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Der versteinerte Wald

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Autor: W. Belka
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Titel: Der versteinerte Wald
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Abenteuerromanzyklus, welcher die Bändchen 89–96 umfaßt. Handlungsort ist Arabien.
Band 95 der Romanreihe Erlebnisse einsamer Menschen.
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[I]
95. Band. Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.
95. Band Erlebnisse einsamer Menschen Preis 15 Pf.


Der versteinerte Wald.
Ganz plötzlich brauste ein Wolkenbruch herab.


[1]
(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)


Der versteinerte Wald.
W. Belka.


1. Kapitel.
Durst …!

Leise klangen die Glöckchen der Reitdromedare, leise ließ der Wind den an den Abhängen der Hügel abwärts getriebenen feinkörnigen Sand rauschen und raunen von all den Märchen, die diese große Halbinsel seit Beginn unserer Zeitrechnung miterlebt hatte, dieses seltsame Land Arabien, von dem aus einst Mohammed seine neue Religionslehre mit Feuer und Schwert weiterverbreitet hatte, aus dessen weiten Wüsten unzählige gewappnete Scharen plündernd ihren Weg gen Westen genommen, an dessen Grenzen die Kalifen in Bagdad in zauberhaften Prunk geherrscht hatten …

Der Mond war soeben aufgegangen, streute sein mildes Licht über das Sandmeer aus, über die felsigen, kahlen Höhen, die steinigen, ausgetrockneten Flußtäler – auch über die im Schritt sich langsam vorwärtsquälende Schar von Reitern, die matt und abgehetzt irgend einem Ziele zustrebte.

[2] „Wasser – nur Wasser, nur einen Tropfen!“ murmelte einer der letzten des Zuges, ein kleiner, dicker Mann, dem ein wirrer, rötlicher Bart das feiste, jetzt so verfallene Gesicht umrahmte. Er murmelte die Worte wie im Halbschlaf vor sich hin. Undeutlich kamen sie über die rissigen, blutenden Lippen. Und doch hatte sie sein Nachbar verstanden, der gerade seinem oftmals vor Schwäche stolpernden Reittiere den Hals aufmunternd klopfte.

„Lieber Bolz, haben Sie Geduld“, sagte er freundlich tröstend. „Ali Mompo und Paul Loring sind ja weit voraus, um nach Wasser zu suchen.“

Doktor Wallner, seines Zeichens Chemiker, glaubte freilich selbst kaum noch an eine Rettung vor dem drohenden Dursttode. Doch – wozu sollte er anderen die Hoffnung nehmen?! Glücklich, wer noch hoffen konnte nach diesen fünf Tagen, in denen wütende Sandstürme fast ohne Unterbrechung getobt und die Luft in einen Regen prickelnder Körnchen verwandelt hatten …!

Der kleine Dicke, dessen äußere Erscheinung ihn im deutschen Vaterlande jedem Polizeibeamten verdächtig gemacht haben würde, erwiderte auf des Chemikers aufmunternden Zuspruch nichts, sondern stöhnte nur leise. Seine einstmals weiß gewesene, jetzt arg beschmutzte und zerrissene Schirmmütze war ihm tief in die Augen gerutscht. Die Lider hatte er halb geschlossen. Alles war ihm gleichgültig – alles, – bis auf den einen Gedanken: Wasser – Wasser …! –

Hinter diesem Paare ritt auf einem besonders hochbeinigen Dromedar eine recht wunderliche Gestalt, ein Mann mit einem endlos langen Hals, der aus dem früher goldgestickten Kragen einer Diplomatenuniform herausragte. Dieser Kragen schimmerte jetzt leicht grünlich, und wenn man zu diesem Obergewand noch den breitrandigen, unechten Panama dazu nahm, so brauchte man das darunter befindliche Gesicht des ungarischen Mausfallenhändlers Janos Preszöni gar nicht mehr näher zu betrachten. Der dürre Mensch bildete auch so schon eine höchst komische Figur.

Rechts von dem Ungar, den eine Laune des Schicksals [3] hier nach Arabien verschlagen hatte, ritt Doktor Pinkemüller, eine kleine, sehnige Gestalt, bekannt als kühner Forscher und vertraut mit dem halben Erdenrund wie mit seiner eigenen Tasche. Daneben trabte ein Wolfshund, ein kräftiges Tier mit feingezeichnetem Kopf; leider zeigte das langhaarige Fell nur allzu viele völlig kahle Stellen, was den Gesamteindruck recht ungünstig beeinflußte.

Doktor Pinkemüller hatte die tröstenden Worte des Chemikers ebenfalls verstanden und sagte jetzt nach einer Weile zu dem kleinen Dicken:

„Bolz, – wollen mir wetten: noch vor Tagesanbruch können Sie sich gehörig satt trinken. Ali Mompo, unser wackerer Somali, und Paul Loring sind gerade die geeignetsten, uns aus dieser üblen Patsche herauszuhelfen.“

Pinkemüller kannte Bolz’ Wettleidenschaft nur zu gut und glaubte ihn durch dieses Angebot etwas aufrütteln zu können. Doch der Kleine, allgemein der rote Knirps (seiner Haarfarbe und Kleinheit wegen) genannt, blieb stumm.

Da ertönte plötzlich von vorn, wo vier Reiter eng nebeneinander sich hielten, ein lauter Ruf:

„Sie kommen – sie kommen!“

Und gleich darauf eine helle, noch etwas knabenhafte Stimme:

„Man merkt’s ihren Tieren an, daß sie Wasser gefunden haben …!“

Der Zug machte halt und zwar auf der Spitze einer langgestreckten Sandwelle, von wo aus man einen weiten Überblick nach allen Seiten hatte, da das Mondlicht im Verein mit den unzähligen Sternen eine Beleuchtung abgab, die der eines Tages bei dunkel bewölbtem Himmel beinahe gleichkam.

Sehr rasch näherten sich die beiden auf Wassersuche ausgeschickten den gespannt ihnen entgegenschauenden Gefährten.

Der vorderste Reiter, ein langaufgeschossener, mit einem Lederanzug bekleideter Knabe von vielleicht fünfzehn Jahren, schwenkte jetzt mit freudigem „Alles in [4] Ordnung!“ seine kurze Büchse, zügelte dann sein Dromedar und ließ es sofort niederknien. –

Die bilden brachten acht gefüllte Wasserschläuche mit, die gerade genügten, um die Lebensgeister von Mensch und Tier neu anzufachen.

Dann berichtete Paul Loring, wie und wo sie auf das ersehnte Naß gestoßen wären …

„Ali Mompo hatte ganz recht, als er, nachdem der Wind nach Ost gedreht hatte, vorschlug, wir sollten unseren Dromedaren die Zügel freigeben. Tatsächlich muß die veränderte Luftströmung unseren Reittieren die Witterung frischen Wassers zugeführt haben. Plötzlich setzten sie sich in langen Trab, und eine halbe Stunde später näherten wir uns einem felsigen, hügeligen Gelände, in dessen Mitte eine sandige Ebene eingeschlossen liegt. Schon von weitem erkannten wir, daß in dieser Ebene eine kleine Oase sich befand. Unsere Tiere rasten dann förmlich darauf zu … So entdeckten wir einen leibhaftigen Quell wundervoll kühlen Wassers, entdeckten aber gleichzeitig noch etwas …“

Paul Loring wollte noch mehr hinzufügen. Aber es sollte nicht sein …

Ali Mompos scharfe Augen hatten nach Nordwesten zu, also in der Richtung, woher der Haupttrupp soeben gekommen war, mehrere sich bewegende Punkte entdeckt.

Sein warnender Zuruf brachte eine allgemeine Aufregung hervor. Doktor Pinkemüller riß schnell sein Fernglas aus dem Futteral.

