Wezel seit seines Aufenthalts in Sondershausen

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Autor: Johann Nikolaus Becker
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Titel: Wezel seit seines Aufenthalts in Sondershausen
Untertitel: Ein Nachflug zu Herrn von Hessens Durchflügen durch Deutschland, und eine Aufforderung an alle Freunde der schönen Literatur, die eines der trefflichsten deutschen Genien nicht länger in unwürdiger Abgeschiedenheit schmachten lassen wollen.
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Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: Neumannische Buchhandung
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Erscheinungsort: Erfurt
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Kurzbeschreibung: Bericht über einen Besuch bei Johann Karl Wezel.
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Wezel
seit seines Aufenthalts
in Sondershausen.

Ein Nachflug zu Herrn von Hessens Durchflügen durch Deutschland, und eine Aufforderung an alle Freunde der schönen Literatur, die eines der trefflichsten deutschen Genien nicht länger in unwürdiger Abgeschiedenheit schmachten lassen wollen.


vom
Bürger J. N. Becker.

Erfurt,
in der Neumannischen Buchhandlung.
1799.
[1]

Am 13. Sept. 1798. Mittags kam ich nach Sondershausen. Nicht der weltberühmte Püsterich, oder der berüchtigte Thiergarten des Fürsten hatten mich zu einem Umwege von 6 Meilen bewogen. Es war die Begierde, den armen Wezel kennen zu lernen, der nun schon seit 13 Jahren in diesem abgelegenen Winkel Deutschlands seinem Eigensinne [2] fröhnt, abgeschieden von der lebenden Natur, begraben in den dumpfen Quellen seiner Ideenwelt, von keinem Menschen gestört, als allenfalls von einem Abendtheuerer meiner Art.

Nach allen dem, was ich von dem sonderbaren Manne wußte, dem ich meinen Besuch zugedacht hatte, war wohl keine kleine Vorbereitung nöthig. Ich hatte mich schon vorher, so gut es sich thun ließ, mit verschiedenen Verhältnissen bekannt gemacht, die Wezeln in den bedauernswürdigen Zustand versetzt haben, [3] in dem er gegenwärtig sich befindet. Am schmerzlichsten aber war es mir, daß ich trotz aller Mühe keinen Menschen auffinden konnte, der in bessern Zeiten mit ihm auf einem vertraulichen Fuß gelebt hatte, oder im Stande war, mir einen befriedigenden Aufschluß über allerlei Dinge zu geben, die seinen verwegenen Genius zu Boden zu schlagen fähig waren. In Sondershausen selbst kennt man Wezels Thorheiten nur, Niemand hat seine Schriften gelesen, Niemand vermag ihn zu schätzen. Kaum konnte man mir das Haus zeigen, wo er wohnt. [4] Nicht ohne Zagen betrat ich es. Ein freundliches Weib, die Frau des Hofsilberdieners Bär, führte mich in ihre Stube. Bei ihr hat Wezel seit seiner Zurückkunft von Leipzig gewohnt. Ich gab ihr mein Anliegen zu erkennen, und bat sie, mir dabei behülflich zu seyn. Noch jetzt bedaure ich die Mühe, die ich dieser gefälligen, überaus artigen Frau gemacht habe. Hier ihre Erzählung.

„Es werden nun auf Michaelis schon 13 Jahre, seit Wezel von Leipzig hierher zurückgekommen ist. [5] Er hat seit der Zeit ununterbrochen bei mir gewohnt, aber schon damals war er ein ganz eigner Mensch. Er floh alle Gesellschaft, wagte sich nur selten ins Freie, sprach wenig und bekümmerte sich noch weniger um dasjenige, was um ihn her vorgieng. Doch habe ich ihn einigemal in den ersten Jahren Zeitungen lesen und Briefe schreiben sehen. Damals kamen noch bisweilen der Rector Bötticher und unser Superintendent zu ihm, die aber immer in Hader und Zank von ihm schieden, denn auf die Geistlichen scheint er nichts zu halten. Er hatte von Leipzig 220 Rthlr. [6] baares Geld, nebst einer kostbaren Garderobe, Silberzeug und vielen Büchern mitgebracht. Von jenen 220 Rthlr. hat er 9 volle Jahre gelebt, alles übrige verwahrt er aber als Heiligthum, und der wüthendste Hunger hat ihn niemals bewegen können, einen silbernen Löffel zu verkaufen. Brodt hat er 9 Jahre lang nicht gegessen. Gewöhnlich bestand sein Mittagstisch in abgebrühten Kartoffeln, und anfangs in einer halben Flasche Wein, den er von mir gegen 40 Pf. levantischen Kaffee eintauschte, den er von Leipzig noch mitgebracht hatte. Morgens und [7] Abends trank er einen Schluck Branntwein, und manchmal ließ er sich noch dürre Linsen oder Erbsen kochen. So lange sein mitgebrachter Tabak reichte, war die Pfeife sein Hauptgenuß. Als der alle war, rauchte er Papier und endlich gab er es gar auf. Wenn er Anfangs noch auf der Grenze zwischen Menschenhaß und Menschenliebe schwebte, so scheinen ihm die Hoffnungen, die man ihm immer noch von Leipzig her machte, so weit geholfen zu haben, daß er seinen wüthenden Unmuth nicht immer ganz durchbrechen ließ. Wenigstens [8] schien er damals noch Rücksichten auf die Menschen um sich her zu nehmen. Er kleidete sich immer kostbar, wenn er sich hervorwagte, und obschon er mit Niemand sprach, und Jeden, der ihn anredete, durch Brummen zurück wieß, so schien er es doch gern zu sehen, wenn die Menschen aufmerksam auf ihn wurden. Auf seinen Wegen gieng er nie die gewöhnliche Bahn, sondern streifte die Kreuz und die Quere in Wäldern und Einöden, wadete durch Koth und Sümpfe, er kletterte die steilsten Abhänge, und wenn er an einen Ort kam, der ihm gefiel, so [9] blieb er da liegen, bis ihn der Hunger wegtrieb. So hat er einst 3 Tage und 2 Nächte ununterbrochen auf einem nackten Felsen gelegen und die Sonne und den Mond angestarrt. Wenn er uns durch dieses Umherstreifen und Außenbleiben in Verlegenheit setzen kann, so ist es seine größte Freude.

