Des Flavius Josephus Selbstbiographie/Text

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[7] 1 (1.) Ich habe einen Stammbaum aufzuweisen, der nicht unberühmt ist, sondern bis in die ältesten Priesterfamilien zurückreicht. Bekanntlich gründet sich der Adel bei dem einen Volk auf diese, bei dem anderen auf jene Voraussetzung, und so wird bei uns als Kennzeichen vornehmer Geburt die Zugehörigkeit zur Priesterschaft angesehen. 2 Übrigens leite ich meine Abstammung nicht nur aus priesterlichem Geschlecht, sondern – was viel besagen will – sogar aus der ersten der vierundzwanzig Klassen und zwar aus der vornehmsten Familie derselben her. Mütterlicherseits bin ich auch königlichem Geblüt entsprossen; denn die Asamonäer, die Vorfahren meiner Mutter, sind während eines beträchtlichen Zeitraumes Hohepriester und Könige unseres Volkes gewesen. 3 Mein Stammbaum ist folgender: Mein Urahn Simon mit dem Beinamen Psellos lebte um die Zeit, als ein Sohn des Hohepriesters Simon, derselbe, der zuerst unter den Hohepriestern den Namen Hyrkanus trug, das hohepriesterliche Amt bekleidete. 4 Simon Psellos hatte neun Söhne. Einer von diesen, Matthias, des Ephlias Sohn genannt, heiratete die Tochter des Hohepriesters Jonathas, der zuerst von den Asamonäern die Hohepriesterwürde an sein Haus brachte und dessen Bruder Simon gleichfalls Hohepriester war, und erhielt von ihr im ersten Jahre der Regierung des Hyrkanus einen Sohn, Matthias mit dem Beinamen „der Bucklige.“ 5 Des letzteren Sohn war Joseph, geboren im neunten Regierungsjahre Alexandras, und von Joseph ward im zehnten Jahre der Regierung des Königs Archelaus Matthias gezeugt. Der Sohn [8] dieses Matthias bin ich selbst, geboren im ersten Jahre der Herrschaft des Caesars Gajus. Ich habe wiederum drei Söhne, von denen der älteste, Hyrkanus, im vierten, Justus im siebenten, und Agrippa im neunten Jahre der Regierung des Imperators Vespasianus das Licht der Welt erblickte. 6 Indem ich so meinen Stammbaum, wie ich ihn in den amtlichen Urkunden vorfand, veröffentliche, sehe ich mit Verachtung auf diejenigen hinab, die mich verleumden wollen.

7 (2.) Mein Vater Matthias war aber nicht bloss um seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. 8 Mit meinem leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man glaubte von mir, dass ich die anderen an Gedächtnis und Verstand überträfe. 9 So kam es, dass ich schon als Knabe von etwa vierzehn Jahren meiner Wissbegierde wegen von jedermann gelobt wurde, und dass selbst die Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten, um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes von mir zu erfahren. 10 Im Alter von sechzehn Jahren fasste ich den Entschluss, unsere Sekten zu prüfen, deren es, wie ich des öfteren[1] auseinandergesetzt habe, drei giebt: Pharisäer, Sadducäer und Essener. Ich glaubte nämlich dadurch die beste herausfinden zu können, dass ich sie alle kennen lernte. 11 Unter harten Abtötungen und zahlreichen Mühseligkeiten durchlief ich die drei Sekten, und als ich dann meinen Wissensdrang noch immer nicht für befriedigt hielt, wurde ich der eifrige Schüler eines gewissen Banus, der, wie ich vernahm, in der Wüste lebte, Kleider von Baumrinde trug, wildwachsende Kräuter ass und zur Reinigung sich öfters am Tage wie in der Nacht mit kaltem Wasser wusch. 12 Bei ihm brachte ich drei Jahre zu und kehrte, nachdem meine Absicht erreicht war, in die Stadt zurück. Im neunzehnten [9] Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als Anhänger der Pharisäersekte, welche den griechischen Stoikern nahe kommt.[2]

13 (3.) Mit dem vollendeten sechsundzwanzigsten Lebensjahr unternahm ich eine Reise nach Rom aus folgender Veranlassung. Um die Zeit, als Felix Landpfleger von Judaea war,[3] liess derselbe einige mir sehr befreundete Priester, wackere und ehrenwerte Männer, einer ganz unbedeutenden Ursache wegen verhaften und schickte sie nach Rom, wo sie sich vor dem Caesar verantworten sollten. 14 In der Absicht nun, zu ihrer Befreiung das meinige beizutragen, besonders aber, weil ich erfuhr, dass sie auch im Unglück die Ehrfurcht gegen Gott nicht ausser acht liessen und sich von Feigen und Nüssen ernährten, fuhr ich nach Rom, hatte aber zur See schwere Gefahren zu bestehen. 15 Unser Schiff nämlich sank mitten auf dem Adriatischen Meere unter, und wir mussten, fast sechshundert an der Zahl, die ganze Nacht hindurch schwimmen. Endlich gegen Tagesanbruch kam uns durch Gottes Fürsorge ein Fahrzeug aus Kyrene zu Gesicht, in welches ich nebst einigen anderen, die den übrigen vorausgeschwommen waren, im ganzen etwa achtzig, aufgenommen wurde. 16 So ward ich gerettet und kam nach Dikaearchia, welches die Italiener Puteoli nennen und wo ich bei Aliturus gastliche Aufnahme fand. Dieser Mann, ein geborener Jude, war Schauspieler und stand bei Nero in hoher Gunst. Durch ihn wurde ich mit der Gemahlin des Caesars, Poppaea, bekannt und trug ihr nun sogleich die Bitte um Freilassung der Priester vor. Sie gewährte mir denn auch diese Gnade, und nachdem ich obendrein noch reichlich von ihr beschenkt worden war, kehrte ich nach Hause zurück.

17 (4.) Hier fand ich das Feuer des Aufruhrs schon am glimmen und musste die Wahrnehmung machen, dass [10] gar viele sich mit dem verwegenen Plane trugen, von den Römern abzufallen. Ich versuchte nun die Empörer zu beschwichtigen und auf andere Gedanken zu bringen, indem ich ihnen vorstellte, mit wem sie es aufnehmen wollten und dass sie den Römern nicht nur an Kriegserfahrung, sondern auch an Glück nachstehen würden: 18 sie möchten daher nicht so leichtfertig und sinnlos über Vaterland, Familie und sich selbst die äusserste Gefahr heraufbeschwören. 19 So sprach ich und drang eifrig in sie, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil ich voraussah, dass der Krieg für uns in der schrecklichsten Weise enden würde. Glauben aber fand ich nicht, denn der Wahnsinn der Verzweifelten überstieg alles Mass.

20 (5.) Schliesslich musste ich fürchten, durch derartige Reden den Hass der Menge sowie den Argwohn auf mich zu laden, als hielte ich es mit den Feinden, und demzufolge von den Empörern ergriffen und getötet zu werden. Ich zog mich daher, weil die Antonia bereits genommen war, ins Innere des Tempels zurück. 21 Nach der Ermordung des Manaëm und der Anführer des räuberischen Gesindels aber schlich ich mich wieder aus dem Heiligtum hinaus und hielt mich zu den Hohepriestern und den einflussreichsten Pharisäern. 22 Unsere Besorgnis hatte übrigens schon einen hohen Grad erreicht; sahen wir doch das Volk in Waffen, uns selbst aber in gänzlicher Ratlosigkeit und ausser stande, dem Aufruhr Einhalt zu thun, während uns die offenkundigste Gefahr bedrohte. 23 Zum Schein stimmten wir deshalb dem Vorhaben der Empörer bei, rieten aber zur Mässigung, da wir hofften, Gessius[4] werde binnen kurzem mit bedeutender Truppenmacht heranziehen und den aufständischen Bewegungen ein Ende machen.

24 (6.) Er kam denn auch, wurde aber in einem Treffen geschlagen und verlor eine Menge seiner Leute. Diese [11] Niederlage des Gessius war das Verderben unseres ganzen Volkes. Den Kriegslustigen schwoll darob der Kamm, und im Vollgefühl ihres Sieges über die Römer hofften sie, dieselben vollends vernichten zu können. Hierzu kamen als treibendes Moment noch andere Vorfälle, die sich folgendermassen abspielten. 25 Die Bewohner der benachbarten syrischen Städte ergriffen die bei ihnen ansässigen Juden und metzelten sie samt Weibern und Kindern ohne jeden stichhaltigen Grund nieder: denn die Ärmsten hatten weder an Abfall von den Römern gedacht, noch gegen die Syrer etwas feindseliges im Schilde geführt. 26 Am gottlosesten und grausamsten trieben es die Bürger von Skythopolis. Als sie nämlich von den auswärtigen Juden angegriffen wurden, zwangen sie deren Stammesgenossen, die unter ihnen lebten, gegen diese zu den Waffen zu greifen, was nach unseren Gesetzen ein Frevel ist, und überwanden mit ihrer Hilfe die Angreifer. Kaum aber hatten sie gesiegt, als sie die Treue gegen ihre Mitbewohner und Kampfgenossen vergassen und dieselben samt und sonders ermordeten, viele tausend an der Zahl. 27 Ein gleiches Schicksal traf die Juden zu Damaskus. Doch diese Vorgänge habe ich in meinem Werke über den Jüdischen Krieg ausführlicher besprochen; hier erwähne ich sie nur flüchtig, um dem Leser zu beweisen, dass die Juden den Krieg gegen die Römer nicht mit Vorbedacht unternommen haben, sondern grösstenteils dazu gezwungen wurden.

28 (7.) Als die Männer, welche zu Jerusalem an der Spitze standen, nach dem Siege über Gessius sahen, dass die Räuber samt den Empörern stark bewaffnet waren, begannen sie zu fürchten, sie möchten diesen ihren Feinden unterliegen, wenn sie selbst unbewaffnet blieben. In der That hat sich später gezeigt, wie begründet die Besorgnis war. Um diese Zeit erfuhren sie auch, dass noch nicht ganz Galilaea von den Römern abgefallen sei, vielmehr ein Teil des Landes sich ruhig verhalte. 29 Sie schickten mich daher nebst zwei anderen höchst wackeren Priestern, Joazar und Judas, dorthin mit dem Auftrag ab, die [12] Übelgesinnten zur Niederlegung der Waffen zu bereden und ihnen klar zu machen, dass es besser sei, wenn nur der kräftigste Teil des Volkes sich derselben bediene. Unsere Partei nämlich war wohl entschlossen, für den Notfall die Waffen bereit zu halten, wollte jedoch zunächst abwarten, was die Römer thun würden.

30 (8.) Mit diesen Aufträgen also kam ich nach Galilaea. Hier fand ich die Sepphoriten in grosser Unruhe wegen ihrer Vaterstadt, die von den Galiläern einesteils wegen ihrer Freundschaft für die Römer, andernteils weil sie mit Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, einen Vertrag abgeschlossen hatte, mit Plünderung bedroht wurde. 31 Sogleich aber befreite ich sie insgesamt von ihrer Furcht, indem ich das ihnen feindlich gesinnte Volk günstig für sie stimmte und ihnen sogar die Erlaubnis gab, so oft sie wollten, ihre Verwandten zu besuchen, welche in Dora, einer phoenicischen Stadt, bei Gessius als Geiseln sich befanden. Die Bewohner von Tiberias dagegen traf ich bereits in bewaffnetem Aufruhr, der sich aus folgender Ursache entwickelt hatte.

32 (9.) Drei Parteien gab es in der Stadt. Die erste bestand aus lauter angesehenen Männern mit Julius Capellus an der Spitze. 33 Dieser Capellus und sein Anhang, nämlich Herodes, des Miaros Sohn, Herodes, des Gamalos Sohn, und Kompsos, der Sohn des Kompsos, dessen Bruder Krispos früher einmal Statthalter unter Agrippa gewesen war, jetzt aber auf seinen Gütern jenseits des Jordan weilte, 34 rieten zur Treue gegen die Römer und den König, und nur Pistos liess sich, da er leicht erregbaren Gemütes war, von seinem Sohne Justus aufhetzen und trat der Meinung jener Männer nicht bei. 35 Die zweite Partei, die sich aus dem niedersten Pöbel zusammensetzte, war entschieden für den Krieg. 36 An der Spitze der dritten Partei endlich stand des Pistos Sohn Justus, der sich zwar den Anschein gab, als sei er inbetreff etwaigen kriegerischen Vorgehens noch unschlüssig, gleichwohl aber eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeiwünschte, weil er bei einem solchen Umsturz seine eigene Macht [13] zu begründen hoffte. 37 In dieser Absicht trat er unter die Volksmenge und suchte derselben begreiflich zu machen, dass ihre Stadt von jeher zu Galilaea gehört habe und zu den Zeiten ihres Gründers, des Tetrarchen Herodes, der Sepphoris unter Tiberias gestellt, die erste Stadt im Lande gewesen sei. Diesen Vorrang habe sie auch unter König Agrippa dem Vater nicht eingebüsst, sei vielmehr im Besitz desselben geblieben bis auf Felix, den Landpfleger von Judaea. 38 Jetzt erst, behauptete er, sei sie ihres Vorzuges verlustig gegangen, seit Nero sie dem jüngeren Agrippa zum Geschenk gemacht habe. Schnell sei nun Sepphoris, nachdem es sich den Römern unterworfen, die Hauptstadt Galilaeas geworden, und Tiberias habe den königlichen Hof sowie das Archiv verloren. 39 Mit diesen und ähnlichen Reden gegen den König Agrippa suchte er das Volk zum Aufstand zu reizen und schloss dann folgendermassen: Jetzt sei es an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, die Galiläer als Kampfgenossen heranzuziehen – denn gern würden diese, welche die Sepphoriten wegen deren Treue gegen die Römer längst hassten, ihnen folgen – und sich durch einen mit grosser Heeresmacht unternommenen Kriegszug an dem Könige zu rächen. 40 Durch solche Vorstellungen gelang es ihm denn auch, sich die Menge geneigt zu machen; denn er war in der That ein gewandter Volksredner und verstand es, die begründetsten Einwürfe durch Trug und Täuschung zu widerlegen. Auch hatte er sich griechische Bildung angeeignet, und das gab ihm den Mut, gleichfalls die Geschichte dieses Krieges zu verfassen, freilich nur, um durch seine Schrift die Wahrheit zu verdrehen. 41 Doch ich werde noch im Verlauf meiner Darstellung über das lasterhafte Leben dieses Mannes reden und darthun, wie er in Gemeinschaft mit seinem Bruder das Vaterland an den Rand des Verderbens brachte. 42 Damals also bewog Justus seine Mitbürger, die Waffen zu ergreifen, und nachdem er viele gegen ihren Willen mitzuthun gezwungen hatte, zog er mit der ganzen Rotte aus und äscherte die Dörfer [14] der Gadarener und Hippener ein, welche auf der Grenze des Gebietes von Tiberias und Skythopolis lagen.

43 (10.) So standen damals die Dinge in Tiberias; in Gischala aber begab sich folgendes. Als Joannes, der Sohn des Levi, dort bemerkte, dass einige seiner Mitbürger auf Abfall von den Römern sannen, suchte er sie zu beruhigen und riet ihnen, treu zu bleiben, 44 konnte aber trotz aller Bemühungen nichts erreichen. Die Bevölkerung der Umgegend nämlich, die Gadarener, Gabarener, Soganäer und Tyrier, fielen mit grosser Streitmacht über Gischala her, nahmen die Stadt im Sturm und kehrten erst, nachdem sie dieselbe in Brand gesteckt und geschleift hatten, wieder heim. 45 Joannes aber ergrimmte darüber, bewaffnete die Leute, die er aufbringen konnte, zog gegen die erwähnten Nachbarn zu Felde und baute dann Gischala nicht nur viel schöner wieder auf, sondern befestigte es auch zwecks künftiger Sicherheit mit Mauern.

46 (11.) Gamala dagegen hielt den Römern die Treue, und zwar aus folgendem Grunde. Philippus, Sohn des Jakim und Truppenführer unter König Agrippa, war wider Erwarten aus dem belagerten Königspalast in Jerusalem entkommen, geriet aber dann in Gefahr, von Manaëm und dessen Banditen umgebracht zu werden. 47 Einige Babylonier indes, die mit ihm verwandt waren und sich damals in Jerusalem befanden, hinderten die Räuber, ihren Anschlag auszuführen. Philippus hielt sich nun vier Tage in Jerusalem versteckt und entfloh am fünften, nachdem er sich, um nicht erkannt zu werden, falsches Haar aufgesetzt hatte. Er kam sodann in ein Dorf seines Gebietes nahe bei der Festung Gamala und wollte von hier aus einige seiner Untergebenen zu sich entbieten lassen. 48 Die Gottheit aber vereitelte die Verwirklichung dieses Planes – zu seinem Glück, denn im entgegengesetzten Falle wäre er unrettbar verloren gewesen. Auf einmal nämlich ergriff ihn ein hitziges Fieber, und er schrieb nun an die Söhne des Königs [15] Agrippa[5] sowie an Berenike[6] einige Briefe, die er durch einen Freigelassenen an Varus übermittelte. 49 Dieser Varus[7] war um jene Zeit von der königlichen Familie zum Reichsverweser ernannt worden, weil deren Mitglieder selbst nach Berytus[8] reisten, um dort den Gessius zu empfangen. 50 Zu seinem grossen Verdrusse aber erfuhr Varus aus den Briefen die Rettung des Philippus: musste er doch befürchten, jetzt nach der Rückkehr dieses Mannes der königlichen Familie entbehrlich geworden zu sein. Er führte deshalb den Überbringer der Briefe vor das Volk, beschuldigte ihn, dieselben gefälscht zu haben, und behauptete, er habe die Nachricht, dass Philippus zu Jerusalem mit den Juden gegen die Römer Krieg führe, erfunden. Hierauf liess er ihn hinrichten. 51 Als nun der Freigelassene nicht zurückkehrte, wusste sich Philippus dies nicht zu erklären und schickte daher einen zweiten Boten nach, um zu erfahren, was dem anderen zugestossen sei. 52 Aber auch diesen liess Varus sogleich nach seiner Ankunft auf falsche Beschuldigungen hin ums Leben bringen. Die Syrer in Caesarea hatten übrigens seinem Stolze geschmeichelt und ihm vorgeschwindelt, Agrippa werde zur Strafe für die Übelthaten der Juden von den Römern hingerichtet werden, und dann könne es nicht ausbleiben, dass die Herrschaft auf Varus übergehe, der ja, wie allgemein bekannt, von Königen abstamme. In der That war Varus königlichen Geblütes, nämlich ein Enkel des Tetrarchen am Libanon, Soëmus. 53 Durch solche Schmeicheleien übermütig geworden, unterschlug Varus die Briefe und suchte es auf jede Weise zu verhindern, dass der König deren Inhalt [16] erführe. Demgemäss liess er alle Ausgänge bewachen, damit niemand dem König über die Vorgänge Bericht erstatten könne, und tötete sogar den Syrern zu Gefallen eine Menge Juden. 54 Ja, er beschloss, mit den Trachonitern von Batanaea bewaffnet über die babylonischen Juden – wie sie hiessen – in Ekbatana[9] herzufallen. 55 Zu diesem Zweck liess er zwölf der angesehensten Juden von Caesarea rufen und befahl ihnen, sich nach Ekbatana zu begeben und ihren dortigen Stammesgenossen zu sagen: Varus habe vernommen, dass sie sich gegen den König empören wollten; weil er das aber nicht glauben könne, schicke er sie, die zwölf, um sie zur Niederlegung der Waffen zu veranlassen. Leisteten sie dieser Aufforderung Folge, so werde Varus dies als Beweis ansehen, dass er mit gutem Grund dem Gerüchte keinen Glauben geschenkt habe. 56 Ausserdem liess Varus ihnen befehlen, siebzig ihrer vornehmsten Männer zu ihm zu schicken, damit sie die gegen sie erhobenen Beschuldigungen widerlegten. Als nun die zwölf zu ihren Volksgenossen in Ekbatana kamen, fanden sie, dass diese nicht im entferntesten an Empörung dachten, und rieten ihnen, die siebzig abzusenden. 57 Ohne allen Argwohn thaten sie dies denn auch, und die Abgeordneten begaben sich mit den zwölf Gesandten nach Caesarea. Varus zog ihnen mit den königlichen Truppen entgegen und liess sie sowie die Gesandten sämtlich niedermachen; alsdann rückte er gegen die Juden von Ekbatana aus. 58 Einer von den siebzig aber, der entkommen war, warnte seine Mitbürger. Diese griffen sogleich zu den Waffen und zogen sich mit Weib und Kind nach der Festung Gamala zurück, indem sie die reich mit Schätzen gefüllten Dörfer und ihre zahlreichen Viehherden preisgaben. 59 Nicht sobald hatte Philippus dies erfahren, als auch er sich nach Gamala begab, wo ihn gleich nach [17] seiner Ankunft die Menge mit lautem Zuruf bestürmte, er solle den Oberbefehl übernehmen und sie gegen Varus und die Syrer von Caesarea führen; denn es ging das Gerücht, dass der König von den letzteren ermordet worden sei. 60 Philippus aber suchte ihr Ungestüm zu beschwichtigen, indem er sie an die Wohlthaten des Königs erinnerte, ihnen die Macht der Römer zu bedenken gab und sie auf den Schaden hinwies, den sie sich durch den Krieg mit einem so gewaltigen Volke zuziehen würden. 61 Sobald aber der König erfuhr, dass Varus im Sinne habe, die vielen tausend Juden zu Caesarea samt Frauen und Kindern an einem Tage umzubringen, sandte er ihm sogleich, wie ich schon anderswo berichtet habe,[10] einen Nachfolger in der Person des Aequus Modius. Auf diese Weise erhielt Philippus die Festung Gamala und deren Umgebung in der Treue gegen die Römer.[11].