„Ah – so sind wir doch verfolgt worden!“ meldete er. „Es sind Beduinen, – mindestens vierzig Mann! Und wenn mich nicht alles täuscht, halten sie sich genau auf unserer Fährte …“

Eine kurze Beratung folgte, dann setzte die kleine Karawane sich wieder in Bewegung, jetzt im Eiltempo, während Ali Mompo den Führer spielte, um den Trupp nach jener Oase hinzugeleiten, die im Süden in etwa drei Meilen Entfernung zu suchen war.

Nur zwei der Reiter blieben auf dem Höhenkamm zurück: Doktor Pinkemüller und Paul Loring, weil sie [5] außer dem Somali am besten mit den Schlichen der Beduinen und den besonderen Verhältnissen der Wüste vertraut waren.

Pinkemüller hatte an dem frischen, mutigen Knaben, mit dem ihn ein wunderbares Spiel des Zufalls vor Wochen hier im Nordostteil Arabiens, in der Wüste el Khali, zusammengeführt hatte, längst Gefallen gefunden.

„Mein Junge, wir dürfen uns nicht verhehlen, daß unsere Lage ziemlich kritisch ist“, sagte er jetzt, indem er sein Dromedar ein Stück zurück brachte und ihm dann die Vorderbeine leicht zusammenband. „Unsere Tiere sind übermüdet. Unsere Verfolger aber dürften Dromedare reiten, die uns jeder Zeit einholen können. So ungern ich daher auch von meiner Büchse Gebrauch mache: hier müssen möglichst viele der feindlichen Reittiere daran glauben.“

Gleich darauf lagen die beiden Deutschen oben auf dem Hügel nebeneinander mit schußfertigen Gewehren.

Doch – von den Beduinen war nichts mehr zu sehen – nichts, so oft der Doktor auch mit seinem Glase das Gelände absuchte.

„Die Geschichte gefällt mir nicht“, meinte er nach einer Weile. „Wenn sich unser alter Gegner Ibrahim ben Garb unter den Verfolgern befindet, müssen wir mit irgend einer Teufelei rechnen. Dieser schlaue Wüstenräuber, dessen Ruf von Suez bis Aden, von Maskat bis Bagdad reicht, auf den die englische und türkische Polizei mit gleichem Eifer es abgesehen haben, ist klüger als wir alle zusammen. Er hat uns Rache geschworen! Und was ein solcher Schwur bei einem Beduinen bedeutet, weiß ich nur zu gut!“


[6]
2. Kapitel.
Die Pilzfelsen.

Die zehn Reiter, deren Bekanntschaft wir soeben gemacht haben, hatten vor einer Woche im Dschebel el Dachali, den gefürchteten Bergen des Todes oder auch stummen Bergen, wie die Araber diesen Ausläufer des Randgebirges des Sultanats Oman nennen, mit Teilen eines Beduinenstammes einen bösen Strauß bestanden, die braunen Wüstensöhne entwaffnet und dann den Weg nach der Südküste Arabiens quer durch die endlosen Einöden angetreten.

Daß sich gerade dort im Dschebel el Dachalt acht Deutsche, ein Ungar und ein Somali-Mischling (denn Ali Mompo war kein reinblütiger Neger) zusammengefunden hatten, ist eine Geschichte für sich. Jedenfalls waren die Reisenden bisher der Hoffnung gewesen, daß die Iringi, jener Beduinenstamm, mit dem sich ein Engländer namens Shlook und der berüchtigte Ibrahim verbündet hatten, von einer Verfolgung würden Abstand nehmen müssen, [7] weil sie weder Waffen noch Reittiere besaßen. Nun aber hatte es sich heraus gestellt, daß die im Dschebel el Dachali Überrumpelten fraglos sehr bald nach ihrer Freilassung einem anderen Trupp der Iringi begegnet und von diesem mit allem Nötigen ausgerüstet worden sein mußten. –

Nach diesem kurzen, für den Leser notwendigen Überblick über die früheren Erlebnisse der acht Deutschen hier in Arabien (siehe das vorige Heftchen: Die Schätze des Wahhabiten) kehren wir zu Doktor Pinkemüller und Paul Loring zurück.

Der Doktor wartete noch etwa fünf Minuten. Als er dann noch nichts von den Verfolgern erspäht hatte, erklärte er, man müsse jetzt schleunigst dem Haupttrupp folgen, da man sonst Gefahr laufe abgeschnitten zu werden.

Wie richtig er vermutet hatte, zeigte sich sehr bald. Die Iringi waren im Bogen um den Höhenkamm herumgeritten, hatten also ohne Zweifel die Verfolgten ebenfalls bemerkt und sofort geargwöhnt, daß ihnen ein Hinterhalt gelegt werden könnte. – Als der Doktor und Paul Loring jetzt auf ihren ein wenig ausgeruhten Dromedaren in schnellster Gangart sich einer vereinzelten Felsgruppe näherten, verriet ihnen eine Bewegung hinter mächtigen Steinblöcken, daß es ratsam wäre, diesem Orte auszuweichen.

Kaum befanden sie sich dann mit den Felsen auf einer Linie, als hinter diesen zehn Beduinen hervorsprengten, während sich auch der Weg nach Süden versperrt zeigte.

Der Ausgang dieser Jagd auf die beiden Deutschen konnte nicht lange zweifelhaft bleiben. Der Kreis der Verfolger schloß sich immer enger zusammen. Nur eine Lücke gab es noch nach Westen hin. Hätten der Doktor und Paul Loring Reittiere gehabt, die noch ebenso frisch waren wie die der Beduinen, dann würden sie es vielleicht auf ein Wettrennen haben ankommen lassen. So aber war daran gar nicht zu denken. Trotzdem rief Pinkenmüller jetzt dem Knaben zu, indem er auf einige recht seltsam geformte Felsen deutete:

„Wir müssen versuchen, jene verwitterten Steine dort [8] vor unseren Verfolgern zu erreichen. Das ist unsere einzige Rettung – vorläufig!“

Die beiden Dromedare, angefeuert ihr Letztes herzugeben, stoben davon. Auf der Gegenseite war sofort die Absicht der Umzingelten erkannt worden, und auch hier schossen die hochbeinigen Tiere wie die Windsbraut vorwärts.

Der Doktor hatte von verwitterten Steinen gesprochen. Dies war insofern nicht ganz zutreffend, als der Ausdruck „Steine“ leicht ein falsches Bild von der Größe der drei Felskolosse geben kann, die da einsam dicht nebeneinander aus dem Wüstensande hervorragten und denen die abschleifende Kraft des feinkörnigen Sandes und die Verwitterung ganz besondere Formen gegeben hatten.

Riesigen Pilzen glichen diese acht Meter hohen und ebenso breiten Steingebilde. Vor Jahrtausenden mochten sie mal ein einziger gewaltiger Felsblock gewesen sein. Dann hatte allmählich die Insolation, die Zerbröckelung einzelner Stellen infolge der Temperaturunterschiede zwischen Tageshitze und nächtlicher Abkühlung, ihr Zerstörungswerk begonnen, hatte auch der vom Winde gepeitschte Wüstensand dabei mitgeholfen und schließlich diese drei steinernen Pilze entstehen lassen, die, etwa als gleichseitiges Dreieck angeordnet, zwischen ihren flachen Pilzhüten nur wenig freien Zwischenraum hatten und es gestatteten, daß man bequem von einem Pilz auf den anderen springen konnte.

Die ersten Zeichnungen dieser Wüstenpilze verdanken wir dem bekannten Forscher G. Schweinfurth. Er ist es auch, der uns genauen Aufschluß über die zerstörende Kraft der Insolation und über die Schleifarbeit des Wüstensandes gegeben hat. Auch an den berühmten Pyramiden von Gizeh kann man diese Wirkungen deutlich wahrnehmen. Die Gelehrten sprechen jedoch, wenn sie des Vernichtungswerkes der Insolation gedenken, daneben stets auch von der Deflation, d. h. von den Wirkungen des Windes, die die durch Insolation zerbröckelten Gesteinteile entführt und tiefe horizontale Spalten in die Felsen gräbt. [9] – Der Doktor und Paul Loring hätten nun die Pilzfelsen nie erreicht, wenn ersterer sich nicht dazu entschlossen haben würde, in dieser kritischen Lage seine bewährte Büchse ein Wort mitreden zu lassen.

