil er voraus sah, daß sie sich sonst ganz darum brachte, regierungsfähig zu sein. Sehr bald begriff er, daß hier nichts auszurichten sei. Gegen Bernhardi erklärte er, die liberale Partei sei völlig verbraucht, es sei „kein Material mehr“ zu etwas Besserem. „Man muß eine neue Partei zu hegründen suchen, eine conservativ-constitutionelle Partei“. Die Idee einer liberalen Dictatur ließ er fallen, weil, wie er dem Kronprinzen sagte, „die Männer zu solcher Politik fehlen“. Wohl aber fand er in der conservativen Partei Männer, die die erforderliche Energie besaßen. Am 18. December 1861 war er bereits mit dem Gedanken an die Berufung Bismarck’s einigermaßen vertraut und nannte eine solche Berufung „nicht die schlimmste Aussicht“. Nicht ohne Einfluß auf seine Anschauung war dabei wol Gustav Freytag, mit dem ihn seit Jahren ein herzliches Verhältniß verband. Die Schwierigkeiten der Lage wurden vermehrt durch die kurhessische Angelegenheit. D. gerieth dadurch in eine steigende Erregung, die ihn geneigt machte, hitzigen Maßregeln das Wort zu reden. „Will man die kurhessische Sache verfolgen, so muß man es auf einen Bruch mit den Mittelstaaten und Oesterreich ankommen lassen“ erklärte er. „Man muß dann vor allen Dingen irgend einen Vorwand suchen, um Kurhessen militärisch zu besetzen. Das ist unerläßlich!“ In tiefem Mißmuth über den Gang der Dinge schrieb er im Februar: „Eine Regierung, die seit Jahren die Uebergriffe Dänemarks für dem Bundesrecht und völkerrechtlichen Stipulationen zuwider, die Verfassung von 1831 in Kurhessen für rechtsbeständig, die Reform des Bundesheeres und der Bundesverfassung für wünschenswerth erklärt und diesen Zielen um keinen Schritt näher gekommen ist, muß die Achtung im Auslande und mit dieser die Stärke im Inlande verlieren. Unser Mangel an Erfolgen hat die Phrase, das Geschwätz und die Erregung emporkommen lassen. Der Widerstand gegen die Armeereform war nichts als ein Rückschlag gegen unsere Inaction in Deutschland und nach außen“. Als das Ministerium am 6. März 1862 um seine Entlassung einkam, da fand D. den Entschluß, dem Kronprinzen gegenüber Bismarck’s Berufung zu empfehlen, weil dadurch Einheitlichkeit im Ministerium erzielt werden würde; Bismarck würde Gelegenheit haben, seine Thatkraft in den auswärtigen Dingen zu zeigen; Bismarck wäre der einzige, der Oesterreich und den Mittelstaaten gegenüber nicht zurückweichen würde.

So hatte sich Duncker’s Urtheil über den Mann geändert, dessen Politik er noch vor vier Jahren nicht scharf genug brandmarken konnte und dessen Ministerium ihm noch vor zwei Jahren als das größte Unheil für Preußen erschien. „Der Starke ist immer oder wird schließlich immer populär“ schrieb er im Hinblick auf den verschrieenen Junker in demselben Augenblick, als seine alten Freunde aus dem Ministerium schieden und zu einer Zeit, da die Junkerpartei ihn aus seiner Stellung beim Kronprinzen zu verdrängen suchte. Der Beweggrund lag für die Conservativen in der Thatsache, daß D. eben als unverbesserlicher Liberaler galt und der Kronprinz mit ihm vollkommen einig war. D. war aber nicht gewillt, vor den Conservativen das Feld zu räumen. „O! wohlfeil gebe ich es ihnen nicht“, rief er gegen seinen Freund Bernhardi aus. „Ich werde mich tüchtig wehren.“ Gleichwohl verhehlte er sich nicht, daß auch seine [185] Stellung beim Kronprinzen von außerordentlicher Schwierigkeit zu werden schien. Denn als nun ein conservatives Ministerium, freilich noch ohne Bismarck, gebildet wurde, entstand die Gefahr, daß der Kronprinz wegen seiner liberalen Grundanschauung mit seinem Vater in Differenzen kommen könnte. D. war scharfsinnig genug, um die möglichen Consequenzen gleich voll auszudenken, und er erblickte als treuer Patriot in der Verhinderung eines Zerwürfnisses zwischen Monarch und Thronfolger fortan seine Mission. Sofort nach Bildung des neuen Ministeriums schrieb er daher an den Kronprinzen (am 19. März 1862): „Es liegt weder im Interesse des monarchischen Princips noch im Interesse der Königlichen Familie, der Welt das Schauspiel auch nur des Scheins eines Zerwürfnisses zu geben. Andererseits wäre es auch im Interesse des Königs und des monarchischen Princips, diesen Zwiespalt zu vermeiden. Diesem die Schärfe und Spitze zu nehmen, kann es von Nutzen sein, wenn dem Lande in der Haltung des Kronprinzen die Aussicht auf eine andere Politik erhalten und gezeigt wird.“ Seine abweichende Ansicht könne der Kronprinz bei den Sitzungen des Staatsministeriums durch zurückhaltendes Benehmen bekunden. „Seiner Majestät gegenüber würde Seine Königliche Hoheit hervorheben können, daß das Verfahren der im Amte gebliebenen Minister bei der Beseitigung ihrer liberalen Collegen Höchstihnen Zurückhaltung auferlege, die dadurch noch bestimmter geboten sei, daß ein aufrichtiges Aussprechen der Höchsten Auffassung nothwendig auf eine oppositionelle Haltung hinauskommen würde, die Seine Königliche Hoheit entschieden vermeiden wolle.“ Es war ein schmaler Pfad, den D. dem Kronprinzen wies. Wich der Thronfolger von dieser Linie ab, so war die Stellung seines Rathgebers erschüttert. Fürs erste folgte der hohe Herr der Duncker’schen Richtschnur; ja er setzte sich für ihn ein, als im Sommer der Versuch gemacht wurde, D. dadurch von ihm zu trennen, daß man ihn als Professor für alte Geschichte in Bonn in Vorschlag brachte, indem er mit Entschiedenheit erklärte, er wünsche seinen vortragenden Rath nicht zu verlieren. Und dabei hatte D. kurz vorher energisch Einsprache gegen eine Reise des Kronprinzen nach England erhoben und ihn, als er doch hinreiste, zu schleuniger Rückkehr aufgefordert, da er sonst zu sehr in einen Gegensatz zu den preußischen Verhältnissen hineingedrängt werden würde. Parteiformeln traten für D. angesichts der Lage immer mehr zurück. Er sprach das gelegentlich auch dem Kronprinzen offen aus: Vor der Mißachtung Preußens, die sich in dem Benehmen des Kurfürsten von Hessen zeige, „müssen“, so meinte er, „alle Erwägungen des Liberalismus oder Conservativismus, alle Bemühungen, Deutschland zusammenzuhalten, zurücktreten“. Abermals suchte er auf militärische Besetzung Hessens hinzuwirken und bestürmte Roon deswegen. Als nichts daraus wurde, schrieb er außer sich vor Empörung an Gruner: „Sie haben dem Bunde Gelegenheit gegeben, den bösen Ruf seiner Schwerfälligkeit zu widerlegen und seine Autorität auf Preußens Kosten gestärkt. Sie haben die Machtfrage, die Ehrenfrage für Preußen vollkommen fallen lassen, aber Sie haben großmüthig den Hessen zu Ihrem Rechte verholfen. Sie haben die Politik von Olmütz gemacht, die darin besteht, die Machtfragen aus der Hand zu geben“. Aber solche zornigen Worte bedeuteten in seinem Munde niemals Preisgeben der Sache; niemals gab er die Hoffnung auf, daß es besser werden würde; niemals verlor er den Muth, selbst helfend einzuspringen.

Freilich war er jetzt nicht mehr so für Bismarck’s Berufung, durch die die heillosen Wirren wegen der Heereereform beendigt werden sollten. Noch im letzten Augenblick, zwei Tage vor dem 22. September, an dem König Wilhelm seinen Bund mit Bismarck schloß, suchte D. durch den Kronprinzen [186] einen Ausgleich herbeizuführen, indem dieser den König in der Frage der zweijährigen Dienstzeit zum Nachgeben bestimmen sollte. Da dieser Versuch mißlang, so galt auch für D. Bismarck als die einzige Rettung. Aber den Eintritt des gewaltigen Mannes ins Ministerium begrüßte er nicht mehr so freudig. Er meinte: „Eine zum Schlagen bereite auswärtige Politik hätte früher die Organisation durchgebracht: jetzt wird man sagen, es soll ein Krieg vom Zaune gebrochen werden, um die dreijährige Dienstzeit zu machen“.

