ADB:Hebbel, Friedrich
Hebbel: Christian Friedrich H., wurde am 18. März 1813 in Wesselburen, einem Flecken in der holsteinischen Landschaft Norderdithmarschen geboren. Sein Vater Claus Friedrich aus Meldorf, war Maurer, seine Mutter Anje Margarethe Schubart aus Wesselburen, mußte durch Tagelohn und Ammendienste zu den Bedürfnissen der Familie beisteuern. Friedrich wuchs mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Johann, den das Schicksal für sein ganzes Leben am niederen Handwerke festgebannt hat, in Armuth und fast in Noth auf. „Daß ich in frühester Kindheit wirklich gehungert hätte, wie später, erinnere ich mich nicht“, schrieb der reifgewordene Dichter, in einer aus erklärlicher Scham erst zu späterer Veröffentlichung bestimmten Selbstbeschreibung seiner Kindheit, „wohl aber das die Muttter sich zuweilen mit dem Zusehen begnügen mußte und gern begnügte, wenn wir Kinder aßen, weil wir sonst nicht satt geworden wären.“ Wenn es, was im Winter öfter vorkam, an Brod mangelte, ergaben sich zwischen den Eltern zuweilen „ängstliche Scenen“. Von der Mutter sagt uns H., daß sie äußerst gutherzig und etwas heftig war, daß aus ihren blauen Augen die rührendste Milde leuchtete und daß sie, wenn sie sich leidenschaftlich aufgeregt fühlte, zu weinen anfing; der Vater hingegen war im Hause sehr ernster Natur, so daß es ihn verdroß wenn die Kinder lachten. Ganz ohne Gemüthstiefe scheint indessen auch er nicht gewesen zu sein, denn er hatte die Gabe Märchen zu erzählen und sang in der Dämmerung gern Choräle. Friedrich hatte er für das Maurerhandwerk bestimmt; aber vor diesem Untergange rettete ihn die Mutter, die, ohne ihn zu verstehen, eine Ahnung von seiner höheren Art gehabt haben mag. So kam H. später zu der harten Aeußerung, daß sein Vater ihn eigentlich als einen Unbrauchbaren hasste; „dennoch“, setzt er hinzu, „war er ein herzensguter, treuer, wohlmeinender Mann; aber die Armuth hatte die Stelle seiner Seele eingenommen.“ Aus der nicht über das sechste Jahr hinausreichenden, in ihrer Art einzigen Selbstbiographie Hebbel’s, sollen hier nur diejenigen Züge nachgezeichnet werden, welche die Entwicklung seines Seelenlebens erläutern helfen; die hohe Kunst der Darstellung könnte ohnehin, bei einem in anderem als dem gewöhnlichen Sinne so gedichteten Werke, nur die Wiedergabe des Ganzen zur Erscheinung bringen.
Das kleine Geburtshaus mit dem Gärtchen war Eigenthum der armen Eltern, welche zwei Wohnungen darin vermietheten. Es war von anderen Gärten umgeben, auch von dem des Predigers, der einen so grämlichen Blick hatte, daß die Kinder wenn er zu ihnen hinübersah, zu spielen aufhörten. Auf der andern Seite befand sich ein alter, von Bäumen beschatteter, dunkelgrau bemooster Brunnen, den das Kind nie ohne Schauer betrachten konnte. Nachbarn und Bekannte wirkten verschiedenartig anregend. Die riesige Meta, die Frau des im Hause [170] wohnenden Tagelöhners, erzählte in der Dämmerung Hexen- und Spuckgeschichten. Wenn Licht angezündet wurde, ging man zu dem stets heiteren Nachbar Ohl, dessen H. nie ohne Rührung gedenken konnte; um die Bezahlung des Paukenschlägers und Trompeters, die Freund Ohl den Brüdern einst als Jahrmarktsgeschenk brachte, mußte er sich noch nach Jahren mahnen lassen. Ohl’s Brüder, Taugenichtse, die dem herabgekommenen Manne das letzte Stück Brod aufaßen, erzählten grausige Geschichten, die sie auf ihren Wanderungen erlebt haben wollten, von Schwarzsauer, das sie in einsamen Waldschenken gegessen und von Menschenfingern und Zehen, die sie auf dem Grunde der Schüssel gefunden hatten. Ohl’s Frau las fleißig in der Bibel. Die Stelle wo Jeremias weissagt, daß zur Zeit der großen Noth die Mütter ihre eigenen Kinder schlachten und sie essen würden, flößte dem Knaben besonders Grausen ein, „vielleicht“, sagt er, „weil ich nicht wußte, ob sie sich auf die Vergangenheit oder die Zukunft, auf Jerusalem oder auf Wesselburen bezog und weil ich selbst ein Kind war und eine Mutter hatte.“ In seinem vierten Jahre kam Friedrich in eine Kleinkinderschule, welcher die hochgewachsene Jungfer Susanne vorstand. Sie hatte ein Lineal zum Strafen und eine Düte voll Rosinen zum Belohnen. Sie selbst lohnte die brennende Pfeife. Eine unfreundliche Magd bevorzugte die Kinder der wohlhabenderen Eltern; sobald aber die Parteilichkeit der beiden Weiber dem jungen Friedrich ins Bewußtsein trat, „hatte er den Zauberkreis der Kindheit überschritten“, und er fügt, schon hier den schnellen Flug seiner Psyche ahnen lassend, hinzu, daß dies sehr früh geschah. Beim Eintritt in die Schule fiel der erste Blick des noch nicht Vierjährigen auf ein schlankes blasses Mädchen, die Tochter des Kirchspielschreibers von Wesselburen. Ein leidenschaftliches Zittern überflog ihn, aber auch eine Regung von Scham; er schlug die Augen so rasch wieder zu Boden, als ob er einen Frevel damit begangen hätte. Diese Neigung dauerte bis in sein achtzehntes Jahr. Nicht minder bezeichnend für die Entwicklung der Seelenkräfte des Knaben ist die Darstellung, wie Angesichts der Verheerungen, welche ein Gewitter in Schule und Haus angerichtet, „Gott der Herr in seiner vollen Majestät in ihm einzog“, wie er als die Elemente einmal Grauen erregend am Schlafgemach rüttelten, zum erstenmale inbrünstig betete, wie er nun aber, als er solcher Weise eine höhere Stufe als die der Eltern hatte ahnen lernen, anfing, sich auch dort über vermeintliches Unrecht derselben zu beklagen. Schon in frühester Kindheit hatte er viel von fieberhaften Phantasien auszustehen: wenn er zu Bett gebracht wurde, fingen die Balken über ihm zu kriechen an, er schwebte auf einem zwischen Himmel und Erde ausgespannten Seil, und bei späteren Krankheiten „stellten sich die ältesten Teufel, alle später gekommenen vertreibend, wieder ein.“ In Folge einer durch höhere Verordnung bewirkten Reform, wurde in Wesselburen eine Elementarschule errichtet, die Friedrich nunmehr betrat und in welcher der aus Eiderstedt gekommene Franz Christian Dethlefsen sein Lehrer wurde. H. hat später wiederholt anerkannt, daß er diesem Manne die grammaticalische Gewissenhaftigkeit, sowie die Sorgfalt im Gebrauch des Wortes verdanke und daß, zur Ehre norddeutscher Art und Bildung sei es gesagt, dieser Dorfschullehrer überhaupt auf seine Entwicklung einen unermeßlichen Einfluß ausgeübt habe. Die Schule war nun besser geworden, aber das häusliche Verhältniß schlechter: durch die Ränke eines Bösewichts verloren die Eltern das kleine Haus, das ihre Vorfahren seit einem halben Jahrhundert bewohnt hatten und mußten fortan in beschränktestem Raum zur Miethe wohnen. Zum „Häuerlingssohn“ herabgesunken, hatte der so zart empfindende Knabe zahlreiche Kränkungen zu erdulden; aber gerade durch diese Eindrücke wurde er in das thätige Leben hineingetrieben: indem er lernte sich zu vertheidigen. Während des Kinderwiegens bei Dethlefsen bekam er von diesem Bücher zu lesen, der Maler Harding gab ihm unentgeldlich [171] Unterricht im Zeichnen und bei dessen Sohne las er einmal Nachts Bürger’s Lenore, deren Eindruck er mit den Worten weiht: „Wonne, Wehmuth, Leben, Tod, Alles auf einmal, ein Urgefühl!“ Aus dieser Kinder- und Knabenzeit sei hier nur noch ein den ersten Kreis gleichsam schließender Lebensproceß angeführt, obgleich er schon nicht mehr der Selbstbiographie entnommen ist. Kaum zehn Jahre alt, las H. die Leidensgeschichte Christi und weinte dabei bitterlich. Der geheimnißvollen Lust an diesem Schmerze nachgehend, las er sie in der Abenddämmerung regelmäßig wieder, aber einmal hörte das Weinen auf. Er weinte nun über seine Verstocktheit und schrieb die ausbleibende Wirkung auf Rechnung der unrechten Stunde; aber er hatte nicht mehr den Muth den Versuch zu einer andern Zeit zu wagen, sondern las, frühzeitig sich beschränkend, das Kapitel einfach nicht mehr. Weiter wirkte die Eigenheit des Landes Dithmarschen, seine Geschichte und Sagenwelt, der Glaube an heroische Vorfahren, der vielleicht trotz der Verarmung der Eltern sehr begründet war, mächtig auf die Einbildungskraft des werdenden Jünglings.
Als Friedrich 14 Jahre alt war, starb sein Vater. Er kam nun zu dem Kirchspielvogt Mohr, mußte Anfangs häusliche, dann Schreiberdienste, welche häusliche nicht ausschlossen, verrichten und wurde von dem strengen Manne hart, aber doch nicht ohne Nutzen für seine weitere Bildung behandelt. Nach und nach erhielt er Gelegenheit sich in der niedern Gerichtspraxis zu üben. Seine Erstlingsverse, die den Theetopf besangen, hatte er schon als Sechsjähriger zur Welt gebracht und seitdem, Gelesenes nachahmend, weiter und weiter gedichtet; doch erst mit 18 Jahren trat der Wendepunkt zur Reife und Selbständigkeit ein. Seine frühesten Arbeiten erschienen von 1829–1832 in dem „Dithmarschen“ und „Eiderstedter Boten“. Auch brachte er Liebhabertheater zu Stande und dachte daran Schauspieler zu werden, nur um zunächst aus den engen Verhältnissen in Wesselburen herauszukommen. Karl Lebrun, der damals Director des Hamburger Theaters war, rieth ihm, nachdem H. sich ihm persönlich vorgestellt hatte, davon ab. Mittlerweile war er theilweise mit den Werken Lessing’s, Schiller’s, Goethe’s und Uhland’s bekannt geworden, von dessen Gedicht: „Des Sängers Fluch“ sich bei ihm die Offenbarung herschreibt. Sein späteres Nachdenken über diesen Wendepunkt und der sich daran knüpfende, von ihm entwickelte Begriff der lyrischen Poesie, bildete sich zu einer Art Canon aus, welcher sein ganzes späteres Schaffen beherrschte. In Betreff dieses inneren Ereignisses schreibt er später: „ich habe die Erfahrung gemacht, daß jeder tüchtige Mensch in einem großen Manne untergehen muß, wenn er jemals zur Selbsterkenntniß und zum sicheren Gebrauch seiner Kräfte gelangen will; ein Prophet tauft den zweiten und wem diese Feuertaufe das Haar sengt, der war nicht berufen.“ Ebenso wurde ihm das erste und einzige Kunstgesetz: daß die Poesie an der Einzelnerscheinung das Unendliche veranschaulichen soll, später in der Vertiefung nach dieser Richtung offenbart.