Es ging eben nicht anders: die vordersten der Beduinen mußten aus dem Sattel! – Aber Pinkemüller, der in vollem Jagen schoß, hatte es nur auf die Tiere abgesehen.

Der blecherne Klang seiner Gasbüchse ließ sich viermal vernehmen. Es waren bei dieser unsicheren Beleuchtung geradezu Meisterschüsse. Die getroffenen Dromedare machten noch ein paar weitausholende Sprünge und kugelten dann in den Sand. Die Beduinen selbst hatten sich schon vorher gewandt aus dem Sattel gleiten lassen.

Drüben bei den braunen Reitern gab es ein kurzes Stocken. Dies genügte den beiden Deutschen. Sie drängten ihre Reittiere zwischen die Pilzfelsen hinein, und dank der Rückenhöhe der Dromedare und den Spalten und Zacken der Pilzhüte gelang es ihnen auch, sich auf diese hinaufzuarbeiten.

Abermals ein paar Schüsse … jetzt beteiligte sich auch Paul Loring an der Abwehr des feindlichen Ansturms. Noch fünf der wertvollen Dromedare mußten daran glauben. Dann zog der Gegner sich in respektvolle Entfernung zurück.

Die Oberfläche der Pilzhüte sah stellenweise wie oxydierter Stahl aus. Tatsächlich bildet sich unter bestimmten Bedingungen auf der Oberschicht hochragender Felsen oft eine vollständige Rinde, die aus einem Gemenge von Kieselsäure, Tonerde und hauptsächlich Mangan- und Eisenoxyden besteht.

Der Doktor machte seinen Gefährten auf diese chemische Umwandlung des Gesteins aufmerksam und deutete dann auf ein tiefes Loch mitten in dem Hute des einen Pilzfelsens, wo wieder die Verwitterung recht weit vorgeschritten war.

„Dort, mein Junge, wirst Du vielleicht flache Steinstücke finden“, meinte er. „Sieh zu, ob Du ein paar losbrechen kannst. Sie sollen uns als Brustwehr dienen.“

[10] Dann sprang er geschickt auf den nächsten Pilz hinüber, dessen Oberfläche im Gegensatz zu der der beiden anderen sich kuppelartig wölbte.

Von den Beduinen war jetzt nichts mehr zu sehen. Aus Angst vor des Doktors weittragender Büchse hatten sie sich scheinbar ganz zurückgezogen. Scheinbar …! Das wußte Pinkemüller sehr gut. Und voller Sorge dachte er daran, was werden sollte, wenn erst der Mond wieder verschwunden war und die Dunkelheit es dem Feinde gestatten würde, unbemerkt sich anzuschleichen und auch ihrerseits das Feuer zu eröffnen. Viele dieser verwegenen Beduinen waren ja ohne Zweifel mit modernen Gewehren versehen. Die langen Flinten hatte der Doktor kaum gefürchtet, da diese Vorderlader sehr schlecht schießen.

Nachdem Pinkemüller seinen Rundgang um die Außenseiten der drei Pilzfelsen beendet hatte, gesellte er sich dem Knaben lieber zu, mit dem er nun beriet, wie man am besten aus dieser Patsche heraus könnte.

Wir müssen vor Tagesanbruch weit fort sein“, sagte er. „Sonst – – sonst gebe ich für unser Leben keinen Dreier!“

„Fort …?! Aber wie, Herr Doktor?!“ warf Paul nachdenklich ein. „Uns kann nur eine List helfen. Wenn wir zum Beispiel …“

Das, was er vorbrachte, gefiel Pinkemüller so sehr, daß er ganz begeistert rief:

„Junge, dieser Gedanke ist mindestens so gut wie Deine Idee, auch einmal den „Herrn mit dem dicken Kopf“ zu spielen. Der Ingenieur Tümmler hat mir davon erzählt, und ich habe weidlich gelacht – wirklich so gelacht, wie lange nicht!“ (Vergl. Heft 90 dieser Sammlung, wo unter dem Titel „Der Gespensterlöwe“ auch Paul Lorings Löwenabenteuer geschildert sind.)

„Nur einige Stöcke oder dergleichen brauchen wir für diese Täuschung“, meinte der Junge nun eifrig. „Dort unten zwischen den Pilzstielen wuchern zum Glück verschiedene strauchähnliche Pflanzen.“

„Ganz recht. Es sind Exemplare von Calligonum comosum. Sehr interessante Gewächse übrigens. Du wirst [11] Mühe haben, sie abzuschneiden. Sie umgeben sich nämlich mit einem förmlichen Panzer aus Sandkörnchen, um die Verdunstung der in ihnen enthaltenen Wasserteilchen zu erschweren.“

Gleich darauf ließ sich Paul an dem Burnus des Doktors von dem Pilzfelsen herab und schnitt eine ganze Menge von kräftigen Zweigen ab, die nachher durch Stücke des Burnus zu besonders geformten Gestellen zusammengebunden wurden. Diese erhielten Überzüge aus dem Stoff des Mantels und ähnelten – freilich recht entfernt nur! – menschlichen Oberkörpern. – –

Zwei Stunden später war es Zeit … Der Mond mußte sofort hinter einer dichten Wolkenbank verschwinden.

Pinkemüller und Paul führten die Dromedare ins Freie – gerade in dem Augenblick, als das bleiche Mondlicht der nächtlichen Wüste völlig entzogen wurde.

Der Doktor hatte schon zwei der stachligen Früchte von Calligonum bereitgehalten, klemmte sie den Reittieren unter die Schwänze, und alsbald rasten die Dromedare wie besessen davon, nachdem sie erst noch einige Male wütend ausgekeilt hatten.

In den Sätteln der Tiere aber schienen die beiden Deutschen zu sitzen – schienen …! Und wirklich: die Beduinen hielten diesen plötzlichen Vorstoß, für einen verwegenen Durchbruchsversuch der Eingeschlossenen. Schüsse knallten, lauter Lärm erhob sich; dann wurde alles still …




[12]
3. Kapitel.
Versteinertes Holz.

Der Doktor und Paul krochen zunächst auf allen Vieren in der jetzt herrschenden Dunkelheit nach entgegengesetzter Richtung davon.

Erst als sie merkten, daß der Weg frei war, richteten sie sich auf und schlugen einen kurzen Trab an, schwenkten bald nach Süden ein, um den Gefährten zu folgen.

Nach einer knappen Viertelstunde erreichten sie ein tiefes, felsiges Wadi (ausgetrocknetes Flußbett), wanderten an dessen Rand entlang und hätten hier vielleicht einen sich ihnen darbietenden glücklichen Umstand verpaßt, wenn nicht Paul Loring auf den schwachen Feuerschein aufmerksam geworden wäre, der drüben an der anderen Talseite zwischen ein paar Felsen hervorleuchtete.

Vorsichtig schlichen sie näher. In einer Mulde lagerten hier an einem schwachen Feuer sechs Leute, – – darunter [13] Ibrahim ben Garb und sein englischer Freund Shlook.

Das Beste aber: sechs Reitdromedare und vier Lastkamele weideten etwa fünfzig Meter abseits die dürren Gräser ab. Bei ihnen befand sich nur ein einzelner Wächter, den der kleine, sehnige Doktor schnell und lautlos unschädlich machte und mit Hilfe Pauls knebelte und fesselte. – – –

Sehen wir uns jetzt nach den übrigen acht Verfolgten um. – Bevor wir dies tun, sollen unsere Leser aber noch kurz über das Wesen eines versteinerten Waldes unterrichtet werden.

