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RE:Esuvius 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Tetricus, Gallischer Gegenkaiser im 3. Jh. n. Chr.
Band VI,1 (1907) S. 696704
Tetricus I. in der Wikipedia
GND: 118801694
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Esuvius. 1) C. Pius Esuvius Tetricus, einer der gallischen Gegenkaiser im 3. Jhdt. n. Chr.

I. Quellen. Die Geschichte der Männer, die in der Zeit der Wirren im römischen Kaiserreich den westlichen Reichsteil selbständig beherrschten, ist nur notdürftig aufgehellt. Die Reihe dieser Usurpatoren beginnt mit Postumus, der sich unter Gallienus erhob, und schließt mit Tetricus, dessen Herrschaft unter Aurelian ein Ende fand. Wie die Quellen über diesen Zeitabschnitt überhaupt wenig ergiebig und noch weniger zuverlässig sind, so gilt dies in besonders hohem Maße im Hinblick auf das gallische Gegenreich. Die knappen, entweder von einander abhängigen, bezw. auf eine einzige Urquelle zurückgehenden, oder einander widersprechenden Notizen der Epitomatoren und der krause Wirrwarr von Berichten, die Wahres und sichtlich Gefälschtes willkürlich vermengen, werden allerdings in erwünschter Weise ergänzt durch die untrüglichen und bei unscheinbarer Fassung doch gehaltreichen Zeugnisse der Inschriften und Münzen.

Gerade von Tetricus besitzen wir nicht wenige Inschriften, fast ausschließlich Meilensteine, wodurch wir Namen und Titulatur dieses Kaisers genauer kennen lernen, die Ausdehnung des Reiches ermessen, in Tetricus Tätigkeit und staatsrechtliche Stellung Einblick erhalten. Die Meilensteine sind zuletzt zusammengestellt worden bei Decombe, Bézier et Espérandieu Les milliaires de Rennes 1892 (im folgenden als Espérandieu zitiert). Es sind zunächst acht, die Tetricus selbst nennen: 1. aus Rom bei Poitiers, Espérandieu 56, 1 = Dessau 566; 2. aus Saint-Léger-Magnaseix bei Limoges, Espérandieu 58, 6 = Rev. archéol. XXVI (1873) 131; [697] 3.–5. aus Rennes, Espérandieu 55, 11–13; 6. aus Dijon, Espérandieu 57, 4 = Rev. arch. XVI (1867) 58. XV (1890) 407; 7. und 8. aus Bittern bei Southampton, CIL VII 1150.[1] 1151; ferner zwei, wo er in der Filiation seines Sohnes erwähnt ist: 9. aus Rouen, Espérandieu 59, 10 (doch ist die Inschrift verloren; die Ergänzung des Vatersnamens willkürlich von Venuti vorgenommen, vgl. Longpérier Journal des savants 1873, 646f.) und 10. aus Béziers, Espérandieu 59, 11 = Bull. de la soc. nat. des antiqu. de France 1890, 263 = Dessau 567. Der Name .....vi Tetrici erscheint auch auf einem Steinblock von den Stiegen des Pariser Amphitheaters, CIL XIII 3035,[2] 28; doch hält Hirschfeld z. St. die Beziehung auf E. für sehr zweifelhaft; vgl. Friedländer Sittengesch. II6 586. Bestätigt und ergänzt werden die inschriftlichen Angaben durch die Legenden der Münzen, deren Porträts auch von dem Aussehen des Usurpators Kenntnis verschaffen. Die Münzen des Tetricus sind gesammelt in dem leider unvollständig gebliebenen Werk von J. de Witte Recherches sur les empereurs qui ont regné dans les Gaules au IIIème siècle de l’ére chrétienne. I. Lyon 1868 (der II. Band, der den historischen Kommentar enthalten sollte, ist nicht erschienen): die beiden Tetrici p. 125–202; pl. XXXII-L. Cohen VI2 90–118 (beide Werke sind im folgenden nach den Nummern zitiert). Eckhel VII 455–458. Einzelne später bekannt gewordene Münztypen sind in der Revue numismatique veröffentlicht; hervorzuheben 1896, 231–233. 1892, 16–18; vgl. auch Mowat 1890, 65–70. 1895, 134–176. Roman 1899, 375–378 und Prou Bull. de la société nationale des antiquaires de France 1896, 399f.