Nachdem der so mit einer reichen inneren und der ärmsten äußeren Welt Ringende vergebens wegen Verwendung an Uhland und Oehlenschläger geschrieben hatte, glückte ihm eine Verbindung mit Amalie Schoppe in Hamburg, in deren „Modeblättern“ er, Anfangs der dreißiger Jahre, eine Anzahl Gedichte veröffentlichte. Da die menschenfreundliche Frau, durch zahlreiche Bemühungen, für ihn Unterstützungen und Freitische gesichert hatte, kam H. Anfangs März 1835 nach Hamburg. Er setzte hier, um sich für die Universität vorzubereiten, das früher schon begonnene Lernen des Lateinischen fort, und trat in den aus jungen Leuten bestehenden „wissenschaftlichen Verein“, in welchem er Aufsätze ausarbeitete und die anderer kritisirte. Diese zum Theil erhaltenen Arbeiten zeugen bereits von tiefer Erkenntniß der Kunst und von seltener Schärfe des [172] kritischen Ausdruckes. In einer derselben über Körner und Kleist, sagt er, Kleist habe Alles, was den großen Dichter und zugleich ächten Deutschen mache, während Theodor Körner blos dafür erglüht sei. – „Kleist mochte es mit Schmerz an sich erfahren haben, daß der Mensch über jedem großen Schicksal, aber unter jeder Armseligkeit steht.“ Von der lyrischen Poesie heißt es: „Das Gefühl ist ihr Element, die Kunst es zu begrenzen und darzustellen macht den lyrischen Dichter.“ Soweit war der Zweiundzwanzigjährige, der noch nie ein Gymnasium besucht hatte, und überhaupt nie eines besucht hat, bereits gediehen.
Entscheidend für sein ganzes Leben wurde in Hamburg seine Bekanntschaft mit Elise Lensing, bei der er anfangs und mit der er später wohnte. Emil Kuh sagt in seiner sowol für H. wie für ihn selbst monumentalen Biographie des dithmarschen Dichters: „ich möchte selbst ein Dichter sein, nur um dieses Mädchen, die jetzt in sein Leben hineintritt, in ihrer rührenden Opferwilligkeit, in ihrer erschütternden Hülflosigkeit, die den tiefen Frauennaturen eigenthümlich ist, würdig ankündigen zu können.“ Schon nach einem Jahre ging H., nachdem er seine alte Mutter noch einmal besucht hatte und obgleich ihm vom Director des Johanneums das Zeugniß der Reife verweigert worden war, zum Studium der Rechte nach Heidelberg. Gegen Ostern 1836 daselbst angelangt, belegte er ein Colleg bei Thibaut, der bald erkannte, daß etwas Anderes in ihm verborgen sei als ein Jurist. Er schloß hier einen rührenden Freundschaftsbund mit Emil Rousseau, dem Sohne eines Appellationsgerichtsrathes in Ansbach, dem wir später wieder begegnen werden. Hier schrieb er die bereits zu seinen besseren künstlerischen Leistungen gehörende Erzählung „Anna“ und machte den mißglückten Versuch seine Gedichte herauszugeben und sie Uhland zu widmen. Im September desselben Jahres siedelte er nach München über, weil er dort seine Arbeiten besser verwerthen und billiger leben zu können glaubte. Auf der Durchreise besuchte er in Stuttgart Hauff, Schwab und Uhland, dessen äußeres Erscheinen tief unter seiner Erwartung blieb. Das Studium der Rechte gab er in München für das philosophische und schönwissenschaftliche auf und nicht mit Unrecht, denn seine gesammte Begabung gelangte in München mit überraschender Schnelligkeit zur Reife. Seine tiefsten Ideen und Pläne stammen aus dieser Zeit, seine Tagebuchaufzeichnungen und Briefe an Elise sind von einer Reichhaltigkeit, welche wenn sie dereinst ganz vorliegen werden, die ihnen schon jetzt gebührende Bewunderung beträchtlich steigern wird. Kampf mit den nothwendigsten Bedürfnissen, schmerzliche Rückblicke auf die ertragene „Hölle in der Jugend“, Glauben und Zweifel, tiefe Verachtung gegen den Wissensdünkel: Alles vereinigte sich, sein Inneres zur festen Form zu stählen, in der das Erlebte künstlerisch wiedererzeugt wurde. Die Erzählung „Schnock“ war schon in Hamburg begonnen; hier führte er außer dieser auch den „Schneidermeister Nepomuck Schlägel auf der Freudenjagd“ aus. Seine Ironie gegen die Unsicherheit der Existenz in München, wo gerade die Cholera herrschte und gegen die zum Theil zersetzende Wirkung der Philosophie Hegel’s und Schelling’s, mit der er sich beschäftigte, stimmte ihn zu dieser „Verspottung des Seyns durch die Gestaltung des Nichts.“ Noch bezeichnender für diese Werdeprocesse ist es, daß er in derselben Zeit außer anderen Erzählungen, das Märchen „Der Rubin“ dichtete, das er leider später zu dramatisiren sich verleiten ließ. Er erzählte mir mehrere Jahre später, daß sich die Idee zu demselben im Hofgarten, beim Anblick eines blitzenden Steins entband, den er sofort gegen den ihn begleitenden Freund gewendet, mit den Worten aufhob: „Da habe ich einen Edelstein gefunden“. Eduard Kulke hat er diese Entstehungsgeschichte ganz ähnlich erzählt; aber es ist merkwürdig, daß bisher Niemand die tiefe Idee welche diesem Märchen zu Grunde liegt und über die H. sich auch in seinem Tagebuche nicht geäußert zu haben scheint, entwickelt [173] hat; sie hängt auf das engste mit seinen Lebensumständen zusammen, hat aber zugleich die allgemeinste und höchste Bedeutung im Kreise der menschlichen Ideen: die nämlich, daß das Opfer des Besitzes, selbst wenn es unwillkürlich geschieht, von irdischen Banden erlöst. So errang der Besitzlose seine geistige Freiheit. Aus einem ähnlichen ironischen Spielen der Armuth mit Edelsteinen, in denen sich das Weltgetriebe spiegelt, erfand H. in München auch das Lustspiel „Der Diamant“, von welchem er indessen dort nur den ersten Act vollendete. Es stimmt mit dieser Auffassung vollkommen überein, daß H. in einem auch in Bezug auf seine praktischen Lebensanschauungen merkwürdigen Briefe an Amalie Schoppe aus dieser Zeit schreibt: „Als die Aufgabe meines Lebens betrachte ich die Symbolisirung meines Innern, so weit es sich in bedeutenden Momenten fixirt, durch Schrift und Wort.“
In München waren H. schwere Erlebnisse vorbehalten. Sein süßester Erdentraum, der theuern Mutter ein sorgenfreies Alter zu bereiten, wurde durch ihren in der Nacht vom 3. zum 4. September 1838 erfolgten Tod zunichte, und unmittelbar darauf starb auch sein liebster, nievergessener Freund Rousseau, im Hause seiner Eltern zu Ansbach. Dieser hatte unter seinem Einflusse das Studium der Rechte aufgegeben und war ihm nach München gefolgt. Gerade während H. das soeben erreichte Doctordiplom für den Zweiundzwanzigjährigen lösen sollte, erhielt er die Nachricht von seinem Tode. Erschütternd und von hohem dichterischen Werthe sind seine Briefe an Elise über diesen Verlust. „Könnte ich ihn“, schreibt er, „aus dem Grabe zurückkaufen, kein Preis wäre mir zu hoch; aber Nichts ist mir geblieben als ein Grund mehr das Leben zu verachten und den Tod zu lieben.“ Als er Rousseau’s Andenken später die erste Ausgabe seiner Gedichte widmete, hallte in der Zueignung derselbe Schmerz, gemildert nach. An die an und für sich wenig poetischen Familienvorgänge im Hause des Tischlermeisters Anton Schwarz, wo er wohnte, knüpft sich die Erfindung zu dem bürgerlichen Trauerspiel „Maria Magdalena“, das uns später beschäftigen wird. Nach längeren Berathungen mit den Hamburger Bekannten, verließ H. am 11. März 1839 München und wanderte zu Fuß, über Nürnberg, Göttingen und Hannover zurück in die alte Hansa. Er kam hier näher mit Gutzkow zusammen, der ihm freundlich begegnete, ihn für die Zeitschrift „Der Telegraph“ zu gewinnen suchte und ihn auch für andere Litteraturblätter empfahl; aber obgleich H. seine Mitarbeiterschaft und um es zu versuchen, eine neue Vertiefung in Gutzkow’s Schriften begann, konnte er sich zu dieser durchaus verschieden angelegten Natur nicht stellen. Seine Grundsätze über die Kunst bildeten einen so fest abgeschlossenen Kreis, daß er in demselben weder für Gutzkow, noch für andere Geistesverwandte einen Platz fand welcher ihrem Ehrgeiz entsprochen und auf welchem er eine Gemeinschaft für möglich gehalten hätte. Die hieraus entstandenen Zerwürfnisse haben sein ganzes späteres Leben verbittert.
