Erziehungsfragen

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Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Erziehungsfragen!
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Auflage: 2
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Erscheinungsdatum: 1917
Verlag: Müller & Fröhlich
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Erscheinungsort: München
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Erziehungsfragen!


Vortrag
von
Oberkons.-Präsident D. Dr. v. Bezzel


2. Auflage



Preis 50 Pfg.




München 1917
Müller & Fröhlich, Verlagsbuchhandlung


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Nachdruck verboten.



| Im Anhange unserer Bibel findet sich ein Buch, das einen weitgereisten, menschen- und weltkundigen Mann zum Verfasser, den Enkel des Verfassers, der in hebräischer Sprache schrieb, zum Übersetzer in die griechische Sprache hat, in welcher es auf uns gekommen ist, die Weisheit Jesus Sirachs. Der das Buch ins Deutsche übersetzt hat, Martin Luther, nennt es „ein nützliches Buch für den gemeinen Mann, das einen Bürger oder Hausvater fromm und klug machen kann, ja man möchte es ein Buch von der Hauszucht nennen oder von den Tugenden eines frommen Hausherrn, welches auch die rechte geistliche Zucht ist.“

 In diesem weisheits- und weisungsvollen Buche steht (Kap. 30, 9) ein wundersames Wort, das man über die Türen der Kinderstuben und in die Herzen von Eltern und Erzieher einbrennen sollte: Zärtle mit deinem Kinde, daß du dich hernach vor ihm fürchten müssest; spiele mit ihm, so wird es dich hernach betrüben.“ –

 Bismarck hat einmal von verweichlichten und verprügelten Generationen gesprochen, da immer eine der andern zur Strafe folge, wonach wir die verprügelte zu erwarten hätten, da wir in einer verzärtelten und verzärtelnden Zeit leben. Wenn man leicht grollt, wo nicht nach Josephs Traum Sonne, Mond und Sterne um das „Wunderkind“ sich drehen, so hat des zum Gedächtnis und besseren Verständnis unsere| Feindin aus Norwegen, Ellen Key, das Jahrhundert des Kindes geschrieben, ein Buch, das auf Nietzsches Spuren wandelnd das Maßlose zum Gesetz und die Fehler in der Erziehung zur Regel erhebt, gegen die man vorgehen müsse. Wie tönt es doch so verständnisvoll in die Herzen der verwöhnten Jugend, eigentlich „solle das Kind das Recht haben, seine Eltern zu wählen!“ Denn in der Tat haben die meisten Eltern die Pflicht, ihre Kinder um Verzeihung zu bitten, weil sie ihnen so wenig Halt und Recht mit auf den Weg geben, so geringes Verständnis entgegenbringen, Unart schelten, was der Flügelschlag des Genius ist und Sünde gegen das vierte Gebot, das von Gott an Moses gegeben sein soll, nennen, was nur Selbstbehauptung und Selbsterziehung ist. Wie schön sagt Nietzsche, der große Meister der vielgelesenen Schriftstellerin: „Eine neue Tafel stelle ich über euch. Gut machen sollt ihr, daß ihr eurer Väter Kinder seid.“ Weg mit den alten, morschen Vorurteilen der Herdenmenschen, hin zu den großen, neuen Werten, die verkannte, ungekannte, unerfaßte, ungeschätzte Herrenmenschen prägen! Denn es ist ein Zeichen der gemeinen Seele, Autoritäten anzuerkennen, um noch etwas außer sich für groß und wahr zu halten. Wer sich nach seinem Gutdünken entwickelt und erzieht, indem „erlaubt ist, was gefällt“, der allein hat das Recht zu sein, ein Recht, das der traurigste aller Unterrichte verkürzt, verkümmert, zerstört, der langweilige Religionsunterricht, der aus abgefaulten Latten und Hölzern immer wieder Zäune aufrichtet.
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 Es ist „Seelenmord in den Schulen und im Elternhause“, weil Kenntnisdrang, Selbsttätigkeit, Selbstwille durch ihn ertötet werden. Der christliche Religionsunterricht demoralisiert mit seinen Normalgrößen und Geboten und Verheißungen. Aber freilich, „leichter ist es, mit dem Federmesser durch den Urwald sich den Weg zu bahnen, als durch| das Dickicht der Vorurteile und Mißgriffe in der Erziehung durchzubrechen.“

 Wenn aber das Kind seinen Eigenwillen zum Gesetz und sein unreifes Urteil zur Regel und seine Laune zum Gebieter erhebt, dem Vater und Mutter, soferne sie leben und gute Tage sehen wollen, sich beugen müssen, dann hat das Jahrhundert des Kindes seine goldene Zeit erlebt, dann „wird die Welt ein Himmelreich“. Eine alte, in China sich fortpflanzende Weissagung behauptet, daß die Zeit um das Weltende sehr kindisch werde. Sollte etwa das Jahrhundert des Kindes mit dieser Weissagung getroffen und gemeint sein? Sollte die Furcht der Eltern und Erzieher vor dem ahnungsvollen Dämmern in der Kindesseele jenes zur Nacht wandeln, das doch zum hellen Lichte kommen soll?

 Soll die Tyrannei der Kinder über die ihnen zur Weisung und Lehre Gesetzten eine Zukunft der Zuchtlosigkeit einläuten und aus der Meisterlosigkeit der Jugend die Zuchtlosigkeit eines die Arbeit dem Genusse preisgebenden und diesen als Selbstzweck erwählenden Geschlechtes heranreifen, welches weder gehorchen noch herrschen, nicht denken, weil nicht danken kann? –

 Oberhofprediger D. Rudolf Kögel, der zwei Kaiser zu ihrem Ende vorbereitet und ihnen die Gräber gesegnet hat, den jetzigen Kaiser getraut und den Kronprinzen getauft hat, hinterließ neben anderen Gedichten zwei, in denen er kurz vor seinem Tode (Juli 1896) Wunsch und Bekenntnis niedergelegt hat. Der Wunsch bezeichnete die drei Bäume, die er auf seinem Grabe (auf dem Gottesacker der Domgemeinde, Müllerstraße Berlin) gepflanzt wissen wollte, die Birke mit dem frischen Grün zur Erinnerung an das häusliche Glück, die Eiche als den deutschen Baum und das Sinnbild der treuen Kraft und die Tanne mit den hohen Erinnerungen an die Kindheit und das Kind der Weihnachten:

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Pflanzt zu Häupten mir die Tanne,
Denn sie weiß von einem Manne,
Der zu Weihnacht kommen ist,
Der den Tod für mich geschmecket,
Meine Schulden zugedecket,
Preis und Lob dir, Jesu Christ! –

 Das andere Gedicht aber begreift in sich das Bekenntnis seines Lebens von den

drei köstlichen Dingen,

dem geduldigen, dem freudigen und dem festen Herzen.

