Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl/Das Drama in Kursachsen

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« Das Eintreten der Würtemberger Theologen in den Streit Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid
Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl
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Die Bemühungen der Fürsten um Erzielung des kirchl. Friedens »
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V. Das Drama in Kursachsen.

 Nach dem Tode Melanchthons richteten sich natürlich Aller Augen auf die Anhänger und Schüler desselben in Wittenberg und Leipzig. Hatte man schon gegen Melanchthon Verdacht geschöpft, so hatte man noch mehr Verdacht gegen diese Theologen. Man sprach ihn auch aus, und versetzte dadurch den Kurfürsten von Sachsen, der gut lutherisch sein und sein Land gut lutherisch haben wollte, in nicht geringe Unruhe.

 Für den Geschichtschreiber ist es aber ein verdriesslich Geschäft, dem Gang der Dinge in Kursachsen nachzugehen und zu berichten, wie allmählig an den Tag kam, dass die Kursächsischen Theologen von dem lutherischen Bekenntniss abgefallen waren, und wie die lutherischen Theologen sich abmühen mussten, das an den Tag zu bringen.

 Dass diese Anhänger Melanchthons zu ihm stehen wollten, hatte Einer von ihnen sofort nach dem Tod Melanchthons angekündigt, Paul Eber, indem er in einer Vorrede zu dem von ihm herausgegebenen Commentar Melanchthons zum Corinther-Brief Klage über die Behandlung erhob, welche Melanchthon auch noch nach seinem Tod von Heshus wegen seines Gutachtens| über die Heidelberger Vorgänge habe erfahren müssen. Er setzt darin voraus, dass Melanchthon recht lutherisch gelehrt habe.[1] Derselbe Eber erhielt bald Gelegenheit, sich über die Lehre selbst zu äussern. Der Kurfürst forderte von den Wittenbergischen und Leipziger Theologen im December 1560 eine Erklärung über ihre Lehre vom Abendmahl, und Paul Eber übernahm die Abfassung derselben.[2] Die Erklärung, die er im Namen der Wittenberger und Leipziger gab, war wohl dazu angethan, einen Fürsten zu täuschen, einen Theologen konnten sie nicht täuschen. Dem Fürsten konnten sie genügen, indem sie das Bekenntniss ablegten, dass man im Abendmahl bei dem Genuss von Brod und Wein auch den wahren und wesentlichen Leib Christi empfange; und indem sie sich ausdrücklich gegen die erklärten, welche die wahre und wesentliche Gegenwärtigkeit des Leibes Christi im Abendmahl läugneten, denn der Kurfürst erblickte darin die Verwerfung der Zwinglischen Lehre, die er wohl allein nur kannte. Ihm konnte es bei seiner Kenntniss der Sache verwunderlich erscheinen, dass man sie darum anfeinde, weil sie sich den Ausdruck nicht aneignen wollten, das Brod sei wesentlich der Leib Christi und werde mit dem Munde genossen. Von der Lehre von der Ubiquität des Leibes Christi hatte er aber wohl überhaupt noch wenig gehört, und sie schilderten ihm diese „neue Lehre“ so, dass er wohl gegen sie eingenommen werden musste: denn nach ihrer Darstellung war die Lehre nahe verwandt mit der Transsubstantiations-Lehre.

 Dem kundigen Auge konnte es aber nicht verborgen bleiben, dass sie die wahre und wesentliche Gegenwärtigkeit des Leibes Christi nur im Sinne Calvins auffassten: denn, wie er, erklärten auch sie sich gegen das in pane, gegen den Genuss von Seite der Ungläubigen und gegen die Ubiquität.

 Der zweite Anlass, sich officiell zu äussern, war durch Vorgänge| in Siebenbürgen gegeben. Da waren die Geistlichen über die Abendmahlslehre in zwei Parteien gespalten. Die eine, zu der auch der bekannte Franz Davidis gehörte, war der calvinischen Lehre zugethan, aber ohne es Wort haben zu wollen. Sie hatte Kunde vom Stand der Dinge in Deutschland, und berief sich darauf, dass man auch in Deutschland so lehre wie sie. Die andere Partei vertrat Luthers Lehre. Da auf einer Versammlung zu Medwisch (10. Jan. 1560) keine Vereinbarung erzielt wurde, beschloss der Fürst Johann II. die Confessionen beider Theile an deutsche Universitäten, an die von Wittenberg, Leipzig und Rostock, zur Begutachtung zu schicken. Er gab der Gesandtschaft ein Schreiben an den Kurfürsten von Sachsen mit, und eines an die Universitäten. Aus dem letzteren erhellt, dass er die lutherische Lehre vom Abendmahl in seinem Land aufrecht erhalten und von den deutschen Universitäten erfahren wollte, welche der Confessionen die gut lutherische sei. Dem Befehl des Kurfürsten zufolge gaben nun diese drei Fakultäten Responsa ab, die Wittenberger und Leipziger ein gemeinschaftliches. Mit diesem letzteren Responsum, vom Jahr 1561 (unterzeichnet von den Leipziger Theologen Pfeffinger, Knauer, Salmuth, Hellborn und Freyhoff, und den Wittenberger Theologen Paul Eber, Georg Major und Paul Crell) sind die Verfasser der Historie des Sacramentsstreits zufrieden, und meinen, man könne daraus sehen, „wie gleichwohl unter so vielen seltsamen Praktiken, so dazumal in Wittenberg in vollem Lauf gegangen, dennoch Gott noch sein Häuflein geführt, regiert und erhalten hat,“[3] Planck aber findet darin die wahre calvinische Vorstellung.[4] Er hat richtiger gesehen. Zwar ist das Responsum so gehalten, dass es einem unbefangenen Leser, der keine Kenntniss von den Versuchen hat, die calvinische Lehre für gut lutherisch auszugeben, genügen könnte, aber für die damalige Lage der Dinge genügt es nicht. Es wird darin freilich die Lehre gebilligt, dass „in dem Abendmahl mit dem sichtbaren oder unverwandelten Brod und Wein zugleich der Leib Christi .. gegenwärtig| .. und genossen werde,“ dann „dass solche Niessung nicht allein geschehe geistlicher Weise mit dem Glauben, sondern auch sacramentlicher Weise mit dem Munde,“ und dass „diese sacramentliche mündliche Niessung gemein sei, beide den frommen Christen .. und den Scheinchristen.“ Allein den ersten Satz hätte ja jeder Calvinist unterschrieben, und die beiden anderen haben wir bereits bei Hardenberg gefunden. Nicht calvinisch lautet dann freilich der Satz der Siebenbürger Confession, welcher auch gebilligt wird, „dass mit Brod, unter Brod oder im Brod und Wein der wahre Leib Christi gereicht und empfangen werde,“ „aber, sagt das Responsum, er wird in der Confession doch also erklärt, dass dadurch weder die erdichtete transsubstantiatio, noch eine räumliche, natürliche, fleischliche, beharrliche Einschliessung, Vermischung oder Anheftung des Leibes und Blutes in oder an das Brod und Wein soll gesetzt oder gestärkt werden.“ Damit sagt das Responsum aber nur, was mit diesem Satz nicht gemeint sei, mit keinem Wort aber, in welchem Sinn der Satz denn zu nehmen sei. Das Responsum gibt ferner freilich den Siebenbürgern Recht, wenn diese bekennen, „einestheils, dass sie den Artikel von der Himmelfahrt und dem Sitzen des Herrn Jesu Christi in seinem rechten Verstand lassen, und anderentheils doch auf Erden in seinem Abendmahl einem jeden seinen Leib geben, aber das Responsum äussert sich doch über die Vereinigung der zwei Naturen so, dass damit die Gegenwart Christi im Abendmahl im lutherischen Sinne, wenn nicht ausgeschlossen ist, doch nicht daraus gefolgert werden kann: denn es wird gesagt, dass in der wunderbaren Vereinigung der zwei Naturen wesentliche Eigenschaften unvermischt und unterschieden in der einigen unzertrennten Person unseres Herrn Jesu Christi, dass er zugleich wahrer Gott und Mensch zur Rechten Gottes sitze, Himmel und Erde erfülle, und auch an seinem verklärten unsterblichen, aber doch wahrhaftigen Leib behalte die wesentlichen Eigenschaften menschlicher Natur, quae non admittat infinitatem.“ Bei solcher Erklärung liegt es näher, die Gegenwart des Leibes Christi im calvinischen Sinne zu fassen, zumal sich an das Bekenntniss der Darreichung des Leibes mit Brod und Wein der bei den Calvinisten immer gebrauchte Ausdruck| anreiht, dass Christus aufs allergenaueste sich mit allen denen vereinige, die ihn sammt allen seinen Wohlthaten mit gläubigem Herzen fassen und annehmen.
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 Es will endlich auch wohl beachtet sein, dass die Verfasser des Responsums den Gegensatz gegen die lutherische Lehre immer nur dahin fassen, dass das Abendmahl des Herrn nur gemein und schlecht Brod, oder Brod und Wein lediglich Symbol des abwesenden Leibes Christi sei. Wie viel richtiger haben da die Verfasser des Rostocker Responsums den Gegensatz bestimmt,[5] wenn sie die Lehre verwerfen, „dass das Brod und der Wein in dem rechten Brauch des Abendmahls nicht sei der wahre und wesentliche Leib und Blut des Herrn, sondern allein ein Zeichen oder eine Bedeutung des abwesenden wahren natürlichen Leibes, welcher nach seinem Wesen im Himmel sei, und als Mittel, durch welche nicht anders denn durch das Wort die Kraft und Wirkung des Leibes Christi die geistliche Gemeinschaft mit dem Leib Christi uns mitgetheilt wird, welche geistliche Empfahung der Wohlthaten, Kraft und Leben des Leibes Christi allein mit dem Glauben zu aller Zeit und Ort, auch ausserhalb dem Brauch des Abendmahls geschehen müsste und den Gottesfürchtigen eigentlich zugehöre.“ Und wenn sie von den Gegnern sagen: „sie läugnen, dass der Leib wesentlich im Abendmahl ausgetheilt werde, sie verneinen, dass er mit dem Mund gegessen werde. Denn ob sie wohl bisweilen diese scheinbaren Worte führen: der Sohn Gottes ist wahrhaftig, lebendig, wesentlich und persönlich in seinem Abendmahl zugegen, jedoch verstehen sie solche Worte durch die Gemeinschaft der Eigenschaften, per communicationem idiomatum oder alloeosin, wie es Zwingli nennt, das ist von einer allein, nemlich von der göttlichen des Herrn Christi Natur. Aber sie halten, dass der Leib des Herrn Christi an einen gewissen und unscheinbaren Ort des Himmels also eingeschlossen sei, dass er nicht könne, was sein Wesen anlangt, zu einer Zeit an vielen Orten, wo das Abendmahl des Herrn hier auf Erden ordentlich gehalten wird, wahrhaftig gegenwärtig sein. Und wenn sie diese Worte| brauchen, dass der wahre Leib und Blut des Herrn Christi uns Christen mit dem Brod und Wein im Abendmahl ausgetheilt werde, verstehen sie nicht, dass der wahre Leib und Blut mit dem Brod und Wein allhier auf Erden gegenwärtig sei, sondern dass die Wirkung, Kraft und Wohlthat des Leibs und Bluts Christi den Gläubigen mitgetheilt werde, nicht anders als wenn durchs gehörte Wort und mit dem Glauben gefasst der wahre Leib und Blut des Herrn Christi ausgetheilt und dargereicht werde.“

 Damit war richtig nicht nur die Zwinglische, sondern auch die Calvinische Auffassung abgewehrt. Diese letztere fanden die Rostocker in der ihnen mit übersendeten Confession des anderen Theils[6] und mit Recht nahmen sie auf diese in ihrem Responsum Bezug. Warum thaten das die Wittenberger und Leipziger nicht auch in ihrem Responsum?

 Wieder hören wir von denselben Theologen in den Jahren 1562 und 1563.

 Gerade in die Zeit vorher fallen die Schriften von Chemnitz, Heshus, Brenz, Andreä einerseits, von Bullinger, Beza, Peter Martyr andererseits, in welchen über Abendmahl und Person Christi gestritten wurde, und der Gegensatz zwischen beiden Theilen immer stärker hervortrat.

 Man wird ohne Zweifel den Kurfürsten von Sachsen genugsam darauf aufmerksam gemacht haben, dass seine Theologen suspekt seien. Immer neue Proben legte er ihnen daher auf. Es hat aber seine Schwierigkeit, herauszubekommen, wie es sich mit den nächstfolgenden Vorgängen verhalten hat. Die älteren Geschichtschreiber, wie Peucer,[7] dem Hospinian folgt, erzählen, dass der Kurfürst noch im Jahr 1561 seine Theologen nach Dresden berufen habe, um ihrer gewiss zu werden. Und da erzählt Peucer einen bemerkenswerthen Vorfall, der sich unmittelbar vor der Reise nach Dresden in Wittenberg zugetragen haben soll. Eber, erzählt er, voll Unruhe über die Weise, wie| er sich da verhalten solle, habe ihn um Rath gefragt. Peucer habe ihm gerathen, mit seinem Gewissen zu Rath zu gehen und sich zu der Lehre zu bekennen, welche ihm als die gegründetere erscheine. Darauf habe Eber ihm geantwortet, er halte die Lehre der Schweizer für die wahre und sei entschlossen, sich zu ihr zu bekennen, mache sich aber auf das Exil, wenn nicht auf den Scheiterhaufen, gefasst. Das gleiche Bekenntniss in Betreff der Lehre habe auch G. Major gegen ihn abgelegt und auch Paul Crell sei, so viel er wisse, der gleichen Lehre zugethan gewesen. Alle drei hätten aber dann in Dresden aus Furcht die Wahrheit verläugnet. Dieser Vorfall scheint aber schwer mit den Vorgängen in Dresden vereinbar, von denen Selneccer[8] erzählt. Nach ihm hätten jene Wittenberger Theologen sich durch kein Zureden der lutherischen Theologen bewegen lassen, die Ausdrücke anzunehmen: „das Brod sei der Leib Christi,“ „in, mit und unter Brod werde der wahre Leib Christi gereicht,“ „auch die Unwürdigen empfingen den Leib Christi.“ Ja gereizt durch die Vorwürfe, welche man ihrer Confession gemacht, hätten sie die Aeusserungen gethan: „der Genuss der Unwürdigen habe keinen Grund als in den Worten Pauli; die Gottlosen gehörten nicht zur Kirche; die Schriften Luthers seien verdächtig und er habe vieles geschrieben, was besser ungeschrieben geblieben wäre; wer sage, dass uns im Brod der wahre Leib Christi gereicht werde, nehme eine magische Einschliessung an.“
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 Da nun beide Berichte nicht gut zusammenstimmen, so meint Planck, die Theologen müssten 1562 zum zweitenmal nach Dresden berufen worden sein, und der von Peucer erzählte Vorgang sei der zweiten Reise vorangegangen. Das ist aber eine Hypothese, welche durch die Bemerkung Hutters,[9] dass der Kurfürst seinen Theologen öfters Confessionen abgefordert habe, sehr schwach unterstützt wird. Es wird also nichts übrig bleiben, als dass man beide Vorgänge doch unter sich zu vereinbaren sucht, denn etwa die Erzählung Peucers für unwahr zu erklären,| wird man sich nicht erlauben dürfen. Die Vereinbarung scheint mir auch nicht unmöglich.

