Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Die Suspension

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Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Ausgang des kirchlichen Kampfes »
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Die Suspension.

 Der Fall, der weit über die Grenzen der bayerischen Landeskirche hinaus großes Aufsehen erregte, war folgender:

 B., ein Gemeindeglied von Neuendettelsau, ein verhältnismäßig noch junger, aber als roher Trunkenbold und Lästerer des Heiligen bereits übel berüchtigter Mann, hatte sein Weib unter rohen und lebensgefährlichen Mißhandlungen von sich gejagt, hierauf erst wegen unüberwindlicher gegenseitiger Abneigung und – als er damit nicht zum Ziel gelangte – wegen böslicher Verlassung gegen dasselbe eine Scheidungsklage eingereicht, worauf er nach fast elfjähriger Dauer des Scheidungsprocesses auch wirklich von seiner Frau geschieden,| letztere für den allein schuldigen Teil erklärt, beiden Teilen aber die Wiederverheiratung gestattet wurde. Auf Grund dieses Scheidungserkenntnisses begehrte der Mann, der bei noch währendem Prozeß, also auch bei noch bestehender Ehe mit einer Dirne zwei Kinder erzeugt hatte, die Wiedertrauung, jedoch nicht mit der ebengenannten, sondern mit einer dritten Frauensperson und zwar lediglich aus dem offen eingestandenen Grunde, weil die erstere nichts besaß, die letztere aber ihm ein Vermögen von etwa 250 fl. zubrachte.

 Löhe sagte ihm die Proklamation ohne weiteres zu: erklärte ihm aber auch gleichzeitig, daß er nach seinen der Gemeinde längst bekannten Grundsätzen in betreff der Wiederverehelichung Geschiedener ihn nicht würde trauen können. Zwar stehe ihm deshalb zum mindesten die Suspension in Aussicht, allein da es jedenfalls das beste sei, wenn die Sache möglichst schnell zum Abschluß komme, so wolle er sofort den nötigen Bericht an die kirchlichen Behörden erstatten. Dies geschah denn auch in einem ausführlichen Schreiben Löhes an das Dekanat vom 8. März 1860. In diesem Bericht erklärte sich Löhe nach den nötigen Vorbemerkungen über die Antecedentien des B. folgendermaßen:


 „Nach den weltlichen Gesetzen kann sich B. wieder verheiraten; ich meinerseits hielte es auch für besser, daß er wieder heirate, da er ohnehin während der langen Zeit der Ehescheidungsklage mit einer dritten Weibsperson zwei außereheliche Kinder erzeugt hat; allein diese neue Ehe im Namen des Dreieinigen einzusegnen, die Trauung zu vollziehen, vermag der Unterzeichnete nicht und zwar aus folgenden Gründen:

 1. Eine Scheidung wegen böslicher Verlassung kann ein Diener Christi nur in dem vom Apostel selber 1 Kor. 7 bezeichneten Falle anerkennen, d. h. in einem Falle, welcher mit dem des B. nicht die mindeste Ähnlichkeit hat. Der Unterzeichnete weiß wohl, was man von juristischer Seite für den Scheidungsgrund wegen böslicher Verlassung gesagt hat, und gesteht gerne zu, daß es Fälle geben kann, in denen man wünschen möchte, mit der juristischen Anschauung sich zufrieden geben zu können, allein es ist eine andere Frage, was man von dem pur menschlichen, und was man von dem christlichen und kirchlichen Standpunkt| zu urteilen und zu thun hat, und ich bekenne mich daher hiemit als Christ und Pfarrer unfähig, Personen zur zweiten Ehe einzusegnen, welche wegen böslicher Verlassung geschieden sind.

 2. Das Ehegericht hat alle Schuld dem Weibe zugesprochen und nach den Akten wird das auch ohne Zweifel ganz richtig sein, allein so wenig ich die geschiedene Ehefrau des B. von Schuld freisprechen möchte, so ist doch der Hergang, den ich selbst durchlebte, von der Art, daß meine persönliche Überzeugung und vielleicht die Ueberzeugung der ganzen Gemeinde Neuendettelsau in solchem Maße eine andere ist, daß sie es in diesem Falle wagen muß, auch gegenüber einem richterlichen Erkenntnis sie aufrecht zu erhalten und auf die amtliche Handlungsweise des Pfarrers bei der B.schen Wiederverehelichung einzuwirken.

 Es ist wahr, daß das Weib nicht hier bei ihrem Manne, sondern bei den Ihrigen in W. eine Stunde von hier ihre letzten Jahre zubrachte, und das ist ja die Veranlassung, von welcher die Rede ist. Allein es ist auch wahr, daß B. sie so behandelte, daß sie kaum bei ihm bleiben konnte. – – Er wußte es anzustellen, das ihm das Weib vom Hause blieb, und ist sich in seinem Benehmen gegen sie allzeit treu geblieben. Würde ich ihn nun trauen, so würde mein Verhalten den schlimmsten Eindruck auf die Gemeinde machen und bei den obwaltenden Umständen von der Gemeinde, jedenfalls aber von deren besserem Teil gar nicht begriffen werden, da ihn gewiß kein Mensch für unschuldig hält, sondern für den eigentlich schuldigen Teil. Ich weiß, daß dieser Weigerungsgrund ohne den ersten keinen Halt hätte; aber in Verbindung mit dem ersten hat er Kraft, zumal es meine Pflicht ist allewege so zu handeln, daß meine Gemeinde nicht bloß zwischen meinem Verhalten und dem göttlichen Wort, sondern auch zwischen ihm und der von demselben geforderten Führung der Seelen keinen Widerspruch erkenne.

 3. Wollte man annehmen, daß dem B. die Wiederverehelichung zu gestatten sei, was doch von dem Standpunkte des göttlichen Wortes nicht zugegeben werden kann, so müßte er die Frauensperson ehelichen, von der er indessen zwei Kinder erzeugt hat, die ihm auch keinen Grund gab, von ihr abzulassen... Er müßte es thun kraft des Wortes Gottes 2 Mos. 22, 16:

 Wenn Jemand eine Jungfrau beredet, die noch nicht vertrauet ist, und beschläft sie, der soll ihr geben ihre Morgengabe und sie zum Weibe haben.

 Die Gemeinde Neuendettelsau kennt diesen Spruch, mein seelsorgerisches Handeln wurde in vielen Fällen nach demselben geregelt; in dem B.schen Falle| findet er desto mehr Anwendung, weil die zu Falle Gebrachte, welche B. nun sitzen läßt, keine Eltern mehr hat, also auch keinen Vater, der nach Vers 17 desselbigen Kapitels gegen die Verehelichung hätte einen Einspruch machen können. B. hat vor dem Pfarramt mit der ihm eigenen Leichtfertigkeit erklärt, er könne sich mit dieser nicht verehelichen, weil er Geld brauche.

 Die N. N. bringt ihm nämlich nach den Akten 250 fl. zu, in Wirklichkeit soll es nicht einmal soviel sein.

 Schon dieser Grund Nr. 3 würde dem gehorsamst Unterzeichneten es sehr erschweren und fast unmöglich machen, dem N. N. zu seiner neuen Ehe die Hand aufzulegen.

 Landpfarrer wissen es am besten, wie sehr das Volk durch Nichtbeachtung der angeführten Bibelstelle, die man weder ceremonial- noch polizeigesetzlich nennen kann, demoralisiert wird. Kann der Staat auch Grundsätze, wie die 2 Mos. 22, 16 unter den gegenwärtigen Umständen sich nicht aneignen, so darf sich doch die Kirche von dem Worte ihres Gottes nicht entbinden.