 Diese drei köstlichen Dinge aus Gottes Schatzkammer, alte Perlen von unvergänglichem Glanze und hellstem Lichte sollen die Weisheit widerstrahlen, welche vom Throne des größten Erziehers ausgeht und nie vergeblich von denen gesucht und erbeten wird, welche der Weisheit ermangeln. Allen modernen und unmodernen Erziehungs- und Verziehungsgrundsätzen zum Trotze, ferne von einer irdischen Weisheit, die betrügt und betrogen wird, steht das Wort:

 Es ist ein köstliches Ding einem Manne, daß er das Joch in der Jugend trägt (Klagel. 3, 27). Ein Dichter aber, Friedrich Rückert, dessen Todestag wir am 31. Januar zum fünfzigsten Male begingen († 1866), hat in seiner Weise dieses alttestamentliche Wort erläutert:

Frohlocke nicht, verzogenes Kind,
Daß dir Ohrfeigen selten sind.
Auszahlen wird dir einst die Welt,
Was dir die Mutter vorenthält.

 Das Joch der Jugend ist von Gottes starker und doch linder Hand aus drei Stäben zusammengefügt: Lerne gehorchen, lerne dich anstrengen, lerne verzichten.

|  Gehorsam ist die erste Aufgabe. Wer sie ergreift, der erstarkt und wer sie zurückweist, der scheint frei zu sein und wird zuerst mit dünnen seidenen Fäden gebunden, dann mit ehernen Fesseln geknechtet. Zuerst will er nicht können, dann kann er nicht wollen. Nicht darauf kommt es an, Gebot und Gesetz zu begreifen, als ob nur das Erklärte verpflichten und das zum Verständnis Gebrachte Willfährigkeit beanspruchen könne. Welcher Erzieher gibt für seine Anordnung andere Begründung als die der Autorität, mit der ihn Gott betraut und zu der er durch Arbeit an sich selbst Anrecht gewonnen hat? Die Förderung des Gehorsams wendet sich nicht sowohl an den Intellekt als an den Willen, der am Gebot gestärkt und im Gehorsam erzogen wird. „Wir müssen Sklaven des Gesetzes sein, damit wir frei seien.“ Das ist nicht ein Bibelspruch, sondern das Ergebnis der Betrachtung eines heidnischen Denkers, und an der Schwelle der neuen Zeit unseres Volkes vor hundert Jahren, an den Toren der Freiheitskriege steht das große Mahnwort des kategorischen, des unwidersprechbaren und unwidersprochen bleiben wollenden Imperativs: du sollst. –

 Gegen dieses erste Gebot, das Verheißung hat, ist allerlei Unrecht und Torheit zu Felde gezogen, um den Stab brüchig und das Joch leicht zu machen, um den Gebietenden zu täuschen, während in Wirklichkeit der Ungehorsam getäuscht wird. Er glaubt zu gehorchen und beraubt sich der Kraft und der Weihe des Ernstes und der Zucht, wenn er mit einem Ja, aber, Ja, gleich, Ja, ein wenig den Befehl zu umgehen trachtet, indem er dessen Ausführung verschiebt.

 Ja, aber. Das Kind, der Schüler gibt zu, daß er gehorchen müsse und gibt an, daß er es wolle. Aber unter Einhalt und Einschränkung, unter Vorbehalt und Bedingung. Luther hat in einer launigen Erzählung es gar klar gemacht. Vor Zeiten sei ein edler Rittersmann der Welt| müde und mit sich einig geworden, ins Kloster zu gehen, Gehorsam und Observanz zu geloben und auf die Ewigkeit sich stille zu bereiten. Wenn nun der Novizenmeister zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, Ihr müsset heute die Zellen der Mönche und den Estrich fegen, habe er gesagt: Ja, Herr, aber bedenket, daß ich ein ehrlicher Rittersmann gewest und solcher Arbeit nicht gewohnt noch willig bin. Und wenn der Prior gesagt habe: Bruder Kunrat, nehmt saccum per naccum den Sack auf die Schulter, damit Ihr terminieret (auf den Dörfern umhergeht) und Brot, Eier und Schmalz für das Kloster auf die Fasten heischet – da habe er entgegnet: Ja, hochwürdiger Herr, aber einem alten Edelen steht solche Arbeit nicht an. Wenn aber der Abt zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, rüstet euch und sattelt, denn Ihr müßt ins Gejaid und einen feisten Hirschen holen, damit wir morgen Dominum Reverendissimum, den hochwürdigsten Herrn Bischof nach Gebühr bewirten, da habe er gesagt: Ja, hochwürdigster Herr Abt, darum habe ich mir lassen die Platten scheren (Tonsur), daß ich Euch aller Dinge gewähr und gehorsamlich sei. Ja, aber. Was an Geboten gefällt, wird gerne getan, denn der Mensch dient sich dabei selbst. Was aber der Natur sauer eingeht, dessen weigert sie sich. Wehe der Mutter, die dieses „aber“ des unwilligen Kindes gewähren und ihre Anordnung von der Laune und Willkür des Kindes aufgehoben sein läßt. Aber wohl jedem Erzieher, bei dem die Widerrede nicht einmal in Gedanken sich herauswagt, geschweige denn, daß sie zum Worte käme! Wille des Erziehers und Willigkeit des Zöglings müssen eins werden dem größten Vorbilde gemäß: Ja, Vater, ja von Herzensgrund. Denn nur einen fröhlichen „Geber seines Willens“ hat Gott lieb. Wer ein Kreuz mit leiser Hand und oberflächlich berührt, dem dünkt es rauh, hart und schwer. Wer es aber mit beiden Händen faßt, versteht etwas von dem| „Mein Joch ist sanft“. Wer in die Nesseln mutig greift, den brennen sie nicht, während der Zaghafte und Zögernde sich verletzt. Also lehre und halte fest den bedingungslosen Gehorsam, der sprechen läßt: deinen Willen tue ich gerne! Über den Gehorsam stehe das alte Gebetswort, daß Preußens Großer Kurfürst († 1688) als Wahlspruch sich erwählt hat: Tue mir kund den Weg, darauf ich wandeln soll.
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 Der unbedingten und uneingeschränkten Willigkeit fremd und ferne steht die weitere törichte Rede: Ja, gleich. Schlafe noch ein wenig, schlage die Hände noch zusammen ein wenig, schlummre ein wenig (Sprüche 24, 33), dann kommt der Willensmangel und die Willensschwäche wie ein gewappneter Mann. Wer sich nachgibt, nicht gleich tut „zu der Zeit, wann er soll!“, der lähmt die Willenskraft, die Gott geschenkt hat, der nicht die Schwäche gibt, und entnervt sein Leben. Wer in der Jugend nicht das „endelich“, die zu Ziel und Ende strebende Arbeit aufnimmt, bleibt unentschlossen in allem, weich gegen sich und tyrannisch gegen andere, legt unerträgliche Lasten auf und rührt sie mit keinem Finger. Der sel. Pfarrer Löhe hat es, als er Töchter einer erlauchten Mutter zur Konfirmation vorzubreiten hatte, oft gerühmt, wie sie zu pünktlichem Gehorsam erzogen gewesen seien. Eines Abends hatte er in größerem Kreise mit der feinen Gabe der Schilderung und Beobachtung von seinen Reisen fesselnd erzählt. Die jungen Mädchen hingen voll Spannung und Interesse an seinem Munde, da gebot die Mutter den Töchtern, zur Ruhe zu gehen. Alsbald standen sie auf, küßten der Mutter die Hand und gingen, so schwer es ihnen werden mochte, die Erzählung nimmer zu Ende zu hören. Statt dessen kann man in vielen Familien beobachten, wie das „Ja, gleich, Ja im Augenblick“ zur stehenden Rede geworden ist: Erzieher und Kinder wissen’s nimmer anders| und denken gar nichts Arges dabei, wenn die Augenblicke zu Viertelstunden sich längern. Ja es gibt wohl törichte Mütter und – Väter, welche ihre Kinder darüber loben, daß sie überhaupt das Befohlene tun, und ihnen nicht gram sind, wenn sie es ganz unterlassen. Die apostolische Mahnung, die Zeit auszukaufen, weil je älter der Mensch wird, sie auf dem Markte des Lebens desto rarer wird, muß und soll wohl beachtet sein. Es ist ein großer Sieg, wenn man das Liebste gibt, um das Beste zu erhalten und zu bewahren. Denn ein wenig zu spät ist viel zu spät, die törichten Jungfrauen haben es erfahren.
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 Und vollends die feile, faule Redensart gilt es als gefährlichen Feind zu erkennen und zu bekämpfen, da man mit der einen Hand opfert, mit der anderen zurückhält: Ja, ein wenig. Die Mutter will das Kind zur Mäßigkeit erziehen und verbietet ihm, von der Lieblingsspeise, dem Leibgericht, noch weiter zu nehmen. Aber das Kind verhandelt mit der Mutter und der heranwachsende Sohn paktiert mit dem Vater, daß ihm das noch vergönnt und jenes gewährt und bewilligt werden möge. Und „man will doch nicht hart sein, man kann sein Kind nicht weinen sehen, will keine traurigen Gesichter, keine trüben Mienen.“ So gibt man „nur ein wenig“ nach: es ist ja „nur ein wenig“. Aber, um mit Lichtenberg zu reden, dies: „ein wenig“ bringt von Haus und Hof. Wer nicht versagen kann, weiß nicht, welch eine Kraft in dem „ja, alsbald, ja ganz“ liegt in der entschlossenen und willigen Drangabe des Eigenen an bessere Einsicht und treuen Meinung. Das Joch in der Jugend ist aus einem Stabe angelegt: lerne gehorchen, ernstlich und ehrlich, willig und pünktlich, völlig und gänzlich und wisse, daß im Gehorsam die Kraft der Freiheit liegt, wie sie das „darum“ des Philipperbriefs aufzeigt: dem Gehorsamen die Erhöhung über Welt und Zeit! Wer gehorcht, der hat sich in der Gewalt| und der arge, erschlaffende Feind, der Selbstbehauptung – rühmt, wo Selbstliebe sich pflegt, kann ihn nicht antasten.

