RE:Getae

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Volksstämme der Thraker
Band VII,1 (1910) S. 13301334
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Getae (Γέται) sind der nördlichste Zweig der thrakischen Volksmasse (hiberni Propert. V 3, 9 u. v. a.), die durch die unterste Donau und den Balkan gegliedert ist. Zu beiden Seiten des Stromes vom Siebenbürgischen Hochland bis zum Ostbalkan und dem Pontus (Strab. VII 295. 304. Cass. Dio LI 22, 7. LXVII 6, 2) siedelten die getischen Stämme (populi Serv. Aen. III 35; vgl. Cass. Dio LI 24. 26); ihre nordwestliche Gruppe erscheint seit dem 2. Jhdt. v. Chr. gewöhnlich unter dem Namen Daci (s. o. Bd. IV S. 1949), doch bleibt ihr besonders in griechischen Quellen auch der G.-Name (Appian. hist. Rom. prooem. 4; Ill. 3. Cass. Dio LXVII 6. Iulian. Caes. 327 D. u. a. Der Dakersieg Traians als ἡ κατὰ Γετῶν νείκη bezeichnet auf einer Inschrift aus Argos, Bull. hell. 1904, 425). Über die Daker hat Brandis in dem vorzüglichen Artikel Dacia o. Bd. IV S. 1948ff. gehandelt. Uns beschäftigen die G. des nördlichen Balkanvorlandes.

Sie gehören zu den Thrakern wie die Daker (Herodot. IV 93. Strab. VII 295. 296. 303. Mela II 16. Serv. Aen. a. O. Schol. Horat. carm. III 24, 11 u. a.). Doch wird der ethnographische [1331] Begriff Thracia bloß auf das Gebiet zwischen dem Ägäischen Meer und der unteren Donau angewendet, das auch zuweilen eine politische Einheit (Thracia Θρᾴκη) bildete (Scylax 67. Scymn. 664f. Mela a. O. Pausan. V 12, 6). Ein engerer Begriff Thracia umfaßt nur die Thrakerstämme südlich des Balkan. So bezeichnet Scymn. a. O. zwar das Gebiet zwischen dem Ägäischen Meer und der Donau als thrakisches im allgemeinen, scheidet aber 738f. die Thraker südlich des Balkan und Mesembrias von den nordwärts anstoßenden G. Wir ersehen aus dieser Stelle, daß sich der getische Siedlungsbereich bis an den Ostbalkan erstreckte (vgl. Thuk. II. 96. Sen. Herc. Oet. 1280. Cass. Dio LI 27. LXVII 6), ferner aus der Zusammenstellung mit Scymn. 746f. 750. Ptolem. III 10, 4, daß der südöstlichste G.-Stamm die Krobyzen waren. Diese sind ebenso wie die nördlicher sitzenden Terizen, welche dem jetzigen Kap Kaliakra den Namen Τίριζις ἄκρα gegeben haben, dadurch noch besonders als G. gekennzeichnet, daß ihnen der Unsterblichkeitsglaube und Zamolxiskult zugeschrieben wird (Suidas s. Ζάμολξις. Phot. lex. s. Ζάμολξις). Die Krobyzen läßt Scymn. 755f. bei Dionysopolis an die Skythen grenzen. (Hekataios bei Steph. Byz. bezeichnet sie als ἔθνος πρὸς νότου ἀνέμου τοῦ Ἴστρου).

Südlich der untersten Donau kennt Herodot a. O. nur G., keine Skythen. Diese sind in der ersten Hälfte des 4. Jhdts. (s. u.) eingewandert und haben die Thraker (G.), wie Strab. VII 311 wohl übertreibend berichtet, aus der Dobrudscha verdrängt; denn an zahlreichen Stellen seiner Gedichte spricht ja Ovid von den G. und Skythen der Umgebung Tomis.

