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Der Medizinmann Omakati

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Textdaten
Autor: William Käbler
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Titel: Der Medizinmann Omakati
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Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Roman aus dem Wilden Westen.
Band 15 der Romanreihe Felsenherz, der Trapper.
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[1]
Felsenherz
der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten
erzählt von
Kapitän William Käbler.




15. Band:
Der Medizinmann Omakati


Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabethufer 44.


[2]
Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin


[3]
1. Kapitel.
Der Grisly.

Die Sonne war soeben erst aufgegangen. Ihre Strahlen vergoldeten die zackigen Gipfel der Uferberge des Pecos-Flusses und ließen die Spitzen der Riesentannen, die auf den Terrassen der Anhöhen wuchsen, in besonderem Glanze aufleuchten.

Unten zwischen seinen selbigen Ufern schoß der Pecos gurgelnd und schäumend dahin, bildete hier und dort weiß schimmernde Stromschnellen und häufte vor den kleinen, zahlreichen Inselchen förmliche Barrikaden von losgerissenen Sträuchern, entwurzelten Bäumen und weggespülten Moosflächen an. –

Am Westufer des Pecos standen zu dieser frühen Morgenstunde drei Männer, die ihre Pferde am Zügel hielten und gespannt nach einer Bergterrasse auf der anderen Seite des Flusses hinüberschauten, wo soeben zwischen den grünen Büschen die riesige Gestalt eines grauen Bären, des gefürchteten Grisly, sichtbar geworden war.

[4] Die drei Männer standen so, daß ein Vorhang von Schlingpflanzen, der zwischen zwei Eichen als seltsames Gebilde herabhing, sie völlig deckte.

„Ein Grisly!“ flüsterte jetzt der eine, dessen schwarzgebranntes Gesicht den Mulatten verriet. „Massa Felsenherz, man müßte ihn abschießen,“ wandte er sich an den schlanken, blondbärtigen Trapper, der neben ihm in lässig-kraftvoller Haltung auf seiner langen Büchse lehnte, deren Kolben beiderseits in Goldplättchen das Bild eines springenden Jaguars zeigte.

„Nein, Tom,“ meinte der blonde Trapper darauf. „Wie haben allen Grund, vorsichtig zu sein. Hier in den Uferbergen hallt ein Schuß mit vielfachem Echo nur allzu weit. Wir müssen damit rechnen, daß die Apachen mit allem Eifer nach uns suchen. Der schnelle Büffel, ihr Oberhäuptling, wird nicht eher ruhen, bis er unsere Fährte wieder gefunden hat. Lassen wir also den Grisly laufen!“

Der dritte der Männer, ein hochgewachsener Indianer mit mehreren Adlerfedern im Haarschopf, spähte noch immer angestrengt nach dem Bären aus und sagte nun:

„Mein Bruder Felsenherz mag den Grisly einmal recht genau beobachten. Chokariga hat etwas entdeckt, das sehr seltsam ist.“

„Häuptling,“ erklärte der Mulatte Tom, „ich habe zwar nur noch ein Auge. Ich kann an dem Tiere nichts besonderes bemerken.“

Eine Weile blieb es jetzt still. Die drei Männer blickten wieder durch die Lücken des Schlingpflanzenvorhangs nach dem Ostufer hinüber, wo der Grisly noch immer vor den Büschen der Felsterrasse langsam hin [5] und her ging, indem er sich zuweilen auf den Hinterbeinen aufrichtete und scheinbar witternd den Kopf nach dem Flusse vorstreckte.

Dann glitt über das gebräunte Gesicht des schlanken Trappers Felsenherz ein Ausdruck des Erstaunens, dem sofort aber ein Lächeln folgte. Er wandte den Kopf nach rechts. Seine Augen begegneten denen des roten Häuptlings, des berühmten schwarzen Panthers der Komanchen, seines besten Freundes.

Auch der schwarze Panther verzog für einen Moment das Gesicht zu einem leisen Lächeln. Die beiden unzertrennlichen Westmänner verstanden sich.

Dann flüsterte der Mulatte Tom, der ebenfalls einen hirschledernen Trapperanzug trug:

„Massa Felsenherz, der Grisly dort ist ein Grisly wie alle anderen. Ich kann nichts entdecken, was –“

Er schwieg.

Drüben war ein Schuß gefallen, dessen Echo jetzt überlaut durch das Flußtal schallte.

Der Bär hatte sich mit einem Satz in das Gebüsch geworfen, war verschwunden.

Dann erschien vor einer Gruppe Tannen auf derselben Felsterrasse ein Mann, der die noch rauchende Büchse in der Hand hielt und nun mit ein paar Sprüngen vor jenem Dickicht stand, in das der Grisly sich geflüchtet hatte.

Dieser Jäger, dessen Körperlänge und Magerkeit ihn zu einer recht auffallenden Erscheinung machten, war vollständig in dunkelgrünes, derbes Leinen gekleidet, trug dazu einen breitrandigen Strohhut und hohe gelbe Schaftstiefel.

Ihm folgte auf dem Fuße eine zweite Gestalt, die [6] im Gegensatz zu der fast eleganten Kleidung des Langen und dessen Größe mehr wie ein abgerissener Strolch aussah und dabei so klein, dick und behäbig war, daß sie noch mehr zum Lachen reizte als der dürre Grüne.

Die drei Männer am Westufer beobachteten, wie der Dicke den anderen am Arm packte, von dem Gestrüpp wegriß und zurück hinter die Tannen zerrte.

Der Mulatte Tom sagte jetzt verwundert:

„Oh – das ist ein sehr merkwürdiges Paar! Wer mögen die beiden nur sein?“

„Tom wird sie sofort kennen lernen,“ erwiderte der Komanchenhäuptling. „Wir müssen hinüber und sie warnen. – Hat mein Bruder Felsenherz schon einmal von dem dicken Abraham[1] etwas gehört?“ fragte er den blonden Trapper, der nur kurz bejahte und dann hinzufügte:

„Chokariga hat recht. Der dicke Abraham ahnt nicht, daß die Apachen ihre Dörfer verlassen haben und den Pecos umschwärmen, um uns abzufangen. – Vorwärts, gehen wir ein Stück stromauf und setzen wir mit Hilfe eines Baumfloßes über den Pecos!“

Der Komanche schritt voran. Ihm folgte Tom. Als letzter kam Felsenherz, der seinen Braunen nicht zu führen brauchte, da das vorzüglich dressierte Pferd jeden Wink seines Herrn verstand.

So legten sie im hochstämmigen Uferwalde etwa dreihundert Meter zurück, bis sie die nächste Krümmung des Pecos hinter sich hatten.

Hier schob sich eine Halbinsel recht weit in den Fluß hinein, an deren Spitze eine Baum- und Strauchanhäufung sich noch weiter in die Strömung vorstreckte.

Tom und der Komanche begannen sofort vier der [7] angetriebenen Urwaldriesen flott zu machen und mit Ranken und Baststreifen zusammenzubinden.

Felsenherz beobachtete inzwischen die Umgebung.

Still und friedlich lag das Flußtal im Glanze der Sonne da. Doch der blonde Trapper wußte nur zu gut, wie trügerisch diese Ruhe in der Natur hier im wilden Westen oft war. Er kannte all die kleinen Zeichen, die das Nahen eines Feindes verrieten.

Nichts – entging seinen spähenden Blicken.

Jetzt stieg drüben am Ostufer aus dem Walde ein Schwarm Wildtauben auf. Und fast gleichzeitig erhoben sich hier am Westufer unweit der Halbinsel aus einer uralten Buche krächzend drei Krähen.

Felsenherz packte im Nu die Zügel der drei Pferde, lief mit den Tieren dorthin, wo der Komanche und Tom soeben das plumpe Floß ganz nahe an das Ufer gerückt hatten, rief den beiden zu: „Vorsicht – der Wald warnt uns!“ und zwang sich die sich leicht sträubenden Pferde auf die schwimmenden Stämme hinüber.

Der Komanche gab dem Floß sofort einen Stoß wobei er eine schlanke, der Äste bereits beraubte Tanne als Stange benutzte.

Auch der Mulatte, der noch vor wenigen Wochen als Sklave auf einer Baumwollplantage gelebt hatte und dann glücklich entflohen war, drückte das Floß vom Ufer der Halbinsel ab und ließ dabei seine Augen prüfend über den nahen Wald des Westufers gleiten.

Gerade als die Strömung das Floß nun erfaßte und mit sich fortnahm, warf Tom seine Stoßstange bei Seite und griff nach seiner Doppelbüchse.

Er hatte dort in den Sträuchern unterhalb der Buche, [8] von der soeben die Krähen sich in die Luft geschwungen hatten, den Lauf einer Flinte bemerkt.

Doch – ein anderer kam ihm zuvor.

Bevor er noch angelegt hatte, krachte Felsenherz’ berühmte Jaguar-Büchse, und auf den Knall des Schusses folgte in den Büschen ein gellender Aufschrei.

Der Flintenlauf war verschwunden.

Dafür tauchten zehn – zwanzig Apachen auf, die sich kopfüber in den Fluß stürzten und tauchend einen mit der Strömung dahintreibenden Baumstamm erreichten, hinter dem sie vor den Kugeln der drei Floßfahrer sicher waren.

Noch mehr geschah: auch am Ostufer erschienen einige vierzig Rothäute, die nun gleichfalls schwimmend dem Flosse folgten.

„Pest!“ schimpfte der Mulatte ingrimmig. „Da haben wir die Bande ja schon auf dem Halse!“

„Achtung!“ warnte Felsenherz. „Die Krümmung kommt! Tom – mehr in die Mitte der Strömung mit dem hinteren Ende des Flosses.“

Gerade hier führte die Strömung recht dicht am Westufer entlang, das an tiefer Stelle eine schroffe, etwa fünf Meter hohe Wand bildete.

Als das Floß an dem Steilufer jetzt vorüberglitt, wollten von oben sechs – sieben Apachen hinabspringen.

Nur vier jedoch hatten den Sprung richtig berechnet. Die drei anderen sausten hinter dem Floß ins Wasser.

Einer der vier war sofort wieder hochgeschnellt und schleuderte seinen Tomahawk nach dem Mulatten, der sich niederwerfen mußte, um der dahersausenden Waffe zu entgehen.

Doch – schon blitzte es aus seiner Büchse auf, und [9] mit einer Kugel in der Stirn sank der Apache taumelnd in den Fluß.

Die drei übrigen hatten sich bereits auf Felsenherz gestürzt.

Der vorderste holte ebenfalls zum Wurfe aus.

Der Tomahawk sauste wirbelnd auf den Trapper zu.

Nur ein schneller Schritt zur Seite, und die Streitaxt flog unschädlich vorüber. Dann hatte Felsenherz den Gegner gepackt, warf ihn auf die beiden anderen Angreifer, sprang hinterher und schlug mit der gefürchteten Eisenfaust zu.

Noch drei gewaltige Fußtritte, und das Floß war wieder von Feinden frei.

Chokariga hatte indessen weiter stromabwärts an einer Stelle, wo die Ufer flacher waren, auf jeder Seite des Pecos gegen hundert berittene Apachen entdeckt und beschlossen, an der nächsten der mitten im Flusse liegenden Felseninseln zu landen, rief jetzt dem Trapper und Tom zu, sie sollten zu den Stoßstangen greifen und ihm helfen, das Floß mehr nach links hinüberzudrücken.

Doch – die an der rechten Seite des kleinen Eilandes vorbeischießende Strömung war zu stark.

„Wir schaffen’s nicht!“ keuchte Tom, der wahrlich die Kräfte eines Bären besaß.

Da – im Ufergestrüpp des Inselchens war plötzlich derselbe kleine dicke Mann erschienen, der vorhin den langen Dürren aus der Nähe des Grisly gewaltsam entfernt hatte.

„Hallo!“ brüllte er. „Hallo – der schwarze Panther mag achtgeben –!“

[10] Dann flog auch schon ein Lasso herüber, dessen Schlinge Chokariga geschickt auffing.

Der dicke Abraham begann das Floß langsam an die Insel heranzuziehen, rief nach einer Weile:

„He, Master Botterley, helft mir mal ein wenig! Ihr habt eure Arme und Hände doch nicht bloß zum Dollarzählen erhalten!“

Aus dem Gestrüpp erhob sich nun auch der endlos lange grüne Herr, dessen Gesicht ein wehender blonder Schnurrbart zierte.

„Abraham, dazu seid Ihr engagiert worden!“ erklärte er würdevoll. „Ich bin nicht von Neuyork nach Westen gereist, um meine Muskeln durch Tauziehen zu stärken, sondern um Bären und Hirsche –“

Da hatte der dicke Abraham ihm schon den Lasso in die Hand gedrückt.