II. Die Erhebung zum Gegenkaiser. E. gehörte einer vornehmen Familie an (Vict. Caes. 34, 14 familia nobili; vgl. die Münzen mit dem Revers nobilitas Aug(g)., Witte nr. 57–59, die des Sohnes nr. 34. Cohen 100, 84f. 122, 29f.); er schlug die senatorische Laufbahn ein (vgl. auch Hist. Aug. Aurel. 34. 4), zuletzt war er Statthalter von Aquitania (Eutrop. IX 10 = Io. Antioch. FHG IV 598. 152, 1. Vict. Caes. 33, 14; schwer möglich ist die Angabe Hist. Aug. tyr. trig. 24, 1. 4. daß er ganz Gallien verwaltet habe und Consular gewesen sei; als Statthalter von Aquitania hatte er nur praetorischen Rang), gehörte also dem Senat des gallischen Gegenreichs an; die Verwaltung Aquitaniens hatte er unter Victorinus inne, der sie ihm wahrscheinlich erst übertragen hatte; wenigstens wird Hist. Aug. tyr. trig. 24, 1 die Verwandtschaft dieser beiden Männer erwähnt. Nach dem Soldatenaufstand, dem Victorinus bei Cöln zum |Opfer fiel, ergab sich das eigenartige Verhältnis, daß trotz dieses Vorfalles die Mutter des Getöteten, Victoria, den Willen des Heeres zu leiten vermochte; sie ließ Victorinus Sohn zum Caesar ausrufen, doch wurde auch dieser alsbald getötet und ebenso, angeblich schon nach zwei- oder dreitägiger Regierung, M. Aurelius Marius, den sie hierauf zum Kaiser hatte erheben lassen. Nunmehr lenkte sie die Wahl der Soldaten auf den mit ihrer Familie verwandten E., den weit entfernten Statthalter von Aquitanien; so wurde dieser, zumal [698] da die Legionen durch große Geldsummen gewonnen waren, als Kaiser im Lager verkündet und nahm in Burdigala den Purpur; sein Sohn wurde Caesar (Eutrop. IX 10 [erwähnt danach Hieronym. a. Abr. 2284] = Io. Antioch. FHG IV 598f., 152, 1; nur so können die Worte absens a militibus imperator electus est verstanden werden; das findet Bestätigung durch Hist. Aug. tyr. trig. 5, 3. 6, 3. 24, 1. 31, 2. Vict. Caes. 33, 14. Epit. de Caes. 35, 7; Auson. parental. 6, 10 erwähnt, daß nach Victorinus die Herrschaft auf die Tetrici überging; vgl. auch Wien. Stud. 1902, 112f.). Daß diese Erzählung an einer Reihe von Unwahrscheinlichkeiten in hohem Maße krankt, ist unbestreitbar, doch bietet uns der traurige Stand der Quellen keine Handhabe, den wirklichen Hergang mit Sicherheit zu rekonstruieren.

III. Seine Regierung. a) Name und Titel; Äußeres. Sein Name mit der vollständigen Titulatur als Kaiser lautet Imperator Caesar C. Pius Esuvius Tetricus pius felix invictus Augustus, pontifex maximus, tribunicia potestate, pater patriae, consul, proconsul. So wird er auf Inschriften und zum Teil auch auf Münzen genannt; es ist die Namens- und Titelfolge, welche durchaus auch bei den regulären römischen Kaisern gebraucht wird. Als Pontifex maximus ist er dargestellt auf einer Münze, Rev. numism. 1896, 231; die Erneuerung der trib. pot. ist bezeichnet durch II und III, Dessau 567 und auf Münzen; den Consulat hat er im ganzen dreimal bekleidet (Münzen), s. unten Abschn. V. Der Titel proconsul ist nur auf einer Inschrift (Dessau 566) angegeben; inwiefern hier eine Analogie mit der Führung des Proconsultitels von seiten der italischen Kaiser (vgl. Mommsen St.-R. II3 777–779) zu erkennen ist, läßt sich schwer sagen. Der Gentilname, der früher Pi(o)esuvius, Pivesius u. dgl. gelesen wurde, ist seit dem Funde des Meilensteins von Dijon erst richtig erkannt worden, weil hier der Name Gaius Esuvius Tetricus geschrieben ist; dazu sind seither eine Reihe von Münzen und Inschriften bestätigend gekommen (z. B. Cohen 128, 92. Witte [der jüngere Tetricus] 44. 50f. 74. Rev. numism. 1892, 16, 20. Dessau 567). Nun ergab sich, daß Pius ein zweites Cognomen ist; in Betreff der eigentümlichen Stellung desselben vermutet Mowat Rev. numism. 1890, 65–70, recht ansprechend, daß sein Name ursprünglich C. Esuvius Tetricus Pius gelautet habe, daß aber das letzte Cognomen umgestellt worden sei, als das gleichlautende, zur Kaisertitulatur gehörende pius unmittelbar hätte darangeschlossen werden sollen; doch ist es auffällig, daß dieser Beiname fast durchweg gleich vor das Gentile gestellt ist, statt, wie man erwarten sollte, nur vor den andern Beinamen Tetricus. Die Schriftsteller nennen ihn ausschließlich Tetricus, die Münzen haben der Mehrzahl nach bloß diesen Namen.