Nachdem er eine schwere Krankheit überstanden, in welcher Elise ihn liebevoll gepflegt hatte, begann er, durch Ludmilla Assing in Folge einer wegwerfenden Aeußerung über Gutzkow’s „Saul“ herausgefordert, am 2. Octbr. 1839 die Tragödie Judith, von welcher er den letzten Act zuerst dichtete und die er dann in wenigen Wochen zu vollenden so glücklich war. Die innern und äußern Elemente zu diesem Werke hatten sich nacheinander und ohne Gestaltung zu fordern, in ihm gesammelt und es ist mehr als wahrscheinlich, daß gerade das in gewissen Hamburger Kreisen damals beliebte Thema der Frauen-Emancipation den Dichter veranlaßt hat, in einem der Bibel entlehnten Stoffe, die Frau symbolisch in den ihr von der Natur vorgeschriebenen Kreis zurückzuweisen. „Das Weib soll Männer gebären, nicht Männer tödten“, darum läßt [174] der Dichter die biblische Judith, indem er sie vergeistigt, an ihrer That zu Grunde gehen. Das eigene Himmelstürmen und Weltverachten konnte in einem Charakter wie Holofernes sprechend zum Ausdruck kommen. Dieses Stück, in welchem die ganze Ursprünglichkeit und Eigenheit des Hebbel’schen Genius mit all’ seinen Vorzügen und Fehlern, in einer für ein Erstlingswerk geradezu überraschenden Vollendung der Form zur Erscheinung kam, erregte sofort, wenn auch zuerst nur in Leserkreisen das größte Aufsehen. Am 6. Juli 1840 wurde es durch die Bemühungen der Crelinger, welche die Rolle der Judith übernommen hatte, im Berliner Schauspielhause, am 1. Decbr. desselben Jahres in Hamburg aufgeführt und obgleich wirkliche Mißgriffe – er selbst sagt in einem Briefe an Rousseau’s Schwester, das Stück bewege sich auf der äußersten Grenze des Darstellbaren – falsche Auffassungen und Kabale es bald von der Bühne verschwinden ließen, begründete es doch den Ruf Hebbel’s über ganz Deutschland. Am 13. Septbr. 1840 begann er in Hamburg die Tragödie „Genoveva“ und vollendete sie am 1. März des folgenden Jahres. Die Spuren dieser Dichtung sind gleichfalls schon in dem Münchener Aufenthalte zu suchen; aber erst die Leidenschaft welche er in Hamburg zu einer schönen Patriziertochter Namens Emma faßte, brachte, unter Verschiebung und symbolischer Einkleidung der dichterischen Motive, diese seine zweite Tragödie zur Reife. Zur Gestaltung der Genoveva hatte er den verkörperten Seelenadel Elisens vor sich, während er, um Golo’s dämonische Leidenschaft darzustellen, im Grunde seine eigene Gluth für die neue Geliebte und den Verrath an Elisen schilderte. Diesen Zusammenhang mit seinem Leben deuteten bereites die knappen Aeußerungen in seinem Vorworte zur Genoveva an. Wie tief diese Darstellung der eigenen Seelenzustände aber in dem Kern des Ganzen verborgen ist, geht aus Hebbel’s Selbstgeständniß über die Idee des Stückes hervor, welche „die christliche der Sühnung und Genugthuung durch Heilige ist.“ Ganz abgesehen davon, daß dies in dem Gedichte nicht zur vollen Anschauung gelangt, ist der Hauptcharakter, im Gegensatze zur Judith, mehr ein leidender als ein handelnder und H. hat später meine frühere Kritik, daß das Ganze mehr einen architektonischen als einen dramatischen Bau hat, anerkannt.
Tiefbegründet in dem Stromlauf dieses leidenschaftlichen und Leiden schaffenden Lebens ist es, daß es aus den Qualen immer wieder zu den Quellen, von dem Zweifel zu den ewig festen Punkten im Empfinden und Denken zurückkehrte. Die innere zerklüftete Welt, wie wir sie in den ersten dramatischen Dichtungen Hebbel’s, an historischen und mythischen Stoffen sich haben entwickeln sehen, macht auf einmal einer harmonischen Platz, in welcher der Dichter, im vollsten Bewußtsein seiner Sittlichkeit, das menschliche Treiben mit heiterer Ironie überschaut und darstellt. Das, wie wir wissen, in München bereits begonnene Lustspiel „Der Diamant“ wurde im Winter 1841 in Hamburg vollendet. Wenn im „Rubin“ mehr die dämonische Gewalt des Reichthums und die Beschwörung desselben durch Preisgeben des Besitzes zu Tage kommt, so wird hier mehr das Richtige und Komische, das sich in der Fürsten- wie in der Bettlerwelt an ihn knüpft, theils in märchenhafter Poesie, theils in realistischer Gestaltung vergegenwärtigt. Unsere Nachkommen werden Mühe haben zu begreifen, wie man bei einer Preisvertheilung für das beste Lustspiel, dieser ächten Komödie ein unbedeutendes Theaterstück hat vorziehen können. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, bis eine Meisterhand wie die Adolf Menzel’s den köstlichen Figuren von Kleist’s „zerbrochenem Krug“ die körperliche Weihe des Monumentalen gegeben hat; solange aber wird befangene Kritik und Vorurtheil von den Gestalten Hebbel’s die, von ihrem eigenen Werthe abgesehen, wahrlich zu einem größeren als einem Genrebilde gehören, schwerlich die berufenen Hände und Stimmen [175] abhalten. In dem Prolog zum „Diamant“ hat H. allerdings die Kritik mit mehr Muth als Vorsicht herausgefordert, indem er die Aftermuse zu dem Dichter sagen läßt: „mit einem Wort, die Gegenwart ist wie Narciß in sich vernarrt, sie hat sich ihr Porträt bestellt und du du bringst das Bild der Welt. Für deine Müh’ ist nichts zu hoffen, sie krönt nur den der sie getroffen, und hast Du Gott den Herrn gemalt, so sei er’s auch der Dich bezahlt.“
Nachdem H. den Hamburger Brand erlebt und wie er sich ausdrückte „den Leichnam einer Stadt“ gesehen hatte, dessen Gluthen seine Tragödie „Moloch“ färben sollten, faßte er, unter beständigem Sorgen um seine Zukunft, aber durch den Grafen von Moltke ermuthigt, den Entschluß nach Kopenhagen zu gehen, um von der dänischen Regierung ein Stipendium zur Reise nach Frankreich und Italien zu erwirken. Am 1. Novbr. 1842 brach er dorthin auf, wurde vom Könige Christian VIII. empfangen und erreichte, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, besonders durch Oehlenschläger’s Verwendung, ein Reisegeld von 600 Reichsthalern jährlich, für zwei Jahre. Von geistigem Erwerb war in Kopenhagen die Bekanntschaft mit Thorwaldsen und dessen Werken, der bedeutendste. Seine BrieLe aus jener Zeit sind von heller Begeisterung für den großen dänischen Meister.
Durch die Verhältnisse in Hamburg zurückgehalten und in einen litterarischen Streit gegen Professor Heiberg in Kopenhagen verwickelt, der den im „Morgenblatt“ gedruckten Aufsatz „Ein Wort über das Drama“ angegriffen hatte, kam H. erst am 14. Septbr. 1843, über Havre und Rouen, in Paris an. Hier lernte ich ihn kurz darauf kennen, bevor ich noch eines seiner Werke gelesen hatte und das Verhältniß das sich sofort entspann und seinen Tod überdauert, wurde schon in Paris ein so vertrauliches, daß wir die längste Zeit in der Rue de Mulhouse Nr. 13 Thür an Thür wohnten. Kuh hat es, nach Hebbel’s Tagebuch, in seinen äußeren Umrissen ziemlich genau, in seinem Wesen, wo er selbsturtheilend auftritt, minder richtig dargestellt. H. war schlank und ziemlich hoch von Gestalt; sein Gliederbau schien auf Unkosten des Kopfes zu zart ausgefallen und nur dazu da diesen Kopf zu tragen; unter der hohen, wie in durchsichtigem Marmor gemeißelten Stirn leuchteten die blauen Augen, mild bei ruhigem Gespräche, bei erregtem feuchteten sie sich dunkel glänzend an; Nase und Mund deuteten auf Sinnlichkeit; die etwas bleichen, zart gerötheten Wangen gaben dem durch ein starkes Kinn männlich abgeschlossenen Gesichte eine gewisse Breite und wenn man ihn ansah, hatte man stets den Eindruck ins Helle zu schauen. Er hatte eine adlige Künstlerhand und eine seelenvolle Stimme, die sich, je nach dem Gehalt seiner Rede, vom Gefälligen bis zum Gewaltigen steigern konnte. Als ich in Kuh’s Biographie das schöne Wort des später mit ihm zusammengekommenen Robert Kolbenheier las: Daß er wie die Ufer eines Bergstromes fortwährend leise zu erzittern schien, zitterte in mir selbst die Erinnerung an diese Wahrheit nach. Eine natürliche, stets den Kern der Dinge erfassende Beredtsamkeit und ein heiliger Ernst waren ihm eigen; die den Umgang mit ihm zuweilen störende Reizbarkeit konnten hingebende Naturen schon darum ertragen, weil er sich selbst darüber anklagend, versicherte, daß der Dichterproceß bei ihm auf derselben beruhe. Hebbel’s Weltanschauung war eine durch und durch spinozistische, aber er schrieb die Erkenntniß, oder strenger gesagt, Anschauung der „Idee“ seiner eigenen Dichterkraft zu und verehrte deshalb in Hegel und Schelling weniger seine Lehrer, als die nach links und rechts ausgelaufenen großen Denker der Neuzeit. Kant und Fichte kannte er damals noch wenig; dagegen war er mit unserer ganzen kunstphilosophischen Schule sehr vertraut und nächst Winkelmann und Lessing, schätzte er besonders Solger, Vischer und Rötscher, dessen spätere Mißgriffe ihm deshalb auch sehr nahe gingen. An den Genannten, [176] noch mehr aber an Aeschylos, Sophokles, Shakespeare, Goethe, Kleist, Molière und den Spaniern knüpften sich die täglichen Gespräche, in denen er immer neue, aber stets auf den sittlichen Mittelpunkt sich beziehende Gedanken entwickelte. Er sah in Paris besonders Heine, Ruge und den eigentlich zu den Hamburgern gehörenden musikalischen Schriftsteller August Gathy, zuletzt auch Oehlenschläger, der zu jener Zeit Paris besuchte. Hier war ihm eine der schwersten Prüfungen vorbehalten. Am 22. October erhielt er die Nachricht, daß sein und Elisens Sohn, Max, „ein Kind das Keiner ohne Freude und Entzücken betrachten konnte“, am 2., dem Todestage Emil Rousseau’s, in Hamburg gestorben sei. Man müßte seinen Schmerz einen unbeschreiblichen nennen, wenn er, der vor dem Herabsteigen in den tiefsten Schacht seines Innern nicht zurückschauderte, ihn eben nicht in seinem Tagebuche mit tragischen Tonzeichen beschrieben hätte. Der Ausbruch dieses Schmerzes, dessen Darstellung Kuh „ein biographisches Actenstück ersten Ranges nennt“, hat fast wörtlich in meiner ersten, vor Kurzem durch die Anlage der Avenue de l’Opera verschwundenen Pariser Wohnung im Hotel de Lyon, Rue d’Argenteuil stattgefunden. Eine Stelle verdient hier besonders angeführt zu werden, weil H. vielleicht nie wieder zu einem so reinen Ausdrucke des sittlichen Selbstbewußtseins, gegenüber seiner damaligen falschen Lage, gekommen ist. „Da geht“, so heißt es, in der von Kuh ausgezogenen Stelle des Tagebuchs, „Einer an mir hin und spricht: fassen Sie sich, bedenken Sie was Sie sich und der Welt schuldig sind. Mir! Mich in allen Tiefen aufzuwühlen und mich zu zernagen, so lange der letzte Zahn noch nicht verstumpft ist. Der Welt! Ein Mensch muß sein, nicht ein solcher der sich durch das was man Kraft und Talent nennt, über die einfach ewigen sittlichen Gesetze hinauszuschrauben sucht, sondern ein solcher, der sich dahin stellt, wo ihm alle Waffen mitten durch die Brust schneiden.“ Mit diesem Tode und den berechtigten und unberechtigten Lehren die der Vielgeprüfte daraus zog, wurde für Elise das Märtyrerschicksal besiegelt.