 Zu dem einen Stabe aber hat der himmlische Erzieher einen anderen, zum rauhen und harten den strengen und herben gefügt: Lerne dich anstrengen. Wir leben im Zeitalter der Überbürdung, des tremor examinicus, wie der alte Ansbacher Doktor Heidenreich das Schulfieber gelehrt umtaufte. Vom Kinde, das nimmer spielen kann, weil es mit dem raffiniertesten Spielzeug ausgestattet war bis hin an zum Manne, der hinter dem Schreibtisch sitzt, über den Schüler hinaus, der mit schwerem Kopfe zur Schule dämmert und über die höhere Tochter hin, die sich mit „spannender Lektüre“ Herz und Sinne beschwert hat, ist alles „überbürdet“. Der Preußische Kultusminister Altenstein (geb. 1770 zu Ansbach, – die Burg seiner Vorfahren schaut in Unterfranken bei Ebern ins Tal hinab) wollte elf Stunden Arbeitszeit von und bei den Schülern fordern! Wenn das heutzutage ein Kultusminister durchsetzen wollte! Der große Philologe Döderlein aber erzählt aus seinen Jugenderinnerungen an Schulpforta, er sei einst bei seinem alten Rektor Ilgen namens der Oberklasse vorstellig geworden, den Aufsatz könnten sie innerhalb acht Tagen keinesfalls zustande bringen. Der Schulmonarch habe erwidert: Das glaube ich auch. Aber wozu hat euch der liebe Gott die Nächte gegeben? – Wenn ein Schulvorstand heutigen Tages so reden wollte! Der Barbar würde in effigie wenigstens gesteinigt werden. Überbürdung allerorts, nur nicht mit allerlei Sport, nicht mit Kinderbällen und Kinobesuchen und anderen Genüssen. Wo die Pflicht, die rauhe Notwendigkeit gebietet, da protestiert man männiglich im Namen der Humanität, unter der Firma der Hygiene. Aber die alte Satzung preist den Menschen glücklich, nicht der das Joch ausfüttert, polstert und glättet, sondern der es trägt.

|  Lerne dich anstrengen, die Stränge anziehen, die Muskeln anstraffen, was dir schwer dünkt, nimm zuerst vor, es wird nicht leichter, wenn du es hinlegst, sondern sieht dich immer fremder, immer drohender an. Du gewinnst immer weniger Herz dazu und wirst deines Lebens nimmer froh. Tue deine Arbeit, auch die kleinste und unscheinbarste, so gut du kannst und laß nicht ab, bis sie geraten ist. Die Mutter, welche die Aufgabe des Kindes überhört und nicht nachgibt, bis sie fehllos gelöst und gelernt ist, der Vater, der sich die Zeit abnötigt, um die Arbeiten des Sohnes anzusehen und ungeeignete zurückhält, tuen ein gutes Werk. Wenn aber die Eltern das „nur fertig“ gelten lassen, um sich Aufregung zu ersparen, so mögen sie sich nicht wundern, wenn in dieser lauen, weichen Luft die Mittelmäßigkeit gedeiht, während das Kind, das still und unerschlafft am kleinsten Punkt die größte Kraft einsetzt, zu Größerem und Großem befähigt wird. Der Pflichtbegriff muß ernst eingeschärft und durch Wort und Wandel geübt und geheiligt werden, daß das goldene Wort von der „Arbeit, die an sich Lust ist“, dieser Wahlspruch Leopold von Rankes, dem Kinde teuer wird. Tue alles möglichst gut und wisse, sagt Fichte, daß von der Leistung des einzelnen eine Welt abhängt. –
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 Den letzten, rauhesten Stab endlich, den Gott in das Joch der Jugend einreiht, heißen wir Verzicht. Das Kind muß frühzeitig etwas stehen sehen lernen und können. Der Vater, der es nicht tragen kann, daß seine Kinder beim einfachen Essen zusehen müssen, während er selbst Besseres genießt, weiß in seiner Gutherzigkeit nicht, daß Gott „frische, rote Wangen“ auch bei geringem Mahle gibt und hat von dem jungen Studierenden am Hofe zu Babylon noch nichts gehört der bei Zugemüse und Wasser besser gedieh als wenn er die niedliche Speise vom Königstische genossen hätte. Die Mutter, welche das Töchterlein mit etlichen Pfennigen in den| Konditorladen gehen läßt, daß es Süßigkeiten kaufe, soll wohl zusehen, wie späterhin das Naschwerk an anderem Ort und schlimmerer Art aufgesucht wird. Wer sich nichts versagen kann, erschlafft. Der Bedürfnislose aber ist Herrscher. Es ist ein großes Ding, sich genügen lassen.