Sein Äußeres, das wir aus den Münzporträts kennen, weist im allgemeinen den Typus der gallischen Gegenkaiser auf, namentlich in Haar- und Barttracht; aber auch die Gesichtszüge aller dieser Kaiser zeigen nicht gar zu ausgeprägte individuelle Unterschiede. Sein Sohn hat ein wenig charakteristisches, bartloses Jünglingsgesicht. Vgl. Bernoulli Römische Ikonographie II 3, 179f., [699] wo eine für Tetricus in Anspruch genommene Bronzestatuette und ein Alabasterbüstchen mit Recht als zweifelhaft erklärt werden.

b) Ausdehnung seines Reiches. Das gallische Gegenreich im 3. Jhdt. umfaßte in seiner größten Ausdehnung das transalpinische Gallien, die germanische Militärgrenze, Britannien und Spanien; doch hat dieser Besitz bei dem Kampfe mit den römischen Kaisern und mit den Germanen mancherlei Veränderungen erfahren. Stets haben dazu gehört die tres Galliae und Britannia, wie es für Tetricus z. B. die Meilensteine beweisen; auch führt die coh(ors) I Ael(ia) Dac(orum) in Britannien zu seiner Zeit den Beinamen Tetricianor[um], CIL VII 823.[3] Die Narbonensis scheint zwischen dem römischen und dem gallischen Reich geteilt gewesen zu sein. Zur Zeit des Kaisers Claudius II. finden wir Vexillationen von Legionen und andere gemischte Truppen unter dem Befehl des praefect(us) vigil(um) Iulius Placidianus in Grenoble (CIL XII 2228),[4] und denselben Mann treffen wir hier später als praef(ectus) praetori an (CIL XII 1551,[5] vgl. Hirschfeld z. St.); diese beiden Steine zeigen, daß wenigstens der östliche Teil der Provincia dem italischen Kaiserreich gehorchte. Aber es gab auch in der Gallia comata einzelne Landschaften, die dem römischen Reich treu blieben, vor allem der altbewährte Stamm der Aeduer. Ihre Hauptstadt Augustodunum wurde aber nach siebenmonatlicher Belagerung von dem gallischen Imperator eingenommen, ohne daß Kaiser Claudius, dessen Hilfe sie anriefen, den erwarteten Entsatz zu leisten vermochte, Paneg. lat. VIII 2 p. 181. 4 p. 183 Baehrens; darauf ist wohl auch Eumen. pro instaur. schol. c. 4 zu beziehen, wo das gallische Reich Batavica (?) rebellio (so hsl.; Lipsius und die Späteren haben Bagaudica, Brandes barbarica emendiert) genannt wird, ähnlich wie p. 183 rebelles Gallicani, vgl. Dessau Herm. XXIV 340f. Hirschfeld CIL XIII p. 401;[6] doch ist dessen Annahme, daß wegen der Erwähnung der clades Catalaunica (p. 183) nur von Tetricus die Rede sein könne, kaum zutreffend; die Belagerung von Augustodunum kann deshalb doch auch durch Victorinus geschehen sein. Eine Spur dieser Ereignisse finden wir auch in der von Ausonius a. a. O. erwähnten Flucht seiner Vorfahren mütterlicherseits, die damals aus Augustodunum verbannt wurden und nach Aquitania zogen, also wohl Anhänger des Gegenkaisers waren, vgl. auch Duruy VI (1885) 487. Brandes Programm des Gymn. Braunschweig 1887 (angeführt nach H. Schiller Jahresber. LX 1889, 320–322). So gingen mehrere Landstriche für das römische Reich verloren: und z. B. Vienna (in der Narbonensis), das ja (nach Pol. Silv. laterc., Chron. min. I 521) schon der Herrschaft des Postumus, des Laelianus und des Marius unterstanden hatte, wurde auch unter Tetricus Münzstätte, gerade so wie Lugudunum (Mowat Rev. numism. 1895, 140ff. 134f., der die Herrschaft der gallischen Gegenkaiser in der Narbonensis auch aus Münzfunden erschließt, S. 151–155). Ebenso sicher beweisen der Meilenstein von Béziers (Dessau 567) und der von Carcassonne (mit dem Namen von Tetricus Sohn, Comptes rendus de l’acad. des inscr. et bell.-lettr. 1888, 355 = Espérandieu 58, 5), daß das westliche narbonensische Gallien [700] zum Reich des Tetricus gehörte. Für Tetricus Herrschaft im Rheingebiet ist der Umstand beweisend, daß die Legionen ihn zu Colonia Agrippina (Cöln) ausriefen (s. o.) und daß der Führer der gegen ihn meuternden Soldaten, Faustinus, sich in Trier gegen ihn erhob (Pol. Silv. a. a. O. 522). Spanien gehörte zur Zeit des Kaisers Claudius II. zum Imperium Romanum, wie sich daraus erkennen läßt, daß in Tarraco ununterbrochen Bronzemünzen dieses Kaisers geprägt wurden (Markl Numism. Ztschr. 1884, 410–421); ebenso beweisen dies Inschriften aus Spanien, wie CIL II 4505.[7] 3619. 3834. Dafür, daß es dann wieder unter der Herrschaft des Tetricus gestanden hat, läßt sich als direkter Beleg nur Hist. Aug. Claud. 7, 5 anführen Gallias et Hispanias, vires rei p. Tetricus tenet; doch ist dies Zeugnis sehr verdächtig; denn es stammt aus dem gefälschten Brief des Kaisers Claudius, dessen Regierung doch nicht gleichzeitig mit der des Tetricus war (s. u.).

