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ADB:Zschokke, Heinrich

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Artikel „Zschokke, Heinrich“ von Johann Jakob Bäbler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 449–465, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zschokke,_Heinrich&oldid=- (Version vom 12. November 2024, 22:02 Uhr UTC)
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Zschokke: Johannes Heinrich Daniel Z. wurde am 22. März 1771 zu Magdeburg geboren, und war schon nach sieben Wochen mutterlos. Der Vater war Altmeister der Tuchmacherinnung und hatte sich zumal im siebenjährigen Kriege durch Tuchlieferungen an die preußischen Heere ein nicht unbeträchtliches Vermögen erworben. Er ließ seinen Jüngsten so ziemlich ohne Aufsicht heranwachsen, beobachtete an ihm aber so ungewöhnliche Anlagen, daß er beschloß, ihn zum Gelehrten zu machen. Allein er starb schon 1779. Der Oheim Andreas, ebenfalls ein Tuchmacher, gab sich Mühe, den losen Knaben einzudämmen und allmählich einer wissenschaftlichen Laufbahn zuzuführen. Aber weder Kleist’s Frühling noch Clavierunterricht erzielten die gewünschte Sammlung – und am Ende ergab es sich, daß Heinrich in der Schule zum Kloster Unserer Lieben Frauen am Schlusse des Jahres nichts gelernt hatte. Er wechselte Wohnung und Schule; eine Schwester nahm ihn zu sich und führte ihn der reformirten Schule zu. Hier lernte er die Elemente des Lateinischen. Aber seine Phantasie weidete sich an den Erzählungen eines alten Taglöhners von eigenen Seefahrten, von Robinson Crusoe, von Robert Pierrot und der Felsenburg. Leihbibliotheken vervollständigten, was dem alten Manne an Kenntnissen abging und die Begierde, auch einmal Schiffbruch zu leiden, arbeitete so stark in ihm, daß er sich segelfertig zu machen beschloß und ein besonderes Tagebuch [450] zu führen anfing. Auf einen so leicht erregbaren Geist konnte der Religionsunterricht nicht ohne Folgen bleiben. Freilich wenn er über die gewöhnlichen Formeln und Begriffe weg tiefer fragen wollte, fand er nur lachendes Erstaunen. Von aller Welt zurückgestoßen suchte er in seinem Innern eine befriedigende Ruhe; er schrieb seine Klagen an den Geist des Vaters nieder und so entsprangen seine ersten poetischen Versuche, welche er den Kirchenliedern oder Brockes’ „Irdischem Vergnügen in Gott“ nachbildete. Der Confirmationsunterricht und mystisch-religiöse Schriften hätten bald den vierzehnjährigen Knaben zu einem religiösen Schwärmer gemacht, wenn nicht mit dem Wechsel der Schule auch ein Wechsel der Wohnung eingetreten wäre. Er kam in das Gymnasium der Altstadt und fand Aufnahme beim Rector, Elias Kaspar Reichard, dem Uebersetzer lateinischer, englischer und dänischer Werke, dem Fortsetzer von Hausen’s Bibliotheca magica zur Tilgung des Aberglaubens. Hier eröffnete sich ihm in der Bibliothek des Rectors eine unbegrenzte, aber auch ungeordnete Masse des Wissenswürdigen. „Heut Swedenborg, morgen Spinoza, Albertus Magnus und die flagella daemonum neben Plutarch und Plato, und Lohenstein und Broke neben Ossian, Shakespeare und Schiller.“ Er füllte mehrere Bände mit Auszügen aus diesen Werken und bemerkte mit Behagen, wie sogar einzelne Artikel aus seiner Hand in Reichard’s Werke wörtlich abgedruckt wurden. Dieses Versenken in die ordnungslose Vielseitigkeit brachte vollends zum Durchbruche, was der Religionsunterricht angebahnt hatte. Er brach mit den positiven Religionen, philosophirte auf eigene Faust „er hatte aber des Icarus Loos, als er der Sonne zu nahe kam. Das Wachs der Fittige schmolz und er stürzte in die Meeresfluth des Zweifelns und Verzweifelns. „Ich hatte den bisherigen Frieden eines harmlosen Glaubens eingebüßt, die Gemüthseligkeit verloren, welche die Verwaistheit des Lebens erträglicher gemacht hatte. Und doch war ich fromm und reines Herzens, und wahrlich mehr denn je zuvor, von Liebe des Wahren, Heiligen und Schönen entbrannt. Diese Liebe ward fortan meine innere, geheime Religion, die allen Geistern ohne Schule und Kunst geworden ist.“ Wie sieht es aber mit der Wirklichkeit aus gegenüber den Urbildern des Vollkommnen? Dieser Widerspruch machte den Jüngling namenlos unglücklich. „Ich war ärmer als der ärmste Bettler, hatte in der Welt keine Liebe, im Himmel keinen Gott mehr.“ Dazu kam noch körperliches Unbehagen, eine Folge der sitzenden Lebensart, durchwachte Nächte bei der Studirlampe in einer Zeit, wo die Natur für den Körper ungestörte Entwicklung fordert.

Ein muthwilliger Schülerstreich, der freilich nicht von Z. ausging, führte zur Drohung der Ausweisung und als diese nicht erfolgte, wollte er dem Vormunde, der Glockengießer war, begreiflich machen, daß er reif sei zum Besuche der Universität. Als dieser davon nichts wissen wollte, entschloß er sich, auf eigene Faust die Schule zu verlassen; er dachte an die Schweiz, an ein bairisches Kloster – seine Gedanken blieben endlich hangen an einem Mitschüler, Wachsmann, der in Schwerin Hofschauspieler war. Er verließ am 22. Januar 1788 seine Vaterstadt, zum ersten Male in vollem und freiem Genusse der Natur. In Schwerin hatte er bald eine Hofmeisterstelle bei dem Hofbuchdrucker Bärensprung gefunden und mit derselben auch die erste publicistische Thätigkeit; er entwarf die Herausgabe einer „Monatschrift von und für Meklenburg“. Das angenehme anheimelnde Familienleben, die reizenden Ausflüge in der Umgegend begeisterten ihn zu mannichfachen poetischen und prosaischen Versuchen. Aber eben diese Kreuz- und Querzüge, die sich allmählich über das ganze Land ausdehnten, weckten wieder die Erinnerung an die Robinsonaden und der Entschluß war gefaßt, den Wanderstab zu ergreifen und in die weite Welt hinauszusschlendern. Da hielt ihn Baron v. Schlabrendorf bei einer Theatergesellschaft [451] fest und zog ihn mit nach Prenzlau, wo für ihn eine rastlose Schneiderarbeit begann: „ich stutzte heroischen Tragoedien die Schleppe des Talars kürzer, gab altväterischen Dramen modigern (sic) Schnitt, setzte in abgebrauchte Stücke neue Flicken, wie es eben das Bedürfniß des Theaterpersonals forderte, schrieb selber ein Paar Saus- und Grausstücke, reimte Prologen und Epilogen und wechselte mit wohllöblichen Magistraten kleiner Städte Briefe, ihnen zur Geschmacksveredlung ihrer Bürgerschaft unsere musterhaften Darstellungen zu empfehlen“. Dabei fiel immer noch so viel Zeit ab, daß er die Lesesucht befriedigen konnte. Er durchstöberte allerlei Büchersammlungen und verirrte sich sogar auf das morsche, verwitterte Chor einer Kirche. Ein preußischer Officier, Boguslavsky, der an einer metrischen Uebersetzung der Oden des Horaz arbeitete, reizte Z. zu ähnlichen Versuchen. Die Gesellschaft zog im Frühling 1789 nach Landsberg a. d. Warthe, löste sich aber im nämlichen Sommer auf. Z. blieb zurück, um sich zum Besuche der Hochschule vorzubereiten und ließ sich außerdem von zwei Juden in den Mosaismus und Talmudismus einführen.

