Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)/Sechstes Kapitel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Fünftes Kapitel Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)
Anhang »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Sechstes Kapitel.
Wirksamkeit in Altdorf, Bertholdsdorf und Merkendorf
bis zur Installation in Neuendettelsau.




000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

| |
Altdorf.

 Am 22. September 1835 traf Löhe in Altdorf ein. Sein Aufenthalt hier währte knapp sieben Monate, denn am 22. April des nächsten Jahres zog er bereits als Verweser in Bertholdsdorf ein. Die ersten Eindrücke, die er von Altdorf empfieng, und die Hoffnungen, die er an seinen Aufenthalt für die Zukunft knüpfte, sind in einem Briefe an Frau L. Andreae ausgesprochen, welchen wir hier mittheilen.

 „Altdorf ist der ehemalige Nürnbergische Universitätsort, eine schöne, kleine, alterthümliche Stadt in einer lieblichen hügelreichen Gegend. Die Kirche, in welcher ich alle Sonntage Nachmittags um dieselbe Zeit wie bei St. Aegidien predige, ist prächtig und groß. Gleich hinter derselben ist mein Pfarrhaus, welches vorn und hinten zwei Gärtchen mit Brünnlein hat. (Schade, daß es Winter wird!) Das Pfarrhaus ist recht schön. Unten gebe ich meinem Bedienten ein Zimmer, oben richte ich mich in dreien ein, ein großes, die Pfarrstube, ein kleines, meine Schlafkammer, ein drittes für meine Besuche, deren ich hoffentlich manche bekomme, da Altdorf nur vier Stunden von Nürnberg, also nur sechs von Fürth liegt. Meine Einrichtung wird so priesterlich sein, als es für einen Verweser, der bald – nach längstens sechs Monaten – weiter geht, thunlich ist. Dicht an meinem Hause steht das Haus eines greisen dritten Pfarrers, der aber seine Pfarrei eigentlich in Altenthann hat und hier blos wohnt, um auszuhelfen, wenn die beiden Geistlichen zu| beschäftigt sind. Neben diesem stillen Pfarrhaus des alten Pfarrers von Altenthann, der mit seiner alten Frau ganz einsam wohnt, kommen die Schulen, welche mir als Inspector übergeben sind. Daß ich einen Beichtstuhl habe, versteht sich. Was meiner Wirksamkeit in Altdorf eine größere Bedeutung gibt, ist, daß in Altdorf das Seminar ist, auf dem alle protestantischen Schullehrer des Königreichs gebildet werden. Beten Sie, daß ich in der kurzen Zeit meiner Verwesung auch einige junge Lehrer für meinen Heiland gewinne. Als ich vorigen Freitag in Altdorf war, und meine Stelle einstweilen übernahm, setzte ich mich in einen abgelegenen Winkel und da ich mein Neues Testament in die Hände nahm, schlug ich zum großen Trost meiner Seele die Sprüche auf: Luc. 22, 45–49 und 2. Cor. 5, 17-21. Der Herr segne meinen Ausgang und meinen Eingang, meinen Eingang und meinen Ausgang! Beten Sie auch für mich und Altdorf.
W. Löhe.“ 


 Da Löhe in Altdorf nicht wie in Nürnberg Verpflegung in einer Familie finden konnte, so mußte er an die Führung eines eigenen Haushalts denken. Er beschloß sich ohne weibliche Bedienung zu behelfen. Einige Knaben von Kirchenlamitz, denen er Unterhalt gewährte und die er für das Seminar vorbereitete, versahen bei ihm die Stelle von Bedienten und er fühlte sich als Hausvater der kleinen Familie. Auf Zucht und Ordnung in seinem Haus hielt Löhe streng, im Uebrigen mag es mit der Besorgung seiner Bedürfnisse ziemlich mangelhaft bestellt gewesen sein. Man wird sich z. B. einen Begriff von der Einfachheit seiner Küche machen können, wenn man hört, daß seine jugendliche Dienerschaft auch der Kochkunst obliegen mußte. „Ja wohl“, schreibt er auf eine desbezügliche, scherzende Anfrage, „kochen meine Bedienten: Heller hat eine Probe| genossen, aber mir übles Renommée in Nürnberg gemacht, ob er wohl zugestehen mußte, daß die Kirchenlamitzer Klöße, wenn auch etwas hart, doch aber reinlich und aus guten, ungekochten Erdäpfeln gemacht waren. Für Frankfurt ists nichts – für mich ists gut genug; ich esse aber daneben auch aus dem Wirthshaus, nicht viel besser!

 „Ich muß freilich auf viel Kleinigkeiten merken – und ich thue es auch mit solchem Ernste, daß einer meiner Bedienten schon mehr als Ein Mal geweint hat; er hat mirs aber immer wieder gedankt. Ich wünschte der Kleinigkeiten überhoben zu sein; weils aber nicht sein kann, bin ich dennoch fröhlich und stärke auf diese Weise mein Gedächtnis. – Ich esse nicht allein, sondern mein Haus mit mir und was ich. Ich bin ja ein christlicher Hausvater.“

 Bald freilich sah er ein, daß er sich mit dieser Veranstaltung eine seine Kräfte auch in pekuniärer Hinsicht übersteigende Sorgenlast aufgeladen habe, und richtete deswegen schon nach Monatsfrist sein Hauswesen auf einen anderen Fuß ein, indem er eine alte Magd in seine Dienste nahm.

 Was die geistliche Wirksamkeit Löhe’s anbelangt, so war sie auch hier in Altdorf anregend und belebend. Die Achtung und Liebe der Gemeinde hatte er sich so bald erworben, daß dieselbe bereits nach Verlauf eines Monats beim König Schritte thun wollte, um die Verleihung der zweiten Pfarrstelle an Löhe auszuwirken. Löhe verbat sich dies mit dem Bemerken: er wolle durch Gottes Gnaden Pfarrer werden.

 „Hoffentlich“, schreibt er der Freundin, der er dies mittheilt, „werde ich auch hier noch das Zeichen treuer Diener, den Haß der Welt erfahren.“ Doch scheint er gerade in Altdorf, so viel wir sehen, von Verfolgungen, wie sie ihm in Kirchenlamitz und Nürnberg beschieden waren, verschont geblieben zu sein.

|  Wie aus dem oben mitgetheilten Brief an Frau L. Andreae ersichtlich ist, war es Löhe’s Hoffnung und Wunsch, unter den Jünglingen, die im Altdorfer Seminar für den Lehrerberuf vorgebildet wurden, Seelen für den Herrn zu werben. Dieser Wunsch wurde ihm auch erfüllt. Er wurde von den Seminaristen viel besucht; in Haufen bis zu zwölf kamen sie zu ihm, er widmete ihnen gerne seine freie Zeit und hatte die Freude zu erleben, daß bei mehr als einem der jungen Leute aus dem ersten Anschluß ein dauerndes Verhältnis sich entwickelte. „Wir waren“, schreibt einer von den damaligen Seminaristen, der Löhe bis zu dessen Tode treue Freundschaft hielt, „von 120 Seminaristen etwa ein Dutzend, denen Löhe ein Führer, ein geistlicher Vater wurde. Wir fühlten uns sofort angezogen von ihm und mit Bewunderung gegen ihn erfüllt und wünschten nichts mehr, als ihm persönlich näher treten zu können. Wir erhielten die Erlaubnis, wöchentlich ein bis zwei Mal in den Freistunden ihn zu besuchen. Die Einfachheit der Einrichtung, aber die allenthalben hervortretende Ordnung und Reinlichkeit fiel uns auf und erregte unsere Bewunderung ebenso sehr als die männliche Bedienung, die Löhe hatte. Bei jedem Besuch trat uns sein tiefer Ernst wie sein freundlich väterliches Entgegenkommen an die Seele; es waren Stunden gesegneter Gemeinschaft, ein fördernder Aufenthalt für Erkenntnis und Glauben ohne pietistisches Drängen. Seine Gespräche waren für uns junge Leute aufs Praktische gerichtet, er sprach mit uns über den Hang und das Streben junger Leute nach Freiheit und Ungebundenheit, statt sich in von Gott geordnete Verhältnisse willig zu fügen; über das sechste Gebot, sodann über die Angriffe, welche damals die Organe des Zeitgeistes gegen das Christenthum machten; auch über die in der schönen Literatur jener Tage proclamierte Emancipation des Fleisches und anderes| mehr. Segnend entließ er uns stets beim Weggang. Bald aber fieng der widerchristliche Geist der Seminaristen an, in den Löheanern die Zielscheibe seines Hasses zu finden. Bei Rückkehr von den Besuchen im Pfarrhaus wurden wir von dem Haufen mit rohem Spott und Hohn empfangen, und immer lauter wurde das Toben und der Spektakel. Bei unserer Rückkehr aus den Osterferien war der neue Pfarrer bereits aufgezogen, und Löhe in Bertholdsdorf; aber ein für Zeit und Ewigkeit gesegnetes Semester war für uns das Wintersemester 1835 bis 1836.“




 Altdorf liegt nahe genug an Fürth, Nürnberg und Erlangen, um zwischen Löhe und seinen Verwandten und Freunden einen ziemlich lebhaften Verkehr zu ermöglichen. In Erwartung zahlreicher Besuche hatte Löhe ja auch, wie wir sahen, in seinem Pfarrhaus ein eigenes Zimmer eingerichtet. Es fehlte auch nicht an Gästen, die ihn namentlich in den Festzeiten oft in Haufen heimsuchten. Wie Löhe in solchen Zeiten in Anspruch genommen war, läßt sich aus einem Brief an Frau L. Andreae ersehen, den wir Beispiels halber hier mittheilen.


Altdorf, den 9. Januar 1836. 
 „Ich habe an Weihnachten sechs Mal gepredigt, in der Zeit von Weihnachten bis Neujahr den jungen Hans v. Raumer zur Confirmation vorbereitet, am Neujahr gepredigt, zwei Mal, Abends den Hans v. Raumer confirmiert, am Sonntag darauf wieder zwei Mal gepredigt. – Dazu hatte ich eine Menge Besuch. Am heiligen Weihnachtsabend kam Dr. Scheurl und der stud. jur. Hommel, am 1. Weihnachtstag noch Herr Fleischmann mit Hans v. Raumer, am zweiten Tag Herr Marktvorsteher Merkel mit seiner Frau, stud. theol. Thiersch von München, am dritten| Tag ehemalige Schüler vom Gymnasium zu Nürnberg und ein Student. Am 31. December kam Professor v. Raumer und Frau mit den zwei kleinen Mädchen, Dr. Layriz dazu; diese blieben bis zum 3. Januar und am 2. Januar kam Jubitz und seine Frau auch noch, am 1. Januar Herr Volk und Fleischmann. Mein Haus war voll – wir hatten schöne Tage, redeten, ordneten etc. – waren viel mit den Lehrern im hiesigen Schullehrerseminar beisammen. Eine schöne, wiewohl fast für mich und meine Amtsgeschäfte zu unruhige Zeit! – Seit Sonntag ist’s leer gewesen, ich konnte mein Beichtbüchlein zu Ende arbeiten. Gestern aber kam Pfarrverweser Lehmus von Fürth, sitzt jetzt neben mir und schreibt Briefe, und bleibt bis Dienstag, wo wir und zwei Seminarlehrer zusammen nach Fürth und Nürnberg gehen werden, so Gott will! – Wie wird’s aber erst werden, wenn ich nun, wie es verlautet, bald nach Erlangen komme? Ach ich spür’ es, ich habe die Einsamkeit sehr, sehr lieb; ich sündige weniger, wiewohl zuweilen auch mehr. Der HErr füge es nach seinem Wohlgefallen, bis ich zu der Ruhe reife, von welcher geschrieben ist: ,Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes!‘
W. Löhe.“ 