Die Berechtigung der gesellschaftlichen Satzungen, Sittenreinheit und häusliche Ehre betreffend, gegenüber der gewaltsamen Störung des Familienkreises, kam, allerdings nicht ohne tragischen Schrei über ihre Härte, in dem bürgerlichen Trauerspiel „Maria Magdalena“, das er während dieser Krisis gerade beendigte, zur Gestaltung. Die von dem Dichter erlebten Motive zu diesem Stücke sind, nach dem Gesagten, leicht zu erkennen. Der Tischlerstochter in München wurde Elisens Seele und Lage angedichtet, während aus Meister Antons Schroffheit und Ehrlichkeit der Maurer von Wesselburen herausblickt. Was H. durch die lockere Begründung von Clara’s Fall, bei welcher die Verführung der Münchener Beppi ihn selbst verführte, gesündigt hat, hat er durch die meisterhafte Darstellung des rächenden Geschickes und der einzelnen Charaktere die ihm zum Opfer fallen, wenigstens soweit wieder gut gemacht, daß wir in der „Maria Magdalena“, wie man sie auch tadeln mag, jedenfalls eine der originellsten und bleibendsten Schöpfungen der neueren dramatischen Litteratur gewonnen haben. Es ist, wie Kuh unter Vorwürfen gegen mich darstellt, vollkommen wahr, daß H. sein inhalt- und kunstreiches Vorwort zu diesem Stücke auf meine Veranlassung geschrieben hat; aber durchaus unrichtig, „daß in dem intimen Umgang mit mir für H. die Periode des heillosesten Nachgehens hinter den Problemen und Welträthseln in der Kunst begann.“ Als H. nach Paris kam, war er als Dichter und Denker ein so fest abgeschlossener Organismus, daß Begabtere wie ich ihn in keine Bahn hätten bringen können, zu der ihm seine eigene Natur nicht die Furchen gezogen hat. Seine tiefsten, gerade das Weltgeheimniß behandelnden Gedichte stammen aus der München-Hamburger Zeit; die „Zwei Wanderer“, die schon Uhland für hochbedeutend erklärt hatte, [177] haben höchst wahrscheinlich das verwandte Gedicht: „Der erste und der letzte Mensch“, von welchem er uns nur den Schluß überliefert hat, aufgelöst; aber man könnte es sich noch als ein Verdienst anrechnen, wenn man an diesem Schluß einen Antheil hätte. Er lautet: „dem letzten begegnet der erste dann, den einst die Erde getragen; sie schauen sich stumm und ernsthaft an und haben sich nichts zu sagen.“
Am 26. Septbr. 1844 verließ H. Paris und reiste über Lyon, Marseille und Civita Vecchia nach Rom, wo er am 3. October eintraf. Zum vollen Genusse der ewigen Stadt fehlte ihm Gemüthsruhe und wol auch die nöthige wissenschaftliche Vorbereitung. Er könne sich, schrieb er bezeichnender Weise in sein Tagebuch, den Göttertempel aus dem Steinhaufen, der noch von ihm übrig blieb, nicht wieder zusammensetzen. Gewaltig aber wirkte auf ihn „die göttliche Natur, die dieses Grab der Vergangenheit umgibt.“ Die erste Scene der längst entworfenen Tragödie „Moloch“ dichtete er im Colosseum und an seinem 32. Geburtstage, am 18. März 1845, das schöne Gedicht: „Das Opfer des Frühlings“, dem er namentlich in Hinsicht auf Wohlklang der Sprache und Reinheit des Verses einen bedeutenden Rang unter seinen Werken einräumte. Ein Seitenstück zu der ein Jahr vorher in Paris entstandenen Ballade: „Liebeszauber“ erreicht es indessen diese weder in Bezug auf Schönheit der Erfindung, noch auf Plastik, noch selbst auf die hier besonders betonte Naturschilderung, die namentlich in den ersten drei Strophen dieses letzteren Gedichtes von seltener Erhabenheit und Vollendung ist; während schon die zweite Strophe im „Opfer des Frühlings“ in ihrer Gedrängtheit das Bild verwirrt, so daß die Gestalt des dahinschreitenden Jünglings kaum als die des Frühlings erkannt wird. Dahingegen gehören die sechste und siebente Strophe in letzterem Gedichte wieder mit zu dem Höchsten was in geschlossener Naturschilderung geleistet worden ist. In Rom entstand auch noch eine Reihe kleinerer Gedichte und namentlich Epigramme, die zum Theil den örtlichen Ursprung verrathen; aber der ganze Aufenthalt daselbst dauerte nur wenige Monate, dann ging H. nach Neapel. Auch von dem dortigen Verweilen schreibt sich keinerlei geistige Veränderung in ihm her, ja es ist für sein Eigenleben sehr charakteristisch, daß wie Hermann Hettner bezeugt, er sich gerade in Neapel stark mit dem Moloch beschäftigte. Der Wohllaut der italienischen Sprache konnte indessen nicht ohne Wirkung auf ihn vorübergehen, so daß er nicht allein mehr in romanischen Formen dichtete wie früher, sondern das Instrument der deutschen Sprache selbst harmonischer zu stimmen sich anschickte. Doch wie sollten solche Versuche gegen das natürliche Brausen seiner Stürme die Oberhand behalten? Er hörte hier, von einem aus Sicilien anlangenden Reisenden den dort vorgekommenen Fall erzählen, daß Gensdarmen ein armes Mädchen aus Raubsucht ermordeten und dann den Liebhaber für den Schuldigen ausgaben, daß aber ein mit gestohlenen Früchten vor denselben Gensdarmen auf einen Baum geflüchteter Bauer sie dem Arm der Gerechtigkeit überlieferte und dichtete später mit diesem Stoffe die Tragikomödie: „Ein Trauerspiel in Sicilien“. Im October 1845 reiste H. über Rom, Ancona, Triest nach Wien, wo er am 4. Novbr. anlangte.
Hier beginnt ein neuer Abschnitt seines Lebens. Nachdem er Deinhardstein, Grillparzer, Halm, Ferd. Wolff, Frankl, Prechtler, Löwe, Anschütz und andere hervorragende Persönlichkeiten kennen gelernt und nachdem der jugendliche und talentvolle Sigmund Engländer in Vogl’s „Morgenblatt“ enthusiastische Artikel über ihn veröffentlicht hatte, sah er, Alles in Allem, die Zwecklosigkeit eines ferneren Aufenthaltes in Wien ein und wollte bereits eine Karte zur Reise nach Prag lösen, als er auf dem Wege zur Post erfuhr, daß er von zwei galizischen Edelleuten gesucht werde. Sonderbar genug, sollten es Polen und nicht Deutsche, die Gebrüder [178] Zerboni di Sposetti sein, welche bestimmend in das Schicksal Hebbel’s eingriffen. Von seinen Dichtungen hingerissen, empfingen und feierten sie ihn mit der ihrer Art eigenen Ueberschwänglichkeit, ließen ihn zum erstenmale in seinem Leben Bequemlichkeit und Reichthum genießen, und so in Wien aufgehalten, wurde H. zunächst in dem Schriftstellerverein Concordia öffentlich gefeiert und machte, da Prechtler ihm sagte daß die Hofschauspielerin Christine Enghaus längst den Wunsch gehabt hätte die Judith zu spielen, deren Bekanntschaft. Er hatte diese schöne und hochbegabte Künstlerin bereits auf dem Hamburger Stadttheater in einer Nibelungenrolle bewundert, und am 31. Decbr. 1845 schrieb er folgendes in sein Tagebuch: „Ich verlobte mich mit Fräulein Enghaus; ich that es gewiß aus Liebe, aber ich hätte dieser Liebe Herr zu werden gesucht und meine Reise fortgesetzt, wenn nicht der Druck des Lebens so schwer über mir geworden wäre, daß ich in der Neigung die dieses edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung sehen mußte. Ich zögere nicht, dieses Bekenntniß unumwunden abzulegen, so viel ich auch dabei verlieren würde, wenn ich einen deutschen Jüngling zum Richter hätte. Auf eine unbesiegbare Leidenschaft darf man sich nach dem dreißigsten Jahre, nach meinem Gefühl nicht mehr berufen, wenn man nicht ein völlig inhaltloses Leben führt, wol aber auf eine Situation, die ein Resultat aller vorhergegangenen, das Dasein selbst mit seinem ganzen Gehalt ins Gedränge bringt, wie es in jedem Sinn mein Fall war. Es ist meine Ueberzeugung und wird es in alle Ewigkeit bleiben, daß der ganze Mensch derjenigen Kraft in ihm angehört, die das bedeutendste ist, denn aus ihr allein entspringt sein ganzes Glück und zugleich aller Nutzen, den die Welt von ihm ziehen kann; diese Kraft ist in mir die poetische: wie hätte ich sie in dem miserablen Kampf um die Existenz lebendig erhalten und wie hätte ich diesen Kampf ohne sie auch nur nothdürftig in die Länge ziehen sollen, da bei meiner unlenkbaren Richtung auf das Wahre und Echte, bei meiner völligen Unfähigkeit zu handwerkern, an einen Sieg gar nicht zu denken war. Wenn die Ruhe des Gewissens die Probe des Handelns ist, so habe ich nie besser gehandelt, als indem ich den Schritt that, aus dem Elise mir eine Todsünde macht.“ Am 27. Juni 1846, einen Monat nach seiner Vermählung, schrieb mir H. aus Wien einen inhaltsschweren, mit anderen später zu veröffentlichenden Brief, der noch weitere Beweggründe in Betreff dieses Schrittes entwickelt und mit den Worten endet: „Bewahren Sie diesen Brief auf, ich werde keinen zweiten der Art schreiben.“ Der Kirchspielschreiber Voß in Wesselburen ertheilte ihm, als er ihm seinen Geburtsschein schickte, den erbetenen Segen, indem er ihm zugleich anzeigte, daß seine Tochter Emilie (bei deren Anblick den Dreijährigen „ein leidenschaftliches Zittern überflogen hatte“) seit einem Jahre verheirathet und bereits Wittwe sei. Es ist dies wie eine mit dem Ganzen verschlungene Nebenscene in diesem merkwürdigen Drama. Hebbel’s erste Geliebte, die kurz nach der Brautnacht Wittwe wird, erinnert unwillkührlich an das einige Jahre früher von ihm erdichtete jungfräuliche Wittwenthum der Judith.