 Wie froh wäre man, wenn man die Buden mit allerlei Naschwerk schließen könnte, das die Kinder umschwärmen wie Mücken den Honig; denn wer in der Jugend Mund und Gaumen kitzelt, wird späterhin in schlimmere Lüste versinken. Die Entbehrung stärkt und stählt mehr als alles, was Genuß und Lust heißen mag. Die jungen Leute, welche jetzt trotz, ja in Kraft und von wegen des Verbotes die Zigaretten gierig einschlürfen und sich dabei dünken lassen, sie seien etwas, während sie doch nichts sind, werden späterhin kränklich am Leibe und schwächlichen Willens werden, unzufrieden, mißmutig von eigenen Pflichten auf fremde Rechte schielen und die Zahl der Mißvergnügten vermehren, die an der Mahlzeit des Lebens mit Unbehagen sitzen und mit dem Klagerufe aufstehen: Herr, ich sehe, daß du ein harter Mann bist. Verzicht, ein ruheloses, rauhes Wort, aber eine stolze, sichere, selige Sache! Ich habe es alles Macht, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.

 So wäre das erste köstliche Ding – das Joch tragen, nicht allein, nicht einsam und abseits, sondern in der Kraft dessen, der mächtig macht, weil er mächtig ist und mächtig ist, weil er ohnmächtig war, der an dem, das er litt, Gehorsam lernte, arbeitete und wirkte so lange sein Tag währte und in Geduld und Treue sich bemühte, der endlich nicht Gefallen an ihm selber hatte, sondern auf sein Wohl verzichtete und sich selbst verleugnete, das Kreuz auf sich nahm. Lernt von mir, ruft Jesus unserer Jugend zu, aber auch ihren Erziehern, den Lernenden und Werdenden, wie den zu Lehrern und Erziehern Berufenen.

|  Es ist nicht gut, wenn der Erzieher „mürrisch und greulich“ ist, das will sagen, wenn er allzu phlegmatisch oder allzu cholerisch ist, jene Art ermüdet und diese reizt das Kind und erbittert es. Der Erzieher muß gleichmäßig in Gebot und Verbot sein, schnell zu hören, langsam zum Reden und langsam zum Zorn, er muß nicht viel gebieten damit doch ein weniges getan noch viel wehren, damit doch ein weniges gelassen werde, sondern kurz und bestimmt sein, mehr durch sich als durch Worte regieren, mehr das „Vorbild als das Sinnbild“ sprechen lassen und stets so handeln, daß der Einzelgrundsatz Maxime für ein ganzes Gesetz werden könnte. Launenhafte Leute, die sich nachgeben und ihren Stimmungen und Verstimmungen Raum geben, die heute wie der Sturmwind einherbrausen und morgen alles lind und mild dulden, taugen nicht zu dem Amte, das in gelinder Kraft der Gleichmäßigkeit groß ist. – Es soll und das muß unserem Geschlechte besonders gesagt sein – der Erzieher Zeit haben. Eilende Väter, die nicht auf die kleinen Anliegen und Sorgen der Ihrigen achten können, weil sie am Morgen noch nicht und am Abend nicht mehr zur Stelle sind, Mütter, die für das Gebet mit den Kindern weder Gelegenheit noch Raum finden, haben das Recht zur Erziehung verwirkt, zu diesem königlichen Amte wartender Geduld und gelassener Treue. – Auf dem evangel. Gottesacker zu Ems ist ein Kindergrab mit dem alten Psalmworte (27, Vers 10): Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf. Grab und Inschrift erzählen von einem verlassenen Kinde, dessen in seiner Todesnot die Eltern vergessen konnten, weil sie am Spieltisch Geld gewannen und verloren. „Ja, gleich“ – erwiderte der Vater dem rufenden Arzte, „ja, sofort“ die Mutter der zur Eile treibenden Wärterin. Währenddessen war das Kind entschlafen. Und Gott war barmherziger als die pflichtvergessenen| Eltern. Wer keine Zeit für die Kinder hat, von dem wird sie die Ewigkeit fordern. Während die Eltern und Erzieher schliefen, kam der Feind und säete Unkraut. – Habt ihr Erzieher auf die Spiele, Gespräche und Bewegungen eurer Kinder acht? Betet ihr für sie und mit ihnen, daß vor den ihr Herz zu Gott sendenden Eltern die Kinder heilige Ehrfurcht bekommen und wissen, daß ein Kind der Tränen nicht verloren gehe? Am meisten und längsten haftet das Bild der betenden Mutter im Herzen des Kindes, in der Seele des Mannes, der betenden und der opfernden, die sich am Munde abspart, was sie dem Kinde gönnt und gibt und vieles sich versagt, um den Ihren Freude zu machen, die für jeden guten Vorsatz einen freundlich ermunternden Blick, für jede Mühe ein gütig ermutigendes Wort hat, die tröstet und stärkt, mit Ernst rügt und dennoch liebt, groß genug ist zu warten, nie zu groß, sich zu gedulden, die sich zu den Niedrigen herabhält und für Kleinigkeiten Ohr und Auge, Herz und Sinn offen hält, nichts für unbedeutend hält, was kindlich ist, damit nicht das Kindische bedeutend werde. – Wo Eltern und Kinder in Christo sich finden, da ist es ein köstliches Ding; solche Eltern brauchen sich nicht andere Kinder, solche Kinder nicht andere Eltern zu wünschen. –
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 Aber neben der einen köstlichen Perle des gehorsamen Herzens ruht in Gottes Malschatz und Haushalt eine andere: Es ist ein köstliches Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster (Ps. 92, 2), denn der freudige Dank verbreitet über das ganze Tagesleben des Menschen Weihe und Heiligung, vertreibt die spröde Sorge und den öden Stumpfsinn des Einerlei und läßt statt des einfarbigen Grau, das trübe aufgeht, den Morgenglanz der Ewigkeit und über Wetterwolken den vielfarbigen Regenbogen leuchten. „Gott sei gedankt für alles“ war das Losungswort des Chrysostomus, der riet, „David mit der| Kithara, der Harfe und durch ihn Christus ins Haus zu rufen“. Laus et gloria tibi Domine war die Regel Benedikts von Nursia, der die ersten Klöster mit Dank und Preis und ihre hallen mit Psalmen und Lobgesängen erfüllte. Lobpreisend sind Bernhard von Clairvaux und Franziskus von Assisi durch die Lande geschritten, und die Psalmenklänge mit ihrem tausendfachen Halleluja hat Luther durch deutsche Saiten rauschen lassen, daß die Überschwellen erbeben und die Chöre der Lob und Danklieder nicht verstummen. „Ich singe dir mit Herz und Mund“ fällt Paulus Gerhardt ein, in dessen Gemüt eitel Sonnenschein ist, denn „in ihm ist soviel Sonnenblume, immer sonnenwärts gerichtet“ (Hippel). „Wunderbarer König, Herrscher von uns allen, laß dir unser Lob gefallen“ – tönt und dankt es weiter – bis der fromme Wunsch tausend Zungen des Lobes sich erbittet, daß mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr, wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer, die Ewigkeit gefeiert werde.