 Die Wittenberger mögen immerhin auf die Forderungen, welche nach dem Bericht Selneccers die Lutheraner an sie stellten, nicht eingegangen sein, und mögen auch mit einiger Gereiztheit dieselben zurückgewiesen haben, sie haben sich damit der Sache nach doch nur auf der Linie des dem Kurfürsten übergebenen Bekenntnisses gehalten, denn auch in diesem hatten sie sich gegen Annahme der Ausdrücke, welche die Lutheraner ihnen zumutheten, und gegen den Genuss des Leibes von Seite der Ungläubigen erklärt, und doch war der Kurfürst damit zufrieden gewesen. Sagten sie jetzt in Dresden nicht mehr, so befriedigten sie freilich die Lutheraner nicht, wenn sie aber, was sie offenbar gethan haben, bei dem verblieben, was sie in jener Confession bekannt hatten, so konnte der Kurfürst mit ihnen zufrieden sein, wie er es nach Uebergabe ihrer Confession gewesen war, und Peucer, dem Eber und Major eben erst das Bekenntniss abgelegt hatten, dass sie schweizerisch gesinnt seien, und dem Eber wenigstens seinen Entschluss, die Wahrheit dem Kurfürsten zu bekennen, mitgetheilt hatte, konnte mit Recht ihnen vorwerfen, dass sie die Wahrheit verläugnet hätten.[10]

 Ueber die weiteren Vorgänge in Dresden, und was der Kurfürst mit diesen Theologen verhandelt, wissen wir gar nichts.

 Eine weitere Veranlassung, sich zu äussern, war ihnen durch einen ungarischen Magnaten gegeben, der nach Deutschland gekommen war, um Consilien einzuholen, wie man sich gegen die in Ungarn auftauchenden Anhänger der calvinischen Abendmahlslehre zu verhalten habe. Auf Schloss Eulenburg hatten die| Theologen darüber zu berathen. Da hatten sie in dem Bericht (vom 11. Juli 1563), den sie dem Kurfürsten über ihre Berathung abstatteten, die Kühnheit, zu sagen, sie hätten sich gegen die Ungarn so erklärt, dass man daraus erkennen könne, wie Calvins Bekenntniss vom Abendmahl von dem ihrigen so weit entfernt sei, wie der Himmel von der Erde. Calvin nemlich lehre, dass Christi Leib nirgends anders, denn nur im Himmel zu finden sei, ihre Kirchen aber lehrten, dass Christi Leib auf Erden an allen Orten, wo Abendmahl gehalten werde, gegenwärtig vorhanden sei. Damit hatten sie freilich den Unterschied zwischen Calvin und der lutherischen Kirche richtig angegeben, aber meinten sie es denn, wie die lutherische Kirche es meinte? So viel sie auch von einer Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl sprachen, so verstanden sie es doch nie anders als so, dass Er den Seelen der Gläubigen gegenwärtig sei, und läugneten sie die Gegenwart des Leibes „in, mit und unter dem Brod.“ Damit kamen sie aber der Sache nach mit Calvin überein: denn eine Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl in diesem Sinn bekannte auch Calvin, und eine solche war mit seiner Behauptung, dass der Leib Christi nur im Himmel sei, wohl vereinbar.
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 Es folgte noch in demselben Jahr eine Schrift von Eber über das Abendmahl,[11] die er, wie er in der Vorrede sagte, abgefasst| hatte, weil er so oft über diese Materie um Rath gefragt worden sei. Diese Schrift wurde ihm von seinen bisherigen Freunden als Apostasie gedeutet, und die lutherischen Theologen waren nahe daran, sie als Rückkehr zur Lehre Luthers zu deuten, nur machte sie bedenklich, dass er doch den Genuss des Leibes Christi von Seite der Ungläubigen unter gewissen Umständen in Abrede stellte.[12] Peucer fällte daher über diese Schrift das Urtheil, er habe damit den Flacianern doch nicht genügt, und den Wittenbergern Anstoss gegeben, es sei ihm aber nur darum zu thun gewesen, den Schein zu erwecken, dass er sich von den Schweizern entfernt habe.[13]
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 So weit ich aus den Auszügen aus dieser Schrift,[14] denn sie| selbst ist mir nicht zu Handen gekommen, ersehe, muss ich mich über die gute Aufnahme wundern, welche die Schrift in den lutherischen Kreisen gefunden hat. Es ist in ihr allerdings mit Wärme und Nachdruck hervorgehoben, dass man sich in der Auslegung der Einsetzungsworte an den Buchstaben halten und der Vernunft keine Einrede gestatten solle, und es wird darin die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl betont, auch der mündliche Genuss bekannt, allein Planck bemerkt doch mit Recht, dass Eber sich wohl gehütet hat, eine der Formeln zu brauchen, deren man sich damals bediente, um die calvinische Lehre auszuschliessen, wie etwa die Formel, dass der Leib Christi in und unter dem Brod gegenwärtig sei; ja Eber behauptet ausdrücklich, die buchstäbliche Erklärung der Einsetzungsworte berechtige nicht zu der neuen Redensart, dass das Brod der wesentliche Leib Christi sei, und er läugnet die Allenthalbenheit des Leibes Christi. Endlich ist der mündliche Genuss doch sehr dadurch in Frage gestellt, dass Eber nicht von allen, welche Abendmahl empfangen, annimmt, dass sie auch Leib und Blut Christi empfangen.

 Die lutherischen Theologen haben sich, wie es scheint, täuschen lassen. Vielleicht hörten sie etwas von dem Zerwürfniss Ebers mit seinen Freunden und beurtheilten darum seine Schrift günstiger. Dass aber Peucer mit derselben so sehr unzufrieden war, erklärt sich leicht. Dieser sah offenbar ein, dass die Theologen dieser Richtung ihre bisherige Stellung nicht mehr halten konnten, er hätte darum, das erkennt man auch aus seinem Bericht, gern gesehen, dass die Wittenberger Theologen mit der Wahrheit herausgerückt wären und war übel damit zufrieden, dass Eber nun im Gegentheil sich lutherischer ausdrückte, während er in Wahrheit doch anders dachte.[15]

|  In Verlegenheit werden wir aber durch das Gutachten gesetzt, welches die Wittenberger Theologen auf Verlangen ihres Kurfürsten über den Heidelberger Katechismus abgeben mussten. Diesen nemlich hatte dem Kurfürsten sein lutherisch gesinnter Schwiegersohn, der Pfalzgraf Casimir, mit dem Bemerken zugeschickt, die Heidelberger sagten aus, die Wittenberger dächten ganz wie sie.[16] In diesem Gutachten erklärten sich die Wittenberger mit Entschiedenheit gegen die Heidelberger, weil diese die sacramentirerische Lehre Zwinglis und Calvins bekenneten, sie aber dieselbe verwürfen. Die Heidelberger sprächen nur von einem geistlichen Genuss durch den Glauben und nenneten wie Zwingli die Sacramente leere Zeichen, „sie aber lehrten mit der Augustana, dass der wahre Leib Christi substantiell da sei, und dass das Brod und der Wein der Leib und das Blut Christi sei. Und es sei eitler Betrug, wenn die Heidelberger vorgäben, auch sie lehrten eine Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl, da sie doch offen behaupteten, dass der Leib Christi nur im Himmel befindlich, das Brod aber Zeichen des abwesenden Christus sei, auch verwürfen sie die unschädlichen Ausdrücke, in, mit und unter.[17]
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 Was soll man zu diesem Gutachten sagen? Löscher nennt es ein auf Schrauben gesetztes, wodurch sie sich nur immer verdächtiger gemacht hätten. Sixt[18] aber nennt es eine Erklärung, welche eben so kategorisch als ihrem Zweck entsprechend gewesen sei. Wem soll man Recht geben? Gewiss, wenn diese Erklärung allein vorläge, würde man sie arglos als eine lutherische hinnehmen. Allein die früheren Erklärungen und vor allem das Bekenntniss, welches Eber dem Peucer abgelegt einerseits, und andererseits die Dinge, welche später an den Tag| kamen, machen es unmöglich, die Erklärung so arglos hinzunehmen, und Planck wird nicht so Unrecht haben, wenn er darauf aufmerksam macht, dass sie sich damit geholfen, dass sie den Heidelbergern eine falsche Meinung angedichtet hätten. Die Lehre nemlich, welche sie als die Heidelberger ausgaben, war doch die Zwinglische: denn dass die Sacramente nur nuda signa seien, sagte doch nur Zwingli und nicht auch Calvin. Vom lutherischen Standpunkt aus kann man nun freilich sagen und hat man gesagt, trotz aller Verhüllungen komme auch Calvin über die nuda signa nicht hinaus, allein man ist aus den früheren Erklärungen zu der Annahme berechtigt, dass die Wittenberger den Calvin günstiger auslegten. Indem sie nun in diesem Gutachten den Heidelbergern nur die Zwinglische Ansicht unterlegten und sich so ausdrückten, als wenn sie das auch für die Ansicht Calvins hielten, blieb ihnen doch noch möglich, die positiven Ausdrücke, deren sie sich bei Darlegung ihrer Lehre bedienten, im Sinne Calvins zu deuten. Eine Zweideutigkeit ihnen Schuld zu geben, muss man sich dann freilich entschliessen.
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 Schöpfte nun aber der Kurfürst aus diesem Gutachten keinen Verdacht, so natürlich noch weniger aus dem, welches er ihnen über einige, ihm von dem Herzog Christoph von Würtemberg zugeschickte, Schriften von Brenz und Andreä abforderte.[19] Sie theilten mit Melanchthon die Abneigung gegen die Ubiquitätslehre, aber das durften sie dem Kurfürsten kecklich sagen, denn über den Zusammenhang dieser Lehre mit der Abendmahlslehre war er natürlich nicht unterrichtet, und dieser liess sich daran genügen, dass sie, ohne sich aber näher darüber zu erklären, versicherten, mit den Würtembergern in der Lehre von der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl übereinzustimmen. Die Würtemberger freilich wiesen ihnen in ihrer Censur des ihnen zu Handen gekommenen Gutachtens[20] nach, dass ihre Lehre von der Person Christi die gleiche sei wie die der Schweizer,| dass diese Lehre aber die Möglichkeit einer leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl ausschliesse. So, meinten sie, möchte auch die Wittenberger Confession von der Gegenwärtigkeit Christi ein „Cothurnus“ sein. Sie sprachen sich ferner sehr ungehalten darüber aus, dass sie die Lehre von der Ubiquität eine neue Lehre nannten und dass sie so wenig achtungsvoll über Luther sich äusserten.

 Es trat nun eine Zeit ein, in der die Wittenberger ungedrängt blieben, ja in der ihre Stellung bei dem Kurfürsten eine festere wurde. Peucer setzte sich gerade jetzt in dem Vertrauen des Kurfürsten fester, die Wittenberger erhielten Verstärkung an den Theologen Pezel, Caspar Cruciger jun. und Widebram (der letztere kam an Stelle des 1569 gestorbenen Eber), und diese drei nebst Peucer waren jetzt weniger vorsichtig, als es Major und Eber gewesen waren. Es gelang jetzt, den Kurfürsten gegen die Flacianer einzunehmen und ihn glauben zu machen, diese seien es, welche seine Wittenberger Theologen grundlos in üblen Ruf gebracht hätten. Durch die Haltung der herzoglich sächsischen Theologen auf dem Colloquium zu Altenburg (1568) wurde der Kurfürst noch mehr verstimmt, so dass er 1569 ein Mandat erliess, dem zufolge seine Geistlichen sich verpflichten mussten, gemäss dem corpus doctrinae Misnicum zu lehren, und die Flacianischen Irrthümer zu verwerfen.[21] Dieses corpus doctrinae galt von früher her für das Normativ in Kursachsen und war den Wittenbergern sehr genehm, denn dasselbe enthielt die Melanchthonischen Schriften, an welche sie sich bequem anlehnen konnten. Und das wurde jetzt ihre Taktik, sich immer auf dieses corpus Misnicum zu berufen. So als Jakob Andreä 1569 mit seinen Bestrebungen, eine Concordie zu erzielen, begann. Nur mit Zurückhaltung äusserten sie sich über die von ihm gemachten Vorschläge, und immer zogen sie sich auf dieses corpus doctrinae zurück.[22]

|  So standen die Dinge, als im Jahr 1571 ein neuer Catechismus in Wittenberg ausgegeben wurde.[23] Er erschien anonym, Wigand behauptete aber, Pezel sei der Verfasser desselben. Als Grund der Herausgabe wurde in der von der Wittenberger Fakultät unterschriebenen Vorrede der angegeben: „Luthers Catechismus sei nur für das zartere Alter bestimmt, die in der Lehre weiter Fortgeschrittenen bedürften ausführlicherer und durch mehr Beweisgründe befestigter Erklärungen. Dieses Bedürfniss habe bisher schon die Pädagogen veranlasst, dass einige derselben dieser, andere anderer ausführlicherer Catechismen sich bedienten, welche jedoch weder in der äusseren Anordnung, noch in der Form der Fragen und Antworten und der Redeweise übereinstimmten. Viele pflegten sogar die kirchlichen Streitfragen mit einzumischen und der zarten Jugend Dinge mitzutheilen, die ihr nicht zukämen und sie nur verwirreten. Von den nachtheiligen Folgen hievon hätten sie selbst bei den Prüfungen sich sattsam überzeugt. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, hätten sie es für angemessen erachtet, dass ein Catechismus in einer einfachen und bestimmten Form gebraucht würde, der, nach den durch Luthers Catechismus gelegten Anfangsgründen auf diesen selbst in den Knabenschulen folgen könne. Denn die im examen credendorum oder in den locis theologicis begriffenen Capitel und die Streitfragen, die schon einen geübteren Leser erforderten, könnten noch nicht ganz und gründlich den Knaben gegeben werden, die noch im Lutherschen Catechismus unterrichtet würden. Deswegen hätten sie aus dem corpus doctrinae, welches ja von ihrer Kirche als Consens der Lehre der Propheten und Apostel und Symbole angesehen würde, diese Epitome in möglichst kurzem Auszug zusammengewebt, indem sie in concinnen Definitionen das erklärten| und beleuchteten, was im Lutherschen Catechismus summarisch angezeigt wäre. So glaubten sie nun, dass dieser Catechismus von den Jünglingen nach dem Lutherschen und vor dem examen theologicum mit Erfolg werde benutzt werden können.“[24]
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 Dieser Anschluss des Catechismus an das corpus doctrinae Misnicum erregte sofort den Verdacht, dass man den Lehrbegriff dieses corpus doctrinae, also den Melanchthonischen, damit in Umlauf und zur Geltung bringen wolle, aus diesem Grund traten auch sofort lutherische Theologen und Ministerien gegen denselben auf. War es wirklich mit der Herausgabe des Catechismus darauf abgesehen und liess sich das aus dem Inhalt des Catechismus erweisen, so war der Lärm, den die lutherischen Theologen erhoben, nicht so unnatürlich, wie Planck meint: denn es lag ihnen doch sehr nahe, der Geltendmachung des Melanchthonianismus entgegenzutreten. Wenn sie auch weiter nichts daran auszusetzen gehabt hätten, als dass perplexae, ambiguae, ambidextrae locutiones singulari vafritie ad fallendum simpliciores darin gebraucht würden, so wäre das schon Vorwurfs genug gewesen: denn hinter solche verschanzte man sich eben, um die Differenz mit der lutherischen Lehre zu verdecken. Die Jenenser Theologen aber, die zuerst auf dem Plan waren, wiesen auch nach, dass die Lehre Luthers darin falsch und ungenau wiedergegeben sei. In dem Abschnitt vom Abendmahl fehlte die Definition Luthers; was die Substanz des Abendmahls sei, war verschwiegen; es war wenigstens nicht deutlich bekannt, dass man den Leib und das Blut des Herrn mit dem Mund und dem Glauben empfangen müsse, sondern nur der Glaube war eingeschärft; ob nur die Würdigen oder auch die Unwürdigen den Leib Christi mit dem Mund empfiengen, darüber war trockenen Fusses hinweggegangen; die falschen Lehren der Sacramentirer waren in diesem Punkt wenigstens nicht widerlegt; über das Sitzen Christi zur Rechten des Vaters drückte sich der Catechismus so| unbestimmt und allgemein aus, dass es unbenommen blieb, sich später auf die Seite der Sacramentirer zu schlagen.[25]

 Wenn dann daneben noch die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi bekannt war, so war damit wenig gethan, zumal sie in Ausdrücken bekannt war, welche theils an Melanchthon, theils an Zwingli erinnerten:[26] denn die Gegenwart Christi hatte ja auch Melanchthon stets behauptet, auch zu der Zeit, wo er sich von der Lehre Luthers schon entschieden abgewendet hatte.

