Erziehungsfragen
In diesem weisheits- und weisungsvollen Buche steht (Kap. 30, 9) ein wundersames Wort, das man über die Türen der Kinderstuben und in die Herzen von Eltern und Erzieher einbrennen sollte: Zärtle mit deinem Kinde, daß du dich hernach vor ihm fürchten müssest; spiele mit ihm, so wird es dich hernach betrüben.“ –
Bismarck hat einmal von verweichlichten und verprügelten Generationen gesprochen, da immer eine der andern zur Strafe folge, wonach wir die verprügelte zu erwarten hätten, da wir in einer verzärtelten und verzärtelnden Zeit leben. Wenn man leicht grollt, wo nicht nach Josephs Traum Sonne, Mond und Sterne um das „Wunderkind“ sich drehen, so hat des zum Gedächtnis und besseren Verständnis unsere| Feindin aus Norwegen, Ellen Key, das Jahrhundert des Kindes geschrieben, ein Buch, das auf Nietzsches Spuren wandelnd das Maßlose zum Gesetz und die Fehler in der Erziehung zur Regel erhebt, gegen die man vorgehen müsse. Wie tönt es doch so verständnisvoll in die Herzen der verwöhnten Jugend, eigentlich „solle das Kind das Recht haben, seine Eltern zu wählen!“ Denn in der Tat haben die meisten Eltern die Pflicht, ihre Kinder um Verzeihung zu bitten, weil sie ihnen so wenig Halt und Recht mit auf den Weg geben, so geringes Verständnis entgegenbringen, Unart schelten, was der Flügelschlag des Genius ist und Sünde gegen das vierte Gebot, das von Gott an Moses gegeben sein soll, nennen, was nur Selbstbehauptung und Selbsterziehung ist. Wie schön sagt Nietzsche, der große Meister der vielgelesenen Schriftstellerin: „Eine neue Tafel stelle ich über euch. Gut machen sollt ihr, daß ihr eurer Väter Kinder seid.“ Weg mit den alten, morschen Vorurteilen der Herdenmenschen, hin zu den großen, neuen Werten, die verkannte, ungekannte, unerfaßte, ungeschätzte Herrenmenschen prägen! Denn es ist ein Zeichen der gemeinen Seele, Autoritäten anzuerkennen, um noch etwas außer sich für groß und wahr zu halten. Wer sich nach seinem Gutdünken entwickelt und erzieht, indem „erlaubt ist, was gefällt“, der allein hat das Recht zu sein, ein Recht, das der traurigste aller Unterrichte verkürzt, verkümmert, zerstört, der langweilige Religionsunterricht, der aus abgefaulten Latten und Hölzern immer wieder Zäune aufrichtet.Wenn aber das Kind seinen Eigenwillen zum Gesetz und sein unreifes Urteil zur Regel und seine Laune zum Gebieter erhebt, dem Vater und Mutter, soferne sie leben und gute Tage sehen wollen, sich beugen müssen, dann hat das Jahrhundert des Kindes seine goldene Zeit erlebt, dann „wird die Welt ein Himmelreich“. Eine alte, in China sich fortpflanzende Weissagung behauptet, daß die Zeit um das Weltende sehr kindisch werde. Sollte etwa das Jahrhundert des Kindes mit dieser Weissagung getroffen und gemeint sein? Sollte die Furcht der Eltern und Erzieher vor dem ahnungsvollen Dämmern in der Kindesseele jenes zur Nacht wandeln, das doch zum hellen Lichte kommen soll?
Soll die Tyrannei der Kinder über die ihnen zur Weisung und Lehre Gesetzten eine Zukunft der Zuchtlosigkeit einläuten und aus der Meisterlosigkeit der Jugend die Zuchtlosigkeit eines die Arbeit dem Genusse preisgebenden und diesen als Selbstzweck erwählenden Geschlechtes heranreifen, welches weder gehorchen noch herrschen, nicht denken, weil nicht danken kann? –
Oberhofprediger D. Rudolf Kögel, der zwei Kaiser zu ihrem Ende vorbereitet und ihnen die Gräber gesegnet hat, den jetzigen Kaiser getraut und den Kronprinzen getauft hat, hinterließ neben anderen Gedichten zwei, in denen er kurz vor seinem Tode (Juli 1896) Wunsch und Bekenntnis niedergelegt hat. Der Wunsch bezeichnete die drei Bäume, die er auf seinem Grabe (auf dem Gottesacker der Domgemeinde, Müllerstraße Berlin) gepflanzt wissen wollte, die Birke mit dem frischen Grün zur Erinnerung an das häusliche Glück, die Eiche als den deutschen Baum und das Sinnbild der treuen Kraft und die Tanne mit den hohen Erinnerungen an die Kindheit und das Kind der Weihnachten:
|Pflanzt zu Häupten mir die Tanne,
Denn sie weiß von einem Manne,
Der zu Weihnacht kommen ist,
Der den Tod für mich geschmecket,
Meine Schulden zugedecket,
Preis und Lob dir, Jesu Christ! –
Das andere Gedicht aber begreift in sich das Bekenntnis seines Lebens von den
dem geduldigen, dem freudigen und dem festen Herzen.
