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Lebenslauf einer heiligen Magd Gottes aus dem Pfarrstande (2te vermehrte Auflage)

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Textdaten
Autor: Wilhelm Löhe
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Titel: Lebenslauf einer heiligen Magd Gottes aus dem Pfarrstande.
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Auflage: 2, vermehrte
Entstehungsdatum: 1843-67
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Gottf. Löhe
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: Commons, MDZ München = Google
Kurzbeschreibung: Dem jüngeren Sohn Helene Löhe’s zur Feier seiner Hochzeit.
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Lebenslauf
einer
heiligen Magd Gottes
aus dem Pfarrstande
von
Wilhelm Löhe.
(Zuerst als Manuscript gedruckt.)
2te vermehrte Auflage.

Nürnberg,
Verlag von Gottfr. Löhe.
1867.


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Brautgeschenk.


| |  Frau Maria Helene Löhe ist geboren zu Frankfurt a/M., Sonntag den 27. Junius 1819, morgens 8 Uhr. Ihr Vater war Herr Ferdinand Andreä-Hebenstreit, Kaufmann zu Frankfurt a/M. Ihre Mutter war Frau Anna Elisabetha, geb. Hebenstreit. Getauft wurde sie am 25. Julius 1819 von dem evangelisch-lutherischen Pfarrer zu Frankfurt, Herrn Stein. –  Am 27. Junius 1837 schrieb mir die Mutter der seligen Frau Pfarrerin: „Unter dem Geläute aller Glocken (zum Gedächtniß einer Feuersbrunst anno 1719) wurde Dir Deine Helene geboren. Dies Geläute wird sie vielfach segnend begleiten in Ihrem, in Deinem Berufe. Denn im Hause des HErrn, da Du dienst, wohnt Lobgetön. Während ich Helene unter meinem Herzen trug, betete ich unaufhörlich zu Gott, Er wolle mir einen Sohn schenken, ihn durch die heil. Taufe und den Einfluß seines ihm bestimmten Pathen, der ein frommer Mann war, ganz sich weihen und mir in aufopfernder Liebe und Pflege des Kindes Beruhigung für mein krankes Herz senden. O der thörichten Bitte, welcher ich oft gedachte! Der HErr gab aber dennoch über Bitten und Verstehen, nicht nach meinem Wunsche, aber nach Seiner Gnade.“ – Als Helene heranwuchs, offenbarte| sich bald, daß ihr, wie so vielen in unseren Tagen, ein schwaches Nervensystem zu Theil geworden war. Sie war ein Mägdlein von vielen Thränen und ermüdete leicht. Für Wohl und Wehe war sie von Kindesbeinen an gleich empfänglich, – sie wurde von Allem leicht ergriffen und auch körperlich afficirt.

 Bei ihrer Nervenanlage war es sehr gut, daß sie einen einfachen Bildungsweg betrat. Sie besuchte vom Juli 1823 bis October 1832 die Musterschule zu Frankfurt, kam demnach bald zum Lernen und blieb immer in derselben Anstalt. Da sie nach bayer’schen Ordnungen bei ihrer Verheirathung eines Schulscheins bedurfte, so wurde ihr bezeugt, daß sie die Schule „als eine wackere Schülerin“ besucht habe. In Bayern würde man ihr freilich bei gleicher Tüchtigkeit prunkvollere Prädicate gegeben haben. –

 Ihre Mutter war, durch Krankheit genöthigt, öfters vom Hause abwesend. Wohin sie aber auch gieng, Helene war ihre Begleiterin. Von Anfang an waren beide unzertrennlich. Die Tochter folgte der Mutter, die Mutter der Tochter, so war es im Leben, so war es im Tode.

 Im Jahr 1835 reiste die Mutter, mit ihr die Tochter nach Nürnberg, wo sich eine jüngere Tochter im Kreise einer nahe verwandten Familie aufhielt. Diese Familie wohnte in einem Hause, in welchem auch ich wohnte. Ich war dazumal Pfarrverweser bei St. Aegidien. Da sich der Aufenthalt der Mutter in Nürnberg verzog, wurde mir aufgetragen, den in Frankfurt angefangenen Confirmanden-Unterricht Helenens fortzusetzen. Ich setzte ihn fort und vollendete ihn. Ich| confirmierte sie auch, aber nicht in Nürnberg, sondern in einem bei Nürnberg gelegenen Dorfe Behringersdorf, am 8. Junius 1835. Helene brachte wenig Kenntnisse in meinen Unterricht; aber bei großem Fleiß und heiliger Treue entwickelten sich die vorhandenen Gaben von Tag zu Tage mehr. Als sie aus dem Unterrichte entlaßen wurde, sprach ein älterer Freund zu ihr: „Gerechnet ist das Exempel, nun folgt die Probe.“ – Helenens Leben bis zum Tode hat bewiesen, daß das Exempel richtig gerechnet war. –

 Bald nach ihrer Confirmation gieng Helene mit ihrer Mutter nach Frankfurt zurück. Ich sah sie bis zum Jahre 1837 nicht mehr. Sie schrieb mir manchmal, und ich schrieb ihr wieder – eine Zeit lang. Aus ihren treu geführten Tagebüchern sehe ich, daß sie für jeden meiner Briefe Gott auf den Knieen gedankt hat, und daß ein jeder zu der Zeit ankam, wo sie neues Licht und neue Kraft bedurfte. Als meine Briefe eine andere Deutung fanden, schrieb ich ihr gar nicht mehr; sie schrieb aber mir zuweilen – Briefe voll Einfalt, voll Demuth, voll Unschuld, wie man sie immer wünschen kann. – Auch ohne meine Briefe reifte sie zu einer heiligen Jüngerin JEsu heran. –

 Als ich im Jahre 1837 Pfarrer von Neuendettelsau wurde, hatte ich zwar von Helenen kein Bild mehr in der Seele, aber es war mir doch bald klar, daß ich entweder sie oder keine als Weib in mein Pfarrhaus führen wollte. Ich hielt um sie an, und der HErr fügte es, daß die Eltern ihre Einwilligung gaben. Ihr Vater verwies mich nun an sie. Ich schrieb ihr – den ersten Brief dieser Art, die einzigen Worte dieser Art, welche| ich je geschrieben. Ihre kurze und schöne Antwort ist diese:
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 „Vergangenen Samstag den 22. April erhielt ich Ihren Brief, welchen Sie an meinen Vater geschrieben haben, zu lesen. Er überraschte mich sehr, ich betete aber den 103. Psalm, denn ich habe Gott nicht erst um Erkenntnis Seines Willens bitten müßen, sondern danken, daß er mich, Sein armes, sündhaftes Kind, so voll Gnade und Liebe Seine Wege führt. Ich habe mir solche Gedanken nie erlaubt und hätte nie glauben können, daß Ihre Wahl unter so vielen Jungfrauen auf mich, die unwertheste, fallen würde. Sie haben mich den HErrn lieben lernen, Dank sei Ihm, daß Seine Gnade an mir nicht vergeblich gewesen ist. Nachdem ich mich heute, den 26., nochmals dem HErrn übergeben, daß Sein Wille an mir geschehe, erhielt ich Ihren lieben Brief, und ich kann Ihnen in stiller Ruhe meiner Seele ein Ja und Amen schreiben. Der HErr, vor dessen Angesicht ich diesen Brief schreibe, weiß, daß ich Sie mehr liebe, als alle anderen Männer, und ich freue mich sehr, Ihre Helene zu werden. Ich bin freudig, mit Ihnen Einem Gott zu dienen, unter Einem Volk zu leben. Ich kann Ihnen sagen: „Dein Gott sei mein Gott, Dein Volk sei mein Volk, wo Du hingehst, da gehe ich auch hin, wo Du bleibst, da bleibe ich auch, ich will mit Dir Dein Thränenbrod eßen, und Deine guten Tage sollen mir Freude sein.“ Der HErr hat solche Liebe in mein Herz gegeben, auch Lust und Liebe zum Berufe einer Pfarrfrau, einer Landpfarrerin. Der HErr gebe mir, Seinem schwachen Werkzeug, auch Kraft und Stärke, daß ich Ihnen eine wahre Gehilfin werde,| daß ich meinem Gott und Ihnen Ehre und keine Schande mache. Ja, das neuendettelsauer Pfarrhaus möge unter Gottes Segen und Hilfe eine Hütte Gottes unter der Gemeinde werden. Der HErr leite uns ferner nach Seinem Rath und nehme uns endlich zu Ehren an! Der dreieinige Gott vereinige sich immer inniger mit uns, daß wir beide Gottes Tempel seien, wo Seine Ehre wohnt. In unserem Bunde sei Christus der Dritte. Unser Gott mache auch mich würdig des Berufs, und erfülle an uns alles Wohlgefallen der Güte und das Werk des Glaubens in der Kraft, auf daß an uns gepriesen werde der Name unsers HErrn JEsus Christus, und wir an Ihm, nach der Gnade unsers Gottes und des HErrn JEsus Christus! Amen.“ –