H. vollendete nun zunächst die „Julia“, jenes Trauerspiel das mit den letzten Verwirrungen seines Lebens zusammenhängt und das, trotz der in ihm enthaltenen Schönheiten, als der entschiedenste Mißgriff in seinem ganzen Schaffen bezeichnet werden muß. Er ist, indem er es mit einem Nichtschuldig für Sünder am Leben versuchen und sein eigenes Gemüth dadurch erleichtern wollte, nahe an die Grenze des Nihilismus gekommen und hat dabei entschieden die Linie des Schönen überschritten. Dies war aber auch seine einzige künstlerische, weil an seine erste und letzte menschliche sich anlehnende Unsittlichkeit. Ohne daß sich eine beweiskräftige biographische Thatsache darüber feststellen läßt, aber aus richtiger psychologischer Folgerung kann man annehmen, daß die 1847 begonnene Tragödie [179] „Herodes und Marianne“ aus Hebbel’s eigener rückwärts schauender Eifersucht auf Christine entstanden ist, einer Leidenschaft die in der menschlichen Natur vielleicht noch tiefer begründet ist, als die vorwärts schauende des Herodes. Dieses Stück ist in Bezug auf Anlage und Ausführung von höchster Bedeutung und seine Vollendung gipfelt gerade in der ihm vorgeworfenen Widerholung des verhängnißvollen Befehles welchen Herodes zur Ermordung der Marianne gibt, indem er das Schicksal, das ihn glücklich hatte heimkehren lassen, durch den lästernden und grausamen Versuch es in seinen Folgen zu beschränken, herausfordert.
Die Umwälzungen von 1848 konnten einen Geist wie den Hebbel’s nicht theilnahmlos lassen. Er focht in Wort und Schrift für Verfassung und Recht; als aber die Volksherrschaft nahete, wendete er sich mit Verachtung und nicht ohne Leidenschaft von der Bewegung ab, selbst Freunde opfernd, die sich schrankenlos dem revolutionären Strudel hingegeben hatten. Bei dem Kampfe mit Dänemark verleugnete sich seine dithmarsche Abstammung nicht. „Für Dänemark“, sagte er, „ist nur ein Heil: es ordne seine Politik der deutschen unter, so kann es dereinst noch eine stattliche deutsche Provinz hergeben.“ Ueber die österreichischen Zustände schrieb er damals Berichte für die „Allgemeine Zeitung“, die aber verhältnißmäßig wenig Hervorragendes hatten. Wie ironisch er sich gegen die eingebrochene Reaction stellte, zeigte unter anderen das folgende in seinem Tagebuch eingetragene Epigramm: „Ein Apfelbaum wird arretirt, der Blätter ausgestreut, auf denen klar zu lesen stand, daß sich die Zeit erneut.“ Während „Maria Magdalena“ und „Judith“ am Burgtheater Erfolg hatten, fiel „Herodes und Marianne“, es sei in der Geschichte des deutschen Theaters nicht vergessen, geradezu durch. Kaum besser erging es dem dramatisirten Mährchen „Der Rubin“, in welchem die Phantasie des Zuschauers vielleicht das Symbolische in unmittelbarer Handlung nicht lebendig genug verkörpert fand. H. leitete damals eine Zeit lang den litterarischen Theil der „Wiener Reichszeitung“ und schrieb eine Anzahl zum Theil meisterhafter kritischer Aufsätze, namentlich für Rötschers und für die Wiener Jahrbücher, die obgleich sie streng wissenschaftlich gehalten waren und zum Theil gerade deshalb, die Anzahl seiner Gegner vermehrten. Am 25. Octbr. 1850 wurde der zweite leider letzte Act des Moloch fertig. Obgleich H. besonders während seines Pariser Aufenthaltes, wo seine Dramen noch mit seinen äußeren Erlebnissen zusammenhingen, über seine im Entstehen begriffenen Werke sehr zurückhaltend sprach und deren Grundideen nie verrieth, hatte eben diese Tragödie, welche er Jahre hindurch für sein Hauptwerk hielt und deren Originalmanuscript er mir brieflich vermacht hat, den Inhalt zahlreicher, dort mit ihm gepflogener Gespräche gebildet. Gerade an dieser Bruchstück gebliebenen Dichtung läßt sich die ganze Regelmäßigkeit des Hebbel’schen Organismus nachweisen, dem es, selbst nachdem die durch das Dichtergenie erweckte Denkkraft die ganze Anlage einer Schöpfung zu Stande gebracht hatte, unmöglich war, an die Ausführung zu gehen, wenn der Naturproceß des ausführenden Dichtens sich nicht einstellte. In Paris war die Grundidee bereits empfangen und soviel er dort davon hergab, wollte er das Entstehen von Weltzuständen und positiven Religionen an einer an sich dramatischen Handlung, bei welcher Rom, Carthago und das deutsche Urland den Hintergrund bilden, symbolisch darstellen. Ich suchte ihn bei dieser Idee, von ihrer Tiefe abgesehen, schon darum festzuhalten, weil er hier zum erstenmale aus dem mit seinen Erlebnissen zusammenhängenden Kreise herausgetreten war und die in dem Vorworte zu Maria Magdalena entwickelten Ideen über die Wendepunkte der Geschichte als Vorwürfe der dramatischen Kunst, in einem gewaltigen Symbol zu verwirklichen sich anschickte. Aus den Aufzeichnungen in [180] Hebbel’s Papieren stellt sich heraus, daß nicht allein die ganze Anlage des Drama’s fertig war, sondern daß die Katastrophe, an Originalität der Erfindung und an strenger Herbeiführung tragischen Geschickes, alle seine anderen Dichtungen übertrifft. Nachdem nämlich Hieron, Hannibal’s Bruder, mittels des nach Thule übergeführten Moloch, der für ihn nur ein Werkzeug ist, die Deutschen zum Rachezuge gegen Rom gewonnen hat, wird der in den Augen des Volkes beseelte Götze immer mehr zu einem geistigen Wesen, das ihn selbst entlarvt und überwältigt. Jedem nur einigermaßen talentvollen Menschen wäre es ein Leichtes gewesen, das so Durchdachte auch auszuführen; H. konnte es nicht, weil die geheimnißvollen Processe dazu sich nicht einstellten, und fragt man nun, warum sie gerade hier ausgeblieben sind, so kommt man zur Entdeckung von Hebbel’s innerstem Wesen. Derselbe Grund der mich bestimmte, ihn an der Idee des Moloch festhalten zu lassen: die Unabhängigkeit von seinen Erlebnissen, scheint das Hinderniß zum Erscheinen jener geweihten Dichterstunden geworden zu sein. Hier entsteht nun aber die Frage, ob diese absolute Zusammengehörigkeit des wirklichen Lebens mit der Kunst, wie sie bei H. zum Vorschein kommt, dem Hervorbringen wirklich geläuterter Kunstwerke förderlich ist oder nicht. Große Denker und Dichter läugnen dies, ja Heinrich Heine hat gerade in Gesprächen welche ich während und nach Hebbel’s Aufenthalt in Paris über letzteren mit ihm hatte, wiederholt behauptet, daß das poetische Schaffen von den inneren Erlebnissen unabhängig sei, was jedoch kaum etwas anderes als den ungeheuren Gegensatz zwischen diesen beiden Naturen beweist. Wahrscheinlich aber ist es, daß wegen der angeführten Eigenthümlichkeiten der Artung, auch Hebbel’s Tragödie Christus, welche nach seiner Auffassung den Moloch überflüssig gemacht haben sollte, ungedichtet, oder wenigstens unvollendet geblieben ist. Wo seine Quellen nicht Ströme wurden war sein Verstand sicherlich mehr als die im Busen zusammenströmende Gesammtmasse der Seelenkräfte, die man vorzugsweise als die dichterische erkennt, thätig gewesen und dies ist der sicherste Beweis, daß der Unterschied zwischen ächter und sogenannter Reflexions-Poesie, den allerdings keine Nation so scharf gezogen hat wie die in beiden und in gemischten Richtungen am reichsten vertretene deutsche, wirklich vorhanden ist. So kommt aber auch die Verwirrung in unseren Kunstzuständen besonders daher, daß die dichtenden Verstandes-Individuen an und für sich mehr schneidige Organe haben als diejenigen, bei denen das Dichten eine natürliche und deshalb fromme Verrichtung ist.
Im Jahre 1850 entstand noch das zweiactige Drama „Michel Angelo“, in welchem H. die bekannte Anekdote aus dem Leben des großen Florentiners, nach welcher dieser einer seiner Statuen durch Verstümmelung und Vergrabung das Ansehen einer alten gegeben haben soll, in der Weise benutzt hat, daß der Künstler, als seine Neider und Quäler die vermeintliche Antike bewundern, sie durch Vorzeigung des fehlenden Arms beschämt. Bei der Dichtung dieses Stücks haben alle Leidenschaften Hebbel’s einen Ruhepunkt gehalten: hier braust kein Liebessturm, hier schafft sich das Weh im Dasein kein Symbol, um Tiefe und Gleichheit des Menschengeschickes daran zu zeigen; aber der seiner Kraft sich bewußte Dichter dramatisirt Fata seines eigenen Künstlerlebens, indem er den Kampf den der gewaltigste Bildner des sechzehnten Jahrhunderts gegen Nebenbuhlerschaft und Laune kämpfte, heiteren Ernstes darstellt. Doch auch von diesen biographischen Beziehungen ganz abgesehen, ist das Drama lebensvoll und spannend, die Gestalt des Michel Angelo voll Männlichkeit, Frische und Humor, die feine Charakterisirung Raphael’s und des Papstes, obgleich sie eigentlich nur als Gegensätze des Herben und der Entzweiung vorübergehen, eines Meisters würdig. Nebenbei stellen die kleinen Volksscenen Italien immerhin wie von Jemandem gemalt dar, der es wirklich gesehen und ihm Farben abgelauscht hat. [181] Das Ganze ist, wenn einmal der Verdacht als ob es satyrisch wirken solle, den sich allenfalls getroffen Fühlenden das Fest nicht mehr verderben wird, zu einem Theaterfestspiel wie geschaffen.