 Die Wittenberger Theologen liessen sich aber durch die Aufnahme und Censur, welche dieser Catechismus erfuhr, so wenig einschüchtern, dass sie vielmehr noch in demselben Jahr eine Vertheidigung desselben in einer überaus ausführlichen Schrift, der sogen. Grundveste[27], ausgehen liessen.[28]

 Zwar hatte der Kurfürst, als er von ihrer Absicht hörte, ihnen erst befohlen, mit dem Druck des Buchs inne zu halten und sich zuvor gegen ihn über die Bedenken zu äussern, welche ihm gegen den Catechismus durch den Herzog von Braunschweig zugekommen waren, aber es gelang den Wittenbergern| doch, die Erlaubniss zur Ausgabe des Buchs zu erwirken.[29]

 Dasselbe war mit sehr kluger Berechnung auf die damalige Stellung und Stimmung des Kurfürsten geschrieben. Dieser war damals sehr verstimmt gegen die Theologen, welche ihm als Flacianer bezeichnet wurden; war geneigt zu glauben, dass der ganze Lärm, welcher gegen die Wittenberger erhoben wurde, von diesen ausgehe; und wollte immer nur die lutherische Abendmahlslehre in seinem Lande aufrecht erhalten wissen: gegen die Ubiquitätslehre aber, deren Zusammenhang mit der Abendmahlslehre er nicht kannte, war er eingenommen. Sie eröffneten darum ihre Schrift damit, dass sie an alles das erinnerten, was man damals von Irrlehren in ihren Kreisen dem Flacius vorwarf, an dessen Lehre von dem ewigen Wort und dem Sohn Gottes, von der Erbsünde, von der Klotzbusse, von den drei Stücken der Bekehrung, von der Rechtfertigung, von dem Gesetz und Evangelio, vom neuen Gehorsam, von der ewigen Vorsehung Gottes. Dazu kämen dann noch die neuen Lehren von der communicatio idiomatum, der sessio ad dextram patris, der ascensio Christi in coelos. Gegen alle diese Lehren hätten sie vorlängst Zeugniss ablegen müssen, daher der Hass der Flacianer wider sie. An die Flacianer hätten sich aber aus Hass gegen die Wittenberger Fakultät auch Andere, welche sich bis dahin nicht zu den Flacianischen Irrthümern bekannten, angeschlossen und mit ihnen gemeinsame Sache in Verdächtigung der Wittenberger gemacht. Diese Verdächtigungen nun wollen sie ablehnen, vor allem die, dass ihre Lehre von der Person Christi die calvinische sei. Dass dieselbe mit der Calvins übereinstimme, stellen sie nicht in Abrede, aber nicht von Calvin, behaupten sie, hätten sie diese Lehre entlehnt, sondern lange vor Calvin hätten sie schon so gelehrt, denn ihre Lehre sei die Lehre der alten Kirche, und mit Calvin träfen sie eben wie auch mit den Papisten in diesem Festhalten an der Lehre der alten Kirche zusammen.

 Sie legen dann in grosser Ausführlichkeit ihre Lehre von der Person und Menschwerdung Christi dar und begleiten sie mit Zeugnissen aus der heil. Schrift und der alten Kirche, gehen von| da aber über zur Aufzählung aller Häresieen, von Simon Magus bis zu Schwenkfeld, und stellen die „neuen Ubiquitisten“ in eine Linie mit diesem. Zu den neuen Ubiquitisten zählen sie aber nicht nur die Flacianer, sondern auch die Würtemberger, den Brenz und Andreä so wie den Martin Chemnitz.

 Erst im dritten Theil kommen sie auf ihren Catechismus zu sprechen und suchen ihn gegen die Anschuldigungen insbesondere des Boëtius und Chemnitz zu rechtfertigen. Aber auch da handeln sie nur sehr vorübergehend von der Lehre vom Abendmahl, denn sie behaupten, um sie bewege sich der Streit gar nicht, da sie in diesem Artikel offenkundig dem Catechismus Luthers gemäss lehrten, es handle sich auch da nur um die Person Christi, und wieder suchen sie zu zeigen, wie die Lehre der Gegner ein Rückfall sei in die alten Ketzereien. Den Nachdruck legen sie aber darauf, dass die Lehre des Catechismus ganz die des Corpus doctrinae sei. Das war sie allerdings auch, aber die darin enthaltene Lehre konnte eben im calvinischen Sinn gedeutet werden: darum hatten die lutherischen Theologen auch gegen die im Catechismus enthaltene Abendmahlslehre Widerspruch eingelegt.

 Bei dem Kurfürsten fiel es indessen ins Gewicht, dass sie die Uebereinstimmung mit dem Corpus doctrinae behaupten konnten, am meisten aber machte ihm Eindruck, dass, wie die Wittenberger behaupteten, der Streit sich nur um die Lehre von der Person Christi drehen sollte. Gegen ihn hatten sich die Wittenberger zu rechtfertigen gewusst, die lutherischen Theologen aber nicht irre gemacht. Diese liessen zahlreiche Schriften gegen die Grundveste ausgehen.[30] Diess bestimmte den Kurfürsten, die Wittenberger auf den 10. Octbr. 1571 nach Dresden zu berufen und ein bestimmtes rundes Bekenntniss vom Abendmahl ihnen abzuverlangen.[31] Wieder legten sie ein Bekenntniss ab, mit| welchem der Kurfürst zufrieden war. Es ist dies das unter dem Namen Consensus Dresdensis bekannte, und war von den Wittenbergern allein verfasst,[32] aber von sämmtlichen in Dresden anwesenden Theologen unterschrieben worden. Hutter theilt eine Censur mit, welche Lucas Osiander darüber abgegeben hatte.[33] Dieser urtheilte, „die ganze Schrift ist durchaus in beiden Punkten, von des Herrn Nachtmahl, und von der Person und Majestät Christi, ihr selbst sehr ungleich und also zusammengetragen, dass unterschiedliche zweierlei widerwärtige Lehrer und Geister darin gespürt werden, davon ein Theil gern die Lehre Lutheri.. fort treiben wollte, der andere Theil aber dieselbe reine Lehre muthwillig wiederum verkehrt, verfälscht und das Zwinglische Gift, wo er kann, darunter menget, und dasjenige, so an ihm selbst recht, bekannt und geschrieben, verdunkelt und mit zweifelhaftigen Reden wiederum hinwegnimmt und verderbt.“

 Und das beweist Osiander auch.

 Die Verfasser des Consensus hatten nemlich bei der Lehre vom Abendmahl den Kunstgriff gebraucht, dass sie an die lutherischen Redensarten und Ausdrücke solche von Melanchthon anreihten; wodurch sie die lutherische Lehre im Sinn Melanchthons deuteten. So sagten sie, „das Sacrament des Nachtmahls des Herrn ist der wahre Leib und Blut unsers Herrn Jesu Christi, unter dem Brod und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christo selbst eingesetzt,“ sie fuhren aber fort und sagten: „oder was eins ist: dieses Sacrament ist nach der Erklärung Pauli die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi, wodurch der Herr mit den äusseren sichtbaren Zeichen, nemlich mit Brod und Wein, uns wahrhaft gegenwärtig seinen Leib und sein Blut darreicht und uns dadurch seine Verheissungen bekräftigt, dass uns unsere Sünden gewisslich um seines Todes und Verdienstes willen vergeben werden, dass er wahrhaftig bei uns und in uns wirksam sei.“ So sagten sie: „der Sohn Gottes ist im Abendmahl wahrhaftig und substantiell gegenwärtig, so dass er uns| in dieser Niessung mit Brod und Wein seinen Leib und sein Blut gibt,“ fügten aber hinzu: „sich uns selbst und die Verheissung seiner Gnade zuweist (adplicet) und uns zu Gliedern seines Leibes macht und in uns Trost wirkt. Denn diese Wirkung geschieht durch die Person, welche die menschliche Natur angenommen hat und in ihr ist er wirksam und um derselbigen willen ist er in uns.“ So ist einerseits freilich die substantielle Gegenwart des Leibes Christi bekannt, andrerseits wird aber auch gesagt: „der Sohn Gottes sei wahrhaft gegenwärtig in dem Amte, das er eingesetzt, und in den Sacramenten, und durch diese sei er in seiner Kirche gegenwärtig.“

 Endlich macht Osiander mit Recht darauf aufmerksam, dass des Empfangs des Leibes mit dem Munde nicht gedacht und dass nirgends gesagt würde, dass auch die Unwürdigen den Leib des Herrn geniessen.

 Der Kurfürst hatte indessen auch an diesem Consensus kein Arg. Dass seine sämmtlichen Theologen ihn unterschrieben, bestärkte ihn in seiner guten Meinung von demselben, denn er konnte doch nicht annehmen, dass alle seine Theologen in Verdacht zu ziehen seien;[34] es machte auch insbesondere einen guten Eindruck auf ihn, dass der Consensus sich ausdrücklich auf Luthers Catechismus berief und sich zu diesem bekannte.[35] Von der Orthodoxie des Consensus war er jetzt überzeugt, war freilich betroffen, als ihm von Heidelberg, wohin er ihn geschickt hatte, berichtet wurde, dass die Heidelberger Theologen denselben wesentlich übereinstimmend mit ihrem Catechismus fänden, liess sich aber doch durch eingeholte Gutachten überzeugen, dass dem nicht so sei[36] und kehrte wieder zu der Ueberzeugung zurück, dass die Flacianer nur üble Nachreden gegen seine Theologen aufgebracht. Sie liess er jetzt auch seinen Unmuth| fühlen, denn als er 1573 nach dem Tod des Herzogs Johann Wilhelm von Weimar die Vormundschaft über dessen Lande überkam, war das Erste, was er that, dass er den Flacius und Heshus aus Jena verjagte, das ganze Land von den Flacianern säuberte und allen Predigern des Landes einschärfen liess, dass sie mit den kursächsischen Theologen den Consensus in der Religion halten, die Flacianische Rotte meiden und ihre Schriften nicht lesen; dass sie Melanchthons Schriften in allem approbiren sollten. Viele, die sich weigerten, das zu versprechen, wurden verjagt.

 Nie war die Stellung der Wittenberger Theologen eine günstigere und sie hielten sie wohl für eine gesicherte. Da erschien im Jahr 1574 eine Schrift unter den Titel: exegesis perspicua et ferme integra controversiae de s. coena,[37] mit welcher eine gewaltige, ja erschütternde Wendung eintrat.

 Wir müssen uns zunächst mit der Frage beschäftigen, wer der Verfasser dieser Schrift war und von welchem Ort sie ausging: denn die Schrift gibt weder über das eine noch das andere Auskunft. Dass sie aus der Druckerei des Buchhändlers Ernst Vögelin in Leipzig ausgegangen war, kam bald an den Tag und steht unzweifelhaft fest. Aber wer war der Verfasser?

 Vögelin selbst sagte zwar in dem Verhör,[38] das man nachmals mit ihm anstellte, der Verfasser sei ein bereits (1573) verstorbener Arzt in Schlesien, Namens Joachim Curäus. Die Schrift sei ihm vor etlichen Jahren schon handschriftlich zugekommen, er habe eine Abschrift davon genommen, aber bald bemerkt, dass sich viele Fehler eingeschlichen hätten, darum habe er sich ein correctes Exemplar zu verschaffen gesucht und dieses drucken lassen, zu keinem anderen Endzweck als zur Verbreitung der Wahrheit, denn „er habe dafür gehalten, dass in dieser streitigen Sache vom Abendmahl keine Erklärung so richtig und dieser Landen Kirchen und Schulen gemässer, auch fürnemlich aus des Hr. Philippi sel. Schriften als ein Kern ausgelesen und zusammengezogen oder ausgeklaubt, als eben diese exegesis| gethan.“ Damals aber hat man diese Aussage nicht geglaubt und war überzeugt, dass die Schrift von Wittenberg ausgegangen sei. Das gibt auch Hospinian für eine ganz gewisse Sache aus. Näheres über die Verfasser berichtete dann Löscher. „Die vornehmsten Angeber und Meister, sagt er, waren wohl Pezelius und Peucerus; allein der heimliche Calvinist Esrom Rudingerus, professor physices in Wittenberg, des berühmten Camerarii Schwiegersohn, musste die Feder führen. Damit die wahren auctores desto verborgener bleiben möchten, ward das Buch zu Leipzig gedruckt, und nahm der Schlesische Candidatus medicinae, Joach. Curäus, diese Sorge über sich, als hätte er es selbst gefertigt.

 Das wurde die allgemeine Ueberzeugung, bis Heppe[39] ihr entgegentrat, und zu beweisen suchte, dass Verfasser der Schrift eben der sei, welchen Vögelin angegeben habe.

 Er führt diesen Beweis in der Art, dass er erst die Unrichtigkeit der herkömmlichen Meinung damit darzuthun sucht, dass die inhaftirten Philippisten beharrlich jeden Antheil an der Abfassung der Schrift in Abrede stellten; und dass er dann zeigt, wie die Andeutungen über die Person und die Lebensverhältnisse des Verfassers, die in der Exegese selbst vorliegen, mit dem, was über die Person und die Verhältnisse des gedachten Curäus bekannt ist, übereinstimmen. Es gehe, weist er nach, daraus hervor, dass er ein Deutscher und ein Angehöriger der Augsb. Conf., und dass er ein Laie gewesen, und beides war Curäus. Er gebe sich ferner in der Schrift als einen Anhänger Melanchthons zu erkennen und das stimme mit dem überein, was Melchior Adam in seinen vitae Germanicorum von Curäus mittheilt. In der Schrift sei von den unevangelischen Lehren vom Sacrament allein die Schwenkfelds, eines Schlesiers, hervorgehoben, das weise darauf hin, dass der Verfasser in Schlesien lebte; an den Ausdrücken endlich, welche in der Schrift| dem medicinischen und naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch entnommen seien, gebe sich der Verfasser als einen Mediciner zu erkennen und das war Curäus.

