Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Evangelienlektionen Theil 1

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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Kurze Lectionen
zu
den sonn- und festtäglichen Evangelien
des Kirchenjahres.
Neben der Epistel-Postille zu lesen.

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Inhalt
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Am ersten Sonntage des Advents.
Matth. 21, 1–9.

 DIe Wehmuth des letzten Sonntags im Kirchenjahre und das kindlich freudige Getöne dieses unsers heutigen ersten Sonntags berühren sich. Schmerz und Freude – und alle Gegensätze der Welt sind Nachbarn. Mit feierlich schmerzlichem Sehnen sieht der Mensch eine Sonne untergehen; über Nacht stirbt das Sehnen; – muthig und hoffnungsreich grüßt auch der Greis die nächste Sonne bei ihrem Aufgang. Wie Tages Ende und Anfang, so auch Jahres Ende und Anfang. So ists – wer wird sich beim Wechsel der Dinge über den Wechsel der Gefühle grämen? – Also wohlan! Nimm Abschied von dem blutigen Abend roth des jüngsten Gerichts, das dein Herz betrübt hat vor acht Tagen! Wach auf, Psalter und Harfe! Gelobet sei, der da kommt im Namen des HErrn! Er kommt heute und morgen und bis ans Ende der Tage – Er wendet uns, so lange wir leben, nie den Rücken! Er ist immer vor uns. Hosianna, selig macht Er uns in der Höhe!

 Saget der Tochter Zion: „Siehe, dein König kommt zu dir!“ Tochter Zion, wie glücklich bist du, zu dir kommt der HErr und Er läßt dirs sagen. – „Tochter Zion, wo bist du?“ – „Kennest du dich nicht?“ Du bists, die da fragt. Du Seele, du Mensch, getauft auf Seinen Namen, von Kind auf erzogen in Seinem Wort! Wo Sein Wort und Seine Sakramente, da ist Er, da ist Sein Volk, da sucht Er es heim. Dich, also dich, Leser, und alle deines und meines Gleichen, die ganze heilige evangelische Kirche preise ich glücklich! Ja, euch wünsche ich und verheiße ich ein gnädiges neues Jahr! – Sie können es nicht leiden, daß man die Tochter Zion glücklich preise! „Seid umschlungen, Millionen“ – das ist beßer in ihren Ohren. Aber bleiben wir bei dem Wort und Befehl des HErrn, der da spricht: „Saget der Tochter Zion: dein König kommt zu dir!“ Dir, Tochter Zion, wünschen wir Glück! Denn zu dir kommt der König, – Er wird durch Sein Kommen dein König. Alle Heiden werden Im Lichte Zions wandeln und im Glanze, der über ihr aufgeht, alle Völker! Um meiner Brüder und Freunde willen, aber auch um der irrenden Schafe willen, um der „Millionen“ willen wünsche ich dir Glück, Königin, Tochter Zion, Gottes Kirche! Wenn es dir wohl geht, wird die Welt erleuchtet und deines Trostes voll! Wenn es dir übel geht, wird es Nacht in Landen! Es müßen gesegnet sein, die dich segnen, – und die dich nicht segnen, segne du, denn du bist reich und groß und sanftmüthig in allerlei Sinn, wie der HErr, dein König, der da kommt, der zu dir kommt – und bei dir bleibt ewiglich! Amen.