„Verdammt, Master!“ grunzte er wütend mit seiner heiseren Baßstimme, „macht hier keine Faxen! Es geht ums Leben! Das sagte ich Euch schon einmal!“

James Botterley, Mitinhaber eines Bankgeschäfts in Neuyork, trat jedoch ärgerlich zurück und meinte:

„Vergeßt nicht, Abraham, daß Ihr nur mein Reisebegleiter und Führer seid! Ob es ums Leben geht, ist mir sehr gleichgültig. James Botterley fürchtet sich nicht!“

„Ich seid verdreht!“ rief der dicke Trapper, der mit zu den bekanntesten Westmännern der Indianergebiete gehörte, jetzt in heller Wut! „Ihr seid kein Gentleman, wenn ihr mich hier allein –“

Da hatte der lange Botterley sich schon gebückt und das Ende des Lassos ergriffen, zog mit allen Kräften und sagte stolz:

[11] „Die Botterleys sind Gentlemen! – So, Ihr seht, ich habe mehr Muskeln als ihr, Abraham!“

Das schwere Floß wurde so trotz der reißenden Strömung an das Ufer gezerrt. Rasch brachte Tom jetzt die Pferde auf die Insel, während Chokariga und Felsenherz die hinter dem treibenden Baumstamm verborgenen Apachen beobachteten, die jetzt gleichfalls mit der Strömung vorüberschossen, jedoch jeden Versuch unterließen, etwa die Insel tauchend zu erreichen.

Dann begaben sich auch der Komanche und der blonde Trapper an Land, wo Abraham inzwischen dem Mulatten schon befohlen hatte, nach der Ostseite des kaum 12 Meter breiten Inselchens hinüberzugehen und aufzupassen, daß dort keine Apachen landeten.

Das Floß fuhr jetzt leer weiter. Felsenherz und der schwarze Panther kümmerten sich nicht um den dicken Abraham und den lagen Botterley, sondern liefen nach der Nordspitze des Eilandes, weil sie fürchteten, die anderen Apachen, die vorhin in den Fluß gesprungen waren, könnten dort die Inselufer erklettern.

Sie kamen auch keine Sekunde zu früh.

Etwa fünfzehn Rothäute hatten sich aus der Strömung herausgearbeitet und schwammen auf das Eiland zu.

Ein paar Schüsse zwangen sie, ihr Vorhaben aufzugeben und auf das Ostufer des Pecos zuzuhalten.




[12]
2. Kapitel.
Der geheimnisvolle Medizinmann.

„Sagt mal, Chokariga,“ ertönte da Abrahams Baß hinter den beiden Westmännern, „wer ist denn der blonde Master neben euch?! Erst dachte ich, es müßte der berühmte Felsenherz, Euer weißer Bruder, sein. Aber nachdem ich jetzt beobachtet habe, wie miserabel er schießt – er machte die beiden Rothäute, auf die er zielte, nur flügellahm –, muß ich annehmen, daß es irgend ein Greenhorn (Grünhorn, Neuling) ist, der sich hier in Gesellschaft des schwarzen Gentleman herumtreibt und auf den Ihr zufällig gestoßen seid!“

Felsenherz und der Häuptling hatten sich gleichzeitig nach dem dicken Trapper umgedreht, sahen nun in sein vergnügt grinsendes Pausbackengesicht und merkten, daß Abraham sich soeben nur einen Witz geleistet hatte, als er Felsenherz als Greenhorn bezeichnete.

Abraham streckte denn auch den beiden Jägern die Hand zur Begrüßung hin und fügte hinzu:

„Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Felsenherz! War schon lange mein Wunsch! Weiß natürlich längst, daß Ihr nie überflüssigerweise einen Feind tötet. Freut mich wirklich sehr! – Aber – ein Greenhorn ist hier wirklich mit von der Partie, nämlich mein Brotherr James Botterley, der mich vor vier Wochen drüben [13] in Denton als Führer angeworben hat. Ihr habt ja vorhin schon gemerkt, was für’n Sparren der edle Master hat! Na – nun wird er ja wohl bald vernünftig werden, da die Apachen uns hier fraglos belagern werden auf dieser Miniatur-Insel! Wenn ihm erst die Kugeln um die Ohren pfeifen, dürfte er –“

Der dicke Abraham konnte den Satz nicht beenden.

Vom Ostufer des Eilandes her war der Knall zweier Schüsse herübergedrungen, denen sofort zwei weitere folgten.

Chokariga und Felsenherz huschten schon durch die Büsche und standen nun hinter Tom und Botterley, die soeben auf mehrere Apachen gefeuert hatten, die nach der Insel schwimmen wollten.

„Oh, drei Rothäute weniger!“ erklärte der Mulatte finster. „Hier der grüne Master hat leider die eine Kugel verschwendet! Das Zielen müßt Ihr eben noch besser lernen, Master!“

James Botterley, der etwa vierzig Jahre zählen mochte, fauchte jetzt Tom ärgerlich an:

„Frecher Nigger, was wagst du?! Wie kannst Du Dich erdreisten, mich –“

Toms intelligentes Gesicht, das trotz der dunklen Färbung keines der charakteristischen Merkmale der schwarzen Rasse zeigte, verzog sich in jäh auflodernder Wut. Blitzschnell hatte er zugepackt, hatten den dürren Botterley hochgehoben und schleuderte ihn über seinen Kopf hinweg in die Sträucher, wandte sich um, war mit einem Satz bei dem halb betäubt Daliegenden, riß sein wollenes Hemd auf der Brust auf und deutete auf eine Tätowierung in Form einer Schildkröte.

„Toms Mutter war eine Delawarin!“ sagte er stolz. [14] „In meinen Adern fließt das Blut des berühmtesten aller östlichen Indianerstämme! Wer mich einen Nigger nennt, wird merken, daß Tom Brack, der schwarze Häuptling, einen Skalp zu nehmen weiß!“

Botterley hatte sich aufrecht gesetzt, betastete seinen Körper und meinte mit bewundernswerter Gelassenheit:

„Donnerwetter – alle Achtung vor Eurer Kraft, Tom! Die imponiert mir! Ihr solltet Berufsringer werden. Ich biete Euch jährlich 10 000 Dollar. Ich werde Euch zum Ringer ausbilden und in Neuyork auftreten lassen –“

Auch der dicke Abraham kam jetzt herbei, überschaute rasch die recht komische Situation und meinte lachend:

„Master Botterley, die Bekanntschaft des Mulatten habt Ihr ja bereits gemacht. Da brauche ich Euch nur noch hier den Häuptling der Komanchen und seinen ebenso berühmten Freund Felsenherz vorzustellen. Wir sind nun unserer fünf, und da Felsenherz stets zwei Doppelbüchsen mit sich herumschleppt, haben wir sechs von den sogenannten Kugelspeiern zur Verfügung, was genügen dürfte, um uns die Apachen ’ne Weile vom Kadaver zu halten.“

Botterley stand auf und gab Felsenherz, Chokariga und auch Tom die Hand, meinte dazu ohne jede Verlegenheit:

„Sehr interessant, Euch kennen zu lernen! – Aber – Abraham redet Unsinn. Mich geht es gar nichts an, wie er mit den Apachen fertig wird. Ich habe ihn zu meinem Schutz engagiert. Auf mich dürft Ihr nicht rechnen. Wenn es mir Spaß macht, will ich mal auf einen Apachen schießen. Im übrigen wünsche ich nur eins: nämlich den Grisly vollends abzutun, den ich vor einer [15] halben Stunde dort drüben auf der Terrasse angeschossen habe!“

Selbst der ernste Komanche mußte jetzt lächeln.

Abraham jedoch rief scheinbar recht aufgebracht:

„Seht Ihr – das ist nun Master James Botterley wie er leibt und lebt! Er denkt noch immer, er wäre in Neuyork und könnte jeden Augenblick die Polizei zu Hilfe rufen, wenn er sich irgendwie bedroht sieht!“

Felsenherz winkte jetzt Chokariga und Tom zu und sagte kurz:

„Jeder von uns beobachtet eine Seite der Insel. Am Südufer ist ein Posten überflüssig, da die Apachen gegen die Strömung nicht heranschwimmen können. Wenn sie erst merken, daß ein Landungsversuch jetzt am Tage aussichtslos ist, werden sie uns bis zur Nacht in Ruhe lassen.“

Chokariga und Tom entfernten sich denn auch. Bei Abraham und Botterley blieb nur Felsenherz zurück.

„Ihr könnt nach den Pferden sehen, Abraham,“ wandte der blonde Trapper sich an den Dicken. „Dort in der Mitte[2] des Inselchens gibt es einige Steine und Felsblöcke. Bringt die Tiere dort unter, damit die Apachen nicht etwa aus den Baumwipfeln drüben uns die Pferde erschießen. Das Ostufer des Pecos ist hier ja nur achtzig Meter entfernt.“

„Gut, soll geschehen!“ nickte der Dicke. „Unsere drei Pferde stehen dort schon. Wir haben nämlich noch ein Packpferd mit, Master Felsenherz. James Botterley wollte ja durchaus ein Zelt und eine ganze Kücheneinrichtung mitnehmen!“

Dann verschwand er zwischen den Sträuchern.

Botterley lud gelassen seine Büchse und erklärte nun:

„Es ist wirklich jammerschade, Master Felsenherz, [16] daß der Grisly mir entwischt ist. Daran ist nur Abraham schuld. Ich glaube, ich habe ihn bestimmt getroffen – den Grisly meine ich. Dann zog Abraham mich aber wieder hinter die Tannen, weil er gemerkt hatte, daß die Apachen nahten. Er hätte sich gar nicht so zu beeilen brauchen, hier auf der Insel mit unseren Pferden Schutz zu suchen. Ich habe nicht eher einer Rothaut zu Gesicht bekommen, bis Ihr und eure Gefährten mit dem Floß angeschwommen kamt. Nun ist der prächtige Grisly natürlich längst über alle Berge, und –“

Felsenherz unterbrach den dürren Grünen da.

„Weshalb glaubt Ihr nur, getroffen zu haben? Weshalb wißt Ihr es nicht bestimmt?“ fragte er gespannt.

„Weil Abraham, als ich gerade abdrückte, mir aus Versehen einen Stoß gab, so daß der Büchsenlauf hochflog –“

„So – so,“ meinte der blonde Trapper nachdenklich. „Dann scheint auch Abraham den Grisly nicht für echt gehalten zu haben, Master! Genau wie Chokariga und ich von drüben erkannt hatten, daß dieser Bär kein Bär, sondern ein sehr geschickt in ein Grislyfell eingenähter Mensch war!

Botterleys breiter Mund klappte vor ungläubigem Staunen weit auf.

„Ein Mensch?!“ sagt er kopfschüttelnd. „Das ist doch ausgeschlossen!“

„Keineswegs, Master. Habt ihr schon mal davon gehört, daß die Medizinmänner der Indianer gern allerlei Hokuspokus treiben, um ihren Einfluß auf ihren Stamm zu festigen und zu vergrößern? – Hier im wilden Westen weiß nun jeder Trapper, Goldsucher und [17] Indianerhändler, der mit den Apachen zu tun hatte, daß die Mescalero-Apachen, ein Unterstamm der großen Apachennation, seit Jahren den berühmtesten Medizinmann aller Zeiten besitzen. Omakati heißt dieser Rote, um den sich bereits ein ganzer Märchenkranz gesponnen hat. Dieser Omakati zeigt sich nur in Gestalt eines Grisly. Ich kann Euch jetzt nichts Näheres über ihn erzählen. Wir haben hier andere Sorgen, nämlich die, den Apachen zu entschlüpfen, deren Oberhäuptling, der schnelle Büffel, seit einer Woche mit dreihundert Kriegern meine[3] Gefährten und mich verfolgt. Jedenfalls: Abraham scheint noch im letzten Moment gemerkt zu haben, daß Ihr nicht auf einen Grisly, sondern auf den berühmten Omakati feuern wolltet, und er wird wohl seine Gründe gehabt haben, Euch den Büchsenlauf hochzuschlagen. Ich möchte mit Abraham hierüber sofort sprechen. Ihr könnt also für mich hier am Ostufer unseres Inselchens die Wache übernehmen.“

Botterley antwortete nicht sofort. Dann erklärte er zaudernd:

„Master Felsenherz, Ihr seid ein Westmann von so tadellosem Ruf, daß man es wohl wagen darf, Euch Vertrauen zu schenken. Abraham ahnt nicht, daß ich nicht nur zum Vergnügen jetzt die Indianergebiete durchstreife. Ich trage da seit vielen, vielen Jahren eine –“

Er schwieg plötzlich, fuhr dann hastig fort: „Doch nein – ich kenne Euch noch zu wenig, um diese Dinge mit Euch zu erörtern. Nur so viel will ich andeuten, daß ich mich absichtlich mit allen Rothäuten gut stellen möchte. Wenn ich es also ablehne, hier bei unserer Verteidigung mitzuwirken, so geschieht dies in besonderer Absicht. Gewiß, ich habe mich vorhin dazu hinreißen lassen, auf die [18] Apachen zu feuern, als sie schwimmend die Insel erreichen wollten. Damit Ihr es wißt: auch meine andere Kugel ging fehl! Der Mulatte glaubte, ich wäre ein schlechter Schütze! Er irrt sich. Ich schoß mit Willen vorbei! – So, Master, nun könnt Ihr Abraham aufsuchen. Die Wache hier will ich gern übernehmen. Die Rothäute werden sich hüten, einen Angriff zu wagen.“

Er setzte sich dann auf einen Stein hinter einen Busch, nahm die Büchse in den Schoß und beobachtete den Flußarm zwischen Insel und Ufer.