 Als meine Mutter den Brief der noch nicht achtzehnjährigen Braut las, hat sie Gott gelobt und ihre neue Schwiegertochter mit aufgehobenen Händen gesegnet. Sie hat ihr geschrieben: „Du sollst mir gesegnet sein, meine Tochter, als eine edle Rebe am Weinstock JEsus Christus. Er selbst mache Dich fruchtbar zu allen guten Werken, und Sein Friede müsse über Dir sein und bleiben! Dein Haus sei eine Hütte Gottes unter den Menschen, Du eine Zierde desselben, daß jedermann sich freue und erbauet werde, der da siehet Deinen Wandel in der Furcht Gottes! Ja, sei Du Deines Mannes Ehre und Freude, denn er ist ein Priester des lebendigen Gottes, und Du sollst dienen, daß hinfüro auch sein Haus Zeugnis gebe von dem, was sein Mund verkündigt. Er, unser Gott, wolle Euch stärken, kräftigen, gründen und vollenden das Werk, das Er angefangen hat, zu Seines Namens Ehre!“ –

|  Wie Naëmi und Ruth, also haben sich diese zwei, Schwieger und Schnur, lieb gehabt bis an’s Ende. Ich habe oftmals meine Hände segnend auf das Haupt meiner Liebsten gelegt, wenn ich sah und hörte, wie sie das Gebot, das Verheißung hat, an ihrer Schwieger ausübte. –
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 Die Zeit des Brautstandes, der nicht lange währte – vom 25. April bis 25. Juli 1837 – war mir eine heilige Zeit. Die Kinder, welche mir Gott von meiner Helene gegeben hat, haben weder in ihrem väterlichen, noch in ihrem mütterlichen Nachlaß etwas zu erwarten, das kostbarer wäre als der Briefwechsel, welchen ihre selige Mutter mit ihrem Vater als Braut geführt hat. Ich habe in der Welt solche Einfalt und Würde nie gesehen, noch gehört. Wenn mein Haus in Flammen aufgienge, wären die edlen Briefe das Kostbarste, nach dem ich zuerst griffe. Meiner Kinder Brautstand werde, wie der ihrer Eltern, dann ist’s genug. – Ich habe meine Braut in Frankfurt vor der Hochzeit acht Tage besucht. Die Bäume blühten; ich sagte, wenn ich durch die Blüthen fuhr: „Seine Verheißungen trügen nicht.“ Als die Leute sahen, daß wir nicht nach gewöhnlicher Weise mit einander umgiengen, und man mir Bemerkungen darüber machte, daß meine Braut so ferne von mir stehe, war ich vollkommen ruhig. Ich sagte: „Seine Verheißungen trügen nicht.“ Sie haben auch nicht betrogen. – Ich hatte einmal das betende Antlitz meiner Braut angesehen, ohne daß sie’s wußte. Den Anblick und die Ehrerbietung, welche er bewirkte, habe ich nie verloren. Wir haben uns geraume Zeit nicht einmal geduzt. Hernach geschah’s. Helene schrieb mir:| „Warum sollten wir’s nicht?“ Sagen wir doch auch zu Gott: „Herr Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für.“ Und wie der trauliche Umgang mit Gott die Anbetung nicht stört; so störte die immer von Jahr zu Jahr zunehmende Innigkeit und Traulichkeit die Ehrerbietung nicht. Kein Mann hat kindliches, einfältiges Lieben und kindliches, einfältiges Ehren so in Vereinigung erfahren, als der unwerthe Mann, der dies vor wenigen Ohren und stillen Herzen zu Gottes Preis bekennt. –

 Am 25. Julius 1831, am Tage Jacobi des Größeren, habe ich die heilige Ordination empfangen. Helene ist an demselben Tage 1819 in der Taufe zu einer Priesterin Gottes geweiht worden. An eben demselbigen Tage 1837 ließ ich mich zu Frankfurt bei St. Katharinen trauen. Gemäß dem Wunsche der edlen Braut sang man bei der Trauung:

Der ewig reiche Gott
Woll uns in unserm Leben
Ein immer fröhlich Herz
Und edlen Frieden geben,
Und uns in Seiner Gnad
Erhalten fort und fort,
Und uns aus aller Noth
Erlösen hier und dort. –

 Am 1. August 1837 betraten wir miteinander das Pfarrhaus von Neuendettelsau. 6 Jahre und 4 Monate sind wir in der armseligen Hütte miteinander aus- und eingegangen. Kein schönerer Ort in der Welt für mich, als dies arme Haus, in welchem mein zu schwerem Ernst gestimmtes Herz durch Helene zu einer Heiterkeit erhoben wurde, die mich selbst oft in Verwunderung| setzte. Ich habe seit meiner Verheiratung nie einem neuen Ehepaare Beßeres zu wünschen gewußt, als: „Möge es euch gehen, wie mir!“ – Auch Helene war glücklich. Als sie im Jahre 1840 einige Wochen in Frankfurt war, schrieb sie mir am 16. Mai: „Heute in 14 Tagen bist Du wieder bei mir. Ich zähle Tage und Stunden mit mehr Sehnsucht, als eine Braut auf ihren Bräutigam wartet; Du hast in Deinem letzten Brief denselben Gedanken geschrieben, den ich schon so oft gehabt habe. Ich freue mich auf jedes Brieflein von Dir mehr, als ich mich als Braut gefreut habe, glaube ich.“ – So lebten wir in tiefem Frieden und immerwährendem Gelingen unsre Jahre dahin, bis das Jahr kam, das ihr ewige Freuden, mir aber das herbe Leid der Trennung brachte. –
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 Das Jahr 1843 war Helenens letztes Lebensjahr auf Erden. Es begann so schön. Die gute Mutter, welche die Einsamkeit des stillen Dorfes und die reichen Segnungen eines friedenreichen Pfarrhauses so oft in den 6 Jahren aufgesucht hatte, war bei der geliebten Tochter und ihren Enkeln überglücklich; trübe, kranke Stunden wurden von dem Frieden und der Freude des Hauses verjagt. – Am 22. Januar gebar Helene ihr viertes Kind, das dritte Söhnlein. In dem angstvollen Stündlein war sie voll der liebenswürdigsten Heiterkeit und des stillsten Glaubens. Das Lied: „In Dich hab’ ich gehoffet, HErr“ beschäftigte ihre Seele; mit kindlicher Freude schlug sie es auf und legte es auf ihr Bette vor Gottes Augen und ihren eigenen hin. Der HErr half ihr gnädig und gab ihr den Sohn in die Arme, zu derselben Zeit, in welcher ich ein sterbendes| Kind einsegnete. – Wie freute ich mich damals, wenn ich an allen den Segen des HErrn gedachte. Bereits standen in meinem Fenster blühende Hyacinthen, silberweiße, im schönsten Flor. Ihr Duft brachte mir Erinnerung an den lieben Frühling. Ich bedurfte aber gar keines Frühlings, um mich her blühte Alles! – Kurz nach der Geburt des Jüngsten waren meiner Liebsten Thränen beschieden. Frau Hedwig Zeilinger, welche so oft mit der guten Mutter und Helene den Frieden meines Hauses getheilt hatte, entschlief am Nervenfieber in Frankfurt a/M. Die erste von drei eng verbundenen Seelen fehlte. – – In der Mitte des Monats März erkrankte die gute Mutter. Am Tage, da sie liegen blieb, hauchte sie ihre ganze Sehnsucht in ein Lied aus, und schrieb es, die letzten Züge der segensreichen Hand, in ihr Gedenkbuch ein. Am 21. März verschied sie, wie sanft und friedlich! Die Art, wie Helene den großen Schlag ertrug, gewann ihr meine ganze Seele, wenn ich so von einer Seele reden darf, die sie ohnehin besaß. Ich baute eine Gruft, dahinein stellte man den theuren Sarg. Wie freute sich Helene, daß in derselben noch Platz war für sie und für mich. Eine immerwährende Sehnsucht nach der Mutter blieb Helenen, aber sie ertrug diese Sehnsucht so schön. Ihr freundliches, fröhliches Wesen wurde dadurch nicht im mindesten getrübt. Im Gegentheil, immer heiterer, immer edler, immer heiliger, immer selbstverläugnender, immer mehr nur für andere lebend, immer stärker erschien sie mir. Selbst ihr Leib, der anfangs durch das Wochenbette und den Verlust der Mutter gelitten hatte, verjüngte sich. Rüstig und muthig| that sie das Ihrige, ja immer rüstiger und muthiger wurde sie. Wenn ich früher schon die Entwickelung ihrer Seele und ihrer Geisteskräfte mit fröhlichster Befriedigung betrachtet hatte, so erregte mir im letzten Sommer ihr rascher Gang zur Vollendung oft wirkliche Besorgnis. Eine bange Ahnung bemächtigte sich meiner. Wenn ich ihr zuweilen in’s Auge schaute, war es, als vernähme ich eine Botschaft des Todes. Oft war mir, als läge sie im untern Raume des Hauses im Sarge und ich drücke ihr zum letzten Male die kalte Hand, so wie ich es hernachmals wirklich that und thun mußte! – Ich weiß nicht, was man davon sagen will, aber es ist nicht zu läugnen, daß wir von den Dingen, welche nach der Meinung des Volkes Tod weißagen, auffallende Erfahrung machten. Einmal z. B. stand das ganze Haus am lichten Tage und hörte jenem unbegreiflichen Glucken zu, welches das Volk „dem Todtenhühnlein“ zuschreibt. – Es war überhaupt so manches Ungewöhnliche in unserer Umgebung, wie wenn eine selbst der leblosen Creatur theure Person in Gefahr wäre. – Doch alles das achtete man nicht. Eine theure Freundin konnte Helenen bei dem letzten Besuche, den ihr diese machte, nie ohne Thränen ansehen, ohne doch zu wißen, warum? Eine andere wurde zu dem ihr selbst nicht wohl begreiflichen Ausspruch, daß Helene keines langen Lebens sein werde, hingerißen. Meine alte Mutter jammerte oftmals in unbegriffener Angst und behauptete, es müße der Familie ein schwerer Schlag bevorstehen etc. etc. Auch dessen achtete man nicht! – Am Tage aller Heiligen hatte ich von der triumphierenden Kirche in einer Betstunde geredet. Es| war ein heller Nachmittag, der für meine Seele etwas eignes hatte. Ich gieng Hand in Hand mit der Geliebten einem Dorfe zu, in welchem ich dem Pfarrer, meinem Freunde, das heil. Mahl zu reichen hatte. Sie erzählte mir in ihrer Weise, was sie aus der Betstunde gemerkt hatte. Wir verweilten bei dem Gedanken, daß die heil. Kirche einem langen Pilgerzuge gleiche, dessen erste Schaaren schon in Zion seien, während die andern noch hienieden wallen. Wie freute ich mich mit ihr! – Auf dem Heimweg recapitulirte sie ihren Lebensgang, tadelte, was sie an sich alles tadelhaft fand, freute sich wieder der Gnade! Ich achtete mich so reich, als sie mit mir in’s stille Haus zu den geliebten Kindern trat. – Ich wurde zuerst krank. Ein heftiger Grippanfall warf mich hin. Helene diente mir mit einer Freundlichkeit, bei der mir wunderlicher Weise war, als wolle sie mein Unwohlsein auf sich nehmen. Ich genas durch Anfälle von Ohnmachten. Sie hingegen begann unwohl zu werden. Schon bald sagte sie zu mir: „Laß lieber mich sterben, an mir ist wenig gelegen!“ Ihr Uebel bildete sich zu Brust- und Unterleibsentzündung und gar bald zu jenem schrecklichen Nervenfieber aus, dem ihre ohnehin sehr nervenschwache Anlage nicht widerstehen konnte. Wie oft hatte mich diese Anlage geängstigt, – und nun kam, was ich fürchtete. Sie gerieth oft in Phantasieen: ihre Seele war dann im himmlischen Jerusalem und in Tempeln, auf deren Kanzeln zur Predigt zu steigen sie mich dringend ermunterte. Sie hatte dann eines Engels Angesicht, ihre Züge strahlten vor Freude! – Am Dienstag vor ihrem Tode kämpfte sie einen wahrhaftigen Todeskampf; aber wie| heilig und lieblich war ihr ganz Benehmen, so daß sie meine schmerzenreiche Seele zur Kraft, sie mit dem göttlichen Worte zu erfreuen, emporhob. In diesem Kampfe kam es dahin, daß der Odem stille stand, mein Herz durchbohrte der Gedanke: „sie stirbt.“ Da öffnete sie die Augen wieder und wurde von Stund an beßer. Ich that Gott mit heißer Sehnsucht brünstige Gelübde für ihre Genesung. Ich hätte sie gerne vor aller Welt auf die Altäre gelegt. Schon glaubte ich erhört zu sein. Ich stellte mir sie schon als eine langsam Genesende, durch die Krankheit sehr Geschwächte und Entstellte vor, freute mich aber, nun erst meine Liebe beweisen zu können. – Das Fieber wich, Zeichen der Beßerung traten ein. Was ernstere Anzeichen waren, die ich an andern leicht erkenne, sah ich nicht. – Am Nachmittag vor ihrem Tode redete sie viel irre. Immer beschäftigten sie geliebte Personen, die Schwiegermutter, der Schwager Max und dessen Söhnchen etc. Dazwischen rief sie mir zu: „Du mußt ja doch auch sterben.“ Manchmal glaubte sie, die gute Mutter zu sehen, drückte der neben ihr stehenden Nichte die Hand, als wäre es die Mutterhand, ließ sich’s auch nicht verneinen, rief mit dem innigsten Seelenausdruck: „Beste Mutter!“ – Ihre Worte wurden immer ernster. Sie betete:

„Ich weiß, an wen ich glaube.
Ich nahe mich im Staube
Zu Dir, o Gott, mein Heil.
Ich bin der Schuld entladen,
Ich bin bei Dir in Gnaden,
Und in dem Himmel ist mein Theil!“

|  Sie rief laut und mit dem ihr eigenen freundlichen, edlen Ernst: „Ich glaube an den heiligen Geist, Eine heilige, christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben! Amen.“ –

 Immer stiller wurde sie; doch erkannte sie meine Stimme bis an’s Ende, redete auch selbst noch oft mit mir im Delirium, forderte mich zu diesem und jenem auf, „den Christbaum, da ja Weihnachten sei, anzuzünden“ etc. Endlich wurde sie ganz stille und schlief, wie es schien, einen natürlichen Schlaf mit geschloßenen Augen. Die Drüsengeschwulst, welche wir Tag und Nacht zu erweichen bemüht waren, schien aufzugehen. Man überließ sich der Hoffnung, da eben der Tod an der Thüre pochte. –

 Von vielem Wachen, leiblicher und geistiger Anstrengung über die Maßen müde worden, schlief ich auf dem Sopha ein, und die Wärterinnen thaten nicht, wie ich ihnen geboten hatte, sie weckten mich nicht. Als ich erwachte, war es hell, und mich überfiel ein Schrecken, als ich bemerkte, daß das arge Fieber wieder durch den kranken Leib hinjagte. Ich hatte gehofft, – denn es war Freitag, – Betstunde halten und dem HErrn danken zu dürfen, nachdem ich die ganze Woche außer sacramentlichen Handlungen nichts Amtliches vorgenommen hatte. Wie war meine Freude zu nichte! – Am Vormittag ruhte das Fieber einige Augenblicke. Zweimal sah sie mir mit aller Freundlichkeit ihres lieben Angesichtes in die Augen. Darauf sagte sie bittend: „Ach halt mich!“ „Ach Mutter! Ach Wilhelm!“ dann| lag die Zunge gelähmt im Munde. – Dennoch hoffte und hoffte ich, bis ich nicht mehr konnte. – Schon in der Nacht zuvor hatte mich einmal der Gedanke durchzuckt: „Bisher hast du Alles mit ihr gelitten, nun geht sie die Leidensbahn allein, ist los von dir!“ Nun aber trat der Gedanke mit gebieterischer Nothwendigkeit hervor. Ich ergoß mein schmerzenreiches Herz in Gebete, die ich nicht mehr weiß. Nur das weiß ich, daß ich sie keinem, keinem überlaßen konnte, übergab und opferte, als Ihm, unserm HErrn JEsu,  – und daß ich betete, ER wolle mich durch sie aufnehmen in die ewigen Hütten. – Zwei meiner Amtsnachbarn waren gekommen, in Hoffnung, eine Genesende zu treffen. Sie kamen eben recht, um mitzubeten, mitzusegnen. Heftige Schmerzen drangen auf sie ein, sie stöhnte. Hernach betete sie mit lallender Zunge, das trübe Auge fest auf einen Punkt gerichtet. Ich vernahm, wie sie oftmals von der müden Zunge ein „HErr, hilf!“ abwälzte. Endlich – gieng ihr der HErr entgegen. Sie entschlief unter dem lauten, gemeinsamen Segen der anwesenden Priester und Hausgenoßen. Ich dankte ihr für die zahllosen Wohlthaten ihrer aufopfernden Liebe, – ich wurde der ärmste unter der Sonne, während sie ewigen Reichthum ererbte. –

 Bei ihrem Scheiden erwies sich’s, welche Liebe eine anspruchlose Frau finden kann. Bescheidener, anspruchloser, demüthiger als sie, habe ich nie ein Weib gesehen. Aber sie hat viele und große Liebe gefunden. Davon zeugten die Thränen und Wehklagen auch solcher Leute, die für fremde Leiden wenig Herz und Theilnahme haben.

|  Mein theurer Bruder, der sie kannte, schrieb mir: „Du hattest an ihr, was auf Erden kaum mehr zu finden, ein ächtes Weib voll Sanftmuth und Liebe und ohne Falsch. Ob ich sie gleich mehr, als meine leiblichen Schwestern liebte, so war meine Hochachtung gegen sie doch noch viel größer. Denn an ihr merkte ich mehr, als an allen Weibern, die ich je kennen lernte, was ein Weib sein soll, und wie ein Weib das Vorbild der heiligen Ehe begreifen kann. Heiligung war ihre andere Natur. Dafür soll sie von uns ewig gesegnet sein! Sie hat uns und ihrer ganzen Umgebung zur Freude gelebt, und seitdem sie gestorben und die ewige Freude genießt, die der HErr den Seinen nach diesem Kreuzesleben als Gnadenlohn bereitet hat; seitdem habe ich eine unbeschreibliche Sehnsucht auch nach dem HErrn, bei dem nun ihre heilige Seele lebet.“ –

 Sie starb am 24. November 1843, Nachmittags gegen 3 Uhr, am Todestage, in der Todesstunde des HErrn. Hier auf Erden hat sie 24 Jahre und fast 5 Monate gelebt. – Am letzten Sonntage des Kirchenjahres, 26. November, stellten wir ihren Sarg neben den der vielgeliebten Mutter, und ich hielt ihr am Grabe den kurzen Lebenslauf. – Du weißt nicht, Leser, was ich hiebei verschweige.

 Der HErr vereinige mich und meine Kinder mit ihr vor Seinem Throne ewiglich!