Seine Zeit theilt er zwischen Arbeiten, Musik und Narrenstreichen. Vor kurzem war es seine Lieblingsbeschäftigung, sich mit dem halben Leibe zum Fenster hinauszulegen und fürchterlich zu brüllen, oder [10] auf der Trompete zu blasen. Abends um 8 Uhr spielt er auf der Violine und singt dazu. Niemals hat er gelitten, daß sein Ofen geheizt wurde, und selbst in den strengsten Wintern hat er ohne Feuer immer fort geschrieben und Musik gemacht.

Seine Mutter lebt noch in Weimar. Sie war schon einigemal hier, um ihren Sohn zu besuchen, aber vergebens. Er will sie durchaus nicht sprechen, weil er behauptet, nicht von ihr geboren zu seyn. Eben so macht er es auch mit seinen ehemaligen Freunden und Bekannten. [11] Alle weist er mit Härte ab. Nur ein einzigesmal habe ich ihn Thränen vergießen sehen. Es war vor 5 Jahren. Da meldete sich ein Mann aus Venedig bei mir, Namens Lorenz, und wünschte Wezeln zu sprechen. Ich schlug ihm vor, in der Mittagsstunde, wenn ich ihm das Essen hinauf brächte, mit mir geradezu in die Stube zu treten, weil er sonst gewiß nichts ausrichten würde. Dies geschah. Wezel lag noch im Bette. „Wir haben uns nie gesehen, fieng Lorenz an, aber unsere Herzen kennen sich; ich bin Lorenz aus Venedig.“ [12] Mit einem Sprung war Wezel aus dem Bette, und fiel unter lautem Schluchzen dem Manne um den Hals. Wohl eine halbe Viertelstunde hieng er so in starrem Entzücken, dann riß er sich wüthend loß, warf mich zur Thür hinaus und schloß hinter sich zu. Der Fremde blieb bis tief in die Nacht bei ihm, sie sprachen oft heftig und laut, aber Niemand verstand sie, denn sie sprachen italiänisch. Am andern Tage reiste der Fremde ab, Niemand weiß wohin, oder wer er eigentlich war. Wezel war lange Zeit untröstlich. Er schrie wohl [13] ganze Tage lang: Lorenzo, mein Lorenzo! und wüthete in der Stube umher. Auch dieser Schmerz legte sich, und Wezel ist wie vorher. Wenn ich den Namen Lorenz nenne, so scheinen sich seine wilden Züge wohl zur Wehmuth zu stimmen, aber er spricht keine Silbe.

So vergiengen 9 Jahre. Und nun waren die 220 Rthlr. endlich aufgezehrt. Wezel kam herunter, gestand mir, daß er kein Geld mehr hätte, und daß er borgen müßte. Er erwartete aber nächstens von Leipzig eine Summe, die wohl hoffentlich [14] bis zu seinem Ende hinreichen würde. Aber dieses Geld ist ausgeblieben. Ich weiß nicht, woher es kam, daß man in Leipzig seine Schriften nicht in Verlag nehmen wollte. Er bot sie nun mir an, und machte allerlei Vorschläge, wovon Sie das Nähere in diesen 3 Briefen finden können, die ich Ihnen zum beliebigen Gebrauche überlassen will.[1] Sie werden sehen, wie sonderbar seine Vorschläge, [15] und wie wenig sie auszuführen waren. Er hatte sich’s aber einmal in den Kopf gesetzt, sie realisirt zu sehen. Dies konnte nicht geschehen, und nun war sein Menschenhaß entschieden. Seit dieser Periode ist Wezel durchaus erboßt auf Alles, was Mensch heißt. Kein lebendes Wesen ist seit der Zeit auf seine Stube gekommen, und Niemand weiß, was er thut und arbeitet. Er spricht nur selten abgerissene Silben, wenn ich ihn frage, und Andern giebt er gar keine Antwort. Ein ganzes Jahr lang hat er bei mir auf Kredit gelebt, [16] und binnen dieser Zeit nicht mehr als 31 Rthlr. verzehrt, denn er fieng nun an, sogar die einzige Speise, die er bisher genossen hatte, seine Kartoffeln aufzugeben. Schnaps war das einzige, was er zu sich nahm und ich darf sagen, daß er ein halbes Jahr lang ununterbrochen betrunken war. Um diese Zeit geschah es, daß hier in Sondershausen ein Buch bekannt ward, das unseres Hofes überhaupt und besonders in Beziehung auf Wezeln nicht in Ehren gedenkt.[2] Dies [17] Buch vermochte unsere jüngste Prinzessin, jetzige Gemahlin des Prinzen von Wirtenberg, und einige vom Hofe für den unglücklichen Wezel zu interessiren. Sie vereinigten sich, für ihn zu bezahlen, und schickten ihm einen Contract von unbekanntem Inhalte, den er unterschreiben sollte. Wezel nahm aber davon keine Notiz, sondern gab das Papier zerrissen zurück. Seit dieser Zeit bezahlt der Hof täglich 5 Groschen für ihn, und Wezel ißt und trinkt nun wieder, ohne sich um einen Menschen zu bekümmern, und ohne zu fragen, wer für ihn bezahlt. [18] Morgens um 10 und Abends um 6 Uhr kommt er herunter, und nimmt sich einen Schnaps. Sein Mittagsbrodt stelle ich ihm vor seine Stubenthüre, denn er läßt Niemand hinein, und fegt seine Stube selbst. Was er sonst thut, kann ich nicht sagen, wahrscheinlich aber schreibt er beständig, denn er braucht sehr viel Papier. Seit 13 Jahren hat er ein einzigesmal 6 Hemden waschen lassen, und doch trägt er reine Wäsche, wenn er sich an schönen Tagen einmal in die Wälder wagt. Nur Strümpfe trägt er niemals, denn seine Schuhe, deren er 6 [19] Paar von Leipzig mitgebracht hat, scheinen ihm zu enge geworden seyn. Und nun, wenn Sie ihn sprechen wollen, so passen Sie hier an der Treppe. Er wird nun bald herab kommen. Reden Sie ihn lateinisch an. Diese Sprache scheint er sehr zu lieben, denn er singt gewöhnlich lateinisch und brüllt auch zuweilen lateinische Reden zum Fenster hinaus.“