 Es gibt keine bessere Erziehung als die freudige und keine größere Kunst als Freude zu wecken. Der Weg durch das Gelände am Sonntagnachmittag, der Gang durch den Wald sind Freudenstunden, die Eltern ihren Kindern oftmals bereiten sollten. Ich sehe von den besonderen Geheimnissen des Waldes ab: Goethe besingt ihn und Schenkendorf preist ihn, Eichendorff feiert und Uhland deutet seine Geheimnisse. Kein Volk hat soviel Liebe zum Wald mit seinem Sinnen und Sagen, mit seinem geheimnisvollen Schweigen und Rauschen als das deutsche. Und im Walde ist es wie ein von Menschennot und -sorge ungestörter Lobpreis Gottes: alles, was Odem hat, lobt den Herrn, den Durchbrecher aller Bande, der das Kyrie der Natur versteht und in den Psalm der Ewigkeiten wandelt, wie es im Lobgesang der drei Männer im Feuer so wundersam klingt.

|  Freude am Herrn und seinen Werken ist Stärke, die den Unmut nicht aufkommen läßt, das Murren straft und die Lippen auftut, daß der Mund nicht die Not des eigenen Herzens, sondern des Herrn Ruhm verkündet. Über die Deutung der Gottesgeheimnisse in Feld und Wald an die um abertausend Dinge fragenden Kinder über der Mitfreude mit ihren Entdeckungen und Erfahrungen vergißt der Mann Gram und Unrast des Lebens, ja sie wandeln sich ihm über ein Stündlein in Sonne. Dann wird das Auge für die „Scheidemünze“, wie der alte Pfarrer Roller sagt, geschärft, die Gott so verschwenderisch in der Natur umherstreut, und das Ohr hört mitten im Jubel der Kinder das tröstende: Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens, das Herz aber wird weit und frei und lacht: der das Gras auf dem Felde also kleidet, das heute blüht und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er nicht vielmehr euch also tun?

 Neben der Freude an der Natur in Wald und Wiese, in Flur und Feld, an der großen Laienbiblia des Bauersmanns, wie Luther sagt, gibt die Geschichte Gottes, die heilige und die weltliche, der Gang seiner Allmacht durch die Zeiten und Völker Grund und Anlaß zu Lob und Preis. Unsere Jugend sollte mehr in den alten Geschichten heimisch werden: wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Kögel dankt in einem Gedichte „Der alte Kantor“ sinnig für den Geschichtsunterricht seiner Jugend.

Und keiner, mein ich, konnt’ wie du erzählen,
Wie Joseph träumt und künft’ge Größe spürt,
Wie dann die Neider ihn und Jakob quälen,
Und wie zum Diensthaus er hinabgeführt,

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Bis der Erhöhte, bei des Bechers Fehlen
Sich seinen Brüdern kundgibt heißgerührt –
Aus goldnem Bibelkelch für jeden Trank
Hab’ alter Kantor, hab’ noch heute Dank!


 Die biblische Geschichte in ihrer großartigen Einfalt und kunstlosen Realistik, der durch die Schlichtheit Wahrheit innewohnt, muß auf die Kindesseele wirken, in die so das Bild des Schönsten unter den Menschenkindern eingebildet und eingeprägt wird, sein Wort und Werk, sein Wesen und Wandel, die ohne Zutat, rein aus sich wirken und gewinnen.

 Freilich gewinnt die Kindesseele durch den Trunk an dem reinen Quell der Wahrheit nimmer Geschmack an den lauen und trüben Wassern moderner Novellistik. Wer aber Geschichte lieben gelernt hat, verliert nichts, wenn er für „Geschichten“ wenig Sinn hat. Die Lebensbilder großer Persönlichkeiten, die Darstellung des Gottesgangs im Leben der Völker vertreiben den Ungeschmack, der mit den ärmlichen Romanen im Tageblatt, in der Sonntagsbeilage seine Welt begreift und umspannt. Die Phrase der meisten dieser „auf Zeilen“ geschriebenen Geschichten verdirbt den Geschmack und der Inhalt das Gemüt. Das Unwahrscheinliche, das Übertriebene in den bunten und farbenprächtigen Schildereien erregt die Phantasie und setzt sie in fortwährende Spannung und Gegensatz zur Wirklichkeit. Unsere Romane lesende Jugend beiderlei Geschlechts verliert die rechten Maßstäbe und Wertabmaße und vergreift und „vermißt“ sich. Eltern, schenkt euren Kindern nie ein Buch, und wenn ihm ein Schock lobender und in Lobpreisung sich überbietender Würdigungen und Empfehlungen beigedruckt und angehängt wäre, ehe ihr es selbst gelesen habt! Denn ein Buch kann ein Hausfreund fürs Leben und ein Handweiser zum Leben werden, aber auch ein| Seelenmörder. Wer über die Seele seines Kindes wacht, wie sich’s gebührt, erzieht sie zu guten Büchern.

 Geschichte, heilige und unheilige, die reine Sonne in ihrer eigenen Brechung und unter all den Schatten menschlicher Sünde und Schwachheit, macht dankbar. Aber die oft so fabrikmäßig erdichteten Erzählungen machen unzufrieden: aus dem Märchenlande der von ihnen erweckten Bilder und geschaffenen Eindrücke führt keine Brücke in die Arbeit des Tages und seiner Pflichten. Und doch schützt allein der Dank vor der Jugendkrankheit, für die, wie ein großer Schulmeister, Döderlein, gesagt hat, dem Deutschen das Wort fehlt, vor der unjugendlichen Blasiertheit, die aus dem jammervollen Mitleide mit dem Lebenslose und der entkräftigenden Selbstbeklagung reichlich emporwächst. „Ich möcht am liebsten sterben, dann wär’s auf einmal still.“ Das Kapitel der Schülerselbstmorde gehört als letzte schaurige Folge dieser tatenlosen Patchoulistimmung zu den schwersten unserer Tage. Wer Gott für alles Gegebene und Gegönnte dank sagt, hat keine Zeit noch Lust mehr zu klagen. „Was murren die Leute im Leben also?“ – Erziehen wir die Unsren zur Dankbarkeit, zur Freude am Kleinen, die dann im Kleinen erwacht und segnet, zu dem immer fröhlichen Herzen, dem dann der edle Friede freundlich geschenkt wird! Wehren wir dem blinden, blöden Neid, der mit dem Verkleinerungsglase eigenen Besitz und – eigene Schuld beschaut, im Vergrößerungsglase fremde Unwürdigkeit, aber auch Gabe betrachtet, weisen wir auf den Reichtum des ersten Artikels hin, wie Luther ihn uns verstehen lehrt und danken wir selbst!