Amen.
Selig sind die Todten, die im HErrn sterben.

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NB. Was ich im 10. Brief von Brandts Briefen über die
Jungfrau im Brautstand, über Pfarrfrauen und über eben
diese in meinem Pastorale gesagt habe, das ist
Helenens treues Bild.


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Anhang
nach
zwei und zwanzig Jahren.

| |  Es sind nun reichlich 22 Jahre, seitdem ich den vorausstehenden Lebenslauf geschrieben habe. Wie viel ist anders geworden! Bereits blüht auf meinem Haupte der Mandelbaum, und Helenens beide Söhne – der dritte und jüngste folgte ihr bald – haben ihre Brautzeit hinter sich und stehen am eigenen Heerd. Ihre Tochter hat bereits die Lebensjahre ihrer Mutter überholt, Ernst und Weh des Lebens mehr als die vielgeliebte Vorgängerin erfahren. Aber ich unterschreibe den Lebenslauf und seinen gesammten Inhalt noch heute. Ich habe ihn mit ernster Prüfung gelesen, um ihn zu corrigieren, wenn etwas zu corrigieren wäre, um ihn dann, aufs neue als Manuscript gedruckt, ihrem jüngeren Sohn zur Feier seiner Hochzeit zu bieten. Aber nein, ich corrigiere nichts, wörtlich nichts als ein einziges M, das ich vor das Wörtchen ein gesetzt habe.
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 Vor 22 Jahren meinte einer, es sei doch an Helene gar nichts Besonderes gewesen; seine Frau habe mehr Ausgezeichnetes gehabt. Ich konnte ihm Recht laßen. Die vergangenen 22 Jahre, in denen ich ein Lehrer und Erzieher und Beichtvater so vieler Frauen und Jungfrauen geworden und gewesen bin, haben| mich mit manchem weiblichen Wesen bekannt gemacht, dessen Gaben, wenn man hätte vergleichen wollen, Helenens Gaben weit überstrahlten. Ich meine es gewiß zu wißen, daß Helene sich z. B. vor mancher Diaconissin, wenn sie die Zeit erlebt hätte, tief verneigt haben und gethan haben würde, was sie mir manchmal so holdselig gethan hatte, – nemlich ihren Schemel geholt, ihn zu deren Füßen gerückt und ihr in vergnügter Hingabe zugehört haben würde. Von wie vielen, vielen wurde und wird sie überstrahlt! Auch könnte man sie eben so wenig unter die Namen unserer Kalenderheiligen einreihen, wenn ich sie gleich eine heilige Magd Gottes genannt habe. Wie an Gaben, so war sie auch an der heroischen Tugend, die man von einer antiken Heiligen verlangt, nur klein. Aber was mir an ihr so wohl gefallen hat, war das Bewußtsein ihrer Kleinheit und ihres Nichts, das sie nicht drückte, nicht genierte, sondern ihr Herz ganz und gar ihrem höchsten Schatze Christo öffnete: an freudiger Niedrigkeit, dazu an geheiligter Natürlichkeit, an Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit des Daseins und Benehmens habe ich ihres Gleichen nicht gefunden, – vielleicht nur, weil ich zu gerne sie in diesem Lichte ansah, als daß ich andre hätte neben ihr im gleichen Lichte sehen können. Andre sehen dasselbe an andern, ich an Helene. Wo es sich aber findet, redet es an’s Herz und macht die Seele dessen fröhlich, der den Anblick hat.
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 Ehe ich um sie warb, ließ ich, wie die Freier thun, ihren Sinn erforschen, nemlich durch ihre eigene Mutter. Die Mutter schrieb: „Ich habe Helenen Ihren Brief nicht mitgetheilt, demohnerachtet sind alle Fragen| mit einem freudigen Ja beantwortet: ihre Herzenseinfalt ist groß, und dies wird anerkannt werden: nur in einem recht einfachen Leben wird sie glücklich sein, und auch glücklich machen.“ Und wahrlich, das wenigstens ist anerkannt worden, vor allen von mir; und so ist’s gekommen, sie hat das Glück der Einfalt empfangen und dargereicht, nemlich mir.
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 Wie sich die Helenen von Gott verliehene natürliche Art ausgenommen und gegeben hat, ehe sie ihren HErrn kennen lernte und sich Ihm herzlich ergab, weiß ich nicht. Ich kenne sie nur auf ihrem Gang zu Christo und in Christo. Da aber unterschied sich die Zeit vor und in der Ehe. Vor der Ehe prägte sich die natürliche Einfalt in bescheidener, fast scheuer Jungfräulichkeit aus. St. Pauli herrliche Worte vom Stande der Jungfrauen 1. Cor. 7. erfüllten die Seele der Jüngerin. „Eine Jungfrau sorget, was des HErrn ist,“ das konnte man von ihr oft hören und lesen. In der Ehe hingegen herrschte ganz der Ton Epheser 5, 32. 33. Der Wechsel des einen Standpunkts mit dem andern kam Helenen anfangs schwer an, bis ihr die Einfalt Muth und Freudigkeit verlieh. „Ich habe heute – schrieb sie als Braut am 14. Juni 1837 – in Luther’s Weisheit die Auslegung von 1. Mos. 16, 1–6. u. 1. Mos. 23, 24. gelesen. Jetzt lese ich solche Sachen mit einem besondern Vergnügen; früher habe ich sie nicht gerne gelesen;  – jetzt gefallen mir Stellen wie 1. Petr. 3, 1–7. sowohl, früher gefielen mir 1. Cor. 7, 32–34. besonders. Es ist jetzt grade umgekehrt. Ich danke meinem Gott, daß ich Dein Weib werde und laße Ihn nicht, Er segne| uns denn.“ So fand sich am Worte ihre Einfalt zurecht. – Schon vorher, am 13. Mai 1837, hatte sie geschrieben: „Nach Ihm ist mir mein theurer Bräutigam der Nächste, mein Liebster. Ich wünsche, daß unsere Liebe recht nahe, innig, einfältig werde. Mein Herr bleibst du aber doch immer, denn Gott sprach zu Eva nach dem Sündenfalle: Dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein.“ Mit Einfalt erfaßte sie alle Lebensverhältnisse, und es gelang ihr eben so echte Jungfräulichkeit, jungfräulichbräutliches Wesen und reine Weiblichkeit mühelos. Das zeigte sich hernach auch in der Ehe. Die meisten Frauen können ihren Männern nicht recht beichten und thun auch am besten, nicht sie zu Beichtvätern zu nehmen. Helene brauchte das nicht: das trauliche Du, das magdliche „Herr Pfarrer“, das: „Würdiger, lieber Herr, Ihr wollet meine Beichte hören“ – gelang ihr ohne alles Heucheln eines wie das andere; nicht Kunst, sondern Aufrichtigkeit und Wahrheit war bei dem allen. Einfalt leitete von einem Benehmen zum andern. Und diese Einfalt, die von innen nach außen mühelos lebt, in heiliger Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit sich in jeder Lage frei und kindlich bewegt, für jede Lage das freie, aufrichtige, innere Verhalten findet, – das war Helenens Theil und schönste Gabe. Sie konnte drum ihre Unwißenheit zeigen, ungeschickte Fragen bringen, die geringste Schülerin sein, ohne daß sie einmal sich linkisch benahm. Wie wenn sie voll Weisheit und Erkenntnis redete, nahm man ihr Fragen und kindlich Forschen auf. Oft aber fand sie kraft der Einfalt das schönste Wort zum schönsten Sinn und| redete, ohne daß sie es merkte, holdselige Worte der Wahrheit, welche ihr die Herzen gewannen.

 Weil man das so gar selten findet, und dagegen so gar oft an Jungfrauen und jungen Frauen eine bubenartige Freiheit oder weibische Ziererei tadeln muß; so habe ich mir längst vorgenommen, den wenigen, denen ich einen 2. Abdruck von Helenens Lebenslauf vermeinen kann und darf, einen Anhang beidrucken zu laßen, Stellen aus Helenens Briefen, unter dem Tittel: Stylus simplicitatis, Styl der Einfalt. Ob mirs gelingt, weiß ich nicht, denn ich muß ja die Stellen aus dem Zusammenhang reißen, in dem der Glanz der Einfalt weit milder und schöner leuchtet. Gelingt es nun auch nicht recht, so kann ich mich vielleicht bald bei Helenen entschuldigen; andere beleidige ich mit meinem Thun nicht. Ich gebe das Blatt keinem, der mir mein Vornehmen verargt. Was ich will, ist – weibliche Personen meiner Lebenskreise zur Einfalt reizen, sonst gar nichts. Den Preis weiblicher Einfalt, der schönsten, aber seltensten weiblichen Tugend meine ich durchaus und in allen nun folgenden Stellen. Sie haben sonst gar keinen Werth.




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Stylus simplicitatis.