Die starke Hand des neuen Ministers machte sich alsbald fühlbar. D. formulirte sich sofort für alle Fälle die Aufgabe, durch den Kronprinzen einem Verfassungsbruch entgegenzuwirken. Fürs erste ließ sich das Regieren Bismarck’s in seinen Augen günstig an; der Minister gewann sogar Fühlung mit D. und zeigte sich geneigt, seinen Rathschlägen Gehör zu schenken. Denn D. versäumte nicht, dem Minister in allerlei Berichten und Denkschriften seine Ansichten über das, was ihm nöthig schien, zu entwickeln. Bismarck unterließ es dafür seinerseits nicht, dem Kronprinzen durch D. Rathschläge zukommen zu lassen. Sehr bald erkannte D., daß der neue Minister eine geradezu unerschütterlich feste Stellung einnahm. Als Bernhardi Ende December die Ansicht äußerte, Bismarck’s gewagte Politik führe zum Sturz des Ministeriums, erwiderte er bestimmt: „Bismarck tritt nicht zurück“. Aber ihm begann dabei zu grausen; er fürchtete eine Verschleppung der Dinge „mit starker moralischer Unterwühlung der Dynastie“. Darum suchte er auf das Ministerium besänftigend einzuwirken, indem er Roon durch Bernhardi zu bearbeiten unternahm. Die tobenden Wellen des parlamentarischen Kampfes erschreckten ihn. „Es ist ein Ständekampf daraus geworden – ein Kampf des Bürgerthums gegen das Junkerthum“ rief er. Ganz aus der Fassung kam er, als Bismarck am 8. Februar, ohne sich an Duncker’s Warnungen zu kehren, durch Gustav Alvensleben die weitausblickende Convention mit Rußland abschließen ließ. Er sprach von „subalternen“ Maßregeln und „Etourderien“ des Ministers, weil er davon die Isolirung Preußens gegenüber Frankreich, Oesterreich und England befürchtete. Zwar warnte er den wieder in England weilenden Kronprinzen ängstlich vor einer Preisgabe des Vertrages, aber er war doch gewillt, dem Kronprinzen zu rathen, seine Reserve fallen zu lassen. „Eine Reserve aus Pessimismus haben Eure Königliche Hoheit niemals beabsichtigen können und niemals beabsichtigt.“ Als im Mai Schließung des widerspenstigen Landtages erfolgte, da meinte er starr: „Bismarck ist ein Spieler, der die Existenz Preußens, die Existenz der Dynastie ohne Bedenken einsetzt“. Wohl ermaß er das Ziel des Staatsmannes, dem es darauf ankam, die Gemäßigten an die Wand zu drücken, um ganz klare Verhältnisse zu schaffen. Doch dies Vorgehen schien ihm allzu gewaltthätig. Er hielt jetzt den Augenblick für gekommen, in dem der Kronprinz Verwahrung gegen das System der Regierung einlegen könnte. Und er ertheilte dem Thronfolger diesen Rath. Freilich zum offenen Zerwürfniß, das sagte er sich auch diesmal, mit dem Träger der Krone durfte es nicht kommen. D. rieth dem Kronprinzen daher entschieden davon ab, seinen Standpunkt durch die Presse zur Geltung zu bringen: „Dieser versteckte Weg ist gegen die Würde Euerer Königlichen Hoheit“.

Immer schmaler wurde der Pfad, auf dem der Kronprinz und sein Berather wandelten; selten entwickeln sich die Dinge so harmonisch, daß so eng vorgezeichnete Linien dauernd innegehalten werden können. Zwar war der Kronprinz jetzt selbst noch zurückhaltender als D. es wünschte; der hohe Herr entschloß sich nur widerstrebend, Duncker’s Rath zu folgen und sich brieflich an seinen Vater mit der Bitte zu wenden, nicht das Recht anzutasten. [187] Tags darauf, nachdem er ein solches Schreiben abgeschickt hatte, am 1. Juni, erschien die bekannte Preßverordnung, durch die Bismarck den stärksten Beweis dafür erbracht hat, wie wenig wählerisch er in seinen Mitteln war, wenn sie ihm geeignet schienen, gegnerische Strömungen auszuschalten, und wie völlig gleichgültig ihm Rechtsnormen waren, wenn er das Staatsinteresse wahrzunehmen gedachte. Als die Preßverordnung erschien, war D. nicht in der Umgebung des Kronprinzen, da dieser nach Ostpreußen abgereist war. Es war offenbar ein Fehler Duncker’s, daß er dieser Trennung nicht vorgebeugt hatte; denn nun sah er sich darauf beschränkt, brieflich auf den hohen Herrn einzuwirken. Am 2. Juni erstattete er ihm Bericht über die Verordnung und kritisirte sie scharf. Zugleich knüpfte er daran mit äußerster Vorsicht seine Rathschläge. Er stellte dem Kronprinzen vor, daß auch die mildeste Form des Widerspruches in Gestalt eines Schreibens an den König verbunden mit dem Verlangen, daß sein abweichendes Votum in die Protokolle des Staatsministeriums aufgenommen würde, zu einem Zwiespalt mit seinem Vater führen könne. Aber die nöthigen Entwürfe für den Fall, daß der Kronprinz sich zu einer Kundgebung entschließe, legte er doch bei, und deutete damit dem hohen Herrn an, was er selbst, wie der Biograph Duncker’s, Rudolf Haym, von diesem sagt, „ohne Zweifel erwartete und wünschte“, nämlich daß der Thronfolger bei dem Könige schriftlich Verwahrung gegen die Verordnung einlegte. Der Kronprinz entschloß sich in der That, am 3. und 4. Juni an seinen Vater im Sinne der Duncker’schen Vorschläge zu schreiben. Währenddessen empfand D. wohl einige Unruhe über sein eigenes Vorgehen. An demselben 4. Juni, an dem der Kronprinz schrieb, beschwor er ihn „jeden Schritt zu vermeiden, der die Zukunft gefährden könnte“. Namentlich warnte er ihn davor, seine abweichende Meinung öffentlich auszusprechen. Das hieße der Regierung Schwierigkeiten bereiten, dadurch würde er Führer der Opposition und dann wäre der Bruch mit dem Könige da. Tags darauf warnte er nochmals: Um keinen Preis demonstrative Haltung! Für den Kronprinzen gäbe es einen verfassungsrechtlichen Weg, seine abweichende Meinung zur Geltung zu bringen, nämlich im Staatsministerium. Das war ein Rückzug. Denn hierin lag die Abmahnung von einem Schreiben an den König, das er doch selbst eben gewünscht, wozu er noch am 2. Juni Entwürfe eingereicht hatte. Währenddessen ereignete sich das Unheil. Provocirt durch den Oberbürgermeister Winter in Danzig sprach der Kronprinz im ehrwürdigen Rathhause der alten Hansestadt die bekannten Worte, die sich gegen die Regierung seines Vaters richteten.