Er wählte Frankfurt a. d. Oder und begann „als vollendeter Selbstling“ mit zuversichtlichem Muthe zu Ostern 1790 das Studium der Theologie; doch nicht, ohne auch juristische und philosophische Collegien zu hören. Eine Leichenrede am Grabe eines Studenten machte ihn so bekannt, daß ihm mancher Anlaß zu Gelegenheitsgedichten geboten wurde. Er schloß sich nur Wenigen an und diese hielten sich von studentischen Gelagen fern; daher hießen sie „Chokoladebrüder“. Dafür aber ergötzten sie sich an geistigem Spiele; sie führten aus dem Stegreif dramatische Sprichwörter auf; sie übten sich in selbsterfundenen Erzählungen, „in welchen der Gipfel aller Kunst war, daß niemand den Ausgang des Geschichtchens voraus zu errathen im Stande sein sollte“. „Als ich einst eine alte venetianische Anekdote vortrug, die ich mit poetischer Freiheit phantastisch genug ausschmückte, ward mir der Ehrenpreis. Ich mußte sie dann schriftlich abfassen, dann sogar in ein Schauspiel gestalten. Dies ward der berüchtigte, große Bandit Abellino, der, bald darauf gedruckt, mit Geräusch über die meisten Bühnen Deutschlands gieng“. Der Roman erschien 1794 zu Frankfurt und Leipzig, das Trauerspiel zu Frankfurt a. d. O. 1795, in dritter Auflage 1806 und nach einer späteren Bearbeitung Aarau 1828. Die Zschokkebibliothek in Aarau besitzt ein Bühnenexemplar, in welchem Fleck und Iffland Rollen-Anmerkungen eingetragen hatten. Diesem nämlichen Kreise entsprang wahrscheinlich „Monaldeschi oder Männerbund und Weiberwuth“ (Küstrin u. Berlin 1790). Schiller wohnte am 2. Januar 1791 der Aufführung des Stückes in Erfurt bei und hat vielleicht damals Anlaß genommen, sich den Stoff im Verzeichniß seiner Pläne vorzumerken (Schiller, Hempel XVI, 305); dann das Schauspiel „Die Zauberin Sidonia“ (Berlin 1798), „Julius von Sassen“, ein Trauerspiel (Zürich 1796 u. 1798), „Die eiserne Larve“, Schauspiel (Baireuth 1804), „Charlotte Corday oder die Rebellion von Calvados“, ein Trauerspiel (Stettin 1794; Schiller, Hempel XVI, 287), davon erschienen schon früher im „Literatischen Pantheon“ 1794, 1. u. 2. Heft die beiden ersten Acte; „Hippolyt und Roswida“, Schauspiel (Zürich 1803), „Die Prinzessin von Wolfenbüttel“ (Zürich 1804, 2. Aufl. 1810). Hieher mag auch die Uebersetzung der meisten Lustspiele Molière’s gehören: „Lustspiele und Possen Molières. Für die deutsche Bühne bearbeitet von H. Z.“ (Zürich 1805–1806).

Mitten in diesen geistreichen Zerstreuungen meldete sich wieder die alte Qual des Heimlichkranken. Die Professoren der Theologie konnten ihn nicht befriedigen. „Bloßes Glauben Gottes that mir nicht genug; mir sollte ein Wissen Gottes gehören, um mich zufrieden zu stellen mit der räthselhaften Vorhandenheit im Weltall. Ich klammerte mich zuletzt an das Nothbrett, welches [452] damals der Weise von Königsberg ausgeworfen hatte, es erhielt mich kaum über dem chaotischen Abgrund der Wellen.“ Alle Theologie, Philosophie, Jurisprudenz schuf nur Finsterniß und Ekel. Er beneidete eine Schar singender Handwerksburschen und wünschte ein Handwerker zu werden. Aus allen diesen zerreibenden Leiden riß ihn die Mahnung des Professors Hausen, die Studien rechtmäßig abzuschließen durch die Doctorpromotion und als Privatdocent Vorlesungen zu beginnen. Er bestand rasch hintereinander in Frankfurt a. d. O. das Examen in der philosophischen Facultät und zu Küstrin in den theologischen Wissenschaften, und wurde in die königliche Societät der Wissenschaften aufgenommen. Gleichzeitig trat er auch in den Freimaurerorden.

Der neue Doctor und Theologe brachte das nächste halbe Jahr in seiner Vaterstadt Magdeburg zu und gewann durch seine Predigten solche Gunst, daß er – es fehlte nur eine Stimme – beinahe zum Pastor der St. Katharinenkirche ernannt worden wäre. Die Wärme, mit welcher er predigte, blieb auch auf ihn selbst nicht ohne Wirkung und es wandelte ihn sogar das Gelüste an, Herrnhuter zu werden.

Im Winter begann Z. seine Vorlesungen zu Frankfurt a. d. O. und verbreitete sich seinen vielseitigen Studien gemäß über Welt- und Kirchengeschichte, Exegese des neuen Testaments, Naturrecht, Aesthetik und Moralphilosophie. Um dieser theoretisch-akademischen Luft ein Gegengewicht zu schaffen, warf er sich auf Realwissenschaften, auf Naturkunde, Finanz-, Polizei-, Forstwesen und neueste Zeitgeschichte. Und als in Frankreich die Revolution ausbrach, erfaßte er die Größe der Umwälzung. „Meinen Idealen treu, begrüßte ich in Hymnen das Erwachen der Menschheit, eiferte ich in Flug- und Zeitschriften gegen verrostete Vorurtheile und machte ich besonders dem Wöllner’schen Religionsedict meinen Krieg. Ich hätte damals jauchzend dem Recht, der Wahrheit und der Freiheit mein Lebehoch vom Gipfel des Scheiterhaufens gerufen, wenn man mich nur des Märtyrerthums gewürdigt haben würde.“ Es war daher ganz natürlich, daß eine außerordentliche Professur dem jungen so „selbständigen“ Menschen nicht anvertraut wurde, so sehr der Oberconsistorialrath Irwing in Berlin und die Professoren Steinbart und Hausen sich für ihn bemühten. Z. faßte Widerwillen gegen die Kathederthätigkeit und als der Frühling kam, erwachte die alte Wanderlust wieder in ihm und es zog ihn nach dem Lande seiner kindlichen Vorliebe, der Schweiz; in weiterer Ferne lagen Paris und Rom. In die Frankfurterzeit gehören: „Ideen zur psychologischen Aesthetik“ (Berlin u. Frankfurt a. d. O. 1793), „Bibliothek nach der Mode“ (I. Theil, Frankfurt a. d. O. 1793), „Schwärmerei und Traum, in Fragmenten und Dialogen“, von Johannes von Magdeburg (pseudonym) (Stettin 1. Bd. 1791, 2. Bd. 1794), später unter dem Titel: „Kleine Schriften“ (Stettin 1800, 2 Bde.). Im Litterarischen Pantheon, 1793 erschienen fünf Aufsätze. „Die schwarzen Brüder, eine abenteuerliche Geschichte von M. I. R. (mir)“ (Berlin u. Frankf. a. d. O., 3 Bde. 1793–1795). „Kuno von Kyburg nahm die Silberlocke des Enthaupteten und ward Zerstörer des heimlichen Gerichts. Eine Kunde der Väter. Erzählt vom Verfasser der schwarzen Brüder“ (1. Bd. 1795, 2. Bd. 1797, Berlin).

Z. verließ Frankfurt im Mai 1795, wanderte über Berlin, Leipzig, Baireuth, wo er durch Krankheit einige Zeit festgehalten wurde, Nürnberg, Stuttgart und mußte zu seinem eigenen Schmerze und Bedauern erfahren, wie wenig der Geschmack sich geläutert hatte; denn überall feierte man ihn als den Dichter des Abellino. Hier wurde ihm der große Abstand von Katheder und Welt klar, und als er am 3. September in Schaffhausen den Schweizerboden betrat, sollte er einen noch klaffenderen Gegensatz kennen lernen. Er sah in Einsiedeln das Gepränge der glänzenden Priesterschaft und das unheilige Treiben der [453] Laienwelt. Er war auf zürcherischem Boden in Stäfa Zeuge von fruchtlosen Versuchen, die als Druck empfundene Unterthanenschaft abzuschütteln und doch fand er im Wohnzimmer eines Landmannes die Schriften von Iselin, Wieland, Möser und lernte er das Landmädchen kennen, welches in Shakespeare’s „Romeo und Julie“ die Julie Capulet spielte. Auch in Zürich, wo er Pestalozzi, Caspar Hirzel, J. J. Hottinger, Leonhard Meister kennen lernte, sah er ängstliches Entsetzen auf den Gesichtern, als er ihnen seine Gedanken vortrug. In Bern lernte er im „Göttinger Leist“ die Professoren Ith und Tralles, die Staatsmänner Rengger und Stapfer kennen; es blieb ihm aber nicht erspart, auch hier den unbeugsamen aristokratischen Stolz aus dem Munde eines hohen bernischen Staatshauptes zu hören.