 Umgekehrt kam Löhe auch nicht selten von Altdorf aus nach Fürth und Nürnberg. In Nürnberg war das Haus des zweiten Bürgermeisters J. Merkel der Sammelpunkt der Freunde. In diesem Hause wurden auch die Missionsconferenzen gehalten, aus denen später der Centralmissionsverein für Bayern erwuchs, der noch heute in Nürnberg seinen Sitz hat. Löhe war bei den Anfängen des Missionswerks in Bayern in hervorragender Weise mit betheiligt. Allerdings konnte die Missionssache nicht von Anfang an in vereinsmäßiger Form betrieben werden, da der König Ludwig I. die Erlaubnis zur Bildung eines Missionsvereins| verweigert hatte. Man mußte sich daher mit einer freien Vereinigung von Missionsfreunden zu dem beabsichtigten Zweck begnügen. Viertausend Gulden waren gleich von Anfang an für die Missionssache geschenkt worden. Mit diesen in der Hand wollte man sofort ans Werk gehen. Die Absicht war, einen oder zwei Candidaten der Theologie, lutherischen Bekenntnisses, die sich dem Missionsdienst widmen wollten, mit diesen Mitteln auszurüsten und auszusenden. Als Feld der missionierenden Thätigkeit wollte man in einem etwas romantischen Anflug die uralten Stätten des Christenthums in Asien sich erwählen, um unter der tief gesunkenen christlichen Bevölkerung jener Gebiete zu wirken, „denn zu den Griechen in der Gegend der apokalyptischen Gemeinden oder nach Palästina zu den dortigen Christen oder zu den Abyssiniern scheint man am meisten Ursache zu haben die Missionare zu senden, dort ist überall große Noth, großes Verlangen, und rücksichtlich Palästina’s lastet ohnehin eine Schuld und Pflicht auf uns 800 Jahre lang, welche wir brennen sollten abzutragen“, wie es in dem von Löhe zum Zweck der Gründung einer freien Vereinigung für die Missionssache entworfenen Circular heißt. Löhe selbst sollte eine Art Recognoscierungsreise nach Syrien unternehmen, die jedoch ein unausgeführtes Project blieb, trotz der freundlichen Aufforderung Schuberts, ihn auf seiner Reise ins heilige Land zu begleiten. Der Brief, in welchem Schubert Löhe zur gemeinsamen Reise einlud, darf hier wohl mitgetheilt werden als ein Zeugnis, mit welch frommen Gesinnungen jener edle Pilger sich zu seiner Palästinensischen Wallfahrt vorbereitete.


 „Mein lieber Bruder Löhe!

 „Ich begrüße Dich in der Liebe dessen, der für uns zu Bethlehem unter dem Lobgesang der Engel als Mensch geboren| worden; der für uns auf Jerusalem und Golgatha sein heiliges, theures Blut vergoß; der als Obsieger Deiner und meiner und aller Erdenmenschen Noth auferstund aus dem Grabe, auffuhr von Jerusalems Oelberg gen Himmel, da er nun sitzet zur Rechten Gottes.

 „Im Vertrauen auf Ihn, der mich von Kindesbeinen an geleitet an Seilen der Liebe, der mich auf Adelers Fittigen sicher geführet, habe ich mich nun fest entschlossen, dem Drange, den ich schon seit Jahren in meinem Inneren empfunden, zu gehorchen, und, so der Herr will, im nächstkünftigen Septembermonat in das Land zu reisen, da mein lieber Herr Jesus Christus zu meinem Heile geboren ward von einer Jungfrau, da Seine Füße gewandelt haben; da Ihn, den Sohn des lebendigen Gottes, Menschenaugen gesehen, Menschenhände betastet haben.

 „Es gibt ein Oertlein in Gottes Wort, auf welches der Christ täglich das Licht seines Glaubens, das ihm leuchtet in der Finsternis, feststellet, dieses Oertlein ist 1. Joh. 1, 1. Eben weil der Christ mit den eigenen Ohren seines Geistes gehöret, mit den eigenen Augen gesehen und beschauet, mit den eigenen Händen betastet hat, kann ihn der Geruch keines Straußes der Giftblumen betäuben, kein Wind einer neuen Lehre kann auslöschen das Licht seines Glaubens, denn das stehet unantastbar sicher auf 1. Joh. 1, 1. – Selig, selig ist es und lieblich, solch sicheres Oertlein gefunden zu haben und bei sich zu tragen in seinem Herzen; es findet’s aber nur der, in dessen Herzen schon entzündet ist die Liebe zu dem Herrn. Wie soll mans aber denn machen, daß in diesen Tagen der allgemeinen Erkaltung recht viele arme kalte Herzen wieder entflammt werden zu dieser Liebe? Ihr Auge blickt ja gar nicht auf zu Ihm, ,der hochgelobten Schönheit‘, sondern starrt beständig nach einer| leeren Wand hin, an welcher die Welt mit ihrer Lust ihnen ein buntfarbiges Schattenspiel vormacht. Wie wäre es denn, wenn man an das Gemäuer auch ein Bildlein anderer Art hinfallen ließe. Man malt ihnen vor Augen die grünenden Hügel Philistäas, Thabors liebliche Höhen, Jerusalems Berge, den thauenden Hermon und siehe, mitten auf den bewegten Blättern der gemalten Haine wird der Gesang der Turteltaube vernommen: ‚Wache auf, du Seele, die schläfet, der Frühling ist draußen auf den Bergen.‘ Es ist ein Menschenliedlein, das der Maler singt, aber es gehet nach der Melodie 1. Joh. 1, 1, und mitten in den Menschentext mischen sich Worte und Kräfte des himmlischen Urtextes. – Das, was ich da eben geschrieben habe, ist der Inhalt des Reisepasses, der mir von München nach Jerusalem ist ausgestellt worden. – Wie denn aber? hat denn auch der Herr schon den Paß unterzeichnet?

 „Mein lieber Löhe, seit etlichen Monaten habe ich meines Herzens Drang und Sehnen ganz wieder zurückgelegt in meines Herrn Hände. Ich habe Ihn inbrünstig angefleht, Er solle beide herausreißen aus meinem Herzen, solle meinen Weg mir mit Dornen vermachen, wenn er Thorheit ist in Seinen Augen. Aber siehe, durch dieses Aussehen auf den Herrn bin ich immer freudiger, immer versicherter geworden; Sein Geist hat es bezeuget meinem Geiste, daß Er mir ein gnädiger Gott sein wolle, auch in dieser Sache, ich kann täglich bitten: ‚Herr, erlaube Du mir diesen Weg und leite mich auf ihm an Deiner Hand und gib Kraft und Segen, daß jeder Schritt zu Deines Namens Ehre gereiche.‘

 „Nun kommt aber die Hauptsache des Werbebriefleins, das ich eben schreibe. Du hast, wie mir mein Schwiegersohn Ranke erzählt, eine Veranlassung und Beruf im Werk und Angelegenheit eures Missionsvereins in Nürnberg nach Syrien| zu reisen. Magst Du nicht am nächsten Weihnachtsfeste in der evangelischen Kirche zu Jerusalem in deutscher Zunge über das Evangelium von der Geburt Christi predigen; magst Du nicht Deine Reise in Angelegenheiten des Missionswesens mit unserer Reise vereinen? – Bald nach Ostern oder doch an Pfingsten des nächsten Jahres sind wir mit seiner Hilfe gesund wieder hier im Lande und predigen von dem Namen des Herrn und aller Seiner Güte. – Antworte mir bald, mein lieber Löhe.

 „Wir gehen, so der Herr will, von Wien auf der Donau hinab nach Constantinopel, von da nach Smyrna, Beirut, Joppe, Jerusalem u. s. w. Die Kosten für eine Person können sich wohl auf und über 1000 fl. belaufen, wiewohl mir ein wohlunterrichteter Mann einen Anschlag machte, der geringer war.

 „Der Herr segne Dich und behüte Dich. Sein Geist sei mit Deinem Geiste. In Seiner Liebe treu verbunden

Dein 
G. H. v. Schubert.“ 




 Auch hier in Altdorf war Löhe schriftstellerisch thätig, und die Frucht dieser Thätigkeit war sein Schriftchen, betitelt: „Einfältiger Beichtunterricht für Christen evangelisch-lutherischen Bekenntnisses.“ Was ihn zur Abfassung dieses in Tractatform erschienenen Schriftchens bewog, sagt er in einem Brief an einen Freund: „Ich werde für mein Landvolk einen kurzen Beichtunterricht abfassen, sowie einige andere Arbeiten hinter mir liegen. Denn unter etwa 150 Beichtkindern, die ich habe, haben bisher nur zwei ganz nothdürftig sagen können, was sie in der Beichte wollen. Ich examiniere alle meine Beichtkinder, ach welche Schätze finde ich da, ausgeleerte θησαυροί. – Ach,| es ist viel Nothdurft in der Christenheit und wenig treue Hülfe.“ –

 Das Büchlein gibt großen Theils mit den Worten Luthers einen einfachen Unterricht über die Beichte, deren verschiedene Arten, Nutzen etc. und über die Absolution.

 Löhe selbst war, nach einer Aeußerung in seinem Tagebuch zu schließen, mit seinem Büchlein nicht sehr zufrieden, er fand es scharf, nicht aus einem Guß, nicht frei von Wiederholungen. Diese Mängel zugegeben, bleibt das Schriftchen doch immer ein bemerkenswerthes Zeugnis von der Urtheilsreife und dem Reichthum seelsorgerlicher Erfahrung seines jugendlichen Verfassers. Gewisse pastorale Grundgedanken, die Löhe in seiner beichtväterlichen Wirksamkeit sich mannigfach bestätigten, standen ihm schon damals fest. Wir erinnern beispielsweise nur daran, mit welch überzeugender Wärme er in diesem Schriftchen die Uebung einer dem kirchlichen Bewußtsein der damaligen Zeit vollständig abhanden gekommenen Sache, der Privatbeichte, empfiehlt, in der er schon damals ein wichtiges Mittel nicht nur zur Belehrung und Bildung des Volks, sondern vor allem zur Weiterführung erweckter Seelen auf dem Weg der Heiligung erkannte.

 Um auch der persönlichen Verhältnisse Löhe’s noch mit einem Wort Erwähnung zu thun, mag bemerkt werden, daß bei der zunehmenden Aussicht auf baldige Anstellung ihm von den Seinigen auch der Gedanke des Heirathens nahe gelegt wurde. Seine Neigung entschied sich, wenn auch nach kurzem, anfänglichem Schwanken für Helene Andreae. Doch blieb dies einstweilen sein Geheimnis.