Felsenherz hätte ihn gern noch mancherlei gefragt, unterließ es aber und schritt der Mitte des Eilandes zu, wo eine Menge Steinblöcke, die von Dornen und Gestrüpp umgeben waren und von zwei alten Eichen beschattet wurden, einen kleinen freien Platz einschlossen. Hier hatte der dicke Abraham die sechs Pferde inzwischen angebunden und ihnen frisches Gras vorgeworfen.

Felsenherz klopfte seinem Braunen den Hals und sagte zu dem dicken, kleinen Trapper:

„Ihr kennt den Medizinmann Omakati, nicht wahr? Ihr wußtet, daß in dem Grislyfell ein Apache steckte. Deshalb habt Ihr den Schuß auf den Grisly verhindert.“

Abraham, dessen bärtiges Vollmondgesicht überaus gutmütig wirkte, nickte und entgegnete:

„Omakati hat mir einst – das sind sechs Jahre her – das Leben gerettet. Es ist das eine recht merkwürdige Geschichte, Felsenherz. Damals hatte ich droben in den Andreas-Bergen einen Grisly aufgespürt. Doch meine Kugeln trafen schlecht. Die Bestie sprang mich an, und ich mußte auf eine Buche flüchten, wo der Bär mich dann regelrecht belagerte. Zwei Tage saß ich ohne Speise und Trank oben in den Ästen. Dann gewahrte [19] ich in der Ferne einen einzelnen Reiter, einen Weißen, der wie Ihr ganz in Leder gekleidet war. Ich rief um Hilfe. Doch – der Reiter jagte davon und ließ sich nicht mehr blicken. Eine halbe Stunde später bemerkte ich einen anderen Grisly, der langsam auf meine Bestie, die sich unter der Buche niedergetan hatte, zukam. Und dieser zweite Bär, Master Felsenherz, trug um den Hals eine freilich nur schwer sichtbare Kette von Eulenköpfen, genau so, wie man’s dem berühmten Omakati stets nachsagte, der ja auch zum Unterschied vom echten Grisly sich nie ohne diese Schädelkette zeigt. – Kurz und gut: Omakati war’s auch wirklich, und er stach die Bestie dann mit einem langen Jagdmesser nieder und verschwand. Seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen. Ich kletterte von der Buche herab und häutete den Grisly ab. Der Messerstich saß genau im Herzen. Als ich dann mit dem wertvollen Fell nach der Schlucht zurückwanderte, erschien mit einem Male derselbe Trapper wieder, ein schwarzbärtiger Kerl, der einen Fuchs ritt. Er rief mir zu, ich solle ihm das Fell verkaufen; er würde mir eine Hand voll Goldkiesel dafür geben. – Seltsam war, daß er sich stets in hundert Meter Entfernung von mir hielt und mich nicht herankommen ließ. Der Handel wurde trotzdem abgeschlossen. Eine Hand voll Goldkiesel habe ich noch nie für ein Bärenfell erhalten. Der fremde Trapper machte sich nachher ohne Gruß aus dem Staube. Mir war’s recht. – So, das ist die Geschichte, Master Felsenherz –“

Der berühmte Jäger schaute Abraham sinnend an.

„Seid Ihr diesem Trapper nochmals begegnet?“ fragte er dann.

„Nein. Nur andere Trapper erzählten von ihm. [20] Auch sie trafen mit ihm zusammen. Stets wich er ihnen aus. Er muß ein komischer Kauz sein, dieser Mann!“

„Wo sahen die Trapper ihn?“

„Zumeist dort in den Andreas-Bergen in deren nördlichem Teile ja die Mescaleros ihre Dörfer haben.“

„Felsenherz’ Blicke ruhten jetzt auf dem mächtigen Ledersack, der neben dem Packpferde im Grase lag. Omakati schien ihn nicht weiter zu interessieren, denn er fragte den dicken Abraham nun:

„In dem Packen sind wohl noch Gewehre enthalten?“

„Allerdings, Master Felsenherz, – zwei ganz besondere Gewehre, sogenannte Elefantenbüchsen, die Botterley sich aus England verschrieben hat, – die reinen Kanonen, sage ich Euch! Botterley wollte damit Bären schießen. Aber er hat bald eingesehen, daß diese Elefantentöter einen zu starken Rückstoß haben. Freilich – sie tragen dafür auch gut doppelt so weit, als die beste Büchse!“

Der blonde Trapper sagte nichts mehr, sondern erklomm jetzt gewandt eine der beiden Eichen, schwang sich von Ast zu Ast und erreichte bald eine Stelle der Baumkrone, von der aus er das ganze Flußtal und die angrenzenden Höhen überblicken konnte.

Der dicke Abraham hatte ihm gespannt nachgeschaut, rief nun nach oben: „Gibt’s etwas besonderes zu sehen, Master Felsenherz?“

„Leider!“ kam die Antwort von oben herab. „Die Apachen haben die nächste stromaufwärts gelegene Insel besetzt, an deren Nordspitze sich eine mächtige Treibholzbarikade befindet. Sie sind gerade dabei, aus den dort angetriebenen Stämmen Flöße zu bauen. Der schnelle Büffel scheint die Nacht nicht abwarten zu wollen, [21] wird uns sehr bald angreifen, fürchte ich. „Wenn die Rothäute ein großes Floß zusammenfügen und es noch mit Brustwehren versehen, wenn sie uns dann in Masse über den Hals kommen, sind wir verloren. – Abraham, Ihr könntet mit mal die beiden Elefantenbüchsen laden und sie mir an den Lasso binden, den ich sofort herablasse. Vielleicht kann ich den roten Teufeln die Arbeit drüben auf der anderen Insel etwas versalzen. Wenn sie merken, daß wir so weittragende Gewehre haben, werden sie wahrscheinlich ihre Absicht aufgeben. Für uns ist die Hauptsache, daß wir Zeit gewinnen. Fliehen können wir von hier nur nachts –“

Abraham beeilte sich, die beiden schweren Büchsen, deren Kaliber dreimal so groß wie das einer gewöhnlichen Flinte war, nebst Pulver und Kugeln an dem herabhängenden Lassoende zu befestigen.

Gleich darauf hatte Felsenherz sich auch einen günstigen Platz im Geäst der Eiche ausgesucht, so daß er in Ruhe zielen konnte. Er hatte den Lauf der enorm schweren Schußwaffe auf einen Ast gelegt, wollte nun zunächst einmal probieren, wie die Elefantenbüchse sich bewährte. Die Entfernung bis zur Nordspitze jenes Inselchens betrug etwa 180 Meter. Die Apachen waren dort zu mindestens achtzig beschäftigt, das Floß zusammenzufügen, standen zum Teil dicht beieinander und fühlten sich ganz sicher, da keine ihnen bekannte Büchse einen zuverlässigen Schuß über 130–140 Meter abgab.

Der blonde Trapper zielte bedächtig, zog die Elefantenbüchse recht fest in die Schulter und drückte ab.

Der überlaute Krach des Schusses rief in den Bergen ein Echo hervor, als ob ein Gewitter im Anzuge wäre.

Und – die Kugel hatte nur zu gut gesessen.

[22] Der eine Haufe der Rothäute, der bereits auf den Stämmen des Floßes gestanden hatte, stobte auseinander.

Drei Krieger blieben regungslos liegen, zwei andere schleppten sich mühsam an Land.

Felsenherz hatte schon die zweite Büchse ergriffen, zielte auf etwa dreizehn Apachen, die jetzt dicht gedrängt und scheinbar starr vor Schreck am Inselufer standen.

Abermals ein Treffer.

Abermals waren es vier Apachen, denen das schwere Bleigeschoß hier eine bittere Lehre gab.

Dann erhob sich drüben ein vielstimmiges, schrilles Angstgeheul. Im Nu hatte der Rest der Krieger sich ins Wasser geworfen und schwamm dem Ostufer des Pecos entgegen.

Das halb fertige Floß aber wurde, da niemand es mehr festhielt, langsam von der Strömung von der Insel abgetrieben und sauste jetzt immer schneller auf das Eiland der fünf Flüchtlinge zu, an dem es dicht vorüber mußte.

Felsenherz war schon von der Eiche herabgestiegen. Das Floß konnte ihm und seinen Gefährten nützlich sein. Man mußte versuchen, es aufzuhalten und am Ufer zu verankern.

„Rasch – folgt mir!“ rief er dem dicken Abraham zu. „Nehmt Euren Lasso mit!“

Sie liefen nach der Westseite des Inselchens. Hier führte die Hauptströmung entlang; hier mußte das Floß vorüber.

Abraham wußte bereits, was Felsenherz beabsichtigte, nahm den Lasso ebenfalls wurfbereit zur Hand.

Inzwischen hatten die am Ostufer des Pecos steckenden [23] Apachen, von denen einige als Späher in den hohen Bäumen dicht am Wasser verborgen waren, die beiden Trapper bemerkt, da diese die schützenden Büsche hatten verlassen müssen und hart am Ufer frei dastanden.

Schüsse knallten plötzlich.

„Verdammt!“ brüllte Abraham. „Das gilt uns!“

Ihm war eine Kugel dicht am Kopf vorübergepfiffen.

Da kam auch schon das ungefüge, aus acht Baumstämmen bestehende Floß angeschwommen.

Unbekümmert um die Kugeln der Apachen, schleuderten Felsenherz und Abraham ihre Lassos.

Die Lassoschlingen fielen auch wirklich über ein paar Stümpfe der abgehauenen Äste.

Jetzt ein Ruck. Die Lassos spannten sich, und der Kampf zwischen der Gewalt der Strömung und menschlicher Kraft begann.

Allmählich nur siegte die letztere. Das Floß näherte sich der Insel. –

Die Apachen feuerten noch immer. James Botterley, der am Ostufer des Eilandes Wache stand, konnte genau beobachten, wo die Schüsse im Laubwerk der Baumkronen drüben aufblitzten.

Mehrmals hatte er schon angelegt, hatte eine Kugel hinübersenden wollen. Stets ließ er die Büchse wieder sinken.

Dann aber hatte er sich überwunden, dann hatte er alle Bedenken bei Seite geworfen.

Wieder legte er an.

In einer mächtigen Buche war gerade der Federschmuck eines Apachen sichtbar geworden. Botterley drückte ab.

Der Apache drüben schrie gellend auf – fiel von [24] Ast zu Ast, fiel auf die Steine des Ufers und blieb reglos liegen.

„Der erste Mensch, den ich getötet habe,“ murmelte Botterley und stierte nach dem Toten hin.

Da war auch er von den Baumschützen entdeckt worden.

Drei – vier Kugeln zischten durch die Büsche. Die eine ging Botterley durch den Ärmel, eine andere traf den Kolben seiner Büchse und riß sie ihm aus der Hand.

Er war jetzt blaß geworden. Bisher hatte er als vollständiges Greenhorn die Gefahr, die ihm hier drohte, recht gering eingeschätzt. Nun sah er, daß auch sein Leben ernstlich bedroht war; nun bewies er, daß er in der Wildnis seine ersten Kinderjahre verlebt hatte, daß er selbst einer Farmerfamilie entstammte, die sich einst mit den Rothäuten wacker herumgeschlagen hatte.

Er änderte seinen Platz, kroch weiter, spähte nach einem Ziel für die zweite Kugel seiner Doppelbüchse umher.

Ah – aus jener Tanne ein Feuerstrahl.

Er legte an. Er hatte getroffen. Wieder kam ein Apache aus jener Tanne herab, schlug auf das Felsufer auf, warf noch ein paarmal die Arme krampfhaft in die Luft und regte sich nicht mehr.

„Zwei sind’s nun!“ murmelte Botterley leise. „Zwei Menschenleben habe ich auf dem Gewissen!“ Er seufzte und fügte hinzu[4]: „Vielleicht sind’s auch drei. Vielleicht ist „er“ längst tot – durch meine Schuld!“ – Er betonte dieses „er“ ganz seltsam.

Dann lud er seine Büchse wieder. Als er gerade die zweite Kugel mit dem Ladestock feststieß, erschien Abraham neben ihm.