In Zürich hatte Z. Ernst Oelsner kennen gelernt, bekannt durch seine „Briefe aus Paris“. Mit diesem trat er im Frühling 1796 die Reise nach Paris an. Der äußere Firniß der gesellschaftlichen Zwanglosigkeit unterhielt ihn wol einen Augenblick; auch lernte er Sieyes und Isnard kennen – aber Zustände und Personen wirkten nicht auf ihn ein. Vollends benahm der schlesische Graf Gustav v. Schlabrendorf ihm alle Träumereien von republikanischem Leben und Z. sehnte sich weg aus der Stadt voll glänzenden Elends und elenden Glanzes. Er hatte mit seinem philosophischen Freunde die Kunstschätze der Stadt besucht, und als er Paris verließ, waren es nur Handzeichnungen und Kupferstiche, welche seine Erinnerung an die Stätte der Täuschungen festhielten (Briefe aus Paris: Neuer deutscher Merkur 1796). Wohin? Er dachte an Rom, um Künstler zu werden, er erinnerte sich jenes Handwerksburschen am Oderdamme in Frankfurt, – und begnügte sich mit der Aussicht, Flachmaler zu werden; auch ein Dorfschulmeister sagte ihm zu, – aber in einem abgelegenen Thale des schönen Glarnerländchens. In diese Wanderzeit fallen: „Stephan Bathori, König von Polen. Ein historisch-romantisches Gemälde in zwei Büchern“ (Baireuth 1796), „Arcadien oder Gemälde nach der Natur, gesammelt auf einer Reise nach Rom“ (Baireuth 1796), „Blumen- und Fruchtlese für Knaben und Töchter auf das Jahr 1796“ (Baireuth), „Die Wallfahrt nach Paris“ (2 Bde., Zürich 1796. 1797), „Salomonische Nächte“ (1796, wahrscheinlich Zürich), „Metapolitische Ideen. Ein Bruchstück in Humaniora“ (1796).

Z. kam nun zunächst nach Bern, durchwanderte die umliegenden Gegenden und machte sich auf den Weg nach Chur, um von da aus Italien zu erreichen. In Schwyz besuchte er seinen neugewonnenen Freund Aloys Reding, der eben aus spanischen Diensten zurückgekehrt war, und lernte er den Abbé Joseph Buesinger kennen; mit beiden sollten ihn die folgenden Jahre noch enger verflechten. Ueber die Oberalp gelangte er nach Chur, in der Meinung, hier seinen Koffer anzutreffen. Dieser war aber noch nicht angelangt und so fand Z. Muße, den Dichter Salis-Seewis und den greisen Director J. P. Nesemann aus Bahrendorf bei Magdeburg und den Standespräsidenten von Graubünden, Joh. Baptista Tscharner, kennen zu lernen, und damit nimmt Zschokke’s Leben eine unerwartete Wendung. Es bestand in Bünden seit 1760 eine Erziehungsanstalt in Haldenstein und hatte eine gewisse Berühmtheit durch Dr. Bahrdt erlangt. In einer zweiten Anstalt auf dem naheliegenden Schlosse zu Marschlins arbeitete man nach Basedow’schen Grundsätzen; seit dem Jahre 1771 waren beide Anstalten vereinigt. Auf seinem Schlosse zu Jenins errichtete Tscharner ein drittes Philanthropin und verlegte es später nach Reichenau. Dieses stand unter der Leitung Nesemann’s. Aber alle diese Anstalten litten unter dem auflösenden Unsegen politischer Parteien. Da erschien Z. als Retter. Er übernahm das Seminarium als Eigenthümer und die zum Schlosse gehörigen Güter als [454] Pächter und hob so die Anstalt aus dem politischen Einflusse heraus. Sofort stieg auch die Zahl der Zöglinge im Laufe eines Jahres von 15 auf 70. Z. verkehrte mit den Vertretern beider einander verfolgenden Parteien; er ging ein und aus bei dem österreichischen Gesandten, Baron v. Kronthal, und beim Geschäftsträger der französischen Republik, P. J. Comeyras. Als dieser im Jahre 1798 als französischer Regierungscommissär nach den Jonischen Inseln abgehen sollte, wollte er Z. mitnehmen und ihm die Leitung des öffentlichen Unterrichts anvertrauen. Getragen von der Achtung der Patrioten und der Aristokraten in Graubünden konnte sich Z. ungestört dem Betriebe der Anstalt hingeben. Aber er wollte auch dem ganzen Lande dienen und dem Volke einen Spiegel vorhalten seiner Vergangenheit und einen Wegweiser bieten für seine Zukunft. Jenes that er in „Historische Skizzen der drei ewigen Bünde im hohen Rhaetien“ (Zürich 1798), wiederholt in „Geschichte des Freistaates der drei Bünde im hohen Rhaetien“ (Zürich 1817), dieses in „Neues nützliches Schulbüchlein“ (Malans 1798), welches sofort ins Romanische übersetzt wurde und in einzelnen Thalschaften heute noch im Gebrauch sein soll. Es wurde ihm sogar eine Ehre zu Theil, welche im Laufe eines Jahrhunderts nur einem einzigen gewährt wurde. Die Räthe und Gemeinden Raetiens schenkten ihm das Staatsbürgerrecht. Und damit fühlte sich Z. so sehr an die neue Heimath gekettet, daß er einem Ruf, nach der alten Heimath zurückzukehren, kein Gehör schenkte: er schlug die außerordentliche Professur an der Universität zu Frankfurt a. d. O. aus. In die erste Schweizerzeit fallen: im Helvetischen Kalender 1796: 1. „Anekdoten und Fragmente aus meiner Schreibtafel, auf einer Herbstreise 1795 gesammelt“; 2. „Fragmente aus meiner Schreibtafel auf einer Sommerreise gesammelt“; im neuen Deutschen Mercur: 1. „Auszüge aus Briefen eines Norddeutschen an einen Freund in Z. geschrieben aus Paris 1796“; 2. „Briefe aus Paris an den Herausgeber“.

Als aber die alte Eidgenossenschaft im März 1798 zusammenbrach und Graubünden erst eingeladen, dann dringend ermahnt wurde, dem neuerrichteten Staate der helvetischen Republik beizutreten, da loderten die französischen und österreichischen Parteien wild gegeneinander auf. Die Eltern zogen ihre Söhne aus der Erziehungsanstalt zurück. Z. war arbeitslos und ließ sich zu einer Flugschrift bestimmen, welche in verständlicher und mäßiger Weise den Graubündnern den Anschluß an die neue Schweiz empfahl („Kinder verlasset die braven Schweizer nicht“, Chur 1798). Damit war er als Parteimann aufgetreten und hatte sich den Haß der österreichisch Gesinnten zugezogen. Das Volk entschied gegen den Eintritt in die helvetische Republik und nun wurden die Patrioten geächtet. Tscharner und Salis-Sewis verließen ihre Heimath. Auf Zschokke’s Kopf war ein Preis gesetzt und es war ein Glück, daß er von einer botanischen Excursion unerkannt in sein Schloß zurückkehren konnte. Da entschloß er sich, auch um dem französischen Gesandten Guiot nicht Verlegenheiten zu bereiten, Graubünden zu verlassen. Am Morgen des 9. August 1798 schwamm er auf einem Floß den Rhein hinab und fand im schweizerischen Dorfe Ragaz seine Freunde. Diese hatten beschlossen, für die helvetisch gesinnten Gemeinden und Familien den Schutz der helvetischen Republik anzurufen; dazu wurden Tscharner und Z. ausersehen. Tscharner kehrte bald nach Ragatz zurück und überließ die Durchführung der diplomatischen Aufgabe Z. allein. Es ließ sich aber unter den bestehenden Verhältnissen nichts anderes erreichen als der Schutz der helvetischen Regierung für die ausgewanderten Graubündnerfamilien. Als Z. am 24. October im helvetischen gesetzgebenden Rathe den Dank der geächteten Graubündner aussprach, machte er einen so packenden Eindruck, daß der Druck der Rede beschlossen wurde. Nun hatte Z. den darauffolgenden [455] Winter vollauf zu thun; die Noth der landesflüchtigen Graubünder nahm mit der Zahl zu und wo die öffentlichen Mittel nicht ausreichten, half Z. mit seinen eigenen Mitteln nach. „Ich verkaufte, was ich von meinen literarischen Arbeiten besaß, Reifes und Unreifes, Schauspiele, Uebersetzungen, Romane, davon schwerlich sonst Jemand erfahren haben würde, oder nahm Vorschüsse von Buchhandlungen auf Werke, die ich noch liefern wollte. Gewiß lebte im ganzen diplomatischen Korps, selbst der Aermste der Kopisten, nicht so kärglich und eingeschränkt als ich. Aber man sah mir’s ja nicht an, daß mein Abendessen ein trockenes Stück Brod, mein Frühstück ein Glas Wasser sein mußte. Ich blieb frohsinnig, dachte an Schlabrendorf, und theilte Andern mit, oder verschaffte den Fähigern Anstellungen durch mein Fürwort bei Ministetn und Directoren.“

Natürlich waren in dem Heimlichkranken unter diesen friedlichen und unfriedlichen Aufgaben die zerreibenden Qualen erloschen. „Und wäre das Weltall ohne seinen Gott, so will ich der Gott meines Weltalls sein und als ein vergänglicher Gott im Vergänglichen göttlich zu wirken streben.“

Die Oesterreicher hatten im October 1798 Graubünden besetzt – und somit betrachtete Z. seine Aufgabe, für Bünden zu wirken, als erloschen. Da anerbot ihm der helvetische Cultusminister Stapfer eine Stelle in seinem Ministerium mit der besondern Aufgabe, den Culturzustand des neuen Staatswesens zu ermitteln und die neuen Schweizer über die Lage der Zeit aufzuklären und allmählich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Dies konnte durch Gründung von Vereinen geschehen. Und so entstanden denn von Luzern aus, wo die helvetische Regierung seit dem 1. October 1798 ihren Sitz hatte, über die ganze Schweiz vaterländische Gesellschaften. Das vermittelnde Band sollte ein Volksblatt sein. Ein solches war eben erst durch Pestalozzi entstanden, traf aber den gewünschten Volkston nicht. Z. nahm es ihm ab und so erschien im October 1798 die erste Nummer des „Aufrichtigen und wohlerfahrenen Schweizerboten“. Die bald darauf eintretenden Wirren brachten einen Stillstand, und erst im J. 1804 erfolgte die ununterbrochene Fortsetzung unter Zschokke’s Leitung bis zum Jahre 1832. Von da an unter anderer Führung dauerte das Blatt bis zum Jahre 1875. Eine periodische Zeitschrift „Der helvetische Genius“ erschien nur in zwei Heften in Luzern und Zürich.