62 (12.) Als ich nun nach Galilaea kam und von diesen Vorgängen Kunde erhielt, erbat ich mir in einem Schreiben an das Synedrium zu Jerusalem Verhaltungsbefehle. Meine Vorgesetzten forderten mich auf, zu bleiben und in Gemeinschaft mit meinen Amtsgenossen, falls diese dazu bereit wären, für den Schutz Galilaeas Sorge zu tragen. 63 Allein meine Mitgesandten, die sich von dem ihnen zustehenden Zehnten schon ein grosses Vermögen gesammelt hatten, waren anfangs entschlossen, in die Heimat zurückzukehren; schliesslich jedoch bewog ich sie durch meine Bitten zu dem Versprechen, wenigstens so lange zu bleiben, bis wir eine ordentliche Verwaltung eingerichtet hätten. 64 Ich begab mich nun mit ihnen von Sepphoris nach einem Dorfe Namens Bethmaus,[12] welches vier Stadien von Tiberias entfernt liegt, und beschied dorthin den Rat und die vornehmsten Einwohner von Tiberias. 65 Sie kamen denn auch, und Justus mit ihnen. [18] Sogleich erklärte ich ihnen, dass ich samt meinen Genossen vom Synedrium zu Jerusalem beauftragt sei, ihnen zur Pflicht zu machen, dass der von dem Tetrarchen Herodes erbaute, mit Tierbildern geschmückte Palast niedergerissen werde, weil unsere Gesetze eine solche Bauart untersagten; ich ersuche sie daher, dieser Aufforderung so schnell wie möglich zu entsprechen. 66 Zunächst sträubten sich Capellus und die Häupter der Bürgerschaft energisch dagegen, doch gaben sie endlich unseren dringenden Vorstellungen nach. Jesus indes, der Sohn des Sapphias, von dem ich schon erwähnte, dass er sich an die Spitze einer Rotte von Matrosen und vermögenslosen Volkes gesetzt hatte, kam uns zuvor und steckte in Verbindung mit einigen Galiläern den ganzen Palast in Brand, weil er sich grosser Schätze zu bemächtigen hoffte, da er die Decken einiger Gemächer vergoldet sah. 67 Sehr wider unseren Willen gelang es ihm denn auch, vieles zu rauben. Wir selbst waren übrigens nach der Zusammenkunft mit Capellus und den angesehenen Bewohnern der Stadt von Bethmaus nach Obergalilaea gegangen. Jesus und dessen Rotte ermordeten nun alle in Tiberias wohnenden Griechen und jeden anderen, der vor dem Kriege ihr Feind gewesen war.

68 (13.) Die Nachricht von diesen Ereignissen regte mich gewaltig auf. Ich begab mich nun nach Tiberias hinab und suchte die königlichen Geräte in Sicherheit zu bringen, so viele ihrer den Händen der Räuber noch zu entreissen waren, insbesondere einige Leuchter aus korinthischem Erz, prächtige Tische und eine ansehnliche Menge ungeprägten Silbers. Ich war entschlossen, alles, was ich retten konnte, für den König aufzubewahren. 69 Zu diesem Zweck liess ich zehn Mitglieder des Rates sowie Capellus, den Sohn des Antyllus, rufen, und übergab ihnen die Gerätschaften mit dem Befehl, sie an niemand als an mich selbst abzuliefern. 70 Von hier ging ich mit meinen Amtsgenossen nach Gischala zu Joannes, um seine Gesinnung zu erforschen. Gar [19] bald merkte ich, dass er auf Empörung ausging und nach der Herrschaft trachtete; 71 denn er bat mich um die Erlaubnis, das Getreide, welches für Rechnung des Caesars in Obergalilaea aufgespeichert lag, wegschaffen zu dürfen. Wie er sagte, wollte er das alles zum Bau der Mauern seiner Vaterstadt verwenden. 72 Da ich aber sein Inneres durchschaute, schlug ich ihm die Bitte ab. Es lag nämlich in meiner Absicht, das Getreide entweder für die Römer aufzubewahren oder für mich selbst, letzteres, weil ich vom Gemeindevorstand zu Jerusalem bevollmächtigt war, auch für die Bedürfnisse jener Gegend Sorge zu tragen. 73 Als nun Joannes von mir nichts erlangen konnte, wandte er sich an meine Amtsgenossen. Diesen freilich fiel es nicht ein, sich für die Zukunft vorzusehen; übrigens waren sie auch für Geldgeschenke sehr empfänglich. Infolgedessen brachte er es durch Bestechung dahin, dass sie ihm alles Getreide, welches in seinem Gebiet aufgeschüttet lag, zu nehmen erlaubten. Von zweien überstimmt, musste ich schweigen. 74 Darauf beging Joannes noch einen anderen Betrug. Er behauptete nämlich, die Juden in Caesarea Philippi, welche auf Befehl des königlichen Statthalters die Stadt nicht verlassen durften, hätten, weil es ihnen an dem nötigen reinen Öl fehle, an ihn die Bitte gerichtet, ihnen solches zu verschaffen, damit sie nicht gezwungen seien, von den Griechen hergestelltes Öl zu gebrauchen und auf diese Weise das jüdische Gesetz zu übertreten. 75 Diese von Joannes vorgebrachten Äusserungen hatten indes nichts mit der Religion zu schaffen, sondern entsprangen offenbar nur seiner schnöden Gewinnsucht. Er wusste nämlich sehr wohl, dass in Caesarea zwei Sextare[13] eine Drachme[14] kosteten, während in Gischala achtzig Sextare nur vier Drachmen galten. Darum liess er alles Öl von hier hinüberschiffen, nachdem er zum Schein meine Erlaubnis eingeholt hatte. 76 Denn freiwillig gab ich es [20] nicht zu, sondern nur aus Furcht vor dem Pöbel, weil ich besorgen musste, bei fortgesetzter Weigerung gesteinigt zu werden. Dank meiner Nachgiebigkeit gewann Joannes durch diese verschmitzte Handlungsweise eine Unmenge Geld.

77 (14.) In Gischala entliess ich meine Mitgesandten nach Jerusalem und verwandte nun meine ganze Sorgfalt auf die Beschaffung von Waffen und die Befestigung der Städte. Zu diesem Zweck beschied ich die Tapfersten von der Räuberbande zu mir, weil ich die Unmöglichkeit, sie zu entwaffnen, einsah, und bewog das Volk, sie in Sold zu nehmen, indem ich darauf hinwies, dass es besser sei, ihnen freiwillig etwas zu zahlen, als Hab und Gut von ihnen plündern zu lassen. 78 Hierauf liess ich die Räuber schwören, unser Gebiet nicht mehr betreten zu wollen, es sei denn, dass sie gerufen würden oder ihren Sold nicht empfangen hätten, und entliess sie mit dem Befehl, weder die Römer noch die Nachbarn anzugreifen. Es lag mir nämlich vor allem am Herzen, Galilaea den Frieden zu erhalten. 79 Die galilaeischen Beamten aber – etwa siebzig an der Zahl – erkor ich unter dem Schein der Freundschaft, um sie gewissermassen als Geiseln der Treue in meiner Nähe zu haben, zu Begleitern und Gerichtsbeisitzern und fällte meine Urteile nach ihrer Ansicht, wobei ich mich ebenso sehr vor leichtsinnigen Verstössen gegen das Recht als vor Bestechung hütete.

80 (15.) Ich war damals dreissig Jahre alt, und bekanntlich ist es in diesem Alter selbst bei gewissenhaftester Enthaltsamkeit schwer, aus Neid entspringenden Verleumdungen zu entgehen, zumal wenn man eine einflussreiche Stellung bekleidet. Gleichwohl habe ich das weibliche Geschlecht stets vor Misshandlungen geschützt und als Mann ohne Bedürfnisse jegliches Geschenk zurückgewiesen. Nicht einmal die mir als Priester gebührenden Zehnten nahm ich an, wenn man sie mir brachte. 81 Nur von der Beute, welche ich den Syrern und den umliegenden Städten abjagte, eignete ich mir [21] einen Teil an und sandte ihn – ich gestehe es offen – meinen Verwandten nach Jerusalem. 82 Und obwohl ich die Sepphoriten zweimal, Tiberias viermal, Gadara einmal und den Joannes, der mir stets nach dem Leben trachtete, ebenfalls zu wiederholten Malen in meine Gewalt bekam, habe ich mich doch weder an ihm noch an einer der genannten Städte gerächt, wie der Verlauf dieser Erzählung darthun wird. 83 Deshalb hat mich auch, wie ich glaube, Gott, dem rechtschaffene Handlungen nicht verborgen bleiben, aus ihren Händen errettet und nachher noch vor manchen Gefahren bewahrt. Doch hiervon später.

84 (16.) Die Galiläier kamen mir übrigens mit solchem Wohlwollen entgegen, dass sie selbst dann, als ihre Städte erstürmt und ihre Weiber und Kinder in die Sklaverei geschleppt waren, nicht so sehr über ihr eigenes Unglück jammerten, als um meine Erhaltung Sorge trugen. 85 Das aber sah Joannes mit neidischen Blicken, und in seiner Tücke schrieb er an mich, ich möchte ihm erlauben, die warmen Bäder von Tiberias[15] behufs Herstellung seiner Gesundheit zu benutzen. 86 Ich ahnte nichts arges dabei und gewährte ihm die Bitte, schrieb sogar an die von mir eingesetzten Beamten der Stadt, sie sollten für Joannes und sein Gefolge eine Herberge bereit halten und ihnen alles zukommen lassen, dessen sie bedürften. Ich selbst befand mich um diese Zeit in einem galilaeischen Dorfe mit Namen Kana.

87 (17.) Kaum war Joannes in Tiberias angelangt, als er die Einwohner der Stadt aufforderte, mir untreu zu werden und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Viele lauschten denn auch begierig seinen Worten, da sie neuerungssüchtig und von Natur zu Umsturz und Empörung geneigt waren. 88 Vor allen anderen aber beeilten sich Justus und dessen Vater Pistos, von mir [22] abzufallen und sich mit Joannes zu verbinden. 89 Doch es gelang mir, ihnen zuvorzukommen und die Ausführung ihres Planes zu vereiteln. Silas nämlich, den ich, wie schon erwähnt,[16] zum Kommandanten von Tiberias ernannt hatte, liess mich durch einen Boten von der Stimmung der Einwohnerschaft in Kenntnis setzen und mich auffordern, eiligst zu kommen, weil die Stadt, wenn ich zögerte, leicht in fremde Gewalt geraten würde. 90 Als ich den Brief des Silas gelesen hatte, brach ich unverzüglich mit zweihundert Mann auf, marschierte die ganze Nacht hindurch und sandte einen Boten voraus, um meine Ankunft in Tiberias melden zu lassen. 91 Frühmorgens nahte ich mich der Stadt; das Volk kam mir entgegen, und auch Joannes war dabei. Er begrüsste mich in höchster Verwirrung, eilte aber dann schnell wieder in seine Herberge zurück, weil er fürchtete, die Entdeckung seiner Umtriebe möchte ihn das Leben kosten. 92 Sowie ich nun die Rennbahn erreicht hatte, entliess ich meine Leibwächter bis auf einen und behielt ausser ihm nur zehn Bewaffnete bei mir. Alsdann stellte ich mich auf eine kleine Anhöhe und warnte das Volk vor einem so übereilten Abfall. 93 Ihr Wankelmut, sagte ich, werde ihnen nur Schande eintragen und sie auch bei späteren Statthaltern in den begründeten Verdacht bringen, dass sie diesen ebenso wenig die Treue halten würden wie mir.

94 (18.) Noch hatte ich nicht ausgesprochen, als einer von meinen Leuten mir zurief, ich möchte herabsteigen: es sei jetzt nicht an der Zeit, mich um das Wohlwollen der Bürger von Tiberias zu kümmern, vielmehr solle ich an meine Rettung denken und zusehen, wie ich meinen Feinden entrinnen könne. 95 Sobald nämlich Joannes gemerkt hatte, dass ich nur von wenigen Dienern umgeben war, hatte er die zuverlässigsten seiner Bewaffneten, deren etwa tausend sein Gefolge bildeten, abgesandt, um mich zu ermorden. 96 Schon kamen die Leute [23] heran, und sie hätten auch sicherlich ihren Auftrag vollstreckt, wenn ich nicht samt meinem Leibwächter Jakobus von der Anhöhe hinabgesprungen wäre. Ein gewisser Herodes aus Tiberias bot mir nun hilfreiche Hand und führte mich an den See, wo ich ein Fahrzeug bestieg. So gelang es mir wider Erwarten, meinen Feinden zu entgehen und mich nach Tarichaea[17] zu retten.

97 (19.) Als die Einwohner dieser Stadt von der Treulosigkeit der Tiberienser hörten, entrüsteten sie sich aufs heftigste, griffen zu den Waffen und bestürmten mich, sie gegen Tiberias zu führen, an dessen Bewohnern sie ihren Äusserungen gemäss für ihren Statthalter Rache nehmen wollten. 98 Zugleich liessen sie die Kunde von dem Geschehenen in ganz Galilaea verbreiten, um die Bevölkerung gegen Tiberias aufzureizen, und dieselbe auffordern, so zahlreich wie möglich herbeizukommen, um die Beschlüsse des Statthalters auszuführen. 99 Wirklich strömten auch viele Galiläer von allen Seiten her zusammen und beschworen mich, vor Tiberias zu rücken, die Stadt im Sturm zu nehmen, sie dem Erdboden gleich zu machen und die Weiber und Kinder als Sklaven zu verkaufen. Dasselbe rieten mir auch meine Freunde, die aus Tiberias entkommen waren. 100 Allein ich konnte ihnen nicht beipflichten, weil ich es für frevelhaft hielt, den Bürgerkrieg zu beginnen. Weiter als zu einem Wortstreit, meinte ich, solle es nicht kommen – „und obendrein,“ sagte ich zu den Galiläern, „würde dies keinen Vorteil bringen, da die Römer nur darauf warten, dass ihr euch durch Aufruhr gegenseitig zu Grunde richtet.“ Mit diesen Worten beschwichtigte ich die wütende Aufregung der Galiläer.

101 (20.) Joannes, der seine Anschläge misslungen sah, fürchtete nun für sich selbst, brach mit seinen Bewaffneten von Tiberias auf und zog nach Gischala. In [24] einem Briefe, den er an mich schrieb, entschuldigte er sich wegen des Vorgefallenen, indem er behauptete, es sei nicht mit seinem Willen geschehen. Zugleich bat er mich unter eidlichen Beteuerungen und schrecklichen Beschwörungen, durch die er seinem Schreiben Glauben zu verschaffen wähnte, ich möchte doch keinen Verdacht gegen ihn hegen.

102 (21.) Die Galiläer jedoch, deren unterdessen noch viele aus der ganzen Landschaft in Wehr und Waffen sich eingefunden hatten, wussten zu gut, wie schlecht und eidbrüchig der Mensch war, und verlangten gegen ihn geführt zu werden, um ihn samt seiner Vaterstadt Gischala vom Erdboden zu vertilgen. 103 Ich dankte ihnen für ihren guten Willen und gelobte, ihre Anhänglichkeit in noch höherem Grade zu vergelten, forderte aber zugleich Mässigung von ihnen und Nachsicht, wenn ich es vorziehen würde, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu stillen. Auf diese Weise gelang es mir, die Galiläer zu beruhigen, und ich begab mich nun nach Sepphoris.

104 (22.) Da die Bewohner dieser Stadt entschlossen waren, den Römern treu zu bleiben, fürchteten sie sich vor meiner Ankunft und versuchten, mich durch anderweitige Geschäfte abzulenken, damit sie selber unbehelligt blieben. 105 Sie schickten daher zu dem Räuberhauptmann Jesus in die Gegend von Ptolemais und versprachen ihm eine grosse Summe Geldes, wenn er uns mit seiner achtzig Mann starken Bande angreifen wolle. 106 Jesus ging auf das Anerbieten ein und schickte sich an, uns, unvorbereitet und ahnungslos wie wir waren, zu überfallen. In dieser Absicht bat er mich durch einen Boten um die Erlaubnis, mich begrüssen zu dürfen. Als ich ihm nun ohne jedes Misstrauen die Bitte gewährte, brach er sogleich mit seiner Rotte von Banditen auf und rückte gegen mich heran. 107 Sein heimtückischer Anschlag aber sollte ihm nicht gelingen; denn als er schon ziemlich nahe war, kam ein Überläufer von ihm zu mir und entdeckte mir seine Bosheit. Alsbald begab ich mich nun nach dem Marktplatz, ohne merken zu lassen, dass ich [25] um den Anschlag wisse, zog eine beträchtliche Anzahl bewaffneter Galiläer und auch Tiberienser heran, 108 gebot sodann, alle Zugänge zur Stadt aufs strengste zu bewachen, und gab den Thorwächtern Befehl, nur den Jesus, wenn er käme, sowie die ersten seiner Leute einzulassen, die übrigen aber auszuschliessen oder, wenn sie Gewalt brauchten, wegzujagen. 109 Sie thaten, wie ihnen befohlen war, und als Jesus mit einigen Banditen eintrat, forderte ich ihn auf, schleunigst die Waffen zu strecken: er sei des Todes, wenn er nicht Folge leiste. Da er sich rings von Bewaffneten umgeben sah, gehorchte er voller Schrecken; diejenigen seiner Leute aber, welche ausgeschlossen waren, flohen davon, als sie seine Gefangennahme erfuhren. 110 Ich nahm nun Jesus beiseite und eröffnete ihm, dass ich den Plan, den er gegen mich geschmiedet, sehr gut kenne und auch wisse, wer ihn dazu angestiftet habe. Dennoch wolle ich ihm das Geschehene verzeihen, wenn er seinen Sinn ändere und mir Treue gelobe. 111 Er versprach denn auch, sich fügen zu wollen, worauf ich ihn freiliess und ihm erlaubte, seine Mannschaft wieder zu sammeln. Den Sepphoriten aber drohte ich mit entsprechender Strafe, wenn sie ihre Widersetzlichkeit nicht aufgäben.