So sehr auch die Felsen der Wüste durch die vorhin geschilderte Insolation in ihrer äußeren Form verändert werden, so wenig wieder vermag die Verwitterung durch Temperaturschwankungen den verkieselten Hölzern anzuhaben. Diese entstehen durch Eindringen von Kieselsäure in das von Luft abgeschlossene Holz, wodurch allmählich eine völlige Verwandlung der ursprünglichen Masse in harten Stein erzielt wird. Tiefgreifende Veränderungen der Oberschichten der Erde können dann diese verkieselten Baumstämme wieder an das Tageslicht fördern. Solche versteinerten Bäume, besonders Nadelhölzer, findet man überall auf der Erde, auch in der Wüste, so zum Beispiel in der Nähe von Kairo, wo versteinerte Stammstücke von 25-27 Meter Länge das Staunen der Reisenden hervorrufen, zumal diesen verwandelten Hölzern ihre einstige Beschaffenheit als stolzer Nadelbaum noch deutlich anzusehen ist.

Ali Mompo, der Somali, und Paul Loring hatten nun das seltene Glück gehabt, auf ihrem Ritt nach Wasser einen ganzen versteinerten Wald zu entdecken.

Und diesem Walde aus verkieselten Hölzern, der durch das Verschwinden der ihn einst begraben habenden Sandmassen wieder aufgetaucht war, strebten die acht Reiter weiter unter Ali Mompos Führung zu.

Etwa zu derselben Zeit, als die beiden Zurückgebliebenen ihre letzten Vorbereitungen für ihre List trafen, langten die anderen nach scharfem Ritt bei dem versteinerten Walde an.

[14] Da der Mond das seltsame Bild dieses Haines von runden, teilweise zehn Meter hohen Steinsäulen noch genügend beleuchtete, waren die vielfachen Ausrufe der Überraschung vollkommen gerechtfertigt.

Aus dem Wüstensande wuchsen hier einige hundert Stämme hervor, die eine Fläche von etwa zweihundert Meter Breite und doppelter Länge bedeckten, während in der Mitte in einem freien Raume die Natur eine bescheidene Oase hervorgezaubert hatte, dazu, wie schon vorher erwähnt, eine Quelle klaren, kühlen Wassers.

Es war nicht ganz leicht, bis an die Oase vorzudringen, da der versteinerte Wald sie wie ein Palisadenzaun umschloß. Hauptsächlich an der Außenseite dieses merkwürdigen Haines waren zahlreiche Stämme umgestürzt und bildeten förmliche Verhaue von riesigen Abmessungen. An anderen Stellen wieder standen diese Überreste eines stolzen Koniferenhains so dicht, daß sie einem Menschen das Durchschlüpfen unmöglich machten.

Ali Mompo jedoch fand mit seinem feinausgebildeten Ortssinn sofort die Stelle, wo er und Paul Loring vorhin bis an den Quell gelangt waren. Dieser bildete einen kleinen Teich, um den herum in der feuchten Erde sich die verschiedensten Wüstenpflanzen angesiedelt hatten, sogar ein Dutzend Dattelpalmen, ferner die höchst seltsamen Welwitsch-Gewächse, die ihren eigenen Blumentopf sozusagen sich schaffen, dazu sehr lange, am Boden hinkriechende, schwertartige Blätter haben und außer Blütenzweigen noch einen hochragenden Kern besitzen, der wie ein Ballen Moos aussieht.

Die Reiter stiegen ab. Sofort drangen die Dromedare nach dem Teiche hin, schlürften gierig das Wasser und wurden dann an einer grasigen Stelle zum Weiden an einige der Dattelpalmen gebunden.

Auch die Männer hatten sich an dem kühlen Naß gelabt, standen nun im Kreise zusammen, kauten Dörrfleisch und kalten, gequollenen Reis dazu und berieten, was weiter geschehen solle.

Wie immer war auch jetzt der rote Knirps mit dem Mundwerk vorweg, bis sein College Kurz (beide waren [15] Kaufleute und zuletzt in Bombay bei einer Weltfirma tätig gewesen) ihm über den Schnabel fuhr …

„Still, Knirps! Du redest nieder Makulatur letzter Güte!“ sagte er halb scherzend. Viele Worte zu machen war nicht seine Art. Seine Freunde, der Ingenieur Tümmler besonders, nannten ihn daher auch Kürze-Würze … „In der Kürze liegt die Würze“ gehörte eben zu des breitschulterigen großen Mannes Lieblingsredensarten.

Der dicke Bolz hatte die Lage der kleinen Karawane in seinen Äußerungen nämlich sehr leicht genommen. Er war, obwohl Vorsicht bei ihm als bester Teil der Tapferkeit galt, der Überzeugung, daß man sich die verfolgenden Beduinen ohne Mühe vom Halse halten würde, daß Doktor Pinkemüller und Paul Loring sehr bald sich wieder einfinden und die weitere Entwicklung der Dinge einen durchaus günstigen Verlauf nehmen würde.

Weit ernster dachten der Ingenieur Tümmler und Ali Mompo über diese abermalige Begegnung mit den alten Widersachern, und Ring, der andere Ingenieur, und Doktor Wallner teilten diese Auffassung durchaus.

Die größte Sorge hatte man um das Ergehen der beiden freiwillig Zurückgebliebenen. Dann aber auch mußte man sich darüber schlüssig werden, ob die Reise nach Südwesten zur Küste hin sofort wieder angetreten oder ob man hier erst einige Tage rasten und frische Kräfte sammeln sollte.

Man kam zu keiner Einigung, beschloß dann, das Eintreffen Pinkemüllers abzuwarten, der von allen wohl am vertrautesten mit dem Innern Arabiens und den Sitten, Eigentümlichkeiten und Schlichen der braunen Bewohner war.

Inzwischen hatte die dunkle Wolkenwand den Mond verschluckt. Die Dunkelheit lastete jetzt mit dichten Schleiern über der Erde, und trotz der Möglichkeit ein Lagerfeuer anzuzünden, durfte man es doch nicht wagen. So lagerte sich denn alles mit Ausnahme des Somali und Heinz Brennerts, des Neffen Doktor Wallners, an einer grasbewachsenen Stelle dicht am Rande des Teiches und suchte den Schlaf herbeizuzwingen, um für alle Fälle [16] möglichst erfrischt den kommenden Ereignissen gegenübertreten zu können.

Ali Mompo und Heinz Brennert hatten sich erboten, die Wache bis zum Morgengrauen zu übernehmen. Sie durchschritten den versteinerten Wald und machten zunächst einmal die Runde um den ovalen Hain der verkieselten Stämme. Ihre Augen gewöhnten sich bald an die Dunkelheit, die hier draußen doch nicht so tief war wie in der engen Oase.

Da die beiden Gefährten, deren Rückkehr so sehnsüchtig erwartet wurde, von Norden kommen mußten, ebenso auch schlimmsten Falles die Verfolger, schritten der Somali und der hochgewachsene Jüngling einem Sandhügel zu, von dessen Spitze sie die Umgebung leidlich überschauen konnten. Hier warfen sie sich der Länge nach auf den weichen Boden und begannen, um sich munter zu erhalten, zu plaudern.

Heinz brachte das Gespräch auf die Goldschätze, die man in jenem Tale gefunden hatte, dessen Lage ein alter Wahhabit (Anhänger eines reformierten Mohhammedanismus) dem Chemiker Doktor Wallner und dem Ingenieur Ring verraten hatte.