 1. Im zweiten Briefe an den Bräutigam, am Himmelfahrtstage 1837, schrieb sie, wie zur Einleitung ihres Briefwechsels, – denn der Brief mit ihrem Ja ist für sich – wie folgt:

 „Heute ist des HErrn Himmelfahrt. Ich bin fröhlich in meinem Gott, denn Er wird auch uns segnen vom Himmel, wie Er Seine Jünger gesegnet hat, und auch mein lieber Herr Löhe und seine Helene werden die Kraft Seines Geistes empfahen. Nach Seiner Verheißung wird der HErr bei uns sein alle Tage bis an des Lebens Ende; mit Ihm haben wir alles! Wenn wir nur Dich haben, so fragen wir nichts nach Himmel und Erde; wenn uns gleich Leib und Seele verschmachtete, so ist doch Gott unseres Herzens Trost und unser Theil! Amen.“ –

 2. Da es sich um Anschaffung von Möbeln etc. handelte, wendete sie einfach den Grundsatz der Einfalt, der sie unbewußt leite, auch auf die Möbel an und schrieb:

 „Wie dürften wir uns Pracht im Irdischen wünschen, da unser HEiland arm ward auf Erden um unsertwillen, damit wir durch Seine Armuth reich würden. Nur reich an himmlischen Gütern wolle uns der HErr machen. Reich an Glauben, Liebe und Demuth.“ –
|  3. Ihr Leben in der jungfräulichen Zeit war nicht geeignet, sie für den Haushalt auszubilden, am wenigsten aber für den eines Landpfarrers; das sah sie wohl und schrieb:
 „Der HErr sei in mir Schwachen mächtig, Er stärke mich und gebe mir Tüchtigkeit zu meinem Beruf, denn ich verstehe noch gar wenig eine Haushaltung zu führen. Was ich nicht weiß, will ich mit Freuden lernen, und Ihre Geduld habe ich schon kennen gelernt. Sie haben schon viel an mir bewiesen, so werden Sie auch ferner mit Ihrer Helene Geduld haben.“ –
 So that sie auch. Für gewisse Dinge, z. B. Näherei u. dergl. brauchte sie wenig oder nichts zu lernen; sie kam aus Umgebungen und Lebenskreisen, die ich zuweilen „hohe Schule der Näherei“ nannte. Aber von einer alten Landfrau lernte sie am Rade spinnen, von einer Pfarrersfrau das Spinnen an der Spindel; ein Bäcker lehrte sie Seifensieden. Von den Bauernfrauen lernte sie Brot backen. Von jedem lernte sie, was sie von ihm lernen konnte. Eine Schülerin aller, kam sie schnell empor. So gerne lernte sie aber, daß sie immer lernen wollte. Wenn sie mit ihrer Schwieger unter den Frauen saß; so waren alle erfahren, jede wußte zu rathen und zu thaten, nur Helene und ihre Schwieger nicht. Diese, eine Greisin, horchte auf all die jungen Erfahrungen, neigte das Haupt hin und her und, weil sie gar nichts erfahren hatte, bewunderte sie andre nur immer mit einem gut fränkischen: „Was sagen’s!“ Helene aber horchte auch nur| und fragte, wie ein Kind. Es war, wie wenn sie nur immer andern gehorchte. Still hin that sie ihr Ding – alles ordnete sie – und man merkte nichts. Der Haushalt war keine lärmende Maschine, sondern einem Baume gleich, der wächst und grünt und blüht und Früchte bringt zu seiner Zeit, aber bei all der reichen Thätigkeit kein Geschrei und keinen Lärm macht.

 4. Es handelte sich drum, wann der Bräutigam die Braut besuchen sollte. Ihr Vater meinte, an Pfingsten; aber Helene konnte an Pfingsten den Bräutigam nicht brauchen, weil der Brautbesuch Unruhe verursachte, sie aber mit ihrer Mutter Ruhe haben wollte, um zum heil. Mahle zu gehen. Der Brautbesuch „pressierte“ nicht so. Darum schrieb sie:

 „Meine liebe Mutter und Ihre Helene möchten gern die Pfingsten zum heil. Mahle gehen; würden Sie dann vor Pfingsten kommen, so würde diese Zeit durch viele Besuche wohl unruhig werden. Die Pfingsttage selbst sind große Lustbarkeiten in Frankfurt, ruhig kann ich diese Zeit nicht nennen.“ –

 Denselben Brief schloß sie in ihrer feierlichen Einfalt:

 „Der HErr segne uns! Ich fürchte mich nicht, denn der HErr ist bei uns alle Tage mit Seinem Geist. Der HErr sei unsre Stärke, unser Fels, unsre Burg, unser Erretter, unser Gott, unser Hort, unser Schild und Horn unsres Heils und unser Schutz! Amen.“ –
|  5. Helene hielt schon als Mädchen gern ihre stille halbe Stunde, nur daß wir damals den Ausdruck „stille halbe Stunde“ nicht hatten; er gehört einer Zeit an, wo sie nicht mehr hier lebte. Sie trug ihren Schemel gern in ihren stillsten Winkel, schlug ihr Buch auf, las und betete. In der Brautzeit las sie unter anderem Luther’s Büchlein von der Freiheit eines Christenmenschen. Da kam sie auf dem Wege ihrer stillen Gedanken bis zu einer Wahrheit, die sie nicht auszusprechen wagte, die aber groß und schön ist im ehelichen und innern Leben des Mannes und seiner Frau. Sie schrieb am 28. Mai 1837:
 „In dem Sermon von der Freiheit eines Christenmenschen las ich heut auch eine herrliche Stelle über die Vereinigung der Seele mit Christo, als einer Braut mit ihrem Bräutigam. Wenn Christus und die Seele ein Leib werden, so werden auch beider Güter, Fall und Unfall und alle Dinge gemein; das, was Christus hat, das ist eigen der gläubigen Seele; was die Seele hat, wird eigen Christo. So hat Christus alle Güter und Seligkeit, die sind der Seelen eigen. So hat die Seele alle Untugend und Sünde auf ihr; die werden Christi eigen: Dank und Lob sei Gott für diese selige Vereinigung.“ –
 „Den unterstrichenen Satz verstehe ich aber nicht in Beziehung auf unsere Vereinigung; oder ist unsre Vereinigung auch so innig wie die der Seele mit Christus? Ist sie’s nicht? Du wirst ja mein Lehrer auch jetzt noch sein.“ –
|  6. An demselben Tage schrieb sie in Bezug auf den indes geschehenen Brautbesuch:
 „Herzlichen Dank für Deinen mir so lieben Besuch in Frankfurt. Ich meine, ich könne Dich jetzt mehr lieben, seitdem ich Dich gesprochen und gesehen habe. Ich weiß nun gewiß, daß der HErr Dein Herz zu mir geneigt hat. Der mir so liebe Vers: „Neige, HErr, Sein Herz zu mir, wie du liebest die Gemeine, daß auch dies Geheimnis hier in uns beiden recht erscheine. Laß ihn mein, mich Seine sein, schlage Händ und Herzen ein!“ Dies war vor Deinem Besuch ein Gebet, und nach demselben sehe ich mein Gebet schon erhört.“ –

 Es war aber der Brautbesuch ganz wunderlich, die Braut war einsylbig, still, feierlich freundlich. Nachdem sie mir die Hand gereicht hatte, führte sie mich zu ihrem Fortepiano, setzte sich, schlug an und sang: „Seelenbräutigam, JEsu, Gottes Lamm.“ Wenn Gesellschaft da war, entzog sie sich oder gieng allein. Wenn sie allein mit dem Bräutigam war, redete sie auch wenig. Als ich am Schluße des Besuches zur Post gieng, saß sie allein in der Gartenlaube und nähte. „Helene, begleitest du mich bis zur Post?“ Antw.: „Nein, aber wenn du wieder kommst, geh ich ganz mit dir.“ Damit reichte sie mir die Hand, und ich gieng mit ihrem Vater zur Post.

 7. Am 31. Mai schrieb sie von Hanau, wo sie bei ihrem Bruder war:

 „Seitdem Du weg bist, war es mir oft wohl und als weh zu Muth. Aber Du fehlst mir| recht, besonders nun in Hanau. Es betrübt mich aber, wenn ich manchesmal betrübt bin und weiß nicht recht warum; wiewohl ich so gar viel Ursach hätte, Gott zu danken und zu loben. Am Sonntag giengst du weg. Am Montag hätte ich mit tausend Zungen meinem Gott singen mögen. Doch den Mittag hörte es auf. Wir packten einiges ein, um nach Hanau zu fahren. Unterwegs sah ich auf dem Schiff so mancherlei Menschen, die Gottes Gnade noch nicht erfahren. Da war ich nicht vergnügt, ach und das Beten vergeße ich dann so oft.“

 Das psychische Leben der Frauen, sonderlich derer von schwachen Nerven, zu denen Helene gehörte, gleicht einem zarten Saiteninstrumente: es unterliegt Stimmungen und Verstimmungen. Helenens Geist war dem feind, – wollte immer nur die heitere Seelenstimmung. In der Ehe gelang es ihr. Immer heiterer, immer munterer – so wurde sie.