Die Krobyzen kennt auch Herodot IV 49 im östlichen Balkanvorland (vgl. auch die etwas ungenaue Angabe Strab. VII 318); er läßt die Flüsse Ἄθρυς, Νόης und Ἀρτάνης durch die ,Thraker‘ und die thrakischen Krobyzen der Donau zufließen. Die Flüsse sind offenbar in der Richtung von West nach Ost aufgezählt, Ἄθρυς ist mit Sicherheit = Iatrus, Iantra. Da das Gebiet westlich der Osma bereits moesisch-triballisch ist, ostwärts der Moeser-Triballer die G. aufgezählt werden (Plin. IV 41. Cass. Dio LI 27; Plin. III 149), so ist auch die westliche Erstreckung des getischen Gebietes bis ungefähr an die Osma so ziemlich sicher; darüber vgl. besonders die gründliche Untersuchung von v. Premerstein Die Anfänge der Provinz Moesien, Österr. Jahresh. I Beibl. 151. 178ff., dazu Weiss Mitt. d. geogr. Gesellsch. Wien 1907, 52. Die von Ptolemaios III 10, 4 innerhalb des Raumes Osma-Schwarzes Meer angeführten Διμήνσιοι, Πιαρήνσιοι, Οἰτήνσιοι, Ὀβουλήνσίοι sind wohl G.; von ihnen sind die Dimensioi um Dimum (s. d.) sicher lokalisiert. Diesem Gebiete sind auch mehrere Ortsnamen auf –dara, welche besonders für Dacien charakteristisch sind, eigen: Capidava, Dausdava, Giridava, Sacidava, Sucidava. Freilich können diese Namen mit der Ansiedlung von Dakern (Strab. VII 303. CIL XIV 3608)[1] in Zusammenhang gebracht werden.

Den weiten Ebenen des Balkanvorlandes entsprechend waren die G. ein Reitervolk (Thuk. II 96. 98), wahrscheinlich nomadisierende Viehzüchter [1332] (Col. VII 2, 2. Sen. Phaedr. 167. Sidon. Apoll. carm. VII 84), tapfer (Herodot. IV 93. Mela II 16. Serv. Aen. VII 604; sie führten Bogen und Pfeil: Thukydid. a. O. Ovid. ex P. IV 9, 77 u. a.) und sinnlich zugleich (Menander bei Strab. VII 297. Eustath. in Dionys. 304; vgl. Heraclid. de reb. publ. frg. 28, FHG II 220). Die an ihnen gerühmte Todesverachtung war begründet in ihren Vorstellungen von einem Fortleben nach dem scheinbaren Tode bei Zamolxis, ihrem Hauptgott (Mela a. O. Eustath. a. O. Iamblich. Pythagor. vit. 173). Diesem scheinen ursprünglich Menschenopfer dargebracht worden zu sein; denn Herodot a. O. erzählt, sie ,schickten‘ Boten zu Zamolxis, indem sie sie aufspießten, um seine Hilfe und seinen Segen zu erlangen.

Die Sitte, die (Lieblings)frau nach dem Tode des Gatten zu töten, erwähnen Steph. Byz. s. Γετία und Eustath. a. O., die Sklaven zu tätowieren, Artemidor. oneir. I 8 (vielleicht hängt damit die griechische Mythe zusammen, daß Zamolxis der Sklave des Pythagoras gewesen war, von Räubern gefangen genommen und stigmatisiert worden sei, sich aber, wieder entkommen, die Stirn der Zeichen halber verbunden habe. Dionysophanes bei Porphyr. vit. Pythag. 14). Feierliche Gesandtschaften begleiteten die G. mit Zitherspiel (Athen. 627 c. Iordan. Get. 65. Steph. Byz. Eustath. a. O.).

Anläßlich des Skythenfeldzuges des Dareios hören wir zuerst von den G., die damals vom Großkönig unterworfen wurden (Herodot. IV 93), doch hat diese lose Abhängigkeit gewiß nicht lange gedauert. Im 5. Jhdt. haben die Odrysenkönige ihre Herrschaft bis an die Donau ausgedehnt (vielleicht schon Teres, sicher aber sein Nachfolger Sitalkes, Thuk. II 97; vgl. Höck Das Odrysenreich in Thrakien, Hermes XXVI 77ff.). Die G. stellten daher zum Zuge des Sitalkes gegen die Chalkidier und Perdikkas von Makedonien ein großes Reiterkontingent (Thuk. II 98).