c) Verwaltung. In der inneren Einrichtung seines Reiches hatte Tetricus keine Neuschöpfung vorzunehmen, er fand ein schon von seinen Vorgängern organisiertes Staatsgebilde vor. Wir finden in allen Institutionen durchaus das Vorbild des römischen Staates herrschend (vgl. dazu Bd. III S. 1663-1666). Wie alle gallischen Gegenkaiser hat auch Tetricus eigene Münzen geprägt; wir besitzen Münzen von ihm aus den Münzstätten von Lugudunum und Vienna, aber die von Trier und Cöln haben wohl auch bestanden, s. o. Die Regelung der Münzprägung wird bezeugt durch die Münzlegende moneta Aug., Witte 56; Tetricus, der Sohn, 33. 33 a. Cohen 100, 82. 122, 28. Übrigens lief in Gallien und Britannien neben der einheimischen Münze, die zum Teil recht barbarische Prägung aufweist, auch, wenngleich in beschränktem Umfang, die reichsrömische um, wie man aus Münzfunden ersieht. Homo Aurélien 53. Eine rege Tätigkeit entfaltete Tetricus auch bei dem Bau von Straßen, wie die verhältnismäßig vielen Meilensteine beweisen, die unter seiner Regierung gesetzt sind. Damit hängt die Befestigung des Landes zusammen; so ist wohl zugleich mit dem durch den Meilenstein von Dijon (castrum Divionense) beurkundeten Bau der Straße nach Langres (Andematunnum) die Befestigung des Kastells von Divio vorgenommen worden, die dann Aurelian vollendet hat (Gregor. Tur. III 19: vgl. Homo 212, 8, s. u. V). Daß auch er es nicht an Bestrebungen fehlen ließ, die Wohlfahrt des seiner Herrschaft unterstellten Reiches zu fördern, bringen die üblichen enkomiastischen Münzlegenden abundantia, aequitas Aug., caritas Aug., fecu(nditas), felicitas Aug. und publica, fortuna Aug., saeculi felicitas, uberitas Aug. zum Ausdruck; auch eine liberalitas ging von ihm aus (Witte 50 b. c. Cohen 99f.. 77f.). Überhaupt war er doch mehr ein friedlicher Herrscher, wie sich dies in den Münzbildern ausprägt, die ihn meist mit der Toga bekleidet darstellen, mit dem Zepter oder dem Ölzweig in der Hand. Daß er als Galliae restitutor gerühmt wird (Cohen 104, 123), entspricht der gleichen Bezeichnung für Postumus. Daneben sollen Umschriften wie Romae aeternae (Witte 114. Cohen 106. 137), die sich gleichfalls schon bei Postumus und anderen finden, pacator orbis [701] (Witte 62. Cohen 101, 84), die parallel mit denen Aurelians gehen, die Gleichwertigkeit des Gegenreiches hervorheben. Dies wird vielleicht noch stärker akzentuiert bei Pol. Silv. a. a. O., der die gallischen Usurpatoren adsertores Romani nominis nennt. Und doch stand das gallische Reich auf schwachen Füßen. Postumus hatte es mit starker Hand zehn Jahre lang regiert, dann hatte der häufige Thronwechsel Verwirrung hervorgerufen, und Tetricus besaß nicht die Kraft, in die zerrütteten Verhältnisse Ordnung zu bringen. Und als endlich eine so machtvolle Persönlichkeit, wie es Aurelian war, den Thron der römischen Caesaren bestieg, dem es in erstaunlich kurzer Zeit gelang, das Reich von den inneren und äußeren Feinden zu befreien, da war das Ende des gallischen Imperiums gekommen. Noch ehe der Entscheidungskampf ausgefochten werden sollte, schien Tetricus Schicksal besiegelt, als er sich nicht mehr auf die Treue des Heeres verlassen konnte, das ihn erhoben hatte. Vielleicht gab der unter seiner Regierung erfolgte Tod der Victoria (Hist. Aug. tyr. trig. 31, 4) den Anstoß zum Abfall des Heeres (vgl. Bernhardt 197); mit solchen Truppen war auch gegen die immer noch das Reich bedrohenden Germanen ein dauernder Erfolg nicht zu erringen. Allerdings berichtet der Biograph (tyr. trig. 24, 2), daß E. viele glückliche Kämpfe geführt habe, und nach Vict. Caes. 85, 3 hat er die Germanen aus Gallien vertrieben; die überaus häufigen Funde vergrabener Münzschätze an den germanischen Grenzen, überwiegend mit Münzen der gallischen Gegenkaiser, sind auch ein sprechendes Zeugnis für die vielen Einfälle der Germanen in dieser Zeit (vgl. Homo 54. 117f.); auch rühmen Münzen des Kaisers seine Siege über die Germanen (Witte 161, vgl. 150–160. Cohen 110–112 nr. 178–195). Aber manche, wenn auch schwache Spur weist darauf hin, daß die Germanen zuletzt doch Sieger blieben: die in den Kastellen des deutschen Limes gefundenen Münzen enden mit Tetricus und beginnen erst wieder mit der diocletianischen Zeit, Homo 117, 1. Zu dieser Bedrängnis kamen die lästigen Brandschatzungen der Küsten Galliens und Britanniens durch Seeräuber, gleichfalls durch ungemein zahlreiche vergrabene Münzschätze bezeugt (Homo 116f. Groag Bd. V S. 1392). Die vielen Meutereien der Truppen gestalteten sich noch bedrohlicher, als der in Trier residierende Statthalter Faustinus sich an ihre Spitze stellte (Vict. Caes. 35, 4. Pol. Silv. a. a. O. 522; von mehreren Soldatenaufständen, die Tetricus Lage unhaltbar machten, spricht auch Eutrop. IX 10. 13, 1 = Oros. VII 23, 5 = Io. Ant. FHG IV 599, 152. 1; vgl. trig. tyr. 24, 2; Aur. 32, 3). Das war die Situation, in welcher Aurelian, der nach der Besiegung Zenobias die Hände frei hatte, zur Niederwerfung seines letzten Gegners nach Gallien eilte, wo bis dahin nur ein stehendes Korps unter dem Praefectus praetorio Iulius Placidianus gelagert hatte, CIL XII 1551,[5] s. o. S. 699.