 Denn grämliche, verdrießliche, mißgestimmte Erzieher: „ich armer Atlas, eine Welt von Schmerzen muß ich tragen“ – erreichen nichts, vor ihren Schritten erstirbt das frohe Leben, und vor ihrem Schelten flutet die Freude zurück. Diese Zerstörer der Freude sind Mörder des Frühlings, in| dem es nur dem Volke wohl ist, das jauchzen kann. Sie sollen die Hand von der Jugend lassen, zu der sie kein Herz haben. Aber gesegnet seien alle freudenreichen Erzieher in Haus und Schule, deren Lindigkeit, weil der Herr nahe ist, nicht nur im Herzen, aber auch nicht nur auf den Lippen wohnt, diese fröhlichen Geber, die Gott lieb hat, die zu den Kindern mit Freudigkeit und getrostem Mute herzutreten und sie zur Freude leiten. Auch zur Freude der Freundschaft. Denn die Jugend ist die Zeit, in der man Bündnisse schließt: das spätere Alter ist hier zu bedächtig und zu kritisch, prüft und wählt zu lange, schließt sich schwer auf und an. Zuerst mag die Freundschaft auf äußerlichen Voraussetzungen beruhen: der gleiche Schulweg, die gleiche Klasse führen zusammen, gemeinsam getragene Freud und Leid bindet aneinander. Matth. Claudius nennt das wohl „Pferdefreundschaft“. Der rechte, reife Erzieher wehre dem nicht, wenn zwei Kinder also sich finden, sehe nur darauf, daß nicht auf dem Schulweg vergehe, was das Haus gesäet hat! Aber er tadle auch die andere Art von Freundschaft nicht, welche aus dem Ergänzungsbedürfnisse entsteht, das wundersam je mehr und stärker erwacht, je selbständiger der Zögling wird. Das Kind in der Kinderstube ist sich selbst genug und hat seine Welt für sich, es ist am liebsten allein. Wenn es aber von der dritten Person, in der es von sich spricht, zur ersten übergeht, dann verlangt es nach anderen, dann will und wünscht es das lobende Urteil und die liebende Rede des Gleichgesinnten, des Altersgenossen, um an ihr zu erstarken. Stille Kinderfreundschaft, ohne rechte Kraft noch und Nachhaltigkeit wie das weiche Mark des Hollerstrauches. Man lobt den Freund, um sich gelobt zu hören und liebt ihn, um sich geliebt zu wissen.
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 Wahre Freundschaft ist das nicht, sondern Gewöhnung, höchstens Vorahnung der wahren, wo einer des andern Gewissen| ist. Und des sollen die heranwachsenden Söhne und Töchter sich freuen, daß, was das Auge der Eltern noch nicht entdeckt und nimmer erblickt, der Blick des Freundes, der Freundin wahrnimmt, das Gute wie das Böse. Ein freundeloses Leben verliert sich an sich, lebt von sich zuerst mit Lust und Willen und für sich mit Freude und Genuß, dann aber wird es immer ärmer und karger und verzehrt sich in sich selbst. Wo aber Vertrauen die Wurzel schlägt, läßt Gott den Baum der Treue wachsen. Unter seinem Schatten gedeiht die edle Freundschaft, um die wir in der vierten Bitte den Herrn anrufen. Es ist dann ein Wachstum der Freude an gemeinsamen Wegen, an den gleichen Zielen.

 Freude an Idealen! Möge nur das Ideal dem Worte des Kirchenvaters entsprechen: Sucht, was ihr sucht, aber sucht nicht, wo ihr sucht! Möge im Herzen der heranreifenden Jugend was lieblich, keusch und züchtig, was wohllautet an Tugend und Lob, eine Stätte finden, von der das Unreine und Gewöhnliche, das Niedrige und Gemeine ferne bleiben. Eltern, erhaltet den Euren die Welt der Ideale, ernüchtert sie nicht, zerpflückt nicht die Blüten, denen Gott Duft und Schönheit gegönnt hat. Kritisiert nicht mit rauhem Worte, mit spitzer Rede, mit Spott und Hohn, was euren Kindern wert und lieblich war. Laßt sie eher noch in Illusionen leben, von denen ihr einst lebtet, als ihr in den Augen eurer Kinder fehllos und irrtumsfrei erschienet und ward. Das Leben wird das Unreife wegtilgen, aber das Echte Gestalt gewinnen lassen. Freude an dem Schönen, an dem Großen, an Gott und Menschen, ist der Blütenschmuck der Jugend. Was nicht echt ist, mag der Sturm entführen und wird die Sonne versengen. Aber die gesunden Blüten bringen Früchte zu ihrer, zu Gottes Zeit. –