Gleichzeitig mit dem Niedergang der Odrysenmacht haben die Skythen im 4. Jhdt. südlich der Donau an Boden gewonnen, die G. teilweise verdrängt oder unterworfen. Vielleicht sind jene Histriani unter einem König, welche dem Skythenkönig Atheas (s. d.) heftig Widerstand leisteten (Iustin. IX 2), so daß dieser sogar Philipp von Mazedonien um Hilfe anging, G. Diese Annahme scheint mir mehr der Völkerverteilung im Balkanvorland zu entsprechen (Schäfer Demosth. II 521 sieht in den Histriani Triballer). Atheas hat dann, vor den Histrianern sicher, Philipps Einmischung abgelehnt, wurde aber von diesem angegriffen und schwer geschlagen. Wahrscheinlich hat diese Niederlage die Skythen an weiterem Vordringen gehindert (hier sei bemerkt, daß die von Tacchella Rev. num. 1900, 397f., 1903, 31f. als G.-Könige angesprochenen, auf Münzen genannten Herrscher Akrosander, Kanites, Charaspes [so richtiger nach Regling] von Regling in Corolla numismatica in honour of B. V. Head 1906, 259f. mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als Skythenkönige des 3. bis 2. Jhdts. v. Chr. erklärt werden). Daß die Nachricht bei Iordan. Get. 65 (vgl. Athen. XIII 557 d. Steph. Byz. s. Γετία), Philipp habe mit dem G.-(Thraker)- [1333] König Kothelas Freundschaft geschlossen und dessen Tochter geheiratet, vielleicht mit den oben erwähnten Vorgängen in Verbindung zu bringen ist, daß Philipp mit den ,Histrianern‘, die dann als die Leute des Kothelas aufzufassen wären, gegen die Skythen gekämpft habe, muß bloße Vermutung bleiben.

Strabons Nachricht VII 301, daß zur Zeit des Alexanderzuges an die Donau (335) das triballische Gebiet bis an die Donauinsel Peuke reichte – so wird das Donaudelta genannt – könnte höchstens so erklärt werden, daß der in jener Zeit mächtige Stamm (Appian. Ill. 3) eine Weile die Oberhoheit über das östliche Balkanvorland erlangt habe. Doch scheint vielleicht aus dem Vergleich der genannten Stelle mit Arrian. anab. I 2 (auf derselben Quelle wie Strabon beruhend) eher hervorzugehen, daß Strabons Angabe ein von ihm aus den Vorgängen gezogener Schluß ist. Arrian berichtet von der Flucht der triballischen Kinder und Frauen nach Peuke, wohin auch die sich durch Alexander bedroht sehenden benachbarten Thraker abziehen; das können nur die G. sein. Bei Arrian steht von einer Ausdehnung der Triballerherrschaft bis nach Peuke nichts. Daß man die Frauen und Kinder dorthin sandte, scheint bei Strabon die oben erwähnte Äußerung veranlaßt zu haben (über die noch wenig geklärten Vorgänge vgl. Vulič Alexanders Zug gegen die Triballer, Klio IX 490f. Niese Gesch. der gr. u. mak. Staaten I 54).

Bei der Aufteilung des makedonischen Weltreichs fiel dem Lysimachos Thracia et regiones Pontici maris (Iustin. XIII 4) zu. Er dehnte seine Herrschaft bis an die Donau aus. Die Feste Tirizis im G.-Gebiet auf Kap Kaliakra ist einer seiner Stützpunkte (Strab. VII 319).