Diese drei köstlichen Dinge aus Gottes Schatzkammer, alte Perlen von unvergänglichem Glanze und hellstem Lichte sollen die Weisheit widerstrahlen, welche vom Throne des größten Erziehers ausgeht und nie vergeblich von denen gesucht und erbeten wird, welche der Weisheit ermangeln. Allen modernen und unmodernen Erziehungs- und Verziehungsgrundsätzen zum Trotze, ferne von einer irdischen Weisheit, die betrügt und betrogen wird, steht das Wort:
Es ist ein köstliches Ding einem Manne, daß er das Joch in der Jugend trägt (Klagel. 3, 27). Ein Dichter aber, Friedrich Rückert, dessen Todestag wir am 31. Januar zum fünfzigsten Male begingen († 1866), hat in seiner Weise dieses alttestamentliche Wort erläutert:
Frohlocke nicht, verzogenes Kind,
Daß dir Ohrfeigen selten sind.
Auszahlen wird dir einst die Welt,
Was dir die Mutter vorenthält.
Das Joch der Jugend ist von Gottes starker und doch linder Hand aus drei Stäben zusammengefügt: Lerne gehorchen, lerne dich anstrengen, lerne verzichten.
| Gehorsam ist die erste Aufgabe. Wer sie ergreift, der erstarkt und wer sie zurückweist, der scheint frei zu sein und wird zuerst mit dünnen seidenen Fäden gebunden, dann mit ehernen Fesseln geknechtet. Zuerst will er nicht können, dann kann er nicht wollen. Nicht darauf kommt es an, Gebot und Gesetz zu begreifen, als ob nur das Erklärte verpflichten und das zum Verständnis Gebrachte Willfährigkeit beanspruchen könne. Welcher Erzieher gibt für seine Anordnung andere Begründung als die der Autorität, mit der ihn Gott betraut und zu der er durch Arbeit an sich selbst Anrecht gewonnen hat? Die Förderung des Gehorsams wendet sich nicht sowohl an den Intellekt als an den Willen, der am Gebot gestärkt und im Gehorsam erzogen wird. „Wir müssen Sklaven des Gesetzes sein, damit wir frei seien.“ Das ist nicht ein Bibelspruch, sondern das Ergebnis der Betrachtung eines heidnischen Denkers, und an der Schwelle der neuen Zeit unseres Volkes vor hundert Jahren, an den Toren der Freiheitskriege steht das große Mahnwort des kategorischen, des unwidersprechbaren und unwidersprochen bleiben wollenden Imperativs: du sollst. –Gegen dieses erste Gebot, das Verheißung hat, ist allerlei Unrecht und Torheit zu Felde gezogen, um den Stab brüchig und das Joch leicht zu machen, um den Gebietenden zu täuschen, während in Wirklichkeit der Ungehorsam getäuscht wird. Er glaubt zu gehorchen und beraubt sich der Kraft und der Weihe des Ernstes und der Zucht, wenn er mit einem Ja, aber, Ja, gleich, Ja, ein wenig den Befehl zu umgehen trachtet, indem er dessen Ausführung verschiebt.