Das Jahr 1799 brachte unsägliches Elend in die neue Schweiz. In Graubünden waren allerdings die Franzosen wieder Meister geworden und Zschokke’s Namen war wieder zu Ehren gekommen. Dagegen war Erzherzog Karl nach der Schlacht bei Stockach (25. März) in die Ostschweiz vorgedrungen und sein Erscheinen hatte die alten Kantone zum Aufruhr gereizt. Nidwalden war bei einer verfrühten und vereinzelten Erhebung schon am 9. September 1798 heldenmüthig den französischen Truppen unterlegen – und hier vor allem war es nöthig, jeder neuen Regung zu Aufständen entgegenzuwirken. Mit dieser Aufgabe wurde Z. am 14. Mai 1799 betraut. Er erschien als helvetischer Regierungscommissär in Unterwalden. „In diesen gleichen Frühlingsmonaten hatte sich aber auch Schwyz erhoben und war der Habsucht französischer Truppen preisgegeben. Ohne erst von der Regierung, die nun in Bern saß, Vollmacht einzuholen, eilte Z. nach Schwyz und schützte die Einwohner vor fernern Bedrückungen. Als auch am Gotthard General Lecourbe rücksichtslos hauste, brachte ihn Z. zu maßvollem Benehmen. Als Regierungscommissär des neugebildeten Kantons Waldstätten (Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug) wandte er alles auf, um durch Geldspenden, Versorgung armer Kinder, Schulen, Errichtung industrieller Gewerke, die bitterste Noth zu lindern. Im Tessin schützte er die Bewohner vor der Gewalt der französischen Truppen, die im Frühling 1800 [456] über den Gotthard zu Napoleon marschirten, der gleichzeitig den großen St. Bernhard überstiegen hatte – und es gelang ihm, das politisch in drei Parteien zerrissene Volk zur Besonnenheit zurückzuführen. In Baselland stillte er die aufrührerische Bewegung der Bauern und als Regierungsstatthalter befreite er die Stadt Basel von den französischen Zollplackereien. In allen diesen öffentlichen Stellungen konnte Z. doch zuweilen noch Zeit gewinnen zu stillen Studien. In den Waldstätten sammelte er mit seinem Freunde Reding Stoff, um den Untergang der Urkantone zu beschreiben; im Tessin lernte er Gibbon’s Geschichte vom Verfall des Römerreiches kennen; in Basel verschlang er mit Heißhunger die neuesten Erzeugnisse deutscher und französischer Litteratur und arbeitete aus die „Geschichte vom Kampf und Untergang der schweizerischen Berg- und Waldkantone, besonders des alten eidgenössischen Kantons Schwyz“ (Bern und Zürich 1801). Es ist keine Frage, daß die zum Gemeingut gewordene Auffassung der Person und der Thätigkeit des Schwyzer Helden von 1798 Aloys Reding auf diese Schilderung durch seinen Freund Z. im wesentlichen zurückgeht. Auch die „Historischen Denkwürdigkeiten der helvetischen Staatsumwälzung“ (Winterthur 1803–1805) wurden in dieser Zeit begonnen. In ihrem Begleite erschienen auch „Vignetten“ (Basel 1801), welche den „Harmonius“ und „Herrn Quint’s Verlobung“, „Die Schattirungen“, als Fortsetzung der Vignetten (Basel 1803), welche 1. „Die isländischen Briefe“, 2. „Justinchens Reiterstück“, 3. „Die Köhlerin“ enthielten.

Nach dem Frieden von Luneville (9. Februar 1801) bemühten sich die Unitarier, welche die gewonnene Einheit festhalten wollten, und die Föderalisten, welche zur alten Kantonsherrlichkeit zurückstrebten, die Oberhand zu erringen: am 27. October brachte ein Staatsstreich die Macht den Föderalisten; ihr Haupt wurde Reding. Mit ihm hatte sich Z. früher über die beste Staatsform besprochen und beide waren einig in der Selbstverwaltung der Kantone, welche aber zusammengehalten werden müsse durch eine einheitliche Nationalregierung. Da Z. ein gemäßigter Unitarier war, so nahm er die Entlassung von seiner amtlichen Stellung und entfremdete sich zu seinem eigenen großen Schmerze auch seinen Freund Reding. Er brachte den Winter in Bern zu, im Verkehre mit Heinrich v. Kleist und Ludwig Wieland, dem Sohne des Dichters; ihnen schloß sich auch an der Nationalbuchdrucker Heinrich Geßner, Wieland’s Tochtermann. Hier stritt man sich um die Vorherrschaft Goethe’s und Schiller’s; Z. nahm sich Schiller’s an. Schlegel und Tieck, die besonders gefeiert wurden, waren Z. fast ganz unbekannt. Hier erwachte wieder der spielende Dichtergeist, wie er den Frankfurter Studenten beseelt hatte. Kleist trug die „Familie Schroffenstein“ vor; um einen französischen Kupferstich „la cruche cassée“ (von Creuze?), der im Zimmer hing, entstand ein Wettkampf. Darüber sollte Wieland eine Satire, Kleist ein Lustspiel und Z. eine Erzählung dichten. Kleist und Z. lösten die Aufgabe im „Zerbrochenen Krug“. Wieland’s Leistung ist zur Stunde nicht ermittelt. Durch Zschokke’s Fürsorge fand Kleist auf einer Aarinsel bei Thun vorübergehende Ruhe, aber nicht dauernde Beruhigung. Z. überschlug seine sichern Handlungen in der Verworrenheit der Ereignisse und war von dem Glauben an Gott zur Gewißheit Gottes gelangt. Kantische Sätze von der Scheidung des reinen Unendlichen und des unreinen Endlichen, sowie die spinozistische Allgöttlichkeit schwammen ineinander und gestalteten sich schließlich in eine dichterische Form, „Alamontade, der Galeerensclave“ (Zürich 1802, 8. Aufl. Zürich 1852), und in dem Psalm „Sehnsucht nach dem Schauen des Unsichtbaren“ (Ausgewählte Schriften 15. Bd.). „Ich wollte im Alamontade meine Ansicht vom Werth des irdischen Daseins und von göttlichen Dingen [457] darstellen, sowie von der Macht solcher Ueberzeugungen in den Wechseln dsr Schickale.“

Z. richtete seine Gedanken wieder nach Reichenau – allein der noch lodernde Parteigeist schreckte ihn zurück. Oeffentliche Thätigkeit bei so verworrenen Zuständen reizte nicht; so tauchte ein ruhiges Landleben auf einem Bauernhofe wieder auf, und als im J. 1802 der Frühling kam, schwärmte er mit Kleist und Wieland im Aargau herum, um die stille Stätte zu suchen. Er miethete das Schloß Biberstein, eine Stunde unterhalb Aarau, ehemals Sitz der Johanniter, dann des bernischen Landvogtes, und nun als Staatsgut unbewohnt. „Hier wollte ich, neben Studien der Physik, Chemie, Geognosie, Botanik, des Forstwesens, und der Himmel weiß, des Wissenswürdigen allen, dichten, philosophiren, der Freieste und in sich Glücklichste der Sterblichen sein.“ Er sollte bald ein ergiebiges Feld für seine Arbeitslust finden.