112 (23.) Um dieselbe Zeit kamen zwei angesehene Unterthanen des Königs aus der Landschaft Trachonitis mit Pferden, Waffen und Geld zu mir. 113 Die Juden wollten sie anfangs nötigen, sich beschneiden zu lassen, wenn sie es mit ihnen zu halten gedächten. Ich litt jedoch nicht, dass man ihnen Gewalt anthat, sondern erklärte, jeder Mensch müsse Gott nach eigener freier Wahl, nicht gezwungen verehren, und nie dürften Leute, welche ihre Zuflucht zu uns nähmen, in die Lage kommen, ihren Schritt zu bereuen. Dem pflichtete die Menge bei, und ich liess sodann die Ankömmlinge aufs reichlichste verpflegen.

114 (24.) Unterdessen hatte der König Agrippa eine Heeresabteilung unter dem Befehl des Aequus Modius abgeschickt, um die Festung Gamala zu erobern. Weil [26] aber diese Truppen sich zur regelrechten Einschliessung des Kastells nicht stark genug fühlten, besetzten sie die Landstrassen und belagerten Gamala auf diese Weise. 115 Zur selben Zeit brach der Decurio Aebutius, dem die Bewachung der grossen Ebene anvertraut war und der in Erfahrung gebracht hatte, dass ich in das Dorf Simonias[18] auf der Grenze Galilaeas, sechzig Stadien von ihm entfernt, gekommen sei, in der Nacht mit hundert Reitern und etwa zweihundert Fusssoldaten, deren Befehlshaber er war, sowie mit den Bürgern von Gaba, seinen Bundesgenossen, auf und gelangte noch vor Tagesanbruch bis zu dem Dorfe, wo ich mich einquartiert hatte. 116 Da ich nun meinerseits eine ziemliche Streitmacht ihm entgegenstellte, suchte Aebutius uns in die Ebene zu locken, wo er sich auf seine Reiterei verlassen konnte, vermochte uns aber nicht zum Verlassen unserer Stellung zu bewegen. Ich erkannte nämlich sehr wohl, dass er mit seinen Reitern im Vorteil sein würde, wenn wir in die Ebene hinabstiegen, da wir lauter Fusstruppen waren. Deshalb beschloss ich, den Feind auf der Stelle anzugreifen. 117 Eine Zeitlang hielt Aebutius mit seinen Leuten wacker stand; als er aber sah, dass ihm auf diesem Terrain seine Reiterei nichts nütze, zog er unverrichteter Sache nach Gaba zurück, nachdem er drei Mann im Gefecht verloren hatte. 118 Ich folgte ihm mit zweitausend Schwerbewaffneten auf dem Fusse nach. Bei Besara,[19] einer Stadt an der Grenze des Gebietes von Ptolemais, zwanzig Stadien von Gaba, wo Aebutius sich aufhielt, liess ich meine Leute halt machen und befahl ihnen, die Wege sorgfältig zu bewachen, damit die Feinde uns nicht überfallen könnten, während wir das Getreide wegführten. 119 Die Prinzessin Berenike nämlich hatte aus den umliegenden Dörfern grosse Fruchtvorräte zusammenbringen und in Besara aufspeichern lassen. Dieses Getreide [27] lud ich nun auf Kamele und Esel, die ich in grosser Anzahl mitführte, und schickte es nach Galilaea. 120 Nachdem dies geschehen, forderte ich den Aebutius zum Gefecht heraus. Er aber liess sich, erschreckt durch unsere Kühnheit und unseren Kampfeseifer, darauf nicht ein, und so wandte ich mich denn gegen Neapolitanus, der, wie ich vernahm, das Gebiet von Tiberias ausplünderte. 121 Dieser Neapolitanus befehligte eine Reiterschwadron, mit welcher er Skythopolis gegen feindliche Angriffe verteidigen sollte. Alsbald that ich nun seinen ferneren Verheerungen in der Gegend von Tiberias Einhalt und richtete mein Augenmerk wieder auf Galilaea.

122 (25.) Als nämlich Joannes, der Sohn des Levi, der sich, wie oben gesagt, in Gischala aufhielt, erfuhr, dass mir alles nach Wunsch gehe und dass ich bei meinen Untergebenen ebenso beliebt als den Feinden ein Schrecken sei, ward ihm gar nicht wohl zu Mut: in meinem Glücke glaubte er seinen Untergang sehen zu müssen, 123 und von massloser Eifersucht gequält, hoffte er mich stürzen zu können, wenn es ihm gelänge, mich bei meinen Untergebenen verhasst zu machen. Zu diesem Zweck versuchte er die Bewohner von Tiberias und Sepphoris sowie auch von Gabara – den drei grössten Städten in Galilaea – zum Abfall von mir und zu einem Bündnis mit ihm zu verleiten; er werde sie, behauptete er, besser als ich zum Kampfe führen. 124 Die Sepphoriten nun wollten weder von ihm noch von mir etwas wissen, weil sie die Römer als ihre Herren anerkannten; die Tiberienser liessen sich zwar nicht zum Abfall bereden, sagten ihm aber doch ihre Freundschaft zu; die Gabarener dagegen schlugen sich ohne weiteres auf seine Seite, da sie von Simon, dem angesehensten Bürger der Stadt und vertrauten Freunde des Joannes, gegen mich aufgehetzt wurden. 125 Offen freilich wollten sie sich nicht zum Aufruhr bekennen, denn sie fürchteten sich gewaltig vor den Galiläern, deren Ergebenheit gegen mich sie aus Erfahrung kannten; insgeheim aber erspähten sie eine günstige Gelegenheit, mich zu überfallen. Wirklich [28] geriet ich auch aus folgender Veranlassung in die grösste Gefahr.

126 (26.) Einige verwegene junge Leute aus Dabaritta hatten in Erfahrung. gebracht, dass die Gemahlin des königlichen Verwalters Ptolemaeus[20] mit vielem Gepäck und unter Bedeckung weniger Reiter aus dem Gebiete des Königs durch die grosse Ebene in die römische Provinz zu reisen beabsichtige, und überfielen nun plötzlich die Reisenden. 127 Die Dame musste fliehen; was sie mit sich führte, ward samt und sonders geplündert. Hierauf brachten die Räuber vier mit Kleidern und allerhand Gerät beladene Maultiere zu mir nach Tarichaea; auch eine beträchtliche Menge Silber und fünfhundert Goldstücke waren dabei. 128 Ich nahm mir nun vor, diese Schätze dem Ptolemaeus wieder zuzustellen; denn er war mein Stammesgenosse, und überdies verbietet ja unser Gesetz, selbst Feinde zu berauben. Deshalb erklärte ich den Überbringern, die Sachen müsse man aufbewahren, um sie zu verkaufen und mit dem Erlös die Mauern Jerusalems wiederherzustellen. 129 Die jungen Leute aber ärgerten sich darüber, dass sie von dem Raube nicht, wie sie erwarteten, ihren Anteil bekommen sollten; sie durchzogen daher die Dörfer in der Umgebung von Tiberias und streuten das Gerücht aus, ich wolle das Land an die Römer verraten. 130 Es sei nur ein Kniff von mir, wenn ich sage, man müsse den Raub zum Aufbau der Mauern Jerusalems verwenden; in Wahrheit habe ich vor, die eingebrachten Gegenstände dem Eigentümer zurückzugeben. 131 Damit errieten sie allerdings meine eigentliche Absicht; denn kaum hatten sie sich entfernt, als ich zwei angesehene und als Freunde des Königs bekannte Männer, Dassion und des Levi Sohn Jannaeus, zu mir beschied und ihnen die Sachen mit dem Befehl übergab, sie dem Könige zuzusenden. Zugleich verbot ich ihnen bei Todesstrafe, etwas davon verlauten zu lassen.

[29] 132 (27.) Durch ganz Galilaea verbreitete sich nun das Gerede, ich beabsichtige, das Land an die Römer zu verraten, und alles verlangte voll Erbitterung, Rache an mir zu nehmen. Sogar die Bewohner von Tarichaea schenkten den jungen Leuten Glauben und bewogen meine Leibwächter, mich, während ich schlief, zu verlassen und eiligst nach der Rennbahn zu kommen, wo das gesamte Volk inbetreff ihres Führers mit ihnen beschliessen wolle. 133 Sie liessen sich beschwätzen und kamen. In der Rennbahn hatte sich bereits eine grosse Menge versammelt, und alle schrien einstimmig, der nichtswürdige Frevler, der an ihnen zum Verräter geworden, müsse sterben. 134 Am meisten wiegelte sie Jesus, der Sohn des Sapphias, auf, ein niederträchtiger Mensch, zur Anzettelung von Unruhen wie geschaffen, Umstürzler und Empörer wie nur wenige. Er nahm das moysaische Gesetz in die Hand, trat vor und sprach: 135 „Mitbürger, wenn ihr nicht um euretwillen den Josephus hassen könnt, so schaut hier auf unser altehrwürdiges Gesetz, an welchem euer Befehlshaber zum Verräter werden wollte. Um dieses Gesetzes willen vereinigt euren Hass auf ihn und strafet ihn für sein verwegenes Beginnen.“

136 (28.) Seine Worte riefen allgemeinen Beifall wach, und nun stürmte er an der Spitze einer Schar von Bewaffneten mordgierig nach dem Hause, wo ich wohnte. Ich hatte keine Ahnung von den Vorgängen und war, ehe der Tumult losbrach, vor Ermüdung fest eingeschlafen. 137 Simon aber, der allein von meiner ganzen Leibwache bei mir geblieben war, sah die Leute daherrennen, weckte mich und machte mich auf die drohende Gefahr aufmerksam. Er bat mich sodann, tapfer wie ein Feldherr von seiner Hand den Tod zu erleiden, bevor die Feinde eindrängen und mich fesselten oder umbrächten. 138 Ich aber verwarf seinen Vorschlag, befahl mich der Obhut Gottes und schickte mich an, mitten unter die Menge zu treten. Hierauf legte ich ein schwarzes Gewand an, band mir das Schwert an den Nacken und schlich mich auf einem anderen Wege, wo [30] ich keinen Feind anzutreffen hoffte, nach der Rennbahn. Als ich hier plötzlich erschien, mich zu Boden warf und die Erde mit meinen Thränen netzte, erregte ich allgemeines Mitleid. 139 Sowie ich diesen Wechsel in der Stimmung der Menge bemerkte, versuchte ich sie zu entzweien, ehe die Bewaffneten aus meinem Hause zurückkehrten. Ich gab zu, dass ich gefehlt hätte, wie sie selbst glaubten, bat aber, sie zunächst darüber belehren zu dürfen, zu welchem Zweck die geraubten Schätze aufbewahrt würden; gern wollte ich dann sterben, wenn sie es verlangten. 140 Während nun die Menge mich aufforderte, zu sprechen, kamen die Bewaffneten herbei und wollten, wie sie meiner ansichtig wurden, über mich herfallen. Auf den Zuruf des Volkes jedoch hielten sie an sich und warteten, bis ich eingestehen würde, dass die Schätze für den König aufbewahrt worden seien, um mich dann als offenkundigen Verräter niedermachen zu können.

141 (29.) Nachdem allgemeine Stille eingetreten war, sprach ich zu ihnen: „Männer, Volksgenossen, wenn ich nach dem Rechte sterben muss, so bitte ich nicht um mein Leben. Doch möchte ich vor meinem Tode euch die Wahrheit berichten. 142 Ich hatte erfahren, wie sehr diese Stadt die Gastfreundschaft pflegt und dass sie eine Menge Leute beherbergt, die ihre Heimat verlassen haben und hierhergekommen sind, um euer Schicksal zu teilen. Darum wollte ich mit eben diesen Schätzen, deretwegen ihr mir so heftig grollt, euch Mauern bauen und das Geld ganz dazu verwenden.“ 143 Hierauf erhoben die Tarichaeaten und deren Gäste ein Freudengeschrei, dankten mir und sprachen mir Mut ein; die Galiläer und Tiberienser dagegen verharrten in ihrem Zorn. Es entstand nun ein Zwist unter ihnen, da die einen meinen Tod verlangten, die anderen mich unbesorgt sein hiessen. 144 Als ich aber versprach, auch in Tiberias und den übrigen Städten, wo es erforderlich sei, Mauern zu bauen, fassten sie Vertrauen zu mir und begaben sich allesamt nach Hause. So entging ich ganz unverhofft [31] der Gefahr und kehrte mit meinen Freunden und zwanzig Bewaffneten in meine Wohnung zurück.

145 (30.) Abermals aber kamen die Räuber und die Anstifter der Empörung, weil sie fürchteten, wegen ihrer Übelthaten von mir zur Strafe gezogen zu werden, mit sechshundert Bewaffneten vor das von mir bewohnte Haus, um es anzuzünden. 146 Als mir ihr Anrücken gemeldet ward, entschloss ich mich, da ich Fliehen für schimpflich hielt, der Gefahr unverzagt entgegenzutreten. Ich gab daher Befehl, die Thüren des Hauses zu schliessen, stieg auf das Dach und rief meinen Gegnern zu, sie sollten einige Leute zu mir hereinschicken, um die Schätze in Empfang zu nehmen; so würde sich doch wohl endlich ihre zornige Aufregung legen. 147 Der Verwegenste aus der Rotte trat nun ein. Ich aber liess ihn in den entlegensten Winkel des Hauses schleppen und mit Geisselhieben zerfleischen, ihm die eine Hand abhauen, sie ihm um den Hals hängen und warf ihn so zur Thür hinaus.[21] 148 Die aussen Stehenden ergriff Entsetzen und gewaltige Angst, und da sie glaubten, ich hätte drinnen eine Schar Bewaffneter, die ihnen an Zahl überlegen sei, fürchteten sie ebenso zugerichtet zu werden, wenn sie blieben, und flohen deshalb eiligst davon. Durch diese List entging ich auch der zweiten Nachstellung.

149 (31.) Doch es fanden sich noch einmal einige, die das Volk aufhetzten, indem sie riefen, die königlichen Beamten, die zu mir gekommen seien, dürften nicht am Leben bleiben, wenn sie nicht zum Glauben derer überträten, bei denen sie Schutz suchten. Man verschrie sie als Giftmischer und als Leute, welche die Römer ins Land ziehen würden. Die Menge liess sich nur zu gern beschwätzen, weil die schwindelhaften Äusserungen ihr gerade passten. 150 Sobald ich Kenntnis davon erhielt, richtete ich aufs neue die Mahnung an das Volk, man dürfe solche Leute, die bei uns Schutz gesucht, nicht [32] verfolgen. Die dumme Anschuldigung wegen der Giftmischerei aber verlachte ich und stellte den Leuten vor, die Römer würden doch wohl nicht so viele tausend Soldaten halten, wenn sie ihre Feinde durch Gift besiegen könnten. 151 Eine Zeitlang wirkten meine Worte; kaum aber hatte sich das Volk verlaufen, als es wiederum durch boshafte Menschen gegen jene Beamten aufgebracht wurde, und eines Tages fiel man über ihre Wohnung in Tarichaea her, um sie zu ermorden. 152 Die Nachricht davon erfüllte mich mit Schrecken, weil ich fürchtete, dass nach einem solchen Frevel niemand mehr seine Zuflucht hierher nehmen würde. 153 Ich begab mich deshalb mit noch einigen anderen in das Haus, verschloss es, liess von da einen Gang nach dem See graben, ein Schiff heranbringen, bestieg es mit ihnen und setzte nach dem Gebiete der Hippener über. Ihre Pferde vergütete ich ihnen, weil ich dieselben bei einer solchen Flucht nicht mitnehmen konnte, und entliess sie mit der Bitte, ihr Missgeschick standhaft zu ertragen. 154 Ich selbst war sehr ärgerlich darüber, dass ich die Leute, die mir ihre Sicherheit anvertraut hatten, wieder in Feindesland absetzen musste; doch war es mir, wenn es denn einmal sein sollte, immer noch lieber, sie durch die Hand der Römer umkommen zu sehen, als in meinem eigenen Gebiet. Zu meiner Freude aber wurden sie gerettet, denn König Agrippa verzieh ihnen, was sie verbrochen hatten. So erging es diesen Männern.

155 (32.) Unterdessen hatten die Bewohner von Tiberias den König um Soldaten zur Bewachung ihres Gebietes ersucht, da sie entschlossen seien, sich ihm zu ergeben. Also schrieben sie. 156 Sowie ich aber hinkam, baten sie mich, meinem Versprechen gemäss ihre Mauern aufzubauen, denn sie hätten vernommen, dass Tarichaea bereits mit Festungswerken versehen sei. Ich sagte zu und liess alles zum Bau herbeischaffen und die Arbeiter ans Werk gehen. 157 Drei Tage jedoch, nachdem ich aus Tiberias nach Tarichaea, welches dreissig Stadien von dort entfernt liegt, abgereist war, geschah es, dass einige [33] römische Reiter in der Nähe der Stadt gesehen wurden, was die Vermutung wachrief, das königliche Heer sei im Anmarsch. 158 Alsbald brachen nun die Tiberienser in Lobsprüche auf den König und in Schmähungen gegen mich aus. Ein Eilbote meldete mir ihren Entschluss, abzufallen. 159 Die Nachricht erschreckte mich heftig, denn ich hatte eben meine Soldaten von Tarichaea nach Hause beurlaubt, einmal weil der folgende Tag ein Sabbat war, und dann auch weil ich Tarichaea nicht mit Einquartierung belästigen wollte. 160 So oft ich mich dort aufhielt, sorgte ich nicht einmal für eine Leibwache, da ich die Treue der Einwohner gegen mich des öfteren erprobt hatte. 161 Ich befand mich also in grosser Verlegenheit, da ausser meinen Freunden nur sieben Bewaffnete bei mir waren. Meine Truppen wieder zurückzurufen, ging nicht an, weil der Tag sich schon zum Ende neigte; doch auch wenn sie kamen, durften sie am folgenden Tage nicht zu den Waffen greifen, weil unsere Gesetze dies verbieten, mag die Not auch noch so dringend sein. 162 Wollte ich aber gegen Tiberias die Bewohner von Tarichaea und deren Gäste ins Feld führen, so ging das ebenfalls nicht, da sie, wie ich sah, nicht stark genug sein würden. Überdies musste ich fürchten, zu spät zu kommen; denn es stand zu erwarten, dass die Streitmacht des Königs früher eintreffen und mich nicht in die Stadt gelangen lassen würde. 163 Ich beschloss daher, eine Kriegslist zu versuchen. In dieser Absicht stellte ich sogleich die treuesten meiner Freunde an die Thore von Tarichaea mit dem Auftrag, ein wachsames Auge auf alle zu haben, die hinausgehen wollten. Alsdann rief ich die Vornehmsten der Stadt zusammen und befahl jedem von ihnen, ein Schiff bereit zu halten, es mit einem Steuermann zu besteigen und mir nach Tiberias zu folgen. 164 Ich selbst bestieg ebenfalls mit meinen Freunden und den erwähnten sieben Bewaffneten ein Boot und fuhr auf Tiberias zu.