Dieses Gold, zumeist in Barren von etwa zwanzig Pfund Gewicht, hatte man in einer Grotte des Tales nach längerem Suchen entdeckt und dann gleichmäßig unter die zehn Mitglieder der Karawane verteilt. Erst als vor drei Tagen infolge des Wassermangels die Reittiere diese wertvollen Lasten außer den Reitern nicht mehr schleppen konnten, waren die ganzen Goldschätze in einer Vertiefung eines steinigen Hügels vorläufig verborgen worden. Nur vorläufig, – denn es war beschlossene Sache bei den Gefährten, die Barren später mit Hilfe einer gut ausgerüsteten Expedition zurückzuholen.

Heinz meinte nun zu dem Somali, daß die Möglichkeit immerhin vorläge, die Beduinen könnten das Versteck ausfindig gemacht haben. – Ali Mompo widersprach. – „Wir haben alle Spuren, die darauf hindeuteten, daß ein paar von uns die Spitze jenes steinigen Hügels erklommen haben, auf das sorgfältigste verwischt“, sagte [17] er. „Das Gold Kir Balis wird uns nicht verloren gehen.“ (Vergleiche Nr. 94 dieser Sammlung – „Die Schätze des Wahhabiten“).

Dann schwiegen sie wieder eine Weile, lauschten auf die nächtlichen Stimmen der Wüste und ließen die Augen suchend umherschweifen.

Heiseres Kläffen und Heulen der Schakale und der Fenneks (Wüstenfüchse) ertönten bald näher, bald ferner. Dazu hörten die beiden einsamen Wächter noch das schrille Zwitschern des Wüstensperlings, der oft in ganzen Schwärmen vorüberzog. Große Eidechsen huschten über den Sand, stießen pfeifende Laute aus und verschwanden blitzschnell wieder. Dazu säuselte der Wind leise um die säulenartigen Überreste des Jahrtausende alten Waldes, den die beiden Wachtposten im Rücken hatten.

Träge schlich die Zeit hin. Im Osten zeigte sich bereits der erste Schimmer des anbrechenden Tages, als Tümmler und Ring erschienen, um die Gefährten abzulösen. Doch weder Ali Mompo noch Heinz wollten etwas hiervon wissen. Sie blieben trotz der freundschaftlichen Ermahnung Rings, der ihnen riet, sich lieber auszuruhen.

Es wurde heller und heller. In kurzem mußte die Sonne erscheinen.

Da – gerade als der Somali und Heinz nun doch noch ein paar Stunden in der Oase schlafen und den Hügel verlassen wollten, tauchten die Erwarteten, mehrere Lastdromedare mit sich führend, auf und zwar in einer Gangart, die darauf schließen ließ, daß der Feind ihnen dicht auf den Hacken war.

Kaum war Pinkemüller in Rufweite, als er auch schon brüllte:

„Macht den Wald zur Verteidigung fertig! Die braunen Halunken sind in zwanzig Minuten hier.“




[18]
4. Kapitel.
Im versteinerten Walde belagert.

Das Tagesgestirn erschien über dem Horizont. Zunächst als heller, runder Fleck mit verschwommenen Rändern, da im Osten ein fahler Dunststreifen lagerte.

Das Lager der deutschen Flüchtlinge war gerade noch rechtzeitig alarmiert worden. Die von Nordwesten heransprengenden Beduinen, die in blinder Wut nur auf die Spuren der beiden Verfolgten geachtet hatten und ihre Beute schon sicher zu haben glaubten, rissen ihre Reittiere schnell herum, als zwischen der äußeren Reihe der steinernen Palisaden plötzlich die zehn Insassen der Oase hervortraten und drohend die Gewehre anlegten.

Kein Schuß fiel. Es sollte kein Blut fließen. Wenigstens vorläufig nicht. Die Deutschen hofften auch so mit den Gegnern fertig zu werden, obwohl sie sich sagen mußten, daß sie ihre Lage wesentlich verbessert hätten, wenn sie einen Teil der Feinde kampfunfähig gemacht haben würden. – Nur ein einziger der zehn hatte gegen [19] diese Schonung von Leuten, die selbst kein Erbarmen kannten, kopfschüttelnd Widerspruch erhoben, und zwar der Somali, der sich selbst gelegentlich mit gewissem Stolz als „gut Deutsches“ bezeichnet hatte, weil er lange Zeit auf einer Farm in Deutsch-Ostafrika gearbeitet und dort auch einige deutsche Brocken aufgeschnappt hatte.

„Zu viel sehr gute Herz haben“, meinte Ali Mompo immer wieder. „Nicht für Wüste taugen, nicht für Iringi – gar nicht taugen …!

Aber es blieb wie beschlossen: die Beduinen wurden fürs erste nur zurückgeschreckt.

Eine halbe Stunde später hatten sie den versteinerten Wald in weitem Umkreise umzingelt. Bald hier bald dort tauchen die Kopftücher der braunen Steppenräuber in der Ferne hinter den Bodenwellen auf.

Die auf diese Weise in der kleinen Oase Belagerten waren sich bald über den Plan einig geworden, wie man die rachelüsterne, von dem Engländer Shlook hauptsächlich aufgehetzte Gesellschaft loswerden könnte.

Paul Loring hatte auch hier wieder bewiesen, daß er nicht umsonst jahrelang einsam in der Wüste den Gespensterlöwen gespielt und sich, ganz allein auf seine eigene Unerschrockenheit und Tatkraft angewiesen, Fertigkeiten angeeignet hatte, wie sie nur ein in der Wildnis Aufgewachsener besitzen kann.

„Ich verstehe mich gut aufs Anschleichen“, hatte er zu den Gefährten gesagt. „Wenn die Dunkelheit hereinbricht, werde ich versuchen, die Reittiere der Iringi zu entführen, die sie doch sicher auf einem Platze vereinigt haben. Und dieser Ort kann nur dort im Norden hinter den Hügeln liegen, wo wir auf dem Herritt die Talmulde mit der leidlich guten Weide antrafen.“

Dies war der erste Anstoß zu dem später nach allen Richtungen hin genau erwogenen Plane. Gleich darauf hatte Doktor Pinkemüller eine Art Plattform, die durch drei mit den Spitzen aneinander gelehnte Steinsäulen gebildet wurde, erstiegen und mit Hilfe seines Fernrohres festgestellt, daß das eigentliche Lager der Iringi sich wirklich in jenem kleinen Tale befinden mußte. Die [20] an einem Orte vereinten Dromedare fortzubringen und dadurch dem Feinde eine schnelle Verfolgung unmöglich zu machen, mußte bei einiger Vorsicht und List wohl gelingen. Dann aber konnte man geschlossen nach irgend einer Himmelsrichtung hin den Kreis der Einschließenden urplötzlich durchbrechen und brauchte nicht zu befürchten, die braune Bande sofort wieder auf den Fersen zu haben.

Der Plan war einfach und versprach Erfolg. Leider sollte dann aber die zuversichtliche Stimmung in der Oase kaum drei Stunden später nach der schlechten Seite hin umschlagen.

Die Gefährten hatten sich auf dem Beobachtungsstand abgewechselt. Die Reihe war gerade an dem dicken Karl Bolz gewesen, als von Nordwesten her, durch das Glas deutlich erkennbar, ein langer Zug von Reitern und Lasttieren sich dem Orte näherte, wo man das Lager der braunen Feinde vermutete.

Der rote Knirps hatte die anderen auf seine Beobachtung sofort durch aufgeregtes Fuchteln seiner Arme hingewiesen, und Ali Mompo, der die besten Augen besaß, nahm dann des Dicken Platz ein und wußte gleich darauf bestimmt zu melden, daß es sich fraglos um den Hauptteil des Stammes der Iringi handelte, der dort im Anmarsch sei, da in der Ferne auch noch große Staubwolken das Nahen von Herden, die auf den steinernen Wald zu getrieben wurden, anzeigten.

„Iringi mit Kind, Weib, Schaf, Ziege – alles, was haben!“ erklärte der Somali, indem er sich mißlaunig den Schädel kratzte.