 Die Weigerungsgründe Nr. 1 und 3 haben für den Unterzeichneten an und für sich selber eine große Stärke. Sie gewinnen aber samt dem Nr. 2 unter den gegebenen Verhältnissen noch weit größeren Nachdruck. B. ist nämlich ein Mensch, der seit vielen Jahren nicht mehr zur Kirche und zu Gottes Tisch geht, weil er früherhin seiner Liederlichkeit wegen, insonderheit seiner Völlerei wegen von dem Unterzeichneten öfters ermahnt wurde. Der letzten Ermahnung seines Wandels halber entzog er sich dadurch, daß er sich entfernte. Er ist ein ganz gewöhnlicher Sakramentsverächter, der von seinem Leben ebensowenig Hehl macht, als er sich bessert, der auch frank und frech vor seinem Pfarrer sagen kann, daß ihm am Christentum nichts liege. Er erklärte gestern bei Übergabe seiner Traulicenz ungeniert

 1. Daß ihm an der Trauung gar nichts liege, seine Ehe werde nicht bei dem Versprechen vor dem Altar angefangen, sondern sei angefangen (er wollte ganz offenbar sagen: vollzogen) worden, wie er sich mit seiner Braut persönlich versprochen habe; wenn er nur ungehindert mit ihr leben könne, sei es ihm gleich, ob er eingesegnet werden könne oder nicht.

 2. Er erklärte ferner, ich würde gewiß noch sehen, daß er von der christlichen Kirche austräte. Als ich ihn fragte, ob ihm am Christentum gar nichts liege,| führte er lauter Reden, die nach seiner Ansicht nichts sagen sollten, als daß ihm nichts daran liege.

 Seine von allen erkannte Grundstimmung ist die des Leichtsinns, und er wendet die ihm verliehenen Verstandesgaben nur dazu an, seine Zwecke auf die eine oder andere Weise zu erreichen; es scheint ihm am Heile seiner armen Seele gar nichts zu liegen. Darüber werden alle christlichen Leute in der Gemeinde einig sein. Es ist daher dieser Fall ein eklatanter... und ohne Zweifel werden viele in der Gemeinde gespannt sein, die Entwicklung zu sehen, und je nachdem sie ausfällt, wird Sinn und Lust für das göttliche Wort gestärkt oder geschwächt werden.

 Daher hat der Unterzeichnete alle Treue zu leisten. Man würde es leicht dahin bringen können, daß sich B. mit einem Dimissoriale anderwärts trauen ließe; allein der Unterzeichnete würde in einem solchen Falle nie ein Dimissoriale ausstellen. Es würde ihm auch in diesem Falle gar nichts helfen, da er ja doch den B. und seine Frau zu Beichtkindern hätte und bei einem jeden Versuch zu einer Meldung zum h. Abendmahle immer wieder in den Fall käme, das h. Abendmahl bis zu eintretender wirklicher Buße zu verweigern und dadurch in den vollen Kampf gegen einen unchristlichen Mann zu gehn.

 Der gehorsamst Unterzeichnete hat dem B[.] versprochen, alles dazu beizutragen, daß er nicht aufgehalten werde.

 Dies geschieht durch die schnelle Berichterstattung, die hiemit erfolgt ist.

 Es ist dem gehorsamst Unterzeichneten bekannt, wie in ähnlichen Fällen durch eine Suspension des treffenden Pfarrers das Gesetz mit dem amtlichen Gewissen der Diener Gottes in Einklang zu bringen versucht wurde. Da er aber nach seiner Überzeugung wegen dem göttlichen Worte und den amtlichen Pflichten geleisteter Treue nicht suspendiert werden kann und deshalb nur dagegen (vielleicht unnütz) protestieren müßte, so bittet er, mit Umgehung der Suspension, lieber einen andern, wenn auch strengeren Weg einzuschlagen, da es ja dem königlichen Dekanate bekannt ist, wie schwer er schon längst an seinem Amte trägt.“




 Es kann nicht die Aufgabe des Verfassers sein, aus eine materielle Würdigung der Weigerungsgründe Löhes einzugehen. Nur einige Bemerkungen zur Abwehr gegen Löhe erhobener, wie uns scheint, ungerechtfertigter Beschuldigung seien gestattet.

 Man verargte es Löhe, daß er es für eine unbewiesene| Voraussetzung erklärte, das οὐ δεδούλωται 1 Kor. 7, 15 für gleich bedeutend mit οὐ δέδεται (vgl. v. 27) und also für eine Erlaubnis zur Wiederverehelichung des böslich verlassenen Teils zu nehmen. Angesichts der Hofmannschen[1] Erklärung jener Stelle wird man wenigstens nicht mehr sagen können, daß Löhes Auffassung eine singuläre Ansicht gewesen sei. Gesetzt aber auch, der Apostel wolle an jener Stelle dem böslich verlassenen Gatten die Erlaubnis der Wiederverehelichung einräumen, so hatte Löhe gewiß recht, gegen den Scheidungsgrund von der böslichen Verlassung in der Ausdehnung, welche er in der luth. Kirche gefunden hat, zu protestieren und ihn für einen Flecken der luth. Kirche zu erklären. Ist der von dem Apostel 1 Kor. 7, 12 ff. berührte Fall einer Verallgemeinerung auf dem Weg der Analogie fähig, so wird doch von der apostolischen Weisung nur da eine Anwendung zu machen sein, wo der malitiose deserens ein ἄπιστος oder einem solchen gleichzuachten ist. Dieser Art war aber nach dem oben Dargelegten B.s Fall durchaus nicht. Man hat Löhe ferner zum Vorwurf gemacht, daß er als Vorstand des Lokalarmenpflegschaftsrats nichts gethan habe, um die Wiederverehelichung B.s zu verhindern, sowie daß er unbedenklich die Proklamation desselben vollzogen habe. Allein Löhe glaubte eben einen Unterschied zwischen dem göttlichen Auftrag des Hirtenamtes und den äußeren Geschäften machen zu müssen, welche seit dem Bestehen der Staatskirchen von dem Staat den Pfarrern übertragen worden sind. Er hielt sich nicht für berechtigt, Geschäfte des Staats in einem anderen Sinn zu führen als in dem sie ihm übertragen worden waren. War er so genötigt in causis mixtis eine Doppelrolle als Staatsbeamter und als Diener Christi zu bekleiden, so trug daran nicht er die Schuld, sondern die in Staatskirchen unvermeidliche Vermischung des geistlichen und| weltlichen Gebiets, und es war jedenfalls nicht eine „verwirrende Doppelstellung“ (wie man gesagt hat), die er einnahm, sondern ein Standpunkt der einfachen Ehrlichkeit, die sich bestrebte, die beiden Gebiete zu unterscheiden, auf jedem im Sinn ihres Auftragsgebers zu handeln und so dem Kaiser zu geben was des Kaisers, Gott aber was Gottes ist. Von dieser Anschauung aus glaubte Löhe sich nicht berechtigt, als Vorstand des staatlichen Armenpflegschaftsrats eine Einwendung gegen B.s Wiederverheiratung zu erheben. Von diesem Standpunkt aus konnte er auch die ihm so sehr verdachte Äußerung thun: er halte es selbst für besser, wenn B. heirate. Man hat ihn vorwurfsvoll gefragt, kraft welcher Ansicht von der Ehe er so reden könne. Als ob nicht eine bürgerlich rechtmäßige Ehe, auch wenn der Segen des Dreieinigen auf sie nicht anwendbar ist, dennoch besser wäre als ein Leben im Konkubinat oder gar in Hurerei. Ebenso fand Löhe bei solchen Grundsätzen keinen Anstand, die Proklamation B.s zu vollziehen. Er unterschied eben auch an der Proklamation (natürlich in der Bedeutung, die sie damals, vor Einführung der Civilstandsgesetze, hatte) ein Doppeltes: einmal die nach den Staatsgesetzen zum Behuf der Einsprache geschehende öffentliche Bekanntmachung der bevorstehenden Ehe und dann das von der Kirche hinzugefügte Votum, die gemeindliche Fürbitte. Letztere unterblieb natürlich in dem B.schen Fall, dagegen die eigentliche Proklamation, sofern sie die Ergänzung der gerichtlichen Eheeinleitung sein sollte, glaubte Löhe auch in diesem Fall vollziehen zu müssen.
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 Am meisten ist Löhe deshalb getadelt worden, weil er sich weigerte, ein Dimissoriale auszustellen und dadurch von Vorneherein jeden sich ihm und der Kirchenbehörde eröffnenden Ausweg aus dem Konflikt ausschloß. Auch Freunde Löhes – wie z. B. Hommel – hielten die Ausstellung eines Dimissoriales in diesem Fall nicht für ein Unrecht. Löhe aber hielt es für unsittlich, auf solche Weise die| eigne Verantwortlichkeit auf fremde Schultern abzuwälzen. Allenfalls hätte er, wenn ihm die sittliche Beurteilung des gegebenen Falls zweifelhaft gewesen wäre, von dem Auskunftsmittel eines Dimissoriales Gebrauch machen können. Da ihm aber fest stand, daß in dem vorliegenden Fall es Sünde war zu trauen, so erschien es ihm als eine unsittliche Handlungsweise, einem andern Raum zur Sünde zu schaffen, um die Sünde nicht selbst begehen zu müssen. Vielmehr fühlte er sich in diesem Fall vom Herrn zur Ablegung eines Bekenntnisses berufen und wollte sich daher weder der Pflicht des Bekenntnisses, noch den damit verbundenen Leidensfolgen entziehen.