Mit dem Glockenschlage 6 hörten wir ihn die Thüre öffnen. Als er die Treppe herunter gekommen war, und sich im Laden seinen [20] Schnaps einschenken ließ, vertrat ich ihm den Weg und redete ihn lateinisch an. Ich gab mich für einen Reisenden aus, der von Wien käme und ihm viele Grüße von seinen Freunden mitbrächte. Er schien mich gelassen anzuhören. Aber plötzlich verzog sich sein Mund in fürchterliche Grimassen, seine Adern schwollen auf, und mit den Worten: stultissimorum stultissime, die er mir entgegen blärrte, flog er die Treppe hinauf. Ich hinterdrein. Aber schon war die Thür abgeschlossen, und ich hörte ihn mit starken Schritten auf und ab wüthen. Nach [21] einigen Minuten brach seine innere Wuth in lautes Schimpfen aus. Er legte dabei einen so fürchterlichen Ausdruck auf jedes Wort, daß es mir durch Mark und Beine schnitt. „Die Narren die, da kommen sie hergelaufen, um mir durch gedrechselte Worte in meine Pläne zu greifen, und mir Besuche aufzudringen, die ich nicht haben will. Aber ihr sollt es entgelten! Ihr sollt erfahren, wer Wezel ist, wenn die ganze Welt rund um mich in lichten Flammen brennt. Dann will ich mich laben an eurem Gewinsel, ein Glied nach dem andern will ich euch [22] mit Wollust vom Leibe lösen, und es euch zum Mahle auftischen, wenn euch der Heishunger in die Zähne fährt. Ha! ha! ha! mich so zu mißhandeln, mich so dem Spott, der Dürftigkeit, und dem Gelächter der elenden Menge hingeben zu wollen! Ich wollte euch glücklich machen, ich wollte Sondershausen empor heben zu der ersten Stadt der Welt! Aber ihr verfluchtes Spiel hat es aufgehalten. (indem seine Wuth nach und nach in Wehmuth übergieng und sich dann wieder mit Stolz erhob). Ein Gott! Ein Gott wäre ich geworden [23] in diesem elenden Neste, zum Paradiese hätte ich es erhoben. Wer leistet mir Sicherheit? Ist denn Wezel nicht groß genug, um euch für ein paar lausige Thaler Sicherheit zu leisten? Es ist unbegreiflich, das dumme Spiel, das sie treiben. Groß wollen sie seyn, prahlen wollen sie, und wissen nicht Wezeln zu schätzen. O meine paradiesischen Träume! meine Zukunft! schaffen wollte ich mir einen Thron, wandeln unter asiatischen Palmen, mich in der Sonne erwärmen, die sie mir nun gestohlen haben. Aber ha! sie soll euch nicht länger erquicken! [24] Ich will sie herunter reißen, in diese Faust will ich sie fassen, und diese elende Welt damit anzünden. Dann sollen sie zappeln, diese matten Leipziger an der Glut meiner Flamme; aussaugen will ich sie und die Welt um mich her in Aschenhaufen verwandeln. Dann werde ich stolz über den Trümmern mich erheben, und euren morschen Gebeinen zurufen; das that Wezel, der von euch ausgestoßene, mißhandelte Wezel.“ Er stampfte mit den Füßen, daß das ganze Haus zitterte. Ich wagte es nicht, ihn anzureden. Seine Wuth stieg immer [25] höher, und er konnte keine Worte mehr finden, um seinen rasenden Unmuth auszuschütten. Ich legte das Ohr an die Thür, und spähte durch das Schlüsselloch. Er lag auf einem Stuhle mit einer fürchterlichen Miene. Sein Mund hatte sich schrecklich gegen das rechte Ohr hingezogen, weißer Schaum hieng um seine Lippen. Hände und Füße zuckten fieberhaft, er wühlte sich wüthend in den Haaren. Mir war der Anblick ein Dolch ins Herz. Ich schlich leise die Treppe hinab, unzufrieden mit mir selbst, daß ich die Ursache dieses fürchterlichen Aufbrausens [26] war. Armer, unglücklicher Wezel, wenn du einst vielleicht geheilt wirst von deinem Unmuthe, dann will ich dir die Sünde abbitten, die ich gegen dich jetzt auf dem Herzen habe.

Ich war fest entschlossen, keinen zweiten Versuch zu wagen. Aber die treffliche Wirthin des unglücklichen Mannes, die ihn so gern geheilt sehen möchte, drang so lange in mich, bis ich ihr versprochen hatte, noch einmal hinauf zu gehen. Der Erfolg hat gezeigt, daß meine Bemühungen nicht umsonst waren. [27] Und vielleicht trägt diese Schrift etwas dazu bei, daß Menschenfreunde sich des unglücklichen Mannes wieder erinnern, und die Heilung eines Mannes unternehmen, dessen Krankheit nur im Kopfe sitzt, und sich keineswegs schon mit seinem Herzen so innig verwebt hat, daß an eine völlige Herstellung nicht weiter zu denken sey. Der hohe Genius, der in jüngern Jahren dem deutschen Vaterlande so vortreffliche Werke geschenkt hat, ist keineswegs gelähmt; er regt sich immer noch mit mächtigen Flügelschlägen. Unglückliche Verhältnisse, die seinen gewaltsamen [28] Flug klemmten, haben ihm eine andere Richtung gegeben. Bei mir ist kein Zweifel, daß die Behandlung eines geschickten Arztes in wenigen Monaten fähig ist, den so trefflichen Mann der Welt wieder zu schenken. Aber freilich, so lange man in Sondershausen keine Begriffe von Menschenliebe und Pflicht gegen das Publikum hat, wird der unglückliche Wezel sein Daseyn wegfaseln, bis der Zufall einen Menschenfreund nach Sondershausen führt, der das Geschäft über sich nimmt, das keinem Andern besser anstünde, als einem Fürsten, der [29] stolz darauf seyn sollte, einen Wezel in seinem Ländchen zu haben. Doch ich fahre in meiner Erzählung fort.