D. war bestürzt und verhehlte dem hohen Herrn nicht, daß er seinen Schritt für höchst bedenklich halte. Zu Bernhardi äußerte er, der Kronprinz hätte sich in Danzig darauf beschränken sollen zu sagen: die Motive der neuesten Verordnungen seien ihm nicht bekannt. Er hielt fest an seinem unbedingten Tadel des kronprinzlichen Auftretens, auch als es der sonst so maßvolle Bernhardi in gewissem Sinne vertheidigte. Zugleich ging er aber auch positiv vor, indem er dem Kronprinzen dringend von weiteren derartigen Aeußerungen abrieth; denn er befürchtete, daß der hohe Herr, verführt durch den Beifall der Opposition, zu neuen Kundgebungen schreiten könnte. Als man liberalerseits jetzt das Schicksal der Stuarts und Bourbons als Schreckgespenst an die Wand zu malen begann, arbeitete er einem solchen Treiben entgegen und schrieb an Saucken-Julienfelde: „Ich finde es unverantwortlich, den Kronprinzen durch solche Vergleiche zu beunruhigen und ihn zu Thaten für die Rettung der Dynastie aufzufordern, die, bis jetzt wenigstens, keineswegs gefährdet ist. Es ist dies kaum minder unverantwortlich als die Insinuationen der Gegenseite, welche die Stellung des Prinzen seit Danzig mit der des [188] Herzogs von Orleans gegen Karl X. vergleichen“. Er erlebte die große Genugthuung, daß der Kronprinz ihm einräumte, unrichtig gehandelt zu haben, und ihm die Zusicherung gab, niemals wieder eine Ansprache zu beantworten. Da aber geschah es, daß Mittheilungen über den Schriftwechsel, den der Kronprinz mit seinem Vater vor und nach der Danziger Begebenheit geführt hatte, durch eine Indiscretion in die Times gelangten und dadurch der klaffende Zwiespalt der Meinungen von Vater und Sohn aller Welt offenbar wurde. D. konnte nicht umhin, dem Kronprinzen sein tiefes Bedauern darüber auszudrücken; er sprach von „Streichen guter oder vielmehr böser Freunde“. Zwischen zwei Systemen, so stellte er dem Herrn vor, habe der Prinz sich jetzt zu entscheiden, zwischen dem, „das ich das englische System nennen möchte“, und dem entgegengesetzten, was D. seit langem empfahl. Jenes wolle, daß der Kronprinz sich abseits stelle; das andere bestehe, nach dem Beispiel des Vaters während der Regierung Friedrich Wilhelm’s IV., in der Vertretung der abweichenden Ueberzeugung im Staatsministerium. „Soweit ich mir zutrauen kann, Euerer Königlichen Hoheit kindliches und pietätvolles Herz zu kennen, ist die Rolle des Thronerben an der Spitze der Opposition nicht für Euere Königliche Hoheit geeignet.“ Diese Stellungnahme entschied das Schicksal des edlen Patrioten. Denn nun gerieth er mit Stockmar, der indirect die Verantwortung an der Veröffentlichung der Briefe trug, wenn er auch nachher angab, daß er das Bekanntwerden von Einzelheiten daraus nicht gewünscht hätte, sondern nur die Thatsache der brieflichen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn hätte bekannt werden lassen wollen, auseinander. Der Mann aber, der D. dem Kronprinzen nahe gebracht hatte, besaß auch die Macht, ihn wieder aus dieser Nähe zu verdrängen. Ebenso überwarf sich D. wegen dieser Sache mit Samwer, von dem es hieß, daß er sich auf Duncker’s Posten Rechnung machte.

Der Kronprinz antwortete auf Duncker’s Schreiben erst nach langer Pause, ohne auf die Vorstellungen des treuen Berathers näher einzugehen. Es war das ein erstes Zeichen, daß die entgegengesetzten Strömungen mehr Einfluß auf ihn gewannen. In derselben Zeit wurde von anderer Seite auf D. der Angriff eröffnet; Bismarck stellte ihn zur Rede. Zunächst, am 9. Juni, geschah es wegen des Danziger Vorfalls, weil das Ministerium in D. den Anstifter jener Demonstration argwöhnte. Der Minister v. d. Heydt hatte am 7. sofortige Amtsenthebung Duncker’s gefordert. D. weigerte sich, ohne Ermächtigung des Kronprinzen Auskunft darüber zu geben, in welchem Sinne er ihn berathen habe. Am 23. Juni wurde er wegen der Timesartikel befragt. D. konnte mit gutem Gewissen jede Mitwirkung an dieser Veröffentlichung bestreiten. Am selben Tage aber erfuhr er auch, daß König Wilhelm seine Weigerung am 9. übel vermerkt habe und daß infolgedessen seine Stellung beim Kronprinzen gefährdet sei. Bismarck erklärte ihm, er selbst habe ihn zwar gehalten, er würde ihn auch ferner, wenn die Sache wieder zur Sprache kommen sollte, zu halten suchen, da er ihn von früher zwar als einen Parteigegner, aber ebenso als Preußen kenne, doch werde dann möglicherweise ein anderer Rath von der Farbe des Ministeriums ihm zur Seite gestellt werden. So sah sich D. plötzlich zwischen zwei Feuern. Es zeigte sich, daß die neue Stellung, die er sich selbst auf den Leib zugeschnitten hatte, noch viel delikater und schwieriger war, als einst die Stellung als Leiter der officiösen Presse. König und Ministerium versicherten sich, daß D. an der Veröffentlichung des Schriftwechsels unschuldig war, am 17. Juli dadurch, daß Bismarck ihn auf Amtseid darüber vernahm. Tags darauf ging D. nach Putbus, wo der Kronprinz weilte, um dort zu erkennen, daß jetzt Samwer auf dem besten Wege war, sich an seine [189] Stelle zu setzen. Zwei Tage währte die Aussprache mit dem Kronprinzen und dessen Gemahlin. Schon damals wäre es fast zum Bruche gekommen, hätte es die milde Art des Kronprinzen nicht noch einmal vermieden, das trennende Wort zu sprechen.

Noch hielt die beiden auch ein starkes Band zusammen. Während D. mit Schmerz erkannte, daß der Thronfolger mit reißender Geschwindigkeit dem Banne der Fortschrittspartei verfiel, obwohl er doch ein Freund der Heeresreform war, wußte er sich doch wenigstens mit ihm in den Anschauungen über die jetzt herannahende Lösung der schleswig-holsteinschen Frage einig. Beide, der Kronprinz und D., traten energisch für die Erbfolge des Augustenburgers ein. Dies ermöglichte es auch noch einmal, daß D. mit Samwer, dem Hauptberather des Erbprinzen von Augustenburg, gemeinsame Sache machte. Seit einiger Zeit war er auf dem besten Wege gewesen, seine preußische Machtpolitik von der liberalen Reichsromantik zu befreien und sich Bismarck anzuschließen, da verführte ihn dieser alte Herzenswunsch, Schleswig-Holstein zu befreien, noch einmal, mit vollen Segeln in die unklaren Reichsvelleitäten hinabzugleiten und Bismarck auf Tod und Leben zu bekämpfen. Er beeinflußte Schleinitz, den er einst aus dem Auswärtigen Ministerium hatte verdrängen helfen, um durch ihn auf König Wilhelm zu wirken. Er suchte den Fürsten von Hohenzollern zu bewegen, von Düsseldorf nach Berlin zu kommen, um seinen Einfluß gegen Bismarck geltend zu machen. Dessen Ablehnung verhalf ihm endlich zu der Erkenntniß, daß er ihn immer überschätzt hatte. „Er hat keine Initiative!“ rief er unwillig. Dann wieder ließ er dem Könige Briefe von Vincke-Olbendorf über die dänische Sache zukommen, ein andermal suchte er ihn durch Bethmann-Hollweg im Augustenburgischen Sinne zu beeinflussen; und so erhielt König Wilhelm gleichsam jeden Tag eine Anregung im antibismarck’schen Sinne durch ihn. Auch den Großherzog von Baden und Herzog Ernst suchte er auszuspielen. Am 2. December 1863 zeigte einer der Hauptberather des Augustenburgers, Francke, an Theodor Bernhardi einen Brief Duncker’s, in dem dieser bedauerte, daß keiner der Fürsten, die die Augustenburgische Partei darum gebeten hatte, nach Berlin gekommen wäre; es hätte entscheidend sein können, denn zwei Mal hätte Bismarck „auf dem Wipp“ gestanden, so daß es nur noch eines geringen Druckes bedurft hätte, um ihn zu stürzen. So ließ der blinde Eifer für die Augustenburgische Sache diesen preußischen Patrioten die Stellung des Staatsmannes untergraben, der im Begriffe war, die schleswig-holsteinsche Frage in der glänzendsten Weise für Preußen zu lösen.