Ja, aber. Das Kind, der Schüler gibt zu, daß er gehorchen müsse und gibt an, daß er es wolle. Aber unter Einhalt und Einschränkung, unter Vorbehalt und Bedingung. Luther hat in einer launigen Erzählung es gar klar gemacht. Vor Zeiten sei ein edler Rittersmann der Welt| müde und mit sich einig geworden, ins Kloster zu gehen, Gehorsam und Observanz zu geloben und auf die Ewigkeit sich stille zu bereiten. Wenn nun der Novizenmeister zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, Ihr müsset heute die Zellen der Mönche und den Estrich fegen, habe er gesagt: Ja, Herr, aber bedenket, daß ich ein ehrlicher Rittersmann gewest und solcher Arbeit nicht gewohnt noch willig bin. Und wenn der Prior gesagt habe: Bruder Kunrat, nehmt saccum per naccum den Sack auf die Schulter, damit Ihr terminieret (auf den Dörfern umhergeht) und Brot, Eier und Schmalz für das Kloster auf die Fasten heischet – da habe er entgegnet: Ja, hochwürdiger Herr, aber einem alten Edelen steht solche Arbeit nicht an. Wenn aber der Abt zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, rüstet euch und sattelt, denn Ihr müßt ins Gejaid und einen feisten Hirschen holen, damit wir morgen Dominum Reverendissimum, den hochwürdigsten Herrn Bischof nach Gebühr bewirten, da habe er gesagt: Ja, hochwürdigster Herr Abt, darum habe ich mir lassen die Platten scheren (Tonsur), daß ich Euch aller Dinge gewähr und gehorsamlich sei. Ja, aber. Was an Geboten gefällt, wird gerne getan, denn der Mensch dient sich dabei selbst. Was aber der Natur sauer eingeht, dessen weigert sie sich. Wehe der Mutter, die dieses „aber“ des unwilligen Kindes gewähren und ihre Anordnung von der Laune und Willkür des Kindes aufgehoben sein läßt. Aber wohl jedem Erzieher, bei dem die Widerrede nicht einmal in Gedanken sich herauswagt, geschweige denn, daß sie zum Worte käme! Wille des Erziehers und Willigkeit des Zöglings müssen eins werden dem größten Vorbilde gemäß: Ja, Vater, ja von Herzensgrund. Denn nur einen fröhlichen „Geber seines Willens“ hat Gott lieb. Wer ein Kreuz mit leiser Hand und oberflächlich berührt, dem dünkt es rauh, hart und schwer. Wer es aber mit beiden Händen faßt, versteht etwas von dem| „Mein Joch ist sanft“. Wer in die Nesseln mutig greift, den brennen sie nicht, während der Zaghafte und Zögernde sich verletzt. Also lehre und halte fest den bedingungslosen Gehorsam, der sprechen läßt: deinen Willen tue ich gerne! Über den Gehorsam stehe das alte Gebetswort, daß Preußens Großer Kurfürst († 1688) als Wahlspruch sich erwählt hat: Tue mir kund den Weg, darauf ich wandeln soll.Zu dem einen Stabe aber hat der himmlische Erzieher einen anderen, zum rauhen und harten den strengen und herben gefügt: Lerne dich anstrengen. Wir leben im Zeitalter der Überbürdung, des tremor examinicus, wie der alte Ansbacher Doktor Heidenreich das Schulfieber gelehrt umtaufte. Vom Kinde, das nimmer spielen kann, weil es mit dem raffiniertesten Spielzeug ausgestattet war bis hin an zum Manne, der hinter dem Schreibtisch sitzt, über den Schüler hinaus, der mit schwerem Kopfe zur Schule dämmert und über die höhere Tochter hin, die sich mit „spannender Lektüre“ Herz und Sinne beschwert hat, ist alles „überbürdet“. Der Preußische Kultusminister Altenstein (geb. 1770 zu Ansbach, – die Burg seiner Vorfahren schaut in Unterfranken bei Ebern ins Tal hinab) wollte elf Stunden Arbeitszeit von und bei den Schülern fordern! Wenn das heutzutage ein Kultusminister durchsetzen wollte! Der große Philologe Döderlein aber erzählt aus seinen Jugenderinnerungen an Schulpforta, er sei einst bei seinem alten Rektor Ilgen namens der Oberklasse vorstellig geworden, den Aufsatz könnten sie innerhalb acht Tagen keinesfalls zustande bringen. Der Schulmonarch habe erwidert: Das glaube ich auch. Aber wozu hat euch der liebe Gott die Nächte gegeben? – Wenn ein Schulvorstand heutigen Tages so reden wollte! Der Barbar würde in effigie wenigstens gesteinigt werden. Überbürdung allerorts, nur nicht mit allerlei Sport, nicht mit Kinderbällen und Kinobesuchen und anderen Genüssen. Wo die Pflicht, die rauhe Notwendigkeit gebietet, da protestiert man männiglich im Namen der Humanität, unter der Firma der Hygiene. Aber die alte Satzung preist den Menschen glücklich, nicht der das Joch ausfüttert, polstert und glättet, sondern der es trägt.