Von der Wirthin begleitet, gieng ich gegen Abend zum zweitenmale hinauf. Ich pochte an. Keine Antwort. Ich redete ihn in verschiedenen Sprachen an. Keine Antwort. Ich sah durchs Schlüsselloch. Er saß am Tische, die Feder in der Hand, und schien über etwas zu brüten. Endlich legte er die Feder nieder und tanzte auf und ab. Dieser plötzliche Uebergang [30] von tiefem Nachdenken zu der ausgelassensten Freude gab mir neuen Muth. „Sie scheinen keinen Antheil mehr an Ihren Freunden in Wien zu nehmen, fieng ich an, wollen Sie nicht, daß ich ihnen die Grüße von Ihnen zurückbringen soll, die man mir so freundschaftlich an Sie aufgetragen hat?“ Hörst du nicht, elender Mensch, war die Antwort, daß sich Niemand unterstehen soll, mich anzureden; hebe dich weg, wenn du nicht willst, daß ich herauskommen, und dir den Schädel einschlagen soll; „Ha, armseliges Gerippe, entgegnete ich, [31] du mir den Schädel einschlagen? Komm heraus, wenn du Muth genug hast, mit dir will ich bald fertig werden.“ Keine Antwort. Das schien ihm unerwartet. Ich fieng von neuem in französischer, englischer und lateinischer Sprache an. Er fragte deutsch: Kennst du Wezeln, und weißt du, wer er ist? „Ich schätze ihn höher, als Apollo’n, und habe längst gewußt, daß er an der Spitze des deutschen Parnasses steht.“ Das ist nichts, ich bin Gott, Wezel ist Gott, und wer bist du? Ein armes Menschenkind, das sich Wezeln, dem [32] Gott der Götter, zu Füßen legen will.“ Eine kleine Pause. Die Thür öffnete sich, Wezel reichte mir die Hand, führte mich hinein, und schloß hinter mir wieder zu. Seine Stube und ihr inneres Aussehen muß ich jetzt beschreiben.

Alles war sehr sauber, und man sah es überall, daß der Bewohner dieser Stube einen guten Theil seiner Zeit auf das Auskehren und Putzen verwendet. In der Mitte steht ein länglichter Tisch, auf dem ich 32 Bücher zählte, in der buntesten Mischung durcheinander, [33] theils aufgeschlagen, theils umgekehrt. Ich bemerkte unter andern, Robinsons Geschichte Karls des Fünften, Bürgers Gedichte, einige lose Blätter aus Belzephor mit allerlei Zeichen durchkreuzt, ein italiänisches Wörterbuch, Werthers Leiden, an der Stelle aufgeschlagen, wo Werther von der albernen Gesellschaft in Wetzlar spricht. Die übrigen Bücher lagen verkehrt. Auf der Rückseite des einen stand von Wezels Hand sehr leserlich geschrieben: die Zuchtruthe des Menschengeschlechts. Sonst bemerkte ich nichts, als ein Bett, [34] das ganz verkehrt aufgeräumt war, 2 große Koffer, 3 Paar Stiefeln, einen großen runden Huth, einen Knotenstock, einen Nachttopf auf dem Tische, ein leeres Büchergestelle, und in einer Ecke einen wohlbeleibten Manuscriptenstoß, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben war: Opera Dei Vezelii ab anno 1786 usque huc. Zwei Stühle standen an dem Tische. Des einen bemächtigte sich Wezel gleich darauf, als ich eingetreten war, der andere war umgekehrt, wahrscheinlich, damit ich mich nicht niederlassen könnte. Und nun begann [35] zwischen uns folgendes Gespräch, das ich gleich noch den nämlichen Abend in Sondershausen nach seinen Hauptmomenten zu Papier brachte, und es hier meinen Lesern mittheile. Ich war nach 5 Jahren, nach dem oben genannten Lorenz, der erste, den Wezel einer Unterhaltung würdigte. Man hat sich in Sondershausen allgemein darüber gewundert. Meine Leser werden daraus sehen, daß man Wezeln das größte Unrecht thut, wenn man ihn für einen Narren hält. Ich wenigstens habe in unserm Gespräche, das über 2 Stunden dauerte, [36] nicht das geringste gefunden, das mich überreden könnte, daß der unglückliche Wezel an Verrücktheit krank liege. Einige Aeußerungen des ungeheuersten Stolzes abgerechnet, die man an ihm schon seit seines frühesten Alters gemerkt, und der immer mehr zunahm, je größern Widerstand er gefunden hat, dieses Stolzes, der die erste und einzige Ursache von Wezels Unglücke geworden ist, darf sich der gesundeste Menschenverstand nicht schämen, dasjenige gesagt zu haben, womit mich Wezel, wie nachfolget, unterhalten hat.

[37]
     Er.
(Nachdem ich eingetreten war) Steh, Mensch! und sage, was du von Gott zu begehren hast.

     Ich.
Die Begierde, mich an deinen Stralen zu erwärmen, hat mich hundert Meilen weit hierher geführt. Gieb mir deinen Segen, und ich gehe stolz und unüberwindlich von dannen.

     Er.
Meines Segens sind nur Engel werth. Ich gebe ihn keinem, [38] der von einem Weibe geboren ist.

     Ich.
Und doch gesellte sich in Weimar ein Weib zu mir, das stolz darauf war, dich unter seinem Herzen getragen zu haben.

     Er.
Lügner, wie ich dich ertappe! Ich bin nicht von irrdischen Eltern geboren; das alte Weib, das sich meine Mutter nennt, ist eine Betrügerin. Sie hat mich einmal als Kind gesäugt, und darum fordert [39] sie Belohnung von mir. Ich war nur ihr Pflegekind. Dafür ist sie bezahlt, weiter hat sie keine Ansprüche auf mich. Hat sie dir vielleicht einen Auftrag an mich gegeben? ich mag nichts von ihr wissen. Wenn sie noch etwas an mir zu fordern hat, so mag sie mir nur schreiben, ich werde sie bezahlen.