 Damit war denn freilich auch der Kirchenbehörde von vornherein die Möglichkeit einer glimpflichen Lösung des Konflikts, in welchen Löhe mit den Staatsgesetzen geraten war, abgeschnitten, und die Suspension war eine unvermeidliche Eventualität geworden. Löhe sah sie auch von Anfang an mit völliger Sicherheit voraus. Sie erschien ihm vom Standpunkt des Kirchenregiments aus noch als große Schonung, im Licht seines Verständnisses aber freilich als ein großes Unrecht, um das er daher weder bitten konnte noch wollte. Es war ihm unmöglich, in ihr ein bequemes Auskunftsmittel für den bösen Fall zu sehen, sie kam ihm vor wie ein Spiel mit hohen Rechten des geistlichen Amtes. In diesem Sinn, nicht in dem der Provokation, in großer Sehnsucht, aus dem herben Gegensatz zu kommen, in den er jeden Tag wieder aufs neue geraten könnte, schrieb er den allerdings mißdeutbaren und ihm so sehr übel gedeuteten Schlußsatz seines Weigerungsberichts, in welchem er die Behörde bat, lieber mit Umgehung der Suspension eine strengere Maßregel über ihn zu verhängen.

 Hierauf erfolgte ein vom 12. April 1860 datiertes Reskript des Oberkonsistoriums, in welchem der B.sche Fall unter Absehen von dem was ihn accidentell zu erschweren geeignet war mit geschickter| Taktik auf die principielle Frage zurückgeführt wurde: ob die desertio malitiosa ein biblisch zulässiger Scheidungsgrund sei.
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 Hiemit schuf sich die Kirchenbehörde für ihr weiteres Verfahren die möglichst günstige Position; sie konnte die in der lutherischen Kirche herkömmliche, ihren ältesten Kirchen-, Ehe- und Konsistorialordnungen zu grunde liegende Auffassung und Anwendung der Stelle 1 Kor. 7, 15 gegen Löhes „subjektive Ansicht“ zu Felde führen. Ohne Frage war auch für Löhe die Überzeugung, daß der Scheidungsgrund der desertio malitiosa wenigstens in der Ausdehnung, welche er in der ehegerichtlichen Praxis gefunden hat, biblisch ungerechtfertigt sei, bei seiner Trauungsverweigerung der ausschlaggebende Punkt, ja der Angelpunkt, um den sich ihm alles drehte. Löhe hat das auch offen ausgesprochen und war also für seine Person an jener „Verschiebung“ des status controversiae, über welche in einem offenbar von offizieller Seite stammenden Artikel in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche 40 Band S. 264 Klage geführt wird, nicht schuld. Aber freilich: in Anbetracht der besonderen Umstände vereinigte der B.sche Fall alles in sich, was geeignet war, den Gegensatz zwischen dem göttlichen Wort und der staatlichen Ehegesetzgebung, die Inkongruenz des formalen und des materiellen Rechts, des pastoralen und des pur rechtlichen Standpunkts in der Beurteilung solcher Gewissensfälle recht grell zu beleuchten. Und so war es denn nicht zu verwundern, daß für dies Laienurteil die Kontroverse über die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit der desertio malitiosa als Ehescheidungsgrundes vor den höchst ärgerlichen Nebenumständen des B.schen Falles in den Hintergrund trat und die ganze Sache sich unter viel einfachere, aber wirksamere Gesichtspunkte der Beurteilung stellte. Die Gemeinde Neuendettelsau vornean fühlte instinktiv das schreiende Mißverhältnis und das faktische Unrecht, das darin lag, daß um eines Mannes wie B. willen „wegen eines solchen Schlacken“ ein Geistlicher| von der Wirksamkeit und dem Charakter Löhes gemaßregelt, daß ersterer von dem Kirchenregiment „in seinem Recht“ geschützt, letzterer in seinen heiligsten Rechten als Hirte der Gemeinde gekränkt und seinem Widersacher gewissermaßen zu weichen gezwungen wurde. Und waren denn die Umstände des B.schen Falls nicht so gestaltet, daß auch abgesehen von dem hauptsächlichen Weigerungsgrunde Löhes noch Gründe genug vorlagen, welche die kirchliche Trauung des B. als eine sittliche Unmöglichkeit erscheinen ließen? Hätte nicht auch ein Kirchenregiment, das doch wahrlich Beruf hat geistliche Dinge geistlich zu richten, Anstand nehmen sollen zu befehlen, daß einem Manne, der seinem Weibe es unmöglich machte mit ihm zu leben, um, nachdem er mit dem Scheidungsgrunde der gegenseitigen Abneigung und der πορνεία nicht zum Ziel gelangt war, den Schein böslicher Verlassung auf sie zu bringen und sie dann auf Grund eines rechtsgiltigen Ausspruchs des Ehegerichts auf immer von sich jagen zu können – einem Manne, der während des Scheidungsprozesses, also bei noch bestehender Ehe, im fortgesetzten Ehebruch lebte und Kinder erzeugte – einem Ehebrecher, welcher das zweite Weib, samt seiner Nachkommenschaft, wie das erste verließ und um Geldes willen ein drittes nahm – einem Lästerer und Feind des göttlichen Wortes und der Kirche, einem offenbaren, unbußfertigen Sünder – daß einem solchen Manne eine kirchliche Benediktion erteilt und ihm im Namen des dreieinigen Gottes zur Einsegnung seiner Ehe die Hände aufgelegt werden sollten?
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 Allein da Löhe selbst seine Überzeugung von der Schriftwidrigkeit des Ehescheidungsgrundes der desertio malitiosa, bei seiner Trauungsverweigerung in den Vordergrund gestellt hatte, so achtete sich das Kirchenregiment einer eingehenden Würdigung seiner übrigen Weigerungsgründe für überhoben und benutzte den von Löhe selbst ihm gebotenen Vorteil, die Sache auf einem Gebiete zum Austrag| zu bringen, wo Löhe eine einsame Überzeugung gegenüber einem gewichtigen consensus der lutherischen Kirchen- und Eheordnungen zu vertreten hatte.

 Demgemäß beschränkte sich das Kirchenregiment darauf, die von Löhe für seine Weigerung subsidiär geltend gemachten Gründe kurz abzufertigen. „Der Geltendmachung der eignen subjektiven Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld der wegen böslicher Verlassung Geschiedenen – heißt es in dem oben erwähnten Reskript des Oberkonsistoriums – kann, dem richterlichen Ausspruch gegenüber, eine thatsächliche Folge nicht zugestanden werden.“ Was aber die von Löhe angezogene Stelle 2 Mos. 22, 16 anbetraf, so entschied das Reskript einfach und ohne Grundangabe, daß dieselbe auf den vorliegenden Fall durchaus keine Anwendung finde. In Berücksichtigung des höchst ärgerlichen Lebenswandels B.s aber stellte das Kirchenregiment Löhe anheim, dem als höchst leichtsinnig und unkirchlich dargestellten B. auf seelsorgerlichem Weg zu seiner Umkehr und Besserung in angemessener Weise nahe zu treten und den gegebenen Fall auch der Gemeinde gegenüber in das rechte Licht zu stellen.“