| Lerne dich anstrengen, die Stränge anziehen, die Muskeln anstraffen, was dir schwer dünkt, nimm zuerst vor, es wird nicht leichter, wenn du es hinlegst, sondern sieht dich immer fremder, immer drohender an. Du gewinnst immer weniger Herz dazu und wirst deines Lebens nimmer froh. Tue deine Arbeit, auch die kleinste und unscheinbarste, so gut du kannst und laß nicht ab, bis sie geraten ist. Die Mutter, welche die Aufgabe des Kindes überhört und nicht nachgibt, bis sie fehllos gelöst und gelernt ist, der Vater, der sich die Zeit abnötigt, um die Arbeiten des Sohnes anzusehen und ungeeignete zurückhält, tuen ein gutes Werk. Wenn aber die Eltern das „nur fertig“ gelten lassen, um sich Aufregung zu ersparen, so mögen sie sich nicht wundern, wenn in dieser lauen, weichen Luft die Mittelmäßigkeit gedeiht, während das Kind, das still und unerschlafft am kleinsten Punkt die größte Kraft einsetzt, zu Größerem und Großem befähigt wird. Der Pflichtbegriff muß ernst eingeschärft und durch Wort und Wandel geübt und geheiligt werden, daß das goldene Wort von der „Arbeit, die an sich Lust ist“, dieser Wahlspruch Leopold von Rankes, dem Kinde teuer wird. Tue alles möglichst gut und wisse, sagt Fichte, daß von der Leistung des einzelnen eine Welt abhängt. –Wie froh wäre man, wenn man die Buden mit allerlei Naschwerk schließen könnte, das die Kinder umschwärmen wie Mücken den Honig; denn wer in der Jugend Mund und Gaumen kitzelt, wird späterhin in schlimmere Lüste versinken. Die Entbehrung stärkt und stählt mehr als alles, was Genuß und Lust heißen mag. Die jungen Leute, welche jetzt trotz, ja in Kraft und von wegen des Verbotes die Zigaretten gierig einschlürfen und sich dabei dünken lassen, sie seien etwas, während sie doch nichts sind, werden späterhin kränklich am Leibe und schwächlichen Willens werden, unzufrieden, mißmutig von eigenen Pflichten auf fremde Rechte schielen und die Zahl der Mißvergnügten vermehren, die an der Mahlzeit des Lebens mit Unbehagen sitzen und mit dem Klagerufe aufstehen: Herr, ich sehe, daß du ein harter Mann bist. Verzicht, ein ruheloses, rauhes Wort, aber eine stolze, sichere, selige Sache! Ich habe es alles Macht, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.
So wäre das erste köstliche Ding – das Joch tragen, nicht allein, nicht einsam und abseits, sondern in der Kraft dessen, der mächtig macht, weil er mächtig ist und mächtig ist, weil er ohnmächtig war, der an dem, das er litt, Gehorsam lernte, arbeitete und wirkte so lange sein Tag währte und in Geduld und Treue sich bemühte, der endlich nicht Gefallen an ihm selber hatte, sondern auf sein Wohl verzichtete und sich selbst verleugnete, das Kreuz auf sich nahm. Lernt von mir, ruft Jesus unserer Jugend zu, aber auch ihren Erziehern, den Lernenden und Werdenden, wie den zu Lehrern und Erziehern Berufenen.
| Es ist nicht gut, wenn der Erzieher „mürrisch und greulich“ ist, das will sagen, wenn er allzu phlegmatisch oder allzu cholerisch ist, jene Art ermüdet und diese reizt das Kind und erbittert es. Der Erzieher muß gleichmäßig in Gebot und Verbot sein, schnell zu hören, langsam zum Reden und langsam zum Zorn, er muß nicht viel gebieten damit doch ein weniges getan noch viel wehren, damit doch ein weniges gelassen werde, sondern kurz und bestimmt sein, mehr durch sich als durch Worte regieren, mehr das „Vorbild als das Sinnbild“ sprechen lassen und stets so handeln, daß der Einzelgrundsatz Maxime für ein ganzes Gesetz werden könnte. Launenhafte Leute, die sich nachgeben und ihren Stimmungen und Verstimmungen Raum geben, die heute wie der Sturmwind einherbrausen und morgen alles lind und mild dulden, taugen nicht zu dem Amte, das in gelinder Kraft der Gleichmäßigkeit groß ist. – Es soll und das muß unserem Geschlechte besonders gesagt sein – der Erzieher Zeit haben. Eilende Väter, die nicht auf die kleinen Anliegen und Sorgen der Ihrigen achten können, weil sie am Morgen noch nicht und am Abend nicht mehr zur Stelle sind, Mütter, die für das Gebet mit den Kindern weder Gelegenheit noch Raum finden, haben das Recht zur Erziehung verwirkt, zu diesem königlichen Amte wartender Geduld und gelassener Treue. – Auf dem evangel. Gottesacker zu Ems ist ein Kindergrab mit dem alten Psalmworte (27, Vers 10): Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf. Grab und Inschrift erzählen von einem verlassenen Kinde, dessen in seiner Todesnot die Eltern vergessen konnten, weil sie am Spieltisch Geld gewannen und verloren. „Ja, gleich“ – erwiderte der Vater dem rufenden Arzte, „ja, sofort“ die Mutter der zur Eile treibenden Wärterin. Währenddessen war das Kind entschlafen. Und Gott war barmherziger als die pflichtvergessenen| Eltern. Wer keine Zeit für die Kinder hat, von dem wird sie die Ewigkeit fordern. Während die Eltern und Erzieher schliefen, kam der Feind und säete Unkraut. – Habt ihr Erzieher auf die Spiele, Gespräche und Bewegungen eurer Kinder acht? Betet ihr für sie und mit ihnen, daß vor den ihr Herz zu Gott sendenden Eltern die Kinder heilige Ehrfurcht bekommen und wissen, daß ein Kind der Tränen nicht verloren gehe? Am meisten und längsten haftet das Bild der betenden Mutter im Herzen des Kindes, in der Seele des Mannes, der betenden und der opfernden, die sich am Munde abspart, was sie dem Kinde gönnt und gibt und vieles sich versagt, um den Ihren Freude zu machen, die für jeden guten Vorsatz einen freundlich ermunternden Blick, für jede Mühe ein gütig ermutigendes Wort hat, die tröstet und stärkt, mit Ernst rügt und dennoch liebt, groß genug ist zu warten, nie zu groß, sich zu gedulden, die sich zu den Niedrigen herabhält und für Kleinigkeiten Ohr und Auge, Herz und Sinn offen hält, nichts für unbedeutend hält, was kindlich ist, damit nicht das Kindische bedeutend werde. – Wo Eltern und Kinder in Christo sich finden, da ist es ein köstliches Ding; solche Eltern brauchen sich nicht andere Kinder, solche Kinder nicht andere Eltern zu wünschen. –Es gibt keine bessere Erziehung als die freudige und keine größere Kunst als Freude zu wecken. Der Weg durch das Gelände am Sonntagnachmittag, der Gang durch den Wald sind Freudenstunden, die Eltern ihren Kindern oftmals bereiten sollten. Ich sehe von den besonderen Geheimnissen des Waldes ab: Goethe besingt ihn und Schenkendorf preist ihn, Eichendorff feiert und Uhland deutet seine Geheimnisse. Kein Volk hat soviel Liebe zum Wald mit seinem Sinnen und Sagen, mit seinem geheimnisvollen Schweigen und Rauschen als das deutsche. Und im Walde ist es wie ein von Menschennot und -sorge ungestörter Lobpreis Gottes: alles, was Odem hat, lobt den Herrn, den Durchbrecher aller Bande, der das Kyrie der Natur versteht und in den Psalm der Ewigkeiten wandelt, wie es im Lobgesang der drei Männer im Feuer so wundersam klingt.
| Freude am Herrn und seinen Werken ist Stärke, die den Unmut nicht aufkommen läßt, das Murren straft und die Lippen auftut, daß der Mund nicht die Not des eigenen Herzens, sondern des Herrn Ruhm verkündet. Über die Deutung der Gottesgeheimnisse in Feld und Wald an die um abertausend Dinge fragenden Kinder über der Mitfreude mit ihren Entdeckungen und Erfahrungen vergißt der Mann Gram und Unrast des Lebens, ja sie wandeln sich ihm über ein Stündlein in Sonne. Dann wird das Auge für die „Scheidemünze“, wie der alte Pfarrer Roller sagt, geschärft, die Gott so verschwenderisch in der Natur umherstreut, und das Ohr hört mitten im Jubel der Kinder das tröstende: Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens, das Herz aber wird weit und frei und lacht: der das Gras auf dem Felde also kleidet, das heute blüht und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er nicht vielmehr euch also tun?Neben der Freude an der Natur in Wald und Wiese, in Flur und Feld, an der großen Laienbiblia des Bauersmanns, wie Luther sagt, gibt die Geschichte Gottes, die heilige und die weltliche, der Gang seiner Allmacht durch die Zeiten und Völker Grund und Anlaß zu Lob und Preis. Unsere Jugend sollte mehr in den alten Geschichten heimisch werden: wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Kögel dankt in einem Gedichte „Der alte Kantor“ sinnig für den Geschichtsunterricht seiner Jugend.
Und keiner, mein ich, konnt’ wie du erzählen,
Wie Joseph träumt und künft’ge Größe spürt,
Wie dann die Neider ihn und Jakob quälen,
Und wie zum Diensthaus er hinabgeführt,
Bis der Erhöhte, bei des Bechers Fehlen
Sich seinen Brüdern kundgibt heißgerührt –
Aus goldnem Bibelkelch für jeden Trank
Hab’ alter Kantor, hab’ noch heute Dank!