     Ich.
Du sie bezahlen! Und wovon! Vielleicht von den Brodsamen, die dir täglich übrig bleiben, wenn du dich satt gegessen hast an den Kartoffeln, [40] die dir der Fürst von Schwarzburg aus Mitleiden reichen läßt.

     Er.
Ha Menschendiener! du erfrechst dich in diesem Tone mit Wezeln zu reden? Ich bin Gott, und kann euch mit einem einzigen Blicke zernichten. Schweig, oder ich trete dich in den Staub.

     Ich.
Du mich zernichten? Du ein Gott? Du mich in den Staub treten? Versuch es einmal, ob deine [41] ausgezehrten Knochen etwas gegen diese starke Hand vermögen. Du ein Gott? Ja, beim Himmel, ein mächtiger Gott, der von dem Schlosse zu Sondershausen sich aus Mitleiden speisen läßt; der nicht Kraft genug hat, sich in die Welt zu wagen, weil ihm ein paar Lumpenstreiche mißglückt sind, die er mit Leipziger Buchhändlern vorhatte; der sich an dem Menschengeschlechte durch Abgeschiedenheit und Haß rächen will, und in seiner Einöde der elendeste Sklav der Menschen ist. (Indem ich mir den umgekehrten Stuhl zurecht setzte, und [42] mich mit einer verachtenden Miene gegen ihm über niederließ) Und du verdienst es warlich, ihr Sklav zu seyn. Du, dessen Talente in der Welt sich die Menschen zinsbar machen könnten! du spielst hier den elenden verworfenen Narren, den Buben in Sondershausen zum Spott, und einem Menschen, der sich damit vor aller Welt brüstet, einen der ersten Köpfe hier wie seinen Jagdhund zu füttern. Nein, du bist nicht mehr Wezel, ein elender erbärmlicher Mensch bist du geworden. Dein Geist ist zu Boden geschlagen; gelähmt sind die Fittige, [43] deren kräftiges Schlagen ehemals Deutschland entzückte. Schäme dich, Mensch! gieb deinen albernen, dich schändenden Stolz auf, geh unter Menschen. Sie werden dich mit offnen Armen empfangen, sie werden dich bewundern, weil du deine Leidenschaften überwunden hast, statt daß sie dich jezt vergessen haben, und, wo sie noch an dich denken, deine Eitelkeit verachtend ignoriren müssen. Sieh, es ist thörichter Eigensinn von dir, daß du dich hier in diese Einöde begräbst. Ueberrede mich nicht, daß du glücklich seyst. Ich glaube das nicht. Hier in deiner [44] Abgeschiedenheit bist du unglücklich; du möchtest gern wieder zurück, aber nicht wahr, du schämest dich des ersten Schrittes? Du möchtest, daß man dich im Triumpfe von dannen holen sollte? Wähne das nicht. Du bist dessen nicht werth. Du hast das Menschengeschlecht von dir gestoßen. Falle wieder an sein Herz. Kehre zurück in die Welt, und du sollst unser Gott seyn!

     Er.
Nein, nein, es ist nicht möglich. Hier an der Schwelle dieser [45] Höhle habe ich den bangen Abschiedsseufzer gestöhnt. Es war der letzte. Ich will es nicht umsonst gethan haben!

     Ich.
Was willst du nicht umsonst gethan haben? Wenn ich dich recht verstehe, so hast du geglaubt, hier einen Schatz zu finden, und nun, da du deinen Irrthum einsiehst, willst du uns nicht gestehen, daß du von deinem eignen Kopfe betrogen worden bist.

[46]
     Er.
O! ich bin sehr krank. Siehst du nicht, daß meine Mienen zerstört sind. Wie würdet ihr mich auslachen, wenn ich so vor euch wieder erscheinen wollte. Nicht wahr, das wäre ein Triumpf für euch, wenn ich zeigte, daß mir an der Welt noch etwas gelegen ist? Ha! ha! ha! und die Leipziger Gassenjungen hinterher, die mich um mein Geld betrogen haben! Unmöglich! unmöglich!

     Ich.
Und wenn dir denn Leipzig so zuwider ist, so komm mit mir in [47] eine andere Stadt. Komm nach Wien! da hat es dir doch ehemals recht gut gefallen. Die Leipziger sollen es nicht einmal erfahren, daß du wieder in der Welt bist.

     Er.
Nach Wien, das gestehe ich dir, möchte ich wohl wieder zurück. Aber, wenn es nur keine Menschen dort gäbe!

     Ich.
Und was wolltest du da, wenn keine Menschen zu finden wären. Waren es doch diese nämlichen [48] Menschen, die dir den Aufenthalt in Wien so angenehm gemacht haben; waren es doch diese nämlichen Menschen, denen du so viel zu verdanken hast, die dich geschätzt, geehrt und geliebt, die dich bis zum Himmel gehoben haben.

     Er.
Bezahlt man noch in Wien mit Bankzetteln?

     Ich.
Meines Wissens, ja.

[49]
     Er.
Sieh, das ist eine so schöne Sache. Aber die dummen Menschen hier in Sondershausen haben es nicht gewollt. Ich habe ihnen auch Bankzettel gemacht, aber sie haben sie nicht annehmen wollen.

     Ich.
Drum verlaß diese Menschen und gehe nach Wien, wo du mit Bankzetteln bezahlen kannst.

[50]
     Er.
(Indem er einen großen Koffer aufschloß und mir eine wenigstens sechzig Dukaten schwere goldne Medaille zeigte) Kennst du den?

     Ich.
Wie sollt’ ich nicht? Es ist Joseph.

     Er.
O das ist ein herrlicher Mann, den möchte ich wohl einmal wiedersehen. Sieh, diese Medaille hat er mir selbst in Wien geschenkt. Er war damals sehr gnädig gegen mich, [51] und hat mir allerlei Bedingungen angeboten, die ich aber nicht annehmen wollte.