 8. In der Beantwortung ihrer Frage in Nr. 5 hatte der Bräutigam gemeint: „Es gibt keine höhere Verbindung als mit Ihm, aber diese Verbindung bildet sich auf Erden am schönsten ab, wenn zwei Eheleute nur Ein Herz haben und dies Eine an Ihn hängen.“ – Darauf kam am 3. Juni das Echo ihrer Einfalt:

 „Meine größte Freude ist, daß wir beide nur Ein Herz haben, und dies Eine nur allein an Christus hängt. Ja, Gott gebe, daß es recht fest an Ihm hängt! Amen.“
|
 „Vergangenen Sonntag hast Du für mich gebetet, diesen Sonntag ich für Dich, daß der HErr Sein Wort, welches Du verkündigst, auf ein gutes Land fallen laße, daß es gute Früchte bringen möge! und auch einst in Neuendettelsau! Amen.“ –

 9. Der Bräutigam wollte es der in Haushaltungssachen noch unerfahrenen und unerprobten Braut beim Eintritt in Neuendettelsau bequem machen und schrieb etwas der Art. Sie aber fühlte sich und sprach sich in ihrer Weise aus: „Du darfst Deine Helene nicht so gar sanft und wohl betten; sie möchte dies nicht gut vertragen. Deine Liebe meint es gut; doch ist es für Dein Weib sehr gut, wenn Du ihr etwas zumuthest. Ich kann arbeiten. Gott hat mir ja einen gesunden Leib und Kraft gegeben. Du denkst mich zu schonen und mir deshalb meine häuslichen Pflichten bei meinem Eintritt in Neuendettelsau abzunehmen. Es kommt mir ein wenig eigen vor. Doch mach’s, wie Dir es am besten däucht. Du weißt, Deine Helene versteht nichts und ist gar einfältig.“ – Es zeigte sich hernach, daß man so eine Einfältige getrost auch in ein noch nicht betretenes Arbeitsfeld eintreten laßen darf.

 10. Als ihr nahe gelegt wurde, nicht alle Briefe des Bräutigams zu beantworten, damit sie sich nicht eine Last auferlegte, schrieb sie:

 „An Dich zu schreiben, ist mir gar keine Last, wie kannst Du nur so etwas von Deiner Braut denken; mich mit Dir zu unterhalten, macht mir Freude. Ich glaub, ich denke eben so oft an| Dich, wie Du an mich. Du sagtest einmal, das, was man am liebsten hat, denkt man am öftesten; Dich habe ich ja nach Gott am liebsten. Viele Grüße von den Meinen. Der lieben Mutter geht es nicht gut, sie ist sehr gedrückt. Der HErr schenke ihr Freudigkeit zu wandeln Seinen Weg. Der Vater ist vergnügt und wird morgen schreiben. Emilie läßt sich schönstens für Deinen lieben Gruß bedanken, sie habe Dich auch sehr lieb und wünsche sich einmal 1/2 Jahr ganz allein zu uns. Philipp war auch hocherfreut über Deinen Gruß und läßt Dich merkwürdig grüßen. Eben jeder weiß einen anderen Gruß. Die Briefe, welche ich an Dich schreibe, werden, seitdem Du in Frankfurt warst, nicht wieder abgeschrieben, denn Du hast mir es ja damals gesagt.
 Ich schreibe Dir zwar immer kurze Briefe, aber ich freue mich immer, wenn ich einen längeren von meinem Bräutigam erhalte. Du hast mir eben mehr zu sagen, wie ich Dir, aber unsre Liebe, denk ich, ist eine so groß als die andere.“
 Ein andermal (13. Juni) schloß sie einen Brief: „Ich weiß Dir nicht viel zu sagen, so will ich aufhören, und doch habe ich Dir mit Lust geschrieben, wenn auch wenig.“ –
 11. Helene wurde von ihrem Bräutigam ermahnt, sich allezeit zu geben, wie es ihr ums Herz sei, wie| sie eben könne. Das eben wollte sie. Sie wollte gerne von innen heraus nach außen ein reiner, lauterer Bach sein, und fühlte es schmerzlich, wenn die Harfe nicht harmonisch, hell und klar aus dem Innern tönte. Sie schrieb am 5. Juni:
 „In Gedanken habe ich Dir heut schon einen Brief geschrieben, denn ich hätte Dich gar gern ein wenig gesprochen und Dich Manches gefragt. Mein Herz ist ein trotzig und verzagtes Ding, das weißt Du freilich; aber weil ich Dir sagen soll, wie mir es immer ist, so will ich Dir nun auch schreiben, daß es mir heut nicht wohl zu Muth. Schon gestern merkte ich es, daß ich nicht recht ruhig in Gott war, und mir fiel der Spruch ein: „Eure Untugenden scheiden euch von eurem Gott.“ Heute war ich bei Tante und Onkel S., um Deinen Gruß auszurichten, und las ihnen was aus Deinen Briefen vor, weil sie Dich lieben und gerne von Dir hören. Da sagten sie zu mir, ich sei, während mein Bräutigam da gewesen, so ganz anders gewesen, lang nicht so lustig. Das sagen auch die Meinen. Ich finde wirklich was Wahres darinnen. Wenn ich mich auch grade nicht anders habe geben wollen, so war ich doch allerdings anders, so lange mein Wilhelm bei mir war; ich glaube, Du hast mich nicht von der schlimmen Seite diese Tage kennen lernen, sondern etwa von der besten, und doch wirst du noch viel an mir zu tadeln gefunden haben. Ach, mein Herz ist ein gar bös und trotzig Ding. Ich vergeße| so gar leicht meinen unsichtbaren, aber himmlischen Bräutigam! Ich bin daher betrübt, daß meine Liebe zu Ihm, der mich bis in den Tod geliebt, noch so gar kalt ist. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich manchesmal betrübt. Der HErr erforsche mich und erfahre mein Herz, Er prüfe mich und erfahre, wie ich’s meine, Er sehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege!“

 Auch später schrieb sie ähnlich. So am 6. Juli:

 „Die liebe Mutter hat sich schon darüber betrübt, Emilie darüber gezankt, daß ich so gar einsilbig mit Dir gewesen sei. Dir wollte ich nicht weh thun, aber ich höre Dir lieber zu, als daß ich selbst spreche. Das wird sich schon geben, wenn wir zusammen, und sprechen dürfen von dem, was uns das Liebste ist.“ –

 12. Am Gedächtnistag ihrer Confirmation, 8. Juni 1837, schrieb sie:

 „Ich habe dem dreieinigen Gott, heute, wie vor zwei Jahren auf den 8. Junius, mein Taufgelübde erneuert und von Herzen die drei letzten Verse des Liedes: „Ich bin getauft auf Deinen Namen“ gesungen, und Du bist mit mir Eins, und so hab ich Dich auch dem HErrn hingegeben. Ich denk, wenn ich für mich bete, so bete ich auch gleich für Dich mit. – Dem HErrn sei Lob und Preis, daß Er uns erhalten hat bis auf den heutigen Tag, Er möge auch ferner mit Seinen armen Kindern Geduld haben, und uns| leiten auf Seinen Wegen. Der HErr hat bis hieher geholfen, und uns gesegnet, Er segne uns auch reichlich in der Ehe und gebe, daß wir in Demuth Seine Gnadenkinder bleiben! In JEsu Namen! Amen.“ –
 „Ein Lieblingsvers von mir ist der: „Der ewig reiche Gott woll uns in unserm Leben ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben.“ So theil ich Dir, meinem Liebsten, denn heute mit, daß ich recht vergnügt in Gott bin.“ –

 13. Der Bräutigam hatte Helene eine Predigt über die Entschuldigungen der Geladenen, die er in einer Landgemeinde gehalten hatte, geschickt. Darauf schrieb sie:

 „Gott wolle in uns thronen, Seine Gnade in uns hausen, Sein Geist uns regieren immerdar! Du läßt Dich nicht entschuldigen, daß Du ein Weib genommen hast. Nein, sondern Dein Weib geht mit Freuden mit, und bin froh, daß Du auch, da Du noch nicht der Meine warst, mich genöthigt. Wenn ich nur den HErrn von Anfang geliebt, und nun, da ich Ihn liebe, sagen dürfte, daß ich Gott liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allem Vermögen!“ –
 14. Die Stimmungen und die Sehnsucht, immer gleich und heiter vor dem HErrn gestimmt zu sein, kamen in Helenens Briefen öfter vor. Antwort war gegeben, beide Brautleute hätten ziemlich gleiche temperamentliche Anlage. Darauf schrieb sie, – Du wirst| schier lächeln, Leserin, – und ihr war es doch voller Ernst der Einfalt:
 „Ich hätte wohl niemals glauben können, daß Du etwas Gleiches mit mir hast, ich merke aber jetzt immer mehr, daß wir Eins sind, weil Du mir manches sagst, das Du mit Deinem schwachen Weibe gleich habest. Und Dir glaube ich es. Der HErr hat uns schon gesegnet dadurch, daß wir uns einander lieb haben. Die Liebe aber verträgt alles, sie glaubet alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Wenn wir nur immer Gott recht lieben und an Ihn glauben! Psalm 63, 9, Unsre Seele hanget Dir an, Deine rechte Hand erhält uns! Ja, Amen.“ –
 15. Der Bräutigam hatte geschrieben: „Recht schön ist’s, daß Du immer aufrichtig Deine Freuden und Deine trüben Stunden mittheilst. Fahre auch dann fort, wenn Du nicht mehr Dinte und Feder bedürfen wirst, Dich mir mitzutheilen. Siehst Du, es scheint mir Aufrichtigkeit, die nichts auf dem Herzen behält, ein Haupterfordernis zu einer glücklichen Ehe zu sein. Oft behält man etwas in sich, hat viel trübe Stunden und Tage drüber, und könnte es so leicht überwinden, wenn man nur reden möchte. Entzieh mir niemals Dein Vertrauen, auch wenn es manchmal schwer werden sollte, meinem elenden Herzen mit Vertrauen nahe zu kommen. Dräng Dich hinan an mein Herz, Du gehörst dahin; sei Du mir verbundenstes Herz ja nie zu stolz, in mich zu dringen: Du wirst Dir so manches erleichtern und mir große Wohlthat thun, – wirst auch über mich| und mein trotziges Herz einen Sieg um den andern gewinnen und immer mehr einen freundlichen, sich gleich bleibenden Hauswirth an mir bekommen.“ – Darauf schrieb sie einfach:
 „Wenn Du kommst bin ich eben grade, wie mir es zu Muthe. Was ich Dir im ersten Brief geschrieben, schreibe ich Dir auch in den letzten, ich wünsche sehr immer ein offenes Buch zu sein gegen Dich, meinen lieben Mann; Dir will ich gern alles sagen. Gegen andere habe ich immer geschwiegen, was die liebe Mutter oft betrübt hat. Ich habe es nur dem lieben Gott gern gesagt, weil Er mich verstand und trösten konnte in Seinem Wort.“ –

 Es gelang ihr hernach auch wirklich, wie ich es wünschte.