[25] „Donnerwetter noch mal!“ meinte der Dicke, „Ihr seid ja plötzlich zu Vernunft gekommen, Master! Brav so –! Glaubtet Ihr denn, die Apachen würden Euch schonen, wenn Ihr eure Büchse schweigen laßt?!“

Botterley entgegnete nur:

„Was hat denn Felsenherz mit den Elefantenbüchsen beschossen? Sind die Dinger nun doch zu etwas gut gewesen?“

Als Abraham ihm die Wirkung der beiden Schüsse geschildert hatte, meinte er ganz stolz: „So habe ich das Geld für die Donnerbüchsen doch nicht zwecklos ausgegeben! Das freut mich! Nun haben wir ein großes Floß zur Verfügung und können jederzeit den Pecos abwärts schwimmen.“

Der dicke Trapper lachte. „Ihr bleibt vorläufig noch ein Greenhorn, Master! Was das Abwärtsschwimmen betrifft, so würden wir kaum weit kommen! Der Pecos hat verschiedene recht schmale Stellen, an denen die Ufer bis auf hundert Meter einander sich nähern. Und an diesen Stellen würde die rote Bande uns selbst nachts mit Kugeln vom Floß herunterputzen. Nein – so einfach, wie Ihr es Euch vorstellt, ist eine Flucht denn noch nicht!“




[26]
3. Kapitel.
Im Lager der Apachen.

Genau dieselben Befürchtungen äußerte dann auch Felsenherz bei einer Beratung, die die fünf auf dem Eiland Belagerten am Spätnachmittag abhielten.

Inzwischen war von den Apachen nichts mehr zu bemerken gewesen. Auf den beiden Flußufern herrschte eine trügerische Stille. Nicht eine einzige Rothaut war mehr sichtbar geworden, und James Botterley hatte denn auch wiederholt erklärt, die Apachen müßten abgezogen sein. Da hatte der dicke Abraham wieder schallend losgelacht und gemeint: „Steckt doch mal probehalber Euren Schädel durch die Büsche, und ich wette, die Kugeln werden herüberpfeifen wie ein Wurf Erbsen!“ – Aber Botterley hütete sich, dies wirklich zu versuchen. –

Bei der Beratung erklärte Felsenherz, daß eine Flucht nur flußaufwärts und zwar sofort nach Dunkelwerden und vor Erscheinen der Gestirne glücken könne.

Worauf Tom kopfschüttelnd sagte:

„Massa, wie sollen wir wohl mit dem Floß gegen eine so starke Strömung ankämpfen?!“

„Da hast Du recht, Tom,“ erwiderte der blonde Trapper. „Mit Hilfe von Stoßstangen läßt sich nichts ausrichten. Wir haben aber sechs Lassos zur Verfügung. Die ergeben zusammen etwa 70 Meter Länge. Wenn [27] wir nun noch ein Rindenbasttau von 80 Meter Länge flechten, und wenn dann jemand von uns außerhalb der Hauptströmung mit diesen beiden zusammengebundenen Seilen nach der Insel hinüberschwimmt, dann kann man das Floß vielleicht zunächst bis zu jener Insel ziehen und von dieser weiter an eines der Ufer, die dort kaum mehr von den Apachen bewacht werden dürften, da diese niemals vermuten können, daß wir stromaufwärts fliehen werden.“

„Donnerwetter!“, entfuhr es dem dicken Abraham da. „Das ist ein Vorschlag, der sich hören läßt! Los denn, Weiden gibt es hier genug! Schälen wir sie ab und beginnen wir mit der Herstellung des Taues. Es genügt, wenn einer von uns dauernd unser Eiland umrundet, damit die Bande uns nicht etwa unversehens überfällt. – Hm – wer soll aber mit dem Tau hinüberschwimmen?“

„Das übernehme ich,“ erklärte Felsenherz schlicht. „Nur ich dürfte die dazu nötigen Kräfte besitzen.“

Niemand hatte hiergegen etwas einzuwenden.

So begann man denn mit dem Flechten des Basttaues. Botterley, der für diese Arbeit sich kaum eignete, mußte derweil die Insel bewachen und führte dies auch mit großem Eifer und großer Gewissenhaftigkeit aus.

Drei Stunden später war das Tau fertig. Die Dämmerung brach jetzt herein. Noch immer lagen die Uferhöhen und die dichten Waldstreifen wie ausgestorben da.

Nur dort am Ostufer stiegen jetzt über den Baumkronen schwache Rauchsäulen zahlreicher Feuer auf.

Dort befand sich in einem schmalen, langen Tale das Lager des Oberhäuptlings der Apachen, des schnellen [28] Büffels. Es war kaum hundert Meter von jener Felsterrasse entfernt, auf der am Morgen der unechte Grisly sich gezeigt hatte.

In dem Tale waren einige dreißig Lederzelte dicht an den schroffen Wänden so errichtet worden, daß die Mitte einen freien Platz bildete. Hier brannten die Feuer, hier konnte man das malerische Bild eines Indianerkriegslagers mit all seinen Einzelheiten beobachten.

Die Rothäute waren jetzt gerade dabei, über den Feuern mehrere Büffellenden zu braten. Während einige so für die Allgemeinheit die Köche spielten, saßen andere vor den Zelten, reinigten ihre Flinten, gossen Kugeln oder schärften ihre Jagdmesser und Tomahawks.

Das Tal hatte zwei Ausgänge. In diesen standen je drei Wachen. Weitere zwanzig Krieger waren am Ostufer als Wachen verteilt. Aber auch drüben am Westufer lagerten gegen hundert Apachen, deren Anführer der Unterhäuptling Taschulapa, das lange Messer, war.

Soeben hatte Taschulapa dem Oberhäuptling einen Boten geschickt, der unterhalb des Eilandes den Fluß passiert hatte. Das lange Messer ließ melden, daß in den letzten Stunden von den Belagerten nichts mehr zu sehen gewesen sei.

Der schnelle Büffel schickte den Boten mit dem Befehle wieder zurück, Taschulapa solle dreißig Mann weiter stromaufwärts senden und dort ein neues Floß bauen lassen. Ein zweites würde hier am Ostufer hergestellt werden, und beide sollten dann, sobald der Mond über die Ränder der Uferberge hochstieg, die Insel mit je sechzig Kriegern angreifen. –

Der Oberhäuptling, ein großer, überaus kräftiger [29] Krieger mit listigem, narbigem Gesicht, hatte den Boten kaum abgefertigt, als am Nordausgang des Tales laute Rufe erschallten.

Der schnelle Büffel, der bisher vor seinem Zelt gesessen hatte, erhob sich und gewahrte nun ebenfalls die Gestalt eines riesigen Bären, der aufrecht durch die Menge der Krieger schritt und sich ihm näherte.

Des Oberhäuptlings Gesicht verfinsterte sich.

Dort nahte ja sein gefährlichster Rivale, der Medizinmann Omakati, dessen Einfluß auf den Stamm der Apachen fast noch den des schnellen Büffels übertraf.

Der Oberhäuptling ließ sich am Feuer nieder und blickte dem Medizinmann wenig freundlich entgegen.

Omakati öffnete jetzt vorn das Bärenfell und setzte sich gleichfalls. Von seinem Gesicht war jedoch nichts zu sehen. Sein Kopf steckte völlig in dem ausgehöhlten Schädel des Bären. Nur seine Augen funkelten durch die leeren Augenlöcher seltsam unheimlich hindurch.

Der gefürchtete Medizinmann griff ohne weiteres nach einem Stück Büffellende, das man dem Oberhäuptling soeben gebracht hatte, und begann zu essen, indem er mit seinem Messer das Fleisch gewandt zerschnitt.

„Omakati ist lange fern gewesen,“ sagte der schnelle Büffel nach einer Weile.

„Omakati ist überall,“ erwiderte der Medizinmann so laut, daß auch die umstehenden Apachen es hören konnten, „Omakati sah, wie die Krieger der Apachen den berühmten Jäger verfolgten, wie Felsenherz dann die Prärie anzündete und wie unsere Krieger vor dem Feuer fliehen mußten.“ (Vergleiche „Tom Brack, der schwarze Häuptling“, Band 14).

[30] Im Kreise der Roten wurden Rufe des Staunens laut. Auch der schnelle Büffel fragte gespannt:

„So war mein Bruder Omakati ebenfalls in den nördlichen Prärien?“

„Omakati hat alles gesehen und war doch anderswo,“ entgegnete der Medizinmann kurz. „Wie gedenkt der schnell Büffel die Männer auf der Insel in seine Gewalt zu bekommen?“ fragte er dann.

Der Oberhäuptling hielt dies für eine gute Gelegenheit, das Ansehen Omakatis zu schädigen, und meinte:

„Wenn Omakati alles weiß, wird er auch dies wissen.“

Der Medizinmann machte eine halb verächtliche Handbewegung.

„Omakati weiß genau, daß die fünf Männer entkommen werden,“ sagte er sehr bestimmt. „Der schnelle Büffel wird sie so, wie er es beabsichtigt, nicht fangen. Er mag warten. Diese Nacht steht unter schlechten Zeichen.“

Der Oberhäuptling sah sich geschlagen. Er wußte nur zu gut, daß seine Krieger die Insel nicht angreifen würden, wenn der Medizinmann einen Mißerfolg prophezeite.

Er schwieg deshalb. Aber in seinem Herzen flammten Wut und Rachsucht. Er war neidisch auf Omakati, der jetzt gelassen hinzufügte:

„Man bringe mir die Verwundeten. Ich will sie verbinden. Die Büchsen der Blaßgesichter schießen Kugeln, die von einem Ufer des Pecos zum anderen gehen. Die Krieger der Apachen flohen von der nördlichen Insel vor diesen Kugeln.“

Die Verwundeten waren bereits vorher herbeigeschafft [31] worden, da man zu Omakatis ärztlicher Kunst seit jeher das größte Vertrauen hatte.

Der schnelle Büffel sah finster zu, wie der Medizinmann aus den Taschen, die das Bärenfell innen enthalten mußte, ein paar kleine Tongefäße mit Wundsalben hervorholte und rasch und geschickt neue Verbände anlegte.

Nachdem die Verwundeten wieder weggetragen worden waren, trat Omakati abermals an das Feuer heran und sagte zu dem Oberhäuptling:

„Der große Geist wird meinen Brüdern zürnen, wenn sie auch fernerhin Felsenherz und dem Häuptling der Komanchen nach dem Leben trachten. Omakati hat seine Brüder schon lange gewarnt, nicht aus blinder Rachgier das Kriegsbeil auszugraben. Meine Brüder hatten keinen Grund, den blonden Jäger und den schwarzen Panther seit vielen Monaten zu verfolgen und mit dem Tode zu bedrohen. Manitu, der große Geist, liebt seine weißen und roten Kinder gleichmäßig. Meine Brüder mögen daran denken, wie viele tapfere Krieger sie bereits verloren haben, nur weil sie nicht davon abließen, den beiden berühmten Jägern nachzustellen. – Ich habe gesprochen –“

Er wollte sich umwenden und davongehen.

Der schnelle Büffel jedoch war schon hochgeschnellt und rief:

„Krieger der Apachen, hört nicht auf die Worte Omakatis, der einsam durch die Prärien, Berge und Wälder schleicht und seit Jahren nie mehr einen Tomahawk im Kampfe geschwungen hat! Felsenherz war es, der Euren berühmtesten Häuptling, den großen Bär, tötete! Soll dessen Tod ungerächt bleiben?!“

[32] Jetzt erhob sich wirklich ein allgemeines Beifallsgemurmel.

Omakati erwiderte nichts, reckte nur die Hand nach dem Feuer aus und – zog aus der Glut eine lange Klapperschlange hervor, die sich blitzschnell um seinen Arm ringelte, indem sie gleichzeitig wütend nach seinen Fingern schnappte und mehrmals ihre Giftzähne in seine Hand vergrub.

Dann schleuderte Omakati sie wieder in die Flammen und sagte mit dumpfen, geheimnisvollen Kehltönen:

„Der schnelle Büffel mag sich hüten! Manitu hat in den ewigen Jagdgründen Mangel an tapferen Kriegern!“

Das hieß nichts anderes, als daß der Oberhäuptling bald sterben würde.

Der schnelle Büffel stierte denn auch wortlos dem jetzt Davonschreitenden nach und achtete nicht auf das erneute Gemurmel der Umstehenden, die nunmehr ihren Oberhäuptling verloren gaben. Wenn Omakati jemandes Tod vorausgesagt hatte, war der Betreffende bisher stets in kurzem gestorben – entweder verunglückt oder sonstwie umgekommen.

Der Kreis der Apachen zerstreute sich dann. Der schnelle Büffel blieb allein vor seinem Zelte zurück, setzte sich wieder und warf mit dem Büchsenlauf die tote, verbrannte Schlange hinter das Zelt.

Omakati hatte indessen das Tal verlassen, war im Walde untergetaucht und wandte sich derselben Terrasse zu, wo Botterley auf ihn gefeuert hatte. Hier verschwand er im Gestrüpp. –

Es war jetzt völlig dunkel geworden.

Auf dem Eiland ließ sich soeben Felsenherz vorsichtig [33] vom Ufer in den Fluß gleiten und schwamm mit kräftigen Stößen der anderen Insel zu. Um seine Brust war ein Lasso geschlungen. Und so zog er die zusammengebundenen Lassos und das Basttau hinter sich her.