 Den Hauptnachdruck legte das Reskript, wie schon gesagt auf die Bekämpfung des ersten Weigerungsgrundes Löhes. „Es ist – heißt es daselbst – unbestritten, daß in der lutherischen Kirche von Anfang an und zwar nach dem Vorgang der Reformation selbst und unter Zustimmung der angesehensten Theologen und Juristen, außer dem Ehebruch auch noch die bösliche Verlassung und zwar unter analoger Anwendung von 1 Kor. 7, 15 als giltiger Ehescheidungsgrund anerkannt und hiernach verfahren worden ist, wie aus den altlutherischen Kirchen-, Ehe- und Konsistorialordnungen ersehen werden kann. Hiernach hat sich denn auch durch alle nachfolgenden Jahrhunderte die gemeine Praxis und das Recht der lutherischen Kirche bis auf den heutigen Tag gebildet und erhalten,| und die unterfertigte Stelle kann sich, von anderen Erwägungen gänzlich abgesehen, schon mit Rücksicht hierauf nicht für berechtigt erachten zu gestatten, daß dem vom Anfang an in der lutherischen Kirche als giltig erkannten, aus 1 Kor. 7, 15 per analogiam abgeleiteten Scheidungsgrunde der böslichen Verlassung von einzelnen Geistlichen, die ihre subjektive Anschauung der gemeinen Praxis und dem bestehenden Recht der Kirche entgegensetzen, in ihrem amtlichen Handeln die Anerkennung versagt und hiernach die Ausstellung von Dimissorialien und die Trauung selbst verweigert werde. „Hiernach – so schließt das Reskript – muß man sich von dem Pfarrer Löhe versehen, daß er die in seinen pfarramtlichen Geschäftskreis fallende Trauung des B., dessen gesetzlichen Anspruch auf die Trauung er selbst nicht in Abrede stellt, sofort vornehme und der desfallsigen Weisung seiner vorgesetzten Stelle sich willig füge, so schwer ihm dies auch ankommen mag.“
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 Hierauf erwiderte Löhe in einer Eingabe vom 6. Mai 1860, daß der wohlwollende Ton des Oberkonsistorialreskripts ihm zwar eine kräftige Aufforderung geworden sei, den vorliegenden Fall nochmals in gründliche Erwägung zu ziehen, daß aber die in demselben angeführten Gründe keine Änderung in seiner Überzeugung hätten hervorbringen können. Diese sei bei ihm eine alte. Schon im Jahre 1837, als er wegen Verweigerung der Trauung eines Geschiedenen von der Verwesung der Pfarrei Merkendorf entlassen worden sei, sei ihm ganz klar gewesen, daß die Ausdehnung, welche lutherische Juristen, Theologen und Kirchenordnungen dem ganz singulären Fall 1 Kor. 7 gegeben haben, dem Worte des Herrn Matth. 19, 9 widerspreche. Bei seiner Installation als Pfarrer von Neuendettelsau habe er wider den Passus der Instruktion, der den Pfarrer zum Gehorsam gegen alle vorhandenen und noch zu erlassenden Verordnungen des Staates in betreff der Ehe verpflichte, Protest erhoben und hinterdrein, als er bemerkt habe, daß sein| Protest von dem Beamten nicht zu Protokoll genommen worden sei, sich nur mit der Hoffnung beruhigt, nicht in den Fall zu kommen, den vorhandenen Gegensatz zwischen Gottes Wort und den staatlichen Ehegesetzen ins Leben führen zu müssen. Nach 23 Jahren unbehelligt gebliebener Amtsführung nötige ihn der B.sche Fall nunmehr auch thatsächlich zu vertreten was er je und je geglaubt habe. Übrigens vereinige der B.sche Fall accidentell alles was ihm die Festhaltung seiner ausgesprochenen Überzeugung erleichtern könne.

 Löhe beruft sich hiefür zunächst wiederholt auf die Inkongruenz der richterlichen Entscheidung mit dem wirklichen Thatbestand des B.schen Falles und folgert daraus: man werde nicht leugnen können, daß es Fälle gäbe, in welchen eine richterliche Entscheidung bei aller formalen Gerechtigkeit dennoch so klaffend der nackten Wirklichkeit gegenüberstehe, daß man sich bei aller Ehrerbietung gegen die richterliche Behörde gezwungen sehe, ein anderes Urteil selbst für das Handeln festzustellen. Ein solcher Fall sei der B.sche. Übrigens erschwerten ihm in diesem Fall auch andere Gründe den Gehorsam. B. habe sich durch sein Verhalten während des Scheidungsprozesses als grober Ehebrecher geoffenbart, und wenn auch die weltlichen Gerichte nach den bestehenden Gesetzen dem B. die Verehelichung mit einem dritten Weibe nicht hätten verweigern können und wollen und auch er selbst, Löhe, als Vorstand der Armenpflege seine Einwilligung zur Verehelichung habe geben können, so könne doch – bei so klaffendem Gegensatz der weltlichen Ehegesetze gegen Gottes Wort auf diese Ehe der Segen des Dreieinigen nicht gelegt werden, ohne zu einer bloß juristischen Formalität heruntergewürdigt zu werden, und im vorliegenden Fall insonderheit würde er es vor dem Richter der Welt in keiner Weise zu verantworten wissen, wenn er in Seinem Namen ein Ehebündnis wie das B.sche einsegnete.

 Endlich kommt Löhe auf das völlig unkirchliche Verhalten B.s zu sprechen, durch welches derselbe längst die Exkommunikation sich| zugezogen haben würde, wenn in der Landeskirche ein Prozeß des Bannes bestünde – und schließt dann mit den Worten: „Das k. Oberkonsistorium weist mich an zu trauen, auch wenn es mir schwer würde. Schwer wird mir aber nichts, wenn ich kann und darf. Ich habe den kirchlichen Behörden alle Zeit ganz einfach und ohne Beschwerde Gehorsam geleistet. Aber für unmöglich halte ich es, in diesem Falle zu gehorchen. Ich will viel lieber meine ganze kirchliche Stellung aufgeben und verlieren als thun, wodurch ich glauben müßte mein Gewissen unheilbar zu verletzen.“

 Hierauf ergieng unter dem 5. Juni eine neue Entschließung des Oberkonsistoriums, in welcher Löhe unter Androhung der Suspension angewiesen wurde, die Trauung des B. sofort zu vollziehen. Löhe erwiderte hierauf kurz: es werde dem k. Konsistorium gewiß nicht befremdlich sein, wenn er sich einfach auf seine beiden früheren Erklärungen beziehe, deren jede er schon für die letzte gehalten habe.

 Nur zögernd entschloß sich die Kirchenbehörde, die mit Glimpf zu verfahren und die Vollstreckung der Suspension wo möglich zu umgehen wünschte, zu dieser letzteren Maßregel. Im Interesse einer friedlichen Beilegung des Konflikts wurde es Löhe privatim von wohlmeinender Seite nahe gelegt, ein Dimissoriale wenigstens in der Form zu geben, daß er bei der Ausstellung des Proklamationsscheins auf sein Kopulationsrecht für den vorliegenden Fall verzichte, womit dann unter der Voraussetzung, daß der Bräutigam sich herbeiließ anderwärts getraut zu werden, allerdings ein Ausweg aus der Schwierigkeit gefunden gewesen wäre.

 Wir kennen indes die Gründe, welche es Löhe unmöglich machten, auf diesen Ausweg einzugehen. Er lehnte deshalb den ihm gemachten Vorschlag ab mit der Erklärung, daß bei einer Handlung, die auf ein Dimissoriale hin geschehe, der kompetente Pfarrer nicht ex nexu sei; ihm aber liege daran, dem Worte Gottes zu gehorchen; nicht daran, durch Klippen zu kommen.

|  So geschah denn was vorherzusehen war.

 Am 17. Juli wurde Löhe durch den k. Dekan von Windsbach im Auftrag des Konsistoriums auf unbestimmte Zeit vom Pfarramt suspendiert, sein Amtsnachbar Pfarrer K. zum Pfarrverweser und Löhes damaliger Privatvikar, der inzwischen verstorbene Pfarrer Dr. Weber, als dessen Substitut bestellt.