 16. Am 13. Juni erkundigte sie sich:

 „Wie geht es Dir denn, mein Liebster? Bist Du traurig oder bist Du vergnügt in Gott? Deine Helene hat jetzt ziemlich viel zu thun. Ich möchte gern noch manches arbeiten. Aber vor allem möchte ich gern beten lernen ohn Unterlaß und kämpfen den Kampf des Glaubens und mit meinem Heiland immer inniger verbunden werden. Ich kann’s nicht begreifen, daß ich den HErrn noch so wenig lieb habe: es ist mir doch nicht schwer worden, Dich zu lieben, und beim Heiland wird mir’s so schwer. Der HErr erbarme sich unser und schenke uns die erste Liebe. Amen.“ –
|  Von andern schrieb sie am 16. Juli:
 „Es ist ein rechter Jammer, daß die N. N. alle den HErrn nicht lieb haben. Da haben sie gelacht, und E. gesteht selbst, sie lache oft recht viel und sei dabei so traurig inwendig, Sie möchten, glaube ich, alle gern ihre tiefe Traurigkeit aus dem Herzen lachen. Und es geht nicht. Der HErr wolle ihnen gnädig sein, statt dieser Freude ihnen eine göttliche Traurigkeit geben! Es ist was eignes um die Liebe. Meine Freundinnen, und ich glaub, fast alle, die mich lieb haben, haben mich lieber, wie ich sie liebe. Ich hab sie alle lieb, meine Liebe scheint mir so klein. – Der HErr thue über Bitten und Verstehen, und schenke mir Liebe, die ich jetzt noch nicht verstehe. Du brauchst auch recht viel Liebe, denn Du hast ja viele Seelen zu lieben. Der HErr segne Dich, meinen lieben Bräutigam, mit reicher Liebe und gebe, daß ich Deine Gehilfin auch in der Liebe werde!“ –
 17. Am 15. Juni schrieb der Bräutigam: „Laß Dir etwas sagen, Helene. Wenn nur wir zwei miteinander recht in Liebe stehen, dann liegt an viel andern Dingen nichts: wir werden’s in vereinter Geduld ertragen. Damit wir aber recht in der Einigkeit stehen, sei das unter uns eine ausgemachte Sache, daß wir recht aufrichtig gegen einander seien, aber, was wir einander sagen, nie in Scherz und Spott einkleiden, sondern in heiligen liebevollen Ernst. Ich habe es bei so vielen Ehestreitigkeiten, die mir als Seelsorger schon| in die Hände kamen, gefunden, daß die ersten Wunden mit lachenden Reden und Neckereien geschlagen wurden. So wollen wir uns auch hüten, mit einander zu tändeln und zu spielen. Lieben wollen wir uns, aber wir wollen dabei das Wörtlein „ehren“ in der Auslegung des 6. Gebotes nicht vergeßen. Denn die Ehre ist eine Hüterin der Liebe und behütet sie, daß sie lebe und nicht untergehe. Wenn man mit einander spielt und tändelt, kann man nicht mit einander beten, und das bewirkt dann gewiß zuerst böses Gewißen, dann Oede und Leere, die leicht schlimmere Folgen für die Liebe hat. – Doch von Dir habe ich nichts zu fürchten.“

 Helene antwortete auf solche Naseweisheit des selbst noch jungen Pfarrers in ihrer Weise mehr als einmal, z. B.:

 „Mir aber gebe Gott, daß ich meinen Mann nicht allein liebe, sondern, daß ich mich auch recht oft erinnere, daß mein Mann ein Bild des rechten, hohen Hauptes Christi, um dessen willen ich Dich gern ehren will, und thun, was Dir gefällig ist. Dann wird der HErr geben, daß unsere Ehe eine christliche, göttliche Ehe ist.“
 „Der HErr lehre mich immer mehr auf Ihn vertrauen, denn Er ist unsere Hülfe. Er bleibe unsere Zuversicht für und für, so werden wir Ihm danken und Seine Liebe preisen ewiglich! Gott sei mit Dir, den ich täglich mehr liebe und ehre, und behüte Dich, mein Liebster. Wir sind im HErrn verbunden, unsere Liebe wird nicht aufhören, dafür wollen wir danken!“ –
|
 18. Bei allem und allem gieng mit ihr ein Gefühl des menschlichen Nichts, und sie sprach es dann manchfach aus, z. B.: „So hat Gott aus Gnaden auch Dein Weib erwählt, die wahrlich nichts ist, daß Er zu Schanden mache, was etwas ist. Wer sich rühme, der rühme sich des HErrn. Das müssen wir thun. Nur den HErrn rühmen und Seine Gnade und Liebe, die Gott an uns erweiset! Ja, Amen.“ –

 Das gieng ihr lebenslänglich nach. Sie wollte immer bei den Unmündigen sein, sie brauchte von sich selbst am liebsten solche Worte, welche ihren Mangel an Geistreichigkeit und glänzender Begabung aussprachen. Aber ihr Gefühl drückte sie nicht, und es fiel ihr gar nicht ein, deshalb Liebesmangel bei ihrem Bräutigam oder andern zu befürchten. Im Gefühle ihrer Armuth und beim Bekenntnis derselben war sie heiter und glücklich. Ihre Liebenswürdigkeit und ihr Werth stieg, je kleiner sie in ihren Augen wurde. Sie schrieb:

 „Der HErr behütet die Einfältigen. Wenn ich unterliege, so hilft Er mir. Der HErr ist mit uns, darum will ich mich nicht fürchten.“
 „Diese Sprüche haben mich recht froh gemacht. – Ich danke dem HErrn, daß Du mich demüthigst und hilfst mir. – Wenn ich wenig in meiner lieben Bibel lese, da fehlt mir das Beste. Manchesmal werde ich so vergnügt, wenn ich Gottes Wort lese!“
|  Und bei dem Gefühle der Niedrigkeit hatte sie himmlischen Sinn und Himmelssehnsucht.
 „Es vergeht ein Tag nach dem andern. Der HErr denket an mich und Dich, der im Himmel sitzet! Der Engel, der Jakob erlöset hat, segnet Dich und mich! Der Friede des HErrn ist mit Dir und mir in Vergebung unserer Sünden, in Kraft des Glaubens und der Heiligung.“
 „Dem HErrn sei Lob und Dank, daß Seine Gnade täglich neu ist. So fern der Morgen ist vom Abend, läßt Er unsre Uebertretung von uns sein. Lobe den HErrn, meine Seele! Diesen Abend ist schon wieder ein Tag von der Wartezeit herum und wir sind einen Tag näher der Ewigkeit, wo wir unsern lieben HEiland sehen werden, den wir hier jeden Tag so oft betrüben. Ob wir uns gleich vor Ihm schämen müßen, so wollen wir uns doch immer freuen, so oft ein Tag vorüber, daß wir dem HErrn näher gekommen sind, der uns beide heimholen wird zu Seiner Zeit. Mein Liebster, da werden wir uns dann immerdar zusammen freuen! Und dem HErrn danken, daß Er uns Hoherpriester ist, und daß Gott uns erwählt hat von Anfang zur Seligkeit, in der Heiligung des Geistes und im Glauben der Wahrheit! Ja, Amen.“
 „Gott segne uns alle, daß wir uns einst alle, wenn nicht auf Erden, doch im Himmel wieder finden! Wie würde ich die Meinen gern alle auf Erden nicht wiedersehen, wenn ich nur wüßte,| sie bei JEsu Thron wieder zu finden. Der HErr wolle alles wohl machen!“ –

 19. Manchmal war sie, wenn sie schreiben wollte, arm und wußte dann nicht, was sie schreiben sollte. Dann ließ sie’s eben gehen und schrieb nicht. Manchmal war sie aber auch reich und das Bächlein holdseliger Worte ergieng sich fröhlich im grünen Wiesengrund. So z. B. am 17. Juni. Da schrieb sie, wie sie sich die Sehnsucht nach dem Bräutigam vertreibe, wie sie ihn lieben wolle, was ihr ein unbekannter und doch bekannter Freund von dem gesalbten Angesicht der Pfarrfrauen gesagt hätte, wie sie ihren Trauergeist verjagte.