An Waffen hatte er nur seinem Tomahawk und sein Messer mit. Die Strömung war hier außerhalb der Hauptrinne des Flusses nicht allzu stark. Freilich – es gehörten des blonden Trappers Riesenkräfte dazu, mit der Last des Basttaues hinter sich vorwärtszukommen.

Endlich hatte er dann das Südufer des nördlichen Eilandes erreicht. Keuchend vor Anstrengung schob er sich hier zwischen die Büsche, ruhte erst minutenlang aus, bevor er sich erhob, den Lasso um einen Baum schlang und dann die Insel nach Apachen abzusuchen begann.

Sie war leer. Nur an der Nordseite lagen noch die Leichen der toten Rothäute, die durch die Elefantenbüchse niedergestreckt worden waren.

Jetzt durfte Felsenherz in Ruhe ans Werk gehen; jetzt begann er das Floß mit nervigen Armen heranzuziehen; jetzt kam alles darauf an, ob seine Kraft dazu ausreichen würde, es vollends bis an diese Insel zu schaffen.

Des öfteren machte er eine Pause, um zu verschnaufen. Dann band er das straff gespannte Tau stets an einem Baume fest. Er hoffte bestimmt, daß er die schwere Arbeit würde bewältigen können. Hatte er doch bereits die sechs Lassos eingezogen und auch schon einige Meter des Basttaues durch die Hände gleiten lassen. –

Der schnelle Büffel war durch die Prophezeiungen Omakatis so niedergedrückt worden, daß er es nicht länger untätig vor seinem Zelte aushielt, sondern seine [34] Büchse ergriff und zum Flußufer hinabstieg. Er wollte die hier aufgestellten Wachen ablösen lassen und sich auch überzeugen, ob die Krieger weiter oberhalb das Floß bereits fertig hätten.

Tiefe Finsternis lagerte über dem Pecos. Der Oberhäuptling konnte nicht einmal die Insel erkennen, auf der die Belagerten seiner Vermutung nach bereits alles zur Flucht vorbereiteten. Er wollte ihnen zuvorkommen; er wollte sich nicht um Omakatis Warnung kümmern. Sobald der Mond aufging, und das mußte bald geschehen, würde er die Insel mit den beiden Flößen angreifen.

Lautlos schlich er jetzt weiter flußaufwärts.

Dann – war das nicht das Schnauben eines Pferdes gewesen, – war dieses Schnauben nicht von der Mitte des Stromes an sein Ohr gedrungen?

Ein rascher Entschluß, und der schnelle Büffel legte die Büchse, Pulverhorn und Kugelbeutel ab und ließ sich ins Wasser gleiten, schwamm schräg gegen die Strömung an.

Da – abermals ein Schnauben.

Und nun erblickte er auch links von sich auf dem Flusse eine dunkle Masse; nun stieß er plötzlich mit der Hand gegen das straff gespannte Basttau.

Sein Jagdmesser begann schon das Tau zu zerschneiden. Die letzten Fasern rissen von selbst.

Mit schrillem Schrei wandte er sich dem Ufer wieder zu.

Gellend tönte sein Alarmruf durch die stille Nacht.

Die Wachen am Ufer gaben sofort ein paar Schüsse ab. Auch am Westufer knallten Schüsse als Antwort.

[35] Dann flammten die von den Wachen vorbereiteten Reisighaufen auf.

Fünf, sechs Riesenfeuer loderten an jedem Ufer empor und warfen ihren zuckenden Lichtschein über den gurgelnden Strom.




4. Kapitel.
Toms Tod.

In demselben Moment, als Felsenherz infolge des plötzlichen Nachlassens jedes Widerstandes an dem Basttau zurücktaumelte, hörte er auch schon den Schrei des schnellen Büffels von der Mitte des Flusses her und reimte sich sofort das Richtige zusammen.

Es war nicht leicht für ihn, unter diesen Umständen einen Entschluß zu fassen, der die meisten Aussichten zu seiner und der Gefährten Rettung bot.

Er sagte sich sehr richtig, daß die Apachen jetzt sofort, wo das Floß noch im Strome abwärts schwamm, das Eiland besetzen würden, daß die Gefährten dort also nicht mehr landen dürften, da es sehr zweifelhaft war, ob sie vor den Apachen die Insel erreichte. Hieran würde auch Chokariga denken, der nun gleichfalls in die Notlage versetzt war, schleunigst sich zu entschieden, was er beginnen sollte.

Den Gedanken, dem Flosse nachzuschwimmen, gab Felsenherz sofort wieder auf. Es war vorteilhafter daß er vorläufig allein handelte. Sollten Chokariga und die anderen wirklich den Apachen in die Hände [36] fallen, so hatte er noch immer die Möglichkeit, sie wieder zu befreien.

So entschied er sich denn für ein Wagnis, an das nur ein Mann von seinen Erfahrungen und seiner Gewandtheit denken konnte.

Rasch löste er die Lassos von dem abgeschnittenen Stück Basttau, schlang sie sich um den Leib, schnitt ein paar Zweige ab und glitt ins Wasser.

Bevor noch die Feuer am Ostufer aufflammten, näherte er sich schon, den Kopf unter den grünen Büschen verborgen, derselben Stelle, wo der schnelle Büffel vor kaum vier Minuten die Uferböschung erstiegen und den Wachen die nötigen Befehle erteilt hatte.

Die Verwegenheit wurde auch hier wie so oft belohnt. Die Apachen hatten jetzt nur Augen für die Mitte des Stromes, rechneten auch nicht im entferntesten damit, daß einer der Feinde sich erkühnen würde, ihnen gleichsam in die Arme zu laufen.

Felsenherz schmiegte sich dicht an das Steilufer und wartete eine Weile, ob er etwa bemerkt worden sei.

Dann arbeitete er sich vorsichtig die Böschung hinan, kroch in einem Gebüschstreifen dem Uferwalde zu und erkletterte hier eine der uralten Buchen, deren Äste bis in die der Nachbarbäume hineinreichten.

Da die Apachen sich jetzt ständig allerlei zuriefen und sich keine Mühe gaben, Lärm zu vermeiden, fiel es dem Trapper nicht weiter schwer, sich lautlos durch die Kronen der Bäume einen Weg zu bahnen. Erst in der Nähe des Lagers des Oberhäuptlings verließ er den Wald und schlich am Rande des Tales hin, in dem jetzt nur wenige Apachen zurückgeblieben waren. Nachdem [37] er so bis zur Nordseite des Tales vorgedrungen war, wollte er hier das Weitere abwarten. –

Inzwischen hatte Chokariga, als das mit den vier Männern und den sechs Pferden beladene Baumfloß plötzlich wieder rückwärts zu treiben begann und der Alarmruf des schnellen Büffels den Männern verraten hatte, daß sie entdeckt seien, den Gefährten befohlen, mit Hilfe der Stoßstangen das plumpe Fahrzeug schleunigst nach der Insel zurückzuleiten.

Felsenherz’ Annahme, der schwarze Panther würde das Eiland meiden, traf also nicht zu. Allerdings hatte der Trapper eins übersehen: daß die Floßfahrer mit den Stoßstangen und mit der wenn auch nur mäßigen Strömung schneller vorwärtskamen, als er es in Betracht gezogen hatte.

Jedenfalls glückte es den Flüchtlingen, abermals zu landen. Schnell wurde das Floß mit dem Basttau am Westufer festgebunden, und als die Feuer jetzt an beiden Flußufern aufleuchteten, hatten die vier Männer sich bereits als Wachen verteilt und duften hoffen, vorläufig wieder in Sicherheit zu sein. –

Am Ostufer des Pecos stand jetzt, umgeben von den ältesten Kriegern, der Oberhäuptling der Apachen und beobachtete den Strom mit gespanntester Aufmerksamkeit.

Doch – das Floß war nirgends zu bemerken. Es mußte das Eiland also erreicht haben.

Der schnelle Büffel sah sich so in seiner Hoffnung, die verhaßten Feinde flußabwärts an der nächsten engen Stelle aufhalten und überwältigen zu können, getäuscht. Er hatte seine Krieger mithin zwecklos zu Pferde nach der Flußenge geschickt und mußte sie wieder zurückholen lassen.

[38] Während er noch dicht am Ufer, hell beschienen durch die Flammen des einen Reisigberges, ausharrte und jetzt die Insel im Auge behielt, ohne in seiner Erregung zu bedenken, daß er so den Kugeln der Feinde ein nur zu gutes Ziel bot, hatte Tom Brack, der die Ostseite des Eilandes bewachte, eine Weile den Oberhäuptling und die neben ihm stehenden Apachen finsteren Blickes gemustert und mehrmals schon die Doppelbüchse gehoben, um deren Kugeln hinüberzusenden.

Doch das Zielen war durch den flackernden Lichtschein des Feuers so sehr erschwert, daß er stets wieder die Büchse absetzte.

Dann aber erinnerte er sich an seine und seiner Gefährten verzweifelte Lage, und mit der schnell aufflammenden Wut seiner Rasse riß er plötzlich die Waffe abermals in die Schulter, zielte kurz und drückte zweimal ab.

Drüben taumelten denn auch zwei der Roten zu Boden. Einer von diesen war der Oberhäuptling, dem Toms Kugel die Brust durchbohrt hatte. Der andere hatte einen Kopfschuß erhalten und war sofort tot.

Als der Mulatte den Oberhäuptling fallen sah, stieß er den schrillen Kriegsruf der Delawaren aus und brüllte mit voller Lungenkraft hinüber:

„Hier ist Tom Brack, der schwarze Häuptling, der Sohn der Delawarin! Seine Kugeln werden noch mehr der Apachenhunde treffen!“

Ihm antworteten die drüben befindlichen Rothäute mit einem gellenden Geheul, und mehrere Kugeln flogen auch nach der Insel hin, ohne irgend einen Schaden anzurichten.

Die Apachen hatten den schnellen Büffel rasch tiefer in den Wald geschleppt, fertigten nun aus Baumästen [39] eine Tragbahre an und beförderten den Verwundeten ins Lager.

Der Oberhäuptling war bei Besinnung. Unwillkürlich mußte er jetzt an die Warnung des Medizinmannes denken, der ihm ja vor kaum einer halben Stunde den Tod vorausgesagt hatte.

Als die sechs Apachenkrieger, die den Verletzten trugen, das Lager erreicht hatten und zwischen den Zelten hindurchschritten, kam ihnen bereits der geheimnisvolle Omakati, wieder in sein Grislyfell gehüllt, entgegen.

Omakati ließ die Tragebahre niedersetzen und untersuchte wortlos des schnellen Büffels Schußwunde, verband sie und erklärte dann:

„Mein Bruder, der Oberhäuptling der Apachen, sollte auf die Stimme Omakatis hören. Reite mit Deinen Kriegern von dannen. Begrabe das Kriegsbeil. Wenn Du am Leben bleiben willst, mußt Du wochenlang Dich völlig ruhig verhalten. Du darfst auch nicht sprechen. Gib mit der Hand ein Zeichen und die Krieger werden alles zum Abzuge rüsten.“

Der schnelle Büffel starrte den Medizinmann feindselig an. Er gab ihm allein die Schuld, daß er durch des Mulatten Kugel niedergestreckt worden war. In seinen abergläubischen Vorstellungen traute er Omakati sehr wohl die Macht zu, selbst die Kugel eines Feindes lenken zu können. Sein Haß gegen Omakati steigerte sich noch. Und nicht minder gärte jetzt eine jeden anderen Gedanken verdrängende Rachgier gegen Felsenherz und die anderen Feinde dort auf der Insel in seiner wilden Seele. Ihm genügte es, daß der Medizinmann soeben erklärt hatte, daß keine augenblickliche Gefahr für sein Leben bestand.

[40] Deshalb schüttelte er jetzt auch ablehnend den Kopf und deutete durch Zeichen an, daß er dem Unterhäuptling langes Messer den Befehl übertrage und daß Taschulapa, das lange Messer, vom Westufer herübergeholt werden solle.

Omakati wußte genau, daß Taschulapa mit dem schnellen Büffel eines Sinnes war und daß der Unterhäuptling niemals darauf verzichten würde, die fünf Feinde an den Marterpfahl zu bringen.

Schweigend verließ er daher das Lager und verschwand im Dunkel des Waldes. –

Tom hatte seine Büchse wieder geladen und sich niedergesetzt, blickte wieder auf den im Feuerschein glitzernden Flußarm hinaus und dachte an den blonden Trapper, der sich seltsamerweise noch immer nicht hier auf dem Eiland eingefunden hatte.

Dann fuhr er erschrocken herum.

Eine Hand hatte sich leicht auf seine Schulter gelegt. Vor ihm stand der schlanke Komanchenhäuptling.

„Tom hätte die Kugeln sparen sollen,“ sagte Chokariga ernst. „Es ist nicht gut, die Rachsucht der Feinde unnötig noch mehr zu entflammen. Felsenherz ist nicht wieder bei uns erschienen. Vielleicht ist er drüben auf der nördlichen Insel den Apachen in die Hände gefallen. Vielleicht werden die Apachen ihn in der ersten Wut hinmorden, weil Toms Kugel den schnellen Büffel niederwarf. Chokariga ist in Sorge um seinen weißen Bruder.“

Tom wollte etwas zu seiner Verteidigung anführen. Aber der Komanche war schon wieder in den Büschen untergetaucht.