Die Griechenstädte hatten sich gegen diese Oberhoheit gewehrt, besonders Kallatis, Diodor XIX 73. Die benachbarten Thraker – es sind die G. – und Skythen wurden von ihnen als Bundesgenossen gewonnen, sind aber von Lysimachos geschlagen worden. Dessen Versuch, in das norddanubische G.-Gebiet einzudringen, scheiterte (s. o. unter Dromichaites und Niese a. O. 367).

Bald nachher hat der Kelteneinfall die politischen Verhältnisse auf der nördlichen Balkanhalbinsel verändert. G. und Triballer sind von ihnen besiegt worden, Iustin. XXV 1.

Erst viel später treten uns die G. in der Geschichte wieder entgegen. Die Verbindung der griechischen Städte und der Stämme an der Westküste des Pontus mit Mithradates (Appian. Mithr. 15; vgl. Pick Die antiken Münzen Nordgriechenlands I 64) hat die Römer veranlaßt, zum erstenmal in das G.-Gebiet einzudringen. M. Licinius Lucullus schlug die G. (Serv. Aen. VII 604) und eroberte die Griechenstädte (72 v. Chr., Appian. Ill. 30. Eutrop. VI 10). Doch hat der römische Einfluß bald darauf schwere Schläge erlitten. Die Willkür des makedonischen Statthalters Antonius Hybrida, der bei Istros im Winterquartier lag (Dittenberger Syll.² 342), hatte die Erhebung der Nordbalkanstämme (darunter sind wohl die σύμμαχοι gemeint) zur Folge, wodurch Hybrida aus dem Lande getrieben wurde, Dio XXXVIII 10, 3. Dazu [1334] kam, daß bald darauf der Dakerkönig Burebista sein Reich weit über die Donau nach Süden hin ausdehnte, somit die G. unter seine Herrschaft kamen (Strab. VII 303f. Dio Prus. or. XXXVI 4. Dittenberger Syll.2 342). Freilich zerfiel mit dem Tod des Burebista diese große Herrschaft, und die südgetischen Stämme wurden wieder selbständig unter eigenen Fürsten, die miteinander rivalisierten. Das ist der Schilderung der Ereignisse bei Dio LI 24ff. zu entnehmen, welche zu einer dauernden Ausdehnung der römischen Macht über das G.-Gebiet führten. Der Einbruch der an den Donaumündungen sitzenden Bastarner über den Balkan nach Thrakien veranlaßte nämlich den makedonischen Statthalter M. Licinius Crassus, in das Balkanvorland einzudringen. In seinen Kämpfen daselbst wurde er von Roles, Γετῶν τινων βασιλεύς (Dio LI 24), unterstützt. Später von einem anderen βασιλεὺς Γετῶν τινων, Dapyx, bedrängt, rief Roles den Crassus zu Hilfe, der Dapyx schlug und Genucla, die Feste eines dritten G.-Fürsten, namens Zyraxes, die wir uns am rechten Ufer der untersten Donau zu denken haben, eroberte; dadurch fielen auch die dem Antonius Hybrida abgenommenen Feldzeichen wieder in die Hände der Römer. In der Folge wurde das östliche Balkanvorland dem thrakischen Klientelreich der Odrysenfürsten einverleibt (vgl. v. Premerstein a. O. 178f.), bis im J. 46 n. Chr. auch dieses in römische Verwaltung kam, womit die allmähliche Romanisierung der Bevölkerung des Balkanvorlandes einsetzte (vgl. darüber Weiss Dobrudscha im Altertum).

Literatur: W. Bessell De rebus Geticis, Göttingen 1855. E. Roesler Die Geten und ihre Nachbarn, Wien 1864. Müllenhoff Deutsche Altertumskunde Bd. III, 1887. W. Tomaschek Die alten Thraker, S.-Ber. Wien, phil.-hist. Kl. Bd. CXXXI (1894). P. Kretschmer Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache (1896) 213. v. Premerstein Die Anfänge der Provinz Moesien, Österr. Jahresh. I (1898). J. Weiss Die Dobrudscha im Altertum, Reisen und Beobachtungen, herausgeg. von C. Patsch (1910, im Druck).

Anmerkungen (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 3608.