Die biblische Geschichte in ihrer großartigen Einfalt und kunstlosen Realistik, der durch die Schlichtheit Wahrheit innewohnt, muß auf die Kindesseele wirken, in die so das Bild des Schönsten unter den Menschenkindern eingebildet und eingeprägt wird, sein Wort und Werk, sein Wesen und Wandel, die ohne Zutat, rein aus sich wirken und gewinnen.
Geschichte, heilige und unheilige, die reine Sonne in ihrer eigenen Brechung und unter all den Schatten menschlicher Sünde und Schwachheit, macht dankbar. Aber die oft so fabrikmäßig erdichteten Erzählungen machen unzufrieden: aus dem Märchenlande der von ihnen erweckten Bilder und geschaffenen Eindrücke führt keine Brücke in die Arbeit des Tages und seiner Pflichten. Und doch schützt allein der Dank vor der Jugendkrankheit, für die, wie ein großer Schulmeister, Döderlein, gesagt hat, dem Deutschen das Wort fehlt, vor der unjugendlichen Blasiertheit, die aus dem jammervollen Mitleide mit dem Lebenslose und der entkräftigenden Selbstbeklagung reichlich emporwächst. „Ich möcht am liebsten sterben, dann wär’s auf einmal still.“ Das Kapitel der Schülerselbstmorde gehört als letzte schaurige Folge dieser tatenlosen Patchoulistimmung zu den schwersten unserer Tage. Wer Gott für alles Gegebene und Gegönnte dank sagt, hat keine Zeit noch Lust mehr zu klagen. „Was murren die Leute im Leben also?“ – Erziehen wir die Unsren zur Dankbarkeit, zur Freude am Kleinen, die dann im Kleinen erwacht und segnet, zu dem immer fröhlichen Herzen, dem dann der edle Friede freundlich geschenkt wird! Wehren wir dem blinden, blöden Neid, der mit dem Verkleinerungsglase eigenen Besitz und – eigene Schuld beschaut, im Vergrößerungsglase fremde Unwürdigkeit, aber auch Gabe betrachtet, weisen wir auf den Reichtum des ersten Artikels hin, wie Luther ihn uns verstehen lehrt und danken wir selbst!
Denn grämliche, verdrießliche, mißgestimmte Erzieher: „ich armer Atlas, eine Welt von Schmerzen muß ich tragen“ – erreichen nichts, vor ihren Schritten erstirbt das frohe Leben, und vor ihrem Schelten flutet die Freude zurück. Diese Zerstörer der Freude sind Mörder des Frühlings, in| dem es nur dem Volke wohl ist, das jauchzen kann. Sie sollen die Hand von der Jugend lassen, zu der sie kein Herz haben. Aber gesegnet seien alle freudenreichen Erzieher in Haus und Schule, deren Lindigkeit, weil der Herr nahe ist, nicht nur im Herzen, aber auch nicht nur auf den Lippen wohnt, diese fröhlichen Geber, die Gott lieb hat, die zu den Kindern mit Freudigkeit und getrostem Mute herzutreten und sie zur Freude leiten. Auch zur Freude der Freundschaft. Denn die Jugend ist die Zeit, in der man Bündnisse schließt: das spätere Alter ist hier zu bedächtig und zu kritisch, prüft und wählt zu lange, schließt sich schwer auf und an. Zuerst mag die Freundschaft auf äußerlichen Voraussetzungen beruhen: der gleiche Schulweg, die gleiche Klasse führen zusammen, gemeinsam getragene Freud und Leid bindet aneinander. Matth. Claudius nennt das wohl „Pferdefreundschaft“. Der rechte, reife Erzieher wehre dem nicht, wenn zwei Kinder also sich finden, sehe nur darauf, daß nicht auf dem Schulweg vergehe, was das Haus gesäet hat! Aber er tadle auch die andere Art von Freundschaft nicht, welche aus dem Ergänzungsbedürfnisse entsteht, das wundersam je mehr und stärker erwacht, je selbständiger der Zögling wird. Das Kind in der Kinderstube ist sich selbst genug und hat seine Welt für sich, es ist am liebsten allein. Wenn es aber von der dritten Person, in der es von sich spricht, zur ersten übergeht, dann verlangt es nach anderen, dann will und wünscht es das lobende Urteil und die liebende Rede des Gleichgesinnten, des Altersgenossen, um an ihr zu erstarken. Stille Kinderfreundschaft, ohne rechte Kraft noch und Nachhaltigkeit wie das weiche Mark des Hollerstrauches. Man lobt den Freund, um sich gelobt zu hören und liebt ihn, um sich geliebt zu wissen.Freude an Idealen! Möge