H. lebte nun, trotz zahlreicher Reibungen mit Theaterdirectionen und kritischen Organen aller Art versöhnter gestimmt, in einem Kreise von Freunden, unter denen Emil Kuh Jahre hindurch die vertrauteste Stellung einnahm. Andere Genossen waren: Fürst Felix von Schwarzenberg, die Maler Rahl und Gurlitt, Ernst von Schwarzer, Rob. Zimmermann, Hanslick, Hofrath Lewinski, der spätere österreichische Justizminister Julius Glaser, Karl Werner, Debrois van Bruyk, Adolph Pichler, Wilhelm Gärtner und andere, welche zum Theil seine Werke öffentlich beurtheilt haben. In Berlin, wo er sich 1851 zweimal aufhielt, verkehrte er mit Tieck, Cornelius, Rötscher, Carrière, Mundt und fand in diesen engeren Kreisen seine Leistungen, wenn auch mit Vorbehalten, richtiger erkannt als bei dem größeren Publikum. Im Herbst 1851 schrieb H. innerhalb 21/2 Monate die Tragödie „Agnes Bernauer“. Gerade die Gefahren, in welche er durch die politischen Ausschreitungen der letzten Jahre das Staatswesen hatte gerathen sehen, mochten ihn zur Bearbeitung dieses Stoffes, bei welchem nach alter Weisen- und Dichterart, dem Ganzen die höhere Berechtigung gegen das Individuum gelassen wird, gestimmt haben. Den ethischen Standpunkt auf welchem sich der Dichter gegenüber der ihn beurtheilenden Kritik befand, bezeichnet Nichts schärfer, als die Behandlung dieser Episode, bei welcher er das ewige tragische Gesetz des Lebens hervorkehrte, während Kritik und Publikum das diesem gegenüber durchaus untergeordnete politische Element allein zum Maßstabe der Behandlung des Ganzen nahmen. Diese durch die Aufregung der Zeit geförderte Verwirrung und Einschüchterung ging soweit, daß als H. im Winter 1852 in München war, der alte König Ludwig ihm gestand, daß er zur Verurtheilung der Agnes nimmermehr die Kraft gehabt hätte. Selbst dieser kunstsinnige Fürst übersah, daß Hebbel’s Stück kein Tendenz-Drama sondern ein solches war, in welchem das tragische Geschick selbst der körperlichen Schönheit zur Anschauung gebracht wird, wenn sie mit den zu längerer Dauer sittlich berechtigten Mächten in Conflict geräth, und daß wir uns im alten deutschen Reiche befinden, „das mit allen seinen Elementen wie ein ungeheurer Berg hinter der Handlung steht.“ In diesem Sinne hat H. auch in seinen damaligen Gesprächen mit König Maximilian II., die Agnes Bernauer, d. h. nicht sein Stück, sondern die Baderstochter, die moderne Antigone genannt. Die Aufführung dieses Drama’s, welche am 25. März stattfand und eine sehr mittelmäßige war, scheiterte an dem Anstoß, den der 5. Act in politischer Hinsicht erregte. Als H. in jenem Winter 1852 in München von der vornehmsten Gesellschaft gefeiert und bei Hofe ausgezeichnet wurde, erinnerte er sich mit Wehmuth der früher dort unter so verschiedenen Verhältnissen verlebten Tage. Nach Wien zurückgekehrt, beschäftigte er sich mit der Herausgabe des litterarischen Nachlasses von Feuchtersleben und bekam Ende 1853 aus Aerger über die gescheiterten Unterhandlungen zur Aufführung der Agnes am Wiener Burgtheater, die Gelbsucht. Die Genoveva hatte er, um alle an eine Heilige erinnernden Elemente zu verbannen, umarbeiten und „Magellone“ benennen müssen. Im Sommer des darauffolgenden Jahres lernte er in Marienbad Friedrich von Uechtritz kennen, dem seine Werke noch völlig unbekannt waren, der ihn aber sehr bald für einen der größten deutschen Dichter erklärte und über Jahre hinaus einen inhaltreichen Briefwechsel mit ihm unterhielt. Im Herbst vollendete er das Drama „Gyges und sein Ring“, nach der bekannten Sage des Herodot, welches Uechtritz als „die edelste und köstlichste aller bisherigen Gaben Hebbel’s“ bezeichnete. „H. verdient“, sagte er, „um dieses Gedichtes willen als der Frauenlob unserer Tage gekrönt zu werden.“ [182] Wahr ist, daß selten ein Dichter eine keuschere Gestalt als die Rhodope geschaffen hat; aber von allen Dramen Hebbel’s, die Julia ausgenommen, die besser nicht geschrieben wäre, wird dieses sich vielleicht am spätesten Bahn brechen, weil es den modernen Anschauungen allzu fremdartig gegenübersteht.
Inzwischen war am 18. November 1854 die vielgeprüfte Elise Lensing in Hamburg, mit ihrem Schicksal versöhnt, gestorben. H., dessen Gattin sich zu der Dahingeschiedenen wie eine Schwester gestellt hatte, schrieb bei der Todesnachricht in sein Tagebuch, er werde Niemanden lieber als ihr in den reineren Regionen begegnen. Nachdem er sich in dem Dorfe Orth bei Gmunden ein kleines Grundstück erworben hatte und die Versöhnung mit dem Leben bei ihm nicht bloß ideell, sondern wirklich geworden war, dichtete er 1855, innerhalb sechs Wochen, das acht Jahre vorher bereits erfundene Epos „Mutter und Kind“, in welchem die Gleichheit der Glücksbedingungen in den verschiedenen Ständen, an dem natürlichsten und ursprünglichsten aller irdischen Verhältnisse, dem der Gebärenden zu dem Geborenen, im Rahmen des modernen Lebens dargestellt wird. Die Dresdner Tiedge-Stiftung krönte dieses Epos mit ihrem Preise. Stärker als je regte sich jetzt überhaupt Hebbel’s schöpferischer Geist. Er ging an die dramatische Bearbeitung der Nibelungen und besorgte, Feile und Neues benutzend, eine Uhland gewidmete Gesammtausgabe seiner Gedichte für die Cotta’sche Buchhandlung. 1857 kam er auf einer Reise mit Wilhelm Jordan, Schopenhauer und Moerike zusammen, welch’ letzterer ihn sehr anerkannte. Im Sommer des darauffolgenden Jahres folgte er einer Einladung des Großherzogs von Sachsen nach Weimar, wo Dingelstedt inzwischen Intendant des Hoftheaters geworden war. Er wohnte hier der Vorstellung der „Genoveva“ bei, die mit bedeutendem Erfolge gegeben wurde. Der kunstsinnige Großherzog ertheilte ihm persönlich den Falkenorden, den ersten der Hebbel’s Brust zierte. Vom Goethehause sagte er, das sei das einzige Schlachtfeld auf das die Deutschen stolz sein können.
Nur flüchtig werde hier der beiden Zusammenkünfte erwähnt, die mir seit der Trennung in Paris, mit H. vergönnt waren. Als ich ihn zur Zeit der Wiener Conferenzen im J. 1855 wiedersah, war er geistig und physisch durchaus unverändert; als er mich aber im Herbst 1860 in Paris mit seinem Besuche überraschte, war er ohne Hypochondrie, mehr als je nach Innen gekehrt und von dem Reiz irdischer Güter abgewendet. „Mit dem Guckkasten“ (womit er die Reiseeindrücke meinte) „will es nicht mehr recht gehen.“ Manche Zeugen unserer Jugenderinnerungen waren durch den Hammer Napoleons III. zerschlagen; aber der noch unvollendete Umbau von Paris ließ ihn doch nicht kalt und er hatte für Napoleon III. überhaupt eine gewisse Bewunderung, die ihn in Versuchung setzte sich ihm vorstellen zu lassen. Es sollte dies durch den ihm von München her bekannten Herzog Tascher de la Pagerie geschehen. In Anbetracht seiner Wiener Verhältnisse und der Oesterreich von Napoleon geschlagenen frischen Wunden, glaubte ich ihm davon abrathen zu müssen und da er sich unfähig fühlte die kaiserliche Bekanntschaft in Wien zu läugnen, so gab er sie ohne sichtliches Bedauern auf. Ende 1860 erhielt er den baierischen Maximiliansorden und bekam ferner Aussicht in die Nähe des Großherzogs von Weimar gezogen zu werden. Durch Vermittelung Dingelstedt’s war nämlich die ganze am 22. März 1861 vollendete Nibelungen-Trilogie, vom Dichter allerdings nicht ohne Widerwillen und Mühe verkürzt, am 16. und 18. Mai in Weimar mit bedeutendem Erfolge zur Aufführung gekommen. Christine H. hatte in „Siegfried’s Tod“ die Brunhild, in „Krimhilden’s Rache“ die Titelrolle gespielt und die Zuschauer zur Bewunderung hingerissen. Der Großherzog und die Großherzogin zeichneten H. wiederholt persönlich aus und Dingelstedt schlug die Uebersiedelung nach Weimar vor. H. war in Folge der ihm und seiner Frau [183] widerfahrenen langjährigen Zurücksetzungen, der Aufenthalt in Wien zuwider geworden und sein Entschluß war bereits gefaßt, als von Weimar und Wien Gegenwirkungen eintraten, die zum Bedauern des Großherzogs Alles wieder vereitelten. Die „Nibelungen“ brachen sich inzwischen schneller Bahn, als H. erwartet hatte. Niemand hatte sich vor ihm der überwältigenden Aufgabe unterzogen, „den ganzen dramatischen Schatz des Nibelungenliedes für die reale Bühne flüssig zu machen“. Wie dies geschehen ist, hat uns H. selbst in einem zu Ende des fünften Bandes seiner sämmtlichen Werke abgedruckten, bisher jedoch wenig beachteten Documente aus dem Nachlasse und zwar in einer so rührend bescheidenen Weise gesagt, daß es hier schon als biographischer Zug erwähnt zu werden verdient. Er nennt „den gewaltigen Schöpfer unseres National-Epos in der Conception Dramatiker vom Wirbel bis zur Zeh“ und sagt, „es sei ihm Pflicht und Ruhm zugleich gewesen, ihm mit schuldiger Ehrfurcht auf Schritt und Tritt zu folgen, soweit es die Verschiedenheit der epischen und dramatischen Form irgend gestattete“. „Es ist nämlich“, fährt er fort, „gar nicht genug zu bewundern, mit welcher künstlerischer Weisheit der große Dichter den mystischen Hintergrund seines Gedichtes von der Mährchenwelt, die doch bei oberflächlicher Betrachtung ganz darin verstrickt scheint, abzuscheiden gewußt und wie er dem menschlichen Handeln trotz des bunten Gewimmels von verlockenden Riesen und Zwergen, Nornen und Walkyren seine volle Freiheit zu wahren verstanden hat“. Und um seinem Vorgänger, oder wenn man will, seinen Vorgängern (doch diese schmelzen vor einem solchen Dichterblick bedenklich zusammen) die Krone aufzusetzen, heißt es am Schluß, „denn wie Krimhild’s That uns auch anschaudern mag: er (der Dichter des Epos) führt sie langsam Stufe nach Stufe empor; keine einzige überspringend und auf einer jeden ihr Herz mit dem unendlichen, immer steigenden Jammer entblößend, bis sie auf dem schwindligen Gipfel anlangt, wo sie so vielen, mit bitterem Schmerz gebrachten und nicht mehr zurückzunehmenden Opfern das letzte, ungeheuerste noch hinzufügen, oder zum Hohn ihrer dämonischen Feinde auf den ganzen Preis ihres Lebens Verzicht leisten muß, und er söhnt uns dadurch vollkommen mit ihr aus, daß ihr eigenes inneres Leid selbst während des entsetzlichen Racheacts noch viel größer ist, als das äußere, was sie den Andern zufügt“. Man sieht: die wahren Dichter suchen sich gegenseitig nicht zu verkürzen. H. findet, daß alle Momente des Trauerspiels durch das Epos selbst gegeben waren, wenn auch oft in verworrener und zerstreuter Gestalt oder in spröder Kürze und daß die Aufgabe nur darin bestand, „sie zur dramatischen Kette zu gliedern und poetisch zu beleben, wo es nöthig war“. Als eigenes Verdienst macht er nur die hierauf verwandte Zeit geltend: „volle sieben Jahre“. Dieses selbstkritische Geständniß ist, was die allgemeine Behandlung der Trilogie und die Durchführung des Hauptcharakters betrifft, nahezu erschöpfend; denn die dramatische Verschlingung der Situationen und die Benutzung derselben zur Entfaltung der schönen, hohen und abgestuft herben Eigenschaften der Einzelcharaktere, versteht sich bei H. nach seinen früheren Leistungen von selbst; aber in Betreff der Gestaltung der Krimhilde und der mythischen Waffenthaten Siegfried’s, hat er vielleicht, obgleich er es da das Menschliche unberührt bleibt, für unverfänglich hält, doch zu weit in den nordischen Sagenkreis hinausgegriffen und G. Röpe’s tadelnde Bemerkungen über die Unstatthaftigkeit des Hereinziehens physischer Kraftäußerungen von Brunhilde und Siegfried in die dramatische Handlung, sind nicht ohne Begründung. Auf dem Theater stört dies immerhin die Illusion; doch von den Nibelungen überhaupt kann man sagen, daß das Wunderbare in ihnen Erzeugerin, gleichsam die jenseitige Natur ist und ebendeshalb hat es, wie H. herausfühlte, auch im Epos dem rein Menschlichen nicht geschadet.