165 (33.) Als die Tiberienser merkten, dass keine königlichen Truppen heranrückten, und dagegen den See voll [34] von Schiffen erblickten, begannen sie für die Stadt zu fürchten. In ihrem Schrecken glaubten sie, die Fahrzeuge seien vollständig bemannt, und nun schlug ihre Stimmung sehr bald um. 166 Sie warfen die Waffen von sich, kamen mir mit Frauen und Kindern entgegen, empfingen mich, da sie wähnten, ich hätte von ihrer Absicht nichts erfahren, unter lauten Lobeserhebungen und baten um Schonung für die Stadt. 167 Als ich mich etwas mehr genähert hatte, liess ich in einiger Entfernung vom Lande Anker werfen, damit die Tiberienser nicht merkten, wie leer meine Schiffe waren. Ich selbst fuhr nun ans Ufer, schalt sie wegen ihres Unverstandes und warf ihnen vor, dass sie so leichtsinnig und ohne jeden triftigen Grund von mir abfallen wollten, 168 versprach ihnen aber für die Zukunft Verzeihung, wenn sie zehn von den Vorstehern der Stadt zu mir senden würden. Sie gehorchten bereitwillig und schickten die Männer, die ich alsdann nach Tarichaea einschiffen und dort bewachen liess.

169 (34.) Durch Wiederholung dieser List bekam ich nach und nach den ganzen Rat sowie eine nicht geringere Zahl angesehener Männer in meine Gewalt und schickte sie alle nach Tarichaea. 170 Als nun die Einwohner sahen, in welch schlimme Lage sie geraten waren, baten sie mich, den Anstifter der Empörung zu bestrafen. Dieser hiess Kleitos und war ein tollkühner, verwegener Jüngling. 171 Ich hielt es nun zwar nicht für erlaubt, einen Volksgenossen hinzurichten; anderseits aber sah ich auch ein, wie notwendig es sei, ein abschreckendes Beispiel aufzustellen. Deshalb befahl ich einem meiner Leibwächter Namens Levi, hinzugehen und dem Kleitos die eine Hand abzuhauen. 172 Doch der Beauftragte fürchtete sich, allein unter eine so grosse Volksmenge zu treten. Um nun seine Feigheit vor den Tiberiensern zu verbergen, rief ich dem Kleitos zu: „Da du infolge deines Undankes gegen mich verdient hast, beide Hände zu verlieren, so werde dein eigener Henker, damit du nicht durch Ungehorsam eine noch schlimmere Strafe verwirkst!“ [35] 173 Er aber bat mich inständig, ihm doch die eine Hand zu lassen, was ich ihm denn auch nach einigem Zögern zugestand. Willig fasste er nun, um nicht beide Hände zu verlieren, sein Schwert und hieb sich die linke ab. Damit hatte der Aufruhr sein Ende erreicht.

174 (35.) Als ich nach Tarichaea zurückgekehrt war und die dort eingekerkerten Tiberienser erfuhren, welcher List ich mich gegen sie bedient hatte, wunderten sie sich, dass ich ohne Blutvergiessen ihres Unverstandes Herr geworden war. 175 Ich liess nun einige von ihnen, darunter auch Justus und dessen Vater Pistos, aus dem Gefängnis holen und zog sie zur Tafel. Während der Mahlzeit erklärte ich, wohl sei mir die gewaltige Macht der Römer bekannt, aber der Empörer wegen wolle ich nicht davon reden. 176 Dann riet ich ihnen, dasselbe zu thun und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten; auch möchten sie nicht grollen, weil ich ihr Oberbefehlshaber sei, denn nicht leicht würden sie einen anderen bekommen, der so viel Milde beweise wie ich. 177 Dem Justus rief ich noch besonders ins Gedächtnis, dass die Galiläer vor meiner Ankunft aus Jerusalem und ehe noch von Krieg die Rede gewesen, seinem Bruder wegen einer demselben zugeschriebenen Brieffälschung die Hände abgehauen, ferner dass nach ‚dem Abzug des Philippus die Gamaliter im Kampfe gegen die Babylonier den Chares, einen Verwandten des Philippus, getötet 178 und dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus, durchaus nicht mässig bestraft hätten.[22] Nachdem ich so über Tisch mit ihnen gesprochen, gab ich am Morgen Befehl, den Justus und dessen sämtliche Begleiter aus der Haft zu entlassen.

179 (36.) Kurz vorher nämlich war Philippus, der Sohn des Jakim, aus der Festung Gamala fortgezogen, und [36] zwar unter folgenden näheren Umständen. 180 Philippus hatte kaum erfahren, dass Varus vom Könige Agrippa abgefallen und dessen Nachfolger Aequus Modius, der mit Philippus schon seit langem befreundet war, angekommen sei, als er an diesen schrieb, ihm seine Schicksale erzählte und ihn bat, den beigeschlossenen Brief an die königliche Familie gelangen zu lassen. 181 Modius freute sich sehr über den Empfang des Schreibens, weil er daraus ersah, dass Philippus wohlbehalten war, und sandte den Brief an die königliche Familie, die damals in Berytus weilte. 182  Sobald nun Agrippa erkannte, dass das über Philippus umlaufende Gerücht – die Sage hatte ihn zum Anführer der Juden im Kriege gegen die Römer, gemacht – falsch sei, schickte er Reiter ab, um den Philippus an seinen Hof zu berufen. 183 Als er angekommen war, begrüsste der König ihn huldvollst und stellte ihn den römischen Offizieren als den Mann vor, den das Gerücht als Abtrünnigen bezeichnet habe. Sodann befahl er ihm, mit einer Abteilung Reiterei unverzüglich nach der Festung Gamala zurückzukehren, alle seine Leute von dort abzuholen und die Babylonier wieder nach Batanaea zu versetzen.[23] 184 Zugleich beauftragte er ihn, dafür zu sorgen, dass seine Untergebenen sich aller aufrührerischen Umtriebe enthielten. Demzufolge begab sich Philippus schnell dorthin, um die Befehle des Königs zu vollziehen.

185 (37.) In Gamala aber hatte unterdessen Josephus, der Sohn eines heilkundigen Weibes, eine Anzahl verwegener junger Leute beredet, sich mit ihm zu erheben, und den Vorstehern der Stadt zugesetzt, dass sie vom Könige abfallen und die Waffen ergreifen möchten, indem er ihnen vorspiegelte, er werde ihnen die Freiheit verschaffen. Einige brachte er mit Gewalt auf seine Seite, andere, die ihm nicht beistimmten, liess er aus dem Wege räumen. 186 Damals töteten die Gamaliter auch den Chares sowie dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus [37] von Tiberias, wovon ich schon oben Erwähnung gethan habe. Hierauf schickten sie zu mir und verlangten militärische Hilfe sowie Leute zum Aufbau ihrer Stadtmauern. Ich versagte ihnen keinen dieser Wünsche. 187 Zur selben Zeit fiel die Landschaft Gaulanitis bis an das Dorf Solyma[24] vom Könige ab. Sogane und Seleukia, zwei schon von Natur sehr feste Flecken, umgab ich damals mit Ringmauern, desgleichen auch einige Dörfer in Obergalilaea, obwohl dieselben auf Felsen lagen, 188 nämlich Jamnia, Meroth und Achabara. In Untergalilaea befestigte ich die Städte Tarichaea, Tiberias und Sepphoris, sowie folgende Flecken: die Höhle von Arbela,[25] Bersabe, Selamin, Jotapata, Kapharekcho, Sigo, Japha und den Berg Tabor. In alle diese Plätze schaffte ich eine Menge Proviant und auch Waffen, zur Sicherheit für kommende Fälle.

189 (38.) Mittlerweile wuchs bei Joannes, dem Sohne des Levi, der Hass gegen mich von Tag zu Tag. Dass mir alles so gut von statten ging, ärgerte ihn nicht wenig, und da er entschlossen war, mich ganz aus dem Wege zu räumen, befestigte er seine Vaterstadt Gischala 190 und schickte seinen Bruder Simon sowie Jonathas, den Sohn des Sisenna, mit etwa hundert Bewaffneten nach Jerusalem zu Simon, dem Sohne des Gamaliel, um ihn aufzufordern, dass er den Gemeindevorstand zu Jerusalem berede, mir den Oberbefehl über Galilaea abzunehmen und ihn dem Joannes zu übertragen. 191 Dieser Simon war aus Jerusalem gebürtig, gehörte einer vornehmen Familie an und bekannte sich zur Sekte der Pharisäer, die in strenger Beobachtung der väterlichen Satzungen alle anderen übertrifft. 192 Er war ein überaus umsichtiger und verständiger Mann und wusste durch seine Klugheit auch die schwankendsten Verhältnisse wieder ins Gleichgewicht [38] zu bringen. Als alter Freund und Vertrauter des Joannes stand er damals mit mir auf gespanntem Fuss. 193 Aus diesem Grunde ging er auf den Wunsch des Joannes ein und beredete die Hohepriester Ananus und Jesus, den Sohn des Gamalas, sowie einige andere von derselben Partei, mir die Flügel zu stutzen und nicht zu dulden, dass ich bis zum Gipfel des Ruhmes gelange. Dass ich aus Galilaea entfernt würde, meinte er, könne ihm nur zum Vorteil gereichen. Zugleich forderte er die Partei des Ananus auf, nicht zu zögern, damit ich nicht, wenn der Plan mir zu Ohren käme, mit Heeresmacht gegen die Stadt anrücke. 194 Diesen Rat gab Simon; der Hohepriester Ananus indes war der Ansicht, die Sache könne doch wohl nicht so leicht abgemacht werden, denn viele von den Hohepriestern und den Vorstehern des Volkes gäben mir das Zeugnis, dass ich meinen Posten trefflich verwalte. Einen Mann aber, dem man nichts vorwerfen könne, in Anklagezustand zu versetzen, sei das Werk eines Schurken.

195 (39.) Als Ananus diese Erklärung abgegeben hatte, bat Simon ihn und die anderen, zu schweigen, damit nichts von diesen Verhandlungen unter die Leute komme. Er werde schon dafür sorgen, fügte er hinzu, dass ich sobald als möglich Galilaea räumen müsse. Hierauf beschied er den Bruder des Joannes zu sich und ersuchte ihn, dem Ananus und dessen Anhängern Geschenke zu senden; vielleicht würden sie sich dadurch zur Änderung ihrer Gesinnung bewegen lassen. 196 Schliesslich erreichte denn auch Simon seine Absicht: Ananus und dessen Partei liessen sich bestechen und beschlossen nun, mich aus Galilaea zu entfernen, ohne dass jemand in der Stadt davon Kenntnis erlange. Sie schickten demgemäss einige sowohl durch Geburt wie Gelehrsamkeit hervorragende Männer ab. 197 Zwei von diesen, nämlich die Pharisäer Jonathas und Ananias, waren Laien, während der dritte, Joazar, der ebenfalls der Pharisäersekte angehörte, aus priesterlichem Geschlecht stammte, Simon endlich, der jüngste der Abgeordneten, war Mitglied [39] einer hohepriesterlichen Familie. 198 Die vier Männer hatten den Auftrag, in einer Volksversammlung die Galiläer nach der Ursache ihrer Anhänglichkeit an mich zu fragen. Gäben die Galiläer dann als Grund meine Zugehörigkeit zur Bürgerschaft Jerusalems an, so sollten sie antworten, dass auch sie alle vier von dort stammten. Beriefen sich die Leute aber auf meine genaue Kenntnis des Gesetzes, so sollten sie erklären, dass auch sie die väterlichen Satzungen kännten, und würde etwa das Volk auf meine priesterlichen Charakter Bezug nehmen, so sollten sie entgegnen, dass auch unter ihnen zwei Priester sich befänden.

199 (40.) Ausser diesen Aufträgen gaben sie dem Jonathas und seinen Genossen vierzigtausend Silberstücke aus der Staatskasse mit. 200 Zugleich beriefen sie einen gewissen Galiläer Jesus, der, wie man hörte, mit einer Schar von sechshundert Bewaffneten nach Jerusalem gekommen war, zahlten ihm Sold für drei Monate und hiessen ihn die Gesandtschaft des Jonathas geleiten. Ausserdem schickten sie auch noch dreihundert Mann aus der Bürgerschaft mit, nachdem sie dieselben reichlich mit Geld zum Lebensunterhalt versehen hatten. 201 Sobald diese Mannschaft, der sich noch der Bruder des Joannes mit seinen hundert Bewaffneten anschloss, zum Abmarsch bereit war, machten sich Jonathas und dessen Mitgesandte auf den Weg. 202 In Bezug auf meine Person hatten sie den Auftrag, mich, wenn ich die Waffen freiwillig niederlegen würde, lebend nach Jerusalem zu schicken, wenn ich aber Widerstand leistete, mich ohne jede Scheu vor Verantwortlichkeit niederzustossen. 203 Uebrigens hatten sie dem Joannes geschrieben, er solle sich auf einen Kampf gegen mich gefasst machen; auch war an die Bewohner von Sepphoris, Gabara und Tiberias der Befehl ergangen, den Joannes mit Hilfstruppen zu unterstützen.

204 (41.) Von diesen Umtrieben benachrichtigte mich mein Vater; er erfuhr nämlich alles von meinem Freunde Jesus, dem Sohne des Gamalas, der bei den Verhandlungen [40] zugegen gewesen war. Es kränkte mich tief, dass meine Mitbürger so undankbar sein und aus Neid meine Ermordung anbefehlen sollten; auch empfand ich es schmerzlich, dass mein Vater in seinem Briefe mich inständig bat, zu ihm zu kommen, weil er seinen Sohn zu sehen wünsche, bevor er sterbe. 205 Ich teilte diese Nachricht meinen Freunden mit und erklärte ihnen, dass ich in drei Tagen heimzukehren gedächte. Alle, die es hörten, zeigten sich traurig bewegt und baten mich unter Thränen, sie nicht zu verlassen: denn wenn ich nicht mehr ihr Oberbefehlshaber sei, müssten sie zu Grunde gehen. 206 Als ich aber ihren Bitten gegenüber taub blieb und nur auf meine eigene Rettung bedacht war, schickten die Galiläer, die nach meiner Abreise den Räubern schutzlos preisgegeben zu sein fürchteten, Boten im ganzen Lande umher, um die Kunde von meinem beabsichtigten Weggang zu verbreiten. 207 Haufenweise strömten nun aus allen Orten die Leute samt Weibern und Kindern zusammen, anscheinend nicht so sehr aus Anhänglichkeit an mich, als weil sie für sich selbst fürchteten; denn so lange ich da war, glaubten sie vor allem Ungemach gesichert zu sein. Sie kamen samt und sonders nach Asochis in der grossen Ebene, wo ich mich damals aufhielt.

208 (42.) In jener Nacht hatte ich einen wunderbaren Traum. Als ich mich nämlich, tiefbetrübt und erschüttert wegen der erhaltenen Nachricht, zu Bett gelegt hatte, schien auf einmal jemand vor mir zu stehen und zu sagen: 209 „Tröste dich, du Trauernder, und entschlage dich aller Furcht; denn dasselbe, worüber du dich jetzt betrübst, wird dich gross machen und dir in allen deinen Unternehmungen Glück bringen. Und nicht allein deine gegenwärtige Sendung wirst du durchführen, sondern noch vieles andere. Lass also den Mut nicht sinken und denke daran, dass du mit den Römern noch Krieg führen musst!“ 210 Nach dieser Traumerscheinung erhob ich mich, um in die Ebene hinabzugehen. Kaum aber hatten mich die Galiläer erblickt, als sich die ganze [41] Menge, darunter auch viele Weiber und Kinder, zu Boden warf und mich thränenden Auges bat, ich möge sie doch nicht in die Gewalt der äusseren Feinde geraten lassen, noch ihr Land dem Übermut der inneren Widersacher preisgeben. 211 Als jedoch ihre Bitten keinen Erfolg hatten, suchten sie mich durch Eidschwüre zum Bleiben zu bewegen. Zugleich schmähten sie in herben Worten die Gemeinde von Jerusalem, die ihnen den Frieden ihres Landes missgönne.

212 (43.) Als ich diese Klagen vernahm und die Niedergeschlagenheit der Leute sah, ward ich von Mitleid bewegt und erwog bei mir, dass es doch der Mühe wert sei, um einer so grossen Menschenmenge willen der augenscheinlichsten Gefahr zu trotzen. Ich versprach daher zu bleiben und befahl, dass fünftausend Bewaffnete mit dem nötigen Proviant zu mir stossen sollten; die übrigen entliess ich nach Hause. 213 Sobald die fünftausend Mann zur Stelle waren, brach ich mit ihnen sowie mit dreitausend Mann zu Fuss und achtzig Reitern, die ich schon vorher bei mir hatte, nach Chabolo,[26] einem Dorf im Gebiete von Ptolemaïs, auf. Dort liess ich halt machen und stellte mich, als wollte ich gegen Placidus anrücken. 214 Dieser nämlich war auf Befehl des Cestius Gallus mit zwei Kohorten Fussvolk und einer Reiterschwadron angekommen, um die galilaeischen Dörfer in der Nähe von Ptolemaïs einzuäschern. Während nun Placidus vor der Stadt Ptolemaïs Verschanzungen aufwarf, errichtete auch ich mein Lager etwa sechzig Stadien vom Dorfe entfernt. 215 Hierauf führten wir mehrmals unsere Streitkräfte zum Kampf heraus, doch kam es nie weiter als zu Scharmützeln. Denn als Placidus merkte, dass ich thunlichst bald schlagen wolle, wich er furchtsam zurück, entfernte sich aber nicht von Ptolemaïs.