 Diese Argumente haben für uns nicht volle Ueberzeugungskraft. Die in der Schrift enthaltenen Andeutungen über die Person und Lebensverhältnisse des Verfassers passen allerdings auf Curäus, sie könnten aber auch auf eine andere Person passen. Hätte z. B., wie Löscher behauptet, Rüdinger, der Professor physices, die Feder geführt, so würde ja auch auf ihn passen, dass der Verfasser ein Laie und ein Naturkundiger war; aus dem Umstand aber, dass in der Schrift unter den unkirchlichen Lehren vom Sacrament die Irrlehre Schwenkfelds hervorgehoben ist, wird man nicht so viel als Heppe will folgern dürfen, denn auch die Grundveste macht sich besonders viel mit dieser Irrlehre zu schaffen.

 Gegen die Autorschaft des Curäus kann man dann einwenden, dass es doch auffallend bleibt, dass man damals nicht nur von lutherischer Seite an der Autorschaft der Wittenberger nicht zweifelte, sondern dass auch reformirte Schriftsteller, wie Hospinian[40] sie als ausgemacht annahmen. Die Aussage Vögelin’s bezeichnen die Berichterstatter dieser Zeit als eine Lüge[41]. Aber freilich, sie stellen nur Behauptungen auf und bringen keine Beweise bei. Auch der doch sonst genaue Löscher erzählt nur, dass der Kurfürst Räthe nach Wittenberg geschickt habe, welche sich nach dem Urheber des Buchs erkundigen sollten, weiss aber von dem Ergebniss nichts weiter zu sagen, als dass die Wittenberger an der Exegesis keinen Theil haben wollten, und sonst zweifelhaft geantwortet hätten; dann, dass endlich offenbar geworden, dass das Buch bei Vögelin in Leipzig gedruckt worden. Dieser sei darum in Verwahrung gebracht und wegen des Verfassers| gefragt worden, und da habe er dann, gedrängt, alles auf den Curäus, der ausser Lands gewesen, geschoben.

 Hatte sich die Autorschaft der Wittenberger damals so genau herausgestellt, dass Löscher sich der Beibringung der Beweise glaubte überheben zu dürfen, oder hat man vorschnell als bewiesen angenommen, was noch nicht genugsam bewiesen war?

 Ein Anzeichen finde ich doch, dass Löscher der Sache nicht genau nachgegangen ist. Er berichtet nemlich, ein Schlesischer Candidat der Medicin, Joachim Curäus, habe „die Sorge über sich genommen, als hätte er das Buch selbst gefertigt.“ Er selbst nennt einen Curäus, wie Vögelin einen nennt, er aber sagt von demselben: „er war ausser Landes“, rechnet ihn also noch unter die Lebenden, während Vögelin seinen Curäus als einen bereits Verstorbenen bezeichnet. Aber auch diess berichtet Löscher, ohne gewahr zu werden, dass er selbst denselben kurz zuvor als einen Lebenden bezeichnet hatte.[42]

 Das ist doch eine nicht geringe Ungenauigkeit, und erweckt den Argwohn, dass man eben damals den Aussagen Vögelins keinen Glauben geschenkt hat, ohne bestimmte Beweise gegen seine Aussage zu haben.

 Es ist unter diesen Umständen schwer eine Entscheidung zu treffen. Positive Beweise liegen für keine der beiden Behauptungen vor, denn die Aussage Vögelins wird man nicht als positiven Beweis anführen wollen. Vögelin ist in der ganzen Sache so verfahren, dass er für sein Zeugniss nicht unbedingt Glauben in Anspruch nehmen darf. Die Versuchung, einen anderen als Autor vorzuschieben, lag nahe genug. Steckte er, was wenigstens möglich und was uns wahrscheinlich ist, mit den Wittenbergern unter Einer Decke, so hatte er mit ihnen ein Interesse, den Verdacht von ihnen als den Verfassern abzulenken. Konnte er glauben machen, dass ein Ausländer, und noch dazu ein Verstorbener, der Autor sei, so hatte er sich und den Wittenbergern damit gedient.

 Indessen, da von der anderen Seite auch keine positiven Beweise für die Autorschaft der Wittenberger beigebracht worden| sind, und da das Zeugniss Vögelins für die Autorschaft des Curäus wenigstens negativ dadurch bestätigt wird, dass von den in Haft genommenen Theologen keiner der Autorschaft geständig war, so kann man eben so wenig an den früher gang und gäben Annahmen festhalten. Lassen wir es also dahin gestellt sein, wer der Verfasser war, und wenden wir uns der Frage zu, was denn den Buchhändler Vögelin bewogen habe, die Schrift herauszugeben; und zwar so, dass man den Verfasser und den Drucker an ganz anderem Ort suchen sollte. Vögelin hat sich nemlich das Papier zur Schrift aus Frankreich holen lassen, „damit man sollte dafür halten, dass es ein ausländischer Druck sei“, und hat die Schrift selbst corrigirt und die corrigirten Druckbogen dann verbrannt, damit der Ort, wo sie gedruckt wurde, verborgen bleibe. Die Schrift selbst aber wurde in der Stille verbreitet, nicht durch den Buchhandel, sondern auf Privatwegen. In Leipzig wurden gar keine Exemplare verkauft, wohl aber viele verschenkt, in Wittenberg wurde die Schrift durch die Professoren unter den Studirenden verbreitet. Das alles ist auffällig.

 Vögelin hat freilich das zu rechtfertigen und zu erklären versucht.

 Als Grund der Herausgabe giebt er das Interesse an, das er an dem Abendmahlstreit genommen, und beruft sich zur Bezeugung seines Interesses an theologischen Fragen auf seine vierzehn Jahre zuvor unternommene Herausgabe des Corpus doctrinae, welches der Kurfürst doch erst später in seinen Landen eingeführt habe. Als die Gründe seines heimlichen Verfahrens gibt er aber diese an: er habe voraussehen können, dass die Schrift heftig würde angefochten werden, und habe geglaubt, der Aufnahme der Schrift selbst Eintrag zu thun, wenn bekannt würde, dass die Herausgabe von einem Laien ausgegangen sei, da „leider in der Kirche dieser Brauch wieder einreissen wolle, dass sich sonst niemand um die theologischen Händel sollte anmaassen, als nur die Theologi.“ Den Autor endlich, gibt er an, habe er nicht nennen dürfen, da er sonst sich und den Wittenbergern Verlegenheiten bereitet hätte: denn da die Schriften des Curäus seiner Zeit in Wittenberg und Leipzig erschienen waren, hätte man zu leicht auf Wittenberg oder Leipzig als Druckort gerathen.

|  Aber waren diese Erklärungen befriedigend? Hatte Vögelin ein solches Interesse an den theologischen Fragen in der Richtung der Wittenberger, liegt da die Annahme nicht nahe, dass er die Herausgabe der Schrift nicht ohne ihr Vorwissen vorgenommen, vielleicht sogar dass sie ihn zur Herausgabe derselben veranlassten? An Vertretung ihrer Auffassung musste ihnen nothwendig viel gelegen sein, sie selbst konnten, wie Calinich mit Berufung auf einen Brief von Ursinus an Bullinger erinnert,[43] nicht frei schreiben, sie durften ja nicht einmal Wort haben, dass sie so vom Abendmahl dächten, wie in dieser Schrift zu lesen war. Konnten sie aber eine solche Schrift in Umlauf bringen, ohne dass man dieselbe auf sie zurückführen konnte, so war ihrer Sache ein grosser Vorschub geleistet. Und konnten sie nicht glauben, dass jetzt der passende Zeitpunkt gekommen sei, mit der Lehre, die man eigentlich meinte, hervorzutreten, aber doch so, dass man nicht mit seinem eigenen Namen und seiner eigenen Person dafür einzustehen brauchte?

 Auch für diese Ansicht lassen sich freilich keine positiven Beweise beibringen, aber sie scheint uns viele Wahrscheinlichkeit für sich zu haben.




 Wie es sich nun aber auch mit der Autorschaft der Exegesis und mit den Motiven zur Herausgabe derselben verhalten haben mag, das steht fest, dass ihr Erscheinen die Lage der Wittenberger von Grund aus änderte.

 Waren die Wittenberger die Verfasser, oder wussten sie wenigstens um die Herausgabe derselben, oder steckten sie gar dahinter, so bleibt es bei der bisherigen Annahme, dass man in jenen Kreisen einsah, man müsse endlich bestimmte Farbe geben, und dass man jetzt glaubte, des Kurfürsten so sicher zu sein, dass man diess wagen durfte: denn damit, dass man sich den Schein erhielt, als sei man gut lutherisch, war das Ziel noch nicht erreicht: diess ging ja dahin, die Lehre, welche von den Gegnern als die lutherische bezeichnet wurde, zu verdrängen.| Für diesen Fall hatten die Wittenberger sich selbst verrathen und hatten sich verrechnet, denn sie hatten den Kurfürsten keineswegs so weit gebracht, als sie in diesem Fall meinten. Hat aber Vögelin die Schrift eines Fremden und ohne Vorwissen der Wittenberger herausgegeben, so hat er, ohne es freilich zu wollen, Anlass gegeben, dass den Wittenbergern und Leipzigern die Maske abgerissen wurde, und hat er das schwere Gewitter, das jetzt über sie hereinbrach, heraufbeschworen: denn mochten sie auch die Autorschaft und das Mitwissen um die Herausgabe der Schrift in Abrede stellen, dass sie mit dem Inhalt derselben einverstanden seien, konnten sie nicht läugnen.

 Wenden wir uns nun zu der Schrift selbst und fragen wir nach ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung.

 In ihr finden wir nichts, was die Theologen dieser Richtung nicht schon in früheren Schriften gesagt hatten, nichts, was die, welche sie kannten, hätte überraschen können, daher nahmen auch die lutherischen Theologen nicht viel Notiz von ihr, und nur zwei von ihnen, Wigand[44] und Heshus, schrieben dagegen. Aber der Standpunkt der Philippisten war darin mit einer Präcision dargelegt, wie nie zuvor; der Gegensatz gegen die Lehre Luthers und gegen die der jetzigen Lutheraner war darin scharf hervorgehoben und alles zusammengetragen, was zur Begründung ihrer Auffassung beitragen konnte[45]. Die Schrift enthält das vollständige Programm dieser Partei. Es ist dies der Hauptgrund, warum wir nur durch positive Beweise überzeugt werden könnten, dass die Schrift nicht von einem der Führer der Partei ausgegangen ist. Es wäre nicht undenkbar, aber doch zu verwundern, wenn ein diesem Kreis ferner Stehender vor Jahren schon das erste Programm entworfen hätte.

 Sehr bezeichnend ist es schon, dass die Schrift der Lehre vom Abendmahl die von der Person Christi und den Sacramenten überhaupt vorangehen lässt, und zwar aus dem Grunde, weil die| Sacramente Theile des Amtes seien, durch welche Christus bis zur Vollendung der Kirche in den Gläubigen wirksam sein wolle. Aus der Lehre von der Person Christi soll erhellen, in welchem Sinn von einer Gegenwart Christi hier auf Erden und auch im Abendmahl die Rede sein kann. Die Lehre ist die: in Christo sind zwei Naturen zu Einer Person geeint, so aber, dass beide unvermischt bleiben. Das gilt auch von dem auferstandenen und gen Himmel gehobenen Christus. Ist Christi Leib von da an auch der erhöhte, so bleibt dieser Leib doch Leib und behält die Eigenschaften eines Leibes bei, er ist jetzt ein geistlicher Leib, während er früher ein animalischer war. Daraus ergibt sich auch, welches die rechte Lehre von der communicatio idiomatum ist. Sie besteht nur darin, dass man die Eigenthümlichkeit der einen Natur von der Person in concreto aussagt. Man kann also sagen: Christus hat gelitten, Christus ist überall, die Meinung ist aber nicht die, dass die göttliche Natur gelitten hätte, oder dass die menschliche Natur an mehreren Orten zugleich sei: denn eine wirkliche gegenseitige Mittheilung der Eigenschaft der einen Natur an die andere findet nie Statt[46], das verstiesse gegen die oberste Regel: confundens proprietates, confundit naturas. Von einer Gegenwart Christi hier auf Erden kann darnach nur in dem Sinne die Rede sein, dass er inwendig durch Wort und Sacrament in den Gläubigen wirksam ist, ihren Glauben entzündet und mehrt, und diess neue Leben durch den heiligen Geist in ihnen schafft, ohne aber, dass man sich die Sache so zu denken hat, als ob Christus in magischer oder physischer Weise an Wort oder Sacramente gebunden wäre.
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 Da angelangt, handelt die Schrift des Näheren von den Sacramenten. Sie definirt dieselben als ritus incurrentes in oculos, instituti ut sint sigilla promissionis et testimonia applicationis promissionis universalis ad singulos. Die zwei von Christo eingesetzten Sacramente entsprechen dem Bedürfniss des Menschen. Dieser bedarf der Einpflanzung in Christum, darum die Taufe, welche das Siegel dieser Einpflanzung ist. Und er bedarf der stetigen Nahrung,| darum das heilige Abendmahl, welches das Pfand und das Siegel derselben ist. Christus bezeugt da durch ein gewisses Pfand, dass er den Gläubigen allezeit gegenwärtig sein, sie mit seligem Leben erfüllen und ihre Leiber dereinst zu ewigem Leben auferwecken will. Diese Gegenwart Christi in uns will aber recht verstanden sein. Es ist nur eine Gegenwart seiner göttlichen Natur: denn die menschliche ist im Himmel und fern von uns; die göttliche Natur aber ist im Abendmahl nicht anders gegenwärtig, als sie anderswo gegenwärtig ist, und ist nicht etwa in magischer Weise an die Sacramente gebunden, die Gegenwart ist also nur eine Gegenwart der Wirksamkeit (efficaciae). Mit dieser Gegenwart Christi ist aber auch eine Mittheilung Christi gesetzt und zwar eine geistige und eine leibliche. Die letztere ist aber nicht so zu verstehen, als ob sie eine Mittheilung des Leibes Christi sei, denn der Leib Christi ist fern von uns, sonach kann auch kein Theil der Substanz dieses Leibes uns mitgetheilt werden, darunter ist vielmehr nur eine geistige Einigung mit der Gottheit Christi zu verstehen.