Nicht lange sollte es indeß dauern, bis D. erkannte, daß der Erbprinz Friedrich Preußen nicht hinreichend Entgegenkommen zeigte. Hierin trennte sich Duncker’s Auffassung der Sachlage bald von der, die der Kronprinz hegte. Immer deutlicher sollte es sich zeigen, daß Beider Wege auseinander führten. Auf Befehl des Kronprinzen folgte D. diesem bei Beginn des Krieges nach Schleswig. Hier wollte es ihm garnicht behagen, daß der Augustenburger schon als Regierung auftrat. Er rieth dem Erbprinzen sich direct mit König Wilhelm zu verständigen. Noch war der Kronprinz hierin mit seinem Rathgeber einer Meinung. Dagegen wuchs ihre Differenz in der Auffassung der allgemeinen politischen Aufgaben, wobei sich der Einfluß der noch in englischen Vorstellungen lebenden Kronprinzessin immer stärker geltend machte; diese wollte vor allen Dingen ein liberales Parteiregiment in Preußen haben. D. betonte dagegen, daß ein Parteiregiment in Preußen ein Unding sei, und insbesondere ein Regiment der Fortschrittspartei. Allmählich erwachte in D. auch das Verständniß für Bismarck’s Politik in der Elbherzogthümerfrage, insofern als er erkannte, daß der Minister zunächst darauf ausging, von den [190] Londoner Verträgen loszukommen. Um so dringender arbeitete er bei dem Erbprinzen darauf hin, daß er sich mit Preußen ins Einvernehmen setzte, aber alle seine Bemühungen waren vergeblich. Dem sich verbreitenden Gedanken an die Einverleibung der Elbherzogthümer durch Preußen stand D. noch im Mai 1864 ablehnend gegenüber. Er fand die Einverleibung allerdings für Preußen, Deutschland und selbst für die Herzogthümer wünschenswerth, denn diese würden dadurch wirthschaftlich und moralisch-politisch nur gestärkt. Allein er befürchtete, daß die Einverleibung europäische Schwierigkeiten hervorrufen und daß sie Mißtrauen bei den Klein- und Mittelstaaten wecken und deren engeren Anschluß an Oesterreich herbeiführen würde. Darum trat er fortgesetzt für den Augustenburger ein, trotz aller Fehler, die dieser nach seiner Meinung begangen hatte. Sollte die Einverleibung indeß doch beschlossen werden – so äußerte er am 15. Mai zu Bernhardi – so würde er sie nicht weiter „contrecarriren“, sie vielmehr nach Kräften zu fördern suchen. Man sieht, es fehlte also doch nicht mehr viel, daß er auch den Augustenburger fallen ließ; sein preußisches Herz begann auch in dieser Frage die Oberhand bei ihm zu gewinnen. Am 19. Mai bestellte ihn Bismarck zu sich, um durch ihn seine Wünsche an den Kronprinzen gelangen zu lassen. Außer einer Reihe von Concessionen, die D. bereits befürwortete, verlangte Bismarck von dem Augustenburger conservative Bürgschaften, Trennung von den unruhigen Liberalen Samwer und Francke, die die Regierung des Augustenburgers zu einem zweiten Gotha stempeln würden; im Weigerungsfalle drohte er mit der Einverleibung. Trotzdem D. innerlich für diesen Gedanken schon zu haben war, machte er doch seine Bedenken geltend. Auch bei weiteren Unterredungen mit Bismarck in diesen Tagen ließ er sie nicht fallen. Das Ergebniß war, daß er den Kronprinzen bestimmte, den Augustenburger zur Verhandlung mit Bismarck zu veranlassen, worauf die denkwürdige Unterredung zwischen dem leitenden preußischen Staatsmanne und dem Augustenburger am 1. Juni 1864 stattfand. Der Ausgang lehrte D., daß die Einverleibung näher rückte; „Bismarck behält Recht; er hat immer gesagt, wozu sollen wir da einen neuen Herzog einsetzen. Der Junker behält Recht“ sagte er mit einem Anflug von komischem Aerger am 6. Juni. Er ermaß zweifellos, daß der Augustenburger vor Bismarck die Rolle der Maus bei dem Löwen gespielt hatte, der mit der Maus machte, was ihm beliebte. Wiederum suchte er die Augustenburger zum Nachgeben zu bewegen (Brief an Samwer 15. Juni): „Ich kann nur sagen, schließt lieber heute als morgen ab, und so günstig für Preußen, daß Ihr nicht überboten werden könnt. Macht Ihr Euch damit abhängig von Preußen, so habt Ihr auch Preußen von Euch abhängig gemacht; kommt Ihr damit in die Hand Preußens und Bismarck’s, so habt Ihr auch die Hand des Königs für Euch gebunden“. Seine Darlegungen hatten zur Folge, daß die Gegnerschaft der Francke und Genossen sich gegen ihn nur noch verschärfte, und D. mußte immer mehr die tiefe Feindschaft dieser Elemente gegen Preußen erkennen. Dies brachte ihn dem Einverleibungsgedanken stetig näher. Am 15. December schrieb er: „Preußen kann unmöglich den Krieg geführt haben, um einen Feind in Schleswig-Holstein einzusetzen oder auch nur um einen neuen particularistischen Kleinstaat zu gründen“. So war er auf dem besten Wege, in das Bismarck’sche Fahrwasser überzulenken. Als ihn nun der Ministerpräsident am 8. März 1865 abermals zu sich bestellte und ihm seine Politik entwickelte, da ging dem durch die weitgehenden Februarbedingungen neuerdings zum Widerspruch gereizten D. zum ersten Male volles Verständniß für die Größe dieses Staatsmanns auf. Nicht nur daß Bismarck auf alle seine Einwendungen [191] gegen die Einverleibung, die der Minister als die einzige vernünftige Lösung bezeichnete, sofort Rath wußte, sondern vor allem die großartige Objectivität des Mannes, der als letztes Mittel die Aufrollung der Nationalitätenfrage im größesten Stile bezeichnete, imponirte ihm. Als Bismarck auf dieses Mittel zu sprechen kam, erwiderte D., das wäre allerdings ein Ausweg, „aber das glaubt Ihnen Niemand!“, mußte jedoch schweigen, als der Minister das als möglich zugab und hinzufügte: „Aber wenn es mir niemand glaubt, dann trete ich zurück und ein anderer macht die Sache, einer von Ihrer Couleur!“ Bismarck’s Einfluß ist es wol gewesen, wenn D. jetzt zu einer schärferen Beurtheilung der Mittelstaatenpolitik am Bunde gelangte. Schon früher hatte Gustav Freytag D. in diesem Sinne zu belehren gesucht. „Die deutsche Einheit, wie die Süddeutschen sie verstehen, ist nichts weiter als die Vernichtung Preußens; sie wollen Preußen unter ihren Fuß bringen und mit in die deutsche Kleinstaaterei verarbeiten“ erklärte D. am 26. März 1865.

Die augustenburgische Partei lohnte ihm seine Haltung mit giftiger Feindschaft. Als im April dieses Jahres der Abgeordnete Freese einen haßerfüllten Brief gegen Treitschke, Mommsen, Sybel, Droysen und insbesondere D., den „Einbläser und Ausbläser der Politik Bismarcks“ veröffentlichte, schickte Francke dem ehemaligen Freunde einen Abdruck ohne Begleitwort zu. Da antwortete D. am 4. Mai frei heraus: „Mein Herz hängt an diesem realen Preußen, dessen gesammte Geschichte seit 1640 die Rettung der deutschen Nation und der deutschen Existenz bedeutet. Für dies in harter Arbeit und ernster Pflichttreue gegründete Staatswesen verlange ich Erfolg und Macht. Gewiß würde eine liberale Politik im Innern auswärtigen Erfolgen höchst förderlich sein – obwohl mir leider sehr gegenwärtig ist, daß wir 1859–1862 unter dem liberalen Ministerium thatsächlich recht schwach innerhalb wie außerhalb Deutschlands waren. Aber weil Preußen diese liberale Politik heute nicht hat, ihm zu diesem Mangel noch Mißerfolge nach außen zu wünschen, oder zu solchen an meinem Theile beizutragen, dazu werde ich mich nie verstehen. Es ist meine tiefste Ueberzeugung, daß jeder Staat schließlich verloren ist, in welchem der innere Streit auf die auswärtige Politik übertragen wird“. Noch einmal setzte er dem Augustenburger zu Liebe alles in Bewegung, um den Kronprinzen und durch diesen den Erbprinzen Friedrich für die allerdings auf fast völlige Mediatisirung Schleswig-Holsteins hinzielenden Februarbedingungen zu gewinnen. Am 14. Juli 1865 stellte er dem Kronprinzen schriftlich vor: „Die weit überwiegende Mehrheit in Preußen will die Annexion. Die Armee will sie wie Ein Mann: sie will nicht für Herzog Friedrich, sie will für Preußen gefochten haben. Euere Königliche Hoheit sind Preußen mit stärkeren Pflichten verbunden als dem Herzog Friedrich. Es ist das Los der Fürsten, den Interessen ihres Staates dienen zu müssen, nicht den Neigungen ihres Herzens folgen zu dürfen. Es ist das Los der Fürsten, nicht da großmüthig sein zu dürfen, wo die Interessen des Staates dadurch gefährdet würden“. Aehnlich redete er auf den hohen Herrn in Berichten vom 18. und 22. Juli ein. Doch der Kronprinz weigerte sich, seinen Einfluß auf seinen Augustenburger Freund geltend zu machen. So mußte sein Verhältniß zu D. immer mehr erkalten. Als D. die Hetzarbeit der Kieler zu arg wurde, indem von ihnen ein angeblicher Ausspruch des Kronprinzen verbreitet wurde, D. sei ein Spion Bismarck’s, verlangte der Angegriffene (im December 1865) von dem hohen Herrn Schutz gegen solche Verunglimpfungen. Der Kronprinz lehnte ein Dementi kühl ab. Indeß ließ er sich im Anfang des neuen Jahres wieder von D. mündlichen Vortrag in Potsdam halten; aber D. hatte dabei das Gefühl, daß sein Einfluß im Erlöschen sei. Kaum gelang es ihm noch [192] in Einzelfragen durchzudringen, wie in dem Falle, wo es sich um Uebernahme des Protectorats der Baruch-Auerbach’schen jüdischen Waisenhäuser durch den Kronprinzen handelte und wo er dem hohen Herrn davon abrieth, weil es den darum Nachsuchenden lediglich um Befriedigung ihrer Eitelkeit zu thun sei. Trotz allem mochte er sich nicht entschließen, von seiner Stellung zurückzutreten; da er Beweise dafür hatte, daß Francke, Samwer, Stockmar und der Privatsecretär der Kronprinzessin v. Normann[WS 4] fortgesetzt eifrig auf seinen Sturz hinarbeiteten, kam er zu dem Schluß, daß seine Stimme doch noch etwas Geltung beim Thronfolger haben müßte. „So lange ich den Leuten in Kiel unangenehm bin, so lange gehe ich natürlich nicht“ ließ er sich vernehmen. Nach jeder Richtung hin fühlte er sich unglücklich in seiner Stellung, aber aus Patriotismus glaubte er ausharren zu müssen.