[184] Nach den Erfolgen seiner Trilogie fing H. in Wien an populär zu werden und würde seinen fünfzigsten Geburtstag in heiterer Stimmung haben feiern können, wenn er nicht bereits krank darniedergelegen hätte. Das Uebel schien alt zu sein und auf Rechnung der früheren harten Entbehrungen zu kommen. Von Nah und Fern erhielt der kranke Dichter Beweise der Anerkennung: der Großherzog von Weimar gab ihm den Titel eines Hofbibliothekars, die Großherzogin schickte einen silbernen Becher und Julius Glaser spendete die Abbildungen der Kirche und der Kirchspielvogtei von Wesselburen. Hebbel’s Krankheit, welche die Aerzte anfänglich für Rheumatismus hielten, nahm einen schnellen Verlauf und immer ernsteren Charakter an; sie wurde zuletzt als eine Erweichung der Wirbelsäule erkannt. Auch der Aufenthalt auf dem Lande konnte keine Besserung bringen. Im tiefsten Leiden vollendete H. am 22. Juli 1863, in seinem Hause zu Gmunden, das unvergängliche Gedicht „Der Bramine“. Wenn er, wie wir gesehen haben, einem Naturdrange folgend, in verschiedenen seiner Werke an Fabeln verkörpert, sein Leben dargestellt hat, so stellt er hier seinen Tod durch die Wirklichkeit von Schmerz und Opfer vergeistigt dar. Was die disjecta membra des lebenden Dichters von sittlichen Gesetzen veranschaulichten, offenbart jetzt, wo es sich um sein eigenes Leben und um Erlösung von aller Pein handelt, der ganze Mensch, indem er, während der Tod ihm anbietet, er möchte ihm statt seiner ein anderes Geschöpf opfern, das winzigste von allen nicht preisgeben will, ja selbst nicht die widrige Schlange, die sich bereits zum Bisse des Sterbenden anschickt. „Doch, so wie sie ihn nur ritzte, ist er auch ein Jüngling wieder, aus dem losen Schulterpaare sproßt ihm goldenes Gefieder, Brama aber ruft vom Himmel: ‚Schweb’ empor, sonst steig’ ich nieder‘.“ Mit der Auflösung seiner physischen Kräfte scheint überhaupt eine Steigerung seiner geistigen eingetreten zu sein; dies zeigt sich besonders bei dem Heranreifen seines letzten Werkes „Demetrius“. An diesem muß zunächst der Umstand interessiren, daß es, von seiner künstlerischen Bedeutung abgesehen, ein biographisches Denkmal Hebbel’s ist. Schon seit seinem achtzehnten Jahr beschäftigte ihn der ihm wahrscheinlich nach Schiller’s Bearbeitung bekannt gewordene Stoff. Seinen eigenen dienstlichen Druck bei früh entwickeltem Selbstbewußtsein schwer empfindend, mochte das Schicksal des slavischen Jünglings seine Einbildungskraft befruchten, und als er, wie wir gesehen haben, arm nach weiblichen Wesen aus höheren Ständen hinaufblickte, dachte er wol schon wie später sein Demetrius, der zu der Geliebten sagt: „Ich setz’ mich lieber auf die nackte Erde, als auf den Stuhl des Bauern, trinke lieber aus der hohlen Hand, als aus dem Napf des Knechts, und such’ mir lieber Beeren für den Hunger, als daß ich schwelge, wo der Bettler zecht.“ In Paris sprach er oft von Schiller’s Fragment und von der Nothwendigkeit ihm im Falle der Ausführung eine andere psychologische Grundlage zu geben; aber erst im J. 1857, als er die Entbehrungen der Jugend an den besseren Verhältnissen des Mannesalters und den Abstand zwischen Naturrecht und Schranke an seiner eigenen längeren Existenz messen konnte, ging er an den Versuch Schiller’s „Demetrius“ zu vollenden. Bald jedoch nahm er hiervon Abstand und wunderte sich, daß er je daran gedacht habe, „da ebensowenig Jemand dort anfangen könne, weiter zu dichten wo Schiller aufgehört, als Jemand dort zu lieben anfangen kann, wo ein Anderer aufgehört.“ Der Großherzog von Weimar hatte ihn im J. 1858 noch angeregt, Schiller’s übrigens von H. stark bewundertes Bruchstück für seine Hofbühne zu bearbeiten; aber am 31. Juli desselben Jahres begann H. die selbständige Dichtung und zu Ende des Jahres hatte er zwei Acte davon vollendet. Genau ein Jahr später schrieb er in sein Tagebuch: „gearbeitet mehr als ich erwarten durfte, einen dritten Act „Demetrius“, drei Acte „Nibelungen“ und dazu Aufsätze und Gedichte [185] in Menge“. Dann trat aber, den „Demetrius“ betreffend, eine Pause von beinahe vier Jahren ein, und erst im Herbst 1863, als er unter unsäglichen Schmerzen halb in den Armen des Todes lag, dichtete er den dritten, vierten und den Anfang des fünften Actes, der leider unvollendet geblieben ist. Der poetische Strom war, das Siechthum des Körpers gleichsam verachtend, so unwiderstehlich geflossen, daß, obgleich H. sich kaum bewegen konnte, anderthalb Acte in vierzehn Tagen entstanden. So sagte er am 25. October in seinem Tagebuche: „wunderlich eigensinnige Kraft, die sich Jahre lang so tief verbirgt, wie eine zurückgetretene Quelle unter der Erde und die dann wie diese plötzlich und oft zur unbequemsten Stunde wieder hervorbricht.“ Es ist dies die letzte Aussage in jenem Zeugenbuche seines Lebens, das nicht schöner beendigt werden konnte, als mit dem Schlußzeugniß von einem Lebenssprudel, der noch den schon nahen Sarg benetzte. Als man dem Kranken am 10. November die Nachricht brachte, daß die „Nibelungen“ mit dem Schillerpreise gekrönt worden seien, sagte er: „Das ist Menschenlos, bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher“, ein Bild, welches lebhaft, die frühe Reife Hebbel’s auf’s Neue belegend, an das aus einer kunstphilosophischen Arbeit seiner Jugendzeit erinnert: „daß die beiden Eimer im Brunnen, wovon immer nur einer voll sein kann, das bezeichnendste Symbol aller Schöpfung sind“. Unter dem Zeichen dieses Symbols ist auch der „Demetrius“ gedichtet. H. hatte sich ihn so männlich, tapfer und edel gedacht, daß er wol würdig gewesen wäre, die Krone zu tragen; aber so wie er sich überzeugt hat, daß er nicht der legitime Thronerbe ist, tritt er zurück und weiht sich selbst dem Untergange. Die Tragödie ist zwar nicht bis zur Katastrophe selbst gediehen, aber nach den schriftlichen Andeutungen Hebbel’s soll Demetrius, als seine wirkliche Mutter ihm einen Ausweg vorschlägt, antworten: „Zeig’ mir den Weg ins Nichts zurück durch deinen Leib!“ Im Uebrigen war H. stets überzeugt, daß Schiller mit einem Demetrius als Betrüger nicht hätte zu Ende kommen können, weil die tragische Wirkung mit einem solchen unmöglich ist. In Bezug auf die Ausführung ist Hebbel’s letzte Tragödie jedenfalls eine seiner reifsten und höchsten Leistungen. Die größten Schwierigkeiten sind hier wie im Spielen überwunden. Während Schiller den Demetrius bereits gestaltet einführt, baut H. ihn aus der knechtischen Stellung bei dem Woiwoden von Sandomir erst auf. In derselben Scene des Vorspiels, wo er zu des Woiwoden Tochter sagt: „Ich werd’ in meinem Traum viel eher noch an einem Regenbogen den Sternenhimmel zu erklettern suchen, als mir aus eitlen Hoffnungen die Brücke erbauen, die mich hinüberführt zu dir“, ersticht er, der Knecht, den Edelmann Odowalsky, weil dieser, von ihm herausgefordert, anstatt das Schwert zu ziehen, ihm mit der Peitsche gedroht hat. Sowol diese Scene, wie die der ersten Zusammenkunft zwischen Demetrius und Iwan’s Wittwe gehören zu den großartigsten und schönsten Erzeugnissen der deutschen Dichtkunst. Auch ist die Darstellung des moskowischen und sarmatischen Elementes geradezu meisterhaft und es bleibt nur zu bedauern, daß H. an einigen Stellen dieser Schilderungen, unwillkürlich an sein bei den Slaven so verpöntes Wort „vom struppigen Karyatiden-Haupt“ erinnernd, sich zu vieler Sarkasmen bedient hat. Tief bezeichnend bleibt es, daß gerade dieses Labyrinth von psychologischen und geschichtlichen Zweifeln H. auch in seinen letzten Lebensstunden beschäftigte: es ist dies ein Beweis, daß bei ihm mit jeder Dichtung sich zwar die betreffenden Kreise schlossen, der große Kreis um „die ewigen Fragen nach dem Woher und Warum“ aber offen blieb.