 Damit sind alle Grundlagen für die Lehre vom Abendmahl gegeben. Man kann das Abendmahl definiren als eine von Christo eingesetzte Ceremonie, in welcher mit den sichtbaren Zeichen von Brod und Wein eine Mittheilung des Leibes und Blutes Statt hat, der Sinn derselben ist aber nur der, dass Christus den Gläubigen gegenwärtig ist und ihnen bezeugt, dass er sie seiner Wohlthaten theilhaftig machen, sie als Glieder in seinen Leib einfügen und in ihnen wohnen wolle. Die Gegenwart Christi, die man auch eine substantielle nennen kann, muss man betonen denen gegenüber, welche das Abendmahl so auffassen, als wenn Brod und Wein nur an den abwesenden Christus erinnern sollten, aber auch nur in dem Sinn ist Christus substantiell gegenwärtig, dass er in uns wirksam ist, wie es der heilige Geist ist[47].

|  Hält man daran fest, dass es sich im Abendmahl um eine solche Gegenwart Christi handelt, so wird man nicht zu der albernen Frage kommen, welcher Art die Einigung des Leibes Christi mit dem Brode sei, denn mit uns handelt Christus, und nicht mit den Elementen von Brod und Wein hat er es zu thun. Ueber den Sinn der Ausdrücke: „das ist mein Leib, der Kelch ist das neue Testament in dem Blute Christi“ war auch die alte Kirche nie zweifelhaft, und immer legte sie dieselben so aus, dass Christus durch diesen Genuss uns bezeuge, dass uns Vergebung der Sünden und ewiges Leben gegeben werden solle. Sehr viele Güter (nicht umbrae, typi, ornamenta disciplinae externae aut politiae, qualia sunt bona legis) werden uns da zu Theil. Eine Synecdoche und Metonymie muss man freilich in diesen Ausdrücken annehmen. Die letztere nimmt auch Luther an, und es lässt sich an dem Beispiel, das er selbst beibringt, am deutlichsten zeigen, wie der Ausdruck: „der Kelch ist das neue Testament“ gemeint ist. Er sagt: die Taube ist der heilige Geist. Damit kann nicht gemeint sein, dass der heilige Geist mit der Taube mehr gegenwärtig war, als an anderen Orten, denn bei Gott kann man keine locale Gegenwart annehmen, der Sinn ist also nur der: mit dieser sichtbaren Gestalt einer Taube wurde der heilige Geist Christo infundirt, die Gegenwart des heiligen Geistes bezieht sich aber nicht auf die Taube, sondern auf Christum, von einem Gebundensein des heiligen Geistes an die Taube ist also hier so wenig die Rede, wie dort von einem Gebundensein Christi an die Elemente, hier wie dort ist nur von einer Gegenwart der Wirksamkeit die Rede. Entgegnet man nun aber darauf, das sei gegen die buchstäbliche Auslegung, (τὸ ῥητόν abjici), so sagt die Exegesis dagegen: die Auslegung ist gemäss der Absicht Christi, der einen Ritus einführen wollte, durch den die Mittheilung seiner Wohlthaten bezeugt werden sollte. Die Exegesis fragt, ob diejenigen nicht buchstäblicher auslegen, welche den Ausdruck sacramental verstehen und einfach glauben, dass wir durch den Genuss im Abendmahl des Leibes Christi theilhaftig werden. Eben darum haben auch die Jünger keinen Zweifel gehabt, wie sie die Rede Christi im Abendmahl aufzufassen hätten: denn sie haben sich erinnert, dass der Herr in einer längeren Rede schon von| dem Genuss seines Fleisches gesprochen und darunter das verstanden hat, dass er in den Gläubigen wirksam sein wolle. Nannte nun Christus, als er mit ihnen beim Mahle sass, das Brod seinen Leib, so wusten sie, dass die Meinung die sei, das Brod sei ein Siegel dieser Mittheilung, nicht aber dachten sie an eine wunderbare Fortpflanzung seines wirklichen Leibes, und nicht daran, dass ihnen etwas gegeben werden solle, das ganz verschieden war von der Wohlthat, welche ihnen im Evangelium verheissen war. Der Ausdruck: „dies ist mein Leib“, findet dann weiter seine Erklärung an dem folgenden: „der Kelch ist mein Blut des neuen Testaments“, denn so heisst es, und nicht etwa: der Wein ist mein Blut. Den Sinn dieser Worte aber hat der Apostel Paulus am deutlichsten erläutert, wenn er sagt: „der gesegnete Kelch ist die Gemeinschaft des Blutes Christi, das gesegnete Brod die Gemeinschaft seines Leibes“. Da sagt er nicht: das Brod ist der wahre wesentliche oder substantielle Leib Christi, sondern: das Brod ist die äussere sichtbare Sache, dadurch es zu einer Gemeinschaft zwischen uns und dem Leibe Christi kommt. Dass diess der Sinn der Worte ist, und nicht etwa der, dass die Gemeinschaft des Leibes eine Mittheilung des Leibes an das Brod bedeute, erkennt man daran, dass Paulus das Abendmahl dem Mahl der Heiden entgegenstellt. Die Heiden, sagt er, gehen da eine Gemeinschaft mit den Götzen ein, wir eine mit Christo, also nicht von einer Gemeinschaft mit dem Brod ist die Rede, sondern von einer Gemeinschaft Christi mit den Frommen. – Der Verfasser der Exegesis unternimmt es ferner, seine Uebereinstimmung mit der Augustana darzuthun, freilich mit der Bemerkung, dass eine bessere Erkenntniss, eine genauere und richtigere Fassung, damit nicht ausgeschlossen sei, wie er denn auch an ihr gebessert habe. Er bekennt also mit der Augustana eine leibliche Gegenwart im Abendmahl, aber so, dass damit nicht eine Verbindung des Leibes mit den Symbolen gesetzt ist, sondern nur eine solche, die dem Menschen heilsam ist[48]. Um Alles zu erschöpfen, so berührt der Verfasser der Exegesis auch noch die Frage, was denn die Gottlosen im Abendmahl empfingen, bezeichnet sie aber als eine müssige. Die Meinung,| dass auch die Gottlosen den Leib Christi geniessen, leitet er von der katholischen Lehre von der Transsubstantiation ab. Besteht nun aber keine Verbindung des Leibes mit den Symbolen, so fällt die ganze Frage nach dem Genuss der Ungläubigen dahin; und ist das Wesentliche im Abendmahl die Gemeinschaft mit Christo, so folgt daraus, dass es nur für die Frommen eingesetzt ist, denen also, welche die Verheissung des Evangeliums nicht auf sich beziehen dürfen, ist auch das Siegel, welches den Frommen diese Gemeinschaft bezeugt, unnütz.

 Nachdem so im ersten Theil die Lehre positiv dargelegt war, wendet sich der zweite Theil gegen die falschen Auffassungen, und beginnt mit einem Ueberblick über die Entwicklung der Lehre. Es wird da anerkannt, dass Luther zum Kampf herausgefordert wurde durch diejenigen, welche in den Sacramenten nur äussere Zeichen und notae professionis sahen, aber es wird dann doch auch bemerkt, dass man lutherischer Seits, auch nachdem von der anderen Seite richtiger gelehrt wurde, den Streit fortgesetzt habe, weil man im Streit gegen die Widersacher sich einige Meinungen, welche ihre Wurzel in der Transsubstantiations-Lehre hatten, angeeignet und diese nicht habe fahren lassen wollen. Und so wie er es angedeutet, habe er sich auch bei Luther verhalten. Der schlimmere Streit aber brach nach Luthers Tod aus, und da wird denen, welche die Lehre Luthers vertraten, Schuld gegeben, dass sie mehr und mehr wieder den Meinungen der Katholiken verfallen seien und jetzt von einer Einigung des Leibes Christi mit dem Brode sprächen. Ausführlich wird ihre Lehre dargelegt und widerlegt, am ausführlichsten die von der communicatio idiomatum. Mit ihr, wird behauptet, werde alle Wahrheit der menschlichen Natur in Christo aufgehoben.

 Hören wir noch die Vorschläge zu einer Einigung, welche zum Schluss beigefügt werden. Sie werden eingeleitet durch die Bemerkung, dass man nicht zu zäh an der Autorität derer, welche die Kirche gegründet, hängen, und der besseren Erkenntniss, welche sich später geltend gemacht habe, Raum verstatten solle. Es wird hingewiesen auf die Beschaffenheit der Reformirten, auf den Stand ihrer Gemeinden, auf die Blüthe der Studien| in ihren Kreisen, auf ihre Lehre, die den Symbolen der alten Kirche gemäss sei, auf den Vorzug, den sie vor der lutherischen Kirche dadurch hätten, dass sie so viele Märtyrer zählten. Solle man, wird gefragt, sie verdammen, weil man in Einem geringfügigen Punkt nicht mit ihnen übereinstimme? Sei man doch auch in Betreff der Lehre vom Abendmahl in dem wesentlichsten Punkt einig, in dem von der Frucht des Abendmahls. Die einzige Differenz sei die über die Frage, ob der menschliche Leib Christi im Abendmahl gegenwärtig sei? Da möge man aber zudem bedenken, das man lutherischer Seits an die Gegenwart eines menschlichen Leibes glaube, der in Wahrheit keiner sei, denn man entkleide ihn ja aller Eigenthümlichkeiten eines Leibes. Oder solle man sich auf Luther berufen, als durch den alles schon entschieden sei? Als wenn man bei aller Achtung vor Luther nicht zugeben müsste, dass er in der Hitze des Streites nicht selten zu weit gegangen sei, so dass es doch besser wäre, sich an die anzuschliessen, welche Luthern von Gott an die Seite gegeben worden und die richtiger geredet hätten.

 Nachdem der Verfasser nun unterschieden hat zwischen den Lehren, welche man ertragen könne, wenn man sie auch nicht für richtig erkenne, und denen, welche unter allen Umständen verworfen werden müssten, wohin die lutherische Lehre von der communicatio idiomatum gerechnet wird, weil diese wider die beiden Artikel von den Naturen in Christo und von seiner Himmelfahrt stritten, wird der Vorschlag gemacht, man möge, bis eine Synode definitiv entschieden, darin übereinkommen, dass man die Lehren von der Ubiquität, von dem Genuss des wahren Leibes von Seite der Gottlosen, fahren lasse und sich in einer bestimmten Formel einige. Als solche nennt er die: das Brod sei die Gemeinschaft des Leibes Christi. Er empfiehlt weiter, dass man sich an die Ausdrücke und Erklärungen Melanchthons halten möge, und gesteht offen diesen den Vorzug vor der Augustana, die von vielen falsch gedeutet worden und in einer Zeit abgefasst sei, in welcher man noch nicht so klar gewesen sei, wie in späterer Zeit. –

 Das ist der Inhalt der Exegesis, von der Wigand sagte, sie enthalte die Lehre der Sacramentirer; von der Heppe aber behauptet, sie stimme mit der Lehre Melanchthons und des Corpus| Misnicum völlig überein; und Ebrard[49], ihr Inhalt sei ungefährlich und harmlos.

 Ungefährlich und harmlos sollte eine Lehre sein, welche aus der lutherischen Lehre alles das streicht, was mit dieser Lehre vom Abendmahl gesetzt ist, und das alles als Irrthum bezeichnet, die unio sacramentalis von Brod und Leib, den mündlichen Genuss, den Genuss der Ungläubigen, die Möglichkeit einer Gegenwart des wahren Leibes Christi im Abendmahl? Geht doch die Tendenz dieser Schrift geradezu dahin, für die darin niedergelegte Lehre nicht etwa Duldung in Anspruch zu nehmen, sondern sie als die allein richtige zur Anerkennung und Herrschaft zu bringen!

 Sicher ist, dass die Lehre der Exegesis unlutherisch ist, ob man sie calvinisch oder melanchthonisch nennen will, ist gleichgültig. Allerdings haben die Philippisten dieser Zeit stets behauptet, sie lehrten nur, was Melanchthon gelehrt habe, und hat die Exegesis sich wohl gehütet, auch nur den Namen Calvins zu nennen, und hat sie absichtlich sich auf den Boden des Corpus Misnicum gestellt: denn darin war die Abendmahlslehre vag und allgemein genug gefasst. Aber es ist ja zur Genüge nachgewiesen, dass Melanchthons Abendmahlslehre auf einem abschüssigen Boden stand, der zum Calvinismus trieb. Und bei diesem waren die Philippisten längst angelangt. Sie waren insofern doch weit über Melanchthon hinausgegangen, als sie, was Melanchthon nie that, aus der melanchthonischen Abendmahlslehre Consequenzen zogen, durch welche diese Lehre eben in den bestimmtesten Gegensatz gegen die Lehre Luthers trat. Ob den Philippisten diess nicht zum Bewusstsein gekommen war? Es mag unter ihnen Einzelne gegeben haben, denen dieses Zusammenfallen des Melanchthonismus mit dem Calvinismus verborgen blieb, von der Mehrheit kann man es nicht annehmen, sie wusste sich der Sache nach eins mit Calvin, statuirte keinen wesentlichen Unterschied zwischen Melanchthons und Calvins Lehre und beharrte dabei, im Gegensatz stehe man nur mit denen, welche in den Sacramenten nur leere Zeichen erblicken wollten. Wie hätten sie sonst| auch in so regem Verkehr mit den Heidelbergern und Schweizern stehen und deren Schriften so eifrig verbreiten können, und wie hätten sonst die Schweizer und Heidelberger sie so ganz als die Ihrigen ansehen können?

 Doch wir wollen uns vorerst noch nicht weiter mit den Philippisten zu schaffen machen, sondern noch bei der Exegesis stehen bleiben, und dann von den Ereignissen berichten, welche sich an dieselbe anreihen.

 Mag die Exegesis von den Wittenbergern verfasst sein oder von einem Anderen, sie bezeichnet genau den Standpunkt, welchen die Philippisten einnahmen, und wir ersehen aus ihr, wie sie sich die Sache zurecht legten.

 Melanchthon, wird behauptet, hat immer das Rechte vom Abendmahl gelehrt, Luther aber hat sich von Anfang an nicht weit genug von der Transsubstantiationslehre entfernt. Indessen hat Luther sich doch nie gegen Melanchthons Lehre erklärt, was als Beweis dafür anzusehen ist, dass er in dem, was er im Anfang geltend machte, nicht das Wesen der Lehre gesehen hat. Sonach hat man ein Recht, die Auffassung Melanchthons, die auch in der Augustana niedergelegt ist, und zwar nach den Erklärungen, die er selbst darüber gegeben, und nach den Verbesserungen, die er angebracht hat, als die Lehre der lutherischen Kirche anzusehen. Es war eine Gnadenführung von Gott, wird weiter gesagt, dass Er den Melanchthon neben Luther gestellt, und Luthern durch Melanchthon hat corrigiren lassen. Von diesem guten Weg gingen spätere Theologen in ihrer Feindseligkeit wider Melanchthon ab, stellten das an der Lehre Luthers, was dieser selbst hatte zurücktreten lassen, wieder in den Vordergrund, und fügten die die ganze Lehre von der Person Christi verkehrende Lehre von der Ubiquität hinzu. Ihr gegenüber vertritt die Exegesis angeblich die Lehre Melanchthons, in Wahrheit aber giebt sie der Lehre Melanchthons eine Deutung, welche ihr allerdings gegeben werden kann, welche aber von Melanchthon selbst in dieser Schärfe und Bestimmtheit nicht ausgesprochen war, und welche in allen wesentlichen Stücken mit der Abendmahlslehre Calvins übereinkam: denn sagt man von Calvin, er habe im Abendmahl nur eine Gegenwart Christi im Geist| gelehrt, eine Gegenwart des Leibes aber nur in dem Sinn, dass von dem im Himmel als an einem bestimmten Ort weilenden Christus eine geistliche Wirkung ausgegangen sei; er habe keinerlei Verbindung von Leib und Brod angenommen, also keine Mittheilung des Leibes Christi in oder unter dem Brod; er habe den mündlichen Genuss und den Genuss der Gottlosen geläugnet, so hat man doch wohl das Wesentliche seiner Lehre damit genannt. Das alles aber findet sich in der Exegesis.