 In den mit Helene und ihrer Mutter nach deren Abreise von Nürnberg gewechselten Briefen pur seelsorgerlichen Inhalts ist keine Andeutung seines inneren Verhältnisses zu ersterer zu| finden, und übrigens wurde dieser Briefwechsel schon Anfangs 1836 auf Wunsch des Herrn F. Andreae abgebrochen, der sich weitere Briefe des Herrn Verwesers aus dem Grunde verbat, weil durch dieselben seine Tochter in ihrem Entschluß bestärkt würde, sich gänzlich von allen weltlichen Vergnügungen zurückzuziehen, was er nicht mehr zugeben könne und werde. Uebrigens würde er sich freuen, wenn die Verhältnisse sich so gestalten wollten, daß der Herr Verweser sich an Ort und Stelle durch den Augenschein überzeugen könne, daß weder Frankfurt und noch weniger sein Haus eine Hölle sei. Löhe gab dem Vater auf der Stelle sein Wort, nicht mehr an seine Tochter zu schreiben. Sein Stillschweigen gegen Helene dauerte vom Februar 1836 bis April 1837. Ganz leicht wurde ihm die Befolgung dieses Verbots nicht. „Es thut eben all dergleichen wehe“, schrieb er beim Empfang des Andreae’schen Briefes in sein Tagebuch; doch obgleich oder vielleicht gerade weil er sich damals über die Art seiner Gefühle für Helene Andreae klar wurde, war er von nun an desto ängstlicher bestrebt, auf sein Verhältnis zu ihr, das bisher ein rein seelsorgerliches gewesen war, keinen Schatten fallen zu lassen. Als daher die Verhältnisse der Frau Andreae ihr einen Aufenthalt außerhalb Frankfurts rathsam erscheinen ließen, suchte Löhe mit allem Ernste zu verhindern, daß ihre Wahl nicht auf Nürnberg oder sonst einen Ort in seiner Nähe fiele. Den Brief, in dem er dies thut, halten wir hier für mittheilenswerth, weil er zeigt, mit welch selbstverleugnender Strenge er seelsorgerliche Verhältnisse von allen persönlichen Wünschen und Interessen unabhängig zu erhalten wußte.


Altdorf, den 3. December 1835. 
 „Sehr wichtig ist für Sie und Helene die Wahl des Ortes, der Ihr Ruheplatz werden soll. Lassen Sie mich, werthe| Freundin, offen reden! Ich weiß, daß Ihnen der Herr in Nürnberg gnädig gewesen ist, und Ihr Herz hat vielleicht einen Zug dahin. Nürnberg aber, Erlangen oder sonst einen Ort in dieser Gegend dürfen Sie nicht wählen, auch wenn Ihnen von Ihrem Herrn Gemahl Freiheit dazu gelassen würde. Damit würden Sie (o verzeihen Sie mir, wenn ich meiner Pflicht nachgehend so frei rede, was gäbe ich drum, wenn es nicht nöthig wäre!) in Frankfurt, wie in Nürnberg und Erlangen die Zungen der Lästerung los binden, man würde das edle Werk Gottes in Ihrer Tochter Helene für mein, für Menschenwerk auslegen; es würde auf Helenen’s, bisher durch Gottes Gnade reine Jugend ein Flecken kommen – ihr und Ihnen würde der Aufenthalt verkümmert werden – und wenn ich das zugäbe, so verdiente ich den Namen eines Verführers, eines Wolfes unter dem Schafpelz und müßte Theil haben am Loose der Söhne Aarons, der Priester, die fremdes Feuer auf Gottes Altar brachten und verworfen wurden. Damit Sie beide dermaleinst mein Ruhm seien vor dem Herrn Jesu Christo, ist es nöthig, daß Sie meiner sehr unwerthen Gegenwart völlig ledig gehen! Damit Ihr Licht auf Erden desto schöner leuchte vor den Leuten, damit auch mein Licht an seinem Orte helle scheine, ist es nöthig, daß unsere Wege auseinander gehalten werden. Ich kann es zu Ihnen hoffen, daß Sie dies vollkommen einsehen. Sie wissen, daß die Kindlein entwöhnt werden von der Mutterbrust, wenn sie zu einem vollkommeneren Alter gelangen, als die Säuglingsmonden sind.“




 Der halbjährige Aufenthalt Löhe’s in Altdorf gieng seinem Ende entgegen. Löhe wurde zum Verweser von Bertholdsdorf bestimmt, wo ihm nach gleichfalls sechs Monaten eine neue Wanderschaft in gewisser Aussicht stand. Doch tröstete er sich| über diesen häufigen Wechsel und sein geistliches Wanderleben, wie man aus einem Brief an Frau Helferich vom 15. März 1836 sieht, mit dessen Mittheilung wir die Beschreibung von Löhe’s Aufenthalt in Altdorf beschließen.


 „Theurer, väterlicher Freund!
 Werthe, mütterliche Freundin!

 „Heute bin ich schon den ganzen Tag mit Austreibung der Taubenkrämer beschäftigt, denn diese verderben mir meine Jugend – und meine Jugend hat sie selbst verklagt. Ich bin in Arbeit – und nun Alles im Zuge ist, meine Theure, muß ich meine Arbeit wieder liegen lassen, Gott überlassen, auf daß Niemand auf Menschen vertraue, sondern an Gott sich halte, auf daß ich, Jesu nach, auch andern Städten das Evangelium predige. So lernt man nach und nach nicht auf die Ernte, sondern auf das aufgegebene Geschäft eines Säemanns schauen. So lernt man sich der Blüthen freuen und melancholische Gedanken entfernen, welche von dem Abfallen der meisten Zeugnis und drohende Weissagung geben etc.“




Bertholdsdorf.

 Hier in Bertholdsdorf verbrachte Lohe die Zeit vom 22. April bis 19. October 1836. Bertholdsdorf, ein Dörfchen im Aurachthale, ist nur eine gute Stunde von Neuendettelsau entfernt, und Löhe sah diesen Ort seiner nachherigen lebenslänglichen Wirksamkeit zum ersten Mal, als er als Verweser von Bertholdsdorf dem Senior des Kapitels, Pfarrer Weigel, die Aufwartung machte.

|  Das Thal, in dem Bertholdsdorf liegt, ist lieblich und kann ein Auge, das für eine anspruchslose landschaftliche Schönheit empfänglich ist, befriedigen und erquicken.

 Löhe wenigstens, obwohl aus der viel anmuthigeren Umgebung Altdorfs angekommen, wußte an seinem neuen Aufenthaltsort so viel Schönheit zu entdecken, daß er sich in dieser Hinsicht vollkommen zufrieden gestellt fand. Er äußert sich hierüber in einem Brief an seine Schwester, Frau Dorothea Schröder, den wir, weil er auch Einsicht in Löhe’s tägliches Leben und seine berufliche Thätigkeit in Bertholdsdorf gestattet, hier folgen lassen.


Bertholdsdorf, den 12. Juli 1836. 

 „Liebe Schwester!

 „Das Schönste in meinem jetzigen Leben ist mein Wohnort, oder vielmehr die Lage desselben. Im Aurachthal erhebt sich ein niedriger Hügelzug, welcher das ohnehin kleine enge Thal in zwei noch engere Thäler scheidet. Wo sich der Hügelzug erhebt, erhebt sich auch um dessen ,Vorgebirge‘ (so zu reden) Bertholdsdorf. Wenn man sanft angestiegen ist auf der Dorfgasse, kommt man über etwa zwölf bis fünfzehn Staffeln auf den Gottesacker, auf dem das Kirchlein liegt. Das Kirchlein ist heimlich und nett. Vom Kirchhof führt ein gepflasterter Weg vor dem Schulhaus vorüber in den ummauerten schönen Pfarrhof, in welchem das Pfarrhaus wie ein schönes Schlößlein mit seinen zwei Gärtchen liegt. Im einen Gärtchen blühen viel hundert Rosen und schöner als diese, weiße, glänzende Lilien die Menge – und diese Lilien sind des Verwesers Freude. Im Pfarrhof ist auch noch ein und das andere Oeconomiegebäude für Pfarrer, die ihre Frucht- und Blutzehnten selbst einheimsen wollen. Durch ein Thörlein kann der Verweser ein Heckengäßchen hinab in beide Thäler und auf die höheren Theile| des Hügelzuges gehen. Dicht unter dem Pfarrgarten ringsher liegt ein Baumgarten, über dessen Aeste zwar nicht, aber durch dessen Aeste man vom Pfarrgarten aus lieblich ins Thal schauen kann. Man hat viel schöne Spaziergänge in Bertholdsdorf – als z. B. zu fünf lauteren Quellen von gesundem Wasser, welche im Thale fließen. Die Parochialorte sind sämmtlich schöne Spaziergänge und keines, mit Ausnahme eines einzigen, über eine halbe Stunde entfernt. Eine halbe Stunde weit ist auch der still und schön gelegene Edelsitz des Herrn von Axthelm, Oberpostmeisters in Nürnberg, genannt Jakobsruhe. Des Verwesers Lieblingsruhe und Jakobsruhe oder Bethel ist aber Bertholdsdorf und sein Gärtchen, wo die Lilien Gottes von heidnischen Sorgen und Gottgelassenheit reden.

 „Unter der Woche geht der Verweser vom Montag bis Donnerstag täglich drei Stunden in die Schule, zuerst von sechs bis acht Uhr, das zweite Mal gegen ein halb zehn Uhr. Nach Tisch geht er in Begleitung seines Schullehrers, wenn kein Hindernis dazwischen kommt, täglich zwei, drei, vier Stunden auf Hausbesuche. Abends sitzt er im Garten und trinkt ein oder zwei Gläser Wasser neben seinem Schullehrer und Gemeindepfleger, und wenns um neun Uhr zum Gebet läutet, geht er in die Kirche – aber nicht allemal – stellt sich an den Altar oder auf die Kanzel und denkt gewöhnlich an Nichts, als etwa, daß es so still ist und die zum Gebet läutenden Kinder des Schullehrers so sanft athmen und so heimisch thun.

 „Am Mittwoch, Morgens fünf Uhr, wird das Zeichen zur Gebetsvorbereitung mit der Glocke gegeben, um sechs Uhr läuten alle Glocken zusammen, dann singt der Verweser auf dem Altar das Kyrie eleison und Litanei und die Schule singt entgegen. Dann verhört und erklärt er Luthers Katechismus und Sprüche. Am Freitag ist abermals Betstunde, in welcher zuerst für alle| Stände und für alle Anliegen der Menschheit gebetet, dann die Passion des HErrn fortlaufend erklärt wird. – Am Sonntag geht der Verweser früh sechs Uhr bis etwa ein halb acht Uhr in die Sonntagsschule, um neun Uhr geht er Gottes Wort zu predigen in die Kirche, um ein Uhr abermals zur Kinderlehre, in welcher aber auch die Alten antworten, dann singen in seinem Garten Sonntagsschüler und Sonntagsschülerinnen heilige Lieder mit dem Schullehrer, und der Verweser wird von nun an das Accordeon dazu spielen.

 „Ich bin gesund am Leibe, gesünder als je, und die Landluft schlägt meinem Leibe so gut an, daß meine Kleider mir zu enge werden. Aussichten und Pläne auf Anstellungen habe ich keine; obwohl meine Freunde bald dies, bald jenes wissen wollen, sinds doch nur sanguinische Hoffnungen, welche die demüthigende Hand des HErrn zernichtet. Es ist auch gut; denn ob ich wohl gegenwärtig nur ein Dorfvicar bin, vermag ich doch nicht einmal diesen Platz auszufüllen, was auch die Gemeindeglieder bemerken, von denen mich daher eins und das andere auf die gröbste und auffallendste Weise schimpft und schilt. Ueber den verzweifelt bösen Zustand der Gemeinde und eigenes Elend trage ich Leid; aber ich bin doch getröstet und erkenne eben, daß das Leben kein Spaß, sondern bitterer Ernst, und die Ewigkeit Freude ist.