216 (44.) Um diese Zeit kam Jonathas mit der Gesandtschaft [42] aus Jerusalem an, die, wie erwähnt, von der Partei des Simon und des Hohepriesters Ananus abgeordnet war, und suchte mich durch Hinterlist zu fangen; denn offen wagte er mich nicht anzugreifen. 217 Er schrieb mir demnach folgenden Brief: „Jonathas und seine Mitgesandten aus Jerusalem entbieten dem Josephus ihren Gruss. Es ist der Obrigkeit von Jerusalem zu Ohren gekommen, dass Joannes von Gischala dir oftmals nachgestellt hat. Deshalb schickt sie uns, um ihm darüber Vorwürfe zu machen und ihn zum Gehorsam gegen dich zu ermahnen. 218 Da wir uns nun mit dir über ein gemeinsames Vorgehen beraten wollen, so ersuchen wir dich, schleunigst zu uns zu kommen, aber ohne grosses Gefolge, denn unser Dorf kann nicht viele Soldaten aufnehmen.“ 219 So schrieben sie in zweifacher Absicht: entweder hätten sie, wenn ich unbewaffnet kam, mich gefangen genommen, oder, wenn ich zahlreiche Mannschaft mitbrachte, mich für einen Feind erklärt. 220 Den Brief brachte mir ein Reiter, ein verwegener Bursche, der einst im königlichen Dienst gestanden hatte. Es war um die zweite Stunde der Nacht,[27] und eben sass ich mit meinen Freunden und den vornehmsten Galiläern beim Mahle, 221 als mir ein Diener meldete, es sei ein jüdischer Reiter angekommen. Sogleich liess ich ihn hereinrufen; allein der Mensch würdigte mich keines Grusses, sondern reichte mir den Brief mit den Worten: „Das schicken dir die Gesandten aus Jerusalem. Antworte so schnell wie möglich, denn ich muss unverzüglich zu ihnen zurückkehren.“ 222 Meine Tischgenossen staunten über die Dreistigkeit des Soldaten; ich aber lud ihn ein, Platz zu nehmen und mit uns zu speisen. Doch er weigerte sich. Unterdessen hielt ich den Brief in der Hand, wie ich ihn empfangen hatte, und setzte über andere Dinge das Gespräch mit meinen Freunden fort. 223 Bald aber stand ich auf, entliess die anderen zur Ruhe und behielt nur vier meiner vertrautesten Freunde [43] bei mir. Dann befahl ich einem Diener, Wein zu holen, entfaltete den Brief, ohne dass jemand es merkte, und siegelte ihn rasch wieder, nachdem ich seinen Inhalt überlesen hatte. 224 Hierauf liess ich, den Brief fortwährend in der Hand haltend, als hätte ich ihn nicht geöffnet, dem Soldaten zwanzig Drachmen Botenlohn auszahlen. Mit vielem Dank nahm er die Silberstücke an; ich aber schloss daraus auf seine Geldgier und sprach, um ihn an dieser seiner schwachen Seite zu fangen, also zu ihm: „Willst du mit uns trinken, so erhältst du bei jedem Becher eine Drachme.“ 225 Freudig ging er darauf ein, nahm, um nur recht viel Geld zu bekommen, eine Menge Wein zu sich, ward berauscht und konnte nun kein Geheimnis mehr verschweigen, sodass er ungefragt den ganzen Anschlag verriet und auch mitteilte, über mich sei der Tod beschlossen. 226 Kaum hatte ich dies erfahren, so schrieb ich folgendermassen zurück: „Josephus mit bestem Gruss an Jonathas und seine Gefährten. Es freut mich, zu vernehmen, dass ihr wohlbehalten in Galilaea angelangt seid, umsomehr, als ich euch die Verwaltung des Landes übergeben und nach Hause zurückkehren kann; denn dies war schon lange mein Wunsch. 227 Ich hätte euch nun freilich nicht bloss bis Xaloth, sondern noch weiter unaufgefordert entgegenkommen sollen; doch es ist mir nicht möglich, und ihr wollt mich deshalb entschuldigen. Ich liege nämlich vor Chabolo, um Placidus zu beobachten, der einen Einfall in Galilaea plant. Kommt also zu mir, sobald ihr diesen Brief gelesen habt. Lebt wohl.“

228 (45.) Dieses Schreiben übergab ich dem Soldaten zur Bestellung und sandte ihn in Begleitung von dreissig angesehenen Galiläern zurück. Letztere waren von mir beauftragt, die Gesandten zu begrüssen, ausserdem aber sich auf nichts einzulassen. Jedem von ihnen gab ich noch einen treuen Soldaten bei, der acht geben sollte, dass niemand mit Jonathas oder dessen Gefährten eine Unterredung anfange. So reisten sie ab. 229 Als nun Jonathas und seine Kollegen den ersten Versuch missglückt [44] glückt sahen, schrieben sie an mich einen zweiten Brief folgenden Inhalts: „Jonathas und seine Genossen entbieten dem Josephus ihren Gruss. Wir fordern dich auf, innerhalb dreier Tage ohne bewaffnetes Geleit zu uns nach Gabaroth[28] zu kommen, damit wir dich über deine Beschuldigungen gegen Joannes vernehmen.“ 230 Nachdem sie dies geschrieben und die von mir geschickten Galiläer begrüsst hatten, begaben sie sich nach Japha, dem grössten Flecken Galilaeas, der stark befestigt und dicht bevölkert war. Die Einwohner aber zogen ihnen samt Weibern und Kindern entgegen und schrien mit lauter Stimme: „Macht euch fort und lasst uns unseren wackeren Befehlshaber!“ 231 Jonathas und seine Begleiter gerieten über dieses Geschrei in Erbitterung, wagten aber nicht, ihren Groll offen zu zeigen, und machten sich, ohne die Leute einer Antwort zu würdigen, nach anderen Dörfern auf. Überall aber empfing sie das nämliche Geschrei; niemand, hiess es, vermöge sie zu überzeugen, dass Josephus nicht mehr ihr Statthalter sein solle. 232 Unverrichteter Sache zogen sich deshalb die Gesandten zurück und gingen nach Sepphoris, der grössten Stadt Galilaeas. Die Einwohner, welche römerfreundlich gesinnt waren, kamen ihnen zwar entgegen, äusserten jedoch über mich weder Lob noch Tadel. 233 Als hierauf die Abgeordneten von Sepphoris nach Asochis reisten und dort wieder dasselbe Geschrei wie in Japha hören mussten, vermochten sie ihren Zorn nicht mehr zu bemeistern und liessen ihre Bewaffneten mit Knitteln auf die Schreier einhauen. In Gabara stiess dann Joannes mit dreitausend Mann zu ihnen. 234 Da ich aber aus dem Briefe wusste, dass sie entschlossen waren, gegen mich zu kämpfen, brach ich mit dreitausend Bewaffneten von Chabolo auf, nachdem ich das dortige Lager meinem treuesten Freund unterstellt hatte, und begab mich nach Jotapata, um meinen Gegnern auf vierzig Stadien nahe zu sein. Alsdann schrieb ich folgenden Brief an sie: [45] 235 „Wenn ihr durchaus darauf besteht, dass ich mich bei euch einfinde, so wisset, dass es zweihundertvier Städte und Dörfer in Galilaea giebt. In jeden dieser Orte will ich je nach eurem Wunsch kommen, nur nicht nach Gabara und Gischala, denn dieses ist die Vaterstadt des Joannes, jenes aber mit ihm verbündet und befreundet.“

236 (46.) Auf diesen Brief gaben mir Jonathas und seine Genossen keine weitere Antwort, veranstalteten vielmehr eine Zusammenkunft ihrer Freunde, zu der auch Joannes zugezogen wurde, und hielten Rat, wie sie mich angreifen könnten. 237 Joannes war der Meinung, man solle in alle Städte und Dörfer Galilaeas schicken, denn in jedem Orte sei doch der eine oder andere mir abgeneigt; diese müsse man dann gegen mich, den gemeinsamen Feind, aufrufen. Komme nun ein solches Vorgehen zu stande, so solle man die Nachricht davon nach Jerusalem schicken, damit auch die dortigen Bürger, nachdem sie erfahren hätten, dass ich von den Galiläern als Feind behandelt würde, sich in gleichem Sinne aussprächen. Wenn das geschähe, würden die Galiläer, die mir noch treu seien, mich aus Furcht verlassen. 238 Dieser Rat des Joannes gefiel den anderen ausnehmend gut. 239 Aber schon um die dritte Stunde der Nacht war ich davon durch einen gewissen Sakchaeus benachrichtigt, der von ihm zu mir überging und mir den Anschlag verriet. Jetzt beschloss ich, nicht länger zu zögern. 240 Ich trug daher einem meiner erprobtesten Leute Namens Jakobus auf, mit zweihundert Mann alle Wege zwischen Gabara und dem übrigen Galilaea zu bewachen, die Wanderer aufzugreifen und sie mir zuzusenden, besonders wenn sich Briefe bei ihnen vorfänden. 241 Ebenso schickte ich meinen Freund Jeremias mit sechshundert Mann an die Grenzen Galilaeas, um die Strassen nach Jerusalem zu beobachten, alle Reisenden, bei denen Briefe gefunden würden, festzunehmen, und die Boten selbst sogleich einzukerkern, die Briefe aber an mich gelangen zu lassen.

[46] 242 (47.) Nachdem ich diese Anordnungen getroffen hatte, liess ich die Galiläer auffordern, sich am folgenden Tage mit Waffen und dreitägigem Proviant vor Gabaroth einzufinden. Meine eigenen Soldaten teilte ich in vier Scharen, bildete aus den zuverlässigsten Leuten meine Leibwache und setzte Befehlshaber über sie, denen ich einschärfte, keinen unbekannten Soldaten mit ihren Untergebenen in Verbindung treten zu lassen. 243 Als ich tags darauf um die fünfte Stunde nach Gabaroth kam, fand ich die ganze Ebene vor dem Dorf mit Bewaffneten gefüllt, die meinem Aufgebot zufolge als Hilfstruppen aus Galilaea zusammengeströmt waren; ausserdem lief noch eine grosse Menge Menschen aus den Dörfern herbei. 244 Wie ich nun auf sie zuschritt und eine Ansprache an sie halten wollte, tönte mir ein lautes Freudengeschrei entgegen, und alle begrüssten mich als Wohlthäter und Retter des Landes. Ich dankte ihnen und ermahnte sie, niemand zu brandschatzen und nirgends zu plündern, sondern, mit ihrem Mundvorrat zufrieden, sich in der Ebene zu lagern; denn es sei mein Wunsch, den Aufruhr ohne Blutvergiessen zu dämpfen. 245 Am nämlichen Tage schon fielen die Eilboten des Jonathas mit ihren Briefen den von mir aufgestellten Wachtposten in die Hände und wurden meinem Befehl gemäss an Ort und Stelle in Gewahrsam genommen. In den Briefen fand ich übrigens nichts als Schmähungen und Lügen, und ohne irgend jemand von ihrem Inhalt Mitteilung zu machen, entschloss ich mich zum Angriff.

246 (48.) Als Jonathas und seine Genossen meine Ankunft erfuhren, zogen sie sich mit Joannes und allen ihren Leuten in das Haus des Jesus zurück, ein hohes, turmähnliches Gebäude, das ganz wie eine Festung aussah. Hier versteckten sie eine Anzahl Bewaffneter, verschlossen die Thüren bis auf eine und erwarteten, dass ich gleich vom Marsche weg hereinkommen würde, um sie zu begrüssen. 247 Ihre Leute hatten Befehl, mich allein einzulassen, die übrigen aber auszusperren; auf diese Weise dachten sie mich mit leichter Mühe in ihre Gewalt zu [47] bekommen. 248 Hierin aber täuschten sie sich gewaltig. Ich begab mich nämlich, da ich ihre Hinterlist merkte, gleich nach meiner Ankunft in eine Herberge, die dem Hause des Jesus gegenüberlag, anscheinend um auszuruhen. 249 Alsbald gingen Jonathas und die Seinen in der Meinung, ich läge bereits im Schlaf, aufs Feld hinaus und suchten meinen Leuten einzureden, ich sei ein schlechter Anführer. 250 Aber es kam ganz anders, als sie erwartet hatten: Denn bei ihrem Anblick erhoben die Galiläer als Zeichen ihres offenkundigen Wohlwollens gegen mich ein lautes Geschrei und empfingen die Gesandten mit heftigen Vorwürfen. Jonathas und seine Begleiter, riefen sie, seien gekommen, ohne dass Josephus ihnen etwas zuleide gethan, und nur in der Absicht, die Galiläer ins Verderben zu stürzen. Sie möchten also nur dahin zurückgehen, woher sie gekommen seien; denn nie würden die Galiläer sich bereden lassen, einen anderen Statthalter als Josephus anzuerkennen. 251 Sowie mir dies gemeldet wurde, zögerte ich keinen Augenblick mehr, hinunterzugehen, und trat urplötzlich ins Freie, um selbst zu hören, was Jonathas und seine Begleiter sagen würden. Stürmisches Freudengeschrei der ganzen Menge empfing mich, und unter Segenswünschen bezeugten sie mir ihren Dank für die bisherige Verwaltung meines Postens.

252 (49.) Dieser Vorgang flösste den Gesandten tödlichen Schrecken ein; denn sie fürchteten, von den Galiläern mir zulieb niedergehauen zu werden. Ihr erster Gedanke war der an Flucht; aber sie vermochten ihn nicht auszuführen, weil ich ihnen befahl, zu bleiben. So standen sie denn da, wie niedergeschmettert durch mein Wort. 253 Hierauf ersuchte ich die Menge, mit dem Beifallsgeschrei einzuhalten, beorderte meine treuesten Soldaten an die Wege, um durch ihre Wachsamkeit einen etwaigen Überfall von seiten des Joannes zu vereiteln, befahl den Galiläern, die Waffen in die Hand zu nehmen, damit sie nicht durch einen unvermuteten feindlichen Angriff in Unordnung gerieten, 254 und rief nun dem Jonathas und [48] seinen Gefährten den Brief in Erinnerung, worin sie mir geschrieben, dass sie von dem Gemeindevorstand zu Jerusalem geschickt worden seien, um die Streitigkeiten zwischen mir und Joannes beizulegen und mich aufgefordert hatten, zu ihnen zu kommen. 255 Während ich dies sprach, hielt ich ihnen, damit sie, durch ihre eigene Unterschrift überführt, nichts leugnen könnten, das Schreiben entgegen und fuhr dann fort: 256 „Wenn ich dir, Jonathas, und deinen Mitgesandten vor Gericht über meinen Zwist mit Joannes Rechenschaft geben müsste, so hättet ihr doch wohl an dem Zeugnis zweier oder dreier ehrenwerten Männer, deren Leumund ihr prüfen könntet, genug, um mich von jeder Beschuldigung freizusprechen. 257 Damit ihr aber wisst, dass ich die Angelegenheiten Galilaeas recht verwaltet habe, erachte ich im Gefühle meiner Unschuld drei Zeugen für noch zu wenig, stelle euch vielmehr alle diese Männer hier als solche auf. 258 Von ihnen müsst ihr Zeugnis über mich verlangen und dann urteilen, ob ich nicht mit aller Ehrbarkeit und Tüchtigkeit hier gewaltet habe. Euch aber, ihr Galiläer, beschwöre ich, nichts von der Wahrheit zu verhehlen, sondern vor diesen Männern gleichwie vor Richtern zu sagen, wenn etwas nicht recht geschehen ist.“

259 (50.) Noch hatte ich nicht ausgeredet, als die sämtlichen Galiläer mich einstimmig ihren Retter und Wohlthäter nannten, mein bisheriges Verhalten rühmten und mich aufforderten, in Zukunft ebenso zu handeln. Alle versicherten unter Eidschwur, dass ihre Frauen nicht beleidigt worden seien und dass ich keinen Menschen je gekränkt hätte. 260 Hierauf verlas ich zwei Briefe der Gesandten, welche von meinen Wachtposten aufgefangen und an mich geschickt worden waren. 261 Dieselben wimmelten von Schmähungen und behaupteten lügnerischerweise, ich hätte mich in Galilaea wie ein Tyrann und nicht wie ein Feldherr betragen. Ich erklärte übrigens der Versammlung, die Boten hätten mir die Briefe freiwillig übergeben; meine Gegner sollten nämlich nichts von den [49] Wachtposten erfahren, damit sie nicht aus Furcht von fernerem Schreiben Abstand nähmen.

262 (51.) Als dies die Menge vernahm, stürmte sie in der grössten Erbitterung gegen Jonathas und dessen Mitgesandte an, um sie niederzumachen, und sie würden ihre Absicht auch wohl erreicht haben, wenn ich ihrem Wüten nicht Einhalt geboten hätte. Dem Jonathas aber und seinen Gefährten erklärte ich, dass ich ihnen verzeihe, wenn sie das Vorgefallene bereuen, nach Hause gehen und ihren Auftraggebern die Wahrheit über meine Amtsführung berichten wollten. 263 Mit diesen Worten entliess ich sie, obwohl ich wusste, dass sie ihr Versprechen in keinem Punkte halten würden. Das Volk war übrigens derart gegen sie aufgebracht, dass es mich dringend bat, an den Nichtswürdigen Rache nehmen zu dürfen. 264 Ich versuchte nun alle möglichen Mittel, um sie zur Schonung der Gesandten zu bewegen, weil es mir sattsam bekannt war, dass jeder Aufruhr für das Wohl der Allgemeinheit verderblich ist. Doch die Menge bestand auf der Befriedigung ihrer Rache und drang unaufhaltsam gegen das Haus vor, wo die Gesandten abgestiegen waren. 265 Als ich aber die zügellose Wut der Meinigen bemerkte, stieg ich zu Pferde und befahl ihnen, mir nach dem Dorf Sogane zu folgen, welches zwanzig Stadien von Gabara entfernt liegt. Durch diese List erreichte ich, dass man mir nicht den Vorwurf machen konnte, als hätte ich Anlass zum Bürgerkrieg gegeben.

266 (52.) In der Nähe von Sogane liess ich halt machen, warnte meine Leute vor leidenschaftlichen Aufwallungen und übereilten Racheakten und befahl dann, dass hundert durch Alter und Ansehen ausgezeichnete Männer sich zur Reise nach Jerusalem rüsten sollten, um dort vor dem Volke über die Unruhstifter im Lande Klage zu führen. 267 „Gelingt es euch,“ sagte ich, „mit euren Vorstellungen durchzudringen, so verlangt von dem Gemeindevorstand einen schriftlichen Befehl, der mir gebietet, in Galilaea zu bleiben, den Jonathas aber und seine Mitgesandten zurückruft.“ 268 Als ich ihnen diese Aufträge [50] erteilt und sie sich eiligst zur Abreise fertig gemacht hatten, schickte ich sie am dritten Tage nach jener Versammlung unter dem Geleit von fünfhundert Kriegern ab. 269 Zugleich schrieb ich an meine Freunde in Samaria, sie möchten für sichere Reise meiner Abgesandten durch die Landschaft Sorge tragen. Samaria nämlich war schon von den Römern besetzt; der kürzeste Weg nach Jerusalem aber führt durch dieses Gebiet, denn über Samaria gelangt man schon in drei Tagen von Galilaea nach der Hauptstadt. 270 Ich selbst gab der Gesandtschaft bis zur Grenze Galilaeas das Geleit und stellte Wächter an der Landstrasse auf, damit ihre Reise nicht bemerkt würde. Alsdann nahm ich meinen Aufenthalt in Japha.