 Warum soll man nun von dem Inhalt der Exegesis nicht gleich gut sagen können, er sei calvinisch, als der Verfasser davon sagte, er sei melanchthonisch? Beides war eben in eins zusammengefallen. Richtiger aber war es in der damaligen Zeit, den Inhalt calvinisch zu nennen, denn ob sich die melanchthonische Lehre so deuten liess, darauf einzugehen war nicht Sache der lutherischen Theologen, sie constatirten das Faktum, dass man hier die gleiche Lehre fände, wie bei den Sacramentirern.




 Und so sah auch der Kurfürst von Sachsen die Sache an, nachdem er von verschiedenen Seiten, von Privaten und fürstlichen Höfen, auf die Exegesis aufmerksam gemacht, sich mit dem Inhalt derselben bekannt gemacht hatte.

 Er war sofort entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Gleich bei der ersten Untersuchung, die er anstellen liess, stellte sich heraus, dass Vögelin in Leipzig sie herausgegeben, dass die Wittenberger ihren Inhalt nicht verwerflich gefunden, dass die Schrift in Wittenberg verkauft und von den dortigen Professoren den Studierenden empfohlen worden war. Aufgefangene Briefe der Wittenberger kamen hinzu, welche den Kurfürsten in dem Verdacht bestärkten, dass die Wittenberger die Schrift verfasst hätten. Damit war ihm der Beweis geliefert, dass sie ihn bis dahin getäuscht hatten, und das verargte er ihnen um so mehr, als er in den letzten Jahren zu wiederholten Malen Verdacht gegen sie ausgesprochen, den sie immer wieder zu zerstreuen gewusst hatten; und als er sie zu wiederholten Malen hatte warnen lassen. Sein Unwille traf vor Allen seinen Leibarzt Dr. Peucer, den liess er am 1. April 1574 verhaften und die bei ihm vorgefundene Correspondenz| liess er wegnehmen. In rascher Folge reihte sich die Verhaftung des Hofpredigers Dr. Schütz, des Dr. Stössel und des Geheimen-Raths Dr. Cracau an[50].

 Nachdem dann durch eine Commission von Hof- und Landräthen der Process gegen diese vier Männer eingeleitet worden war, berief der Kurfürst (im Mai) die Landstände nach Torgau, liess ihnen alle auf diese Sachen bezüglichen Documente vorlegen, und forderte sie auf zu einem Gutachten über die Weise, wie er sich zu den angeklagten Personen, als den Anstiftern dieser Sache, verhalten solle, und über die Mittel, die zur Verhütung eines Einreissens der sacramentirischen Lehre in seinen Landen zu ergreifen seien. Die Aufgabe der Landstände war also eine doppelte. Der ersteren entledigten sie sich nicht zur Zufriedenheit des Kurfürsten[51]. Sie fanden zwar die vier genannten Männer strafbar, trugen aber doch auf eine mildere Behandlung derselben an, als dem Kurfürsten angezeigt schien. In Betreff des anderen Punktes ging ihre Meinung dahin, der Kurfürst solle allerdings Massregeln treffen, durch welche die reine Lehre im Lande in Geltung bliebe.

 Dafür hatte der Kurfürst schon Vorsorge getroffen. Er hatte von einer Anzahl von Superintendenten von Dresden, Leipzig und Torgau ein Bekenntniss vom Abendmahl fertigen lassen. Dieses wurde sämmtlichen Wittenberger und Leipziger Theologen,| welche der Kurfürst noch im Juni hatte nach Torgau kommen lassen, zur Unterschrift vorgelegt, zugleich mit vier Fragstücken, welche sie mit Ja oder Nein beantworten sollten. Mit diesen Theologen wurden nun weitläufige Verhöre angestellt. Sie unterschrieben zuletzt sämmtlich, mit Ausnahme von vieren, den Theologen Cruziger, Möller, Pezel und Widebram. Diese wurden sofort verhaftet, erst in Torgau, dann in Leipzig in Haft gehalten, und weiteren Verhören unterstellt. Nachdem endlich auch sie die Artikel unterschrieben hatten, freilich mit einem Vorbehalt, der indessen nicht der Unterschrift beigefügt war, und dem Kurfürsten trotz gegebener Zusage verschwiegen wurde[52], wurden sie nach Wittenberg entlassen, aber mit der Auflage, sich daselbst still zu verhalten und die Stadt nicht zu verlassen.

 Nachdem das geschehen war, schloss die in Torgau niedergesetzte Commission ihre Thätigkeit am 22. Juni 1574, nachdem sie zuvor dem Kurfürsten über den ganzen Verlauf der stattgehabten Verhandlungen Bericht erstattet, und daran Vorschläge für fernere Sicherung des Bekenntnisses geknüpft hatten.

 Die Entschlüsse, welche der Kurfürst jetzt fasste, waren die: die vier Wittenberger Theologen entsetzte er ihres Amtes und verwies sie des Landes; die Theologen Schütz und Stössel, den Leibarzt Peucer und den Geheimen-Rath Cracau behielt er in Haft, weil er sie als die eigentlichen Rädelsführer betrachtete, welche ihn planmässig getäuscht und falsche Lehre wissentlich in das Land einzuführen versucht hätten. Zwei von ihnen starben im Gefängnisse, Cracau 1575, Stössel 1576, die beiden anderen wurden nach vielen Jahren erst entlassen, Peucer 1586, Schütz 1589 [53].

 Welches sind nun aber die Thatsachen, welche sich bei dieser Untersuchung herausgestellt haben?

|  Nach der Ueberzeugung des Kurfürsten und der lutherischen Geschichtschreiber dieser Zeit sind es die, dass seit geraumer Zeit der Plan bestanden habe, die Lehre Luthers vom Abendmahl zu verdrängen und die calvinische Lehre im Lande zur Geltung zu bringen[54]. Der Geheime-Rath Cracau, die Theologen Stössel und Schütz, der Leibarzt Peucer, nahm er als bewiesen an, waren die Häupter dieser Verschwörung, und trieben an den Wittenberger und Leipziger Theologen, mit ihrem Bekenntniss nicht länger zurückzuhalten. Dieses hatten sie nun abgelegt in der Exegesis perspicua, in der Hoffnung, der Kurfürst, der von jenen Führern bearbeitet worden war, werde sich dasselbe gefallen lassen. Das alles haben aber die Angeklagten in Abrede gestellt. Sie wollten von keinem Plan wissen, der geschmiedet worden sei, sie läugneten es, dass die Exegesis aus ihrer Mitte hervorgegangen sei, und sie behaupteten, nie hätten sie eine andere Lehre zur Geltung zu bringen gesucht als die melanchthonische, welche in dem im Land geltenden Corpus doctrinae Misnicum zum Ausdruck gekommen sei.
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 Hat die Untersuchung das Gegentheil von dem allem erwiesen? Die Untersuchung führte doch zu einem anderen Resultat. Das zwar haben wir schon anerkannt, dass der positive Beweis dafür, dass die Exegesis von den Wittenbergern ausgegangen sei, fehlt. Darauf hin ist in Torgau auch gar nicht mehr inquirirt worden, wahrscheinlich weil der Kurfürst den Ständen in Torgau diesen Punkt gar nicht als Gegenstand der Untersuchung bezeichnet hatte, aber die übrigen Anklagepunkte sind doch von den zur Untersuchung bestellten Ständen auf Grund der ihnen vorgelegten Dokumente als begründet anerkannt worden. Schon die in Dresden niedergesetzte Landescommission hatte anerkannt, dass aller Grund zu dem Verdacht vorläge, welcher gegen die vier verhafteten| Personen erhoben worden sei[55], das Urtheil der Torgauer Landstände (vom 27. Juni) geht aber dahin[56], „sie hätten mit Schmerz aus den übergebenen Schriften der bestrickten Personen und aus anderen Schriften, auch aus der Herrn Hofräthe Bedenken vernommen, dass etliche, so vortrefflich gelehrte, mit sondern hohen donis herrlich begabte Personen solchergestalt in grossen Irrthum und Verbrechung gegen Gott und den Kurfürsten gefallen. Wenn sie nun recht bedächten, wie mit ganz beschwerlichen gegen des Kurfürsten Kirchen, Schulen, Landen und Leuten, vornemlich auch die unschuldige Jugend und Nachkommen, und überaus gefährlichen Praktiken und Anschlägen sie umgegangen, und dieselben, da sie die ohne Zweifel gehoffte Gelegenheit dazu erlangt, ins Werk zu richten, sie an ihnen gar nichts würden haben erwinden lassen wollen, so könnten sie bei sich nicht erachten, dass der Kurfürst an dem, was er bisher gegen die bestrickten Personen vorgenommen, den Dingen in etwas zu viel, sondern viel eher den Bestrickten ihrer eigenen geschworenen Bekenntnissen, Obligationen, auch sonst anderen Umständen nach, gar milde und gnädige Erzeigung gethan.“

 Fassen wir aber die Verhöre ins Auge, welche mit den Wittenbergern angestellt worden sind, so liefern diese doch genug gravirende Thatsachen[57].

 Ein Brief Stössels an Widebram enthält die Mahnung an diesen, er möge den Beza lesen, und eine Klage über den Hass, den man gegen diesen Theologen hege, zugleich die harte Anklage gegen Luther, dass er viele Leute mit der Lehre vom Sacrament verführt habe.

 Derselbe Theologe klagt über das Weiberregiment am Hofe, von welchem das Lutherthum unterstützt werde[58], theilt auch| dem Theologen Schütz mit, was er mit dem Kurfürsten in der Beichte geredet habe.

 Beide, Schütz und Stössel, äussern sich wohlgefällig über die Exegesis, und gegen die manducatio indignorum.

 Peucer tröstete den Schütz, dass, so wenig die Lehre in Belgien und Frankreich habe gedämpft werden können, so wenig werde es hier geschehen können; auf ihrer Seite stünden gelehrte und treffliche Männer. Er drückte sein Bedauern darüber aus, dass der Catechismus verboten sei, und wünschte sich, falls die Grundveste untergehen sollte, von Wittenberg weg. Die Lehre, dass Christus im Abendmahl seinen Leib darreiche, nennt er eine Blasphemie.

 Cracau bekannte auch, er halte es nicht mit denen, welche Christi menschliche Natur allmächtig machten; theilte dem Peucer heimlich mit, was der Kurfürst vorhabe und schrieb ihm, er werde ihm mündlich berichten, was er vorgehabt und ausgerichtet.

 Bei Schütz fand sich auch das Concept eines Schreibens an die beiden Landesuniversitäten, worin er über den neuen Hofprediger klagt, welcher die Calvinisten von der Kanzel herab schmähe, und die Lehre von der mündlichen Niessung der Ungläubigen vortrage[59].

 Einen weiteren Einblick gewährt ein Bericht des Kurfürsten über Peucer. Darin erzählt der Kurfürst, dass er 1571 bei Gelegenheit der Taufe seines Sohnes, bei welcher Peucer als Taufzeuge zugegen war, diesem vorgehalten habe, es gehe das Gerücht, als habe er den Wittenberger Catechismus, welcher damals schon unterdrückt war, den Professoren zur Einführung in den Schulen anbefohlen, Peucer habe das in Abrede gestellt, später aber sei ihm, dem Kurfürsten, in Schulpforta ein Brief von Peucer, welcher dieses Gerücht bestätigte, vorgelegt worden, das habe er später bei der Durchreise durch Wittenberg dem Peucer vorhalten lassen, dieser aber habe seine Handschrift verläugnet[60], worauf der Kurfürst ihm die Weisung habe zugehen| lassen, er solle seiner Arznei warten und das Harnglas besehen, und der theologischen Sachen müssig gehen. Endlich erwähnt der Kurfürst auch jenes bei Peucer vorgefundenen Briefes an Schütz, worin er diesen ermahnt, die von ihm empfangenen Briefe jedesmal zu zerreissen, und die Hoffnung ausspricht, die zerbrochene und niedergeworfene Kirche werde durch Dr. Cracau wieder gebaut und aufgerichtet werden[61].“
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 An diese Thatsachen reihen wir absichtlich nicht die Bekenntnisse an, welche die Verhafteten bei den Verhören ablegten, denn diese haben sie nachher zum Theil wenigstens widerrufen, und sie verdienen keinen vollen Glauben, weil der Verdacht vorliegt, dass sie ihnen abgepresst worden sind. Die beigebrachten Thatsachen sind Beweis genug dafür, dass sie den Eingang calvinistischer Lehre in den kursächsischen Landen begünstigten, nur darüber| kann man noch zweifeln, ob sie dabei ganz so planmässig verfahren sind, als der Kurfürst annahm.

 Wenden wir uns von ihnen zu den Aussagen, welche die Wittenberger Theologen in Torgau abgegeben haben. Sie liefern den Beweis, dass dieselben der lutherischen Lehre sehr fern standen.

 Ihnen waren jene vorhin erwähnten Artikel über das Abendmahl (articuli affirmativi et negativi) zur Unterschrift vorgelegt[62]| und vier Fragen an sie gestellt worden, welche sie mit Ja oder Nein beantworten sollten. Die dritte Frage lautete dahin, ob sie die Lehre Luthers glaubten und annähmen, wie diese namentlich in seinen vier Schriften „wider die himmlischen Propheten,“ dass die Worte, „dass ist mein Leib“ noch feststehen, im grossen Bekenntniss, und dem kurzen und letzten Bekenntniss enthalten sei? Sie unterschrieben weder die Artikel, noch bejahten sie die vorgelegten Fragen.

 Sie erklärten, um nur die Hauptpunkte anzuführen, sie könnten eine mündliche Niessung und eine Niessung der Unwürdigen nicht annehmen, sie verständen die κοινωνία, deren der Apostel Paulus erwähne, von der geistlichen Gemeinschaft mit Christo; der Unterschied zwischen der Lehre Luthers und der Calvinisten sei nur einer in den Ausdrücken; die Schriften Luthers müssten nach dem Corpus doctrinae Philippi ausgelegt werden[63].

 Ganz so erklärten sich in den mündlichen Verhören[64] auch Solche, welche nachher doch, aber mit Restriktionen unterschrieben. So Cruciger: die vier Streitbücher Luthers seien geschrieben, als Luther das Papsthum noch nicht gar los war; Calvini phrases seien nicht wider sie; er denke nicht, dass Luthers letztes Bekenntniss ein solches sei, auf das zu fussen sei; Luthers Streitschriften müssten nach dem Corpore doctrinae regulirt werden.| So erklärte Möller, die sacramentarii seien noch nicht gehört und ungehörter Sachen wollten sie dieselben nicht verdammen.