 Auf Löhe machte die Suspension einen tiefen Eindruck. „Es gieng mir – sagt er in seinem Schriftchen: Meine Suspension im Jahre 1860 – gerade so wie mit dem Sterben, das man auch voraussieht, voraussagt und mit aller Ruhe davon spricht, das aber dennoch ernste Zeit bringt, wenn es kommt. Es gieng durchaus nicht, wenigstens für mich durchaus nicht, die Suspension auf die leichte Achsel zu nehmen, sie als das bequemste Auskunftsmittel für den bösen Fall zu fassen; ich fand auch gar nichts Tröstliches darinnen, daß es auf dem Weg der Bureaukratie nicht anders kommen konnte, und so ruhig und geduldig ich mich fügte, fühlte ich doch wieder einmal recht stark die Last der landeskirchlichen Verhältnisse. Ich konnte nicht anders, ich mußte mich bei der Suspension auf den Erzhirten und Bischof der Seelen berufen, durch dessen Geist ich das Hirtenamt überkam und nach dessen Sinn es mir in meinem Falle nicht genommen werden konnte. Ich fühlte den vollen Gegensatz der Kirche wie sie war und wie sie sein sollte.“

 In sein Tagebuch vom 17. Juli schrieb Löhe: „Heute nachmittag gegen 3 Uhr wurde ich suspendiert auf unbestimmte Zeit. Anwesend Dekan M. und der ernannte Pfarrverweser, Pfr. K. – Ich war anfangs innerlich grimmig, daß man mir in mein heiligstes Recht eingriff. Der Herr aber gab mir Gnade, daß ich in Friede und Ruhe mein armes Zeugnis ablegen konnte.“

 Ähnlich wie Löhe dachte und empfand auch die Gemeinde. Wenigstens die große Mehrheit derselben einigte sich schnell in dem Entschluß, keinen Verweser anzuerkennen und sprach es in einer| offenen Eingabe an die Behörden aus, daß nur wer im Einverständnis mit dem Pfarrer, von ihm gesendet eine amtliche Funktion vornehmen würde, Anerkennung und Gehör finden sollte. Löhes Vikar, Dr. Weber, auf dessen Aushilfe der aufgestellte Pfarrverweser gerechnet hatte, erklärte sich, von der korrekt kirchlichen Auffassung des Vikariatsverhältnisses ausgehend, für unfähig da zu fungieren, wo der rechtmäßige Hirte mit Unrecht des Amtes enthoben war. So mußte sich der aufgestellte Pfarrverweser zu einem höchst unbequemen Versuch, in der Gemeinde Neuendettelsau zu amtieren, herbeilassen. Allein die Gemeinde verzichtete lieber auf die gottesdienstliche Erbauung und legte sich lieber freiwillig eine Art geistliches Interdikt auf, als daß sie durch Teilnahme an dem Sonntagsgottesdienst die Suspension ihres rechtmäßigen Hirten anerkannt hätte. Die Glocken läuteten zur Kirche: aber niemand kam, es war still im Dorfe, wie wenn die Glocke bloß zu dem Gebet in den Häusern erinnern sollte. Man hielt Hausgottesdienst; in der Kirche selbst war nur eine kleine Anzahl von Menschen, 30–40 bestehend aus etlichen Neugierigen und aus der Partei der Gottlosen, welche, den Bräutigam in der Mitte, sich nun auch einmal in der Kirche als Herrin fühlte. – Es wäre in der That kein Wunder gewesen, wenn die vorhandene Unzufriedenheit in der Gemeinde unter solchen Umständen zu Unordnung und Aufruhr geführt hätte. Da die Gemeinde keinen Verweser anerkennen wollte, beschloß ein Sterbender das Sakrament lieber nicht zu nehmen als bei ihm. Ein Hausvater, dem ein Kind geboren wurde, befragte sich persönlich bei dem Pfarrer, ob es nicht besser wäre, wenn er, der Vater, in dieser Not es selbst taufte. Andere, welche an den Nöten der Landeskirche von länger her teil genommen und getragen hatten, wünschten auszutreten. Da wäre in der That Zunder genug vorhanden gewesen, wenn man hätte Feuer haben wollen. Dagegen aber wurde der Hausvater unterrichtet, daß es auch eine Nottaufe| sei, wenn er, zumal unter geeigneten Bemerkungen, sein Kind bei dem aufgestellten Verweser taufen ließe. Für den Kranken wurde gebetet, daß sich sein Leben länger erstreckte, und Gott erhörte. Den Austrittslustigen wurde gesagt, wie wenige unter ihnen stand halten würden, wenn es zu der herzbrechenden Sache des Austritts aus der Landeskirche kommen sollte. Endlich entschloß sich Vikar Weber, nicht ohne Zureden Löhes, sich „als Kandidat, nicht als Vikar“ für gewisse Notfälle und für die Sonntagspredigt bereit zu erklären, bis sich die Sache erledigen würde. Von da an war wenigstens für die sonntägliche Erbauung Fürsorge getroffen, im übrigen darbte die Gemeinde an geistlichen Gütern und verharrte in diesem traurigen Zustand zwei Monate, ohne daß, abgesehen von einer vereinzelten Taktlosigkeit, etwas Ungeziemendes vorgekommen wäre. Es war ein Gefühl lebendiger Teilnahme mit dem Geschick ihres Hirten, und eine Stimmung gehaltenen Ernstes, was die Gemeinde beseelte; es wurde aber von allen Seiten darüber gewacht, daß Ruhe und Ordnung nicht gestört und keinerlei unreines Feuer fleischlicher Aufregung auf den Altar des Herrn gebracht würde.
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 Es scheint uns angezeigt, dies hier zu betonen und dadurch Schilderungen, wie sie z. B. der verstorbene Konsistorialrat Ranke in den Erinnerungen aus seinem Leben von der in der Neuendettelsauer Gemeinde herrschenden Aufregung gibt, auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Ranke stellt dort seinen in die Suspensionszeit fallenden Besuch in Neuendettelsau als eine Art Wagnis dar, zu dem er sich, trotz dringenden Abmahnens um ihn besorgter Freunde, entschlossen habe. Wer aber, wie der Verfasser dieser Biographie, die damalige Stimmung der Gemeinde kannte, kann nicht zugeben, daß zu einem Besuch in Neuendettelsau von Seiten eines Mitglieds des Kirchenregiments die Entwicklung eines besonderen Mutes nötig gewesen wäre. Die Anerkennung aber soll dem| verewigten Oberkonsistorialrat Ranke nicht vorenthalten werden, daß es sein warmes, väterlich gesinntes Herz war, was ihn in jener Zeit zu einer persönlichen Besprechung nach Neuendettelsau zog. Es war an einem Samstag Abend, als Ranke in Neuendettelsau eintraf. Löhe hielt eben den Hausgottesdienst im Diakonissenbetsaal. Am Schluß sprach Löhe, der meines Wissens Rankes Eintreten nicht gewahr geworden war, ein brünstiges Gebet, daß Gott sich des geistlichen Notstandes der Gemeinde erbarmen möge. „Wir haben morgen geistlich Fasttag, die Brotkörbe, aus denen Du Deine armen Schafe hier speisest, sind klein, sieh unsre Not an und wende sie in Gnaden etc.“, so ungefähr betete Löhe. Ranke rannen bei diesen Worten die hellen Thränen über die Wangen. –

 Der Notstand der Gemeinde sollte indes nicht so bald gehoben werden. Dekan Müller hatte zwar bei Beginn des Konflikts Löhes mit dem Kirchenregiment die Vermutung ausgesprochen, daß die Suspension nicht länger als einen Tag währen werde. Auch der vom Kirchenregiment aufgestellte Verweser glaubte nicht anders, als daß seine Funktionen sich auf die Ausstellung des Dimissoriale beschränken würden, da das Kirchenregiment mit Rücksicht „auf den weitverzweigten Widerwillen der Neuendettelsauer Gemeinde gegen die Vornahme der Trauung B.s in ihrer Pfarrkirche“ bereits verfügt hatte, daß dieselbe auswärts an dem Pfarrorte der Braut vollzogen werden sollte. Der dortige Pfarrer hatte sich entsprechend der Erwartung des Kirchenregiments „daß er im Gehorsam gegen den Auftrag seiner obersten Kirchenstelle der schweren Aufgabe willig sich unterziehen und gegen etwaige Zweifel darin die nötige Stärkung finden werde, daß er die Vornahme der fraglichen Handlung nicht nach eigenem Ermessen an sich genommen habe“ zur Vollziehung der Trauung B.s bereit erklärt.