Am zweiten Sonntage des Advents.
Luc. 21, 25–36.
 SO seid nun wacker allezeit und betet!“ Das ists, was uns von diesem Evangelium beständig in der Erinnerung bleiben und in den Ohren klingen soll. Das Ende und seine Vorbereitungen kommen, kommen gewis, wenn wir auch Zeit und Stunde des Kommens nicht wißen. Jede Stunde bringt uns dem Ziele näher. Wachen, daß wir nie schläfrig und sicher werden, – beten, daß wir nicht alleine stehen,| sondern Licht und Kraft von oben bekommen in der versuchungsvollen letzten Zeit – ist uns allen in jedem Stande, in jeder Zeit des Lebens bei der drohenden Gefahr des Endes nöthig. Wer wollte es leugnen? Und obschon niemand es leugnet, wer ist fähig, darin treu zu sein? Wer wacht, wer betet, wie er soll? Sollen wir der Vermahnung des HErrn folgen, so bedürfen wir eine Hülfe von außen, ein Gewißen, das uns in die Ohren klinge, wenn das Gewißen inwendig entschläft und still wird. Ein solches Gewißen hat uns der barmherzige Gott in der heiligen Kirche gegeben. Das gewöhnliche Leben schläfert ein, aber die Kirche mit ihren Gottesdiensten ist eine Weckstimme, die ohne Ende ruft: „So seid nun wacker allezeit!“ Das gewöhnliche Leben mit seinen Sorgen und Lüsten vertreibt Lust und Geist des Gebetes; die Kirche aber betet, lehrt beten, ermahnt zum Gebete durch lebende Zungen der Prediger, durch todte Zungen der Glocken, ja schon durch die nach oben weisende Gestalt ihrer Versammlungshäuser. Das ganze gottesdienstliche Leben der heiligen Kirche heißt: „Wachet und betet!“ Darum entflieht sie „diesem allen“, das da kommen soll, – und mit ihr alle ihre Kinder, die sich um sie, zu ihr in ihre Arche sammeln. Findest du also Schwachheit in dir, der Vermahnung des HErrn zu gehorchen, so horche desto fleißiger auf deine Begleiterin im Leben von der Wiege bis zum Grabe, denn die Kirche mit ihren Gebeten, Predigten, heiligen Handlungen harrt dein, ehe du geboren wirst, empfängt dich bei der Geburt, leitet dich durch die Jugend, auf die Höhe des Lebens und von da abwärts, bis dein Ohr ihren letzten Segen vernimmt. Sei nicht mistrauisch gegen ihr weckendes, ermunterndes segnendes Wort! Geh an ihrer Hand, wie Loth an der Hand des Engels aus Sodom, wie Petrus aus dem Gefängnis sie führt dich zum Berge und zu der Stadt Gottes und zu der ewigen Gemeinde, welche von den Schrecken unsers Evangeliums nicht bedroht wird.
Am dritten Sonntage des Advents.
Matth. 11, 2–10.

 DIe Frage des Täufers: „Bist Du’s, der da kommen soll?“ ist es, welche diesen Text zu einem Adventsevangelium macht. Das „Du“ mit Nachdruck gesprochen, stellt uns den HErrn in Seinem ganzen Lebenslaufe von der Geburt bis zum Grabe vor Augen. Du Armer, Du Verachteter, Du Leidender, Du Gekreuzigter, Du Sterbender, Du Getödteter – bist Du Der, der da kommen soll, der geweißagt ist von allen Propheten, auf Den Israel und alle Völker harren? Ist Dein Erscheinen – der Inhalt aller Weißagungen oder nicht? – Diese Frage, welche Verheißung und Erfüllung vergleicht, wird uns in der Adventszeit vorgehalten, auf daß wir unsers HErrn recht gewis werden und Seinen Geburtstag hocherfreut begehen: – Der HErr gab Antwort genug, sie stillt unsre Seele, sie erfreut das Herz. Ja Seine Werke, auf welche Er deutet, loben Ihn, den Meister. Wer aber unter allen Menschen gibt wohl Seiner Antwort unter der Sonne den hellsten fröhlichsten Beifall? Wer jauchzt Ihm zu: „Ja, Du bist bereits zugegen, Du Weltheiland, Jungfrausohn!?“ Ich will dirs sagen, frage dann deine Seele, ob sie in diese jauchzende Schaar gehöre. Es sind die Armen, denen das Evangelium gepredigt ist, es aufgenommen und geglaubt und erfahren haben als Gottes Wort. Es sind die geistlich Armen, die aller Freuden quitt sein würden, wenn ihnen nicht das süße Evangelium gepredigt würde. Es sind die, die nichts mehr in sich selber, nichts mehr um sich, nichts mehr auf Erden, sondern alles in Christo, alles in Ihm besitzen, die da wißen, was sie an Ihm haben, diese sind es, die Sein „Ich bins“ mit einem jauchzenden: „Du bists“ erwiedern, – sie sind die fröhlichen Wächter an Seiner Krippe und das Geschlecht der Lobsänger JEsu, das nicht stirbt, noch ausstirbt. – Bist du von dem Geschlecht? – dann wäre dir Weihnachtszeit eine Freudenzeit.