Der Mulatte konnte die Vorwürfe, die der Komanche [41] ihm soeben gemacht hatte, nicht vergessen. Er erkannte jetzt selbst, daß er seine und seiner Gefährten Lage durch die beiden Schüsse nur verschlechtert hatte.

Plötzlich erhob er sich und ging nach der Südspitze der Insel hinüber, wo James Botterley Wache hielt.

„Massa Botterley,“ sagte er zu dem langen Dürren, „Ihr seid hier ganz überflüssig. Gegen die Strömung wird kein Apache sich an die Insel heranarbeiten. Nehmt meinen Posten am Ostufer ein. Ich will an Land schwimmen und nach Felsenherz Ausschau halten. Der Komanche hat mir soeben Vorhaltungen gemacht, und ich bin Tom Brack, der Sohn einer Delawarin. Ich werde Felsenherz befreien, falls er von den Rothäuten gefangengenommen worden ist.“

Botterley war sofort einverstanden. Tom gab ihm noch seine Büchse und glitt dann im Schutze einiger Schlingpflanzen ins Wasser, tauchte und kam erst vierzig Meter weiter flußabwärts an die Oberfläche, legte sich auf den Rücken und trieb mit der Strömung, nur einen Teil des Gesichts über dem Wasser, rasch weiter.

Nachdem er so unbemerkt das südlichste der Uferfeuer passiert hatte, steuerte er dem Lande zu und gelangte auch an eine kleine Halbinsel, wo ebenfalls eine der Treibholzanhäufungen wie ein Wall von Bäumen und Sträuchern angeschwemmt war.

Gleich darauf befand er sich im Uferwalde, huschte hier von Stamm zu Stamm und näherte sich so dem Lager.

Doch zu seinem Mißgeschick war kurz nach ihm an derselben Halbinsel auch der Unterhäuptling Taschulapa an Land gestiegen, den man durch Signale mit Feuerbränden herbeigerufen hatte.

[42] Das lange Messer war ein noch junger Krieger von außergewöhnlicher Körpergröße.

An Mut, Schlauheit und Kraft war er dem schnellen Büffel weit überlegen, und die Apachen hätten ihn nach dem Tode des großen Bären fraglos zum Oberhäuptling gewählt, wenn er eben nicht zu jung gewesen wäre.

Taschulapa hatte dieselbe Richtung durch den Wald nach dem Lager eingeschlagen wie Tom. So kam es, daß der ebenfalls lautlos sich vorwärtsbewegende Unterhäuptling nur zu bald des Mulatten ansichtig wurde, ihm folgte und ihn bei guter Gelegenheit von hinten ansprang, wobei er ihm mit dem flachen Tomahawk einen solchen Hieb auf den Kopf versetzte, daß Tom für Sekunden die Besinnung verlor. –

Felsenherz hatte von seinem Versteck aus sowohl die beiden Schüsse unten am Flusse gehört als auch genau beobachtet, wie kurz darauf der schnelle Büffel herbeigebracht und von dem rätselhaften Medizinmann verbunden wurde.

Der blonde Trapper war jetzt bereits überzeugt, daß seine Gefährten sich doch wieder auf die Insel gerettet hatten, und beabsichtigte, nur noch kurze Zeit hier auf seinem Lauscherposten zu bleiben, um noch das Erscheinen des Unterhäuptlings abzuwarten, der, wie die Zurufe der Apachen ihm verraten hatten, jetzt den Oberbefehl übernehmen sollte.

Dann gewahrte er plötzlich am südlichen Taleingang mehrere Apachen, die den gefesselten Tom mit rohen Stößen vorwärtstrieben.

Tom waren die Arme auf dem Rücken zusammengeschnürt. Außerdem hatte man ihm zwei Lassoschlingen um den Hals gelegt.

[43] Das lange Messer schritt dem kleinen Zuge voran und auf des schnellen Büffels Zelt zu, wo dieser auf einem Lager von Fellen neben dem Feuer ruhte.

Taschulapa ließ sich neben dem Oberhäuptling nieder und zeigte auf Tom, den die fünf Apachen jetzt noch näher schleppten.

Der schnelle Büffel hatte sich etwas aufgerichtet. Sein Gesicht verzerrte sich.

Dort stand der Mulatte, der ihn niedergeschossen hatte.

Des Oberhäuptlings Augen quollen jetzt förmlich aus den Höhlen.

Er dachte nicht an Omakatis Verhaltungsmaßregeln. Rachgier und Blutdurst umnebelten seine Sinne.

„Schwarzer Hund!“ gurgelte er hervor und erhob sich taumelnd. „Schwarzer Hund – stirb!“

Er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen, schnellte sich mit letzter Kraft vorwärts, stieß es Tom ins Herz.

Dann schoß aber schon ein dicker Blutstrom aus seinem Munde hervor; er sank zur Seite, sank dem Mulatten vor die Füße. –

Tom begann, das Messer in der Brust, immer stärker zu schwanken.

Jetzt ein schriller Schrei, und auch er taumelte vornüber, sank über den sterbenden Oberhäuptling, rollte weiter, lag dicht neben dem Feuer.

Sein Jagdhemd hatte sich im Sturze verschoben, hatte das Totem der Delawaren, die in die Haut der Brust tätowierte Schildkröte, entblößt.

Taschulapa hatte[5] zuspringen, hatte Tom skalpieren wollen.

[44] Er fuhr zurück, bückte sich tiefer, rief:

„Ein Delaware! Einer der großen Nation der –“

Da – ein paar warnende Schreie ließen ihn hochfahren.

Felsenherz hatte Tom retten wollen, hatte sich an der Wand des Tales hinabgelassen, nur mit langen Sätzen vorwärtsgestürmt.

Er kam zu spät. Er war bemerkt worden. Zwanzig – dreißig Apachen verlegten ihm den Weg.

Mit dem Tomahawk bahnte er sich eine Gasse, lief dem Nordausgang des Tales zu.

Schüsse knallten hinter ihm her.

Die beiden Wachen am Talausgang legten auf ihn an.

Zwei Kugeln pfiffen an dem zur Seite Weichenden vorüber; zwei furchtbare Hiebe – die Wächter brachen zusammen.

Aber nur allzu dicht waren ihm die Verfolger auf den Fersen.

Felsenherz hörte bereits das keuchende Atmen der ihm nachsetzenden Apachen, hörte wenige Schritte hinter sich den schrillen Kriegsruf des langen Messers.

Noch trennten ihn fünfzig Meter kahlen Bodens von den schützenden Büschen.

Da – ein Tomahawk sauste haarscharf an seinem Kopfe vorüber.

Er sah ein: er mußte die Apachen zurückzuscheuchen suchen, mußte Zeit gewinnen.

Aber – der Erfolg blieb zweifelhaft. Zu groß war die Anzahl der Feinde. Was half es, wenn er fünf – sechs niederschlug?! Die anderen würden über ihn herfallen wie eine Meute von Hunden, die den Keiler stellt, sich an ihm verbeißt und nicht wieder losläßt.

[45] Und trotzdem warf er sich jäh herum.

Das lange Messer als vorderster stutzte unwillkürlich.

Im selben Moment geschah etwas, das der blonde Trapper zunächst kaum begriff.

Aus den Büschen, die er nicht mehr erreicht hatte, knallten kurz hintereinander zwei Schüsse.

Taschulapa und ein anderer der Apachen überschlugen sich. Die Kugeln waren ihnen genau durch das rechte Knie gefahren.

Und abermals zwei Schüsse. Nur der Klang war ein anderer. Das waren keine Schüsse aus einer Büchse gewesen; das waren Pistolenschüsse.

Zwei andere Apachen taumelten zurück; der ganze Haufen stob auseinander.

Felsenherz besann sich nicht lange. Mit Riesensätzen jagte er den Büschen wieder zu.

Eine Hand packte die seine, eine Stimme flüsterte auf englisch:

„Rasch – folgt mir!“

Und der blonde Trapper ließ sich mit fortziehen – über kleine Lichtungen hinweg, zwischen Tannen hindurch, wieder durch Büsche.

Der Mond war soeben aufgegangen. Und Felsenherz konnte nun den Mann erkennen, der sein Retter war. Es schien ein Trapper zu sein, ein stämmiger Mensch mit langem dunklen Bart.

Nun wußte Felsenherz auch, wo er sich jetzt befand. Es war dieselbe Bergterrasse, auf der James Botterley beinahe den Medizinmann Omakati erschossen hätte.

Jetzt machte der Fremde vor einem Dornengestrüpp halt.

[46] Ein Griff in die Dornen hinein, und er zog ein paar Sträucher wie eine Tür auf, flüsterte wieder:

„Kriecht hinein! Ihr werdet in der Steinwand eine Öffnung finden, an die sich eine Höhle anschließt. Folgt dem frischen Luftzug, der durch die Höhle streicht, und Ihr werdet nach einer Viertelstunde an den anderen Ausgang gelangen. Ich fliehe zu Pferde weiter. Schnell – fragt nichts! Vorwärts!“

Felsenherz gehorchte, schob sich in die Lücke der hohen Dornenmauer hinein, merkte, daß der Fremde die Sträucher wieder vorschob.

Bald fühlte der Trapper, daß er die Höhle erreicht hatte, tastete umher, rieb sein Präriefeuerzeug an, bemerkte linker Hand auf einem Steine ein paar harzige, dicke Kiefernäste, nahm zwei davon an sich und eilte weiter.

Die Höhle war nur schmal, war wie ein hoher, breiter Tunnel. Nach den ersten Biegungen zündete Felsenherz eine der Fackeln an. Hie und da zweigten enge Gänge ab. Aber man konnte hier nicht fehlgehen. Der frische Luftstrom, der die Haupthöhle durchzog, war der beste Wegweiser, war ganz deutlich zu spüren.

Felsenherz schritt jetzt langsamer vorwärts.

Allerlei Gedanken kamen ihm.

Und – plötzlich machte er wieder kehrt.




[47]
5. Kapitel.
Die beiden Grislys.

Bald löschte er auch die Fackel aus, suchte im Finstern den Rückweg.

Dann vernahm er laute Rufe, vernahm auch einzelne Stimmen. Er näherte sich dem Ausgang, dem Dornenwall, der sich schützend vor die Öffnung in der Rückwand der Terrasse breitete.

Jetzt sah er durch das stachlige Gestrüpp draußen flackernden Feuerschein, hörte die Stimmen noch deutlicher, hörte nun eine einzelne:

„Omakati hat seine roten Brüder heute zweimal gewarnt. Aber der schnelle Büffel hielt seine Ohren verschlossen; der schnelle Büffel ist tot. Manitus Antlitz blickt finster auf seine roten Kinder der Apachennation herab. Kehrt heim in Eure Dörfer, Krieger des tapferen Apachenstammes. Omakati warnt Euch nochmals!“

Diesen überlaut gesprochenen Worten folgte tiefes Schweigen.

Dann aber ein heiseres, drohendes Auflachen – dann die Stimme des langen Messers:

„Hier steht Taschulapa, den die Kugel am Knie nur [48] streifte! Krieger der Apachen, achtet nicht auf das Gekrächz Omakatis! Wollt Ihr heimkehren in Eure Dörfer, ohne Eure Toten gerächt zu haben?! Wollt Ihr Euch von den Weibern und Kindern verspotten lassen?! Wollt Ihr, daß Euer Todfeind Chokariga ungehindert zu den Komanchen reitet und dort von den Apachen erzählt, sie seien plötzlich feige Coyoten geworden, elende Präriefüchse, die nur von Aas sich nähren und keinen Feind anzugreifen wagen?! – Krieger der Apachen, sucht weiter nach dem blonden Jäger! Zerstreut Euch durch die Büsche, die Täler und Schluchten. Sucht Felsenherz und den, der mir das Knie zerschmettern wollte! Holt Euch ihre Skalpe! Vergeßt nicht den Tod Eures berühmtesten Häuptlings, des großen Bären; vergeßt nicht den Tod des schnellen Büffels und zwölf Eurer Brüder!“

Dieser aufreizenden Ansprache war ein anderer Erfolg beschieden als den Worten des Medizinmannes.

Die Apachen stießen das gellende Kriegsgeschrei ihres Stammes aus und verteilten sich hierhin und dorthin.

Der durch die Dornbüsche schimmernde Fackelschein wurde schwächer und schwächer.

Sehr bald beschien nur noch der Mond den kleinen freien Platz vor dem stachligen Wall.

Felsenherz kroch etwas weiter in die Dornen hinein, konnte nun Omakati erkennen, der in seinem Grislyfell auf einem hohen Steine saß.

Links von ihm stand das lange Messer, auf seine Büchse gelehnt.