nur das Ideal dem Worte des Kirchenvaters entsprechen: Sucht, was ihr sucht, aber sucht nicht, wo ihr sucht! Möge im Herzen der heranreifenden Jugend was lieblich, keusch und züchtig, was wohllautet an Tugend und Lob, eine Stätte finden, von der das Unreine und Gewöhnliche, das Niedrige und Gemeine ferne bleiben. Eltern, erhaltet den Euren die Welt der Ideale, ernüchtert sie nicht, zerpflückt nicht die Blüten, denen Gott Duft und Schönheit gegönnt hat. Kritisiert nicht mit rauhem Worte, mit spitzer Rede, mit Spott und Hohn, was euren Kindern wert und lieblich war. Laßt sie eher noch in Illusionen leben, von denen ihr einst lebtet, als ihr in den Augen eurer Kinder fehllos und irrtumsfrei erschienet und ward. Das Leben wird das Unreife wegtilgen, aber das Echte Gestalt gewinnen lassen. Freude an dem Schönen, an dem Großen, an Gott und Menschen, ist der Blütenschmuck der Jugend. Was nicht echt ist, mag der Sturm entführen und wird die Sonne versengen. Aber die gesunden Blüten bringen Früchte zu ihrer, zu Gottes Zeit. –
Das Ideal weist über sich selbst auf seinen Meister. So ist es das köstlichste Stück, das schönste und größte aus dem| Schatzhause Gottes, das im Gegensatze zu der Unklarheit und Verschwommenheit, die alle „Standpunkte“ gelten läßt mangels eines eigenen, der Hebräerbrief (13, 9) uns nennt, das feste Herz. Sonst verbindet man wohl mit dem Begriffe des Festen den des Starren und Unnahbaren, des Kalten und Abstoßenden oder meistens des nicht Anziehenden. Aber der apostolische Verfasser dieses bedeutsamen Briefes, der offensichtlich weiß, daß die Schönheit nicht an äußerlichen Merkmalen kennbar ist noch in vergänglichen Vorzügen sich erschöpft, hat in dem geschlossenen und abgeklärten Charakter, der das Leben beherrscht, das eigentlich Schöne gefunden. Er läßt im elften Kapitel eine erlauchte Reihe von Männern und Frauen an sich vorüberziehen, ihre Namen meldet weder Denkmal noch Heldenbuch, aber im Himmel sind sie angeschrieben, weil sie das Größte gelitten und geleistet haben, indem sie glaubten und den Mut gewannen, den Unsichtbaren und das Unsichtbare zu fassen und zu halten als sähen sie beide. Sie drangen durch das Gewölke hindurch, mit dem die Sichtbarkeit und der Augenschein Wirken und Wesen des unsichtbaren Gottes bedeckt und entrückt und legten die Hand mit mutigem Entschlusse in die ihnen dargebotene Hand der göttlichen Treue. Sie verließen das Vaterland auf Erden, ohne zu wissen, wohin der Weg führe, aber sie trauten der Verheißung, daß sie einen rechten Weg gehen dürften. Sie opferten ihr Liebstes, ohne auf Ersatz zu rechnen, denn sie wußten, wem sie opferten.Hinaus über die Ahnenreihe des Hebräerbriefes führt die Geschichte der Kirche. Paulus, dem alles, was ihm ehedem Gewinn und Genuß war, Schaden wird, der in allem weit überwindet, weil er von Christo überwunden ist, der heimatlos, freundlos, hilflos durch die Welt zieht und doch mit starker, stolzer Freude der Heimat zuwandert, Luther, der Welten versinken sieht ohne Tränen und Trauer, weil er im Himmel Teil und Erbe weiß und hat, der Mann, auf den alle Schmach, Schimpf und Schande gehäuft ward und zu dem der Segen seines Herrn tausendfach einkehrte, die großen Beter der Freiheitskriege, die mächtigen Führer in gegenwärtigen Zeiten – die Lenker der Schlachten, die Denker und Werkmeister großer Erfindungen, sie alle treten vor die Augen der Jugend. „Wenn es die Kraft erlaubt, laßt euch durch Nachfolge ehren!“
Näher aber als alle Erlauchten der Geschichte stehen der heranwachsenden Jugend Eltern und Lehrer, daß sie Vorbilder seien, die noch lange nachleuchten, wenn ihre Spur von der Erde in die Unsichtbarkeit sich verliert. Es ist ein köstliches Ding, wenn durch solche Einflüsse das Herz fest wird. Religiöse Unterweisung kann den Willen anfassen, aber religiöse Beeinflussung nicht mit Worten, sondern mit Kraft wird ihn erobern für Gott oder – gegen ihn.