Pinkemüller entfuhr ein; „Na – das fehlte gerade noch!“ Und der Bergingenieur Ring wieder meinte zu Paul Loring: „Schade, mein Junge, nun ist Dein schöner Plan zu Wasser geworden!“ –

Die Verstärkung, die der Gegner erhalten hatte, betrug nach Pinkemüllers Schätzung etwa zweihundert wehrfähige Männer.

„Zu viel für uns zehn – viel zu viel!” sagte der kleine, sehnige Doktor recht düsteren Tones. „Ich fürchte, [21] ich fürchte … wenn hier nicht ein Wunder geschieht, dann … dann …!“ Und er faßte sich an den Hals und machte die Bewegung des Schneidens.

Der rote Knirps fühlte sein fettes Hasenherz sofort ein paar Stockwerke tiefer rutschen, mochte aber seine Angst nicht eingestehen und suchte den Tollkühnen zu spielen.

Er stand gerade auf einer kuppelförmigen Sandanhäufung, die zwischen der Oase und dem östlichen inneren Rande des versteinerten Waldes mit noch achtzehn ähnlichen kleinen Hügeln sich erhob, die schon vorhin die Aufmerksamkeit der Deutschen erregt hatten, ohne daß jedoch einer von ihnen die Zeit sich genommen hätte, diese Sandkuppeln näher zu untersuchen.

Nun sollte die geheuchelte Unerschrockenheit des Dicken hier zu einer ganz besonderen Entdeckung führen.

Der Knirps spielte den Mutigen, stampfte mit dem rechten Fuß tüchtig auf und rief dabei:

„Sie sollen nur kommen, und wenn es tausend …“

Da stieß er einen Ruf des Schreckens aus, denn mit einem Male hatte der Boden unter seinen Füßen nachgegeben, und er war bis zu den Hüften in eine Höhlung eingesunken, die hier nur mit einher dünnen Deckschicht von Sand und einem anderen Material überwölbt gewesen war.

Schleunigst rappelte sich der rote Knirps wieder auf, indem er laut zeterte. „Ich versinke – ich versinke – helft, – helft!“

Sein Gesicht war so bestürzt, daß die anderen lachen mußten. Nur Pinkemüller, als Kenner der Wüste und ihrer Eigentümlichkeiten lachte nicht, zog vielmehr den Dicken mit einem Schwung heraus und bückte sich dann selbst über das Loch, richtete sich sofort wieder auf und sagte:

„Unser Freund Bolz hat, wenn auch unfreiwillig, die Erklärung dieser Sandkuppeln gefunden. Es sind ausgetrocknete Kamelkadaver, die hier liegen und die der Wüstensand allmählich zugedeckt hat. In eines dieser hohlen Gerippe ist unser Gefährte hineingefallen.“

[22] Mehr aus Neugier als in der Annahme, hier etwas Besonderes unter dem Sande hervorzugraben, machten die beiden Jüngsten der Deutschen, Heinz Brennert und Paul Loring, sich ganz unaufgefordert sogleich an die Arbeit und suchten die Überreste des Tieres freizulegen. Dann rief Heinz plötzlich: „Ah – hier – hier –! Hier ist noch eine der Traglasten des toten Wüstenschiffes, – – hier die zweite!“

Es waren längliche Kisten, die jetzt aus dem Sande hervorgezogen wurden. Sie zeigten sich gut erhalten, und der Hüne Kurz, genannt Kürze-Würze, hatte sehr bald die Deckel losgesprengt und einen langen, runden Gegenstand, der offenbar sehr schwer und dick in geölte Leinwand gehüllt war, herausgehoben.

Auch diese Hülle fiel. Und der weit über einen Zentner schwere Gegenstand entpuppte sich als … ein altmodisches Kanonenrohr.

Die Szene war jetzt mit einem Schlage wie verwandelt. Alles regte die Hände, um auch die übrigen Sandkuppeln zu untersuchen, unter denen dann nach einer viertel Stunde acht Geschützrohre von etwa 1½ Meter Länge, zehn Fäßchen Schwarzpulver und gegen hundert gegossene Vollkugeln, die genau zu dem Rohrkaliber paßten, zum Vorschein kamen.

Doktor Pinkemüller konnte es sich auch jetzt nicht verkneifen, eine längere Erklärung über diesen Fund abzugeben.

„Natürlich hat irgend ein geschäftstüchtiger weißer Händler vor langen Jahren einmal mit diesen alten Donnerbüchsen den Sultan von Oman anschmieren wollen“, sagte er, als hielte er einen wissenschaftlichen Vortrag. Dann knüpfte er hieran weitschweifige Erörterungen über die mutmaßliche Herkunft der Kanonen, über den Samum (gefürchteter Wüstensturm), dem die Handelskarawane zum Opfer gefallen sein mußte, und über die Vorteile, die der Besitz dieser unmodernen Kanonen bieten würde.

„Die Verstärkung, die der Feind erhalten hat, wird durch die Geschütze ausgeglichen“, meinte er. „Es dürfte [23] uns nicht schwer fallen, für diese Rohre Lafetten, wenn auch primitivster Art, herzustellen. Wir haben fünf Handbeile zur Verfügung, und damit läßt sich schon eine der Dattelpalmen fällen und zu starken Brettern zerspalten. – Doch dies dürfte mehr die Aufgabe unserer Herren Ingenieure sein.“

Worauf Fritz Tümmler erklärte, zunächst müßte man doch wohl untersuchen, ob das Pulver noch zu gebrauchen wäre, – eine Äußerung, die die hoffnungsfrohen Gesichter der Umstehenden recht lang werden ließ. Taugte das Pulver nichts mehr, so waren die Geschützrohre eben wertlos. – –

Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Soeben war eine Abordnung der Iringi, die als Parlamentäre erschienen waren und freien Abzug angeboten hatten, falls die eingeschlossenen all ihre Waffen und die entführten Lastkamele auslieferten, unverrichteter Sache wieder abgezogen. Doktor Pinkemüller hatte ihnen erklärt, daß er den Beduinen nur raten könnte, schleunigst diese Gegend zu verlassen, da es ihnen sonst recht übel ergehen würde, eine Drohung, die die Unterhändler nur mit höhnischem Grinsen hinnahmen.

Es war ganz offensichtlich, daß die Iringi sich vor einem offenen Angriff fürchteten und daß sie durch Hinterlist die Waffenlosen in ihre Gewalt hatten bringen wollen, denn ihre Zusage freien Abzugs hätten sie nie gehalten.

Jedenfalls mußte man ihnen jetzt durch die Kanonen, die inzwischen schußfertig gemacht, ihnen aber nicht gezeigt worden waren, einen so großen Schreck noch vor Einbruch der Dunkelheit einjagen, daß sie vor einem nächtlichen Überfall aus Scheu vor starken Verlusten zurückbebten.

Die acht Geschütze waren so verteilt worden, daß ihre Mündungen nach dem fernen Lagerplatz der Feinde hinter[1] dem Sandhügel hinwiesen. Zuerst wurden acht Probeschüsse abgegeben. Die Vollkugeln gingen sämtlich zu kurz. Die zweite Salve hatte bereits eine von der Spitze des Ausgucks deutlich zu beobachtende Wirkung. Der [24] Somali meldete von oben, daß mehrere wildgewordene Dromedare drüben umhergaloppierten.

Die dritte Salve ließ die Iringi in toller Hast das Lager mindestens ein Kilometer weiter nach rückwärts verlegen.