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Am vierten Sonntage des Advents.
Joh. 1, 19–28.

 IM vorigen Evangelium erscheint der HErr als Der, der da kommen soll, – und weil es von dem Kommenden handelte, behaupteten wir, es paße in die Adventszeit. Unser heutiges Evangelium aber stellt den HErrn als Den vor, der „bereits mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet,“ spricht der Täufer. Wie schön paßt schon deshalb dieß Evangelium auf den Sonntag, welcher der nächste vor Weihnachten ist, der nächste vor dem Geburtstage des HErrn, an dem Er mitten unter uns trat und wir kannten Ihn nicht. Mit freudigem Zittern mag mancher Israelit, der auf das Reich Gottes wartete, die Worte Johannis vernommen haben! Mit freudigem, kindlichem Zittern vernehmen auch wir sie und stehen am Eingang dieser Woche, nach deren Ende unsre Sonne aufgehen soll, so ahnungsvoll.

 Aber nicht bloß um der genannten Worte willen paßt dieß Evangelium auf diesen Sonntag. Nein, es ist noch mehr Paßendes da. Nicht bloß ahnungsvoll wartend sollen wir Deßen warten, der kommt und mitten unter uns ist; sondern dieß Evangelium ruft auch zu: „Bereitet dem HErrn den Weg!“ Zur Thätigkeit, werden wir aufgefordert. Alle unsre Kräfte werden aufgeboten, Sein Kommen in unsre Seelen möglich zu machen. Und wenn wir fragen: „Wie bereitet man Ihm den Weg?“ so gibt uns auch darauf dieß schöne Evangelium die Antwort. Es zeigt uns den Täufer und in seinem Benehmen jene wahre Demuth, die sich nicht achtet, keinen Vorzug mehr in sich findet, sondern alleine an JEsu Wohlgefallen hat, die sich nur für Ihn geschaffen, für Ihn in Kraft und Leben erkennt. – Meinst du, die Demuth sei ein bloßes Ruhen? da irrst du. Die Demuth hat großen Kampf und gewaltige Thätigkeit. Ja, wenn die eigenen Lasten abzulegen so leicht wäre, wenn das geschehen wäre, wie wenn man vom Rücken eine leibliche Last abwirft! Bei leiblichen Lasten ist nichts leichter, als abwerfen, während aufladen und tragen schwer ist. Aber bei unsern Seelenlasten ist es umgekehrt: aufladen und tragen Sünd und Hochmuth – ist leicht; aber desto schwerer abthun. Da ist es, als bekäme alles Böse tausend und aber tausend Hände, sich an uns fest zu halten, so gar klebt und hängt es uns an und macht uns das Ablegen zur schweren, schweren Arbeit. Diese schwere Arbeit ist es, welche auch Wegbereiten heißt, – wer diese scheut, zu dem kommt JEsus nicht. – Wir scheuen sie nicht, o Du, der kommen soll; aber gib Du, der Du mitten unter uns stehst, uns Deine Kraft, daß wir Deinen Weg bereiten – und komm dann, komm bald, HErr JEsu!

Amen.

Am Weihnachtsfeste.
Luc. 2, 1–14.

 DEinen Ruhm und Preis, o neugeborener König, auszulegen ist eine Unmöglichkeit für sterbliche Zungen! Engelheere, wie sie Jakob bei Machanaim nicht sah, singen vollkommenere Lieder, aber auch ihre Lieder reichen an Deine Herrlichkeit nicht, nicht an Deine Lieblichkeit! Laß mich, der ich so gerne von Dir geredet habe und rede, an Deiner Krippe verstummen und stille werden! Seliges Reden von Dir, – selige Stille in Dir!