H. starb am Morgen des 13. December 1863. Seine Frau, seine Tochter und der treue Freund und Arzt Dr. Brücke, der ihn nächst Dr. Benedict Schulz liebevoll behandelt hatte, standen an seinem Sterbebette. Schon im Mai 1856 [186] hatte er bei voller Gesundheit sein Testament gemacht, und um eine möglichst einfache Bestattung und, wenn es anginge, um Verbrennung seiner Leiche gebeten, „da er von Jugend auf vor dem Wurm geschaudert habe“. Emil Kuh und Julius Glaser wurden zu Testamentsvollstreckern ernannt und haben sich durch die 1865 in Hamburg erschienene zwölfbändige Gesammtausgabe der Werke Hebbel’s, die sie mit werthvollen Erläuterungen versahen, besonders verdient gemacht. Kuh hatte, wie oben schon bemerkt, unter den Freunden Hebbel’s in Wien überhaupt den ersten Platz eingenommen und war zehn Jahre hindurch sein vertrautester Gefährte und Schüler gewesen. Als seine Vermählung eine weitere Erfüllung der starken Ansprüche Hebbel’s unmöglich machte, zerfiel er mit ihm und reichte ihm erst auf dem Sterbebette wieder die Hand. Gerade soviel Jahre, als H. ihm im Umgang geschenkt hatte, schenkte er seinem Andenken durch Ausarbeitung der bereits öfter erwähnten Biographie, zu welcher sich nicht allein in Hebbel’s reichhaltigen Tagebüchern und Briefen ein umfassendes Material vorfand, sondern zu welcher die meisten Freunde des Heimgegangenen und in erster Linie Klaus Groth wichtige Beiträge lieferten. So ist jenes zweibändige Werk zu Stande gekommen, das nicht allein eine ins Einzelne gehende Lebensbeschreibung des Dichters, sondern auch einen höchst charakteristischen Beitrag zu den deutschen Litteratur- und Theaterzuständen während der letzten dreißig Jahre lieferte. H. hatte gewünscht, daß sein Tagebuch erst in späterer Zeit und zwar ganz veröffentlicht werde; Auszüge aus demselben sollten vor der Hand ganz unterbleiben. Diese Bestimmung hat bei einer Biographie, wie Kuh sie beabsichtigte, nicht befolgt werden können, aber der Biograph ist, wenn auch in der besten Absicht, weit über die Grenzen des Nothwendigen hinausgegangen und hat innere und äußere Zustände beschrieben, deren Besprechung besser einer späteren Zeit vorbehalten geblieben wäre. Diesen Fehler abgerechnet, ist die Arbeit Kuh’s aber von hohem litterarischen Werthe. Er ist nicht allein tief in Hebbel’s Wesen und Dichten eingedrungen, sondern er hat die höchsten Probleme der Kunst überhaupt mit Scharfsinn und in den gewandtesten Formen entwickelt. Bis in den innersten Kern des Hebbel’schen Genius ist er indessen nicht gedrungen und hat deshalb auch einige Hauptwerke Hebbel’s geradezu unrichtig beurtheilt. Selbst ein lyrisch gestimmter Geist, hat er Hebbel’s allerdings sehr hochstehende Lyrik über dessen dramatische Kunst gestellt, während die bedeutungsvollsten lyrischen Schöpfungen unseres Dichters, wie „Liebeszauber“, „Zwei Wanderer“, „Der Bramine“ und andere gerade den Stempel des ihm auferlegten Dramatischen und Tragischen zeigen. Die Anführungen einschläglicher Aeußerungen von H. selbst sind keineswegs maßgebend, denn sie widerlegen sich theils durch andere, theils sind sie aus den Schwierigkeiten, welche seine dramatische Muse antraf, zu erklären. Sein eigenes Verhältniß zu dem Freunde und Lehrer hat Kuh in einem besonderen Capitel ergreifend und mit seltenem Verständniß künstlerischen Wesens und Schaffens zuweilen mit Dichterlauten dargestellt. Leider hat ihn der Tod vor der Vollendung dieses Werkes dahingerafft, so daß Rudolph Waldeck mit Liebe und Sachkenntniß das Schlußcapitel hat schreiben müssen.
Was die Erscheinung Hebbel’s am meisten auszeichnet, ist das seltenste Beisammensein von Unmittelbarkeit und Denkkraft, für die er ein gemeinsames Organ zu haben schien. Wenn die Keime aus ihm herauskamen, konnte er seiner Phantasie unbeschadet, den strengsten Denkproceß zur Ausführung durchmachen und dann sicher sein, daß ihn die naive Kraft zur Ausführung nicht im Stiche läßt. Daher seine ganz spontane Sprachbildung und seine vorzugsweise gestaltende Kraft. Im Gestaltungsproceß schied er fast verächtlich Alles aus, was in Form von Gefühlsergüssen oder geistreichen Gedanken, nicht nothwendig zum Ganzen gehört, und so hat sowol sein Vers wie seine Prosa eine Kürze, welche [187] den Kreis der für seine Kunst reifen Leser und Zuschauer wesentlich beschränkt. Man kann von ihm in der Regel nur ein Ganzes, selten Theile einstreichen. Bei diesem Verdichten der Dinge ist er zuweilen zu weit gegangen: in der Ueberzeugung, daß die volle Erkenntniß der Kunst immer nur in einem kleinen Kreise stattfindet, hat er dem minder geübten Auge zum Auffassen des Lebendigen nicht genug Anhaltspunkte gelassen. Seiner Lyrik fehlt es deshalb doch nicht an den zartesten Einzelnheiten, aber sie haben meist einen organischen Bezug zu dem Gefühle oder dem Gedankengange, dem das Gedicht seine Entstehung verdankt. Seine Erzählungen sind, in ihrer knappen Gestaltung wichtige Beläge zu diesen hohen Eigenthümlichkeiten; während wiederum die erschütternde Selbstbiographie seiner Kindheit beweist, daß er, wo er in die Breite und Tiefe gehen muß, einer womöglich noch schärferen und feineren Zeichnung aller Lebenslinien fähig ist. Seine kunstphilosophischen und kritischen Schriften, die wie das zuerst im „Morgenblatt“ erschienene „Wort über das Drama“ und die Abhandlung „Ueber den Stil des Drama’s“ in Rötscher’s Jahrbüchern die Früchte einer erstaunlichen Zusammenziehung der Gedanken sind, verdienen Kunstwerke in ihrer Art genannt zu werden. Auch in seinen Streitschriften blitzen die Funken des kampfbereiten Genies und im Grunde ehrte er dort seine Feinde, indem er an ihnen keinen geringeren Maßstab anlegte, als an sich selbst. Einzeln aber kommen alle seine Eigenschaften in seinem ausgebreiteten Briefwechsel, in welchem er das gesammte Gebiet des Lebens, der Kunst und der Wissenschaft stets in tiefer und oft in der originellsten Weise behandelt, zur Erscheinung. Seine Briefe, die selten ein ausgestrichenes Wort enthalten, zeigen seinen von Natur kunstgerechten Stil oft am reinsten und seine Mittheilungen an Sigmund Engländer über den dichterischen Proceß, an Uechtritz, Glaser, Kuh und Andere über ähnliche Probleme, sind, von der Neuheit und Tiefe ihres Inhaltes abgesehen, wahre Muster kunstphilosophischer Darstellungsweise. Ernst, versöhnt und künstlerisch geschlossen, steht H. vor uns: wie die Schönheit bei seinen einzelnen Werken weniger im Einzelnen als im Ganzen besteht, so gipfelt die seines ganzen Werkes darin, daß er die Schönheit des Lebens dargestellt hat, soviel er auch in Gefahr war, in seinen Fluthen unterzugehen. Nur ein wahrhaft sittlicher Mensch konnte ein solcher Künstler sein. Härte und Milde durchdrangen sich in seinem Charakter dergestalt, daß er nur das Unwürdige abstieß, das Edle aber lehrend befruchtete.
Die Litteratur über H. ist bereits nicht unbeträchtlich angewachsen; wir beschränken uns hier auf folgende Angaben. Kuh führt in seinen Anmerkungen geschriebene und gedruckte Quellen an, welch’ letztere meist in Zeitschriften zerstreut sind. Die erste, auch von Kuh genannte, H. anerkennende Flugschrift „Ueber den Einfluß der Weltzustände auf die Richtungen der Kunst und über die Werke Friedrich Hebbel’s“, Hamburg 1846, ist von dem Verfasser dieser Biographie, ebenso die Abhandlungen in der Revue nouvelle October 1846 und in Rötscher’s Jahrbüchern, Bd. I.; Friedrich Vischer’s Kritik Hebbel’s im Jahrbuch der Gegenwart, 1847; Zwei Jahre in Paris von Arnold Ruge, Leipzig 1846; Ueber Hebbel’s Herodes und Marianne von Wilhelm Gärtner in Lydia, philos. Jahrbuch, Wien 1851. Weitere Arbeiten über H. führt Wurzbach im Biogr. Lex. an, theilt auch in seiner gewissenhaften Weise in nicht weniger als fünfzehn Spalten die Urtheile der tonangebendsten deutschen Kritiker und Litterarhistoriker über H. im Wortlaute mit. Auch in Ign. Hub’s Deutschlands Balladen- und Romanzen-Dichter findet sich eine litterarische Quellenangabe, aus der wir hier nur Mich. Bernays: Ueber die Composition des Hebbel’schen Demetrius, in Cotta’s Vierteljahrsschrift, Januar-März 1865; Varnhagen von Ense’s Tagebücher, 1865; G. R. Röpe: Ueber die dramatische Behandlung der Nibelungensage [188] in Hebbel’s Nibelungen, Hamburg 1868, hervorheben. Außerdem wären noch zu erwähnen: Adolf Stern’s Arbeiten über Kuh’s Hebbel-Biographie in der Allgemeinen Zeitung von November 1877, die von Klaus Groth in der Kieler Zeitung, Juli 1877, und in der Flensburger Norddeutschen Zeitung, März 1878, über dasselbe Werk, und die ganz neuen werthvollen Erinnerungen an Friedrich Hebbel von Eduard Kulke, Wien 1878.