„Wir können mit dem Erfolg zufrieden sein“, meinte Pinkemüller schmunzelnd. „Die Bande wird sich hüten, uns offen anzugreifen. Das wagen sie nie im Leben!“

„Alles ganz schön!“ sagte Doktor Wallner, der Chemiker, bedächtig. „Wenn sie es nun aber darauf anlegen, uns auszuhungern?! Die braunen Schufte sollen ja in solchen Fällen eine unglaubliche Hartnäckigkeit und Geduld besitzen. Dann können wir hier wochen-, vielleicht monatelang im versteinerten Walde die Belagerten spielen, bis … der letzte Kamelknochen benagt ist.“

Die Meinungen der anderen waren geteilt. Ali Mompo pflichtete jedoch Doktor Pinkemüller bei, der auf Grund seiner genauen Kenntnis der Charaktereigentümlichkeiten der Beduinen gleichfalls behauptet hatte, die Iringi würden alles versuchen, die Eingeschlossenen zu überwältigen, und wenn dies Monate hinausgeschoben werden müßte.




[25]
5. Kapitel.
Ein guter Schuß.

Die nächsten Wochen schienen diesen beiden Männern und ihrer Überzeugung von der zähen Geduld der Iringi Recht geben zu wollen. Tag um Tag verging, und der Feind blieb, indem er sich lediglich darauf beschränkte, durch eine Kette von Wachen den versteinerten Wald beobachten zu lassen. Immerhin standen diese Wachen nachts so dicht, daß an einen unvorhergesehenen Durchbruchsversuch nicht zu denken war.

Zu Beginn der vierten Woche erklärte Pinkemüller dann, daß irgend etwas geschehen müsse, bevor die Dromedare, die jetzt kaum noch genügend Futter in der kleinen Oase fänden, ganz kraftlos geworden wären.

Aufs neue wurde daher der Gedanke an einen gewaltsamen Durchbruch erwogen. Und abermals erbot sich Paul Loring jetzt, den Versuch wagen zu wollen, den Beduinen den größeren Teil ihrer Reittiere zu entführen. Nach langem Hin und Her wurde dieses opferfreudige [26] Angebot angenommen und gleichzeitig jede Einzelheit des Planes festgelegt, bei dem die Kanonen eine große Rolle spielen sollten.

Elf Uhr war’s, als der mutige Knabe an dem Ingenieur Tümmler vorbei ins Freie schlüpfte, der gerade an dem nordwestlichen Außenrand die Wache hatte. Es war eine ziemlich dunkle Nacht. Im Süden stand eine dicke Wolkenwand, in der es zuweilen hell aufleuchtete. Ein Gewitter drohte. Dies konnte für das kühne Unterfangen nur von Vorteil sein.

Tümmler hatte dem Knaben fest die Hand gedrückt mit einem kurzen: „Gott schütze Dich, mein Junge!“ – Die schlanke Gestalt verschwand schnell in der Dunkelheit. Der Ingenieur ahnte nicht, unter welch seltsamen Umständen er den kleinen Gefährten wiedersehen sollte.

Das Gewitter kam näher und näher. Die Batterien des Himmels eröffneten ihr Feuer. Ganze Bündel von Blitzen zerrissen wie feurige, sich jagende Schlangen das pechschwarze Firmament. Dabei fiel zunächst auch nicht ein einziger Tropfen Regen. Ganz plötzlich brauste nun aber ein Wolkenbruch herab, wie ihn selbst Pinkemüller in der Wüste noch nicht erlebt hatte. Der kleine Forscher war gerade nach Süden zu durch den versteinerten Wald hindurchgetappt, um den dort Wache haltenden Janos Preszöni abzulösen, als diese Wassermassen herabzustürzen begannen. Der Ungar hatte sich hinter zwei dicht aneinander gelehnte verkieselte Stämme gestellt, um so wenigstens etwas Schutz zu finden. Nur durch einen Zufall entdeckte ihn Pinkemüller hier, und beide Männer standen nun eng beieinander und starrten wortlos aus ihrem Schlupfwinkel heraus auf diesen dichten Vorhang dicker, nicht endenwollender Regenschnüre, die sich von oben stets aufs neue abzurollen schienen, – ohne Unterlaß, ohne verringerte Heftigkeit.

Dann fuhren sie beide erschrocken zusammen.

In das eintönige Brausen der herabflutenden Wasser hatte sich ein dumpfer Knall gemischt, – noch einer – – drei – vier –, etwa wie eine unregelmäßige Salve.

„Ich hab’s befürchtet“, meinte der Doktor. „Die [27] Iringi sind schlau genug gewesen, diese Gelegenheit zu benutzen. Ein Überfall …! – Vorwärts, Janos, – hin zur Oase! Wir dürfen die anderen nicht im Stiche lassen!“

Eilig tappten sie hindurch durch den toten, Jahrtausende alten Wald. Ihre Anzüge trieften vor Nässe. Kaum die Hand war vor Augen zu sehen. Kein Wunder, daß sie sich verliefen, daß sie zu spät gewahr wurden, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben.

Als sie endlich den kleinen Teich vor sich hatten, als gleichzeitig der Wolkenbruch aufhörte und sofort eine matte Helle die Umgebung erkennen ließ, sahen sie sich einer ganzen Horde von Beduinen gegenüber, die wie die Teufel auf sie einstürmten. Gegenwehr hätte die Sachlage nur verschlimmern können. Pinkemüller rief dem Ungar daher zu: „Werfen Sie Ihre Buchse weg!“ und tat auch schon dasselbe. Ruhig duldete er dann, daß drei Iringi ihn zu Boden rissen und fesselten. – –

Zwei Stunden später.

Unter den Dattelpalmen der Oase im versteinerten Walde brannten sechs große Feuer. Einige fünfzig Beduinen ritten hin und her, schlugen hier ihre Zelte auf – als Sieger. Am Rande des Teiches lagen nebeneinander neun Männer; Arme und Füße waren ihnen durch Lederriemen zusammengebunden.

Vor dem Bergingenieur Ring, den Ibrahim ben Garb soeben zu sitzender Stellung aufgerichtet hatte, hockten der berüchtigte Wüstenpirat und der Engländer Shlook.

Der Engländer spielte mit einem Revolver in nicht mißzuverstehender Weise. Sein Gesicht strahlte vor höhnischem Triumph.

„Das Blatt hat sich gewendet, verd… German (Deutscher)“, sagte er mit ingrimmiger Freude. „Heraus mit der Sprache! Wo sind die Goldschätze des Wahhabiten? Weigerst Du Dich, den Ort anzugeben, wo Ihr sie versteckt habt, blase ich Dir auf der Stelle ein Stück Blei ins Gehirn.“

Einige Iringi kamen herbei. Ibrahim jagte sie grob fort.

Ring zuckte die Achseln.

[28] „Such’ die Schätze! Dann hast Du sie – wenn Du sie findest!“ erwiderte er fest.

Shlook hob den Revolver. Da flüsterte ihm Ibrahim schnell ein paar Worte zu, worauf die beiden edlen Genossen sich zu dem dicken Bolz hinbegaben, um bei diesem ihr Glück zu versuchen.

Der rote Knirps hätte nun vielleicht wirklich das Versteck aus Angst vor dem Revolver verraten, wenn er sich nicht zu sehr vor den Gefährten geschämt haben würde. Nur deshalb blieb auch er fest.

Shlook schäumte jetzt vor Wut. In diesem Zustande bot er einen geradezu lächerlichen Anblick dar. Mit den gefletschten Zähnen in der weit vorgebauten Mundpartie und dem borstigen, tief in die Stirn gewachsenen braunroten Kopfhaar wirkte er wie ein böser Gorilla, der jeden Augenblick in seiner Raserei gefährlich werden kann.

Und dieser Augenblick kam.

Shlook rannte auf den Ingenieur Ring wieder zu, indem er gleichzeitig den mit dem Revolver bewaffneten rechten Arm hob.

„An Dich halte ich mich jetzt, deutscher Halunke!“ brüllte er. „Du hast dem Wahhabiten das Geheimnis entlockt! Du mußt mir das Gold ausliefern! Ich zähle bis drei! Erfahre ich bis dahin nicht die Wahrheit, so schieße ich Dich über den Haufen … Gib acht, – ich beginne … Eins …“

Ring zuckte mit keiner Wimper.