 Allein es kam anders als man erwartete. B., stolz auf| seinen Sieg und einen größeren für möglich haltend, pochte auf sein Recht als Gemeindeglied, in der Pfarrkirche zu Neuendettelsau getraut zu werden. Das so mühsam zu Wege gebrachte Dimissoriale schien augenblicklich völlig unnütz, und die Aufhebung der Suspension in unbestimmte Ferne gerückt. Erst nach mehreren Wochen war dieses Hindernis glücklich beseitigt. Und so ergieng denn anfangs August an den Pfarrer der Braut die Weisung, die Trauung B’s. vorzunehmen, an den Bräutigam, denselben um die Trauung zu bitten, an die geistlichen Unterbehörden, die Suspension aufzuheben. Damit trat die Sache für Löhe in ein zweites Stadium, das er selbst als das mühevollere bezeichnete. Löhe fühlte jetzt, wo ihm die Rückkehr ins Amt wieder offen stand, erst recht die Schwierigkeit seiner ferneren Amtsführung in der Gemeinde Neuendettelsau, welche sich zwar dem größten Teile nach, wie früher in ähnlichen Fällen, richtig benommen hatte, in welcher aber doch durch die Suspension die kleine Partei der Widerwärtigen sehr gestärkt worden war. Dazu kam die Überlegung ob er, bereits mit einem Fuß außerhalb des Amtes in der Landeskirche stehend, wieder in dasselbe zurücktreten solle. Seiner Neigung nach wäre er am liebsten gar nicht mehr Pfarrer gewesen. Die Verbindung mit der Gemeinde Neuendettelsau, welche er für eine göttliche hielt, bestimmte ihn jedoch, das mögliche zu thun, um noch fernerhin ihr Hirte bleiben zu können. Hiezu schien es aber Löhe durchaus nötig zu sein, daß von Seiten der Kirchenbehörden auf den Bräutigam und die Partei der Widerwärtigen, die sich ihm angeschlossen hatte, in zurechtweisendem Sinne eingewirkt werde. Es mußte wenigstens dem Bräutigam sein Unrecht bezeugt, und der Gegenpartei der Wahn genommen werden, als stünden die Behörden hinter ihr, und als dürfte sie sich bei ihrem sündlichen Widerstreben gegen das Wort und die Führung ihres Pfarrers des Wohlgefallens und Schutzes der Oberen getrösten. Daher wünschte Löhe ein züchtigendes Wort| der Kirchenbehörde B. gegenüber, und ein Wort der Anerkennung seiner Amtsführung im allgemeinen – abgesehen von dem Trauungsfall – der widerwärtigen Partei in der Gemeinde gegenüber. Dies war Sinn und Absicht der Verhandlungen, die im zweiten Stadium der Suspensionsperiode zwischen Löhe und dem Kirchenregiment geführt wurden. Löhe glaubte zu diesem Verlangen ein Recht zu haben. Schon bei Verhängung der Suspension hatte er halb im Scherz und halb im Ernst zu dem suspendierenden Dekan gesagt: er werde, wie St. Paulus in Philippi, nicht aus seinem Gefängnis gehen, ohne daß die Herren ihn wieder aus demselben holten. So schien es ihm denn auch nicht mehr als billig, daß, nachdem die Kirchenbehörden durch die Verhältnisse in die Lage gekommen waren, die Schmach der Suspension auf ihn zu bringen, er nun, bei Aufhebung der Suspension, mit einiger Anerkennung aus seinem Kerker geführt werde.
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 In diesem Sinne stellte und begründete Löhe in einer Eingabe vom 19. Juli die doppelte Bitte, 1) daß dem B. dieselben kirchlichen Behörden, welche ihm nach den Landesgesetzen die Trauung ermöglichten, beim Wiedereintritt in die Gemeinde auf eine Weise, die klar und faßlich sei, zum Gehorsam gegen seinen Seelsorger anweisen und aussprechen möchten, daß er als Tischgenosse Jesu, als wahres Glied der Neuendettelsauer Gemeinde nicht eher angesehen und aufgenommen werden könne, als bis er wahrhaftige Buße gethan habe; 2) daß zu seiner Stärkung gegenüber den durch seine Suspension in ihrer feindseligen Stellung zu ihm noch mehr befestigten unchristlichen Gliedern der Gemeinde die hohe Kirchenbehörde auf eine unmißverständliche Weise vor allen Gliedern der Gemeinde zum mindesten den treuen Willen und im ganzen die Richtigkeit des Verhaltens des Pfarrers anerkenne. „Ich weiß – schloß Löhe seine Eingabe – daß ich damit etwas verlange, was vielleicht gemißbilligt werden kann; aber ich meine es treu, ich habe| nichts gethan, was wider Gottes Wort wäre; bin aber durch die obschwebenden Umstände in eine kirchliche Strafe gefallen, deren Eindruck nicht vor den besseren – denn die bedürfen es nicht –, wohl aber vor den schlechteren zu deren Heil verwischt werden sollte. Kann mir in meiner doppelten Bitte rücksichtlich B.s und im allgemeinen rücksichtlich der Zucht nicht gewillfahrt werden, so bitte ich inständig, die Suspension nicht von mir zu nehmen, sondern mir lieber die Einkünfte abzunehmen und mir wegen meiner Zukunft einige Bedenkzeit zu gönnen.“

 Hierauf ergieng folgendes Reskript des Oberkonsistoriums, das wir etwas abgekürzt hier wiedergeben.


 ....Durch die Ausstellung der Dimissorialien von Seite des aufgestellten Verwesers des Pfarramtes Neuendettelsau und die vorstehend verfügte Überweisung der Trauung des Büttners Bauer an das Pfarramt seiner Braut ist der seitherige Anlaß zur Suspension des Pfarrers Löhe beseitigt, und wird das kgl. Konsistorium daher beauftragt, diese Suspension nunmehr wieder aufzuheben.

 Indem das kgl. Oberkonsistorium dieses verfügt, hält es sich übrigens zugleich verpflichtet, in Rücksicht auf die von dem Pfarrer Löhe am 19. Juli c. überreichte Vorstellung folgendes zu bemerken:

 Die Suspension des Pfarrers Löhe ist veranlaßt durch die Weigerung desselben, die bösliche Verlassung als giltigen Scheidungsgrund anzuerkennen und die hierauf gebaute, trotz wiederholter wohlwollender Belehrung festgehaltene Erklärung, danach auch den aus diesem Grunde geschiedenen, durch den zuständigen Eherichter als unschuldig erklärten Büttnermeister B. weder selbst trauen, noch auch Dimissorialien zu dessen anderweiter Trauung ausstellen zu wollen.

 Durch diese Erklärung hat sich Pfarrer Löhe nicht allein mit den bestehenden staatlichen, sondern ebenso mit den anerkannten kirchlichen Normen in geraden Widerspruch versetzt, und die Oberbehörde unabweislich genötigt, ihn zur Aufrechthaltung der Ordnung von seinem Amte zu suspendieren, um so zu ermöglichen, daß von dem für ihn aufgestellten Verweser geschehe, was ihm selbst zu thun als Pflicht oblag. Das kgl. Oberkonsistorium ist bei Vornahme der Suspension nur zögernd und nur nach fruchtloser wiederholter Ermahnung vorgeschritten und hat dieselbe endlich in einer Weise angeordnet, welche milder nicht| gefaßt werden konnte. Dabei wurde noch überdies Pfarrer Löhe trotz des Umstandes, daß er selbst als Vorstand der Armenpflege sich für die Wiederverehelichung des Büttners B. erklärt, auch dessen Proklamation ganz anstandslos vollzogen hatte, – in Anlaß späterer Äußerungen über die sittliche Haltung des B. ausdrücklich darauf hingewiesen, wie es ihm unbenommen sei, demselben auf seelsorgerlichem Wege zu seiner Umkehr und Besserung in angemessener Weise nahe zu treten und den gegebenen Fall auch der Gemeinde gegenüber in das rechte Licht zu stellen. – Wenn nun bei dieser Sachlage Pfarrer Löhe gleichwohl beantragt, daß von Seiten der Kirchlichen Oberbehörden auf eine unmißverständliche Weise vor allen Gliedern der Gemeinde zum mindesten der treue Wille und im ganzen die Richtigkeit des Verhaltens desselben,... anerkannt werde, – so sieht sich das königliche Oberkonsistorium durchaus nicht in der Lage, diesem Antrage irgendwie stattzugeben. Über den inneren Willen des Pfarrers Löhe steht ihm kein Urteil zu; so weit dieser aber in dessen äußeren Verhalten einen Ausdruck gefunden hat, muß solches wiederholt als staatlicher und kirchlicher Ordnung zuwider erklärt, und dabei ausdrücklich die Erwartung ausgesprochen werden, daß Pfarrer Löhe selbst erkenne, wie in einem geordneten Gemeinwesen nicht die subjektive Anschauung des einzelnen, sondern dasjenige Geltung anzusprechen hat, was die – alle gleichmäßig bindende Ordnung verlangt, wie es aber am allerwenigsten angehen kann, statt um thunlichste Schonung der persönlichen Überzeugung zu bitten und um etwa mögliche Ausgleichung nachzusuchen, alle Mittel einer solchen Ausgleichung von vornherein auszuschließen und der bestehenden Ordnung einfachen Widerstand entgegenzusetzen.