 „Weiter weiß ich nichts.
 Friede mit Dir und

Deinem 
W. Löhe.“ 


 In Bertholdsdorf hatte Löhe die Freude, seine Mutter um sich zu haben, die ihm hier und in Merkendorf seinen Haushalt führte. Es war ihm eine süße Genugthuung, „ihr wie Joseph| seinem Vater Jakob, Ruhe und eine Zeit der Erquickung zu verschaffen.“ Er stand zu ihr in einem Verhältnis, in welchem die Ehrfurcht so groß war als die Liebe. Die Mutter, ob sie auch mit gerechter Freude auf ihren Sohn blickte, war dennoch nicht gemeint, der mütterlichen Autorität etwas zu vergeben, so wenig als der Sohn dran dachte, derselben etwas zu entziehen. Die Schönheit eines richtigen Verhältnisses zwischen Müttern und ihren erwachsenen Söhnen wußte Löhe aus Erfahrung zu rühmen. Nur in einem Punkt fand die Mutter, daß ihr Sohn auf sie allzu wenig Rücksicht nehme, und hierüber bezeigte sie zu des Sohnes Schmerz diesem manchmal ihre Unzufriedenheit – dies war die weit getriebene Gastfreiheit, in deren Uebung ihr Sohn kaum Grenzen kannte. Daß der Mutter zuweilen etwas bange wurde, wenn der Sohn die apostolische Mahnung „herberget gerne“ in so ausgiebiger Weise befolgte, wie er es that, ist begreiflich. Man kann sich ihre Verlegenheit denken, wenn sie trotz der immerhin mangelhaften Einrichtung, wie sie eben ein Verweser besitzt, während der Pfingstfeiertage dreißig Personen zu beherbergen hatte. Uebrigens waren dergleichen kleine Störungen des Verhältnisses zwischen Mutter und Sohn etwas ganz Vorübergehendes.

 Löhe’s Leben in Bertholdsdorf verfloß in ländlicher Stille, durch keine bemerkenswerthen Ereignisse unterbrochen. Nur zwei Vorkommnisse in seinem Bertholdsdorfer Amtsleben verdienen bemerkt zu werden. Das eine war die Taufe eines jüdischen Proselyten, die Löhe am Pfingstfest in Windsbach vollzog, das andere ein besonderer Pastoralfall, dessen Beschreibung wir mit Löhe’s eigenen Worten mittheilen, zum Beweis, wie frühzeitig ihm Gelegenheit gegeben wurde, auf einem dunkeln Gebiet der Seelsorge Erfahrung zu sammeln, und Kraft und Weisheit, auch in so schwierigen Fällen seelsorgerlichen Rath und Dienst zu leisten.


|
Bertholdsdorf, den 3. October 1836. 
 „In meinem Amte geht es mir, wie durch Gottes unverdiente und unaussprechliche Gnade bisher immer, ich darf Segen schauen – und Kreuz tragen, mein Herz jauchzet und blutet, ich werde erhöhet und erniedrigt. Es fehlt auch nicht an ernsten Pastoralfällen, durch welche man zum Pastorale, zur heiligen Schrift, zum Gebet getrieben wird, wenn gerade oft der Muth, die Kraft lahm werden will. Den vorletzten Fall möchte ich Dir weitläufig zu erzählen Zeit haben; aber es geht nicht – einmal vielleicht alles mündlich. Summatim ist es dieser. Vorigen Freitag brachte mir ein Aelternpaar aus der Gegend von Ellingen tiefbetrübt seinen Sohn, der von etwa zwölf katholischen Geistlichen, etwa zehn Aerzten und anderen, ,die etwas können‘ ohne bleibende Frucht behandelt worden ist, von welchen die meisten eingestanden haben, daß er besessen sei. Ich habe den Lebenslauf des jungen Mannes von fünfundzwanzig Jahren untersucht und genau aufgezeichnet – und wirklich, was alles die Weisheit alter Pastoren als Zeichen der Besessenheit aufgestellt hat, findet sich bei ihm. In der neuen Zeit ist das Unglück noch größer worden, indem zur leiblichen Besessenheit die geistliche kam – und vor der Besessenheit ungeheuren Hochmuths die leichter durch die Macht und das Wort des Herrn zu hebenden Ausbrüche der obsessio corporalis[1] zurückgetreten sind. Am Freitag konnte mich der Kranke nicht ansehen, oder er sah mich mit satanischem Grinsen an, redete von mir abgewendet, war grob und brutal, erzählte mir von Miethlingen und Judas; am Sonnabend wendete sichs – und sein Herz thaute auf, und Gottes Wort bekam Macht; ich konnte ihn leichter erkennen – und er gieng zur Freude der| Seinen mit ihnen am Sonntag nach der Kirche heiterer heim. Ich werde nun diesen äußerst merkwürdigen Fall genau beschreiben und mit meinem Gutachten an drei verschiedene Aerzte, welche Erfahrung darin haben, an Heinroth in Leipzig, an Kerner und an Dr. Reuter in Nürnberg schicken, um nach Empfang der Antworten einen bestimmten Heilungsgang einschlagen zu können. Gibt der Herr Gnade, so berichte ich Dir dann weiter.

 „Unter dergleichen Fällen wird es mir empfindlich, daß die Hauptwissenschaften der Theologie, die praktischen, freilich die mühsamsten, welche sich auch nicht blos in der Studierstube oder auf der Kanzel und in Kinderlehren herausbringen lassen, in neuerer Zeit so gar verlassen und unangebaut sind. Ich will mich nun einmal darüber machen und im nächsten Jahre im Correspondenzblatt die Hauptstücke dieser Wissenschaft aus den Alten und den vielen katholischen Pastoraltheologien referierend und würdigend zur Aufmunterung meiner Brüder im Amte und meiner eigenen Gründung vortragen. Erbitte Du, mein Theurer, mir hiezu Gottes Segen, Licht, Klarheit, Kraft und Demuth.

Dein 
W. Löhe.“ 


 Was Löhe’s geistliche Wirksamkeit in Bertholdsdorf und deren Erfolg anbelangt, so finden wir in seinen Tagebüchern aus dieser Zeit häufigere Klagen als früher über den sittlichen Zustand der Gemeinde und ihre Unempfänglichkeit, ja ihren Widerstand gegen Gottes Wort. Oft jammert er über das arme Dorf, das geistlich und leiblich mit Recht ,Bettelsdorf‘[2]| genannt werde. Er sehnte sich weg von da und war deswegen nach seinem eigenen Geständnis diesmal fröhlich in- und auswendig, als er nach Ablauf der Verwesungsperiode am 19. October 1836 Bertholdsdorf verließ. Von da aus kam er als Verweser der ersten Pfarrstelle nach Merkendorf, einem von Bertholdsdorf etwa drei Stunden entfernten Städtchen, dessen Pfarrsprengel ebenfalls zum Kapitel Windsbach gehört. „Nicht wahr, ich bringe es hoch“, schreibt er an einen Freund, „ich wandere auf meine zwölfte Stelle, will sehen, ob es mit einem Dutzend genug ist, ob ich von Merkendorf einen Ort finde, wo ich bleiben, anhaltend und nachdrücklich unter Gottes Segen lehren kann. Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Deo committo meas res,
In eo sita omnis spes.




Merkendorf.

 Hier in Merkendorf, wo Löhe vom 1. November 1836 bis Ende März 1837 verweilte, sollte endlich sein Wanderleben zu Ende gehen, und er eine feste Stätte zum Wohnen finden, die er mit keiner anderen mehr vertauschte als mit jener zukünftigen, die da ewig bleibt. Unterm 16. December 1836 erhielt er nämlich von Herrn von Eyb folgendes Präsentationsschreiben:


 „Hochwürdiger, hochedelgeborener Herr!
 Hochgeschätzter Herr Verweser!

 „Durch die Güte des Herrn Decans und Stadtpfarrers Brandt zu Windsbach erhielt ich Ihr sehr schätzbares Schreiben| vom 6. d. M., in welchem Sie mich um Verleihung meiner bereits erledigten Patronats-Pfarrei Neuendettelsau bitten.

 „Ihre allenthalben gerühmten guten Eigenschaften, der mir bekannt gewordene Wunsch der Gemeinde Neuendettelsau, Sie als ihren künftigen Seelsorger zu besitzen und vorzüglich die kräftige Fürsprache Ihres Gönners, Herrn Decans Brandt, bestimmten meinen Entschluß, Ihrer vorerwähnten Bitte, von mir auf die Pfarrei Neuendettelsau präsentiert zu werden, zu entsprechen.

 „Indem ich Ihnen dieses, dann, daß ich nicht säumen werde, die erforderliche Präsentation an die Königliche Regierung zu befördern, hiermit bekannt mache und das vorschriftsmäßige Annahme-Attest von Ihnen gewärtige: vertraue ich wegen gewissenhafter und thätiger Erfüllung Ihrer künftigen Berufspflichten ganz auf Ihre mir schriftlich gegebene Zusicherung und verharre hierbei mit ausgezeichneter Hochschätzung

 Euer Hochwürden Hochedelgeboren

ergebenster Diener 
Friedrich Carl Freiherr v. Eyb. 
 Eichstädt, den 16. December 1836.“


 Den näheren Hergang seiner Berufung nach Neuendettelsau erzählt Löhe selbst in einer im Jahre 1843 verfaßten Pfarrbeschreibung folgendermaßen:

 „Da ich in Bertholdsdorf Verweser war, machten mir einst einige Leute von Neuendettelsau den Vorschlag, beim etwaigen Abgange ihrers Pfarrers an seine Stelle zu treten. Ich wußte nichts von Neuendettelsau, erkundigte mich jedoch, wenn auch gar nicht über das Einkommen der Pfarrstelle, das mir bis zu meinem Aufzug unbekannt blieb, doch um die übrigen Verhältnisse, und gab endlich zur Antwort, daß ja die Männer, die| mit mir sprachen, keinen Auftrag hätten, mit mir zu sprechen. Acht Tage darauf kamen aber dieselben Männer mit den Ortsvorstehern der Pfarrei. Sie alle wiederholten den Vorschlag. Wenn ich einwilligte, wollten sie seiner Zeit bei dem Patron, Herrn von Eyb, gern einen Fußfall thun. Ich war mit vielen edlen Freunden bekannt geworden, die mich ungern auf dem Lande sahen; ich selbst wäre je und je lieber Pfarrer in einer Stadt gewesen; ich hoffte, eine Stellung nach Wunsch zu erhalten. Doch wollte ich die gute Meinung der Neuendettelsauer nicht zurückstoßen und gab deshalb die Antwort: ,Wenn ich zur Zeit, da Eure Pfarrei vacant wird, noch keine andere Stelle habe, so will ich mich um die Stelle bewerben.‘

 „Ich wurde im Spätherbst Verweser in Merkendorf, und Pfarrer Weigel wurde nach Leutershausen befördert. Ich hatte noch keine Stelle, so mußte ich also meine Hand nach Neuendettelsau ausstrecken. Ich übergab einen einfachen Privatbrief meinem väterlichen Freund (Herrn Decan Brandt) zur Besorgung an Herrn v. Eyb, und siehe, zu meinem fast unwilligen Erstaunen sagte mir Herr v. Eyb die Stelle zu. Man gratulierte mir allenthalben zu der guten Anfangsstelle! Ich wußte nichts von ihrer Güte – und wunderte mich, Landpfarrer zu sein. Auch meine Freunde, die mich lieber in einer Stadt gewußt hätten, wunderten sich über Gottes Wege.