d) Ende seiner Herrschaft. Auf die Nachricht von dem Heranrücken Aurelians faßte Tetricus den bedenklichen Entschluß, sich mit dem überall siegreich gebliebenen Imperator, gegen den er in seiner verzweifelten Lage aufzukommen [702] nicht hoffen durfte, lieber in ein stilles Einvernehmen zu setzen. In dem geheimen Schreiben an Aurelian soll er sich zur Kennzeichnung seiner trostlosen Lage des Vergilischen Verses (Aen. VI 365) Eripe me his, invicte, malis bedient haben. Er machte den Vorschlag, sein eigenes Heer zu verraten, und führte dies in der Schlacht auf den catalaunischen Feldern in der Weise durch, daß er scheinbar an der Spitze seiner Truppen gegen Aurelian anrückte, aber zu diesem während des Kampfes überging und ihm sein Heer auslieferte. Hist. Aug. tyr. trig. 24, 2. 3; Aurel. 32, 3; vgl. 41, 8. Eutrop. IX 13, 1 = Euseb. Hieronym. chron. a. Abr. 2289 (Synkell. 721, 4. Prosp. Tir. Mommsen Chron. min. I 442. 903) = Oros. VII 23, 5 = Iord. Rom. 290. Pol. Silv. a. a. O. Paneg. VIII 4 p. 183 Baehrens. Vict. Caes. 35, 3–5. Zosim. I 61, 5 (zu den hier erwähnten ἄλλοι ἐπαναστάντες könnte unter anderen auch Faustinus gehört haben, vgl. Wien. Stud. 1902, 112, 3, s. auch u. V).