 Was Pfarrer Löhe hiernächst noch in seiner Vorstellung d. d. 19. Juli c. über die Zulassung unwürdiger Gemeindeglieder zum hl. Abendmahl vorträgt, so kann er auch hierüber nur auf die bestehende allgemeine Ordnung verwiesen werden, wonach ihm bei gehöriger Begründung unter Genehmigung des vorgesetzten Konsistoriums zwar der Ausschluß unwürdiger Gemeindeglieder vom hl. Abendmahl nicht versagt werden wird, irgend eine Ausnahmsstellung aber so wenig als einem andern Geistlichen der Landeskirche zugestanden werden darf.“ –


 Löhe sah diese Antwort des Kirchenregiments als einen vollständigen Abschlag seiner doppelten Bitte an, und es gieng – wie er in seinem Tagebuch schreibt – für ihn nun ein Überlegen und eine geistige Anstrengung an, die ihn ein paar Tage völlig in Anspruch| nahm. „Ich kann nichts anderes mehr denken – sagt er ebenda – als daß meine längst erwartete Stunde für den Austritt aus der Landeskirche, d. i. ihrem Organismus, schlägt. Was weiter kommt, befehle ich dem Herrn, der mir getrosten Mut „wie Sand am Meere“ geben kann. Das brauch ich beim Gedanken an die möglichen Folgen jetzt schon.“
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 In einer erneuten Eingabe vom 7. August 1860 legte er deshalb der Kirchenbehörde die Bedenken dar, die ihn von dem sofortigen Eintritt in sein Amt zurückhielten. Durch die Suspension sei die zwar kleine, aber entschiedene Anzahl seiner Gegner zu einer Art Gemeingefühl gekommen und eine Partei geworden, die ihren Schutz gegen den Pfarrer in den Kirchenbehörden sähe, durch welche derselbe suspendiert worden sei. Das kaum verhehlte Ziel dieser Partei sei es, den Pfarrer von der Gemeinde zu vertreiben. Was solle derselbe gegen diese Leute für eine Stellung einnehmen? „Sie werden wie Advokaten allezeit alles benutzen, was ihnen nur möglich ist, um unter dem Schein der Legalität durch Klägereien und behördliche Entscheidungen zu ihrem Ziele zu gelangen. Ich gestehe dem kgl. Dekanate, daß ich zu solchen unfruchtbaren Verhandlungen nicht die mindeste Lust habe, und beide Fälle unerträglich finde, Pfarrkinder als Partei zu behandeln und, wenn sie es einmal sind, nicht zu behandeln.“ Schon diese Umstände – fährt Löhe fort – würden es ihm außerordentlich erschweren, in die gewohnte Amtsführung zurückzukehren; allein inzwischen hätten sich ihm noch andere Erwägungen aufgedrängt, welche durch das tags zuvor eingetroffene Konsistorialreskript wie eine Frucht unter dem heißen Sonnenstrahl gereift seien. Der B.sche Fall sei nämlich nicht der erste, sondern bis zu diesem Tage der letzte in einer ganzen Reihe von Fällen, in deren jedem man sein Verhalten als den bestehenden Ordnungen widerstrebend habe tadeln können. Kaum wisse er einen einzigen Fall, in welchem er die Mißbilligung seiner Obern hinzunehmen| hätte, ohne daß er das Bewußtsein gehabt habe, daß er vom Standpunkt des göttlichen Wortes recht gehabt habe und um des Wortes willen leide. Vom Standpunkte der kirchlichen Behörde aber sei sein Verhalten als ordnungswidrig, ja als Ungehorsam aufgefaßt worden; ebenso werde es bei allen nachfolgenden Fällen, die nicht ausbleiben würden, aufgefaßt werden müssen. „Soll denn ein Prediger des Gehorsams – fragt Löhe –, der sich in guten und bösen Tagen dem kirchlichen Regimente allezeit getreu verhalten hat, nun er älter wird, immerzu den Vorwurf des Ungehorsams tragen? ... Das hohe Oberkonsistorialreskript hat mir den klaffenden Gegensatz durch die Deduktion des Rechts, welches auf Seiten der kirchlichen Behörden liegt, dermaßen vor Augen gelegt, daß ich fühle, ehrlicher Weise könne ich unter den bisherigen Verhältnissen das Amt nach den landeskirchlichen Ordnungen nicht fortführen.“

 „So einfach es nun wäre, auf das bisher Gesagte den Schlußsatz zu geben, so hält es der Unterzeichnete dennoch für recht und wohlgethan, die hohe oberste Kirchenbehörde noch um das einzige zu bitten, daß ihm erklärt werde, ob denn nach ihrem Ermessen ein Mann von seinen Überzeugungen, innerhalb der Landeskirche ferner wie bisher... amtieren könne?

 Hierauf ergieng unter dem 25. August 1860 folgendes Reskript des Oberkonsistoriums.


Im Namen Sr. Maj. d. K.
 – – Was die beigelegte an das Dekanat Windsbach gerichtete Eingabe des Pfarrers Löhe vom 7. dss. Monats betrifft, so ist auf den ersten der darin aufgezählten Punkte zu erwidern, daß genannter Pfarrer bezüglich des Ausschlusses unwürdiger Glieder vom hl. Abendmahl ausdrücklich auf die bestehende allgemeine Ordnung verwiesen und demselben lediglich bemerkt wurde, wie ihm eine Ausnahmsstellung hievon ebensowenig, als einem andern Geistlichen der Landeskirche zugestanden werden könne. Das Oberkonsistorium hat demnach| allerdings zu erkennen gegeben, daß es nicht in der Lage sei, in ganz ungewöhnlicher und außerordentlicher Weise, unmittelbar von sich aus über die Würdigkeit oder Unwürdigkeit eines einzelnen Gemeindegliedes zum hl. Abendmahle zugelassen zu werden, eine Entscheidung zu treffen; es hat aber dem eigenen pflichtmäßigen Ermessen des Pfarrers keine weitere Schranke gezogen, als solche ohnehin die allgemeine kirchliche Ordnung aufstellt, und ist eben deshalb nicht abzusehen, mit welchem Rechte Pfarrer Löhe erklärt, es sei ihm die erste der von ihm gestellten Bitten „vollständig abgeschlagen“ worden.