Ohne Sünde Geborener, der Du mit meiner Sünde beladen wirst; –
Erster, einziger Sohn Deiner Mutter, Lebenszweck Deiner Mutter und Deines Pflegevaters Joseph, vaterloser Waise, König und Heiland Deiner Mutter; –
Gott und HErr der Welt und dennoch ein Kindlein in Windeln und Krippe, der Du aus unbegriffenen Höhen in die tiefen Thale herniederkamst, – Allmächtiger, der Du Alles kannst, auch Mensch und klein werden; –
Unermeßlicher, der Du keinen Raum fandst, da Du kamst, – der Du aber kamst, um Deinem| Himmel auf Erden Raum zu machen bis an ihre Enden, – Unermeßlicher, der Du in einem kleinen Leibe und in eines Weibes Schooß Raum fandest;
Heiliger, heiliger HErr Zebaoth, wunderbarer Menschensohn;
Lobgesang der Heerschaaren; Lobgesang Deiner Kirche;
Höchste Ehre Deines Vaters;
Tiefster Friede der Welt;
Wohlgefallen Gottes und aller – erlösten Sünder;
Heiland der Welt, – heiliger, heiliger HErr Zebaoth;
Bei Dir, bei Deiner Krippe verstummt mein lallender Mund!
Selig, die von Dir reden, selig, die stille sind in Dir!
Halleluja!