Als die Kriegsfrage näher rückte, da war D. Feuer und Flamme für die Entscheidung durch die Waffen. Schon im Februar 1866 bekannte er, daß es ihm beinahe nicht recht wäre, wenn Preußen seinen Willen in Schleswig-Holstein durchsetzte, ohne daß es darüber zum Kriege käme. Das führte ihn noch weiter weg vom Kronprinzen, ebenso von noch älteren Freunden, wie Gruner. Das doctrinäre und kleinliche Verhalten der alten Parteigenossen machte ihm ein längeres Zusammengehen mit ihnen unmöglich. So erfolgte in diesen Tagen sein völliger Anschluß an den großen Staatsmann, der Preußens Geschäfte leitete, und fortan blieb er ihm in unerschütterlicher Anhänglichkeit voller Bewunderung zugethan. Der Kronprinz zog gleichzeitig eine andere Persönlichkeit an sich heran, den Geheimrath Friedberg, und ließ sich durch diesen Vortrag halten. Nun merkte D., daß seine Stunde als Berather des Thronerben endgültig geschlagen hatte: Friedberg war ein Freund des Oberbürgermeisters Winter. Am 14. Mai hielt D. dem Kronprinzen noch einmal Vortrag auf der Fahrt von Potsdam nach Berlin. Vier Wochen darauf, am 12. Juni, als der Kronprinz zum bevorstehenden Kriege ausgerückt war, reichte er sein Entlassungsgesuch ein mit der Begründung, daß seine Thätigkeit in den letzten Monaten nur noch in geringem Maaße in Anspruch genommen worden sei, und mit der Bitte, beim Könige um eine anderweitige Verwendung im Staatsdienste, womöglich um eine Beschäftigung in den Archiven des Staates nachsuchen zu dürfen, „welche mich in den Stand setzen würde, die Kräfte und Tage, die mir noch übrig sind, für die Geschichte Preußens zu verwerthen“. Tags darauf erfolgte bereits mit ungewöhnlicher Schnelligkeit die Gewährung des Abschiedes von Schloß Fürstenstein i. Schlesien aus, wo sich das Hauptquartier des Thronfolgers befand. Kein geringerer als König Wilhelm selbst bedauerte diesen Entschluß seines Sohnes, indem er am 17. Juni an Bismarck schrieb, D. wäre ein viel besserer Berather für seinen Sohn als Friedberg, „weil vielseitiger gebildet“.

So schickte sich D. auf der Höhe seiner Kraft stehend – er zählte damals 54 Jahre, seine bewundernswerthe Spannkraft zeigte noch nicht die geringste Ermüdung – an, das Feld, das sein Lebenselement gewesen war, das der Politik, zu verlassen und Beschäftigung in einer Stellung zu suchen, die verglichen mit seiner früheren, nur als ein Ruheposten angesehen werden konnte. Er war aber weit davon entfernt, irgendwie darüber niedergeschlagen zu sein, daß er wiederum auf eine gescheiterte Mission zurückzublicken hatte. Bernhardi constatirt einmal ausdrücklich von ihm: „Niedergeschlagen ist er eigentlich nie“. Und doch war D. über seiner Politik nicht nur in eine unhaltbare Stellung gekommen, sondern auch mit der Mehrzahl seiner alten Freunde zerfallen; am meisten stimmte er noch mit Bernhardi überein. Ein Lichtblick war die Bekanntschaft mit Heinrich v. Treitschke, die er in dieser [193] Zeit machte. Der frische Gang der Ereignisse half ihm jetzt über etwaige Sorgen und Verstimmungen, die ihn beschleichen mochten, hinweg. Als der Krieg wahrscheinlich wurde, schon im April, fühlte er sich geradezu in eine gehobene Stimmung versetzt. Es war eine Stimmung, die seinen Freunden an ihm wohlbekannt war. Wenn er ihr im Gespräch Ausdruck gab, pflegten sich seine Wangen zu röthen und er war dann auch wohl zu gewagten Behauptungen geneigt. Es konnte ihm eine Genugthuung sein, daß der leitende Staatsmann in richtiger Würdigung der Bedeutung Duncker’s, zum Theil aber auch offenbar, um den empfänglichen Mann zu beeinflussen und für seine Zwecke auszubeuten, aufs neue Fühlung mit ihm suchte und ihm am 22. April seine deutsche Politik entwickelte. Dies bestimmte D. im Mai mit Bennigsen wegen des Anschlusses von Hannover an Preußen in Verbindung zu treten. Trotzdem er Bennigsen weit entgegenkam, war dieser nicht sehr zugänglich, sodaß D. mißmuthig an seinen alten Freund Baumgarten schrieb: „Bennigsen und Oetker und viele andere wünschen nichts sehnlicher als Bismarck Erfolge – und doch können sie nicht unterlassen, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen!“ Nach der Abreise des Kronprinzen ertheilte ihm Bismarck den amtlichen Auftrag, mit den nationalgesinnten Elementen in Baden und Hannover Fühlung zu unterhalten, was D. mit Freuden that. Am 16. Juni wurde D. angewiesen, als preußischer Civilcommissar nach Kassel zu gehen, um Preußens Interessen in Kurhessen zu vertreten und in dem besetzten Lande die einstweilige Verwaltung zu übernehmen. Er hatte sich dem commandirenden General zur Verfügung zu stellen und bei diesem die maßgebenden Gesichtspunkte des Auswärtigen Ministeriums geltend zu machen. Schon am 18. war er in Kassel und suchte dort Oetker auf, um mit dessen Hülfe eine provisorische Regierung zu bilden. Hier wiederholte sich genau der Vorgang, der sich wenige Tage vorher in Hannover zwischen dem jüngeren Bruder Duncker’s, dem Bürgermeister Hermann D. und Bennigsen abgespielt hatte: Oetker versagte sich dem preußischen Commissar. Am 19. traf D. den General Beyer in Guntershausen und verständigte sich mit ihm höchst glücklich über die zu treffenden Maßregeln. Er setzte für Beyer die Proclamation vom 21. Juni auf, in der die „Autorität des Kurfürsten für suspendirt“ und die Minister für abgesetzt erklärt wurden und in der sich der General vorbehielt, kurhessische Beamte mit der Fortführung der laufenden Geschäfte zu beauftragen. Mit seiner Berechnung auf die Gefühle der Kurhessen hieß es darin: „Das Staatsvermögen wird gewissenhaft geachtet werden“, und daß es bei loyaler Haltung der Bevölkerung später leicht sein würde „die Lasten des Kriegszustandes unter Heranziehung der Revenüen des Kurfürsten auszugleichen“. Dann griff D. auf den ihm von Oetker schon am 18. gegebenen Rath zurück, die bisherigen Decernenten in den Ministerien mit der Fortführung der Geschäfte zu betrauen. So angestrengt die damalige Thätigkeit für D. war, so viel Freude bereitete sie ihm. Er fühlte sich in der glücklichsten Stimmung. Am 22. schrieb er nach Hause: „Proklamationen und Ansprachen in Unzahl gemacht und verbreitet, fünf Minister abgesetzt und mehrere Verhaftungen vorgenommen – kurz, pascha-artig gewirthschaftet. Aber es geht Alles vortrefflich!“ D. war es, der aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wenn auch schweren Herzens im Hinblick auf den monarchischen Sinn der Kurhessen, am 23. die Verhaftung des Kurfürsten und dessen Wegführung bei Nacht und Nebel veranlaßte. Er fühlte sich bewogen, diesen Schritt Tags darauf in einem Schreiben an den Kronprinzen zu begründen. Alsdann erschien es ihm erforderlich, daß ein Statthalter für Hessen bestellt würde, und er richtete einen dahingehenden Antrag [194] nach Berlin. Er zweifelte nicht, daß die Wahl auf ihn fallen würde. Oetker, der Duncker’s Unruhe in seiner nicht genau umschriebenen Stellung bemerkte, beantragte ebenfalls Einrichtung eines Statthalterpostens und schlug D. ausdrücklich dazu vor. Bismarck war wol geneigt hierauf einzugehen, stieß aber beim Ministerium deswegen auf einen stärkeren Widerspruch als ihm lieb war, weil D. als zu unerfahren in der praktischen Verwaltung galt. So unterblieb die Einsetzung eines Statthalters. Dafür wurde ein Militärgouverneur, mit einem geschulten Verwaltungsbeamten zur Seite, bestellt. D. war enttäuscht und schrieb später: „Hätte man den Muth gehabt, mir nicht bloß die Einleitung, sondern auch die Fortführung in Kurhessen zu überlassen, ich hätte das Land für unbedingten Anschluß gewonnen, und diese Stimmung in Hessen hätte dann wesentlich auf Hannover gewirkt, wo wir einen guten Stützpunkt in Ostfriesland haben“. Bismarck bat er jetzt um Abberufung, indem er mit einiger Genugthuung auf seine Thätigkeit hinwies: „Es ist mir gelungen, den für die Einleitung und Vorbereitung unserer Position in Hessen, wie ich glaube, angemessenen Rath zur Geltung zu bringen, und dürfte hierbei kaum ein wesentlicher Punkt übersehen oder außer Acht gelassen worden sein“. Bismarck veranlaßte ihn nun wieder, die Dinge in Hannover in preußischem Sinne zu fördern. Daselbst traf D. am 2. Juli ein. Er fand dort aber die Sachlage viel schwieriger als in Kurhessen und garnichts für sich zu thun; daher kehrte er schon am 4. Juli nach Berlin zurück.