 Was aber seine zweite Bitte um eine ausdrückliche und unmißverständliche Billigung seines Wollens und Verhaltens betrifft, so erkennt Pfarrer Löhe selbst an, daß diese Billigung nur in bezug auf den eben vorliegenden Fall verweigert worden ist, und beklagt nur, daß zwischen seiner ersten und zweiten Bitte der Unterschied nicht gemacht worden sei, den der Bittsteller selbst im Sinne gehabt habe; indem die zweite Bitte allgemeiner Art gewesen sei, und der Bittsteller eine Anerkennung seines gesamten amtlichen Verhaltens gewünscht habe. Wenn er aber weiter sagt, er werde wohl schwerlich irren, wenn er den Abschlag, der ihm in der Oberkonsistorialentschließung vom 30. vor. Monats gegeben sei, auf den gesamten Sinn beziehe, den er bei der Abfassung seiner Bitte gehabt habe, so ist das eine Voraussetzung, die Pfarrer Löhe mit nichts begründen kann. Im Gegenteil haben die kirchlichen Oberbehörden, und die unterfertigte nicht am wenigsten, dem Pfarrer Löhe bei jeder Gelegenheit hinreichend zu erkennen gegeben, daß sie seinen Gaben und Leistungen volle Anerkennung zollen, so wie die aufopfernde Thätigkeit, Hingebung und Gewissenhaftigkeit, die er in seiner Amtsführung bewiesen hat, nach ihrem ganzen Werte schätzen und ehren, wenn sie sich gleich zu wiederholten Malen in der Lage sahen, denselben hiebei auf die Einhaltung der Normen hinzuweisen, welche die bestehende kirchliche Ordnung im allgemeinen aufstellt....

 Wenn daher Pfarrer Löhe sub 3 seiner Eingabe weiter ausführt, der B.sche Fall sei nicht der erste, sondern bis auf den heutigen Tag der letzte in einer Reihe von Fällen, auf deren jeden passe, was das Oberkonsistorium auf seine Bitte in der Entschließung vom 30. vor. Monats gesagt habe, und weiter erklärt, vom Standpunkte der kirchlichen Behörden sei sein Verhalten bisher ordnungswidrig und als Ungehorsam aufgefaßt worden; ebenso würde es bei allen nachfolgenden Fällen, die nicht fehlen werden, aufgefaßt werden: so liegt die Antwort auf diese offenbaren Übertreibungen schon in dem vorstehend in Hinsicht auf das allgemeine Verhalten des Pfarrers Löhe ausgesprochenen Urteil. Über die| große Zuversicht, mit welcher Pfarrer Löhe in diesem ganzen Passus seiner Eingabe seine jeweilige persönliche Ansicht und Überzeugung für vorgekommene und etwa noch vorkommende Fälle als die allein berechtigte und maßgebende erklärt ohne dem Gedanken Raum zu geben, ob er nicht auch irren könne, will man hinwegsehen, da die ganze Vorlage sichtlich in einer Stimmung geschrieben ist, durch welche ihm die richtige Beurteilung der Sachlage erschwert wird, und glaubt nur das eine nochmals betonen zu sollen, daß es ebenso Pflicht der kirchlichen Behörden ist, für die Einhaltung der bestehenden kirchlichen Ordnungen überall einzutreten, als Pfarrer Löhe, wo er sich innerhalb derselben bewegt, sich jeder Förderung und Unterstützung derselben versichert halten kann.

 Auf die am Schlusse gestellte Frage aber, ob ein Mann, wie er, innerhalb der Landeskirche ferner wie bisher, bei ganz unveränderten Überzeugungen amtieren könne, muß die unterfertigte Stelle die Antwort lediglich ihm selbst anheimgeben, da ihr weder der Umfang dieser Überzeugungen, von welchen Pfarrer Löhe spricht, bekannt ist, noch sie zu der allgemeinen Annahme sich für berechtigt hält, er habe bisher im Widerspruch mit den bei seinem Amtsantritte übernommenen und beschworenen Pflichten sich befunden. Sie muß daher so wohl die Entscheidung auf diese Frage, als die Verantwortung für die möglicher Weise aus seiner Entscheidung hervorgehenden Folgen ihm allein überlassen, und kann nur den Wunsch aussprechen, daß Pfarrer Löhe keine Übereilung begehen und den Versuch ausgeben möchte, für Schritte, deren Rechtfertigung ihm sonst schwer werden dürfte, eine Deckung in unbegründeten Annahmen und Voraussetzungen auf Seite seiner Vorgesetzten zu suchen.

 Indem vorstehende hohe Entschließung dem kgl. Dekanat bekannt gegeben wird, erhält dasselbe den Auftrag, den Inhalt derselben nach seinem ganzen Umfange dem Pfarrer Löhe zu eröffnen, und zugleich denselben aufzufordern, binnen acht Tagen zu erklären, ob er sein Amt wieder anzutreten bereit sei, wobei man nicht unterlassen kann, die Erwartung auszusprechen, daß Pfarrer Löhe den väterlichen Belehrungen und wohlgemeinten Ratschlägen seiner kirchlichen Obern Gehör geben und auf die ihm gegebenen Erklärungen in sein Amt zurücktreten werde.


 Allerdings war hier Löhe, wie sich erwarten ließ, die Antwort auf die von ihm erhobene Gewissensfrage anheimgegeben; doch konnte er – wie er das in einer erneuten Eingabe an das Kirchenregiment erklärte – dem letzten Reskript der Kirchenbehörde wenigstens| so viel entnehmen, daß dieselbe seinen Austritt aus der Landeskirche nicht für geboten achte, sondern es für möglich halte, daß er bei ungeänderten Überzeugungen das Amt im Organismus der Landeskirche noch ferner führe. Zwar sei die Aussicht auf fernere Amtsführung in der Landeskirche für ihn nichts anderes, als die Aussicht auf einen Leidenspfad, aber aus Liebe zu der Gemeinde, welcher er vom Herrn vorgesetzt sei, wolle er, nachdem er sich seinen Obern völlig klar und kenntlich dargestellt habe, unter Vorbehalt seiner kirchlichen Überzeugungen, den Hirtenstab wieder übernehmen und sich der Dornen nicht wehren, die ferner an seinem mühseligen Lebensweg wachsen würden.

 Das Oberkonsistorium erwiderte nur kurz, daß es der letztergangenen Entschließung nichts zuzusetzen habe, und dem unverweilten Wiedereintritt Löhes in sein Amt entgegensetze.

 So wurde denn am 17. September nach gerade zweimonatlicher Dauer die Suspension wieder aufgehoben. Eine ernste Zeit voll Bewegung, Spannung und angestrengten inneren Ringens war für Löhe damit zu Ende. Näher war er seit dem Herbst des Jahres 1851 dem Entschluß des Austritts nicht gekommen. Was im letzten Grunde beidemal für ihn den Ausschlag für das Verbleiben in der Landeskirche gab, war die Rücksicht auf das göttlich gestiftete Verhältnis zwischen ihm und seiner Gemeinde. Er sollte nach Gottes Vorsehung seinen Lauf in der Landeskirche vollenden. Innerlich ungebrochen, ja gehoben durch das Bewußtsein dem Herrn geleisteter Bekennertreue, trat er wieder in sein Amt zurück, um es mit neuer Kraft und verdoppeltem Eifer zu führen. Sein Zeugnis gegen die Übelstände und Schäden der Landeskirche verstummte auch fortan nicht, wie das aus dem letzten Abschnitt dieses Bandes ersichtlich werden wird.

 Übrigens war er trotz des herben Konflikts, in den er mit dem Staatskirchentum geraten war, doch auch jetzt entfernt davon,| über die Landeskirche als eine unverbesserliche massa perditionis den Stab zu brechen. Er sei überzeugt – sagt er am Schluß seines Schriftchens über seine Suspension – daß auch Landeskirchen mancher Bewegung zum Guten fähig waren, wenn mehr fromme, weise, getroste – nicht Kirchenbeamte, sondern – Pastoren da wären. Aber es sei ein Jammer mit der Geistlichkeit, und mit dem Nachwuchs nicht weniger als mit dem sterbenden Geschlechte. Ihr oftmals gemeiner und serviler Sinn, dem eine derbe Predigt Luthers vom Bauchpfaffentum gehörte, verschuldeten das allermeiste. Mit machtvollen Worten fordert er die Amtsträger, als „die Helfer von Beruf“ auf, ohne Menschenfurcht ihre Zeugenpflicht zu erfüllen, damit entweder den Landeskirchen, oder ihnen und den Kindern Gottes aus den Landeskirchen und zu einem gemeindlichen Dasein geholfen werde, bei welchem man unter Schwachheitssünde und Elend doch auch seines Glaubens und der Liebe froh werden könne.





  1. Kommentar zum 1. Korintherbrief S. 15


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