271 (53.) Als Jonathas und seine Kollegen ihre Anschläge misslungen sahen, schickten sie den Joannes nach Gischala zurück, während sie selbst in der Hoffnung, Tiberias auf ihre Seite bringen zu können, sich nach dieser Stadt begaben. Jesus nämlich, der damals oberster Beamter von Tiberias war, hatte ihnen geschrieben, dass er die Einwohner bereden wolle, die Gesandten aufzunehmen und gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. 272 Mit dieser Hoffnung also gingen sie dorthin. Ich aber erhielt sogleich Kunde davon durch Silas, den ich, wie oben bemerkt, als meinen Stellvertreter in Tiberias zurückgelassen hatte; er forderte mich auf, schleunigst zu kommen. Alsbald erschien ich denn auch, sah mich aber gleich nach meiner Ankunft in die äusserste Lebensgefahr versetzt, und zwar aus folgender Veranlassung. 273 Jonathas und seine Genossen hatten bereits die Tiberienser bearbeitet und viele aus denen, die mir von früher her feindlich gesinnt waren, gegen mich aufgewiegelt. Als sie nun vernahmen, ich sei da, kamen sie, für ihr Leben fürchtend, sogleich zu mir. Sie begrüssten mich, wünschten mir Glück zu meiner Verwaltung Galilaeas und bekundeten ihre Freude darüber, dass mein Ansehen sich so vergrössert habe, 274 da ein Teil dieser Ehre auch auf sie falle, weil sie nicht nur meine Mitbürger, sondern auch meine Lehrer seien. Auf meine Freundschaft, [51] fügten sie hinzu, legten sie viel mehr Gewicht als auf die des Joannes. Sie seien zwar schon im Begriff, nach Hause zu reisen, wollten aber noch so lange bleiben, bis sie den Joannes mir unterthan gemacht hätten. 275 Diese Worte bekräftigten sie mit den furchtbarsten Eidschwüren, die bei uns Geltung haben, weshalb ich jedes Misstrauen gegen sie fahren liess. Schliesslich baten sie mich auch noch, ich möchte mich anderswohin begeben, weil morgen Sabbat sei; denn sie würden es nicht wünschen, dass Tiberias gerade um ihretwillen in Unruhe geriete.

276 (54.) Ganz ohne Argwohn ging ich nach Tarichaea, doch liess ich in Tiberias Spione zurück, um achtzugeben, was über mich gesprochen würde. Auch auf dem ganzen Wege zwischen beiden Städten hatte ich eine Anzahl Leute aufgestellt, damit sie mir durch Meldung der Nachricht von einem zum anderen mitteilten, was sie von den Spionen in Tiberias erführen. 277 Am folgenden Tage versammelten sich alle im Bethause, einem sehr geräumigen Gebäude, das eine Menge Menschen fasste. Jonathas, der zuerst auftrat, hatte zwar nicht den Mut, das Wort „Abfall“ offen auszusprechen, erklärte aber, dass die Stadt einen besseren Anführer haben müsse. 278 Jesus dagegen, der Vorsteher, enthüllte seine geheimsten Gedanken. „Mitbürger,“ sagte er, „es ist besser, dass wir vier Männern gehorchen als einem einzigen, zumal solchen, die durch Abstammung und Einsicht gleich ausgezeichnet sind.“ 279 Damit meinte er die Gesandten. Alsdann erhob sich Justus, trat der Meinung des Jesus bei und gewann einige aus dem grossen Haufen. Die Mehrzahl jedoch war mit diesen Reden nicht zufrieden, und es wäre wohl sicher zum Aufruhr gekommen, hätte nicht der Eintritt der sechsten Stunde, um welche Zeit wir das Sabbatmahl nehmen müssen, die Versammlung beendigt. Jonathas und seine Genossen verschoben nun die weiteren Verhandlungen auf den folgenden Tag und begaben sich unverrichteter Sache in ihre Wohnung. 280 Als mir dieser Vorgang gemeldet wurde, entschloss ich [52] mich, am anderen Morgen in der Frühe nach Tiberias zu gehen. Um die erste Stunde traf ich daselbst ein und fand die Bürger bereits im Bethause versammelt, ohne dass sie gewusst hätten, zu welchem Zweck sie berufen worden waren. 281 Jonathas und seine Gefährten erschraken heftig über meine unerwartete Ankunft, gerieten aber schnell auf den Einfall, das Gerücht auszustreuen, man habe in der Nachbarschaft, dreissig Stadien vor der Stadt, auf der sogenannten Homonoia[29] römische Reiter gesehen. 282 Auf Anstiften der Gesandten wurde dies dem Volke vorgelogen und hinzugefügt, man solle doch nicht zulassen, dass das Land von den Feinden verwüstet werde. In Wahrheit bezweckte man damit nur, mich unter dem Vorwand, dass ich Hilfe bringen müsse, aus der Stadt zu entfernen, um dieselbe dann gründlich gegen mich aufhetzen zu können.

283 (55.) Obwohl ich nun ihre Absicht durchschaute, liess ich mich doch herbei, hinauszugehen, um nicht bei den Tiberiensern den Anschein zu erwecken, als kümmere ich mich nicht um ihre Sicherheit. Aber nicht die Spur von Feinden fand ich an der bezeichneten Stelle, 284 und so kehrte ich denn auf dem kürzesten Wege wieder nach Tiberias zurück. Als ich ankam, fand ich den Jonathas eben damit beschäftigt, vor versammeltem Rat und Volk die schwere Anklage gegen mich zu erheben, dass ich nicht im mindesten ihnen die Lasten des Krieges zu erleichtern suche, sondern in Üppigkeit dahinlebe. 285 Zugleich brachten die Gesandten vier Briefe vor, die angeblich aus dem benachbarten Galilaea an sie gerichtet worden waren, und worin um schleunige Hilfe gebeten wurde, da das römische Heer, Reiterei sowohl wie Fussvolk, in drei Tagen eintreffen würde, um das Land zu verwüsten; man möge also eilen und die Bittsteller nicht unerhört lassen. 286 Die Tiberienser hielten das für bare Münze und schrien mir zu, ich solle doch nicht sitzen bleiben, sondern den Stammesgenossen zu Hilfe eilen. [53] 287 Die Absicht des Jonathas und seiner Gefährten war mir natürlich klar; trotzdem erklärte ich meine Bereitwilligkeit, augenblicklich gegen den Feind auszurücken. Aber, fuhr ich fort, da wir aus den Briefen erführen, dass die Römer an vier Stellen zugleich einfallen würden, so sei es nötig, unsere Streitmacht in fünf Haufen zu teilen; über vier derselben sollten dann Jonathas und seine Freunde das Kommando führen. 288 Denn wackeren Männern gezieme es nicht bloss zu raten, sondern auch in der Not selbst Hand anzulegen, und mehr wie eine Abteilung könne ich selbstverständlich nicht befehligen. 289 Dieser Vorschlag fand beim Volke die lebhafteste Zustimmung, und so waren denn die Gesandten genötigt, mit in den Krieg zu ziehen. Freilich ärgerten sie sich nicht wenig darüber, dass ich ihre Anschläge so schlau zu nichte gemacht hatte.

290 (56.) Einer von ihnen mit Namen Ananias, ein schlechter, heimtückischer Mensch, schlug nun dem Volke vor, für den folgenden Tag Gott zu Ehren ein allgemeines Fasten anzuordnen; unbewaffnet sollten dann alle um dieselbe Stunde und am nämlichen Orte erscheinen, um dadurch vor Gott zu bekennen, dass Waffen nichts vermögen, wenn sie nicht von seiner Hilfe unterstützt werden. 291 Das sagte er aber nicht aus Frömmigkeit, sondern um mich und die Meinigen wehrlos überfallen zu können. Um nun nicht den Schein auf mich zu laden, als ob ich einen so frommen Rat verachtete, musste ich notgedrungen nachgeben. 292 Sowie wir uns getrennt hatten, schrieb Jonathas an Joannes, er solle bei Tagesanbruch mit allen Truppen, die er aufzubringen vermöge, herbeieilen, denn er werde mich mit leichter Mühe in seine Gewalt bekommen und dann nach Gutdünken mit mir verfahren können. Joannes war nach Empfang des Briefes auch gleich bereit, dem Wunsche zu entsprechen. 293 Am folgenden Tage aber liess ich mich von zwei sehr handfesten und treuen Leibwächtern mit Dolchen im Gewande begleiten, damit wir, wenn ich von den Gegnern angegriffen würde, uns verteidigen könnten. Ich selbst [54] schnallte mir unter dem Oberkleide verdeckt Panzer und Schwert um und ging so in das Bethaus.

294 (57.) Jesus, der sich an der Thür aufgestellt hatte, schloss alle meine übrigen Begleiter aus und liess nur mich selbst mit einigen meiner Freunde eintreten. 295 Während wir nun die vorgeschriebenen Ceremonien verrichteten und uns zum Gebet wandten, erhob sich Jesus und fragte mich, wo das ungeprägte Silber und die königlichen Gerätschaften seien, die man beim Brand des Palastes gerettet habe. Mit dieser Frage aber wollte er nur Zeit gewinnen, bis Joannes eintreffen würde. 296 Ich gab ihm zur Antwort, alles befinde sich in den Händen des Capellus und der zehn vornehmsten Tiberienser; er möge sie nur fragen, ob es sich nicht so verhielte. Als diese meine Aussage bestätigten, frug er weiter: „Was ist denn aus den zwanzig Goldstücken geworden, um die du einen Teil des ungeprägten Silbers verkauft hast?“ 297 „Die Goldstücke,“ entgegnete ich, „habe ich den nach Jerusalem abgeordneten Gesandten als Reisegeld mitgegeben.“ Hierauf erklärten Jonathas und dessen Gefährten, es sei nicht recht von mir gewesen, die Gesandten aus der Gemeindekasse zu besolden. 298 Darüber geriet das Volk in Erbitterung, denn es durchschaute die Bosheit jener Männer. Weil ich nun sah, dass der Ausbruch von Feindseligkeiten nahe bevorstand, suchte ich die Menge noch mehr gegen die heimtückischen Gesellen aufzureizen, erklärte aber dann: „Wenn ich nicht recht daran gethan habe, unseren Gesandten aus öffentlichen Mitteln Reiseunterstützung zu zahlen, so hört nur auf zu grollen, denn ich werde die zwanzig Goldstücke aus meiner eigenen Tasche ersetzen.“

299 (58.) Hierauf wussten Jonathas und seine Kollegen nichts zu erwidern; das Volk aber ergrimmte noch mehr, weil sie ihren ungerechten Hass gegen mich so offen zur Schau trugen. 300 Als Jesus diese veränderte Stimmung wahrnahm, hiess er die Menge auseinandergehen und ersuchte, dass nur der Rat bleiben möchte; denn es sei unmöglich, bei dem allgemeinen Lärm eine solche Untersuchung [55] zu führen. 301 Das Volk aber schrie, es werde mich nicht allein bei ihnen lassen. In demselben Augenblick kam ein Bote, der dem Jesus und seinen Anhängern verstohlen die Meldung brachte, Joannes sei mit seinem Heer in der Nähe. Da konnte sich Jonathas nicht mehr beherrschen – offenbar, weil Gottes Vorsehung mich retten wollte, denn sonst wäre ich von Joannes umgebracht worden – 302 und laut rief er: „Ihr Tiberienser, lasst jetzt nur die Untersuchung wegen der zwanzig Goldstücke ruhen. Denn um dieser Sache willen ist Josephus nicht des Todes schuldig, wohl aber, weil er nach der Alleinherrschaft strebt und durch Verführung des Volkes von Galilaea die Macht an sich gerissen hat.“ Nun legten sie Hand an mich und wollten mich töten. 303 Meine Begleiter aber hatten nicht sobald die Gefahr erkannt, als sie ihre Dolche zogen und jeden niederzustossen drohten, der mir Gewalt anthun würde. So entrissen sie mich, während das Volk Steine gegen Jonathas aufhob, der Wut meiner Feinde.

304 (59.) Als ich aber eine Strecke weit gegangen war, merkte ich, dass ich so dem Joannes und seiner Streitmacht in die Hände fallen würde. Ich wandte mich daher durch eine enge Gasse nach dem See, bestieg ein Fahrzeug, das ich gerade antraf, und setzte nach Tarichaea über. So entging ich unverhofft der Gefahr. 305 In Tarichaea berief ich sogleich die angesehensten Galiläer zusammen und teilte ihnen mit, wie schmählich ich von der Gesandtschaft und den Tiberiensern verraten worden sei und beinahe ums Leben gekommen wäre. 306 Darüber gerieten die Versammelten in heftigen Zorn und riefen mir zu, ich solle doch nicht mehr mit dem Angriff zögern und ihnen Gelegenheit geben, Joannes, Jonathas und deren Anhänger niederzumachen, 307 So erbost sie nun auch waren, suchte ich sie doch zu beschwichtigen und erklärte ihnen, man müsse erst abwarten, welchen Bescheid unsere Gesandten aus Jerusalem mitbringen würden; denn nur in voller Übereinstimmung mit ihnen dürften wir handeln. 308 Das leuchtete den Galiläern denn auch [56] ein. Joannes zog übrigens, als er seinen Anschlag missglückt sah, nach Gischala ab.

309 (60.) Einige Tage nachher kamen meine Gesandten zurück mit der Nachricht, das Volk zu Jerusalem sei auf Ananus sowie auf Simon, den Sohn des Gamaliel, äusserst schlecht zu sprechen, weil sie ohne Vorwissen der Gemeinde Gesandte nach Galilaea geschickt hätten, um mich zu stürzen. 310 Die Abgeordneten sagten ferner aus, das Volk habe in seiner Erbitterung sogar die Häuser jener Männer anzünden wollen. Auch brachten sie Briefe mit, worin die Vorsteher zu Jerusalem auf dringendes Verlangen der Gemeinde mich als Statthalter Galilaeas bestätigten, den Jonathas dagegen und dessen Begleiter nach Hause zurückriefen. 311 Als ich von diesen Urkunden Kenntnis genommen hatte, begab ich mich nach Arbela, wo ich die Galiläer zur Versammlung entbot und meine Abgesandten ersuchte, von dem Unwillen, den die Bürgerschaft Jerusalems über das Vorgehen des Jonathas und seiner Genossen an den Tag gelegt, 312 sowie darüber zu berichten, dass ich in meiner Eigenschaft als Statthalter bestätigt, die Gesandten dagegen zurückberufen seien. Den Brief hatte ich übrigens sogleich weitergeschickt und den Überbringer beauftragt, die Absichten des Jonathas und seiner Kollegen zu erforschen.

313 (61.) Das Schreiben brachte natürlich die letzteren in nicht geringe Verlegenheit. Sie liessen daher den Joannes, die Ratsherren von Tiberias und die Vorsteher von Gabara zusammenrufen und überlegten mit ihnen, was zu thun sei. 314 Die Tiberienser waren der Ansicht, man dürfe nicht nachgeben, und noch weniger würden sie es verstehen, wenn die Gesandten eine Stadt, die sich ihnen in die Arme geworfen, im Stich lassen wollten; denn sicherlich würde ich sogleich über Tiberias herfallen. Sie stellten nämlich die erlogene Behauptung auf, ich hätte ihnen letzteres bereits angedroht. 315 Joannes trat nicht nur dieser Meinung bei, sondern verlangte auch, es sollten zwei von den Gesandten nach Jerusalem reisen, [57] um mich vor der Gemeinde anzuklagen, dass ich Galilaea schlecht verwalte. Diesen Männern werde es nicht schwer fallen, Glauben zu finden, einmal wegen ihres persönlichen Ansehens, und dann auch, weil die Volksmenge recht wankelmütig sei. 316 Der Vorschlag des Joannes fand beifällige Aufnahme, und so beschloss man, dass zwei der Gesandten, Jonathas und Ananias, nach Jerusalem gehen, die anderen zwei aber in Tiberias bleiben sollten. Die beiden ersten nahmen hundert Bewaffnete zu ihrer Bedeckung mit.

317 (62.) Die Tiberienser verlegten sich nun darauf, ihre Mauern zu verstärken, und riefen alle Bewohner der Stadt zu den Waffen. Auch von Joannes, der sich in Gischala befand, liessen sie eine Anzahl Hilfstruppen kommen, um sie nötigenfalls gegen mich zu verwenden. 318 Jonathas und sein Genosse waren unterdessen von Tiberias aufgebrochen; als sie aber bis Dabaritta gekommen waren, das an der galilaeischen Grenze in der grossen Ebene liegt, fielen sie um Mitternacht meinen Wachtposten in die Hände. Diese geboten ihnen, die Waffen abzulegen, und hielten sie meinem Befehl gemäss an Ort und Stelle gefangen. 319 Levi, dem ich das Kommando über jenen Posten gegeben hatte, meldete mir sogleich den Vorfall. Ich wartete nun zwei Tage, als ob nichts geschehen wäre; am dritten forderte ich dann die Tiberienser auf, die Waffen zu strecken und ihre Leute zu entlassen. 320 Sie aber glaubten, Jonathas sei bereits in Jerusalem angelangt, und antworteten mir deshalb mit Hohn. Ich liess mich jedoch nicht abschrecken, sondern versuchte durch List zum Ziele zu kommen, 321 da ich es für gottlos hielt, einen Bürgerkrieg anzufangen. Weil ich übrigens die beiden zurückgebliebenen Gesandten aus Tiberias entfernen wollte, sammelte ich zehntausend der besten Streiter, die ich in drei Haufen teilte. Einen davon liess ich heimlich in den benachbarten Dörfern sich festsetzen, 322 während ich tausend Mann in ein anderes Dorf beorderte, das vier Stadien von Tiberias entfernt ebenfalls auf einer Anhöhe lag, mit dem Befehl, herbeizueilen, [58] sobald sie das entsprechende Signal vernähmen. Ich selbst rückte vor das Dorf und lagerte mich im Angesichte der Stadt. 323 Als die Tiberienser dies merkten, liefen sie in Masse aus der Stadt heraus und verhöhnten mich. In ihrer Thorheit verstiegen sie sich sogar dazu, eine zierliche Leichenbahre anzufertigen, sich rings um dieselbe aufzustellen und mich unter Scherz und Spott wie einen Toten zu beklagen. Es machte mir Spass, ihrem unsinnigen Treiben zuzusehen.

324 (63.) Um nun Simon und Joazar durch List zu fangen, schickte ich einen Boten in die Stadt und liess sie auffordern, mit ihren Freunden und einer Anzahl Bedeckungsmannschaften herauszukommen: ich wolle Frieden schliessen und die Statthalterschaft von Galilaea mit ihnen teilen. 325 Aus Unverstand und nebenbei auch aus Gewinnsucht liess sich Simon verlocken und kam ohne Zögern; Joazar dagegen witterte die Falle und blieb zu Hause. Als nun Simon unter dem bewaffneten Geleit seiner Freunde hervortrat, ging ich ihm entgegen, begrüsste ihn freundlich und dankte ihm für sein Kommen. 326 Nach einer Weile ging ich mit ihm beiseite, als wollte ich ihm etwas unter vier Augen sagen; sowie ich ihn aber auf diese Weise von seinen Begleitern weggebracht hatte, fasste ich ihn plötzlich um den Leib und liess ihn durch meine Leute in das Dorf abführen. Gleichzeitig gab ich meinen Soldaten das Zeichen, herabzukommen, und rückte mit ihnen vor Tiberias. 327 Es kam nun zu einem hitzigen Treffen. Zunächst schien sich der Sieg auf die Seite der Tiberienser zu neigen, und schon begannen die Meinigen zu weichen. Kaum aber hatte ich dies gesehen, als ich die in meiner Nähe Kämpfenden anfeuerte und die nahezu siegreichen Tiberienser in die Stadt zurückdrängte. Zugleich liess ich eine andere Abteilung vom See aus vorrücken mit dem Befehl, das erste Haus, das sie erobern würden, in Brand zu stecken. 328 Als dies geschah, glaubten die Tiberienser, ihre Stadt sei bereits erstürmt, warfen vor Schrecken die Waffen weg und flehten mit Weib und Kind mich an, ihrer [59] Heimat zu schonen. 329 Ihre Bitten riefen mein Mitleid wach, und so that ich dem Ungestüm der Soldaten Einhalt und zog mich mit der gesamten Truppenmacht, weil es schon Abend war, von den Mauern zurück, um der Ruhe zu pflegen. 330 Den Simon lud ich sodann zum Abendessen ein, tröstete ihn wegen des Vorgefallenen und versprach ihm Reisegeld und sicheres Geleit nach Jerusalem.