Es entsprach sehr seinem Wesen, daß er nach Königgrätz anfangs sofortige Abrechnung mit Frankreich wünschte, beruhigte sich dann aber in stolzer Freude über das Errungene: „Der Griff von Mainz bis zur Königsau, Frankfurt inbegriffen, ist kühn und groß, aber durchaus richtig“, da nunmehr das große Ziel, auf das die Geschichte seit der Zeit des großen Kurfürsten weise, erreicht sei. Wie Bismarck vertrat er im Gegensatz zu den Wünschen des Königs bei Feststellung der Friedensbedingungen die Verbindung der beiden Hälften der preußischen Monarchie und demgemäß die Einverleibung von Hannover und bestärkte zum mindesten durch seine schriftlichen Rathschläge den Grafen Bismarck in seinen Ansichten über diese Frage. Im October reiste er zum Besuche Mathy’s nach Karlsruhe und verlebte dort glückliche Stunden im Zusammensein mit diesem alten Freunde, Jolly, Baumgarten und Roggenbach. Wie verjüngt kam er sich vor, nachdem sein geliebtes Preußen so zur Macht gekommen war. Dem großen Staatsmanne sollte er bei dem Ausbau des Werkes behülflich sein, indem dieser ihm im August den Auftrag ertheilte, einen Verfassungsentwurf für den Norddeutschen Bund aufzusetzen, und im folgenden Monate von ihm eine staatsrechtliche Arbeit über die Verhältnisse der einverleibten Gebiete einforderte. Der von D. ausgearbeitete Verfassungsentwurf fand freilich nicht den Beifall Bismarck’s. Noch einmal wurde D. jetzt auch zum Volksvertreter gewählt, indem ihn sein altes Halle am 12. Febr. 1867 in den constituirenden Reichstag schickte. Bismarck selbst trat bei der Wahl in einem Schreiben an Duncker’s alten Gegner Heinrich Leo für D. in die Schranken, wodurch er allerdings geradezu Duncker’s Sieg gefährdete, da auf diese Weise viele mehr linksstehende Liberale abgesprengt wurden. Wie einst übernahm D. für die Zeit von Februar bis Mai wieder die politische Correspondenz für die „Preußischen Jahrbücher“. Am 7. Mai pries er dort die Errungenschaften: „Welch’ ein Unterschied zwischen den 73 Artikeln dieser Verfassung und den 20 Artikeln der deutschen Bundesacte vom 8. Juni 1815! Das deutsche Volk hat nicht vergebens gestrebt und gearbeitet: der phantastische Idealismus seiner Studenten und Demagogen, die Taschenausgabe des Constitutionalismus in den süddeutschen Staaten, der beharrliche Doktrinarismus [195] der süddeutschen Opposition, die ernste mühselige Arbeit der preußischen Bureaukratie in Preußen wie in der Schöpfung des Zollvereins, die ungestüme Bewegung des Jahres 48, die Kämpfe um die Gründung und den Ausbau, die Aufrechterhaltung der preußischen Verfassung, die herbe Zähigkeit des norddeutschen Junkerthums, die unablässige Sorge um die Erhaltung der Streitfähigkeit der preußischen Armee durch fast fünfzig lange Friedensjahre, die Hartnäckigkeit, mit welcher die Reorganisation aufrecht erhalten wurde – alle diese so weit auseinander liegenden Bestrebungen, alle diese Forderungen und Kämpfe, alle diese Arbeiten und Anstrengungen mit ihrer Verschlingung, mit ihren gegenseitigen Hemmungen und Einwirkungen waren erforderlich das große Ergebniß hervorzubringen, mit welchem Deutschland heute seine politischen Lehrjahre zu schließen im Begriff steht“.

Noch einmal schien es so, als sollte sein Vertrauen zu Bismarck wieder erschüttert werden: als Luxemburg aufgegeben wurde. Dies empfand er als einen nicht zu verwindenden Schlag für Preußen. Nach seiner temperamentvollen Art war er sehr unzufrieden, als die Kriegsflammen nicht gleich hell aufloderten, Bismarck vielmehr dies mit Fleiß vermied. Aber bald sagte D. doch einlenkend: „Indessen, Bismarck hat immer gut gespielt, man muß glauben, daß er auch diesmal gut spielen wird.“

Seine politische Entwicklung, insbesondere seine Stellung zur Militärfrage, hatte ihn jetzt dahin geführt, daß er den Conservativen näher stand, als den Liberalen. Infolge dessen schied seine Wahl für den neuen Reichstag durch Halle aus, da sich dort die Mehrheit von der altliberalen, jetzt sich auflösenden Partei zur neugebildeten nationalliberalen wandte. Sich von den Conservativen aufstellen zu lassen lehnte D. ab: er könne sich nicht gegen seine alten Freunde wählen lassen. So schloß denn jetzt auch seine parlamentarische Thätigkeit. Es that ihm wehe, sich politisch auf einmal vereinsamt zu sehen, um so mehr, als sein alter Wahlkreis an den Rufer im Militärstreit, den doctrinären General Stavenhagen übergegangen war. So trat er politisch ganz in den Schatten. Zwar wurde er im Frühjahr 1880 bei einer Nachwahl im 2. Berliner Reichstagswahlkreis von rechtsstehender Seite als Candidat aufgestellt, und abermals gab, wie schon 1867, Bismarck seinen lebhaften Wunsch zu erkennen, daß D. gewählt würde. Doch fiel er gegen einen Fortschrittler durch. Nur noch einmal betheiligte er sich an einer kleinen politischen Action. Zum 70. Geburtstage des Fürsten Bismarck am 1. April 1885 vereinigte er sich nämlich mit den noch lebenden Mitgliedern der erbkaiserlichen Partei zu einer Adresse an den Reichskanzler, deren Wortlaut er entwarf; Darin stattete er Dank ab „dem Manne, der unsern Glauben zur That gemacht und zum Ziele geführt hat: wer hat eindringlicher und schmerzlicher als wir erfahren, welche Kluft Streben und Erreichen, Gedanken und Vollbringen trennt?“