 „Nun mußte aber meine Pfarrei erst ein halbes Jahr verwest werden. Ich bat um die Verwesung aus guten Gründen. Sie wurde mir abgeschlagen und dem jetzigen Herrn Pfarrer von Elpersdorf, meinem Freunde Tretzel, gegeben. Da dieser eine ganz andere, schneller wirkende Art und Weise der Amtsführung sich angeeignet hatte, so fürchtete ich, es möchte mir das Herz der Gemeinde Neuendettelsau durch die Trefflichkeit meines| Freundes entwendet, mir mein Anfang schwer gemacht werden. Ich schrieb an Herrn v. Eyb, er möge lieber Tretzel’n die Pfarrei geben, erhielt aber keine Antwort. Es gieng nun, wie ich gefürchtet hatte. Als ich am 1. August 1837 hier ankam, waren mir die schlimmsten Gemeindeglieder am meisten gewogen, aus Haß des Verwesers, und die besten waren mir ferner getreten. Meine Verweserseigenthümlichkeiten hatten manchem nachfolgenden Pfarrer den Anfang erschwert; nun kostete ich selbst diese Bitterkeit – und danke Gott dafür. Ich habe schwere Zeit gehabt im lieben Neuendettelsau, ich habe sie noch. Aber der Herr gibt dennoch Gnade! Ihm sei Dank für alles.“
.
 Als Löhe die Präsentation für die Pfarrei Neuendettelsau bereits in Händen hatte, trat indessen ein Ereignis ein, welches seine ganze Zukunft in Frage zu stellen drohte. Seine gewissenhafte Treue gegen das Schriftwort brachte ihn in der letzten Hälfte seines Merkendorfer Aufenthaltes in eine schwere Collision mit dem in der Landeskirche geltenden Eherecht und in Folge davon in eine Lage, in der ihm nichts übrig zu bleiben schien, als ein Märtyrer seiner Ueberzeugung zu werden und auf den Dienst in der lutherischen Kirche Bayerns zu verzichten. Der Fall war dieser: Ein Einwohner von Merkendorf N. N. hatte sich mit einer Bürgerstochter von dort verheirathet, war aber nach einem halben Jahr wieder geschieden worden. Diese Scheidung geschah nach beiderseitiger Einwilligung in Folge einiger kleinen Zwistigkeiten, welche die junge Frau mit ihrer Schwiegermutter gehabt hatte. Nach etwa einem Jahre seit erfolgter Scheidung legte N. N. dem Pfarramte die gerichtliche Heirathslicenz vor, durch welche er zu einer anderweitigen Verehelichung ermächtigt war, und verlangte Proclamation. Er wurde nun von Löhe auf die Lehre des neuen Testamentes von| der Ehe, besonders auf die Stelle Matth. 19, 9 aufmerksam gemacht und erkannte auch unter Thränen die Sündigkeit der neuen Ehe an. Da er jedoch von derselben nicht abstehen wollte – vornehmlich auf Betrieb seines zukünftigen Schwiegervaters, der erklärte, er nehme Sünde und Verantwortung vor Gott auf sich –, so sagte ihm Löhe zwar sofortige Proclamation zu, erklärte ihm aber, daß er die Trauung anderwärts nachsuchen müsse, da er, Löhe, durch Matth. 19, 9 in seinem Gewissen gebunden sei.
.
 Die Sache schien indeß ohne weiteren Rumor beigelegt werden zu können, als der Schwiegervater sich willfährig zeigte, sein Brautpaar an einem anderen Orte trauen zu lassen. Diesen Ausweg zu ermöglichen hatte Löhe unterm 2. Februar 1837 ein Dimissoriale ausgestellt. Später in einem gleichen Fall weigerte er sich bekanntlich aufs entschiedenste, sich dieses Auskunftsmittels zu bedienen, und auch in dem Fall, um den es sich hier handelte, stiegen ihm Zweifel auf, ob er nicht durch Ertheilung des Dimissoriales zu sehr vor dem Riß zurückgetreten sei, vor den er sich ohne Furcht und Scheu stellen sollte. Die Sache rückte indeß bald in ein Stadium, in welchem Löhe die volle Entschiedenheit des Bekennens und Handelns wieder fand. N. N. folgte üblem Rath, das ihm ausgestellte Dimissoriale nicht zu benutzen, und wurde beim Landgericht gegen Löhe klagbar. Die Sache gieng an die Regierung, von da an’s Consistorium, und letztere Behörde forderte Löhe zur Verantwortung auf. In seinem Rechtfertigungsschreiben vom 7. Februar erzählt Löhe den Hergang des Falls und legt die Gründe dar, die ihn zur Verweigerung der Trauung bestimmten. Er habe sich zur Vornahme der Trauung um so weniger entschließen können, als die Scheidung der vorigen Ehe N. N.’s, wie die Leute sich ausdrückten, um ein „gar Nichts“ erfolgt und in der Gemeinde| sehr auffallend befunden worden sei. Auf den vorauszusehenden Einwurf, daß die Schuld in solchen Collisionsfällen nicht den einzelnen Geistlichen sondern die bestehende Gesetzgebung treffe, erwiderte Löhe: „Wenn in solchen Fällen das göttliche Gesetz das Gewissen eines Geistlichen ergreife, (Matth. 19, 9) er in dem Bewußtsein stehe, daß eine Ehe wider Gottes Wort laufe, so dürfe er sich gewiß nicht bei dem menschlichen Gesetze beruhigen oder sein Gewissen dem Ermessen höher gestellter Personen unterwerfen, weil er damit sein Gewissen tödten und seine Persönlichkeit aufgeben würde, welche ja eben in treuer Bewahrung jenes Verhältnisses bestehe, welches zwischen dem Individuum und dem göttlichen Gesetze obwalte.“

 Ebenso faßt Löhe den Einwand ins Auge, daß ja auch Moses um der Herzenshärtigkeit willen Scheidung in mehreren Fällen erlaubt habe. Dagegen bemerkt er aber: „Hier ist nicht von Scheidung, sondern von Copulation, nicht von Moses, sondern von der Kirche Christi und des Neuen Testaments die Rede. Es ist kein Zweifel, daß viele sogenannte Christen auf alttestamentlichem Standpunkte stehen und nach demselben behandelt werden müssen; aber sie können darnach eher vom Staate, der das Gesetz repräsentiert, als von der Kirche behandelt werden, welche nur einen Standpunkt hat, den sie nie verlassen darf, den, welchen ihr das Wort Christi, also im gegebenen Fall Matth. 19, 9 und die Parallelstellen anweist.“




 Auf diese Verantwortung Löhe’s ergieng unterm 20. Februar die Entscheidung des Consistoriums, in der zwar die Ehescheidungen überhaupt und die N. N.’sche insbesondere von kirchlichem Standpunkt beklagt, im Uebrigen aber dem Pfarramt| das Recht, die erfolgte Scheidung einer Prüfung zu unterstellen, abgesprochen wurde. „Das Pfarramt“ – fährt hierauf das Rescript wörtlich fort – „ist vielmehr schuldig und verbunden, einen solchen geschiedenen Ehegatten als zur Wiederverehelichung befugt zu behandeln, und gemäß der obliegenden und übernommenen Amtspflichten und des dem Staat auf Beobachtung der Staats-Verfassung und Befolgung der Landesgesetze geleisteten Diensteides auf Verlangen und wenn alle gesetzlichen Vorschriften erfüllt sind, die zur Eingehung einer zweiten Ehe nothwendige kirchliche Trauung zu vollziehen.

 „Durch Verweigerung der Befolgung dieser heiligen Amtspflicht und den hiedurch an den Tag gelegten Ungehorsam gegen die Obrigkeit würde das Pfarramt nicht blos gegen den geleisteten Diensteid, sondern selbst gegen das göttliche Gebot (Röm. 13, 1-5) handeln. Glaubt indeß ein Geistlicher, daß sein Gewissen mit der Erfüllung dieser Amtspflicht in Collision gerathe und jenes die Ausführung nicht zulasse, so bleibt demselben kein anderer Weg (wiewohl eine solche Ansicht irrig und zu misbilligen ist), als um Entbindung von dem übertragenen Amte zu bitten und auf fernere Uebernahme einer Pfarramts-Verwaltung zu verzichten.

 „Hiernach ist der Pfarramtsverweser Löhe in Merkendorf zu belehren und zu bescheiden und zur Trauung des N. N. nach dessen Verlangen anzuweisen und anzuhalten.“

 Löhe blieb hierauf nur ein Schritt noch übrig, nämlich eine Remonstration beim Ober-Consistorium. Seine Eingabe ist von dem hohen Ernst der Entscheidung, die ihm bevorstand, durchdrungen. Nach einer summarischen Darstellung des Falls vertheidigt er sich gegen den Vorwurf des Ungehorsams und der Verletzung seines Diensteides und bittet Angesichts der für seinen Lebensgang so entscheidenden Folgen der Entschließung der obersten| Kirchenbehörde um Berücksichtigung und Schonung seines Gewissens. Wir theilen den Wortlaut der betreffenden Stelle mit:

 „Da Amtshandbuch p. 260 Beweis ist, daß der Staat in Verweigerung der Trauung, welche von katholischen Geistlichen nach den Grundsätzen ihrer Kirche geschieht, keine Verletzung des Diensteides erkennt; so wird auch der protestantische Geistliche, welcher vor dem Gesetze dem katholischen gleichgeachtet ist, wofern er, auf klaren Aussprüchen des göttlichen Wortes stehend, eine Trauung verweigert, nicht als eidbrüchig betrachtet werden können. Wäre das nicht der Fall, so hätte eine Seele, welche in Matth. 19, 9 gefangen ist, nichts übrig, als eine Anwendung von Römer 13, 1–5 zu beweinen und in kleinen Sachen demüthig auf das Wort des großen Apostels Act. 4, 19. 5, 29. zu provocieren.

 „Ob nun zwar der unterthänig gehorsamst Unterzeichnete bereit ist, um sein Gewissen zu retten, von dem geistlichen Amte nach der hohen Consistorial-Entscheidung abzutreten; so ist doch ein solcher Schritt für den Lebenslauf eines Menschen nichts Kleines.

 „Ich habe seit sieben Jahren die Köstlichkeit meines Lebens in dem heiligen Amte suchen und finden lernen, habe über diesem Amte alles Andere so hintangesetzt, daß ich zu einem andern Werke keine Tüchtigkeit in mir finde. Ich unterwinde mich daher, ehe ich der hohen Consistorialentscheidung Folge leiste, Ein Königliches Oberconsistorium demüthigst zu bitten:

 „Es wolle gnädigst von den Acten Kenntniß nehmen und entscheiden, ob der unterthänig gehorsamst Unterzeichnete, welcher in Fällen, wie der gegenwärtige, nicht trauen darf, ohne daß es ihm zur Sünde wird, auf das Pfarramt zu verzichten habe, oder eine gleiche Berücksichtigung seines| Gewissens, wie alle katholischen Geistlichen seines Vaterlandes nach Amtshandbuch p. 260, finden könne?

 In völliger Ergebung verharrt mit tiefster Devotion
 Eines Königlichen Oberconsistoriums
 unterthänigst gehorsamster

Johannes Konrad Wilhelm Löhe, 
Pfarramtsverweser.“ 


 Am 18. März 1837 erfolgte die Entscheidung des Oberconsistoriums folgenden Inhalts:

 „In dem rubricierten Betreff hat das Königliche Oberconsistorium die abschriftlich folgende Entschließung, welche dem Königlichen Decanat Windsbach zu seiner Belehrung und Diensteskenntnis und zur Bekanntmachung an den Pfarrverweser Löhe in Merkendorf eröffnet wird, erlassen.