 Aus diesen Erklärungen geht doch mit Bestimmtheit hervor, dass diese Theologen die Lehre Luthers vom Abendmahl verwarfen. Sie benützten freilich die dem Corpus doctrinae Misnicum bis dahin gewordene Anerkennung klüglich, um daraus die Folgerung zu ziehen, dass man Luthers Lehre nach diesem auszulegen habe, aber dazu hatten sie kein Recht: denn dieses Corpus doctrinae war nur unter der Voraussetzung eingeführt worden, dass es mit der Lehre Luthers übereinstimme. Sie behaupteten freilich, bei der Lehre Melanchthons zu verharren, aber diese fiel nach ihrem eigenen Geständniss mit der Lehre Calvins zusammen, sonach war der gleiche Gegensatz, der zwischen der Lehre Luthers und der Calvins war, auch zwischen ihrer Lehre und der Luthers.

 Dieser Auffassung entsprach nun auch die Stellung, welche die Wittenberger und Leipziger zu den reformirten Theologen und diese zu ihnen einnahmen. Sie wussten sich in der Lehre eins, sie standen darum in regem und vertraulichem Verkehr mit ihnen, sie lasen viel die Schriften der Reformirten und verbreiteten sie in ihren Kreisen. Die Reformirten aber sahen die Sache der Wittenberger als die ihrige an und verfolgten den Verlauf der Dinge in Kursachsen sehr aufmerksam. Diess erhellt am deutlichsten aus den Briefen des Heidelberger Theologen Ursinus an Heinrich Bullinger in Zürich, welche Heppe (im Anhang zum II. Theil seiner Geschichte des Protestantismus) mittheilt. Diese Briefe liefern zugleich den Beweis, dass man das Verhalten der kursächsischen Theologen zu dem Kurfürsten nicht anders deutete als in den lutherischen Kreisen, und als es der Kurfürst selbst deutete, dahin nemlich, dass sie mit ihrem Bekenntniss lange zurückgehalten, lange also den Kurfürsten getäuscht hätten.

 Die Briefe sind aus den Jahren 1572–1574. In dem ersten, vom 23. August 1572, gedenkt Ursinus der schon erwähnten Vorgänge zwischen Peucer und dem Kurfürsten in Wittenberg; berichtet er von den Anklagen, welche gegen Peucer und Pezel erhoben worden seien, als wären sie Calvinisten, fügt aber hinzu,| dass der Kurfürst, nachdem er ihre Verantwortung angehört, sie in Gnaden entlassen, und dass Peucer geäussert habe, wenn es bei dem verbleibe, was er jetzt von der Sinnesweise des Kurfürsten erfahren habe, so wolle er diese Tage segnen. Ursinus erzählt eine Anekdote, welche beweist, welches Misstrauen der Kurfürst damals hegte. Er hatte den jüngeren Cranach beauftragt, ihm die berühmten Wittenberger Professoren zu malen, im Scherz aber hinzugefügt, er solle sich hüten, darunter einen Calvinisten zu malen, und auf die Erwiederung des Cranach, er könne das nicht so gewiss wissen, entgegnet: als ob er sie nicht kennte! Endlich berichtet er, dass die Freunde eben verschieden seien, die Einen gingen offener mit der Sprache heraus, die Anderen seien schüchterner, was mit den Umständen zu entschuldigen sei, er hofft aber doch auch von diesen, weil sie gelehrt und fromm, sie würden, wenn sie die Sache auch nicht förderten, doch nichts gegen dieselbe thun, und er freut sich, dass die Besten und Gelehrtesten der Universität dieser Sache zugethan wären, auch hat er die Zuversicht, dass bei der grossen Frequenz der Universität die Sache dadurch in weiten Kreisen Verbreitung finden werde[65].
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 Erinnert man sich endlich, dass Eber selbst dem Peucer schon im Jahre 1562 gestanden hat, er halte die Lehre der Schweizer für die wahre, und dass dieselben, welche jetzt behaupteten, die Lehre Luthers und die Calvins sei nur in den Ausdrücken verschieden, im Jahre 1563 dem Kurfürsten versicherten, Calvins Lehre vom Abendmahl sei von der ihrigen so weit entfernt, wie der Himmel von der Erde, so wird man auch nicht in Abrede stellen können, dass sie lange Jahre hindurch den Kurfürsten mit ihrem Bekenntniss getäuscht haben. Und das ist auch von Solchen anerkannt worden, welche in der Sache auf| ihrer Seite standen, von Johann Sturm in Strassburg, der von ihnen sagte, sie hätten sich gegen den Kurfürsten dadurch, dass sie ihm nicht die Wahrheit gesagt hätten, schwer versündigt[66]; von dem Landgrafen Wilhelm von Hessen, welcher sich für sie bei dem Kurfürsten verwendet hatte[67], und von Anderen[68].
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 Dass der Kurfürst nach solchen Entdeckungen ernstlich einschritt, lag in seiner Regentenpflicht, wie er sie damals mit allen Fürsten auffaste. Darum können wir ihn nicht tadeln, das müssen wir ihm vielmehr zum Lob anrechnen. Dass er aber mit solcher Strenge, ja Grausamkeit, mit denen, welche er für die Rädelsführer hielt, verfuhr, und dass er ihnen den Missbrauch seines Vertrauens, den sie sich hatten zu Schulden kommen lassen, so lange nachtrug, wer wird diess nicht strengstens tadeln? Schwereren Tadel aber noch verdienen die Theologen, welche mit den Verhafteten verkehrten, um der Weise willen, wie sie ihnen zusetzten und wie sie dieselben behandelten. Das Verbrechen dieser Männer hatte darin bestanden, dass sie ihre calvinische Gesinnung dem Kurfürsten verheimlicht und calvinische Lehre in das Land hatten einführen wollen. Für dieses Verbrechen waren sie genugsam bestraft, jene Theologen aber machten ihnen daraus, dass sie diese Ueberzeugung hatten, ein Verbrechen und handelten mit ihnen wie mit verstockten Sündern. Davon weiss Peucer in seiner historia carcerum viel zu erzählen, und tiefes Mitleid ergreift uns, wenn wir lesen, welche Seelenqualen der geplagte Mann zu erdulden hatte, der der Haft so gern hätte los sein mögen und doch die Freiheit nicht mit Verläugnung seiner| Ueberzeugung erkaufen wollte. Wenn die Gespräche, welche Peucer erzählt, wahr sind, wenn insbesondere das mit Andreä und Selneccer gepflogene Gespräch war, wie Peucer berichtet[69], so fällt ein tiefer Schatten auf diese Theologen.