So gieng unser Gespräch nach und nach in den ruhigen Ton der Erzählung über, und ich konnte von nun an nicht ein verkehrtes Wort mehr in seiner Unterhaltung wahrnehmen. Er erzählte mir sehr viel von Wien, von den dasigen Vergnügungen, vom Prater, vom Augarten, und vom Theater. In Betreff des letztern erkundigte er sich sehr angelegentlich nach Stephanie, [52] Lange, Brockmann und Rißbeck[3]. Er zeigte mir Briefe von Mastalier, Stoll und van Swieten, die ihm diese von Wien nach Leipzig geschrieben hatten. Dann lenkte ich die Rede auf seine eignen Schriften, und fragte ihn, ob er nicht bald sein Werk über die menschliche Seele vollenden würde? Hier schienen seine Krämpfe zurück zu kehren und ich brach ab. Desto lieber sprach er aber von seinem Belphegor, über den [53] ich ihm einige Komplimente machte, die er sehr gern anzuhören schien. Er hält ihn für sein wohlgelungenstes Werk, wahrscheinlich, weil er darin seinen hohen Unmuth gegen das Menschengeschlecht so recht erschöpft hat. Begieriger war ich auf das, was er seit seines Aufenthalts in Sondershausen gearbeitet hatte. Er war aber nicht zum Vorzeigen zu bewegen. So viel versicherte er mir aber, daß diese Schriften die Bewunderung der Welt auf sich ziehen würden. „Ich glaube aber nicht, fuhr er fort, daß ich sie je erscheinen lassen werde, denn die [54] Buchhändler sind alle matt geworden, und wenn ich nicht baares Geld sehe, so gebe ich keine Zeile aus den Händen. Ich bin zu oft angeführt worden. „In diesem Augenblicke hätte ich gewünscht, ein reicher Mann zu seyn, um diese Manuscripte, gut oder schlecht, mit Golde aufwiegen zu können, denn in diesem Augenblicke würde Wezel von seinem rasenden Unmuthe und seinem Menschenhasse geheilt worden seyn. Ich suchte ihm indessen, so viel mir möglich war, seine Ideen von Buchhändlern zu benehmen, nannte ihm einige in Leipzig und [55] Berlin, die mit Tausenden bezahlten, und versprach ihm zugleich, an einen mit der nächsten Post wegen dieser Manuscripte zu schreiben. Damit war er sehr zufrieden, und indem er mich bat, ihn ja bald etwas von mir hören zu lassen, schrieb er meine Addresse und einige kleine Umstände von meiner unbedeutenden Existenz auf den Deckel eines Folianten, der vor ihm lag. Ich bat ihn um Erlaubniß, ihn den folgenden Tag wieder besuchen zu dürfen, und wollte gehen. Aber er ließ mich nicht, und bestürmte mich mit einer Menge Fragen aus der literarischen Welt, [56] worunter ich einige nicht beantworten konnte, und andere nicht beantworten mochte, um ihn ja nicht noch einmal gegen mich zu erbittern. Unter andern erkundigte er sich angelegentlich nach Wieland, und in dem Augenblicke, da ich ihm nach meiner Ueberzeugung antworten wollte, fielen mir die Wirbeleien ein, die er einmal mit diesem großen Manne im Betreff Tobias Knauts des Weisen gehabt hatte, und die wohl eine der ersten Ursachen von Wezels Unmuth gewesen sehn mögen. Wieland mag es mir verzeihen, wenn ich ihm hier eine Eigenschaft angelogen [57] habe, an die wohl nie ein Mensch gedacht hat. Wezel freute sich sehr, denn es schmeichelte seiner Eigenliebe, meiner Lüge zu glauben.

Weiter fragte er mich, ob Göthe sich denn wirklich erschossen habe? ob Blumauer noch lebe? was Ramler mache? Und als ich ihm sagte, daß ich bald nach Hamburg gehen würde, bat er mich, Klopstocken freundlich zu grüssen, und ein Manuscript für ihn mitzunehmen, das er mir morgen geben würde. Dann fragte er mich, ob ich nichts neues aus der deutschen [58] Literatur hätte? Er hätte seine Bücher schon so oft durchgelesen, daß sie ihm zum Ekel würden. Ich hatte eben den ersten Theil von Meisters Lehrjahren in der Tasche. Er bat ihn sich bis auf den folgenden Tag aus, und schien sehr begierig auf dies neue Werk des Verfassers von Werthers Leiden zu seyn.

Indem ich das Buch aus der Tasche zog, merkte er, daß ich eine Tabackspfeife bei mir führte. Er betrachtete sie mit heißen gierigen Blicken, ich stopfte sie, rauchte sie an und gab sie ihm. Er rauchte mit [59] sichtbarer Wollust und mit starken vollen Zügen, und blies den Dampf jedesmal gegen einige Chiffern, die auf die Wand gezeichnet waren.

Ich lenkte unvermerkt das Gespräch auf die französische Revolution.

Er schien etwas davon zu wissen. Aber daß der König und die Königin gouillotinirt worden sind, war ihm neu, aber nicht unerwartet. Es schien ihn zu freuen, und er wollte es schon vor 20 Jahren vorausgesagt haben.

[60] Ich machte ihn aufmerksam darauf, daß er jetzt alle großen Männer des Alterthums in unsern Zeiten wieder finden würde. Es rührte ihn nicht, oder sein Stolz überhörte dieß. Am Ende sagte er: „laßt sie köpfen und hängen und spießen und rädern, sie haben es ja nicht anders gewollt.“

Es war beinahe 10 Uhr, als wir schieden. Ich bat ihn, mit ins Wirthshaus zu gehen und mit mir zu Nacht zu speißen. Er schlug es aus, weil es ihm zu beschwerlich war, sich anzuziehen; denn er gieng [61] blos in langen Beinkleidern und einer kurzen Jacke von Flanell, ohne Hemde und Strümpfe. Tags darauf wollte er aber Nachmittags auf eine Flasche Wein zusprechen, wenn ich für ihn allein seyn wollte. Ich versprachs und gieng, nachdem ich noch einmal feierlich zugesagt hatte, am andern Morgen ja wieder zu kommen.

Ich wandte den übrigen Theil der Nacht dazu an, unser Gespräch so wörtlich, als mir mein Gedächtniß treu geblieben war, zu Papiere zu bringen. Mit Hülfe der Wirthin und eines Barbiers, die von außem [62] zugehört hatten, gelang es mir glücklich am andern Tage.