 „Obgleich der Pfarrverweser Löhe durch die gegen den N. N. ausgesprochene Weigerung, die von demselben mit vollem Rechte begehrte Trauung zu vollziehen, sich gegen seine Amtspflicht sehr verfehlt hat, kraft welcher ihm in seiner, von dem Seelsorgeramte wohl zu unterscheidenden Eigenschaft eines Kirchendieners oblag, auf den neuen Ehebund des N. N. die von der Kirche vorgeschriebene Form anzuwenden, und obgleich hiernach auf seine wiederholte Einwendung dagegen keine Rücksicht zu nehmen ist, vielmehr bei fortgesetzter Weigerung mit den verordnungsmäßigen Zwangsmitteln gegen ihn einzuschreiten und nöthigenfalls seine Entlassung von der Pfarrverwesung zu verfügen wäre; so hat man dennoch bei den besonderen, in dem Berichte des Decanats berührten Umständen der Lage der Sache angemessen befunden, das Königliche Consistorium, wie hiemit geschieht, aufzufordern, die thunlichste Einleitung zu treffen, daß die Trauung des N. N. durch einen anderen Geistlichen vollzogen werde.

|  „Da das Letzte nach Bericht vom 14. huj. geschehen ist, so ist dieser Punkt erledigt und beruht.

 Ansbach, den 18. März 1837.

Königliches protestantisches Consistorium.“ 


 Löhe meinte in einem Brief an Professor Guerike, dem er den Ausgang dieser Trauungsgeschichte mittheilte, man habe ihn in München nach dem Grundsatz behandelt: „Ich will ihn züchtigen und loslassen.“ Dieser Fall gab übrigens die Anregung, daß durch den damaligen Consistorialrath von Dobeneck bei dem Landtag der Antrag auf Abänderung der in den ehedem Markgräflichen Provinzen geltenden preußischen Gesetze in Ehesachen gestellt wurde, und am 19. August 1837 im ersten Ausschuß der Kammer der Abgeordneten auf Vortrag des Referenten Dr. Stahl folgender Schlußantrag desselben zur Annahme kam:

 „Seine Königliche Majestät mögen die verfassungsmäßigen Organe der protestantischen Kirche über die Feststellung der Ehescheidungsgründe zum Zwecke gleichmäßiger bürgerlicher Gesetzgebung, beziehungsweise der Herstellung eines gemeinen protestantischen Kirchenrechtes für die sieben älteren Kreise des Königreiches mit Gutachten vernehmen und einen dem beantragten Zwecke entsprechenden Gesetzentwurf den Ständen des Reiches zum Beirath und zur Zustimmung vorlegen lassen.“

 Das war der Ausgang dieser Angelegenheit, welche einen für Löhe so ernsten Verlauf zu nehmen gedroht hatte. Trotz der Spannung, in welcher ihn dieser ernste Zwischenfall erhielt, fand Löhe doch Zeit und Ruhe zur Ausarbeitung eines Büchleins, mit dessen Plan er sich schon seit längerer Zeit trug.

 Bereits in Nürnberg nämlich hatte Löhe die Absicht gehabt, ein kleines Beicht- und Communionbüchlein zu schreiben. In| Merkendorf kam dieser Plan zur Ausführung. Seinen dortigen Confirmanden zu Lieb und Dienst schrieb er sein „Beicht- und Communionbüchlein für evangelische Christen“, bekannter unter dem Namen „Prüfungstafel“. Diese im Jahre 1871 in fünfter Auflage erschienene Schrift ist freilich in dieser ihrer neuen Gestalt viel stattlicher von Ansehen und viel reicher an Inhalt geworden als sie es ursprünglich war. Die Anlage des Büchleins jedoch, welches in zwei Abschnitten, Beicht- und Abendmahlsgebete sammt einem Liederanhang enthält, ist auch in allen späteren Auflagen dieselbe geblieben, und die ursprüngliche Auswahl von Gebeten und Liedern bildet auch in der sehr erweiterten späteren Gestalt des Buches den Kern des Ganzen. Löhe sagt in der nur ein Jahr vor seinem Tod geschriebenen Vorrede zur fünften Auflage der Prüfungstafel: „die verschiedenen Auflagen des Buches suchen gleichen Schritt mit der sacramentlichen Neuentwickelung der lutherischen Kirche einzuhalten“. Dies ist eben so wahr, als daß auch seine eigene fortschreitende kirchliche Entwickelung in denselben in ihrem Stufengang zur Erscheinung kommt. Die belehrenden Abschnitte (Summarien), sowie die auf die liturgische Ausgestaltung der Sacramentsfeier sich beziehenden Stücke fehlen in der ersten Auflage, welche mit Ausnahme der Form der Prüfungstafel, etlicher Fragen und eines einzigen Gebets lauter Gebete und Betrachtungen aus dem Schatz des Alterthums, d. h. der Väter unserer lutherischen Kirche enthielt. Einem Bündlein Kräuter unter dem Märzenschnee hervorgeholt verglich Löhe diese Sammlung von Gebeten und Liedern der Väter. „Der Reichthum unserer Kirche“, sagt er, man erlaube uns diese schöne Stelle aus der Vorrede mitzutheilen, – „ist wie eine fette Wiese unter dem Schnee des Frühlings: dies Büchlein ist ein Bündlein Kräuter, unterm Schnee hervorgeholt zu Liebe denen, welche die Wiese lieben.| Wenn nun der Schnee gar hinweg ist und die Sonne mächtiger wird (wer freut sich nicht darauf?), dann wird das liebe reiche Grün und Gottes Segen über ihm vor aller Augen offenbar werden! O liebe Sonne, Frühlingssonne, komm empor und unter deinen Flügeln Heil!“

 Dieses Büchlein, sowie das schon früher erwähnte über die Beichte, beide aus reicher Kenntnis der geistlichen Schätze der lutherischen Kirche und inbrünstiger Liebe zu ihr selbst geboren, lenkten auf Löhe die Aufmerksamkeit einiger Männer, die, eben so sehr wie er der lutherischen Kirche zugethan, sich darnach sehnten, sie wieder gebaut und ihre Steine und Kalk zugerichtet zu sehen. In einem Briefe Löhe’s aus jener Zeit finden wir folgende Stelle: „Mein Leben ist auch sonst gegenwärtig recht interessant, da mir mein kleiner Beichtunterricht einen Briefwechsel mit Leuten, wie Huschke, Wermelskirch, Rudelbach etc. gebracht hat, und ich auf diese Weise die edelsten Seelen kennen lerne, welche es nicht für Schmach, sondern für Ehre halten, einer so kleinen Schaar anzugehören, wie die jetzige, sehr verachtete lutherische Kirche ist.“

 Löhe hatte die Kämpfe der Schlesischen Lutheraner schon seit Jahren mit reger Theilnahme verfolgt, nun aber trat er mit einigen der Leiter jener Bewegung in persönliche, wenn auch zunächst nur briefliche Verbindung. In einem besonders nahen Verhältnis stand er damals zu Professor Guerike in Halle, an dessen persönlichem Ergehen in jener für Letzteren so schweren Zeit er eben so innigen Antheil nahm, als er bemüht war, etwa auftauchende Differenzen zwischen ihm und den Schlesiern, z. B. über die Frage von den Laienältesten, zu ermitteln. Er fühlte mit klarem Bewußtsein die Verwandtschaft seines Strebens mit jener lutherischen Bewegung in Preußen, die einen geistigen Zusammenschluß der Gleichgesinnten in Bayern und Preußen| natürlich erscheinen ließ. „Auch uns“, sagt er in einem Briefe an Professor Guerike, „bewegt eine und dieselbe wichtige Angelegenheit, wie wir nämlich immer mehr wieder in den geistigen Besitz unserer Väter kommen mögen. Darum sind wir Eure Brüder, Euch zugethan mit Herz, Mund, Rath und That, mit Euch trauernd und mit Euch erfreut: sammt Euch streitend, mit Ihm siegend, triumphierend.“

 Am Ostermontag den 27. März hielt Löhe seine letzte Predigt in Merkendorf und kehrte noch an demselben Tage in seine Vaterstadt zurück. Hier verlebte er ohne amtliche Thätigkeit die Frühlings- und ersten Sommermonate des Jahres 1837. Es war für ihn ein Frühling besonderer Art, wo die Blüthenpracht der Natur ihm von Verheißungen Gottes weissagte, die schon im Sommer zur Erfüllung reisen sollten. Gott hatte ihm in diesem Jahr eine bleibende Stätte des Wirkens im Pfarrhause und in der Gemeinde Neuendettelsau bereitet, nun ließ er ihn auch die Gehilfin finden, die leider nur auf so kurze Jahre seines Hauses Ehre und Freude werden sollte. Am 26. April erhielt er von Jungfrau Helene Andreae das bräutliche Ja. In den schon erwähnten Erinnerungsblättern erzählt Löhe den Hergang seiner Verlobung in folgender Weise:

 „Im Frühjahr 1837 wurde ich Pfarrer dahier (zu Neuendettelsau), wider Verhoffen. Ich brachte die Zeit von Ostern bis 1. August in meiner Vaterstadt zu. Zwar war ich in Fürth nicht geachtet, aber ich war doch Pfarrer und in einer guten Pfarrei, NB. Anfangspfarrei. Grundes genug, daß man vom Heirathen redete. Auch die Meinigen redeten davon. Meine jüngere Schwester hatte einen richtigen Blick in mein Gemüth gethan, sie rieth mir Helene Andreae, welche damals ihr achtzehntes Jahr verlebte. Auch meine übrigen Verwandten waren derselben Meinung, meine liebe Mutter voran. Aber wie nun| die Sache anfangen, da man von Herrn Ferdinand Andreae kein leichtes Ja hoffen konnte? – Meine jüngste Schwester, die mit Frau Andreae bekannt war, schrieb an diese. Dieselbe stimmte vollkommen zu, wußte auch aus Helenen’s einfältigem Herzen so viel zu erforschen, daß ich der Tochter wie der Mutter sicher sein konnte, ohne daß die Tochter von einer nahenden Bewerbung etwas zu wissen bekam. Frau Andreae rieth, ich möchte mich geradezu an ihren Mann wenden, bei welchem sie selbst die Sache nicht vorzubringen wage. Ich schrieb also an Herrn Ferdinand Andreae. Ich bekam nicht auf der Stelle eine Antwort, sondern nur ein Recepisse mit Hinausschiebung der Antwort auf einige Tage. Herr Ferdinand Andreae fragte bei Herrn Naumann etc. über meine Vermögensumstände an, von denen ich ihm die Wahrheit geschrieben und meine Armuth gestanden hatte. Er bekam falsche, auf der Wohlhabenheit einiger Verwandten basierende Antwort und gab mir dann in seinem und meiner Schwiegermutter Namen Ja und Amen.

 „Von meiner Liebsten habe ich hernach gehört, daß man Familienrath gehalten, und daß eine Tante gerathen hatte, Helenen den Pfarrer nicht zu versagen, da sie bei ihren Grundsätzen schwerlich einen andern Mann bekommen würde. Sie wußte nicht, daß zwei andere bereits um die liebe Hand geworben, aber von Helene ein Nein empfangen hatten.