Letztlich aber ist es das Werk der heilsamen Gnade, die allen Menschen erschienen ist, wenn ein Herz in der Jugend, so wie der selige Löhe, wie Spener, Francke und Zinzendorf es von sich dankbar rühmen durften, fest wird. Und es geschieht| durch Gnade, die im Verborgenen arbeitet, daß aus der heiligen Werkstätte, in der Meißel und Hammer ihr Wesen haben, ein Mensch Gottes hervorgeht zu allem guten Werke geschickt, nicht einseitig, enge, finster und scheu, sondern allem Großen und Reinen erschlossen, weiten Herzens und mit leuchtendem Blicke, trotzig und freudig gegen alle Kreatur.In dieses lose und leere Gerede der Aufklärer, welche ihr Jugendideal zum gemeingültigen machen wollen, tönt klar und rein das Wort der unbeugsamen, über Zeit und Zeitmeinung, Mode und Modetorheit hoch erhabenen und weithin herrschenden Wahrhaftigkeit:
Ihr sollt heilig sein.
Und dem Christuswort gibt das Dichterwort Bescheid:
Heilig ist die Jugendzeit. –
Edler Geist des Ernstes soll
Sich in Jugendseelen senken,
denn nicht mit den ausgemergelten, greisenhaften Lemuren, wie sie Jean Paul in der Neujahrsnacht eines Unglücklichen uns schildert, werden Volk und Land geziert und geschirmt, sondern mit Jünglingen und Jungfrauen, welche den Mut haben, Christi zu sein.
Der gegenwärtige Krieg wäre für unser Volk, so reich begütert und so erfindsam es ist, von Führern gottbegnadeter Weisheit geleitet und beraten, mit auserlesener Rüstung bewehrt, – verhängnisvoll, wenn nicht der Geist der Zucht| noch im Heere weilte, das aus 45 Friedensjahren nicht verweichlicht und verzärtelt, sondern noch im Mark gesund herangewachsen ist. –Und die kommenden Tage eines ernstlichen und ehrlichen Friedens wie ihn Deutschland erstreiten und erbeten will, sollen uns zu neuen schweren Kämpfen rüsten und bereit finden, zu Kämpfen der Weltanschauung, ob es noch Kleinodien gibt, die es verdienen, umstritten und erkämpft zu werden, mit heißem Ernste erkauft und mit treuer Sorgsamkeit behütet zu sein oder ob in der Auslebung der Bestie im Menschen das Ideal der Menschheit sich erfüllt.
Auf der einen Seite stehen die Verweichlichten, Verzärtelten und allzu Nachgiebigen, die der ernsten Selbsterziehung ausweichen und nirgends halt haben noch gewähren – wer mag einen Nagel in eine breiige Masse schlagen? – die Knechte der Lust, die nie jung waren, aber immer kindisch bleiben, das Joch in der Jugend von sich schütteln und die Freude mit mattem Lächeln als Täuschung ablehnen, als einzig Gewisses aber auf der Höhe „des Pyrrhonismus schwindelfrei“ die Ungewißheit rühmen, – auf der anderen die Mannhaften und Reisigen, welche ihre Seele in den Händen tragen, arbeiten und nicht müde, laufen und nicht matt werden, denen Verzicht und Gehorsam, Mühe und Arbeit, Glaube und Glaubensernst Würze, Weihe, Inhalt des Lebens sind.
An die Eltern und Erzieher, an die Freunde der Zukunft ergeht darum die ernstliche Bitte, zur Erziehung und Ertüchtigung der aufwachsenden Jugend Kraft und Weisheit von oben sich zu holen und treulich zu gebrauchen.
Denn „ein braves Volk, ein Volk, das durch eine Welt des Verderbens gelaufen, das in seinem Verderben gelitten und in seinem Leiden zu sich selber und dem Göttlichen, von| dem es entfernt worden, wieder nähergekommen ist ... ein solches Volk sieht auf Euch.“ So hat Pestalozzi vor hundert Jahren zu dem jungen Lehramtskandidaten gesagt. „Christlich germanisch“, ein vielumdeutetes Schlagwort! Soll es das bleiben? Wer Christum liebt, wird Ihm sein Volk gönnen. Und wer sein Volk liebt, führe es zu Christo, dem Herrn der köstlichen Dinge.