 Das Ideal weist über sich selbst auf seinen Meister. So ist es das köstlichste Stück, das schönste und größte aus dem| Schatzhause Gottes, das im Gegensatze zu der Unklarheit und Verschwommenheit, die alle „Standpunkte“ gelten läßt mangels eines eigenen, der Hebräerbrief (13, 9) uns nennt, das feste Herz. Sonst verbindet man wohl mit dem Begriffe des Festen den des Starren und Unnahbaren, des Kalten und Abstoßenden oder meistens des nicht Anziehenden. Aber der apostolische Verfasser dieses bedeutsamen Briefes, der offensichtlich weiß, daß die Schönheit nicht an äußerlichen Merkmalen kennbar ist noch in vergänglichen Vorzügen sich erschöpft, hat in dem geschlossenen und abgeklärten Charakter, der das Leben beherrscht, das eigentlich Schöne gefunden. Er läßt im elften Kapitel eine erlauchte Reihe von Männern und Frauen an sich vorüberziehen, ihre Namen meldet weder Denkmal noch Heldenbuch, aber im Himmel sind sie angeschrieben, weil sie das Größte gelitten und geleistet haben, indem sie glaubten und den Mut gewannen, den Unsichtbaren und das Unsichtbare zu fassen und zu halten als sähen sie beide. Sie drangen durch das Gewölke hindurch, mit dem die Sichtbarkeit und der Augenschein Wirken und Wesen des unsichtbaren Gottes bedeckt und entrückt und legten die Hand mit mutigem Entschlusse in die ihnen dargebotene Hand der göttlichen Treue. Sie verließen das Vaterland auf Erden, ohne zu wissen, wohin der Weg führe, aber sie trauten der Verheißung, daß sie einen rechten Weg gehen dürften. Sie opferten ihr Liebstes, ohne auf Ersatz zu rechnen, denn sie wußten, wem sie opferten.
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 Unferne des Louvre und der alten Kirche von St. Germain d’Auxerrois, von deren eigenartigen Türmen das Zeichen zur Bluthochzeit (1572, 24. August) gegeben ward, steht in einer Hofnische nahe der unansehnlichen reformierten Kirche (temple) das Standbild des Admirals Coligny des Ahnherrn der frommen Oranierin, der Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg. Eine stumme, steinerne Predigt in das um| den Hof flutende und brausende Leben der Weltstadt „dieser hat an den Unsichtbaren sich gehalten!“ Sonst wohl hält der Mensch sich an Stäbe, die sein Auge erblicken und seine Hand ergreifen kann, und was dem Auge und der Hand entgeht, das bleibt ihm fremd. Aber das durch Vertrauen auf die tausendmal erprobte und auch im Versagen bewährte Treue erwachsene Glaubensleben hält an dem fest, was es nicht sieht, weil der da ist, der bei uns zu bleiben verheißen hat bis an der Welt Ende. So gegen Augenschein und ohne Augenschein an Gott festhalten ist ein köstliches, ein schönes Ding. Um solches Lebensgebäude mag wohl der Sturm brausen und die Welle branden. Aber es kann nicht fallen, denn es ruht auf ewigem Felsen. Es ist mit diesem Kleinode des umstürmten und im Sturme getrost gewordenen Herzens das Höchste bezeichnet, die Ruhe der Arbeit in der Unruhe des Lebens, die Stille im Sturm: Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft, die Männlichkeit des Gebets in der Unmittelbarkeit der Erhörungsgewißheit.
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 Kann man zu dieser innersten Gewißheit erziehen? Kann man zum Wirken für Gott und mit Ihm heranbilden? Man rühmt so hoch diese Festigkeit des Charakters, die Schönheit seiner Stärke. Inmitten der zerklüfteten und zerrissenen Welt herrscht er und ragt hervor, gewinnt, und übt Einfluß, ohne sich bestimmen zu lassen, gestaltet sich die Welt und läßt sich nicht von ihr beherrschen, ist in der Welt, aber nicht von ihr. Darum ist die Frage aller Beachtung und Betrachtung wert, wie man zum festen Herzen gelange. Für Kinder und mit ihnen beten ist der erste große Dienst, durch den ihr Wille zu Gott hin bestimmt wird. Eltern sollen täglich darin eins werden, daß sie ihre Kinder mit ihrer Art und Unart vor Gott bringen. Das Gebet übt Einfluß auch in die Ferne und vermag viel, wenn es ernstlich ist. Es hebt den Gegenstand, den es vor Gott trägt, aus dem Bannkreis| des Unguten und Unreinen, aus der Umwelt des Scheins und der Irrung zu dem Ewigen, Wechsellosen und Unwandelbaren empor, wohin die Unreinheit nicht dringen kann und das Gemeine nie hingelangen darf. Es umringt die Seele des Kindes und umgibt sie mit einem Schutz und Schirm wider alles Arge und senkt in sie Kraft und Hilfe zu allem Guten. Wer aber für sein Kind ernstlich betet, will auch mit ihm zu Gott treten. Auf diesem Wege, den einst Abraham mit seinem Sohne schweigend ging, den Moses mit seinem Volke beschritt, wird die jugendliche Seele der geheimen Kräfte aus der Ewigkeit gewahr, vor denen das Unbedeutende und Unwichtige zurücktritt und zergeht, das wahrhaft Große aber machtvoll heraustritt. Eltern und Kinder im Gebet vereint, treten in die heilige Welt der wahren und bleibenden Werte, denen kein Erdengut gleicht. So gewinnt die Jugend den starken Eindruck, daß es etwas Großes um Gott ist, „von dem man Großes erwarten und für den man Großes wagen darf.“ Die Religion erscheint ihr nicht mehr als eine Summe von Lehrsätzen, die man mit Widerstreben sich zueignen läßt und aneignet wie mathematische Formeln und Geschichtszahlen, sondern als Leben von Gott und in ihm. Der Kampf zwischen Neigung zum Unguten und Wendung zum höchsten Gut wird aufgenommen, weil man ihm nicht entgehen kann. Im Kampfe aber erstarkt der Mut und wächst die Kraft. Nicht die linke Hand, die wir weniger brauchen, ist die stärkere, und der Fuß des rüstigen und geübten Fußgängers ist kräftiger als der geschonte. –
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 Mit dem kleinsten Siege über Feinde, über die kleinen Störungen des Innenlebens, über Ausreden und Feigheit, die sie gebiert, über den Hang zu Halbwahrheiten und Ausschmückungen wächst die Freude am Kampfe, der nicht als Last, sondern als Recht des Lebens empfunden wird. Gebet und Kampf stärken sich am Vorbilde. Die Jugend muß Vorbilder| und Heroen haben, sonst siecht ihr Leben an der Mittelmäßigkeit dahin. Sie muß bewundern können, sonst stirbt sie an der Oberfläche. Lieber zu große Begeisterung für Helden als das müde, ekle Wesen derer, denen nichts mehr imponieren kann, den jugendlichen Greisen, die am Leben verzweifeln, weil sie zu träge sind, das Leben zu wagen.

 Hinaus über die Ahnenreihe des Hebräerbriefes führt die Geschichte der Kirche. Paulus, dem alles, was ihm ehedem Gewinn und Genuß war, Schaden wird, der in allem weit überwindet, weil er von Christo überwunden ist, der heimatlos, freundlos, hilflos durch die Welt zieht und doch mit starker, stolzer Freude der Heimat zuwandert, Luther, der Welten versinken sieht ohne Tränen und Trauer, weil er im Himmel Teil und Erbe weiß und hat, der Mann, auf den alle Schmach, Schimpf und Schande gehäuft ward und zu dem der Segen seines Herrn tausendfach einkehrte, die großen Beter der Freiheitskriege, die mächtigen Führer in gegenwärtigen Zeiten – die Lenker der Schlachten, die Denker und Werkmeister großer Erfindungen, sie alle treten vor die Augen der Jugend. „Wenn es die Kraft erlaubt, laßt euch durch Nachfolge ehren!“

 Näher aber als alle Erlauchten der Geschichte stehen der heranwachsenden Jugend Eltern und Lehrer, daß sie Vorbilder seien, die noch lange nachleuchten, wenn ihre Spur von der Erde in die Unsichtbarkeit sich verliert. Es ist ein köstliches Ding, wenn durch solche Einflüsse das Herz fest wird. Religiöse Unterweisung kann den Willen anfassen, aber religiöse Beeinflussung nicht mit Worten, sondern mit Kraft wird ihn erobern für Gott oder – gegen ihn.