Früh Morgens machte ich mich auf, um meinen Freund zu besuchen. Er war gestern Abend gleich nach meinem Abschiede zu Bette gegangen, und hatte sogar seit 6 Jahren zum erstenmale seine gewöhnliche Nachtmusik vergessen. Ich pochte an seiner Stube. Keine Antwort. Ich rief. Keine Antwort. Ich bat, ich schrie, ich polterte. „Ich will Niemand sprechen,“ erscholl es endlich von Innen. Alle meine Mühe war vergebens. Er ließ mich nicht ein.

[63] Nachmittags kam ich wieder, 2 Flaschen Rheinwein in der Tasche. Abermals vergebens. Er öffnete nicht und antwortete nicht einmal. Auch meine Pfeife und meinen Meister wollte er nicht zurückgeben, und eben so wenig von dem Manuscripte wissen, das er mir für Klopstocken zu geben versprochen hatte. Ich suchte ihn bei allen seinen Schwächen zu fassen. Nichts half. Er ließ mich nicht ein, und sprach auch nicht mit mir. Auch zu der gewöhnlichen Zeit nahm er seinen Schnaps nicht, und ich fand in [64] 2 Tagen keine Gelegenheit mehr, ihn anzutreten.

Aber ich reiste mit der Ueberzeugung von Sondershausen, daß Wezels Menschenhaß blos in seinem Kopfe sitzt, und keiner langwierigen kostspieligen Heilung bedarf.


[65]
Beilagen.
[67]
A.

Wenn Sie noch weiter in Geschäften gebraucht werden sollen, so müssen Sie mir schreiben; denn Sie reden schlecht und versprechen sich leicht.

[68] Meine Leipziger sind so matt geworden, daß sie mich auf Antwort vom 27. Julius bis jetzt haben warten lassen, und daß sie nicht einmal im Stande sind, mir die Waaren heraus zu geben, die ich noch dort liegen habe. Es muß also

1) eine Buchhandlung, so bald als möglich, hier errichtet werden. Auf Lorenzen, der sich vor einem [69] Paar Jahren dazu erboten hat, kann ich weiter nicht warten. Wer sich also zum ersten hier dazu versteht, der soll die Sache machen. Hier gegenüber im Winkel ist ein Gewölbe, das mir tüchtig dazu scheint: besehen sie es. Es sind dazu 1) drei Leute nöthig, die Briefe schreiben können, und die abwechselnd sich täglich einige Stunden im Gewölbe aufhalten, um die Liebhaber zu bedienen. [70] 2) Zwei Leute zum Packen, zum Aus- und Abladen. 3) Zwei junge Pursche zum Verschicken in der Stadt. Wenn diese Leute beisammen sind, so mögen sie sich melden. Ich will in Allem beistehen und Rath geben. Ich hätte die Sache schon längst gemacht: aber mit Euch, faulen Kreaturen, ist nichts anzufangen: ich leide am meisten dabei. Ich habe viele Manuscripte, Bücher [71] und Musikalien liegen, die heute noch in die Druckerei kommen können. Sobald mir Jemand dafür bezahlt, was ich in Leipzig für meine Schriften bekommen habe, so stehn sie ihm zu Diensten.

2) Will ich eine Bank machen: ich will Bankzettel drucken lassen, die aber nicht anders gelten, als wenn sie von mir eigenhändig unterschrieben [72] sind, wie ich diesen Zettel unterschreibe. In Wien ist eine: dort hab’ ich meistens mit solchen Zetteln bezahlt.

Melden Sie mir also, ob meine Bankzettel hier im Hause und bei andern hiesigen Kaufleuten genommen werden sollen. Durch die Buchhandlung hoffe ich aus andern Städten baares Geld zu bekommen. Mehr [73] kann ich nicht vorschlagen, mehr kann ich nicht thun. Es geschehe, was Gott will. Ich bin bereit, wenn nur andere Menschen, die dabei gebraucht werden sollen, es eben so sehr sind, als ich!

Der ununterschriebene Bankzettel, den ich zur Probe hier beilege, wird mir wieder zurück geschickt.

     J. K. Wezel.


[74]
B.

Sie schreiben mir, daß Sie bei der Unternehmung, die ich vorhabe, nicht wohl zu gebrauchen sind: ich habe das schon längst gesagt und deswegen Gott gebeten, daß er Sie und Ihre Frau in Ruhe setzen und [75] mir andere Menschen zu den Geschäften schaffen möchte. Sie thun beide Alles über ihr Vermögen, das seh’ ich: das Reden wird Ihnen beschwerlich, und mit dem Schreiben können Sie auch nicht recht fort. Sie schreiben zu weitläufig, sagen zu viele Dinge, die nicht zur Hauptsache gehören und sind zuweilen ganz unverständlich. Was Sie von Bankzetteln und Banknoten sagen, ist so: [76] beides ist einerlei. Ich habe die Errichtung der Bank und meiner Handlung aus sehr wohlmeinender Absicht über mich genommen, um Sondershausen und seine Einwohner empor zu bringen, auch den übrigen deutschen Städten, wo von der allgemeinen Seuche der vergangenen Jahre alles noch halb niedergeschlagen ist, wieder aufzuhelfen, weil ich die viele Mühe, die mich Leipzig und andere [77] gekostet haben, nicht gern umsonst gethan haben möchte. Ich habe keinen Vortheil weiter bei der Sache, als das bischen Essen und Trinken, das bischen Kleidung, das ich jetzt nicht einmal haben kann, wie ichs wünsche, weil die Deutschen nicht gut arbeiten; und dabei viel Strapaze. Das übrige geschieht alles für andere Menschen. Ich thu’ es gern, wenn es nur geht; denn die Lebhaftigkeit [78] meines Geistes erlaubt mir Tag und Nacht keine Ruhe. Ich muß viele Geschäfte haben, sonst bin ich unglücklich. Meine Thätigkeit kommt jetzt wieder sehr stark in mich, und ich wünsche daher sehnlich, daß Gott mit seinen Kreaturen bald etwas zu Stande bringen kann. Er will, daß ich hier im Hause alles, was ich brauche, bezahlen soll, und ich schreibe deswegen alles, was ich erhalte, [79] genau auf; allein dies Schuldenmachen steht mir nicht an. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß dies geschieht, und daß Gott so ohnmächtig ist, etwas zu Stande zu bringen. Ich habe wohl Geld und Sachen verborgt und verschenkt, mit unter auch manches eingebüßt, aber noch niemals bin ich nur einen Pfennig schuldig geblieben. Ich will wünschen, daß uns Gott wegen dieser [80] Schuld keine Verdrießlichkeit macht. Ich kenne seine besondere Art: erst läßt er mannichmal die Leute reden und schreiben, und wenn er nichts zu Stande bringen kann, so macht er einen Zank unter ihnen, damit sie aus einander kommen. Heben sie diesen und meine vorhergehenden Zettel auf, damit Jedermann sieht, daß ich redlich und wohlmeinend vorfahre. Ich will Niemand Unrecht thun. [81] Giebt mir Gott baares Geld, so will ich in baarem Gelde bezahlen: bringt er meine Bank zu Stande, so bezahle ich in Bankzetteln. Ich bin nicht Herr der Welt: an meinem Fleisse und meinem guten Willen soll es nicht fehlen.