Napoleon hatte endlich durch die Mediationsacte (Februar 1803) der zerrütteten Schweiz dauernden Frieden gegeben. Unter den neugebildeten Kantonen hatte sich der Aargau aus gar verschiedenen Theilen zusammengesetzt, aus den katholischen Gebieten der Grafschaft Baden und der freien Aemter, aus dem österreichischen Frickthal und dem protestantischen altbernischen Unterthanengebiet. Hier galt es, in volkswirthschaftlicher Hinsicht die Schätze des Bodens fruchtbar zu machen und auf politischem Gebiete die neu zusammengebundenen Aargauer an ihren neuen Organismus zu gewöhnen. Darum erschien von 1804 an der „Schweizerbote“ wieder. Eine Auswahl aus den verschiedenen Jahrgängen erschien als „Spruch und Schwank des Schweizerboten“ (Aarau 1825). Den Druck besorgte Heinrich Remigius Sauerländer, der von Basel nach Aarau übergesiedelt war. Die neue Regierung zog den ehemaligen helvetischen Commissär nun zu kantonalen Beamtungen heran, schenkte ihm das Staatsbürgerrecht und machte ihn zum Mitgliede des Oberforst- und Bergamts. Auch die aargauische Landgemeinde Ueken, sowie die katholische Gemeine Münster im Kanton Luzern und die Stadt Aarau machten ihn zum Ehrenbürger. Hier nun konnte Z. seine vielseitigen Kenntnisse entfalten. Er hatte in den Urkantonen, in Graubünden und im Tessin den Zustand der Wälder gesehen und zur Belehrung „Die Alpenwälder, für Naturforscher und Forstmänner“ (Tübingen 1804) geschrieben. Jetzt gelang es ihm, in der Bewirthschaftung des Waldes den Kanton Aargau zu einem Musterkanton zu machen („Der Gebirgsförster“, Basel u. Aarau 1806). Der Ruf des forstkundigen Mannes verbreitete sich so schnell und weit, daß er für die Gemahlin des ersten Consuls Samen und Pflanzen von Alpengewächsen besorgen und daß er Vorschläge machen mußte, wie die Sandebenen und Dünen im Departement des Landes durch Bewaldung vor Ueberfluthung gesichert werden könnten. Die Leitung des Bergwesens veranlaßte Z. zu mancherlei Ausflügen in das Badische und in das Elsaß. Diese gesammte Thätigkeit war Z. so lieb, daß Karl v. Bonstetten umsonst versuchte, ihn nach Genf und in den Kreis der Frau v. Staël zu ziehen. Z. wurde nun vollends im Aargau heimisch. In der Nähe von Biberstein zu Kirchberg wohnte der Pfarrer Nüsperli; seine achtzehnjährige Tochter Nanny wurde Zschokke’s Gemahlin[WS 1] und Johann Peter Hebel begrüßte am Hochzeitstage (25. Febr. 1805) das Paar mit einem Festgedichte. Die ersten Zeiten dieser Ehe finden ihr heiliges Spiegelbild in der Novelle „Der Abend vor der Hochzeit“ (XXI. Bd. der ausgew. Werke). Von nun an läuft das Leben in ungestörter friedlicher Ruhe ab. Die Familie siedelte 1807 nach Aarau über und bezog 1818 die neugebaute Blumenhalde am Hungerberge auf dem linken Ufer der Aare an einem Vorberge des Jura.

Die schriftstellerische Thätigkeit bleibt in enger Fühlung mit dem Zustande [458] und der Förderung der Volksbildung, mit den Begebenheiten unter den Völkern. Jenem Zwecke dienten „Des Schweizerboten Kalender“, welcher vier Jahre lang erschien und „Die Stunden der Andacht“. Während jener, oft noch im Kleide der rohen Bauernbelehrung über die nächsten Bedürfnisse in Haus und Feld fördernde Kenntnisse verbreitete, sollten diese eben in diesen Zeiten der Verwirrung und Verwilderung jenen Starkmuth der Seele bringen, den nur Religion gewähren kann, aber nur die, welche Christus uns gebracht hat in ihrer reinen Einfachheit, ohne die Formeln und Feierlichkeiten, mit welcher die Kirche sie umhängt hat. Der Buchhändler Remigius Sauerländer versprach den möglichst billigen Betrieb und so erschien mit Anfang des Jahres 1808 von Woche zu Woche acht Jahre lang ein Blatt von „den Stunden der Andacht zur Beförderung wahren Christenthums und häuslicher Gottesverehrung“. Als diese Blätter als ganze Bände zusammengedruckt wurden, fanden sie ihren Weg in die entferntesten Gegenden (Aarau 1809–1816), 34. Aufl., nach den Bedürfnissen der Gegenwart revidirt und geordnet von Emil Zschokke in 6 Bdn. (1871–1872). „Familien-Andachtsbuch. Aus den Stunden der Andacht zum Besten minderbemittelter Personen und Haushaltungen umgearbeitet und zusammengeordnet von dem Verfasser“ (Aarau 1848, 4. Aufl. 1890). Ueber den Verfasser entstanden mannichfache Vermuthungen. Man nannte den Generalvicar v. Wessenberg in Constanz, den Kirchenrath Schwarz in Heidelberg, den Pfarrer Keller in Aarau. Z. hat endlich in der Selbstschau den Schleier gelüftet und sich als Verfasser bekannt.

Schon Stapfer hatte Z. zur Gründung von Vereinen ermuntert, welche das Volk in seinem materiellen und geistigen Leben heben sollten. Z. ging von dem Freimaurerorden aus, dem er seit der Frankfurter Zeit angehörte und errichtete 1811 in Aarau die Loge „Zur Brudertreue“. Er legte die Aufgabe des Ordens in einem besondern Aufsatze nieder, welcher in dem maurerischen Taschenbuch „Akazienblüthen“ erschien. Eine den Bedürfnissen des Volkes näher tretende Verbindung erstand im nämlichen Jahre als „Verein für vaterländische Kultur im Aargau“. Aus ihr erwuchsen Hülfsgesellschaften, Ersparnißcassen, Sonntag- und Handwerksschulen, die Taubstummenanstalt in Aarau, die naturforschende und historische Gesellschaft und die technische Abtheilung der Kantonsschule. Insbesondere belehrte „Das Goldmacherdorf“ über den wirthschaftlichen Betrieb eines Bauerngutes und schreckte „Die Branntweinpest“ vor dem allverzehrenden Uebel ab. („Das Goldmacherdorf. Eine anmuthige und wahrhafte Geschichte für gute Landschulen und verständige Leute“, Aarau 1817, 9. Aufl. 1880. „Die Branntweinpest. Eine Trauergeschichte zur Warnung und Lehre für Reich und Arm, Alt und Jung“, Aarau 1837, 4. Aufl. 1842.) Um Männer heranzubilden, welche fähig sein sollten, die vielen Aufgaben der Volkswohlfahrt zu erfüllen, errichtete Z. in Verbindung mit Prof. Dr. Troxler 1820 den bürgerlichen Lehrverein; er bestand zehn Jahre lang in zwanglosen Formen und bot Kenntnisse in den verschiedensten Zweigen des Wissens; die Vorträge hielten unentgeltlich Männer, welche in irgend einem Fache besondere Studien machten. Auch der helvetischen Gesellschaft, welche 1761 gegründet worden war, gehörte Z. an; die Rede, welche er zu Schinznach im J. 1829 hielt, ist gedruckt Aarau 1829.

Z. hielt als Politiker die Bewegungen in der Geschichte der Völker im Auge, und zumal als nach dem Jahre 1815 Alles wieder in die alten Geleise zurückzuströmen schien, hielt er sich berufen, Europa und insbesondere die Schweiz wachzuhalten und nicht versinken zu lassen in der Stagnation der Restauration. Er schrieb in die „Isis“, Monatschrift deutscher und schweizerischer Gelehrten (Zürich 1805–1807) 19 Aufsätze politischen, biographischen und naturwissenschaftlichen [459] Inhalts. Er übernahm die Herausgabe einer fachwissenschaftlichen Zeitschrift „Miscellen für die neueste Weltkunde“ (Aarau 1807–1813), welche sich fortsetzten als „Ueberlieferungen zur Geschichte unserer Zeit“ (Aarau 1817 bis 1823), sah sich aber veranlaßt, wegen Plackereien der Censur die Leitung niederzulegen.

Besonders gedruckt aus den „Miscellen“ sind: „Der Krieg Oesterreichs gegen Frankreich und den rheinischen Bund im Jahre 1809“ (1810); „Der Krieg Napoleons gegen den Aufstand der spanisch-portugiesischen Völker“ (1813); „Reise auf die Eisgebirge des Kantons Bern und Ersteigung ihrer höchsten Gipfel im Sommer 1812“ (1813).

Besonders gedruckt aus den „Ueberlieferungen“ sind: „Von den geistlichen Angelegenheiten des Zeitalters“ (1817); „Darstellung der Ausbreitung des Christenthums über den Erdball“ (1819); „Geist des deutschen Volkes im Anfang des XIX. Jhdts.“ (1820); „Umriß der gegenwärtigen Ausbreitung des gegenseitigen Unterrichtes in den Volksschulen der fünf Welttheile“ (1822); „Wirren des Jahres und des Jahrhunderts“ (1823); „Betrachtung einer großen Angelegenheit des eidgenössischen Vaterlandes“ (1824).