Psychologisch ganz begreiflich war es, wenn der Kronprinz es übel vermerkt hatte, daß D. sich durch Bismarck verwenden ließ. Infolge dessen unterließ er es, obwol er dazu anfangs seine Unterstützung zugesagt hatte, sich um Duncker’s Anstellung im Archivdienst zu bemühen, auch als D. ihn mehrmals daran discret zu erinnern wagte. Nun wandte sich D. an Bismarck mit dem Bemerken, es wäre ihm peinlich, das Brot des Staates ohne Gegenleistung zu essen. Bismarck beruhigte ihn darüber vollkommen; er dürfe sich ohne Scrupel der Muße erfreuen. Da die Verwendung in der Archivverwaltung auf sich warten ließ, obwol bereits Ende 1866 der Posten des Archivdirectors durch den Rücktritt Lancizolle’s freigeworden war, mochten sich Duncker’s Gedanken wohl wieder mit der Aufnahme der Lehrthätigkeit [196] beschäftigen. Sein wissenschaftliches Ansehen war im Laufe der Jahre außerordentlich gestiegen. Schon im Herbste 1862 konnte er die 3. Auflage des ersten Bandes seiner Geschichte des Alterthums besorgen. Im Februar 1867 beendigte er auch vom 2. Bande die 3. Auflage. Da damals Häußer starb, dachte Mathy ihn für Heidelberg zu gewinnen, und dementsprechend richtete das badische Cultusministerium eine Anfrage an D., ob er annehmen würde. Mathy übte, um auf seine Entschlüsse einzuwirken, eine feine Kritik an Duncker’s politischer Thätigkeit, indem er meinte, daß doch an allem Ende der wahre Gelehrte in der politischen Praxis fast immer schwächer sei als in wissenschaftlicher Erörterung politischer Fragen. D. war unschlüssig. Da erklärte ihm Bismarck, daß ihm sein Weggang unlieb sein würde; er wollte den Mann, der ihm immer eine Stütze sein konnte, nicht in seiner Nähe missen. Er stellte es ihm anheim, eine Stelle im Ministerium zu übernehmen. D. erklärte, daß ihm die Direction der Archive lieber wäre. Darauf Bismarck: „Wenn Sie das Archiv wollen, so haben Sie es“; er möge sich nur die näheren Modalitäten zurechtlegen. Aber die Angelegenheit verschleppte sich weiter. Auf eine nochmalige Anfrage beim Kronprinzen im Juni erhielt D. wieder keine Antwort. Da er aber den Heidelbergern antworten mußte, erinnerte er den hohen Herrn am 19. Juni ausdrücklich an sein Versprechen. Nun endlich äußerte sich der Kronprinz und theilte D. mit, daß er bei Bismarck Schritte in seinem Sinne gethan hätte. Am 26. Juni ließ ihm Bismarck eröffnen, daß „in Veranlassung eines Schreibens Seiner Königlichen Hoheit vom 21. d. M.“ das Staatsministerium beschlossen habe, ihm die fragliche Stellung am Archiv unter definitiver Beibehaltung seiner bisherigen Bezüge zu verleihen. Am 8. Juli 1867 erfolgte Duncker’s Ernennung zum Director der preußischen Staatsarchive. Damit war ihm der innerste Wunsch, den er jetzt hegte, erfüllt. Wieder einmal hatte er sich selbst seine Stellung verschafft; hoffte er doch in ihr seine wissenschaftlichen und politischen Neigungen zugleich befriedigen zu können. Bernhardi, der seinen Werth vielleicht am genauesten kannte, beklagte, daß man D. nicht besser zu verwenden wüßte; der geistvolle Militärhistoriker ahnte gleich, was D. sich nicht sagte, daß sein Freund politisch nicht mehr zur Geltung kommen würde.

Sehr bald zeigte es sich, daß ein Mann von rascher Thatkraft, der gern regierte, die Leitung der preußischen Archive übernommen hatte. Schon am 31. August, wenige Wochen nach seinem Eintritt, erließ D. eine grundlegende Dienstanweisung für die Archivbeamten, die noch heute (1903) in Kraft ist. Er bewirkte sodann die Verlegung des Geheimen Staatsarchivs aus dem unzureichenden Parterregeschoß des königlichen Schlosses in das altehrwürdige Lagerhaus, das zu diesem Zwecke eingerichtet wurde, und vereinigte damit das u. a. die Acten des Generaldirectoriums umfassende Ministerialarchiv. Noch gegenwärtig beruhen in den von D. gewählten, inzwischen allerdings sehr erweiterten Räumen die Acten der preußischen Centralbehörden. Ein höchst glücklicher Gedanke war es ferner von ihm, das kurhessische Archiv von Kassel in das für diese Zwecke besonders geeignete Marburger Schloß zu verlegen und damit das Fürstlich Hanauische und das Stiftisch-Fuldische Archiv zu vereinigen. In Hannover ließ er die Archive zu Stade und Hildesheim eingehen und vereinigte deren Bestände mit denen des Staatsarchivs der Provinzialhauptstadt; dafür begründete er für Ostfriesland ein selbständiges Archiv in Aurich. Weniger glücklich war es, daß er die nassauischen Archive in dem kleinen Idstein statt in Wiesbaden und die Archivalien der Elbherzogthümer, soweit er sie zusammenbringen konnte, in Schleswig statt in der Universitätsstadt Kiel unterbrachte. Seine Verwaltung [197] war äußerst sparsam, geradezu knauserig. „Preußen“, so pflegte er zu sagen, „habe sich heraufgehungert und müsse sich weiterhungern“. Daher konnte sich jemand bei ihm besonders einschmeicheln, der in ihm den Glauben erweckte, daß er es mit einem anspruchslosen Manne zu thun habe. Aber diese Sparsamkeit brachte u. a. den Uebelstand zu wege, daß sich einzelne seiner Bauten sehr bald als ganz ungenügend erwiesen und in verhältnißmäßig kurzer Zeit Neubauten erforderlich wurden. Mit einer gewissen Genugthuung blickte er auf sein Regiment und meinte wohl: der preußische Staat könne zufrieden sein, daß er ihm seine Archive verwalte. Dabei war ihm die Verwaltung geradezu langweilig. Sein Sinn ging viel mehr auf die Forschung. Es ergab sich von selbst, daß der Historiker des Alterthums sich jetzt vorzugsweise der neueren Geschichte zuwandte. Schon in der Zeit, als er politischer Berather des Kronprinzen war, hatte er Gelegenheit gefunden, anregend für die Erforschung der preußischen Geschichte zu wirken, indem er im Juli 1861 im Verein mit Droysen den Kronprinzen bewog, das große, später ins Stocken gerathene Unternehmen der Herausgabe von Acten zur Geschichte des großen Kurfürsten ins Leben zu rufen, von dem im Herbst 1864 der erste Band erschien. Glücklicher gegründet war ein anderes, ebenso großes Unternehmen, das er als Mitglied der Akademie der Wissenschaften zusammen mit Droysen, der nach Mathy’s Tode sein nächster Freund war, in Gang brachte, die Herausgabe der politischen Correspondenz Friedrichs des Großen. Er selbst schrieb eine Reihe ausgezeichneter Abhandlungen zur preußischen Geschichte, die sich auf archivalischem Material aufbauten. Er faßte sie in einem Bande zusammen, dem er den Titel gab: „Aus der Zeit Friedrich’s des Großen und Friedrich Wilhelms III.“ Sie waren reich an wichtigen Aufschlüssen und lebendig geschrieben, wenn Duncker’s Stil auch schwer zu nennen ist. Vom wissenschaftlichen Standpunkte ist gegen diese Aufsätze am meisten einzuwenden, daß sie doch recht borussisch sind. Die ruhige Unbefangenheit der neueren preußischen Geschichtschreibung war D. noch nicht eigen. Er sieht alles vom rein preußischen Standpunkte, viel mehr wie Treitschke. Lediglich als Anwalt des Preußenthums tritt er auf, während Treitschke doch bei aller Eingenommenheit für Preußen auch wieder eine großartige Stellung über den einzelnen preußischen Dingen und Personen bewahrt. Die neue Thätigkeit gewährte D. abermals nicht die ersehnte Befriedigung. Er hatte davon geträumt, daß er in seiner Stellung noch öfter politisch nützlich wirken könnte; davon war gar keine Rede. Auch sonst mag sein neuer Beruf nicht immer erquicklich gewesen sein. Als im Frühjahr 1872 die Tübinger ihn wieder berufen wollten, wäre er fast gegangen. Dafür übernahm er seit October 1872 an der Kriegsakademie Vorträge über neuere Geschichte, die er vierzehn Jahre hindurch bis kurz vor seinem Ende fortsetzte. Sie gewährten ihm mehr Befriedigung als seine Stellung als Archivdirector, die er nur sieben Jahre bekleidete und am 28. September 1874, als er dem Vicepräsidenten des Staatsministeriums untergeordnet wurde, aufgab.