Die beiden schwiegen. Sie waren seit langem heimliche [49] Gegner. Auch Taschulapa war auf den Einfluß Omakatis stets eifersüchtig gewesen.

Dann – ganz plötzlich hatte der Unterhäuptling die Büchse gehoben, hatte den Hahn gespannt, hatte auf den kaum fünf Schritt entfernten Omakati angelegt und zischte nun in höhnischem Triumph:

„Omakati muß sterben! Niemand wird wissen, wer Dich erschoß! Die Krieger durchschwärmen die Täler. Niemand schützt Dich!“

Er wollte abdrücken.

Wollte –!

Er hatte nicht bemerkt, daß unter dem vorn offenen Grislyfell der Lauf einer Pistole etwas hervorragte.

Und aus der Mündung dieser Pistole blitzte es jetzt auf.

Das lange Messer ließ die Flinte fallen, warf die Arme in die Luft und schlug nach hinten leblos zu Boden.

Die Kugel hatte ihn mitten in die Stirn getroffen.

Es war ein Meisterschuß gewesen – ein Schuß, der ohne regelrechtes Zielen abgegeben worden war, – ein Schuß, den selbst Felsenherz niemals fertiggebracht hätte, wie er sich jetzt staunend eingestand. –

Omakati lüftete das Bärenfell noch mehr, stieg von dem Steine herab, hob den Toten und dessen Flinte auf und schleppte ihn durch die Büsche auf die Terrasse hinaus, legte ihn dort nieder und kehrte zu dem Höhleneingang zurück, setzte sich wieder auf den Steinblock und begann die Pistole zu laden.

Es war ein merkwürdiger Anblick, wie dieser Apache dort, von dessen Kopf nie etwas unter dem Bärenschädel sichtbar wurde, gelassen die doppelläufige Pistole lud, [50] wie er dann eine langstielige indianische Pfeife hervorholte und gemächlich rauchte.

Felsenherz wollte sich jetzt gerade bemerkbar machen, als drunten vom Flusse her der mehrfache Knall von Büchsen und das wilde Gebrüll der Rothäute herauftönte.

Dort hatten jetzt, wie der schnelle Büffel noch kurz vor seinem Tode befohlen, mit dem Aufgang des Mondes die beiden stark bemannten Flöße die Insel angegriffen; dort mußten die drei Verteidiger des Eilandes, Chokariga, der dicke Abraham und Botterley, vor den hinter Brustwehren steckenden Apachen, die das Inselufer dauernd beschossen und selbst vor jeder Kugel sicher waren, Schritt für Schritt zurückweichen.

Dort waren jetzt aber auch tauchend und schwimmend einige vierzig andere Rothäute vom Ostufer über den Fluß gekommen, wanden sich lautlos durch die Büsche und stürzten sich ganz überraschend auf die drei Verteidiger, rangen sie nieder. –

Ein durch Mark und Bein gehendes Triumphgeheul zeigte Felsenherz an, daß der Angriff der Apachen geglückt sein mußte.

Nur aus diesem Grunde gab er es jetzt auf, den Medizinmann anzurufen. Er wußte ja, das er Omakati nochmals begegnen und dann von diesem über all das Aufschluß erhalten würde, was er sich über die geheimnisvolle Persönlichkeit dieses Roten im Geiste zurechtgelegt hatte.

So trat er denn den Weg durch die Höhle aufs neue an, um abermals das Lager der Apachen zu beschleichen und um festzustellen, was aus seinen Gefährten geworden.

[51] Doch diesmal schritt er ganz langsam durch den Tunnel dahin, zündete sehr bald eine Fackel an, beleuchtete den Boden, suchte nach Spuren.

Und er fand auch bald Anzeichen dafür, daß hier jemand häufiger die Höhle passiert hatte, fand auch eine Stelle, wo diese Fährte eine Abzweigung in eine der engeren Nebenhöhlen hatte, folgte dieser nach links abbiegenden Spur und gelangte so in eine größere Grotte, die recht wohnlich eingerichtet war.

Hier gab es einen Herd aus Steinen, ein Lager aus Fellen, ein paar Blechkessel, ein paar Gefäße mit Dörrfleisch und manches andere.

Und an der einen Steinwand hing neben zwei Doppelbüchsen und zwei Pulverhörnern – ein Grislyfell mit tadellos präpariertem Schädel, ein Fell, um dessen Hals eine Kette von Eulenköpfen geschlungen war! –

Um Felsenherz’ Mund spielte ein leises Lächeln.

Er hatte ja Ähnliches hier vorzufinden erwartet, hatte geahnt, daß diese Höhle einer der Schlupfwinkel des Medizinmannes war! –

Dann kam ihm ein besonderer Gedanke.

Er nahm das Grislyfell von der Steinzacke herab, warf es sich über die Schulter und eilte weiter, eilte dem anderen Höhlenausgang zu.

Bald hatte er ihn erreicht. Schnell löschte er die Fackel und trat ins Freie hinaus, sah sich jetzt auf einem balkonähnlichem Vorsprung einer Bergwand, die gerade über jenem Tale lag, in dem die Apachen hier am Ostufer lagerten.

Dort unten brannten jetzt die Feuer heller; dort unten schleppte eine johlende Schar roter Teufel soeben die [52] drei Gefangenen in die Mitte des Tales, wo ein paar kleinere Tannen vereinzelt wuchsen.

Im Nu hatten die Apachen drei der Tannen ihrer Äste beraubt.

Im Nu waren Chokariga, Botterley und Abraham aufrecht daran festgebunden.

Dann auch schon die laute Stimme des ältesten Kriegers, der jetzt den Oberbefehl übernommen hatte:

„Krieger der Apachen, auch das lange Messer ist jetzt durch Felsenherz’ Kugel getötet worden! Felsenherz ist entflohen! Aber der Hund von Komanche und diese beiden Blaßgesichter sind in unserer Gewalt! – Krieger der Apachen, wir werden diese drei sofort martern! Ihr Angstgebrüll soll unsere toten tapferen Häuptlinge auf dem Wege nach den ewigen Jagdgründen begleiten! Holt Reisig herbei! Schärft Eure Messer! Die drei sollen unter Qualen sterben, wie sie noch kein Feind erlitten hat!“

Ein wahnwitziges Beifallsgeheul erhob sich.

Die Apachen schienen plötzlich vor Blutrausch den Verstand verloren zu haben.

Ein Kreis hüpfender Teufel sprang um die Gefangenen herum. Man trug trockene Zweige herbei, schichtete sie um jede Tanne auf. Andere Apachen holten die Leichen des schnellen Büffels und des langen Messers, lehnten sie in der Nähe gegen Steine. –

Felsenherz durfte nicht länger zaudern, wenn er noch etwas zur Rettung seiner Gefährten unternehmen wollte.

Sein Plan war fertig. Mißlang er, so war auch er selbst verloren.

Bis zu dem Felsvorsprung, auf dem er hier stand, [53] reichte die Krone einer mächtigen, allen Eiche herauf, deren einer Ast den Vorsprung noch berührte.

So konnte er sich denn in den Baum hinüberschwingen, konnte abwärtsklettern.

Am Fuße der Eiche warf er den breitbandigen Filzhut ab und zog das Bärenfell über, dessen offene Bauchnaht mit kleinen Riemen zum Zubinden versehen war.

So verwandelte sich Felsenherz in einen falschen Omakati.

So schritt er nun schnell durch eine kleine Schlucht dem Tale und dem Lager zu.

Da – aus einem Gebüsch trat ihm eine Gestalt entgegen – so plötzlich, daß er zusammenschrak und ein wenig zurückwich – ein zweiter Grisly, der echte Omakati –!

„Das Blaßgesicht wagt viel!“ flüsterte der Medizinmann rasch. Aber es wagt umsonst sein Leben! Mit Gewalt wird Felsenherz seine Freunde niemals befreien. Omakati will ihm helfen –“

Er sprach leise weiter. – Und dann blieb Felsenherz hier in den Büschen zurück, während der Medizinmann eilends dem Lager zustrebte.

Hier waren die Vorbereitungen für den Martertod der Gefangenen bereits beendet worden.

Die jüngsten Krieger hatten sich der Tanne gegenüber aufgestellt, an die James Botterley gefesselt war, denn er sollte als erster sterben.

Botterley, das Greenhorn, benahm sich sehr zu Abrahams Verwunderung wie ein Held.

Als jetzt die ersten jungen Krieger ihre Messer dicht an seinem Hals und Kopf in den Stamm trieben, als [54] sie so ihre Fertigkeit im Messerwerfen bewiesen, rief Botterley verächtlich:

„Feiges Gesindel! Denkt Ihr, daß ein Amerikaner sich hier wie ein altes Weib benehmen und vor Angst heulen und winseln wird?! Feiglinge seid Ihr! Gehört etwa Mut dazu, mit hundert Kriegern drei Männer auf einer Insel anzugreifen?! Stehlen, rauben und morden könnt Ihr! Weiter nichts! Damit Ihr es wißt, jämmerliche rote Bande: ich habe meine Jugend als Sohn eines Farmers verlebt! Ich habe schon mit sechs Jahren verstanden, eine Büchse zu laden! Ich kenne Euch! Kinderdiebe seid ihr! Mich und meinen Zwillingsbruder stahlt Ihr, als wir beide am Bachufer Netze trockneten! Und damals – verflucht sei jene Stunde – damals war ich ein Feigling! Damals flehte ich Euch an, mich freizulassen, versprach Euch aus meines Vaters Hütte ein Fäßchen Pulver zu holen – als Lösegeld! Heimlich holte ich es dann! Und Ihr gabt mich frei! Aber an meinen Bruder dachte ich damals nicht. Ich duldete es, daß Ihr ihn wegschlepptet! Ich verschwieg meinen Eltern das Vorgefallene. Bald verließen sie die Farm, siedelten nach den großen Städten im Osten über, nachdem alles Suchen nach Edward, meinem Bruder, umsonst gewesen! – So wart Ihr es, feiges Diebesgelichter, das mich dazu verführte, schwere Schuld auf mein Kinderhaupt zu laden! Und jetzt – jetzt hat mich die bittere Reue hier in die Wildnis getrieben! Edward wollte ich suchen, wollte –“

Botterley schwieg.

Der Kreis der Apachen hatte sich geöffnet, und Omakati schritt langsam in seinem Grislyfell bis dicht vor [55] den Gefangenen, machte halt, wandte sich um und begann zu sprechen.

„Krieger der Apachen, Manitu, der große Geist sendet mich zu Euch! Ihr sollt Vernehmen, was er Euch durch meinen Mund ausrichten läßt! – Diese drei Gefangenen sollen sterben! Manitu will es! Aber sie sollen an diesem Platze nur dann sterben, wenn sich der große Geist in meiner Gestalt nicht sofort dort oben auf der nördlichen Talwand zeigt! Erscheint Manitu dort als Grisly mit der Kette von Eulenköpfen um den Hals, so sollt Ihr die Gefangenen mit in Eure Dörfer nehmen und sie dort zu Tode martern, weil inzwischen dann auch Felsenherz in Eure Gewalt geraten wird! Gehorcht Ihr nicht, so wird Manitu Euch die Blattern (Pocken, eine Seuche, die häufig unter den Indianern auftritt und sehr gefürchtet ist) senden, und hunderte von Euch werden hinweggerafft werden! – Schichtet jetzt dort am Fuße der Talwand Holz auf, zündet ein großes Feuer an, dessen Schein bis nach oben reicht! So will es Manitu. Jeder von Euch wird dann den großen Geist erkennen, falls er sich zeigen will.“ –

Omakatis Worte konnten kaum schlauer berechnet sein als diese Ansprache, in der den Apachen sogar die Gefangennahme des berühmten Trappers verheißen wurde.

Es fand sich denn auch unter den hier versammelten zweihundert Kriegern nicht ein einziger, der sich geweigert hätte, Manitus Befehlen irgendwie zu widersprechen.

Bald flammte am Fuße der Nordwand ein Riesenfeuer auf.

„Löscht die anderen Feuer!“ befahl Omakati weiter. [56] „Ich werde den großen Geist beschwören, daß er uns Felsenherz in die Hände spielt!“

[ … ][6] noch ein Feuer brannte, das an der Nordwand.

So wurde denn das übrige Tal [ … ][7]

Nun begann der Medizinmann mit seiner Beschwörung, tanzte vor dem Feuer hin und her, stieß schrille Rufe aus, drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst, warf allerlei Kräuter in das Feuer, schüttete eine Handvoll Pulver hinein, begann den Tanz von neuem. –

Um die Gefangenen kümmerte sich jetzt niemand. Die drei Tannen, an die sie festgebunden worden waren, lagen weiter links im Schatten einiger Büsche. –

Inzwischen hatte Felsenherz die beiden Wachen am Nordausgang des Tales bereits lautlos unschädlich gemacht und war ungehindert bis zu den drei Gefangenen vorgedrungen, hatte ihre Riemen schnell durchschnitten und ihnen die nötigen Verhaltungsmaßregeln zugeflüstert.