Das „Schweizerische Museum“, welches nur den Jahrgang 1816 umfaßte und von Troxler und Aloys Vock herausgegeben wurde, enthält vier Aufsätze, worunter „Ueber einige Mängel und Verbesserlichkeiten des eidgenössischen Heer- und Kriegswesens“. Ein Aufsatz erschien im November 1831 in den „Jahrbüchern der Geschichte und Staatskunst“ von Pölitz, Leipzig.

Es reizte Z. besonders, aus den neu entstandenen Staatengebilden Baiern zum Gegenstande historischer Studien zu machen. Johannes v. Müller, während des Aufenthaltes in Berlin, und der badische Staatsmann Joseph Albert von Ittner, hatten ihn längst aufgefordert, mit seinem Werke an die Oeffentlichkeit zu treten. Schlichtegroll, Director der Münchner Akademie, wünschte einen Abschnitt der bairischen Geschichte den Denkwürdigkeiten der Akademie einzuverleiben. Um eine möglichst sichere Grundlage zu haben, sandte Z. Abschriften des Manuscriptes an die namhaftesten Geschichtsforscher in Baiern und unternahm drei Reisen in das Land selbst. Mit dem Minister Montgelas stellte sich nach und nach ein verträgliches Verhältniß ein. Der König Max Joseph beschenkte Z. mit einer goldenen Dose, in welcher sein Namenszug durch Brillanten gebildet wurde. Dieser fügte die Königin Karoline einen Brillantring bei, der auch ihren Namenszug trug. Darauf folgte die Ernennung zu einem residirenden Mitgliede der bairischen Akademie in München, sogar mit der Vergünstigung, drei Viertheile des Jahres in der Schweiz zubringen zu dürfen. Noch vier Jahre später bezeugte der König seine Huld durch Verleihung von Orden. Z. verzichtete auf diese Auszeichnungen. Als Z. 1817 die Blumenhalde zu bauen anfing, brach er die Edelsteine aus den königlichen Geschenken aus und bestritt damit zum Theil die Baukosten. „Er verwandelte Edelsteine in Kalksteine.“ Es erschienen: „Der Bairischen Geschichten Erstes–Sechstes und letztes Buch“ (Aarau 1813 u. 1818, 3. Aufl. 1828). Auf der dritten Reise war Z. Veranlassung, daß der Vorsteher der Glashütte in Benedictbeuren, Fraunhofer, von den Münchner Gelehrten besser gewürdigt und sodann in die Akademie aufgenommen wurde. Aber Z. hatte auch angefangen, im Schweizerboten den Schweizern die Geschichte ihrer Heimath zu entrollen „damit die vielen kleinen, lose verknüpften Staaten sich zu einem einzigen Leben aufzulösen scheinen“, und zwar so, daß der erfahrungslose Aelpler wie der denkende Staatsmann von der höhern Bedeutung der Begebenheiten ergriffen werden sollten. Auf besondern Wunsch des Ulrich Hegner von Winterthur sammelte Z. die einzelnen Capitel in ein Ganzes und gab sie heraus als: „Des Schweizerlands Geschichten für das Schweizervolk“ [460] (Aarau 1822; 9. Ausgabe mit Fortsetzung der neueren Geschichte von Emil Zschokke 1853).

Wenn Z. sich den Eingebungen der Phantasie überließ, so lag der letzte Zweck wiederum im Anregen des Hochmenschlichen, des Sinnes für Wahrheit, Menschenrecht und Geistesveredlung der Zeitgenossen. „Dafür mußten selbst die dichterischen, einer leichten Unterhaltung gewidmeten Gebilde dienen, in die ich meine Erfahrungen und Absichten hüllte, wie der Arzneihändler seine Pillen in Goldschaum oder Zucker. Die meisten meiner kleinen Bildwerke erschienen nach und nach endlich in der Zeitschrift „Erheiterungen“. Sie erschienen als Monatschrift für gebildete Leser von Karl Groß, J. v. Ittner, Aug. v. Kotzebue u. A. vom Jahre 1811 an bis 1827 in Aarau. Besondere Abdrücke aus den Erheiterungen sind die „Bilder aus der Schweiz“ (Aarau 1824–1826); „Der Flüchtling im Jura“ (1824), ruht auf den Erscheinungen der französischen Revolution; „Der Freihof von Aarau“ (1824), führt in das Mittelalter zurück; „Adderich im Moos“ (1826) gibt ein Bild des Bauernkrieges in der Schweiz 1653. Besonders erschienen „Hippolyt und Roswida“, Schauspiel in 4 Aufzügen (Zürich 1803); „Die Prinzessin von Wolfenbüttel“ (2 Bde., Zürich 1804, 2. Aufl. 1810); „Der Feuergeist“ (Aarau 1813), später auch „Hermingarde“ genannt. Diese poetischen Arbeiten fanden in Deutschland so freundliche Aufnahme, daß man sich überall um Zschokke’s Mitarbeiterschaft bemühte. Das Rheinische Taschenbuch enthält: „Der Narr des 19. Jahrh.“ (1822); „Chrysaoras, der Peloponnesier“ (1823); „Erzählungen im Nebel“ (1831); „Der Pflanzer von Cuba“ (1832); „Ein Bild aus dem häuslichen Leben“ (1846); „Vorbedeutungen“ (1847); „Feldblumen“ (1850). In den Erholungsstunden für geistige Erheiterung erschien: „Das geheimnißvolle Nachthäubchen“ (1828). Dem Jahre 1839 gehört an „Der Creole“ (Aarau) und die „Genfer Novellen“ nach dem Französischen von R. Töpffer (Aarau).

Einen Abschluß des innern philosophischen und religiösen Ringens bildet die Zeitschrift „Prometheus“, für Licht und Recht, in zwanglosen Heften (Aarau 1832 u. 1833). Die zwei ersten Abschnitte: „Kenntniß und Erkenntniß“, „Natur und Welt“ in dem zweiten Theile der Selbstschau sind daraus enthoben.

Trotz der überreichen vielseitigen Thätigkeit fand Z. ausgiebige Muße, täglich mehrere Stunden der Erziehung seiner Kinder zu widmen. „Das wesentliche Geschäft des Erziehenden besteht allein in der Sorge, das zu entfernen, was freie Selbstentfaltung eines jugendlichen Geschöpfes hemmt oder irrt.“ Die Söhne mußten neben dem wissenschaftlichen Studium noch ein Handwerk lernen. Dazu kamen in der Blumenhalde unzählige Besuche, von Königen, Staatsmännern, Generälen, Gelehrten, Dichtern, Litteraten. Hier fanden sich ein die Königin Hortensia von Holland und ihr Sohn Louis Napoleon, der abgesetzte Schwedenkönig Gustav IV., der russische Staatsmann Capo d’Istrias, die französischen Generale Rapp und Dermoncourt, Professoren aus allen Ländern, dann Börne, Malten, Uhland, spanische und deutsche Flüchtlinge, welchen Z. friedliche Unterkunft verschaffte. Und schließlich sei noch erwähnt, daß Z. durch eine Menge Beamtungen ununterbrochen in Anspruch genommen war. Er war Mitglied mehrerer kantonalen, Bezirks- und städtischer Behörden. So ist es denn begreiflich, daß der Körper ermüdete und ein Schleichfieber ihn mehrere Wochen ans Bett fesselte. Er fand vollständige Heilung im nassauischen Schlangenbad und erfuhr überall, wo er durchkam, die schmeichelhaftesten Bezeugungen der Verehrung (1826).

Es konnte nicht ausbleiben, daß der Mann, dessen Geist mitten in der Restauration so klar leuchtete, in bösen Ruf gerieth, zumal in romanischen [461] Landen. Ein junger Spanier wohnte fünf Jahre lang im Zschokke’schen Hause und wurde gut katholisch erzogen. Dafür mußte sein Vater in Barcelona mehrere Wochen lang in den Gefängnissen der Inquisition schmachten. Der Oberst Voitel von Solothurn hatte mit Andreas Schmeller auf königliche Kosten hundert Zöglinge, darunter einen Prinzen, nach Pestalozzi’scher Methode unterrichtet und selbst der Erzbischof von Tarragona nahm theil daran. Trotzdem Voitel unter den spanischen Truppen mit Auszeichnung gegen die Franzosen gefochten hatte, wurde er mitten aus der Familie herausgerissen, in einen Felsenkeller geschleppt und mußte da dreizehn Monate liegen – bloß weil Zschokke’s Bildniß über seinem Schreibpulte hing. Dann kam er auf die Festung Ceuta, wurde aber durch diplomatische Vermittlung nach sechs Wochen freigelassen und in seinen Rang wieder eingesetzt. Er schrieb an Z. von Ceuta aus mit der Unterschrift „Alamontade“, um damit anzudeuten, wie eben jene Schrift Zschokke’s ihm Muth in seinem Leiden gegeben habe. Seine Tochter wurde die Gemahlin Alexander’s, eines Sohnes Zschokke’s. Auch in Rom und Berlin war Z. angeschwärzt, und der in Berlin gefangen sitzende französische Professor Cousin meldete, er sei in den Verhören besonders wegen Paul Usteri, Fellenberg und Zschokke ausgefragt worden.