 „Mein Schwiegervater hatte mir aufgetragen, das Ja meiner Helene selbst brieflich einzuholen. Mein Brautbrief und ihre heilige, einfältige, schöne Antwort findet ihr in dem Briefwechsel, den ich aufbewahrt habe. Meine alte Mutter vergoß über ihren Brief Freudenthränen, und viele haben mir gesagt, daß sie einen solchen Brief nie gelesen hätten.“

 Wir lassen den eben erwähnten Brief, in welchem Löhe die Zusage Helenens empfieng, sowie denjenigen, welchen nach| Eintreffen von Helenens Jawort Löhe’s Mutter an die Mutter der Verlobten ihres Sohnes richtete, hier folgen.




Frankfurt, den 26. April 1837. 
 „Vergangenen Samstag den 22. curr. erhielt ich Ihren Brief, welchen Sie an meinen Vater geschrieben haben, zu lesen, der mich sehr überraschte. Ich betete den 103. Psalm, denn ich habe Gott nicht erst um Erkenntnis Seines Willens bitten müssen, sondern danken, daß Er mich, Sein armes, sündhaftes Kind, so voller Gnade und Liebe Seine Wege führt. Ich habe mir solche Gedanken nie erlaubt und hätte nie glauben können, daß Ihre Wahl unter so vielen Jungfrauen auf mich, die unwertheste, fallen würde. Sie haben mich den HErrn lieben lernen, Dank sei Ihm, daß Seine Gnade an mir nicht vergeblich gewesen ist. Nachdem ich mich heute den 26. nochmals dem HErrn übergeben, daß Sein Wille an mir geschehe, erhielt ich Ihren lieben Brief, und ich kann Ihnen in stiller Ruhe meiner Seele ein Ja und Amen schreiben. Der HErr, vor dessen Angesicht ich diesen Brief schreibe, weiß, daß ich Sie mehr liebe als alle anderen Männer, und ich freue mich sehr, Ihre Helene zu werden. Ich bin freudig, mit Ihnen Einem Gott zu dienen, unter Einem Volk zu leben; ich kann Ihnen sagen: ,Dein Gott sei mein Gott, Dein Volk sei mein Volk; wo Du hingehst, da gehe ich auch hin, wo Du bleibst, da bleibe ich auch; ich will mit Dir Dein Thränenbrot essen und Deine guten Tage sollen meine Freude sein.‘ Der HErr hat solche Liebe in mein Herz gegeben, auch Lust und Liebe zum Beruf einer Pfarrfrau, einer Landpfarrerin; der HErr gebe mir, Seinem schwachen Werkzeuge, auch Kraft und Stärke, daß ich Ihnen eine wahre Gehülfin werde, daß ich meinem Gott und Ihnen Ehre und keine Schande mache. Ja,| das Neuendettelsauer Pfarrhaus möge unter Gottes Hülfe und Segen eine Hütte Gottes unter der Gemeinde werden. Der HErr leite uns ferner nach Seinem Rath und nehme uns endlich zu Ehren an.

 „Der dreieinige Gott vereinige sich immer mehr und inniger mit uns, daß wir beide Gottes Tempel seien, wo Seine Ehre wohnt. In unserem Bunde sei Christus der Dritte. Unser Gott mache auch mich würdig des Berufs und erfülle an uns alles Wohlgefallen der Güte und das Werk des Glaubens in der Kraft, auf daß an uns gepriesen werde der Name unseres Herrn Jesu Christi. Amen.

 „Viele herzliche Grüße an Ihre geehrte Mutter, Frau Schröder und übrige werthe Familie von mir. Meine liebe Mutter wird selbst schreiben, obgleich ihr das Schreiben heute sehr viel Mühe kostet, denn sie ist sehr angegriffen. Der HErr erbarme sich ihrer und stärke sie. Meine Familie hat mir auch Grüße an Sie aufgetragen, sie freut sich, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.

 „Der HErr sei mit uns in dieser wichtigen Zeit. Er segne Sie und schenke Ihnen und mir immer mehr Gnade und Seinen Frieden in reichem Maaße. Amen.

Ihre 
dankbare 
Helene Andreae. 




 „Verehrte, theure Frau Andreae!

 „Mit wahrer Freude und innigem Danke gegen Gott ist auch mein Herz erfüllt wegen der durch Gottes allwaltende Gnade herbeigeführten Verbindung Ihrer geehrten Fräulein Tochter und meines ältesten Sohnes. Ist es Beruhigung und Trost für ein| Mutterherz, die zukünftigen Tage eines ihrer Kinder verschönert und erleichtert zu wissen, so dürfen Sie wohl glauben, daß dies bei mir in ganz besonderem Grade der Fall ist. Mein Wilhelm ist der letzte meiner Kinder, für den ich noch die Sorge um eine Gehülfin im Herzen trug! Mein Herr und Gott hat diese meine Sorge gesehen, dies mein Gebet, das unzähligemal zu Ihm emporseufzte, gehört, und dieser Kreis meiner Sorgen ist geschlossen, und Ihm bringt mein Herz dafür Ruhm, Preis und Dank! Sollte ich dies nicht thun mit überschwänglichem Herzen?

 „Helene, die jüngste nun meiner Töchter, bringt und muß ja meinem Hause Segen bringen! Sie ist eine fromme Tochter, und das ist die edelste Zierde, die sie haben kann! Sind Sie versichert, daß ich schon früher, wie viel mehr noch jetzt Helene herzlich liebe, es soll die Freude meines Alters sein, wenn ich sehe, daß sie fröhlich und glücklich in dem Besitz meines Sohnes ist. Sie hat sich mir empfohlen und ist mir nahe gelegt. Was im Glauben angefangen worden, wird auch im Glauben enden. Der Zielpunkt unserer Kinder ist ein ewiger! Lassen Sie uns ihnen voran gehen, auf daß wir dereinst mit der Schaar der Unsern gekleidet in Gerechtigkeit und Reinigkeit erfunden werden als Auserwählte vor dem Throne Gottes. Lassen Sie uns täglich vor Ihm uns vereinigen in Bitte, Gebet und Fürbitte! Er wird unseren Kindern geben, was sie bedürfen an Leib und Seele. Unser Vertrauen sei fest und unwandelbar, denn Er ist ein Schatten in der Hitze, eine Zuflucht im Ungewitter! Preis Ihm ewiglich. Amen!

 „Meinen Sohn sollte ich billiger Weise auch Ihnen empfehlen zu mütterlicher Liebe und Treue. Aber brauche ich denn da zu bitten, wo schon im Voraus gewährt ist? Halten Sie ihn ferner Ihrer Liebe und Gewogenheit werth, vergessen Sie mich Mutter, sammt meinen übrigen Angehörigen nicht! Helene,| meine liebe Tochter, grüße ich herzlich, gleich wie meine Kinder alle. Wilhelm’s Grüße stehen und gehen allen andern voran.

 „Ich aber verharre in Liebe und Hochachtung als
 Ihre ergebenste

M. B. Löhe.[3] 
 Fürth, den 7. Mai 1837.“




 Das Tagebuch Löhe’s ist während der drei Monate seines Brautstandes sehr knapp und die Aussprache seiner Empfindungen karg und maßvoll. Einen etwas reicheren Blick in sein Inneres lassen einige Briefe thun, in welchen er Freunden seine Verlobung anzeigt. Wir lassen diese Briefe, von denen der eine an Professor Guerike, der andere an Pfarrer Kündinger gerichtet ist, hier folgen.




 „Mein theurer, herzlich geliebter Bruder!

 „...In meinen vielfachen Amtsverwesungen hatte ich je und je bei dem Segen, welchen mir der HErr gab, mit Betrübnis merken müssen, wie schwierig die Seelsorge der Frauen sei; wie leicht ein schwaches Weiberherz einem kräftigeren Mannsgemüthe in der Meinung zufällt, daß ihm anhangen gleichbedeutend sei mit Christo anhangen. Ich hatte mir deshalb längst vorgenommen, zumal auf die Ermahnungen mancher, mir sehr nahe stehender Personen, die mich vor meiner mönchischen Anlage warnten, zu heirathen, wann der HErr Raum verschaffen würde. Ich war aber dabei voll Furcht: denn ich habe an manchem meiner Freunde bemerkt, daß ihre öffentliche Amtsführung von der Zeit an tadelhaft wurde, da sie in den Ehestand traten: ein Weib war die Klippe geworden, an der sie| zerbrachen. Da es nun mir vorschwebte, den HErrn damit zu verherrlichen, daß ich beweibt Ihm treu und in der Kraft des Amtes verharrete, und ich wünschte, an meinem Beispiel zu beweisen, daß die Ehe eine Ordnung Gottes, dem Amte, weil dem Charakter des Pfarrers, Vortheil bringt; so war eine Wahl zu treffen für mich keine Kleinigkeit, zumal ich auch für einen Gräuel hielt, ohne Neigung zu wählen. Jedoch ich habe im Namen des HErrn gewählt und werde mich Ende Juli mit Maria Helene Andreae in Frankfurt a. M. verehelichen. Sie ist – ein gutes Omen! aus dem Geschlechte jenes Andreae, der so sehr zur Concordienformel half, und hat ihre religiöse Bildung vor einigen Jahren von mir selbst empfangen. Da ich seit einem Jahre in dem von mir nicht veranlaßten Gerüchte stand, Bräutigam einer Tochter...... zu sein, so kam ihr mein Antrag völlig unerwartet und der HErr ebnete mir selbst hernach den Weg zum Herzen des Vaters, der mir nichts weniger als freundlich gewesen war in früherer Zeit.

 „Siehe, da weißt Du meine Sachen! Der HErr hat mir einen Sinn gegeben, daß ich Sein zu sein, Ihm zu leben und Ihm zu sterben begehre! Sein Name werde geheiligt, Sein Reich komme, Sein Wille geschehe! Amen.“




Fürth, den 12. Juni 1837. 

 „Mein theurer Bruder und Gevatter!