 Letztlich aber ist es das Werk der heilsamen Gnade, die allen Menschen erschienen ist, wenn ein Herz in der Jugend, so wie der selige Löhe, wie Spener, Francke und Zinzendorf es von sich dankbar rühmen durften, fest wird. Und es geschieht| durch Gnade, die im Verborgenen arbeitet, daß aus der heiligen Werkstätte, in der Meißel und Hammer ihr Wesen haben, ein Mensch Gottes hervorgeht zu allem guten Werke geschickt, nicht einseitig, enge, finster und scheu, sondern allem Großen und Reinen erschlossen, weiten Herzens und mit leuchtendem Blicke, trotzig und freudig gegen alle Kreatur.
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 Der größte aller antiken Philosophen sagt in seinem Buche über den Staat (Buch 8): „Viele törichte Reden, welche das Beste nehmen, ergreifen von der Burg des Jünglings, von seiner Seele Besitz, denn sie merken wohl, daß sie leicht völlig leer ist von Wissenschaften, von edlen Bestrebungen und wahren Gedanken, wie sie die beste Schutzwehr im Geiste gottgeliebter Männer sind. Und lügnerische und lose Reden halten hinfort den Platz besetzt und lassen keine Hilfsmacht von seinen Angehörigen herein noch irgend eine freundliche Gesandtschaft. Die Scham heißen sie (jene Sophisten) Stumpfsinn und stoßen sie vor die Türe hinaus, die Besonnenheit, Mangel an Mut und wahrer Mannhaftigkeit, Bescheidenheit und Schlichtheit sind ihnen bäuerisches und knechtisches Wesen“. So Plato vor 2000 Jahren. – Meint man nicht, es spreche ein treuer Eckart und Volksfreund von der Jugend des zwanzigsten Jahrhunderts? Die Verführer der jungen Leute in Literatur und Kunst, in Novellistik und Presse reden ihr ein, die altväterlichen Tugenden seien Schwächen vergangener Zeiten, Umwertung dieser und aller überkommenen Werte sei nütze und not. Die Sittlichkeit und Sittsamkeit sei Blödigkeit, Mangel an Mut, das verschleierte Bild von Sais zu entdecken sei Recht und Würde der Jugend. Und sie preisen „ihre“ Bücher an, in denen die Zote Witz und die Zweideutigkeit Geistreichigkeit genannt wird und bieten „ihre“ Bilder aus, in denen das Natürliche mit Lüsternheit verdeckt und erst dem suchenden Auge langsam enthüllt wird. Die „karnale Enthaltsamkeit“ – wir heißen sie Zucht und Sitte –| ist Schwachheit, und wer nicht über alles und noch etliches mehr reden kann, gleichviel ob er’s versteht oder nicht und mit flachem Räsonement nachplaudert, was an Schlagwörtern und fertigen Urteilen wie Etiketten zu beliebigem Gebrauche ausliegt, ist ungewandt und mutlos, nimmt nicht das Leben mit seinen Gelegenheiten wahr und wird billig von ihm zur Seite geschleudert. Wer vollends langsam und bedächtig etwas lernen will und schweigt, wenn und weil Erfahrene reden, ist ungebildet und unbeholfen. Der zungenfertige Geck beherrscht die Situation und das Mädchen, dem die Röte lautrer Scham abgeht, ist zeitgemäß und versteht ihre Zeit. –

 In dieses lose und leere Gerede der Aufklärer, welche ihr Jugendideal zum gemeingültigen machen wollen, tönt klar und rein das Wort der unbeugsamen, über Zeit und Zeitmeinung, Mode und Modetorheit hoch erhabenen und weithin herrschenden Wahrhaftigkeit:

Ihr sollt heilig sein.

Und dem Christuswort gibt das Dichterwort Bescheid:

Heilig ist die Jugendzeit. –
Edler Geist des Ernstes soll
Sich in Jugendseelen senken,

denn nicht mit den ausgemergelten, greisenhaften Lemuren, wie sie Jean Paul in der Neujahrsnacht eines Unglücklichen uns schildert, werden Volk und Land geziert und geschirmt, sondern mit Jünglingen und Jungfrauen, welche den Mut haben, Christi zu sein.

 Der gegenwärtige Krieg wäre für unser Volk, so reich begütert und so erfindsam es ist, von Führern gottbegnadeter Weisheit geleitet und beraten, mit auserlesener Rüstung bewehrt, – verhängnisvoll, wenn nicht der Geist der Zucht| noch im Heere weilte, das aus 45 Friedensjahren nicht verweichlicht und verzärtelt, sondern noch im Mark gesund herangewachsen ist. –

 Und die kommenden Tage eines ernstlichen und ehrlichen Friedens wie ihn Deutschland erstreiten und erbeten will, sollen uns zu neuen schweren Kämpfen rüsten und bereit finden, zu Kämpfen der Weltanschauung, ob es noch Kleinodien gibt, die es verdienen, umstritten und erkämpft zu werden, mit heißem Ernste erkauft und mit treuer Sorgsamkeit behütet zu sein oder ob in der Auslebung der Bestie im Menschen das Ideal der Menschheit sich erfüllt.

 Auf der einen Seite stehen die Verweichlichten, Verzärtelten und allzu Nachgiebigen, die der ernsten Selbsterziehung ausweichen und nirgends halt haben noch gewähren – wer mag einen Nagel in eine breiige Masse schlagen? – die Knechte der Lust, die nie jung waren, aber immer kindisch bleiben, das Joch in der Jugend von sich schütteln und die Freude mit mattem Lächeln als Täuschung ablehnen, als einzig Gewisses aber auf der Höhe „des Pyrrhonismus schwindelfrei“ die Ungewißheit rühmen, – auf der anderen die Mannhaften und Reisigen, welche ihre Seele in den Händen tragen, arbeiten und nicht müde, laufen und nicht matt werden, denen Verzicht und Gehorsam, Mühe und Arbeit, Glaube und Glaubensernst Würze, Weihe, Inhalt des Lebens sind.

 An die Eltern und Erzieher, an die Freunde der Zukunft ergeht darum die ernstliche Bitte, zur Erziehung und Ertüchtigung der aufwachsenden Jugend Kraft und Weisheit von oben sich zu holen und treulich zu gebrauchen.

 Denn „ein braves Volk, ein Volk, das durch eine Welt des Verderbens gelaufen, das in seinem Verderben gelitten und in seinem Leiden zu sich selber und dem Göttlichen, von| dem es entfernt worden, wieder nähergekommen ist ... ein solches Volk sieht auf Euch.“ So hat Pestalozzi vor hundert Jahren zu dem jungen Lehramtskandidaten gesagt. „Christlich germanisch“, ein vielumdeutetes Schlagwort! Soll es das bleiben? Wer Christum liebt, wird Ihm sein Volk gönnen. Und wer sein Volk liebt, führe es zu Christo, dem Herrn der köstlichen Dinge.