Das Jahr 1830 brachte dem Sechziger das Ehrenbürgerrecht seiner Vaterstadt Magdeburg, und wenn er die Anerkennung überblickte, welche ihm die politische Thätigkeit brachte, und Zeichen von Achtung, welche gelehrte Gesellschaften ihm entgegenbrachten, und das Glück, welches in seinem Hause um ihn aufblühte, so durfte Z. sich einen glückseligen Mann nennen. Im Frühling des Jahres begleitete er einen jungen Schweizer, dessen Eltern in Cuba wohnten, nach Havre und auf der Rückfahrt sagte ihm ein deutscher Diplomat voraus, was dann im Juli in Paris wirklich eintrat.

Die Revolution in Paris brachte auch Z. wieder auf den politischen Schauplatz. Der über Europa gegangene Strom einer restaurirenden Politik hatte auch im Aargau seine Wirkung gehabt. Z. trat in die Opposition. Die Regierung unterwarf den Schweizerboten strenger Censur; Z. ließ die Censurlücken offen. Als sie sogar auf gerichtlichem Wege gegen ihn vorging, um den Einsender eines Artikels zu erfahren, legte Z. alle staatlichen Beamtungen nieder (1829). Als der Sturm in Paris losbrach, ertönte in den Schweizerkantonen der Ruf nach Verfassungsrevision. Man forderte Trennung der höchsten Gewalten, Controlle, Aufhebung der lebenslänglichen Anstellungen, Verantwortlichkeit der Regierungsbehörden, Abschaffung erblicher Vorrechte, staatsbürgerliche Rechtsgleichheit, Freiheit der Presse, des Handels und der Gewerbe. Der Große Rath des Aargaues sollte nach einem Zeitraume von zwölf Jahren neu bestellt werden; das Volk verweigerte die Wahlen. Der Große Rath übertrug die Umänderung der Verfassung einem Verfassungsrathe – also wollte Z. folgerichtig dem Großen Rathe jede Einmischung entziehen – und er mußte zuhören, wie die aufgeregte Mehrheit in ungebundenem Zorne über ihn herfiel. Aber das Volk brach los – es war am 30. December 1830 –, Aarau wurde besetzt, der Große Rath widerrief, das Volk zog ab – und Z. wurde Vicepräsident des Verfassungsrathes. An einem Tage, an welchem Z. den Vorsitz führte, beschloß der Rath, daß nur ein geborner Schweizer ein Staatsamt bekleiden dürfe. Z. stieg sofort von seinem Stuhle nieder und erschien nicht wieder in der Versammlung, auch dann nicht, als der Beschluß aufgehoben wurde. Die neue Verfassung fand die Billigung des Volkes; Z. ließ sich wieder in den Großen Rath wählen, blieb aber von nun an jeder Staatsbeamtung fern. In Basel hatte man die Verdienste Zschokke’s um die Beruhigung des Landes nicht vergessen. Als Stadt und Land sich schieden, öffnete er den „Schweizerboten“ [462] den Bedrängten der Landschaft, während gleichzeitig die Herren der Stadt ihn um ihren Beistand baten. Ein wohlmeinender Vermittlungsantrag fand in der Stadt kein Gehör und der Bürgerkrieg konnte nicht mehr verhindert werden. Die basellandschaftliche Gemeinde Laufen schenkte Z. das Bürgerrecht.

Als das Volk seine politischen Rechte zurückerobert hatte, begannen die Umtriebe des Clerus, die verlorene Macht wiederzugewinnen. Die Jesuiten hatten sich in Wallis, Freiburg und Schwyz festgesetzt; in den Dörfern entstanden katholische Vereine; der Papst war jeglicher friedlichen Unterhandlung unzugänglich. Die Regierungen sahen sich genöthigt, auf der Hut zu sein. Dazu gehört auch das Oberaufsichtsrecht über das Vermögen der Klöster, was um so dringender war, da die Gelder ihrem ursprünglichen Zwecke entfremdet und zu staatsgefährlichen Zwecken verwendet wurden. Der Aargau bestellte eine Commission, welche ein Verzeichniß des Vermögensstandes in den acht Klöstern aufnehmen sollte. Z. gehörte ihr an und faßte für die Benedictinerabtei Muri eine culturelle Aufgabe ins Auge; er bemühte sich, die Mönche dafür zu gewinnen, daß eine Gewerbeschule errichtet werde für die katholische Schweiz und die angrenzenden Länder. Er berechnete den Ertrag der Güter bei richtiger Bewirthschaftung und ebenso die Kosten der zu gründenden Anstalt, er wies auf den Segen hin, der daraus dem Lande erblühen würde; er rief die Geschichte zu Hülfe – die Stimme der Vernunft verhallte und die Aufwiegelungen dauerten fort. Ein Aufstand im J. 1835 konnte noch im Keime niedergeschlagen werden. Als aber die Ultramontanen im Anfange des Jahres 1841 bei der Verfassungsrevision ihre Wünsche unerfüllt sahen, brach der Aufruhr los; die ultramontanen Scharen wurden geschlagen und die Folge war die Aufhebung der Klöster. Z. sprach und stimmte dafür im Großen Rathe – die letzte politische Kundgebung. Z. war in den Jahren 1833 und 1837 auch Vertreter des Standes Aargau bei der eidgenössischen Tagsatzung gewesen.

Mitten in diese Zeiten (1836) wilder politischer Aufregung fiel die Errichtung der Taubstummenanstalt bei Aarau. Z. hatte auf seinen Schweizerreisen die erschreckende Wahrnehmung gemacht, daß so viele geistig und körperlich verkümmerte Menschen schutz- und hülflos ihr Leben verbrachten. Auch der Aargau zählte eine große Menge solcher Unglücklichen. Auf Zschokke’s Anregung beschloß die Culturgesellschaft, für die vernachlässigten Geschöpfe ein Heim zu errichten.

Als die großen politischen Stürme im kleinen Aargau ausgetobt hatten, dachte Z. an die Sammelarbeit seines Lebensabends und was er erlebt und was er gedacht, erschien als „Eine Selbstschau“ (Aarau 1842). Der erste Theil hat zur Ueberschrift „Das Schicksal und der Mensch“, der zweite Theil: „Welt- und Gottanschauung“. Da man in Magdeburg endlich im Klaren sein wollte über den Verfasser der „Stunden der Andacht“, so entschloß er sich, die Antwort eben in der Selbstschau zu geben. (7. Aufl. 1877.) In Verbindung damit steht „Allmacht Gottes in den Werken der Natur. Ein Volksbuch zur wahren Erkenntniß und zur Belehrung für alle Stände. 50 religiöse Betrachtungen“ (2. Aufl. 1843, 3. Aufl. 1852). Doch ruhte die Feder nicht ganz und seine Gedanken über die Geschichte der Menschheit und über die Hebung der Stände, sowie seine Lust, in Erzählungen zu belehren, klingen aus in „Aehrenlese“ (Aarau 1844) und in „Meister Jordan oder Handwerk hat goldenen Boden. Ein Feierabend-Büchlein für Lehrlinge, verständige Gesellen und Meister“ (Aarau 1845). Eine persönliche Pietät hatte Z. erfüllt, indem er die Schriften des Karl Gustav Jochmann von Pernau herausgab (Hechingen [1836–]1838).

Auf einer Sommerreise nach Holland im J. 1843 erkältete sich Z. und [463] erholte sich nicht wieder; er starb am 27. Juni 1848 in einem Alter von 77 Jahren.

Heinrich Z. hatte zwölf Söhne und eine Tochter. Diese, Cölestine, war an Justizrath Dr. Sauerländer in Frankfurt verheirathet und starb 1896. Von den Söhnen werden Theodor und Emil an besonderer Stelle behandelt.

Von Alexander Z., 1811–1859, Zeichnungslehrer an der aarg. Kantonsschule sind vorhanden Bleistiftzeichnungen, Holzschnitte, Stahlstiche und Steindrucke.

Julius Z., 1816–1845, Fürsprech in Liestal (Baselland): „Geschichte der am 14. Mai 1840 in Liestal hingerichteten Giftmischerin Fr. A. Maria Buser aus der Drahtzugmühle (Baselland)“ (1840).