 Lies, wenn du magst, was sie schrieb:

 „Gestern habe ich eine rechte Sehnsucht, glaube ich, nach Dir gehabt und habe Dich sehr oft neben mich gewünscht. Denn ich war gestern am Freitag Nachmittag mit Tante und Onkel S. nach Homburg gefahren, um Emilie zu besuchen. Unterwegs hätte ich so gern recht freudig zum HErrn beten und Ihn loben mögen, konnte aber nicht, hätte mich gern mit Dir unterhalten, konnte aber auch nicht. Da hab ich halt nur an Dich gedacht, und für Dich und mich zu Gott geseufzt. Danach hätte ich mich gern mit meiner lieben Freundin, Frau Pfarrerin P. unterhalten, die war aber nicht zu Haus. Da hab ich mich denn mit dem lieben Gott wieder allein unterhalten. Hab gebetet und gesungen| und mit einem 14jährigen Mädchen von Ihm geredet.“
 „Du bist mein Herr, ich will Dich ehren und lieben, so wollen wir uns lieben, daß wir immer zusammen beten können! Das gebe Gott. Der HErr erhalte uns solche Liebe und mehre sie uns täglich. Ich danke mit Dir Gott, daß Du der Meine, und ich die Deine bin. Der HErr segne uns und brauche auch mich zu Seinem Werkzeug, wie Du sein Werkzeug schon lange aus Gnaden bist.“
 „Zu Deiner Braut sagte ein Dir unbekannter und doch bekannter Freund: ich möge den HErrn um ein gesalbtes Angesicht bitten; denn das sei für eine Pfarrfrau sehr nöthig. Denn der Prediger, wenn er von seinem Amte heimkehre, habe immer gar viel Betrübendes erfahren; da sei es die größte Freude, wenn die Frau ihm mit einem gesalbten Angesicht entgegen komme. –
 Und noch manches Andere sagte dieser liebe Pfarrer. Sein Name ist Mallet, Pfarrer in Bremen.“
 „Ich könnte heut recht betrübt über mein Inwendiges sein. Aber ich will mich lieber freuen, und fröhlich sein in Gott. Ich will heut nicht klagen über mein böses Herz, das weißt Du ja schon, sondern von der Gnade Gottes rühmen und Ihm danken, daß wir Eines dem Andern williglich dienen zur Erbauung in Glauben und| Liebe. Ihm lobsingen, daß „Christus uns versöhnet hat mit dem Leibe Seines Fleisches, durch den Tod, auf daß Er uns darstellte heilig und unsträflich und ohne Tadel vor Ihm selbst, so wir anders bleiben im Glauben gegründet und fest und unbeweglich in der Hoffnung des Evangeliums.“
 „Der HErr gebe, daß wir uns einander brünstig lieb haben aus reinem Herzen, jetzt und immerdar!“ – Wenn sie dann so in ihrer Einfalt „einhertagte,“ so freute das ihren „Gegenstand“ und er hatte ihr gerne was Schönes geschickt. Da gab sie dann das ihr geziemende Echo. Z. B.:
 „Du möchtest mir gern alles schicken und ich Dir auch. Gestern gab mir der Vater ein nettes Rosensträußchen; das hätte ich gern meinem Wilhelm geschickt; was Du mir schickst, ist nur alles von höherem Werth, als was Deine Braut Dir schicken möchte.“ –
 20. „Wenn Dir etwas an mir und von mir nicht gefällt, schrieb der Bräutigam, so verklage mich nur bei mir selbst, – es ist mir eine Ehre, wenn Du an mich selbst appellierst. Wenn mir an Dir etwas nicht gefällt, so verklag ich Dich bei Dir! Wenn wir uns verklagt haben, dann wollen wir immer mit einander beten, – und so oft wir uns einander strafen, geschehe es immer vor dem Gebete! Vor dem Gebete werden wir uns nichts übel nehmen, dem alten Menschen und seiner garstigen Empfindlichkeit keinen Raum laßen, und ob| auch etwas sitzen bliebe, so würde es durch das Gebet wieder hinausgeworfen, – und so, meine herzliche Braut, bleiben wir schön Eins und wachsen in einander alle Tage mehr. – Ist Dir’s so recht, so wollen wir uns fleißig dran erinnern, eins das andere.“

 Darauf ließ sich das Echo der Einfalt vernehmen:

 „Ich werde Dir immer dankbar sein, lieber Wilhelm, wenn Dir an mir etwas nicht gefällt, und Du mich bei mir selbst verklagst. Deiner Helene wird aber dies schwer werden, nemlich ein Gleiches gegen Dich zu thun; darum bete, lieber Wilhelm, daß, so es Noth thun sollte, daß Dein schwaches Weib dann aufrichtig gegen Dich ist! Der HErr wird mir schon helfen!“ –

 21. Helene schrieb am 22. Juni ihre Meinung von dem Hohen Liede:

 „O mein Wilhelm, ich habe mir noch nie gedacht, daß Du ein Heiliger seiest, ich denke dies von keinem Menschen, ich weiß, daß Du ein begnadigter Sünder, und Du weißt, daß ich eine begnadigte Sünderin bin, aber ich glaube, ich kenne mein großes Sündenelend noch nicht so, wie Du das Deine und ich kann die überschwengliche Gnade des HErrn noch nicht so faßen, als Du es kannst. Bin aber deswegen doch eine begnadigte Sünderin. Nichtwahr? – Die schönen Stellen von der Ehe habe ich gelesen. Das hohe Lied muß ich nicht verstehen, denn es gefällt mir nicht, ich lese dasselbe nicht gern.“ –
|  Was ihr darauf geschrieben wurde, lies, Leserin, wenn Du willst, auch.
 „Das hohe Lied wird meine Helene schon noch schätzen lernen. Mich hat es heute sehr getröstet. 1, 5. kann Dich jetzt schon lehren, daß die Braut eine Seele ist, schwarz von Sünden, lieblich durch Seine Gnade, des ewigen Bräutigams. 2, 16. ist ein Text, wahrhaft bräutlich; ich wünschte mir ihn zum Leichentext, wie ich einmal einem meiner Pathen im Fichtelgebirge den Leichengottesdienst drüber gehalten habe. 5, 5. 6. beweisen, daß die geistliche Braut des HErrn von inwendigen Erfahrungen der ewigen Bräutigamsliebe redet. 5, 10. zeigt den Bräutigam offenbar als Den, vor dem ich meine Kniee beuge, wie Esther vor Ahasverus. 8, 6. 7. redet von einer unaussprechlichen Heilandsliebe, die ich sammt meiner theuern Braut bis in den Tod erfahren und dann mit ewigen Liedern besingen werde, – mit Dir!“
„Ich weiß, was Dich stößt. Du findest manche Stellen fleischlich. Sie sind’s aber nicht, denn sie enthalten Worte des heil. Geistes. Ich könnte freilich mit meiner Braut nie so reden, aber der Heilige in Israel darf von allem reden, was der HErr geschaffen, und wir sollen von Ihm unterwiesen, lernen, daß man auch vom Leibe heilig und mit reinem Herzen sollte reden können. Leg Deine Augen in Deine Hände, geliebte Braut, und bete Den an, der kann,| was wir beide nicht können; sprich mit mir ein Dreimalheilig – und dann, zürne mir nicht, daß Dein Bräutigam Dir das gesagt hat! Er meint es von Herzen treu mit seiner Liebsten.“
 „Eigentlich liebe ich Krummacher’s Predigten nicht; aber man kann aus ihnen lernen, namentlich auch aus denen über das hohe Lied. Du wirst sie vielleicht einmal mit mir lesen – und darfst Dich nicht fürchten, als würdest Du da erröthen müßen. Sie sind zart gehalten! – Erlaube, daß ich Dir aus der Vorrede zur ersten Auflage folgende Stellen abschreibe“:
 „Mir ist dieses heilige canonische Buch (das hohe Lied) ein Buch voll großer geistlicher Beziehungen, das ich jenem Schmetterling, Apollo genannt, vergleichen möchte, der schön und farbig wie wenige, nur auf den hohen Alpen lebt, und über unermeßlichen Tiefen die glänzenden Flügel regt.“
 „Der Schlüssel zum hohen Liede liegt in der eigenen Erfahrung. Wer noch draußen ist, und das heitere und selige Heiligthum der Christusgemeinschaft, wovon das Lied durchgängig zeuget, noch nicht selbst betreten hat, dem gelten die höchsten Töne der Sulamithin nicht. – Das Ohr dafür hat keiner mit auf die Welt gebracht. Suche die Deutung dieses Liedes nicht auf dem Wege eines vernünftigen Reflectierens, es ist eitel.“
 „Wen es befremden oder gar anstoßen sollte, daß im hohen Liede zur Veranschaulichung geistlicher,| geheimnisvoller Verhältnisse die Bildhüllen aus dem Gebiete der bräutlichen und ehelichen Liebe entlehnt werden, der bedenke doch, daß die Liebe der Geschlechter, in so weit sie in Gott ist, eine himmlische Blume sei im irdenen Topf. Die irdene Scherbe wird zu seiner Zeit zerschlagen werden, daß die Blume zu ewiger Verklärung in den Himmel eingehe.“

 „Laß Dir sagen, theuerste Seele! Rede von dem hohen Liede mit niemand als mit mir, es ist am ungefährlichsten. Du bist nur nicht gewohnt, in der Sprache und Beziehung des hohen Liedes Deine Erfahrungen zu sagen; denn den Inhalt hast vielleicht auch Du so ziemlich durchgemacht. Es ist auch gar nicht nöthig, daß jedermann diese Sprache lerne, – geredet werden darf sie selten, sonderlich in unsrer Zeit. Uebrigens halte ich grade Dich nicht für so weltlich, daß Du die Sprache des heiligen Geistes im hohen Liede nicht herauslauschen könntest. Ahne doch ich etwas davon – und Du bist hoffentlich doch eine heiligere Seele als ich.“


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Ansbach. C. Junge’s Druck.