IV. Sein späteres Leben. In dem prächtigen Triumphzuge Aurelians mußten neben Zenobia auch Tetricus und sein Sohn als Gefangene einherschreiten und zwar, wohl zum Hohn, in der gallischen Nationaltracht. Das erregte freilich den Unwillen der Senatoren, die E. noch als ihren Standesgenossen betrachteten. Doch erwies sich der Kaiser im übrigen den Besiegten diesmal milder, als es von ihm zu erwarten war, offenbar, weil sich E. ihm freiwillig ergeben hatte und überhaupt ungefährlich schien (Hist. Aug. tyr. trig. 24, 4. 5. 25, 2; Aurel. 32, 4. 34, 2. 39, 1. Eutrop. IX 13, 2 = Hieron. a. Abr. 2290 [Prosp. Tiro a. a. O. 908]. Vict. Caes. 35, 5. Zonar. XII 27 p. 153 Dind. III; vielleicht aus Anlaß des Triumphs über Tetricus nahm Aurelian den Siegernamen Britannicus an, CIL III 12 333).[8] So restituierte er Tetricus in die senatorischen Rechte: während sein Sohn die senatorische Laufbahn begann, wurde der Vater corrector Lucaniae (so Epit. de Caes. 35. 7. Vict. a. a. O. Eutrop. a. a. O. Hist. Aug. Aur. 39. 1; Pol. Silv. a. a. O. sagt ganz unbestimmt, daß beide Tetrici iudices provinciarum wurden; hingegen heißt es tyr. trig. 24, 5, daß Aurelian den E. zum corrector von ganz Italien einsetzte, dessen Amtsbezirke hier einzeln aufgezählt werden, damit ließe sich aber vor allem nicht das Epit. a. a. O. mitgeteilte Witzwort Aurelians, das sichtlich authentisch ist, vereinigen, außerdem ergibt sich die Unrichtigkeit dieser Angabe aus staatsrechtlichen Erwägungen, die auf den inschriftlichen Bezeichnungen ähnlicher Stellungen beruhen; vor Diocletian wurden nur vorübergehend in einzelnen Landschaften Italiens Correctores eingesetzt, deren vollständiger Titel vielleicht lautete corrector Italiae regionis ..., vgl. Klebs Rh. Mus. 1892, 10–14. v. Premerstein Bd. IV S. 1651–1654. Homo 144. Ch. Lécrivain Études sur l’histoire Auguste, Paris 1904, 30f. gegen Mommsen Ephem. ep. I p. 140f.; St.-R. II3 1086). Ebenso übertrieben wie die Angabe, daß ihm die Correctura von ganz Italien anvertraut worden sei, ist die damit verbundene, daß ihn Aurelian auch wie seinesgleichen behandelt habe (Hist. Aug. tyr. trig. 24, 5; gleich geringen Wert haben die Details in 25, 4, wohl aber kann das eine richtig sein, daß sich Tetricus einen [703] Palast auf dem Caelius erbaute). Als Privatmann hat Tetricus noch lange Zeit gelebt, Eutrop. IX 13, 2. Die Konsekration, die ihm einigen Münzen zufolge zuteil geworden wäre, kann er kaum erlangt haben; diese Konsekrationsmünzen (Witte 15–26; der jüngere Tetricus 8–10 a. Cohen VI2 25–30. 120 nr. 9–11), von denen auch schwer zu sagen ist, wer sie habe prägen lassen, werden als hybrid erklärt, vgl. Roman Rev. numism. 1902, 375f. (schon Eckhel VII 457 hat die Annahme einer Konsekration bestritten). Aber die Erinnerung an Tetricus wie an die gallischen Gegenkaiser überhaupt hat sich in den von ihnen beherrschten Gebieten zäh erhalten. Nachahmungen von Tetricus Münzen wurden noch lange nach seinem Tode, ja bis in die Zeit der Merowinger hinein, mit abnehmender Häufigkeit und in immer roherer Form geprägt (Roman a. a. O. Prou Bull. de la soc. des ant. de Fr. 1896, 339f. Homo 128, 8). s. Bd. III S. 1665f.