„Zwei …“

Die Sekunden schlichen. Man sah, daß Shlook zielte – genau auf des Ingenieurs Stirn.

Ring lächelte verächtlich …

Die Umstehenden – denn es hatte sich jetzt ein Halbkreis von Beduinen um die Gruppe gebildet – erwarteten jeden Moment das verhängnisvolle Wort.

Sonderbar war es, das Ibrahim sich nicht einmischte, wo er doch vorhin dem Engländer von jeder Gewalttat abgeraten hatte. Die dunklen Augen des stattlichen, ja man konnte fast sagen männlich-schönen Wüstenräubers eilten seitwärts nach den versteinerten Stämmen hin – [29] nicht zum erstenmal …! Dort war, wohl nur für seine scharfen Augen sichtbar, der Lauf einer Büchse, ohne daß der Schütze zu sehen war, gerade auf Shlook gerichtet …

Und dann geschah das, was nur Ibrahim hatte vorausahnen können …

Der Knall eines Schusses, in mehrfachem Echo zurückgeworfen, ließ aller Köpfe herumfahren. Nicht des Engländers Revolver war losgegangen, – nein, – Shlook ließ vielmehr die Waffe fallen und warf sich gleichzeitig lang zu Boden, indem er förmlich kreischend vor Schmerz und vor bis zum Übermaß gesteigerter Wut rief:

„Man hat auf mich geschossen … mein Handgelenk … mein Handgelenk …! Es kann nur der dreimal verd… Junge gewesen sein, der Loring …! Auf, – greift ihn – vorwärts – vorwärts!“

Doch Paul Loring hatte sich längst wieder in Sicherheit gebracht. Alles Suchen war umsonst. Er blieb verschwunden. –

Als Ibrahim gemerkt hatte, daß der deutsche Knabe mit seiner Kugel nur halbe Arbeit getan, murmelte er enttäuscht vor sich hin: „Schade – ich wäre den weißen Hund so gern auf diese Art für immer losgeworden!“

Jetzt saß er neben Shlook am Rande des Teiches und half ihm die böse Wunde kühlen. Die Kugel war gerade durch das rechte Handgelenk gegangen. Daß dieses für immer steif bleiben und den Briten halb zum Krüppel machen würde, unterlag keinem Zweifel.

Merkwürdig genug war es, daß der Engländer durch diese Verletzung innerlich jetzt sehr verwandelt schien. Er kümmerte sich um die Gefangenen kaum mehr, saß insichgekehrt da und hatte wohl noch immer damit zu tun, den furchtbaren Schreck zu überwinden, der ihm in die Glieder fuhr, als gleichsam eine höhere Einmischung einen feigen Mord verhinderte. – –

Der Tag ging zur Rüste. Am nächsten Morgen wollten die Beduinen weiter nach Westen ziehen, wo ihre Kundschafter ein paar fette Weideplätze, die infolge starker Gewitterregen schnell entstanden waren, festgestellt hatten.

[30] Die Abenddämmerung kam. Im Osten drohte eine violett-schwarze Wolkenwand mit unangenehmen Überraschungen für die Nacht.

Die Gefangenen lagen oder saßen noch an derselben Stelle dicht nebeneinander. Sie wurden kaum bewacht. Hatten doch die Iringi rings um den versteinerten Wald eine dichte Postenkette ausgestellt, da alles dafür sprach, daß Paul Loring sich noch innerhalb des Gewirrs der verkieselten Stämme verborgen hielt. Wie sollten also wohl die neun so sicher Gefesselten entkommen können …?!

Gegen Mitternacht brach urplötzlich ein gewaltiger Sturm los. Ungeheure Massen emporgeschleuderten Sandes verfinsterten die Luft …

Kaum hatte sich diese sonderbare Finsternis auch über die Oase ausgebreitet, als Doktor Pinkemüller merkte, wie sich ein menschlicher Körper dicht an den seinen schmiegte. Dann vernahm er des tollkühnen Knaben Stimme …

„Ich zerschneide jetzt Ihre Fesseln, Herr Doktor. Bleiben Sie aber noch ganz still sitzen und verständigen Sie die anderen, daß alle sich nachher fest an den Händen halten. Ich werde diese Kette dann führen …“

Zwei Minuten noch …

Lautlos glitt nun eine Schlange von zehn Leuten davon, – lautlos und ungehindert, – verschwand in dem versteinerten Walde, während das Heulen des Sturmes noch von der hellen Stimme des Vorbeters der Iringi übertönt wurde, der gellend um Allahs Schutz flehte für die Reittiere, die draußen in der Wüste dem Unwetter preisgegeben waren …

Dann wieder eine andere Stimme, – als der Sturm urplötzlich nachließ und die Sterne am Firmament wieder sichtbar wurden.

„Auf – auf Ihr Söhne der Iringi! Die Gefangenen sind entflohen …!“

Ibrahim war’s, der die Gebete des Beduinen also zum Schweigen brachte.

Ein wildes Hin- und Herrennen begann. Aber bereits fünf Minuten darauf hatte der gewandte Räuber Ordnung in die planlose Suche der Beduinen gebracht.

[31] Mond und Sterne halfen den Iringi. Es war jetzt, nachdem der Sandsturm vorüber, fast taghell geworden. Doch – wie vorhin bei der Jagd auf den sicheren Schützen, der den Engländer für immer gezeichnet hatte, hatte die Verfolgung der Fliehenden keinerlei Ergebnis. Es schien als ob die Windsbraut die zehn Leute entführt hätte …

Ibrahim war jetzt einer der eifrigsten beim Suchen. Er hatte es sich bereits so schlau ausgemalt, wie er für die Gefangenen hohe Lösegelder von den deutschen Behörden in irgend einer arabischen Küstenstadt erpressen wollte, wie er es auch durch Hunger erzielen wollte, daß einer der nunmehr auf so rätselhafte Art Entwichenen das Versteck des Goldes verraten würde …

Ein neuer Tag zog heran. Ihm folgten noch vier weitere, die die Iringi hauptsächlich dazu verwandten, ihre vor dem Sturme geflüchteten Dromedare wieder einzufangen.

Dann rüstete der Beduinenstamm zum Aufbruch. Fünfzehn Dromedare waren verschwunden. Und die Iringi nahmen an, daß die zehn Gefangenen mit Hilfe dieser Tiere trotz des Orkanes ihnen für immer entschlüpft wären. – –

Zwei Stunden, nachdem die Staubwolke des abziehenden Stammes am westlichen Horizont immer kleiner geworden war, betraten Paul Loring und Ali Mompo vorsichtig die Oase, spähten argwöhnisch umher und ließen dann erst die Gefährten gleichfalls ins Freie treten.

Der Somali hatte indessen den Ausguck erklettert und meldete, daß die Feinde tatsächlich abgezogen seien.

Wie Verschmachtete stürzten die Erlösten nun auf den Teich zu, schöpften mit den hohlen Händen das lauwarme und doch so köstliche Naß und gewannen schnell ihre alte Spannkraft nach diesen Tagen der Entbehrungen zurück. – – –

Im Rahmen dieser Erzählung die letzten Abenteuer der zehn noch zu schildern, ist unmöglich. Wir wollen aber schon hier verraten, daß einige Wochen später in Aden [32] eine fröhliche Gesellschaft auf der Terrasse des Hotels vereinigt war, die bei einem Glase deutschen Schaumweins das glückliche Entrinnen aus den vielfachen Gefahren der Wüste el Chali feierte.

Wie es Paul Loring glückte, die Gefährten zu befreien, wo die zehn sich bis zum Abzuge der Beduinen verborgen gehalten hatten und wie die Schätze Kir Balis, des Wahhabiten, doch noch mit nach Aden genommen werden konnten, erfahren unsere Leser im nächsten Heft.


Ende.


     Der nächste Band enthält:



Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.



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