Politisch wandte er der unpraktischen Art des Liberalismus immer mehr den Rücken. Ihn schmerzte auch das Sinken der Ethik im deutschen Volksleben. Die Attentate schienen ihm ein Zeichen dafür, ebenso die Angriffe der Presse auf die Religion und Kirche, obwohl er kein Kirchenbesucher war und eine kritisch freie Stellung zur Bibel einnahm. Die selbstgefällige religiöse Gleichgiltigkeit der gebildeten Welt betrachtete er als ein Zeichen innerer Schwäche. Selbst von der mütterlichen Seite her jüdischer Abstammung, besaß er doch die große Unbefangenheit, die antijüdische Bewegung nicht zu verurtheilen, sondern fand, daß sie nicht ohne Grund sei, und hegte die Hoffnung, [198] daß sie gute Früchte tragen würde, insofern als sie vielleicht „die Herren von jener Seite etwas bescheidener“ machen würde.

Große Freude erlebte er an seiner „Geschichte des Alterthums“, die er bis zum Tode des Perikles fortführte. Das schließlich auf neun Bände anwachsende Werk war mittlerweile ein standard work der Geschichtslitteratur geworden. Mochten manche Stücke durch ihre Breite ermüdend wirken und die Form ihre Mängel haben, so war das Ganze doch eine außerordentliche wissenschaftliche Leistung. Eine erstaunliche Fülle historisch-philologischen Wissens verband sich darin höchst glücklich mit tiefgehendem philosophisch-politischem Urtheil. Das Werk erlebte fünf Auflagen und wurde ins Französische und Englische übersetzt, die Geschichte Griechenlands auch ins Italienische. Dieser Theil, die griechische Geschichte, gelang ihm am besten. Als D. die Gestalt des Themistokles zeichnete, da ward ihm in ihr die ragende Figur des Staatsmannes lebendig, von dem er Politik gelernt hatte. Mit ganz andern Augen sah er doch die Geschichte an, seitdem er selbst praktisch an der Politik betheiligt gewesen war. Damals hatte er, wie Treitschke hervorhebt, „sich die lebendige Anschauung vom Staate gebildet, deren kein Geschichtsschreiber großen Stils entrathen kann“. Das Bewußtsein, daß sein Preußen das errungen hatte, was er selbst mit allen Kräften seiner Seele erstrebte, verklärte ihm den Abend seines Lebens. So viel er geirrt hatte, ein so köstliches Gefühl war es ihm doch, mitgearbeitet zu haben. Während Bismarck indeß allmählich in der Reichsidee aufging, kehrte D. umgekehrt später mehr das Preußenthum heraus. Wie dem Könige, so behagte auch ihm anfangs der Kaisertitel nicht. Er meinte 1870: „Mir persönlich ist der Titel unerwünscht. Ich ziehe entschieden das nüchterne Präsidium und das Feldherrnamt vor und verstehe mich äußersten Falles zum deutschen Königthum. Im Jahre 1848 mußten wir unbedingt an die Reichstradition anknüpfen, da Preußen versagt hatte. Jetzt stehen die Dinge anders: es muß vielmehr an die preußische Tradition angeknüpft werden. Ich fürchte den Prunk und das Ceremoniell, das sich daran hängen wird, ich fürchte das Großdeutschthum, das darin liegt. Der Titel ruft alle Irrwege unserer Nation ins Gedächtniß und nimmt den preußischen Bauern ‚unsern König‘. Plus être que paraître!“ Mit Freuden sah er in dem christlichen und nationalen Enthusiasmus der Studenten den Idealismus der alten Burschenschaft wieder aufleben. Als Droysen 1884 starb, wurde D. zum Historiographen des Hauses Brandenburg ernannt. Am 16. Juli 1884 war es ihm vergönnt, sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum zu feiern, ein „Erntefest“, wie er es nannte; die Akademie der Wissenschaften, der er seit 1873 angehörte, sprach damals durch Sybel, die Berliner Universität durch Treitschke, Halle durch seinen Schüler Boretius Worte des Lobes und Preises zu ihm. Eine besondere Ehrung war es für ihn, als ihm Droysen’s Lehrstuhl angeboten wurde; jetzt aber fühlte sich D. zu alt, um noch einmal ein Lehramt zu übernehmen. Fast fünfundsiebzigjährig hat er am 21. Juli 1886 auf der Fahrt nach Pontresina, wo er von Leiden Heilung suchen wollte, in Ansbach sein arbeitsreiches Leben beschlossen. Er ruht auf dem Zwölfapostelkirchhof in Berlin zwischen Nitzsch und Droysen. Ein Marmorstein mit seinem von Helene Wohlgeboren geschaffenen Broncerelief kennzeichnet die Stätte. Kinder waren ihm nicht beschieden. Seine geistreiche Gattin, die ganz in seinem Denken und Trachten ausging – es sei keine Frau, sondern ein Wesen, sagte Mathy von ihr – folgte ihm vier Jahre später im Tode nach.

Will man Duncker’s Gesammtpersönlichkeit mit einem Worte kennzeichnen, so wird man sagen müssen, daß er ein durch universale Bildung, aber auch [199] durch politische Begabung ausgezeichneter preußischer Patriot von ungewöhnlicher Charakterfestigkeit und höchstem Schwunge der Seele gewesen ist.

Rudolf Haym, Leben Max Duncker’s, Berlin 1891. – Außerdem: Duncker’s Schriften; Stücke aus Duncker’s Nachlaß, in Verwahrung des Oberstlieutenants v. Mühlenfels in Oels; Bernhardi’s Tagebücher. – Treitschke, Max Duncker in Hist. u. pol. Aufs. IV, 401 ff. – Nasemann, Max Duncker, Grenzboten 1886, S. 361–372. – Reinhold Brode, Max Duncker, in d. biogr. Jahrb. f. Alterthumsk. 1886, S. 147–174; – ders., Max Duncker’s Antheil a. d. dtschn. Geschichtschreibung, Forsch. z. brandenb. u. preuß. Gesch. VI, 159–185. – Constantin Rößler, D. Leben Max Dunckers, Preuß. Jahrbücher 68, 404 ff. – H. Kohl, Bismarckjahrbuch IV, 193–196. – Max Lenz, Gesch. Bismarck’s. – H. v. Poschinger, Unter Friedrich Wilhelm IV., I, 418/419; II, 60/61; – ders., Fürst Bismarck u. die Parlamentarier II, 90; III, 13. – Marg. v. Poschinger, Kaiser Friedrich. – Philippson, D. Leben Kaiser Friedrichs. Wiesbaden 1900. – R. Haym, Aus meinem Leben. Berlin 1902; – Schrader, Gesch. d. Univ. Halle II, 283. – Fürst Bismarck, Gedanken u. Erinnerungen I, 316–320; – ders., Anhang z. d. Gedanken u. Erinnerungen I, 152/153; II, 345. – Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung. Wiesbaden 1897. Insbes. S. 727. – Samwer in der A. D. B. XXXVI, 311. – Steindorff, ebd. XXX, 332. – Simson, Lebenserinnerungen. Lpz. 1900. – Oetker, Lebenserinnerungen III.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Fanny Duncker (1791–1869), Tochter des jüdischen Bankiers Wolff Levi, der seit Konvertierung zum Christentum 1810 den Namen Delmar annahm.
  2. Direktor des Kriminalgerichts und Hausvogtei-Gefängnisses, Untersuchungsrichter bei den sog. Demagogen-Prozessen; Vater des Juristen Otto Dambach (1831–1899).
  3. Luise, Prinzessin von Preußen (1838–1923), als einzige Tochter von Prinz Wilhelm von Preußen (1797−1888), dem späteren Deutschen Kaiser Wilhelm I., und jüngere Schwester von Prinz Friedrich Wilhelm (1831–1888), dem späteren deutschen Kaiser Friedrich III.; seit 1856 als Ehefrau von Großherzog Friedrich I. (1826−1907) Großherzogin von Baden.
  4. Karl von Normann (* 21. September 1827 in Franzburg; † 17. Juli 1888 in Braunschweig), preußischer Offizier, Hofbeamter und Diplomat.