Sein schon mehrfach erwähnter gleichnamiger Sohn und Mitregent ist unter Nr. 2 betrachtet. Wer seine Gemahlin war, wissen wir nicht.

V. Chronologie. Die Zeitbestimmung der im vorstehenden geschilderten Ereignisse hängt zusammen mit der Chronologie Aurelians, die zuletzt von Groag Bd. V S. 1360f. und von Homo Aurélien 86f. 122, 3 u. ö. untersucht worden ist. Danach ist die Besiegung des Tetricus auf den catalaunischen Feldern in das J. 273 n. Chr. zu setzen. Jedenfalls wird Aurelian schon im J. 274 als restitutor orbis gerühmt, CIL VI 1112.[9] VIII 10217;[10] vgl. Groag 1393, daß aber Tetricus der letzte war, den Aurelian, um das Gesamtreich wieder herzustellen, besiegen mußte, berichten die Quellen einstimmig (vgl. besonders Aurel. 32, 4). Daß Aurelian schon vor dem J. 273 zum Kriege gegen Tetricus gerüstet hatte, folgt aus CIL XII 1551,[5] s. o. S. 699. 701, weil Iulius-Placidianus hier noch als Praefectus praetorio erscheint, während er zu Beginn des J. 273 den Consulat antrat. Nun wird die Regierungsdauer des Tetricus mit zwei Jahren angegeben, Vict. Caes. 35, 5 (Hist. Aug. tyr. trig. 24, 2 ganz allgemein diu) und sie muß sogar etwas mehr betragen haben (Bernhardt 199, 2 und Ranke III 1, 456, 1 haben irrigerweise aus der Münzlegende votis decennalibus [Witte nr. 174; p. 179. 7 = Cohen nr. 212; p. 117. W] auf eine mindestens fünfjährige Regierungsdauer des Tetricus geschlossen), weil er dreimal Consul war (cos. II: Witte 108 = Cohen 130: cos. III: Witte nr. 24 a. 174: p. 179, 7f. = Cohen n. 32. 212. p. 117f., 10f.), also wohl 271, 272 und 273 (vor seiner Thronbesteigung war er nur Praetorier, s. o. II). Somit ist er im Laufe des J. 270 zur Regierung gelangt. Dazu passen auch die Angaben der tribuniciae potestates, die bis zur Zahl III reichen (tr. p. II: Witte 105f. = Cohen 127f.; tr. p. III: Witte 107f. = Cohen 129f.); wenn die Zählungsweise regulär nach römischer Weise vom 10. Dezember an erfolgt ist, dann würde man auf die Zeit zwischen 10. und 31. Dezember 271 für den Regierungsbeginn des Tetricus gelangen; doch steht eine so genaue Zeitbestimmung nicht ganz fest. Jedenfalls fällt seine Erhebung schon in die Regierungszeit Aurelians, [704] der gegen Ende März des J. 270 Kaiser wurde, Groag 1357–1360. Gleichwohl wird dies ausdrücklich nur von Pol. Silv. a. a. O. gesagt, während die übrigen Schriftstellerangaben darin stark abweichen. So ist er nach Epit. de Caes. 34, 3 während der Regierung Claudius II. zur Herrschaft gelangt, ja nach Claud. 4, 4. 7, 5 sogar schon vor dessen Thronbesteigung; doch ist diese Erzählung ebenso wertlos wie die darin eingelegten Urkunden. Auch Münzen, auf denen das Bild des Kaisers Claudius auf der einen Seite, das des Tetricus auf der andern zu sehen ist (Eckhel VII 456. Cohen p. 116. Mowat Rev. numism. 