 „Was ich Dir, meine Person anlangend, zu sagen habe, ist etwas, was Du längst erfahren hättest, wenn nicht mich immerfort das eitle Geschwätz so umschwärmte, daß ich dadurch beinahe die Stimme mit meinen Freunden darüber zu reden verloren hätte. Also Summa: ich habe, gleichwie mich Se. Majestät zum Pfarrer von Neuendettelsau gemacht hat, die Jungfrau Helene Andreae von Frankfurt a. M. zur Pfarrerin| ernannt und werde sie in den letzten Tagen des Julius, will’s Gott, heimholen. Ein Bräutigam muß seine Braut nicht loben, wohl aber lautet es nach dem letzten Capitel der Sprüchwörter schön, wenn „der Mann sein Weib lobt“. Die Ehe muß die Trefflichkeit der Wahl darthun – an sie verweise ich meine Freunde. Wenn ich durch Helenen meine Kraft verliere, für den HErrn zu leben und zu sterben, wie Simson durch Delila, – wenn mein Blick von meinem Hause, meinem Weibe verschlungen wird und ich aufhöre zu arbeiten für Ihn, wenn die Haussorge angeht: dann bin ich ein geschlagener Mann. Ist aber das nicht, bin ich des HErrn und werde es desto mehr, beweise ich durch meine Ehe, daß die Ehe heilig ist, bewähre ich meinen Glauben in Amt und Haus; bin ich hinfort vier Arme und vier Beine zum Besten der Gemeinde und zwei Herzen, zu beten für derselben Nothdurft – bin ich Alles, was ich war, mehr und reiner: dann hat mein Herr meine Gedanken zu Helenen, Helenen’s Herz zu mir geführt – und der Beweis ist da, daß Ehe und Priesterthum, nicht aber Cölibat und Priesterthum zusammengehören. Im Namen des HErrn hab ich begonnen. Er wird verhindern, wird mich behüten, daß ich nicht im Fleisch vollende! – – – Siehe, mein Bruder, meine Freudigkeit und bete mit mir ein Amen.
W. Löhe.“ 


 Es handelte sich nun, wann der Bräutigam die Braut besuchen sollte. Ihr Vater meinte, an Pfingsten; aber Helene konnte an Pfingsten den Bräutigam nicht gebrauchen, weil der Brautbesuch Unruhe verursachte, sie aber mit ihrer Mutter Ruhe haben wollte, um zum Hl. Mahle zu gehen. Der Brautbesuch pressierte nicht so. Darum schrieb sie:

 „Meine liebe Mutter und Ihre Helene möchten gerne die Pfingsten zum heiligen Mahle gehen; würden Sie dann vor| Pfingsten kommen, so würde diese Zeit durch viele Besuche wohl unruhig werden. Die Pfingsttage selbst sind große Lustbarkeiten in Frankfurt, ruhig kann ich diese Zeit nicht nennen.“ –

 So trat Löhe erst in der Woche nach Pfingsten seine Brautreise an. Mit ernsten Gedanken schickte er sich zu dieser Brautfahrt an. „Ich bitte den Herrn“, heißt es in seinem Tagebuch, „er wolle meine Seele vor Bräutigamsleidenschaft bewahren und mir Helenen gegenüber ein reines, stilles Herz schenken, das Seinen Frieden verkündigt mit klugem Worte und männlichem, heiligen Benehmen, wie es eines Knechtes Christi würdig ist. Der Herr erbarme sich, daß ich nicht untüchtig werde für das heilige Amt, nicht an einer Klippe Schiffbruch leide, an welcher schon so manches Schiff eines pfarrlichen und christlichen Gemüthes zerbrochen ist.“

 Diesen seinen ersten Besuch und Aufenthalt im Hause seiner zukünftigen Schwiegerältern hat Löhe nach dritthalb Jahrzehnten, aber mit noch frischer Erinnerung in dem 1861 geschriebenen Lebenslauf der Frau Emilie Fresenius Andreae geschildert, den wir bei den folgenden Mittheilungen benützen. Der Vater der Braut nahm den zukünftigen Schwiegersohn an der Post in Empfang, während diese selbst mit ihrer Mutter im stillen Frauenzimmer auf die Ankunft des Mannes wartete, der ihr selbst fremd geworden war, obwohl sie sich entschlossen hatte, mit ihm durchs Leben zu gehen. Helene war eine schlanke Jungfrau, rosigen Angesichts, welche mit der natürlichen Anmuth eine Art von stiller, schweigender und ernster Einfalt verband. Kaum reichte sie, nach Uebereinkunft, um sich dem Bräutigam kenntlich zu machen, der fürchtete, beim ersten Zusammentreffen sie nicht mehr zu kennen, kaum reichte sie ihm die Hand, um ihm zu verstehen zu geben, sie sei die Seine. Als sie nach den ersten Stunden der Begrüßung ihrer Stille wegen von der Mutter| gemahnt wurde, stand sie auf, führte den Bräutigam zu ihrem Saitenspiel, rührte es und sang mit heller Stimme: „Seelenbräutigam, Jesu Gottes Lamm“. Helene war allezeit still, des Bräutigams und seines Umgangs nicht bedürftig, ihn nicht suchend, sich bei gemeinsamen Gängen oftmals der Unterhaltung mit ihm entziehend, auffallend bis zur Besorgnis der Aeltern still. Und doch zeigte sichs dann wieder zuweilen ganz einfach und unwiderleglich, daß sie ihres Weges ganz gewiß und in ihrem Stande seelenvergnügt war. Sie war schon damals die entschiedene Christin, die ohne Nachdenken, durch das Licht ihrer großen Einfalt gefunden hatte, daß einer verlobten Braut und ihrem Bräutigam mehr die ehrerbietige Ferne gezieme als die annahende Liebe. „Als ich nach achttägigem Aufenthalt weggieng, um in meine Heimath zurückzufahren, saß sie mit ihrer Arbeit freundlich im Garten. Als ich sie fragte:, Gehst Du mit mir bis zur Post, Helene?‘ stand sie auf, reichte mir freundlich die Hand und sagte: ,Nein, wenn Du wieder kommst, geh’ ich ganz mit Dir.‘ Die Braut war in meinen Augen hoch gestiegen.“

 Nur ein Vierteljahr währte Löhe’s Brautstand, eine kurze, für ihn aber heilige Zeit, die ihm nach mehr als dreißig Jahren in der Erinnerung duftete und blühte. Löhe hat in dem kleinen Denkmal, das er seiner entschlafenen Lebensgefährtin geweiht hat (in der zweiten Ausgabe), einen Auszug aus dem Briefwechsel, den seine Verlobte während der Brautzeit mit ihm unterhielt, gegeben, auf den wir hier verweisen.

 Am 25. Juli 1837, an demselben Tage, an welchem er sechs Jahre vorher die heilige Ordination empfangen hatte, wurde er zu Frankfurt a. M. in der St. Katharinenkirche getraut. Am 1. August zog er in Neuendettelsau ein und am nächsten Sonntag hielt er seine Antrittspredigt, von der wir, des an sie sich knüpfenden Interesses wegen, einen gedrängten Auszug mittheilen.

|  Der Text der Predigt war Luc. 11, 28: „Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren.“

 Die Gemeinde – sagte Löhe – habe Gottes Wort seit Jahren rein und in dem letzten Jahre rein und mit Beweisung des Geistes und der Kraft gehabt. „Ihr seid ein Land, über das Gottes Regen schon oft gekommen ist (Ebr. 6, 7), so daß von euch zu erwarten wäre, daß ihr bequemes Kraut dem himmlischen Gärtner trüget.“ Er bezeugte hierauf seine innige Geistesgemeinschaft mit dem abgegangenen Verweser (Wilhelm Tretzel), der im Segen an der Gemeinde gewirkt hatte. „Er bringe“ – fährt er hierauf fort – „der Gemeinde dasselbe Wort Gottes wie ihre ihm vorangegangenen Lehrer. Das Wort Gottes sei aber Gesetz und Evangelium. Mit mir“ – sagt er – „kommt die Predigt des Gesetzes, den Unrath der Sünde wie mit einer hellen Fackel zu beleuchten. Wohlan, Schwert des HErrn – Hammer, der Felsen zerschmeißt – Feuer, das jeden Widerstand verzehrt – mache dich auf, mache dich auf, zeuch aus mit mir und wirf dahin in den Staub deine Feinde, daß sie nicht, nicht mehr deine Feinde seien! – Gottes Wort ist andern Theils Evangelium, die Freudenbotschaft der völlig, umsonst vollbrachten Erlösung, die Botschaft, daß auch die, welche am meisten Ursach hätten, sich vor dem Gesetz zu fürchten, zu trauern, zu verzweifeln, Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für ihren betrübten Geist erhalten sollen. Wohlan darum, ihr Sünder betrübten Herzens, ihr unter die Laster wie unter Mörder gefallenen Seelen: hie bin ich und mit mir Gottes Wort, Gottes Evangelium, die Oelflasche des barmherzigen Samariters, das Blut der Versöhnung, aller Sünder Trost.“

 „Aber es genüge nicht“ – so fährt die Predigt fort – „Gottes Wort zu haben, man müsse es auch hören.

 „In diesem Stück schieden sich die Gemeindeglieder fürs| erste in solche, die Gottes Wort hören, und solche, die es nicht hören.“ Den beharrlichen Verächtern des göttlichen Worts kündigt Löhe hier an, seine Liebe zu ihnen werde sich zwar gleich bleiben, er werde sie auch hie und da zu gewinnen suchen, aber bei fortwährendem Widerstreben sie nicht weiter belästigen, vielmehr den Staub vor ihren Thüren abschütteln und sie einem andern befehlen, der die Herzen lenkt wie die Wasserbäche und Seine Zeiten und Stunden für die Seelen hat.

 „Aber“ – sagt Löhe weiter – „auch nicht alle, die da hören, seien selig zu preisen. Manche hören ohne Verstand und Interesse, wie diejenigen, von denen es in der heiligen Schrift heiße: Sie haben Ohren und hören nicht. Solchen tauben, todten Ohren wird ein kräftiges göttliches Hephatha gewünscht. Andere kämen in boshafter, unlauterer Absicht, um giftigen Honig zu saugen, d. h. um Stoff zum Spott und zur Lästerung sich zu sammeln und sich über Prediger und Predigt unter der Rotte von verlornen und leichtfertigen Buben lustig zu machen.“ Ihnen sagt Löhe: „Wenn sie die Ordnung und Ruhe der ihm anvertrauten Gemeinde stören wollten, so habe er Lust und Muth genug, seine Herde wider Wölfe und seinen Weinberg wider wilde Schweine zu vertheidigen.“ Im übrigen gibt er ihnen den Rath, nur recht eifrig zuzuhören, es sei gefährlich – so zu sagen – dem Worte Gottes zuzuhören, es habe schon manchen Paulus gemacht und manchen Spötter zum Beter umgewandelt, denn der HErr habe die Verheißung zu siegen mitten unter Seinen Feinden. Um so mehr aber heiße er diejenigen willkommen, welche mit Lust und Eifer kämen und in Gottes Wort die Quelle ihrer Seligkeit erkennten.

 „Indessen“ – so lenkt die Predigt zum dritten Theile ein – „dürfe nicht vergessen werden, daß der Text noch einen Zusatz habe: ,Selig sind die Gottes Wort hören und –| bewahren.‘ Man müsse das Wort Gottes, wie jedes Wort bewahren vor allem im Gedächtnis – aber so, daß man es hat, wenn man es braucht, sonderlich für die Stunden der Anfechtung. Es sei leicht für den Menschen am Wort fest zu halten, so lange der Prediger da sei, welchem man die Erweckung verdanke – aber es gelte nicht an Menschen das Herz zu hängen, sondern dem ewigen Tröster im Worte Gottes, dem puren Worte sich zu vertrauen und das gelernte Wort zu bewahren. Wer dieses Wort hört und bewahrt“ – so schließt die Predigt – „der wird hier schon selig gepriesen und wahrlich – mit Recht. Wer das Wort bewahrt, bewahrt sich Gewißheit der Vergebung der Sünden, den Frieden, bekommt Kraft zum guten Kampfe etc. Dies alles, schon in dieser Welt und erst in jener Welt, wo man zu dem gelangt, der das Wort gesprochen – dem man’s geglaubt hat wider alle Einreden des Teufels, wenn man den sieht, dem man hier geglaubt und alles sieht und schmeckt und erfährt was man hier geglaubt – wie sollte dort nicht selig sein, wer Gottes Wort hier gehört und bewahrt hat.“





  1. leibliche Besessenheit.
  2. So wird nämlich im Mund des Volks der Name Bertholdsdorf ausgesprochen.
  3. Wir glaubten zur Charakteristik der trefflichen Mutter Löhe’s diesen Brief hier einschalten zu dürfen.


« Fünftes Kapitel Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 1, 2. Auflage)
Anhang »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).