Die Waaren, die ich auswärts einhandeln will, sind Sachen aller Art: Sachen zur Kleidung, auch [82] Eßwaaren, die nicht leicht verderben, und nicht stinken, auch unverarbeitete Materialien, sogar Baumaterialien, weil ich hier verschiedene Bauten im Kopfe habe: mit einem Worte, alles, was der Mensch braucht, und was ich kriegen kann. Bei dem Handel muß man vieles umsonst weggeben, weil viele Leute etwas brauchen und doch nichts verdienen können; ich habe das beständig gethan, weil ich [83] es konnte. Mein Buchhandel ist durch die Banken in Wien und Leipzig gemacht worden: diese haben den Leuten Geld gegeben, daß Sie mich bezahlen konnten.

Unter den Menschen ist nicht viel Geld. Die Liebhaber haben zwar etwas zu meinem Buchhandel beigetragen, aber mein Geld und die Banken haben das meiste gethan. Die Kaufleute [84] sagen, wie sie mir schreiben; wer soll uns bei den Bankzetteln Sicherheit stellen? Das muß Gott thun. Wer stellt ihnen Sicherheit, daß sie für baares Geld etwas bekommen? Mir stellte kein Mensch Sicherheit, wenn ich aus meiner Börse 200 und mehr Thaler ausgab, um ein Buch drucken zu lassen. Ich wagte muthig, und es gelang mir und Allen, die damit zu thun hatten.

[85] Mich treibt Gott sehr an, daß ich hier eine Bank und eine Handlung errichten soll: ich habe Sie daher auch durch Mosten fragen lassen, ob Gott will, daß meine Bankzettel hier genommen werden sollen, und er hat mir die Antwort gebracht: „Ja.“ Sie machen in Ihrem Zettel Schwierigkeiten: ich thu’ also noch einmal die Frage an Sie, weil ich sehr oft bei Ihnen habe fragen [86] müssen, eh’ ich es bekam. Gott hat durch mich erklärt, daß ich eine Bank errichten soll: jetzt mag er durch Sie mir schreiben, ob meine Bankzettel genommen werden sollen, bestimmtes Ja oder Nein, und bald. Soll die Sache mit einem Geldvorschusse gemacht werden, was ich aber ungern sehe, so bin ich auch bereit. Wenn die Bank also nicht seyn soll, so melden Sie mir, wie [87] viel bei Ihnen zum Vorschießen bereit liegt. Ich kann weiter nichts thun, als sagen, ich meine es gut.

     Wezel.


[88]
C.

Most hat mir die Antwort gebracht, daß meine Bankzettel hier im Hause, und bei andern Kaufleuten genommen werden sollen: ich verlasse mich also darauf und mache meine Anstalten darnach.

[89] Schicken Sie folglich, so bald als möglich, beikommendes Billet an den Buchdrucker, Hr. Rühl, in der Vorstadt: er wohnt, wo sonst Mylius wohnt, wie er mir gesagt hat: damit die Sache einmal zu Stande kommt. Wer es hinträgt, muß auf Antwort warten.

Sie nehmen die Bankzettel, wenn sie von mir unterschrieben sind, im Wechsel und im Kauf an. [90] Ich mache Zettel zu 1. 2. 3. 4. 5. Thaler für den Wechsel: die andern bis zu 50 rl. sind für die Bezahlung in großen Posten. Unter 1 rl. werden keine gemacht.

Wenn ein Zettel zerrissen ist, so zeige man ihn mir: wenn nur die Unterschrift meines Namens dabei ist, so geb’ ich ihm einen andern, der eben so viel gilt. Verloren gegangene kann ich nicht ersetzen.

[91] Wenn ich Waaren bekomme, so kann man für meine ausgegebenen Bankzettel Waaren im Großen bei mir kaufen, das heißt, zu 20 und mehr Pfunden oder Ellen. Den Verkauf im Einzelnen überlasse ich Ihnen und andern Krämern. Nur die Bücher verkauf’ ich einzeln.

Machen Sie es also den Leuten, die mit Ihnen oder mit mir zu thun kriegen können, nach und nach bekannt, [92] daß sie für Bankzettel einzeln Geld bei Ihnen erhalten können, um bei Ihnen für Groschen oder Pfennige zu kaufen. So bald es die Sache zuläßt, will ich Anstalt machen, daß mehr einzeln Geld zum Wechsel hieher kommt. Wenn sich etwas verzögert, so liegt es niemals an mir, sondern an Gott oder den Menschen.

     Wezel.


  1. Der Verfasser besitzt diese 3 Briefe im Original von Wezels eigner Hand. Er läßt sie hier sub Lit. A. B. u. C. abdrucken.
  2. Durchflüge durch Deutschland, die Niederl. und Frankr. I. Bd. S. 204–224.
  3. Wahrscheinlich der Verfasser der Briefe eines reisenden Franzosen durch Deutschland, der eine Zeitlang Schauspieler auf einem der Vorstätte-Theater war.