331 (64.) Tags darauf rückte ich mit zehntausend Mann in Tiberias ein, berief die angesehensten Bürger nach der Rennbahn und forderte sie auf, die Anstifter der Empörung namhaft zu machen. 332 Als dies geschehen war, liess ich die Schuldigen fesseln und nach Jotapata bringen. Dann gab ich Befehl, Jonathas, Ananias und die übrigen ihrer Bande zu entledigen, versah sie mit Reisegeld und sandte sie sowie Simon und Joazar unter einer Bedeckung von fünfhundert Mann nach Jerusalem. 333 Die Tiberienser aber kamen noch einmal zu mir und baten flehentlich um Verzeihung, indem sie mir versprachen, durch künftige Treue ihr Vergehen wieder gut zu machen. Zugleich sprachen sie den Wunsch aus, dass das, was aus den Händen der Plünderer noch gerettet werden könne, den Eigentümern wieder zurückgegeben würde. 334 Ich befahl darauf sofort meinen Soldaten, alles herauszugeben, was sie hätten. Geraume Zeit sträubten sie sich. Auf einmal sah ich einen meiner Leute in einem kostbareren Gewande, als er sonst zu tragen pflegte, und sogleich frug ich ihn, woher er es habe. 335 Als er gestand, es rühre von der Plünderung der Stadt her, liess ich ihn prügeln und drohte den anderen insgesamt mit noch härterer Strafe, wenn sie nicht alles Geraubte auslieferten. Nun kamen eine Menge Sachen zum Vorschein, und jeder Tiberienser erhielt das zurück, was als sein Eigentum erkannt wurde.

336 (65.) Da ich nun bis hierher in meiner Erzählung gekommen bin, sei es mir gestattet, eine kleine Abschweifung zu machen und einiges gegen Justus zu [60] bemerken, der ebenfalls ein Werk über diesen Krieg verfasst hat, sowie gegen andere, die sich als Geschichtschreiber ausgeben, aber, unbekümmert um die Wahrheit, aus Hass oder Gunst in den Tag hinein lügen. 337 Solche Menschen sind um nichts besser als die, welche Vertragsurkunden fälschen; aber weil es ihnen nicht so ergeht wie jenen, lügen sie ungescheut weiter. 338 Justus also unternahm es, über unsere Thaten und den Krieg zu schreiben, und um sich den Anschein zu geben, als sei er besonders sorgfältig zu Werk gegangen, hat er über mich gelogen und nicht einmal über seine Vaterstadt die Wahrheit berichtet. Ich bin genötigt, mich gegen sein falsches Zeugnis zu verteidigen, und muss daher kundthun, was ich bisher verschwiegen habe; 339 man wundere sich also nicht darüber. Der Geschichtschreiber soll zwar vor allem die Wahrheit sagen; doch es muss ihm auch erlaubt sein, die Bosheit gewisser Leute aufzudecken – nur darf dies nicht mit Bitterkeit geschehen, nicht sowohl weil er eine solche Mässigung seinem Gegner, als weil er sie sich selbst schuldet. 340 „Nun denn, mein lieber Justus,“ – ich will dich anreden, als wärst du gegenwärtig – „du Muster unter den Geschichtschreibern (denn dafür hältst du dich selbst), wie kommst du zu der Behauptung, dass ich und die Galiläer an der Empörung deiner Vaterstadt gegen die Römer und den König schuld gewesen seien? 341 Noch ehe ich vom Gemeindevorstand zu Jerusalem zum Statthalter von Galilaea ernannt wurde, hatten doch alle Tiberienser mit dir nicht nur die Waffen ergriffen, sondern auch die Zehnstädte[30] in Syrien bekriegt. Oder warst du es nicht, der ihre Dörfer verbrannte, und fiel nicht dein Diener dort auf dem Schlachtfelde? 342 Aber nicht ich allein sage dir dies; du kannst es vielmehr auch in den Denkwürdigkeiten des Imperators Vespasianus lesen sowie daselbst die Klagen der Zehnstädte finden, welche sie bei Vespasianus in Ptolemais gegen dich als den Urheber [61] ihres Unglücks vorbrachten. 343 Du hättest auch auf Befehl des Vespasianus dafür büssen müssen, wenn nicht König Agrippa, der beauftragt war, dich hinrichten zu lassen, auf die inständigen Bitten seiner Schwester Berenike die Todesstrafe in lange Kerkerhaft umgewandelt hätte. 344 Auch deine späteren Thaten kennzeichnen deinen Charakter deutlich genug und beweisen, dass du es warst, der deine Vaterstadt zum Aufstand gegen die Römer verleitete. Ich werde dies gleich noch näher darthun. 345 Zunächst muss ich um deinetwillen einige Worte mit deinen Mitbürgern reden, damit künftige Leser meines Geschichtswerkes erfahren, dass ihr weder der Römer noch des Königs Freunde wart. 346 Die grössten Städte Galilaeas sind bekanntlich Sepphoris und Tiberias, letzteres deine Vaterstadt, mein verehrter Justus. Sepphoris liegt mitten in Galilaea, ist von vielen Dörfern umgeben und hätte also, wenn es nur wollte, sich leicht gegen die Römer empören können. Trotzdem zog die Stadt es vor, ihrem Herrn treu zu bleiben: sie verschloss mir die Thore und untersagte jedem ihrer Bürger, im jüdischen Heere zu dienen; 347 ja, um gegen etwaige Angriffe seitens der Juden gesichert zu sein, veranlasste sie mich durch trügerische Vorspiegelungen, sie mit Mauern zu befestigen. Später nahm sie eine von Cestius Gallus, dem Befehlshaber der römischen Legionen in Syrien, geschickte Besatzungstruppe auf, obwohl ich damals im Besitz grosser Macht und allen ein Schrecken war. 348 Und noch später während der Belagerung Jerusalems, als unsere herrliche Hauptstadt und das allen gemeinsame Heiligtum Gefahr lief, in die Hände der Feinde zu fallen, schickten die Bürger von Sepphoris nicht die mindeste Hilfe, nur um nicht den Anschein zu erwecken, als wollten sie sich gegen die Römer auflehnen. 349 Deine Vaterstadt hingegen, mein Justus, die am See Gennesaritis, dreissig Stadien von Hippos, sechzig von Gadara und hundertzwanzig von Skythopolis entfernt mitten im königlichen Gebiete liegt, hätte, wenn sie nur wollte, den Römern leicht treu bleiben können; 350 denn sie war ja stark bevölkert, und [62] Waffen hattet ihr auch genug. Freilich, ich war ja schuld an eurem Abfall, wie du sagst. Wer aber war es später, mein teurer Justus? Du weisst ja, dass ich vor der Belagerung Jerusalems in die Hände der Römer fiel, dass Jotapata und eine Reihe anderer Festungen im Sturm genommen wurden, dass eine Menge Galiläer auf dem Schlachtfeld verbluteten. 351 Damals hättet ihr, da ihr von aller Furcht vor mir befreit wart, die Waffen fortwerfen und den Römern wie dem König zu Hilfe kommen sollen, weil ihr ja nicht freiwillig, sondern gezwungen den Krieg gegen sie begonnen hattet. 352 Aber nein, ihr habt gewartet, bis Vespasianus mit seiner ganzen Streitmacht vor euren Mauern erschien; aus blosser Angst legtet ihr die Waffen nieder, und eure Stadt wäre sicher erstürmt worden, hätte Vespasianus nicht den Bitten des Königs und den Entschuldigungen, die er zu euren Gunsten vorbrachte, nachgegeben. Nicht ich bin daher an allem schuld, sondern eure eigene Kriegswut. 353 Erinnert ihr euch denn nicht, dass ich, so oft ich auch eure Stadt in meine Gewalt bekam, keinen von euch hinrichten liess, während ihr selbst, im Bürgerkrieg begriffen, nicht aus Ergebenheit gegen die Römer und den König, sondern aus reiner Bosheit hundertfünfundachtzig eurer Mitbürger zu der Zeit umbrachtet, als ich von den Römern in Jotapata belagert wurde? Und zählte man nicht bei der Belagerung Jerusalems zweitausend teils getötete, teils gefangene Tiberienser? 354 Vielleicht aber wirst du leugnen, ein Feind der Römer gewesen zu sein, weil du damals zum Könige entflohst. 355 Das hast du, behaupte ich, nur aus Furcht vor mir gethan. Und dann sagst du, ich sei ein Schurke. Aber sprich doch, warum hat dich König Agrippa, der dir, als du von Vespasianus zum Tode verurteilt warst, das Leben schenkte, der dich mit Wohlthaten überhäufte, warum, sage ich, hat er dich zweimal ins Gefängnis geworfen und ebenso oft des Landes verwiesen? War nicht schon einmal deine Hinrichtung von ihm beschlossen, die er nur auf Bitten seiner Schwester Berenike wieder rückgängig machte? [63] 356 Später vertraute er dir, trotz so vieler Schandthaten, sogar den Posten eines Geheimschreibers an; aber schon bald musste er, als er von neuem deine Schlechtigkeit erfuhr, dich von seinem Angesicht entfernen. Doch alle deine Schurkereien aufzuzählen, unterlasse ich. 357 Wundern muss ich mich nur über die Schamlosigkeit, mit der du behauptest, unter allen Schriftstellern, welche diese Begebenheiten erzählt haben, der zuverlässigste zu sein, obwohl du doch weder die Vorgänge in Galilaea kanntest – du warst ja beim Könige in Berytus – noch von dem, was die Römer bei der Belagerung Jotapatas litten oder thaten und was ich vollbrachte, unterrichtet warst: denn alle, die dir Mitteilung davon hätten machen können, waren ja in der Schlacht gefallen. 358 Doch vielleicht meinst du die Thaten vor Jerusalem besonders genau beschrieben zu haben. Wie aber wäre dies möglich, da du weder den Krieg mitgemacht, noch die Denkwürdigkeiten des Caesars gelesen hast? Es bedarf doch wohl keines stärkeren Beweises gegen dich, als dass du genau das Gegenteil von dem berichtest, was der Caesar in jenem Buche sagt. 359 Glaubst du aber trotzdem der beste Schriftsteller zu sein, weshalb hast du dann deine Geschichte nicht zu Lebzeiten der Imperatoren Vespasianus und Titus, die ja in diesem Kriege den Oberbefehl führten, sowie des Königs Agrippa und seiner Verwandten, lauter Männern von griechischer Bildung, herausgegeben? 360 Du hattest sie ja schon seit zwanzig Jahren fertig daliegen und konntest also von Augenzeugen die glänzendste Bestätigung erwarten. Doch nein, erst jetzt, da diese Männer nicht mehr unter uns weilen und du keine Widerlegung zu fürchten brauchst, trittst du damit hervor. 361 Ich dagegen habe mich nicht von solchen Besorgnissen schrecken lassen, sondern ich übergab meine Schrift den Imperatoren selbst zu einer Zeit, da die Thatsachen allen sozusagen noch vor Augen schwebten; denn ich hatte das Bewusstsein, die Wahrheit überall hochgehalten zu haben, und ich täuschte mich auch nicht in der Hoffnung, ihr Zeugnis dafür zu erlangen. [64] 362 Noch vielen anderen teilte ich meine Geschichte mit, von denen einige, wie König Agrippa und seine Verwandten, an dem Kriege teilgenommen hatten. 363 Der Imperator Titus wollte sogar mein Geschichtswerk so ausschliesslich als die einzig giltige Darstellung jener Begebenheiten angesehen wissen, dass er es mit seiner eigenhändigen Unterschrift versah und so veröffentlichen liess. 364 Und was den König Agrippa anlangt, so hat er mir zweiundsechzig Briefe geschrieben, in denen er die Wahrheit meiner Schilderung bezeugt. Zwei davon will ich hier mitteilen, und du magst dir selbst deine Ansicht daraus bilden, wenn du Lust hast.

365 I. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus besten Gruss! Mit Vergnügen habe ich deine Schrift von Anfang bis zu Ende gelesen und mich überzeugt, dass du mit viel grösserer Sorgfalt und Treue erzählst wie die anderen, die denselben Gegenstand behandelt haben. Schicke mir auch die übrigen Bücher. Leb wohl, mein Freund.

366 II. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus besten Gruss! Nach dem, was du geschrieben, scheinst du mir keiner weiteren Belehrung zu bedürfen, um alles von Anfang an in lichtvoller Darstellung auseinandersetzen zu können. Dennoch will ich, wenn du einmal zu mir kommst, dir mündlich noch manches mitteilen, was dir entgangen ist.

367 Nach Vollendung meines Geschichtswerkes hat mir Agrippa nicht aus Schmeichelei, die bei ihm nicht üblich war, auch nicht aus Spottsucht, wie du behaupten wirst – von einer solchen Erbärmlichkeit war er weit entfernt – sondern aufrichtig, wie alle übrigen Leser desselben, meine Wahrheitsliebe bezeugt.“

So viel gegen Justus, der mich wider meinen Willen nötigte, diese Abschweifung zu machen.

368 (66.) Nachdem ich die Angelegenheiten von Tiberias geordnet hatte, berief ich meine Freunde zusammen, um zu beraten, was mit Joannes geschehen solle. Alle Galiläer waren der Meinung, man müsse mit der [65] gesamten Streitmacht gegen ihn ausrücken, um ihn als den Urheber der ganzen Empörung zur Strafe zu ziehen. 369 Ich billigte indes diesen Vorschlag nicht, weil ich beabsichtigte, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu dämpfen. Deshalb ermahnte ich sie, alles aufzubieten, damit wir die Namen der Anhänger des Joannes erführen. 370 Das gelang uns denn auch, und als ich die Leute genau kannte, veröffentlichte ich einen Erlass, in welchem ich allen Parteigängern des Joannes Begnadigung versprach, wenn sie Reue zeigten, auch eine Frist von zwanzig Tagen festsetzte, innerhalb deren sie sich zu ihrem Besten entscheiden könnten. Zugleich drohte ich ihnen, ich würde, wenn sie die Waffen nicht niederlegten, ihre Häuser in Flammen aufgehen lassen und ihre Güter einziehen. 371 Als sie dies hörten, erschraken sie nicht wenig und verliessen den Joannes. Gegen viertausend streckten die Waffen und gingen zu mir über. 372 Nur seine Mitbürger und einige Fremdlinge aus der Hauptstadt der Tyrier, im ganzen etwa tausendfünfhundert Mann, blieben bei ihm. So war Joannes denn endlich überwunden und hielt sich fortan eingeschüchtert in seiner Vaterstadt auf.

373 (67.) Um diese Zeit griffen die Sepphoriten wieder zu den Waffen, weil sie auf die Festigkeit ihrer Mauern pochten und mich mit anderen Angelegenheiten beschäftigt sahen. Sie schickten zu Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, und luden ihn ein, entweder selbst so schnell wie möglich zu kommen und ihre Stadt zu übernehmen, oder eine Besatzung zu schicken. 374 Gallus versprach zu kommen, setzte aber keinen bestimmten Zeitpunkt fest. Sobald ich dies erfuhr, zog ich mit meinen Leuten aus und nahm Sepphoris durch Überrumpelung. 375 Die Galiläer benutzten diese Gelegenheit, um ihren Hass gegen eine Stadt zu befriedigen, auf die sie sehr schlecht zu sprechen waren, und hatten nichts geringeres im Sinne, als die gesamte Einwohnerschaft, Bürger sowohl wie zufällig Anwesende, bis auf den letzten Mann umzubringen. 376 Sie steckten daher, sobald [66] sie eingedrungen waren, die Häuser in Brand, die sie sämtlich leer fanden, da die Bewohner sich aus Angst in die Burg zurückgezogen hatten. Hierauf plünderten sie alles und verübten an dem Eigentum ihrer Volksgenossen jede Art von Brutalität. 377 Das empörte mich gewaltig, und sogleich gab ich Befehl, damit einzuhalten, indem ich meinen Leuten vorstellte, wie schändlich es sei, in dieser Weise gegen Stammesgenossen zu verfahren. 378 Als aber weder Ermahnungen noch Befehle bei ihnen fruchteten, weil ihre Rachgier sich mächtiger erwies, liess ich durch meine Getreuen das Gerücht verbreiten, die Römer hätten mit grosser Heeresmacht die andere Seite der Stadt angegriffen. 379 Das that ich indes nur, um das Ungestüm der Galiläer zu brechen und Sepphoris zu retten. Die List gelang denn auch. 380 Als nämlich die Soldaten das Gerücht vernahmen, fürchteten sie für ihr eigenes Leben, liessen ihren Raub im Stich und flohen davon, zumal sie ihren Feldherrn dasselbe thun sahen. Denn um der falschen Nachricht Glauben zu verschaffen, stellte ich mich ebenso erschreckt, als sie selbst waren. Durch diese List ward Sepphoris unverhofft gerettet.

381 (68.) Auch Tiberias wäre von den Galiläern beinahe geplündert worden. Dort nämlich schrieben die Ersten des Rates an den König, er möge kommen und die Stadt besetzen. 382 Agrippa schrieb ihnen zurück und versprach, ihre Bitte zu erfüllen. Als Überbringer des Briefes schickte er seinen Kammerdiener Krispos, einen geborenen Juden. 383 Diesen Menschen nun erkannten meine Galiläer, nahmen ihn fest und führten ihn zu mir. Das ganze Volk ward durch die Nachricht von diesem Vorfall aufgebracht und eilte zu den Waffen. 384 Tags darauf kamen sie scharenweise nach Asochis, wo ich wohnte, machten einen fürchterlichen Lärm, nannten die Bewohner von Tiberias Verräter und Königsfreunde und schrien, man müsse hinuntergehen und die Stadt dem Erdboden gleich machen. Denn sie hassten die Tiberienser nicht minder wie die Sepphoriten.