Jetzt befand er sich bereits auf dem Rückweg; jetzt warf Omakati abermals eine Handvoll Pulver in die Flammen.

Zischend puffte das Pulver auf.

Und in heulenden Tönen brüllte Omakati nun:

„Manitu – die Krieger der Apachen warten! Manitu, zeige Dich Deinen roten Kindern! Schenke ihnen Felsenherz, damit er gleichfalls am Marterpfahle stirbt!“

Zweihundert Augenpaare hingen jetzt gespannt auf den Sträuchern dort oben am Rande der Nordwand.

Und zu gleicher Zeit huschten die Gefangenen davon, eilten nach dem Zelt des schnellen Büffels, vor dem ihre und Felsenherz’ Waffen lagen, eilten mit den Waffen nach der Nordseite. –

[57] Zweihundert Augenpaare erblickten jetzt wirklich dort oben einen Grisly, der soeben aus den Büschen aufgetaucht war, eine Weile regungslos dastand und wieder hinter den grünen Zweigen verschwand, nachdem er mehrmals mit den Vorderpranken in der Luft herumgefochten und schließlich sich die Eulenschädelkette abgestreift und unten ins Feuer geworfen hatte.

Kaum war der große Geist – kein anderer als Felsenherz war’s ja! – wieder verschwunden, als Omakati mit dumpfem Stöhnen zu Boden sank und sich wie in Krämpfen hin und her warf.

Dann schnellte er hoch, rief wehklagend:

„Manitu hat den Stamm der Apachen hart gestraft, weil die Krieger der Apachen die Warnungen heute mißachteten, die er durch meinen Mund ihnen sandte! Manitu hat die Kette des Medizinmannes ins Feuer geschleudert! Manitu hat uns dadurch angedeutet, daß er uns die Gefangenen entführt hat!“

Die zweihundert Krieger, von abergläubischen Schauern erfüllt, begriffen zuerst nicht recht den Sinn dieser letzten Worte.

Dann stürmten einige nach den drei Tannen hin.

Dann folgte die ganze Masse der übrigen.

Die Gefangenen waren verschwunden.




[58]
6. Kapitel.
Edward Botterley.

Die Apachen waren immer noch derart bestürzt, standen noch immer so stark unter dem Eindruck der Erscheinung des zweiten Grisly, daß sie jetzt in stummen Kreise die drei leeren Tannen umgaben.

Einige hatten brennende Äste mitgebracht, deren flackerndes Licht diese Versammlung der stummen, finsteren Krieger noch düsterer und seltsamer machte.

Dann schritt jener alte, grauhaarige Apache, der nun den Oberbefehl führte, auf eine der Tannen zu und untersuchte sie.

Nicht einmal die Riemen, mit denen die Gefangenen gefesselt gewesen, waren vorhanden.

Der alte Krieger richtete sich wieder auf, rief in einem Tone, der deutlich sein Mißtrauen gegen Omakati verriet:

„Matara, der schlaue Fuchs, sah vierzig Mal, seit er mit zu den Kriegern der Apachen gehört, die Büffel im Herbst nach Süden ziehen. Und doch sind Mataras [59] Augen noch scharf wie die des Adlers, und sein Geist ist klar und lebendig wie der des Jüngsten der Apachen! Matara zählte 30 Jahre, als unsere Krieger von einem Zuge gegen die Ansiedlungen der Blaßgesichter im Osten einen Knaben mitbrachten. Der Knabe wurde als einer der Unseren erzogen, wurde ein Apache, und sein Kriegsname lautete Omakati! Als unser Medizinmann gestorben war, wurde Omakati sein Nachfolger. Aber – er hielt sich meist fern von uns, lebte einsam im Gebirge, war bald hier, bald dort. Dennoch achteten und fürchteten die Apachen ihn. Er war ein großer Zauberer. Bald vergaßen die Apachen, daß Omakati einst ein Blaßgesicht gewesen, obwohl er stets verlangte, wir sollten das Kriegsbeil begraben und wie die elenden Yumas Felder bepflanzen und Vieh züchten. (Die Yumas sind ein halbwilder Indianerstamm in Nordmexiko, der Ackerbau und Viehzucht treibt). Wenn unsere Krieger ein Blaßgesicht gefangen genommen hatten und es an den Marterpfahl stellten, hat Omakati stets mit Manitus Rache gedroht, der nicht wünsche, daß seine roten und weißen Kinder sich gegenseitig bekämpfen. Omakati hielt sich immer fern, wenn ein Kriegszug gegen die Farmer im Osten unternommen wurde. Alles dies, Krieger der Apachen, ist schon oft im Rate der Alten besprochen worden. Unser berühmtester Häuptling, der große Bär, hat Omakati insgeheim oft einen Verräter genannt! Laut wagte er ihn nicht zu beschuldigen, denn des Medizinmannes Macht geht über Leben und Tod! – Krieger der Apachen, zwei Eurer Häuptlinge sind heute abermals durch die Kugeln der Blaßgesichter gefallen! Wie hätte Manitu uns da wohl die drei Gefangenen entführt, wo wir so viele Tote zu beklagen [60] haben! Der große Geist hätte es nie getan; der große Geist liebt seine roten Kinder! – Krieger der Apachen, hier in der Rinde der Tannen habe ich dort, wo die Riemen der Gefangenen sich befanden, die Schnitte eines Messers entdeckt! Die Riemen sind also zerschnitten worden. Wenn Manitu die Gefangenen befreit hätte, würde er dies ohne jeden Messerschnitt fertig gebracht haben! – Ich, Matara, der schlaue Fuchs behaupte, daß Omakati uns soeben betrogen hat! Er hat uns nur von diesen drei Tannen weglocken wollen; er ließ die anderen Feuer auslöschen; er wollte vielleicht Felsenherz, der uns entkommen ist, nur Gelegenheit geben, die drei zu befreien.“

Der alte Krieger machte eine kurze Pause.

Ringsum erhob sich leises Beifallsgemurmel. Auch bei den anderen Apachen war jetzt das Mißtrauen rege geworden.

Alles blickte nach der nördlichen Talwand hin, wo das Riesenfeuer noch immer brannte.

Dort lag Omakati vor dem Feuer regungslos ausgestreckt, glich von weitem wieder völlig einem Grisly, der sich auf den Bauch niedergetan hat und schläft.

„Krieger der Apachen,“ fuhr Matara fort, „eilt nach dem Zelte des schnellen Büffels und nach den Ausgängen des Tales! Seht, ob die Waffen, die wir auf der Insel erbeuteten, verschwunden und die Wächter etwa getötet worden sind!“

Eine Menge der jüngsten Krieger stürmte davon.

Sehr bald erschollen dann ihre gellenden Rufe, sehr bald kehrten einige zurück und meldeten, daß die Waffen nicht mehr vor dem Zelte lägen und daß die beiden Wächter am Nordausgang gefesselt und geknebelt seien.

[61] Jetzt ertönte ein so wildes Geheul, daß Mataras Stimme in dem allgemeinen Lärm fast unterging.

„An den Marterpfahl mit dem Verräter Omakati!“ brüllte alles in furchtbarer Wut durcheinander.

Der ganze Haufe der Krieger wälzte sich der Stelle zu, wo der Medizinmann unbeweglich am Boden ruhte.

Mordgierige Fäuste krallten sich in dem Grislyfell fest.

Dann ein neues Geheul – noch ärger als vorhin, – ein Geheul der Enttäuschung, ohnmächtiger Rachgier.

Denn – das Bärenfell enthielt nichts als eine Menge grüner Zweige, die ihm die Gestalt eines ruhenden Grisly verliehen hatten.

Omakati selbst war verschwunden! –

„Ihnen nach!“ rief Matara befehlend. „Krieger der Apachen, wir werden die Flüchtlinge fangen! Fünfzig reiten sofort flußabwärts bis zu den nächsten Stromschnellen, fünfzig andere sollen –“

Matara, der schlaue Fuchs schwieg plötzlich.

Sein Blick war zufällig nach der Stelle emporgeglitten, wo vorhin der zweite Grisly sich gezeigt hatte.

Dort stand jetzt ein Mann in Trappertracht mit langem, dunklem Bart.

Es war Omakatis Stimme, die nun hinunterrief:

„Apachen! Ich bin Omakati, bin aber auch Edward Botterley, bin der Bruder des Mannes, der als erster am Marterpfahle sterben sollte. Heute in aller Frühe belauschte ich den Trapper Abraham und meinen Bruder, hörte so den Namen Botterley, merkte, daß ich wirklich meinen Bruder James vor mir hatte. James sprach zu Abraham Worte, die diesem rätselhaft blieben. Ich aber begriff, was sie bedeuteten: James hatte längst [62] bitter bereut, mich damals den Apachen als Knabe überlassen zu haben; er war jetzt hier an den Pecos gekommen um mich zu suchen. Da erwachte die Sehnsucht nach meinen Eltern in mir, da beschloß ich, mit James für immer in die Ansiedlungen zurückzukehren. Doch – schon mußten Abraham und mein Bruder vor Euch auf die Insel flüchten, und so kam es denn, daß ich Mittel und Wege ersann, James und seine Gefährten zu retten. Alles weitere wißt Ihr! – So, wie Ihr mich jetzt hier seht, lebte ich nebenbei noch als Trapper –“

Er nahm den falschen Bart ab und enthüllte so das tief gebräunte Antlitz des allen Apachen wohlbekannten Medizinmannes, fügte dann schnell hinzu:

„Wir haben Eure Mustangs aus dem anderen Tale fortgeschafft! Ihr könnt uns nicht verfolgen. Ihr findet sie weiter südlich. Sucht nur danach. – Lebt wohl, Apachen! Viele Jahre war ich einer der Euren. Ich wollte Euren wilden Sinn umwandeln, wollte stets unnötiges Blutvergießen verhindern. Ihr hörtet nicht auf mich! Der rote Mann wird einst an seinen eigenen Fehlern zu Grunde gehen!“

Dann trat er rasch in die Büsche zurück.

Zwanzig – dreißig Kugeln pfiffen hinter ihm drein.

Und ein Wutgeheul folgte ihm, daß das Echo in den Uferbergen davon lebendig wurde und das Gebrüll der überlisteten Apachen vielfach verstärkt zurückwarf. –

Am Morgen befanden die Flüchtlinge sich bereits in der Llano Estacado. Voran ritten die beiden wieder versöhnten Brüder. Dann kamen nebeneinander Felsenherz, der dicke Abraham und der Komanchenhäuptling. Dieser führte noch einen Mustang am Zügel, auf dem [63] die Leiche Tom Bracks, des Mulatten, festgebunden war, die Chokariga aus dem Lager ebenfalls mitgenommen hatte.

Tom wurde dann in der Llano in einer Felsschlucht, wie es einem Delawarenkrieger gebührte, bestattet.

Fünf Tage drauf nahmen die Brüder Botterley von den drei Westmännern Abschied und ritten den nahen Ansiedlungen zu.

Abraham, Felsenherz und der schwarze Panther aber kehrten um und wollten sich nach den Dörfern der Komanchen am Kanadian begeben, um dort von den letzten Strapazen eine Weile auszuruhen.

Was sie auf diesem Ritt erlebten, bringt der nächste Band.


Der folgende Band enthält:
Die Büffeljäger.


[Verlagswerbung]
Männe und Max
Lustige Bubenstreiche
von
Walther Neuschub
mit Bildern von R. Hansche

Diese Ausgabe hat den Beifall weitester Kreise gefunden. Der zündende Humor der Dichtung und die goldige herzerfrischende Komik der Illustrationen kann nicht übertroffen werden. Die Heftchen haben ein dreifarbiges Titelbild und enthalten meist über 25 Textillustrationen.

Bisher sind die nachstehenden Heftchen erschienen:

1. Onkel Adolars Geburtstag. – 2. Schornsteinfeger Krause. – 3. Das Gespenst. – 4. Der Gang zum Photographen. – 5. Der Schweinestall. – 6. Köchin Line. – 7. Räuber Trald. – 8. Die Kindtauffeier. – 9. Die Reise nach Berlin. – 10. Knödelmeyers neue Köchin. – 11. Eine Kremserfahrt. – 12. Der Ritt nach Afrika. – 13. Kohn, der Papagei. – 14. Der Flohzirkus. – 15. Daniel in der Löwengrube. – 16. Der tote Puterhahn. – 17. Die Kartoffeldiebe. – 18. Der strenge Kandidat. – 19. Bobbis Begräbnis. – 20. Das Motorrad. – 21. Sonntagsjäger Haberland. – 22. Die Moorbadkur. – 23. Äppelschnuts Lehrlinge. – 24. Die Gauner Klapp und Pelle. – 25. Der Boxkampf. – 26. Der Indianer Heitawai. – 27. Josua Grind, der Pirat. – 28. Die Fuchsjagd. – 29. Der Dreibund im Zoo. – 30. Der Meisterschuß. – 31. Die Walfischjagd. – 32. Die sechs Mohren.

     Erschienen bis Band:



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