Dr. Eugen Z., 1821–1856, Arzt in Stein bei Säckingen: „Ueber Gannels Verfahren, Menschen, vierfüßige Thiere und Vögel einzubalsamiren“, in „Neue Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde“ (1840); „Ueber eine bisher unbekannte Veränderung an Menschenknochen aus Peru. Eine pathologisch-anatomische Abhandlung“ (Aarau 1845); „Verzeichniß der in der Umgebung von Aarau wildwachsenden, phanerogamischen Pflanzen nebst Angabe ihrer Fundorte“ (Aarau 1847).

Alfred Z., 1825–1879, Architekt in Aarau, Solothurn, Basel: „Anleitung zum Pisé-Bau“ (Aarau 1849).

Olivier Z., 1826–1898, Ingenieur und Politiker: „Naturhistorische Karte der Umgebungen von Aarau, bearbeitet von Theodor Zschokke, gezeichnet von Olivier Zschokke“; „Was hat der Kanton Aargau in Eisenbahnsachen zu thun?“ (Aarau 1864); „Rückkauf der Betriebsübernahme der schweizerischen Eisenbahnen durch den Bund“ (Aarau 1876); „Entwurf für Ueberschienung der Alpen mit Zahnradbetrieb von Ol. Z. und H. Riggenbach“ (Aarau 1868); „Die Anwendung des Zahnschienensystems auf die Gotthardbahn. Zuschrift an den Bundesrath“ (Aarau 1877); „Verbesserungen im schweizerischen Bahnwesen durch Vereinheitlichung des Betriebs“ (Aarau 1882, ohne Nennung des Namens, in Verbindung mit S. Kaiser); eine große Anzahl von Berichten, Gutachten über technische Fragen.

Achilles Z., 1823–1897, Pfarrer in Gontenschwil: „Unsere Volksfeste und ihre wohlthätigen und schädlichen Einflüsse auf das Volk“, Referat für die Jahresversammlung der schweiz. gemeinnützigen Gesellschaft in Aarau 1844.

Die Familie des Theodor und Emil Z. wird an zutreffender Stelle erwähnt. Söhne Alexander’s sind Otto, Bankier in Zürich, und Konradin, Wasserbautechniker: „Fondations à l’air comprimé“ (Paris 1879); „Betonnière pneumatique“ (Paris 1879); „Vari sistemi di affondamento ad aria compressa“ (Roma 1886); „Druckluft-Gründungen“, Festschrift z. Ingenieurwissenschaft, Gruppe I, Heft 1 (Leipzig 1896).

Unter den Söhnen des Achilles wird genannt Erwin, Professor an der Thierarzneischule in Zürich: „Zur Vivisektion“, Jahresbericht des aarg. Thierschutz-Vereins 1884.

Der Sohn Olivier’s, Fritz, ist Professor der Zoologie an der Universität Basel: „Recherches sur l’organisation et de la distribution zoologique des vers parasites des poissons d’eau douce“ (Gand et Leipsic 1884); „Die Korallenriffe im schweizerischen Jura“ (Aarau 1890).

Die Familie Zschokke hat die vollständig katalogisirte Zschokkebibliothek in die Obhut des Stadtrathes von Aarau gestellt. Sie enthält 1) Porträts, Bilder, Zeichnungen, Büsten, bildliche und andere Erinnerungen an seine Person. 2) Ehrendiplome, Auszeichnungen, Zuschriften. 3) Manuscripte, Briefwechsel. 4) Biographien, biographische und bibliographische Notizen über seine Thätigkeit [464] und sein Leben. 5) Litteratur über die Stunden der Andacht. 6) Schriften. Diese zerfallen in historische, culturgeschichtliche und politische Schriften, in religiöse Werke, in Novellistisches, Dramatisches, Erzählendes und Gedichte, in Forstliches und Naturwissenschaftliches, in Uebersetzungen und Nachdrucke und in Vermischtes, worunter akademische, amtliche, pädagogische Schriften sich befinden.

Unter den Schriften scheint „Lohenstein als dramatischer Dichter“ in Olle Potride 1790 die älteste zu sein. Wir begegnen einer kaum übersehbaren Menge von Gelegenheitsschriften, welche immer zum Gegenstande haben culturelle und politische Zustände und Ereignisse: Vereine, Juden, Schulen, Frankreich und Deutschland, Deutschlands Hoffnungen und Täuschungen, Europa, die Schweiz. Klios Winke (Vermischte Schriften, 3. Theil Aarau 1825) verbreiten sich in essay-artigen Gewande über alle Zeiten und Länder. Biographien von Zeitgenossen haben besondern Werth. „Ausgewählte Historische Schriften“, 16 Theile (Aarau 1825, 2. Aufl. 1830); „Vermischte Schriften“, 7 Bände, (30.–36. Theil der gesammelten Schriften); „Sämmtliche ausgewählte Schriften“, 40 Bände (Aarau 1824–1828); „Ausgewählte Dichtungen, Erzählungen und Novellen“, 2. Auflage in 10 Bänden (Aarau 1830); 12. Stereotypausgabe in 17 Bänden (Aarau 1878; 1.–17. Theil der gesammelten Schriften), neue billige Ausgabe Aarau 1880; „Sauerländers Unterhaltungsbibliothek“, 5 Bde.; „Humoristische Novellen“ in 4 Bdn. (Aarau 1881); „Heinrich Zschokke’s Schriften“, 36 Theile (2. Aufl. 1859 bis 1861). Nicht enthalten sind darin die Geschichte des bairischen Volkes und die Geschichte des Freistaates der drei Bünde im hohen Rhätien; „Schweizerische Nationalbibliothek“ (Aarau) 17. Bdchn.: Aus der Schweizergeschichte, 18. Bdchn.: Aus der Selbstschau, 19. u. 20. Bdchn.: Der todte Gast, 21. Bdchn.: Abenteuer in der Neujahrsnacht.

Einzelne Schriften sind übersetzt ins Böhmische, Englische, Französische, Holländische, Italienische, Lettische, Magyarische, Romanische, Serbische, Vlämische, Finnische. Fast in allen Sprachen findet sich das Goldmacherdorf.

Zur Lebensgeschichte: (Oscar Elsner) Ueber den Aufenthalt H. Z.s in Frankfurt a. d. O. 1790–1794. – Rheinisches Taschenbuch f. 1824, Verfasser Hufnagel in Frankfurt a. M., Konsistorialrath. – Ernst Münch, Heinrich Zschokke. Haag 1831. – Geburtstagsfeier H. Z.s in Magdeburg 1842 u. 1843. Mit kleiner Vignette: Geburtshaus Z.s in Magdeburg, Schrotdorferstraße 2 u. 3. – Edwin Bauer, H. Z. Verfasser der Stunden der Andacht. Meißen 1844. (Volksbibliothek.) – Ed. Nodnagel, Männer des Volks: H. Z. Frankfurt a. M. 1847. – Zur Erinnerung an H. Z., gesprochen bei seiner Beerdigung 30. Juni 1848 (Schweizerbote 1848, Nr. 78 u. 79). – B. Hain im N. Nekrolog d. Deutschen (Necrol. 26, 868 ff.). – J. K. Bär, H. Z., sein Leben und Wirken nach seiner Selbstschau, seinen Reden u. mündlichen Mittheilungen, 1849. (Gallerie berühmter Schweizer.) – J. W. Genthe, Erinnerungen an H. Z. Eisleben 1850. – Schweizerischer Nationalkalender für das Jahr 1850. Aarau. – H. Vater, Z. in Bildungsquellen für Alt und Jung. Kreuzlingen 1862. – Emil Zschokke, H. Z., ein biographischer Umriß. Berlin 1866, 3. Aufl. 1875. (Sammlg. d. Vorträge v. Virch.–Holtzd.) – Illustr. Chronik d. Zeit 1880, 19. Heft. – Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit, I. Bd. Zürich 1882. – R. Wapf, Ein Denkmal für H. Z. Luzern 1883. – Illustr. Unterhaltungsblatt 1884, Nr. 29. (Stuttgart, Schönlein.) – O. Hunziker, H. Z. Schweizer. Schularchiv, 1884, August. Zürich. – J. J. Bäbler, H. Z., ein Lebensbild. Aarau 1884. (Sonderabdr. aus: Vom Jura zum Schwarzwald.) – Stephan Born, H. Z. Vortrag. Basel 1885. – J. J. Keller, [465] Beiträge z. politischen Thätigkeit H. Z.s in den Revolutionsjahren 1798 bis 1801. Aarau 1888. – Jos. Kürschner, Deutsche Nationallitteratur, enthält ein Facsimile der Handschrift von 1788. – Zu erwähnen ist noch eine reiche Menge von Briefen bekannter Persönlichkeiten und berühmter Zeitgenossen, in einer besondern Autographensammlung von Emil Zschokke vereiniget.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gemahin