1895, 148), beweisen nichts dafür, auch wenn es echte Exemplare davon gegeben haben sollte; denn Tetricus Bild erscheint auch auf Münzen zugleich mit dem des Postumus und Victorinus (Witte 175, 1. 2; Cohen p. 115 hält sie allerdings gleichfalls für hybrid), und ähnlich gibt es eine Münze, die das Porträt des Kaisers Gallienus und des Claudius II. aufweist (Eckhel a. a. O. Witte 175, 3. Markl Num. Ztschr. XI 1879, 230–233). Über die Chronologie der gallischen Gegenkaiser und ihre Reihenfolge vgl. Bd. III S. 1666 und Wien. Stud. 1902, 112f. Der Triumph Aurelians fand wahrscheinlich Anfang 274 statt; nur Zosim. I 61, 5 setzt Tetricus Besiegung irrtümlich nach dem Triumph an, weil er, wie Homo 122, 3 richtig vermutet, damit den zweiten Zug Aurelians nach Gallien verwechselt, der erst im J. 274 oder 275 stattfand (Hist. Aug. Aurel. 35, 4; vgl. Procul. 13, 1. Zonar. XII 27 p. 153 D. III; vielleicht hat Zosim. I 61, 5 auch diese Ereignisse im Auge, wenn er zusammenfassend sagt, daß Aurelian Tetricus und andere Empörer besiegte, s. o. S. 701; Synkell. I 721 erwähnt außer der ersten Unterwerfung Galliens die Unterdrückung eines zweiten Aufstandes nach dem Triumph; in diese Zeit gehört auch die (Befestigung von Divio, Gregor. Tur. III 19, s. o. S. 700, und der Bau der Straße von Paris nach Orléans, Dessau 581).

VI. Literatur. Th. Bernhardt Geschichte Roms von Valerian bis zu Diocletians Tod, Berlin 1867, 197–201; vgl. Düntzer Rhein. Jahrb. XLIII 217–219 (auch ältere Aufsätze in dieser Ztschr.). H. Schiller Geschichte der röm. Kaiserzeit I 865–867. V. Duruy Histoire des Romains VI (1885) 438f. 486–489. L. Homo Essai sur le règne de l’empereur Aurelien, Paris 1904. A. de Longpérier Journal des savants, 1873, 643–651. Dessau Prosopogr. II 39, 71f. (Von mir nicht eingesehen: Zevort De Gallicanis imperatoribus, Paris 1880. V. Rabillon Les empereurs provinciaux des Gaules et les invasions de la fin du IIIème siècle, Rennes 1891).

[Stein. ]

Anmerkungen (Wikisource)

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  1. Corpus Inscriptionum Latinarum VII, 1150.
  2. Corpus Inscriptionum Latinarum XIII, 3035.
  3. Corpus Inscriptionum Latinarum VII, 823.
  4. Corpus Inscriptionum Latinarum XII, 2228.
  5. a b c Corpus Inscriptionum Latinarum XII, 1551.
  6. Corpus Inscriptionum Latinarum XIII, 401.
  7. Corpus Inscriptionum Latinarum II, 4505.
  8. Corpus Inscriptionum Latinarum III, 12333.
  9. Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 1112.
  10. Corpus Inscriptionum Latinarum VIII, 10217.