  1. Die Vorrede in Pezel’s consilia Melanchthonis. II, 381.
  2. Die Erklärung im Auszug bei Salig III, 657. Lateinisch wurde sie 1575 in Heidelberg gedruckt, und diese nahm Hospinian in seine hist. sacramentaria auf. II, 291. Planck glaubt aber, der Kurfürst habe sie, bevor er sie den Fürsten mittheilte, von seinen Theologen noch etwas verändern lassen. II. 2, 455.
  3. Historie des Sacramentstreits p. 707.
  4. II, 2, 470.
  5. Das responsum in Historie des Sacramentstreits p. 701 ff.
  6. Sie führte den Titel: defensio orthodoxae sententiae ministrorum ecclesiae Claudiopolitanae.
  7. Peucer, tractatus historicus de Melanchthonis sententia de controversia coenae. 1596. p. 37 (bei Hospinian II, 294).
  8. Aus Briefen, die sich handschriftlich auf der Göttinger Bibliothek befinden. Planck. II, 2. 496.
  9. In conc. concors c. II. p. 45.
  10. Peucer, tractatus historicus etc. p. 38. Profecti hi itaque Dresdam, cum ante iter illud recte et constanter sentire de coena Domini, et nulla pericula extimescere, fortes ante proelium, nulla reformidare odia vel exilia videri vellent: mox uno momento mutati, repudiato eo, quod pro vero et certo habuerant, amplexi sunt contrarium; non aliis, ut ferebant impulsi causis, quam metu exaggeratorum periculorum, ne odia conflarent nova, aut bella his terris attraherent. Liberarunt ergo suspicione academiam, cum jactura abnegatae veritatis, contra conscientiam. – Peucer erzählt noch, diesen Abfall Ebers habe sich sein Diakon Sturio so zu Herzen gezogen, dass er bald darauf gestorben sei.
  11. Unterricht und Bekenntniss vom heiligen Sacrament des Leibes und Blutes Christi. Hospinian, Wigand, Löscher und Planck setzen alle diese Schrift in das Jahr 1563. Sixt freilich (Dr. Paul Eber) sucht nachzuweisen, dass sie schon im Jahr 1562 ausgegeben worden ist. Es spricht allerdings manches dafür, vor allem das Zeugniss Ebers selbst, der in einem Brief vom 10. Oct. 1562 an seinen Freund schreibt: scriptum de coena jam sub prelo est et ante Martini ut spero absolvetur (bei Sixt Beil. XXXV) und der in einem anderen Brief vom 6. Januar 1563 der verschiedenen Urtheile gedenkt, welche seine Schrift bereits erfahren habe (Beil. XXXVI). Ich weiss diese Angaben aber nicht mit der Notiz Ebers in einem anderen Brief vom 1. März 1563 (Beil. XXXVII) zu vereinbaren, dass er im verflossenen Sommer (1562) eine lateinische Uebersetzung dieser Schrift zu fertigen veranlasst worden sei. Darnach müsste man ja annehmen, dass die deutsche Ausgabe in eine viel frühere Zeit fällt, was sich nicht mit dem Brief (Beil. XXXV) reimte, oder man müsste annehmen, dass in diesem Brief bereits die Uebersetzung gemeint sei, was doch auch nicht angeht. Ich gestehe, dass diese Angaben mich so [252] verwirren, dass ich zu keiner Ueberzeugung über das Jahr der Abfassung der Schrift gelangen kann.
     Fiele die Schrift noch in das Jahr 1562 oder in den Anfang des Jahres 1563, so müsste der in Eulenburg abgefasste Bericht in die Zeit nach Abfassung der Schrift über das Abendmahl fallen. Sixt legt auf diesen Unterschied einen Werth, für mich hat er geringen Werth, denn bei meinem Urtheil über die Schrift vom Abendmahl konnte Eber gleich gut vor wie nach dieser Schrift jenen Bericht abstatten. Darnach ist auch mein Urtheil über Eber selbst ungünstiger als das Sixts, der annimmt, dass Eber im Jahr 1562 über die Wahrheit der lutherischen Auffassungsweise ganz mit sich ins Reine gekommen sei, und keiner unredlichen Zurückhaltung sich schuldig gemacht habe. Es wäre aber für Eber nicht viel gewonnen, wenn er auch wirklich in seiner Schrift vom Abendmahl ganz aufrichtig der lutherischen Lehre zugefallen wäre. Sixt nimmt ja doch drei Abstufungen in den Ansichten Ebers an. Noch im Jahr 1556 sei er Zwinglianer gewesen, später, bis 1562, habe er sich auf dem calvinischen Standpunkt befunden. Hat er denn aber vor dem Jahre 1562 eingestanden, dass er auf dem calvinischen Standpunkt stehe, hat er nicht vielmehr zu allen Zeiten als Theologe des lutherischen Bekenntnisses vom Abendmahl gelten wollen?
  12. Er unterschied zwischen indignis und impiis (Atheis, Epicuraeis) und nahm an, dass die Letzteren den Leib Christi nicht empfingen. Hutter (conc. conc. II, 48) nennt das eine ganz neue Meinung. Das war sie aber nicht, denn bei Gelegenheit der Verhandlungen über die Wittenberger Concordie hatte Bucer eine ähnliche Unterscheidung gemacht. Gegen diese Meinung Ebers erschienen Censuren von Wigand, Musaeus, Judex, Westphal. cf. Wigand, de sacramentariismo. p. 391–397.
  13. Peucer, tractatus hist. etc. p. 39.
  14. Die reichhaltigsten bei Sixt. Dr. Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Heidelberg 1843. p. 135 sq.
  15. Von dieser Zeit an war Spannung zwischen Peucer und Eber. Berichtet der Erstere recht, so war Eber bösen Gewissens und hat sich verleiten lassen, einen Groll auf Peucer zu werfen: denn dieser berichtet: coepit ab ea mutatione Eberus me et alios quosdam odisse, nulla tamen lacessitus culpa nostra et a me multos bonos viros abalienavit. Imo ne apud principes quidem mihi pepercit, sed quos potuit in me concitavit. De qua re cum, adhibito teste D. Majore, eum compellassem et ostendissem, me non posse ea facilitate agnitam veritatem [254] abjicere, qua ipse abjecisset, tacuit prorsus consternatus, ut exanimi similis videretur, sed nullum deinceps verbum amplius de hac controversia intercessit, me omnia dissimulante et ipsum ut pastorem colente.“ Peucer bemerkt auch noch, unmittelbar vor seinem Tod habe er ihn zu sich rufen lassen und als er gekommen, zu sprechen versucht. Seine Kräfte seien aber zu schwach gewesen.
  16. Wigand, de sacramentariismo. p. 390 b.
  17. Wigand p. 390b u. 391.
  18. Paul Eber p. 162.
  19. Die Schriften waren ohne Frage die aus den Jahren 1562 u. 64, welche sich auf die Ubiquität bezogen.
  20. Das Gutachten der Wittenberger (vom 25. April 1564) bei Hutter, conc. conc. p. 49 sqq. Die Censur der Würtemberger, unterschrieben von Brenz und Andreä, ibid. p. 61 sqq.
  21. Gieseler, Kirchengeschichte III, 2. p. 253.
  22. cf. die Antwort Ebers und G. Majors auf die Vorschläge des Andreä bei Hutter 1569 c. c. p. 105 sq. und die Antwort, welche dieselben Theologen ihm 1570 gaben, ibid. p. 118 sq.
  23. Catechesis, continens explicationem simplicem et brevem decalogi, symboli apostolici, orationis Dominicae, doctrinae de poenitentia et sacramentis, contexta ex corpore doctrinae christianae, quod amplectuntur et tuentur ecclesiae regionum Saxonicarum et Misnicarum, quae sunt subjectae ditioni ducis electoris Saxoniae etc. Edita in academia Wittebergensi et accommodata ad usum scholarum puerilium. 1571. Nach Planck (II, 2. 572. not.) ist es zweifelhaft, ob der letztere Satz schon in der ersten Ausgabe stand.
  24. Calinich Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen in d. J. 1570 bis 1574, und die Schicksale seiner vornehmsten Häupter. 1866 p. 37 sq.
  25. Wigand, de sacramentariismo p. 405. Nach Calinich führte die Schrift den Titel: Warnung vor dem unreinen und sacramentirischen Catechismo Etlicher zu Wittenberg durch die Theologen zu Jena. Jen. a. 1571. Die Auszüge bei Wigand stimmen mit denen bei Calinich p. 40–55 überein.
  26. Coena est communio corporis, et sanguinis Christi, sicut in verbis evangelii instituta est, in qua sumtione filius Dei vere et substantialiter adest et testatur, se applicare credentibus sua beneficia.
  27. Der Titel: Von der Person und Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi, der wahren christlichen Kirchen Grundvest wider die neuen Marcioniten, Samosatener, Sabellianer, Arianer, Nestorianer, Eutychianer und Monotheleten unter dem Flacianischen Haufen, durch die Theologen zu Wittenberg aus der heil. Schrift, aus den Symbolis, aus den fürnehmsten Conciliis und einhelligem Consensus aller bewährten Lehrer wiederholt und gestellt zu treuer Lehre und ernster Verwarnung an alle fromme und Gottselige Christen. Neben wahrhafter Verantwortung auf die giftigen und boshaften Verläumdungen, so von den propositionibus und Catechismo, zu Wittenberg ausgegangen, von vielen dieser Zeit ausgesprengt worden. Wittenberg 1571.
  28. Vorangegangen waren zur Vertheidigung des Catechismus noch andere Schriften. Ueber sie, wie über die anderen Schriften, in denen der Catechismus angegriffen war, cf. Calinich l. c. p. 55–64.
  29. Ibid. p. 67.
  30. Die bedeutendste war eine Confession der gesammten niedersächsischen Kirche. Planck II, 2, 585.
  31. Nach Calinich (p. 75) hatten die Wittenberger selbst schon am 16. September den Kurfürsten gebeten, er wolle von der Universität Leipzig, den drei Consistorien und den vornehmsten Theologen, Doctoren und Superintendenten des Landes ein Bedenken über ihr Bekenntniss vom heil. Abendmahl einfordern.
  32. Hutter, Concord. conc. p. 162.
  33. Ibid. p. 163 sq. Der Consensus selbst scheint ganz in Hospinians Concordia discors p. 186 sq. abgedruckt zu sein.
  34. Wigand, de sacramentariismo, sagt freilich, Selneccer habe berichtet, vornehme Superintendenten hätten geklagt, dass man auf sie nicht gehört habe, und auf einem Convent zu Lichtenberg hätten sie dem Kurfürsten selbst bekannt, sie seien dort betrogen worden.
  35. Hutter, Conc. conc. p. 166. Auf Pfeffingers Antrieb soll die Berufung geschehen sein.
  36. Die näheren Vorgänge bei Calinich p. 88 sq.
  37. Neu herausgegeben von D. Schäffer. Marburg 1853.
  38. Die Akten des Verhörs bei Löscher hist. mot. III, 195 und bei Calinich p. 107 sq.
  39. Heppe, Kritisch-historische Abhandlung über die im Jahr 1574 zu Leipzig erschienene Schrift .. und über den in diesem Jahr erfolgten Sturz der Philippisten in Kursachsen. Beilage zum 2. Band seiner Geschichte des deutschen Protestantismus.
  40. Hospinian, hist. sacr. p. 347. Theologi Wittebergenses ediderunt exegesin perspicuam. So auch in Concordia discors. p. 23.
  41. Wigand de sacram. p. 409 b. Insuper deprehensos in scelere audio fabulam fingere .. esse quendam auctorem nebulosi istius scripti procul in alia regione extra territorium, in quo vivunt, et eum quidem esse mortuum. Sic mendaciis mendacia cumulantur. Hutter, Conc. conc. p. 172. Postmodum (Wittebergenses) autorem exegeseos confinxerunt alium et quidem professione medicum, Silesium, J. Curaeum.
  42. Wigand l. c. 409 b. ist der Genauere, denn er sagt von dem Autor: eum esse mortuum.
  43. Calinich p. 104.
  44. Die Analyse der Wigandischen Schrift in Wigand de sacram. p. 409.
  45. Wigand l. c. 409. Prodiit typis excusa quaedam exegesis de coena Domini in quam tota doctrina sacramentariorum et omnia ipsorum argumenta in unum quasi acervum summo studio ac labore congesta sunt.
  46. p. 15. Constanter igitur physicam illam communicationem proprietatum in naturis explodimus.
  47. Testimonium contra omnes Fanaticos et Enthusiastas, qui fingunt hanc sacrae coenae administrationem tantum esse repraesentationem quasi scenicam Christi absentis, aut nudam picturam significantem quid divini, aut tantum notam professionis, sicut toga discernebat Romanum a Graeco. Neque concedunt has sacras actiones esse organa, per quae spiritus sanctus in credentibus sit efficax. E contra nos statuimus, Christum, ut in ministerio, vere piis esse praesentem et cum hac sumtione vere eis praestare, quae promittit evangelium.
  48. Praesentia, quae homini salutaris est.
  49. Handbuch der chr. Kirchen- und Dogmengeschichte III, 241.
  50. Eine eingehende Darlegung aller auf diese Angelegenheit bezüglichen Handlungen auf Grund der im Dresdner Archiv befindlichen Originalakten gibt Calinich in seiner Schrift: Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen in den Jahren 1570–1574. Leipzig 1866.
  51. In dem eigenhändigen Aufsatz des Kurfürsten (Bedenken Kurfürst Augusti mit eigner Hand geschrieben, von etlichen Artikeln, welche in dem Abschied zu Torgau gehandelt worden, d. d. 28. Mai), welcher den Ständen vorgelesen wurde, heisst es: „Und dieweil die Räthe in ihrem Bedenken so kaltsinnig, so könnte gleichwol, so viel die bestrickten Personen anlangt, ihnen zu einer Erinnerung das eingebildet werden, dass beide Pfaffen meine Beichtväter und Seelsorger gewesen, Dr. Peucer mein Leibarzt, dem ich meinen Leib, mein Weib und Kind vertrauet, Dr. Cracau mein geheimster Rath in allen weltlichen Händeln. Von welchen allen ich schändlich und böslich bin betrogen, in dem, dass ich sie für fromme, redliche Leute angesehen und aus ihren Handlungen doch das Gegentheil befunden für eins“ Hutter p. 233.
  52. Der Vorbehalt war, dass sie die Torgauer Artikel nur so weit approbirten, als dieselben mit dem Corpus doctrinae und dem Dresdner Consensus übereinstimmten. Calinich p. 163.
  53. Ueber das Schicksal dieser vier Männer berichtet Calinich ausführlich p. 173–304. Ueber Peucer auch Gillet, Crato von Kraftheim I. u. II., 1860, auch Th. Henke: Akademische Reden und Vorlesungen. Caspar Peucer und Nicolaus Krell. 1865.
  54. Der Kurfürst formulirte in dem Schreiben an die Stände vom 24. Mai 1574 die Klage ging dahin: „derselbigen Leute Gedanken sind dahin gestanden, Lutheri Meinung und Lehre in diesem Artikel vom heiligen Abendmahl aus der Leute Gemüther und Herzen zu bringen, und dagegen eine andere allmählich und gemachsam in das gemeine Volk zu streuen, und Sr. Kurfürst. Gnaden Schulen und Kirchen damit zu vergiften und anzuzünden. Hutter l. c. p. 177.
  55. Calinich p. 117 sq.
  56. Ibid. p. 133.
  57. Die Verhöre bei Löscher hist. mot. III, 167; bei Calinich p. 155 sq. Aus denselben Quellen wie Calinich hat auch Löscher schon geschöpft.
  58. Die Kurfürstin Anna war die entschiedenste Vertreterin des Lutherthums, daher auch Peucer schrieb: wenn wir nur Mutter Anna auf unserer Seite hätten, so sollte es nicht Noth haben.“ Bei Gillet, Crato von Kraftheim I, p. 432.
  59. cf. Heppe II, 428. Anm. Von ihm aus einem Manuscript mitgetheilt, in welchem am Rand bemerkt war, dass er nicht abgeschickt worden.
  60. Peucer musste das in den mit ihm angestellten Verhören nachmals selbst zugestehen, und wusste zu seiner Entschuldigung nichts anzuführen, [285] als dass er sich dieses Briefes nicht mehr erinnert habe, und zudem denselben in einer Zeit geschrieben habe, in der er noch nicht gewusst, dass der Kurfürst den Catechismus unterdrückt wissen wollte. Peuceri historia carcerum et liberationis divinae. p. 443.
  61. Der Bericht, der an die Stände erlassenen Proposition beigelegt, bei Hutter p. 234. Dass der Kurfürst um die Zeit von 1571 schon Verdacht schöpfte, geht auch aus einem Brief des Superintendenten Gresser an Selneccer, seinen Schwiegersohn, hervor, (dd. 3. Oct. 1571), worin dieser ihm berichtet, der Kurfürst sei über die Wittenberger, wegen der von ihnen herausgegebenen Schriften, übel zu sprechen, und habe die Aeusserung gethan, er wollte sichs 20,000 Gulden kosten lassen, wenn diese Bücher nicht wären ausgegeben worden. Er berichtet auch, dass der Catechismus unterdrückt und den Lehrern anbefohlen sei, ihn nicht weiter zu brauchen. Von den leitenden Personen sagt er aber folgendes: Peucerus Pilatum agit et manus lavat, quo testatur, se nihil habere commercii cum istis libris. Dicit enim, se non esse theologum sed medicum, cum tamen omnem moverit rudentem cum Christiano aulico concionatore, ut omnibus scholis mandaretur praelegere illum catechismum, sed nunc utrique succenset elector et Christianus (Schütz) acriter quidem reprehensus est ab electore sed magis ab electrice, quae colloquium petentem eum repulit. Cracovius, qui haud obscure Wittebergensium partes juvare visus est, jam mussat, et ne electori suspectus sit, sententiae suae confessionem scriptum Philippo Wagnero exhibuit, de qua Ph. fatetur, eam reprehendi non posse, sed non pridem eam cecinit cantilenam. Stoesselius callide Wittebergensium scripta bonam in partem interpretatus esse dicitur. Nondum enim scivit, ea non placere electori. Es ist ein Weltmann.“ Bei Löscher p. 168.
  62. Mit diesen Artikeln hat es freilich eine eigene Bewandtniss, welche früh bemerkt wurde. Es wird darin einerseits zwar das Brod im Sacrament der Leib Christi genannt, die manducatio oralis und der Genuss auch von Seite der Ungläubigen bekannt. Andererseits aber findet darin an manchen Stellen eine Berufung auf Luther und Melanchthon Statt. Die Lehre wird einigemale mit den Worten Melanchthons gegeben, das Auffallendste aber ist, dass darin die carnis ubiquitas verworfen wird. Heppe thut indess doch der Sache zu viel, wenn er sagt, die Acte beweise thatsächlich, dass die kursächsischen Kirchenobern nur im Zustand absoluter Bewusstlosigkeit die Verdammung des Philippismus ausgesprochen hätten (II, 433). Die Sache ist vielmehr die: die Verfasser der Artikel gehen von der Voraussetzung aus, dass Melanchthon in der Lehre mit Luther einig gewesen sei, und unterscheiden also dessen Lehre von der, welche sie bei den jetzigen Philippisten fanden. In gewissem Sinn war ja diese Voraussetzung auch statthaft. Sie konnten immerhin für die praesentia substantialis et veri corporis sich auf Luther, Melanchthon und Pomeranus berufen, und so liessen sich auch die Stellen, welche wenigstens an Melanchthon anklingen, noch in gutem Sinn auslegen: aber weil sie auch in verfänglichem Sinn ausgelegt werden konnten und wirklich ausgelegt wurden, war ihre Anführung ein Missgriff. Derselbe erklärt sich aber daraus, dass die Verfasser offenbar zu denen gehörten, welche den Melanchthon noch lutherisch auslegten, und von jenen, welche die Artikel jetzt unterschreiben sollten, annahmen, dass sie in das Lager der Calvinisten übergegangen seien, weshalb sie in den Artikeln sich auch besonders viel mit Abwehr der calvinischen Irrthümer abgaben. Solcher Theologen mag es allerdings damals Viele in Kursachsen gegeben haben, welche, indem sie nicht jenen entwickelten Melanchthonismus, wie man es jetzt ausdrückt, theilten, den Melanchthon noch im Sinn Luthers deuten zu dürfen glaubten. In diese Klasse werden wir auch den alten G. Major rechnen dürfen, der betreffs der vorgelegten Artikel die Erklärung abgab: „ego hanc doctrinam semper retinui et nunquam abjeci. Man soll τὸ ῥητόν behalten et oralem manducationem. Didici hanc doctrinam ante 50 annos a Luthero .. neque Calvini, neque aliorum errores de sacramento probo.“ Dass diese Theologen noch nicht die Klarheit besassen, deren es bedurft hätte, um bei dieser Gelegenheit Artikel zu stellen, ist freilich anzuerkennen, und so zeigt sich namentlich in der Verwerfung der ubiquitas carnis Christi, dass [287] sie sich von Melanchthon noch nicht genugsam losgerissen hatten, wobei man indessen doch den von ihnen gemachten Zusatz: aut quidquam quod vel veritatem corporis Christi tollat vel ulli articulo fidei repugnet nicht übersehen darf.
     So möchte doch das Urtheil der älteren Theologen über die Artikel richtiger sein; das Löschers (III, 165): weil die Verfasser von der Liebe und Ehrerbietung gegen Melanchthon noch allzuvoll waren, habe sie dabei die menschliche Schwachheit übereilt, dass sie sich nicht nur auf Philippi Lehre vom heiligen Abendmahl, sowohl als auf Lutheri seine, etlichemale beriefen, sondern auch vorgaben, er sei hierin allezeit und wahrhaftig mit Luthero einig gewesen. Und das von Hutter (l. c. 206), wenn er sagt: neque articulorum illorum imperfectio tum statim a sinceris etiam et praeclare doctis atque exercitatis theologis animadvertebatur, aber hinzufügt: quo nomine etiam haec ipsorum subscriptio illis fraudi postmodum esse non potuit, cum in articulis illis multa notarentur, tanquam Calvinianis latibulum quoddam praebentia.
  63. Löscher hist. mot. III, 171 sq.
  64. Die Verhöre bei Löscher III, 179 sq.
  65. Ganz ähnlich die Heidelberger. Erast schrieb schon 1570: „es steht fest, dass dort in Schule und Kirche (in Wittenberg) jetzt unsere Leute den Lehrstuhl inne haben, was früher nicht der Fall war. Ausser jenem abgelebten Major ist, wie ich höre, keiner, der nicht offenkundig mit uns übereinstimmte.“ – Aus einem Brief des Erast an Bullinger in Gillet, Crato von Kraftheim und seine Freunde. I. Thl. 1860. p. 406.
  66. Sturm (Antipappus II.) meint: sie hätten dem Kurfürsten offen sagen sollen, dass die Lehre, welche jetzt als lutherische geltend gemacht werde, weder die Lehre Luthers, noch die Melanchthons sei. Er tadelt sie also, dass sie gegen den Kurfürsten unwahr gewesen seien. „Quoniam aliud dissimulabant, aliud agebant, in has calamitates dilapsi sunt, in quibus ipsos haerere videmus.
  67. cf. Heppe II, p. 445. Anm. 1.
  68. Steinberger an Crato (dd. 26. April 1572). De Albiacis nihil amplius audivi. Omnibus temporibus eum eventum dissimulationes et tergiversationes studio pacis usurpatae habebunt. Vereor, ut Septemvir a sententia Lutheri deduci queat. Dominus nostri misereatur. Bei Gillet, l. c. p. 426. Anm. 65.
  69. Dieses Gespräch (gehalten am 15. Nov. 1576 zu Leipzig) theilt Calinich in extenso mit p. 248 sq.


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Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl
Die Bemühungen der Fürsten um Erzielung des kirchl. Friedens »
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