[67] 385 (69.) Ich war in Verlegenheit, wie ich Tiberias dem Zorn der Galiläer entreissen sollte. Leugnen konnte ich nicht, dass die Tiberienser an den König geschrieben und ihn herbeigerufen hatten, denn der eigenhändige Brief, den er an sie gerichtet, bewies das aufs klarste. 386 Als ich geraume Zeit überlegt hatte, sprach ich: „Allerdings haben die Tiberienser unrecht gethan, das weiss ich wohl. Auch will ich euch nicht wehren, die Stadt zu plündern. Doch muss man einen solchen Schritt nur nach reiflicher Überlegung wagen. Denn nicht die Tiberienser allein haben unsere Freiheit verraten, sondern noch viele der angesehensten Männer in Galilaea. 387 Wartet also, bis ich die Schuldigen genau ermittelt habe; dann sollt ihr sie in eure Gewalt bekommen und noch dazu jeden, den ihr selbst ausfindig machen werdet.“ 388 Durch diese Vorstellungen gelang es mir, die Menge zu beschwichtigen: ihre Wut legte sich, und die Leute gingen auseinander. Den Boten des Königs hatte ich mittlerweile einkerkern lassen. Wenige Tage später jedoch schützte ich eine dringende Ursache vor, weshalb ich aus dem Gebiet verreisen müsse. Vor meinem Weggang rief ich nun den Krispos heimlich zu mir und riet ihm, den Mann, der ihn bewachte, betrunken zu machen und dann zum Könige zu entfliehen, indem ich ihm zugleich versprach, ihn nicht verfolgen zu lassen. 389 Krispos traute meinen Worten und entfloh. Durch meine List und Vorsicht entging also Tiberias zum zweitenmal der ihm drohenden Gefahr.

390 (70.) Um diese Zeit ging Justus, der Sohn des Pistos, ohne mein Vorwissen zum Könige über. Den Grund will ich sogleich angeben. 391 Zu Anfang des jüdisch-römischen Krieges hatten die Tiberienser beschlossen, dem Könige treu zu bleiben und von den Römern nicht abzufallen. Justus aber beredete sie damals, die Waffen zu ergreifen, teils aus Neuerungssucht, teils weil er hoffte, die Gewalt über Galilaea und seine Vaterstadt an sich reissen zu können. 392 Doch sein Plan schlug fehl: die Galiläer, welche den Tiberiensern schon lange [68] wegen gewisser Beleidigungen, die sie vor dem Kriege von ihnen erduldet hatten, abhold waren, wollten keinen Justus zum Anführer haben. 393 Auch ich war, nachdem mir der Gemeindevorstand zu Jerusalem die Statthalterschaft Galilaeas übertragen hatte, oftmals so sehr gegen ihn in Zorn geraten, dass ich ihn beinahe hätte töten lassen, weil ich seine Unverschämtheit nicht mehr ertragen konnte. Gerade deswegen nun, weil er fürchtete, ich möchte in meiner Erbitterung zur That schreiten, unterhandelte er mit dem Könige, bei dem er besser und sicherer leben zu können gedachte.

394 (71.) Als die Sepphoriten der ersten Gefahr unverhofft entgangen waren, schickten sie noch einmal zu Cestius Gallus und wiederholten ihre Aufforderung, schleunigst zu kommen und die Stadt in Besitz zu nehmen oder wenigstens eine Anzahl Truppen zu senden, die imstande wären, sie gegen feindliche Einfälle zu schützen. Schliesslich setzten sie es bei Gallus durch, dass er ihnen eine starke Abteilung Reiterei und Fussvolk schickte, welche sie bei Nacht einliessen. 395 Da nun die Umgegend, von den römischen Soldaten arg verwüstet wurde, zog ich mit meinen Truppen nach dem Dorfe Garis. Nachdem ich hier, zwanzig Stadien von Sepphoris entfernt, Verschanzungen aufgeworfen hatte, rückte ich zur Nachtzeit vor die Stadt und stürmte die Mauer. 396 Viele meiner Leute stiegen auf Leitern hinan und brachten den grössten Teil der Stadt in ihre Gewalt. Bald indes wurden wir, weil wir mit der Örtlichkeit nicht vertraut waren, gezwungen, uns zurückzuziehen, nachdem wir zwölf römische Fusssoldaten, zwei Reiter und einige Sepphoriten getötet, selbst aber nur einen einzigen Mann verloren hatten. 397 Am folgenden Tage wurden wir bei einem Zusammenstoss mit Reitern auf der Ebene geschlagen, jedoch nach tapferer Gegenwehr: denn erst als die Römer unsere Flanken zu umgehen drohten, räumten die Meinigen das Feld. In diesem Gefecht fiel einer meiner Leibwächter Namens Justus, der einst denselben Posten beim König bekleidet hatte. [69] 398 Um dieselbe Zeit traf auch die Streitmacht Agrippas, Reiterei und Fussvolk unter Sylla, dem Obersten der königlichen Leibgarde ein. Er lagerte sich fünf Stadien von Julias[31] und besetzte die Strassen, welche nach Kana und der Festung Gamala führten, um den Einwohnern dieser Städte die Zufuhr aus Galilaea abzuschneiden.

399 (72.) Kaum war mir dies gemeldet worden, als ich zweitausend Schwerbewaffnete unter Jeremias absandte. Sie warfen am Jordanfluss, ein Stadion von Julias entfernt, Verschanzungen auf, liessen sich jedoch bloss auf Plänkeln ein, bis ich selbst mit weiteren dreitausend Mann zur Stelle war. 400 Tags darauf legte ich nicht weit vom Lager der Königlichen einen Hinterhalt in eine Schlucht und bot dem Feinde das Treffen an, nachdem ich zuvor meinen Soldaten befohlen hatte, so lange zurückzugehen, bis die Gegner weit genug von ihrem Lager weggelockt wären. Und so geschah es. 401 Sylla meinte, es sei uns ernst mit der Flucht, und brach hervor, um uns mit Nachdruck zu verfolgen. Plötzlich aber griff ihn der Hinterhalt im Rücken an und brachte seine Truppen gänzlich in Verwirrung. 402 Gleichzeitig liess ich kehrt machen und warf mich mit allen meinen Streitkräften auf die Königlichen, die ich denn auch bald in die Flucht schlug. Ich hätte an jenem Tage einen schönen Erfolg zu verzeichnen gehabt, wenn mir nicht ein Unfall zugestossen wäre. 403 Das Pferd nämlich, welches ich ritt, sank an einer sumpfigen Stelle ein und warf mich zu Boden; mit einer Quetschung an der Handwurzel ward ich in das Dorf Kepharnome[32] gebracht. 404 Als meine Leute dies hörten, fürchteten sie noch Schlimmeres, liessen von der Verfolgung ab und kehrten in grösster Besorgnis um mich zurück. Ich liess Ärzte kommen und verblieb, weil ich Fieber hatte, in ihrer [70] Behandlung daselbst einen Tag; in der Nacht schaffte man mich dann auf ihren Rat nach Tarichaea.

405 (73.) Sylla und die Seinen fassten nun Mut, als sie von meinem Unfall Kunde erhielten, und da sie in Erfahrung gebracht hatten, dass die Bewachung unseres Lagers vernachlässigt werde, legten sie des Nachts eine Reiterabteilung jenseits des Jordan in einen Hinterhalt und forderten uns, sowie der Tag graute, zum Kampf heraus. 406 Wir nahmen das Treffen an und rückten in die Ebene vor; plötzlich aber erschienen die Reiter aus dem Hinterhalt, brachten die Juden in Verwirrung und trieben sie in die Flucht. Auf unserer Seite fielen sechs Mann; doch verfolgten die Königlichen den Sieg nicht weiter, denn da sie hörten, dass eine Anzahl Bewaffneter von Tarichaea nach Jerusalem übergesetzt sei, traten sie aus Angst den Rückzug an.

407 (74.) Bald darauf kam Vespasianus in Begleitung des Königs Agrippa nach Tyrus. Die Tyrier wollten nun den König anschwärzen, indem sie ihn als ihren und der Römer Feind hinstellten. Sein Befehlshaber Philippus, sagten sie, habe die Königsburg und die auf sein Ersuchen nach Jerusalem beorderten römischen Truppen verraten. 408 Vespasianus machte den Tyriern Vorwürfe, dass sie einen Mann verleumden wollten, der die Königskrone trage und ein Freund der Römer sei. Den Agrippa selbst aber forderte er auf, Philippus nach Rom zu senden, damit er dort wegen jener Vorfälle vor Nero Rechenschaft gebe. 409 Philippus wurde denn auch abgeschickt, aber von Nero, der über den eben erfolgten Ausbruch des Bürgerkrieges und anderer Unruhen sehr erregt war, nicht verhört und kehrte deshalb zum Könige zurück. 410 Als nun Vespasianus nach Ptolemais kam, erhoben die Zehnstädte Syriens laute Klagen wider Justus von Tiberias, dass er ihre Dörfer eingeäschert habe. Vespasianus übergab ihn dem König, damit er von dessen Unterthanen die gebührende Strafe für seine Frevel empfange. Agrippa aber begnügte sich damit, ihn einzukerkern, indem er diese seine Milde, wie oben [71] gesagt, vor Vespasianus verhehlte. 411 Die Sepphoriten zogen dem Vespasianus entgegen, hiessen ihn willkommen und erhielten eine Besatzung unter dem Kommando des Placidus. Den Streifzügen, welche diese Truppen in das Oberland unternahmen, folgte ich auf dem Fusse, bis Vespasianus in Galilaea einrückte. 412 Was sich nun zutrug, wie er bei Tarichaea das erste Treffen gegen mich schlug, wie wir von da uns nach Jotapata zurückziehen mussten, unter welchen Umständen ich gefangen, gefesselt und wieder befreit wurde, was ich im ferneren Verlaufe des Jüdischen Krieges und bei der Belagerung Jerusalems gethan: das alles habe ich in meiner Geschichte des Krieges ausführlich erzählt. 413 Nun glaube ich noch die Geschichte meines Lebens, soweit ich sie dort nicht aufgezeichnet habe, hinzufügen zu müssen.

414 (75.) Als ich zu Ende der Belagerung Jotapatas in die Hände der Römer gefallen war, wurde ich mit aller Sorgfalt bewacht, von Vespasianus aber in grossen Ehren gehalten. Auf seinen Befehl heiratete ich eine Landsmännin aus der Zahl der Gefangenen von Caesarea. 415 Sie blieb indes nicht lange bei mir, sondern verliess mich, als ich schon befreit war und mit Vespasianus nach Alexandria zog. 416 Von da wurde ich mit Titus zur Belagerung Jerusalems entsandt und geriet zu wiederholten Malen in Lebensgefahr, weil nicht nur die Juden mich aus Rache in ihre Gewalt zu bekommen suchten sondern auch die Römer jeden Verlust, den sie erlitten, meinem Verrat zuschrieben und vom Caesar verlangten, dass er mich als Verräter bestrafe. 417 Titus jedoch, der die Wechselfälle des Krieges zu gut kannte, schwieg zu diesen Klagen still und beschwichtigte dadurch die Aufregung seiner Soldaten. Nach der Einnahme Jerusalems forderte mich Titus oftmals auf, aus den Trümmern meiner Vaterstadt zu nehmen, was mir beliebe; denn gern wolle er mir alles gewähren. 418 Ich aber kannte nach der Niederwerfung meines Vaterlandes in dem Unglück, das mich betroffen, keinen süsseren Trost als die persönliche Freiheit von Mitbürgern, und erbat sie mir demgemäss [72] von Titus. Ferner erhielt ich durch seine Gnade die heiligen Schriften zum Geschenk. 419 Später erlangte ich durch meine Fürbitte die Freilassung meines Bruders und fünfzig anderer Männer, die mir sehr befreundet waren. Mit des Caesars Erlaubnis ging ich auch in den Tempel, wo eine grosse Menge gefangener Weiber und Kinder eingeschlossen war, und rettete alle, die ich als Angehörige meiner Freunde und Verwandten erkannte, hundertneunzig an der Zahl; ohne Lösegeld erhielten sie die Freiheit wieder. 420 Hierauf ward ich von Titus mit Cerealis und tausend Reitern in das Dorf Thekoa gesandt, um zu ermitteln, ob der Platz zu einem Lager tauglich sei. Auf dem Wege von dort sah ich wieder Gefangene, die am Kreuze hingen, und erkannte darunter drei meiner Freunde. Mit tiefem Schmerz und unter Thränen begab ich mich zu Titus und erzählte es ihm. 421 Sogleich liess er sie abnehmen und ihnen die sorgfältigste Behandlung angedeihen. Trotzdem starben zwei von ihnen während der Behandlung, der dritte aber ward gerettet.

422 (76.) Nachdem Titus den Unruhen in Judaea ein Ende gemacht hatte, wies er mir in der grossen Ebene Ländereien an als Ersatz für die Güter, die ich in der Nähe von Jerusalem besass und die, wie er wohl sah, keinen Wert mehr hatten, weil eine römische Besatzung dort zurückgelassen wurde. Auf der Rückreise nach Rom nahm er mich als Begleiter mit und erzeigte mir alle Ehre. 423 Als wir angelangt waren, hatte ich mich der besonderen Gunst des Vespasianus zu erfreuen: er gewährte mir Unterkunft in dem Hause, das er vor seiner Thronbesteigung bewohnt hatte, beschenkte mich mit dem römischen Bürgerrecht und wies mir ein Jahresgehalt an. Bis an sein Lebensende dauerte seine Gnade gegen mich ununterbrochen fort. Dieses Glück aber regte den Neid gegen mich auf und brachte mich in Gefahr. 424 Ein Jude Namens Jonathas, der in Kyrene einen Aufruhr angezettelt und zweitausend Einwohner [73] dazu verleitet hatte, war noch nicht zufrieden damit, diese Leute ins Verderben gestürzt zu haben, sondern sagte auch, als er von dem dortigen Statthalter gefesselt nach Rom geschickt wurde, aus, ich hätte ihn mit Waffen und Geld unterstützt. 425 Vespasianus aber merkte, dass er log, verurteilte ihn zum Tode und liess ihn hinrichten. Und so oft auch nachher von Leuten, die mir mein Glück neideten, Anklagen gegen mich erhoben wurden: jedesmal entging ich ihnen durch Gottes Fügung. Von Vespasianus erhielt ich ebenfalls ansehnliche Ländereien in Judaea. 426 Um diese Zeit trennte ich mich von meiner Gattin, weil mir ihr Wandel nicht gefiel, obwohl sie schon Mutter dreier Söhne geworden war, von denen zwei gestorben sind und nur der dritte, den ich Hyrkanus nannte, noch lebt. 427 Bald darauf nahm ich eine geborene Jüdin aus Kreta zur Frau, die Tochter sehr edler und angesehener Eltern, die, wie ihr nachheriges Leben bewies, sich durch reine Sitten vor vielen Weibern auszeichnete. Von ihr habe ich zwei Söhne, den älteren Justus, den jüngeren Simonides mit dem Beinamen Agrippa. 428 So viel über mein Familienleben.

Mein Verhältnis zu den Imperatoren blieb dasselbe. Titus, der nach dem Tode des Vespasianus zur Regierung gelangte, hielt mich ebenso in Ehren wie sein Vater, und auch er wollte von Anklagen, die des öfteren gegen mich erhoben wurden, nichts wissen. 429 Sein Nachfolger Domitianus überhäufte mich gleichfalls mit Gunstbezeugungen. Die Juden, die mich verklagt hatten, bestrafte er, und den Erzieher meines Sohnes, einen verschnittenen Sklaven, der gegen mich als Angeber auftrat, liess er hinrichten. Ausserdem gewährte er mir für meine Besitzungen in Judaea Steuerfreiheit, was für denjenigen, dem sie zu teil wird, die höchste Auszeichnung ist. Auch seine Gattin Domitia blieb fortan meine Wohlthäterin.

430 Dies ist meine ganze Lebensgeschichte; meinen Charakter mögen andere danach beurteilen, wenn sie es [74] für gut finden. Dir aber, trefflicher Epaphroditos‚[33] übergebe ich meine dir gewidmete Schrift über die Archaeologie und schliesse hiermit meine Erzählung.


  1. J. A. XIII, 5, 9; Jüd. Krieg II, 8.
  2. Der stoische Monotheismus war aber in Wirklichkeit Pantheismus, und zwar ein recht materialistisch gefärbter.
  3. 53–61 n.Chr.
  4. Statt Gessius ist nach Jüd. Krieg II, 19 hier wie im folgenden zu lesen: Cestius.
  5. Obgleich nirgends von einer Gemahlin Agrippas II. die Rede ist, geht doch aus dieser Stelle hervor, dass er verheiratet war. Nolde (genealog. Tafel bei Haverkamp II zu p. 337) irrt also, wenn er ihn ἄγαμος nennt.
  6. Die Schwester des Königs.
  7. In der Geschichte des Jüdischen Krieges (ΙΙ, 18, 6) heisst er Noarus.
  8. Jüd. Krieg ΙΙ, 18, 6: Antiochia.
  9. Gemeint ist nicht die medische Hauptstadt E., sondern Ekbatana oder Agbatana auf dem Karmelgebirge, das heutige Haifa (vergl. Herodot III, 64; Plinius, Naturgesch. V, 17). Wegen der Bezeichnung „babylonische Juden“ vergl. Jüd. Altert. XVII, 2, 1ff.
  10. Jüd. Krieg II, 18, 6. Vergl. Jost, Geschichte der Juden II, Anhang, S.88ff.
  11. Vgl. hierzu Bärwald, a. a. O. S. 36ff.
  12. Dieses Dorf ist heute unbekannt.
  13. Ein Sextar = ½ Liter.
  14. Eine Drachme = 79 Pfg.
  15. S. die Anmerkung auf Seite 294 meiner Uebersetzung des „Jüdischen Krieges“. WS: Vgl. Jüdischer Krieg II 614.
  16. Jüd. Krieg II, 21, 6.
  17. In den „Jüd. Altertümern“ und im „Jüd. Kriege” heisst die Stadt Taricheae.
  18. Auf einer Hügelreihe im Norden der Ebene Jezreël gelegen, das heutige Dorf Semûnieh.
  19. Heute unbekannt.
  20. Nach Jüd. Krieg II, 21, 3 war es Ptolemaeus selbst.
  21. Vergl. die etwas abweichende Darstellung Jüd. Krieg II, 21, 5.
  22. Josephus will andeuten, dass Justus allen Grund habe, die Galiläer zu hassen, und dass er gut thun würde, sich ihm anzuschliessen. – Vor σωφρόνως ist nach Josts Vorgang οὐ eingeschoben.
  23. Vergl. Abschnitt 11. Batanaea = Ekbatana.
  24. Heute unbekannt.
  25. Arbela, dem heutigen Irbid, gegenüber liegen die Felsenhöhlen von Kulat Ibn Ma’an, welche, ein natürliches Bollwerk bildend, wiederholt in Kriegszeiten eine Rolle spielten (vergl. besonders Jüd. Krieg I, 16, 2ff.).
  26. Grenzort des Stammgebietes Aser im Nordosten Palaestinas, heute das Dorf Kabul, vier Stunden südöstlich von St. Jean d’Acre.
  27. 8 Uhr abends.
  28. Dasselbe wie Gabara.
  29. Ein jetzt noch unbekannter Ort.
  30. Siehe unter Dekapolis im Namenregister zum Jüd. Krieg.
  31. D.i. Livias.
  32. Das biblische Kapharnaum oder Kapernaum an den Grenzen der Stämme Zabulon und Nephthali, heute die Ruinen von Tell Hum.
  33. Da das Leben des Josephus jedenfalls nach dem Jahre 100 geschrieben wurde, so kann dieser Epaphroditos, dem ausser den Altertümern und der Selbstbiographie auch die Schrift gegen Apion gewidmet ist, nicht der bekannte Freigelassene Neros gewesen sein, wie vielfach angenommen wird; denn dieser war, als Josephus das „Leben“ schrieb, schon längst tot (s. Sueton., Domitian 14 und Nero 49).
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