Am zweiten Weihnachtstage.
Luc. 2, 15–20.
 ZU der Glorie der Weihnachten, der Predigt und dem Liede der Engel von gestern verhält sich dies Evangelium wie ein bescheidener Nachklang und eine stille Antwort der Erde. Die Hirten brechen auf von den Schafen nach Bethlehem; es ist ihnen wichtiger, die Geschichte zu sehen, die ihnen gepredigt ist, als der Heerde zu hüten. Sie finden im Stalle zu Bethlehem alles, was ihnen vom Himmel kund gethan ist und wie sie es vernommen haben. Sie erzählen mit beredtem Munde von der himmlischen Erscheinung; ihr Wort wird von allen mit Verwunderung, von der Mutter Gottes mit tiefem Sinnen und innerer Bewegung aufgenommen. Die Hirten kehren unter Lob und Preis Gottes, der sie heimgesucht hat, zurück. Wie klein ist das alles gegen den Inhalt des gestrigen Evangeliums. Allein, meine lieben Brüder, es ist eben doch nur klein gegenüber dem größeren, und dem Himmel gegenüber und seinen Erscheinungen wird alles irdische Thun nie anders aussehen. Vergleicht man aber den Inhalt des heutigen Evangeliums nicht mit dem des gestrigen, sondern mit andern menschlichen Dingen, schätzt man ihn im Vergleich mit gleichartigen, so fällt das Urtheil anders aus. Wenn die Hirten die Heerde verlaßen, um die ihnen angekündigte Geschichte zu schauen, so verlaßen sie das Irdische um des Himmlischen willen, ein höherer Zug ist in ihr Leben gekommen, geschehen ist bei ihnen, was vielleicht bei dir nicht, das gemeine ist dem ungemeinen gewichen; es ist genug geschehen für alle Menschen, wenn es nur erst einmal dahin gekommen ist. Im Stalle finden sie die heilige Familie, Joseph, Maria und JEsus. Diese Familie glänzt nicht wie die himmlische Erscheinung, sie ist im Stalle, alles scheint dunkel und gering, den Hirten aber erschien dennoch alles ganz anders. Der kleine Knabe in der Krippe ist ihnen mehr, als der Engel, den sie haben predigen hören, und alle lobsingenden Heerschaaren. Sie wißen, daß um Seinetwillen sich der Himmel über den Feldern von Bethlehem ausgeleert hat, und daß die Predigt und die Lobgesänge der Himmlischen nur von Ihm gehandelt haben. Daher fürchten sie sich draußen, während ihnen von der Freude verkündigt wird, die allem Volke widerfahren soll; im Stalle aber überwallt sie die Freude, von der die Engel sagten. Den Hirten ist der Stall wichtiger als die Lüfte, das Kindlein größer als die frommen Knechte, die draußen von ihrem HErrn predigten und sangen, am Ende Maria und Joseph oder doch Maria merkwürdiger und größer, als die himmlischen Heerschaaren. Sie haben im Stalle nicht die Nachfeier der Nacht, sondern sie hatten in der Nacht die Vorfeier der größeren Freude, die ihrer im Stalle wartete. Ahnungsvoller, schauriger mag es in der Nacht gewesen sein, seliger ist es am Morgen bei der Krippe. – Merkt ihr, Brüder, wie das Evangelium des heutigen Tages im Werthe steigt, macht euch selbst das Vergnügen, weiter zu vergleichen und hinter die Wahrheit zu kommen. Vergleichet die Verwunderung der Bethlehemiten mit der Bewunderung der Engel, die Bewegung im Herzen der Gottesmutter mit dem Lobgesang der Heerschaar, die Lobpreisung der Hirten auf dem Heimweg mit ihrem stummen Schweigen in| der Nacht und, löst euch die Frage, ob das eine oder das andere: das was man auf Erden, oder das was man in den Lüften vorgehen sah, Gott im Himmel mehr gefiel; fragt euch, wo der HErr Seine Absicht mehr erreicht hat, wo das Reich Gottes den Erben des ewigen Lebens näher gekommen war, da oder dort: immer wird die Vergleichung und die Antwort zum unvermutheten Vortheil des heutigen Textes ausfallen, immer wird es euch klarer werden, daß die himmlischen Erscheinungen mit aller ihrer Glorie nichts anders bezwecken, als was man hier in diesem Evangelium vor sich gehen sieht, den Gehorsam der Gläubigen, die zum Schauen eilen, die innerliche Bewältigung und Seligkeit der Seelen, wie sie sich bei Maria findet, Preis und Lob des HErrn, wie bei den Hirten, die zur Heerde zurückkehren. Wird euch aber das je länger, je klarer, je wichtiger, so wird euch klarer und wichtiger, was ihr selbst bedürfet, und es heißt dann einmal wieder recht eindringlich und recht heilsam: „So ihr solches wißet, selig seid ihr, so ihr es thut.“ –
Am Sonntage nach Weihnachten.
Luc. 2, 33–40.
 DIeser liegt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Worte des alten Propheten Simeon an Maria, die Mutter JEsu. Ob sie überraschend auf die Mutter JEsu wirkten, diese Worte, – oder ob sie, ohne Zweifel die ausgezeichnetste Schülerin des heiligen Geistes, nur von außen her bestätigen hörte, was sie selbst schon wußte, worüber ihr anderweit Aufschluß geworden? Wie das auch gewesen sein mag, jedenfalls treten wir mit diesem Evangelium in einen verwunderlichen Gegensatz zu demjenigen, was uns das Fest der Geburt JEsu dargeboten hat. Dort war alles Licht, Leben und Freude; Engel predigten von der Freude, die allem Volke widerfahren werde; himmlische Boten kündigten an: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HErr in der Stadt Davids.“ Heute zieht eine dunkle Wolke daher, es wird finster und voll ahnungsvoller Schauer um den Neugebornen; Tod geht von ihm aus, Noth und Jammer ist in Seiner Nähe. Der kleine freundliche Knabe, der nicht bloß alle Welt segnet, sondern aller Welt Segen und Friede ist, erscheint im Bild eines unvermeidlichen Felsens, der über den Weg der Menschheit hin liegt, von dem Propheten reden, daß er liege zu einem Fall und Auferstehen vieler. Es heißt wohl: „zu einem Fall und Auferstehen“, es theilt, es halbirt sich an ihm die Welt; aber man übersieht ganz, daß er auch zum Auferstehen gesetzt ist, weil man der Meinung war, er solle auch nicht einem einzigen zum Falle dienen. Um ihn her brennt die Menschheit, stoßen sich die Geister, ehe sie die zwei bekannten Wege gehen. Der neugeborne liebliche Knabe zeigt sich, wenn auch selbst ruhig wie der Fels im Meere, doch umwogt von Streit, und an seiner Stirne liest man mit Buchstaben des heiligen Geistes: „Ein Zeichen, dem widersprochen wird.“ Der traurige Eindruck wird vollendet, wenn man noch einen Vers des Textes dazu nimmt, denn man liest ja V. 35: „Und durch deine eigene Seele wird ein Schwert gehen.“ Also die Mutter, die wonnevolle, die selbst von sich gesungen hat, sie werde selig gepriesen werden von Kind zu Kindeskind, die durch Engel und Hirten mit einem Strome der Freuden überschüttet worden ist, die soll einmal eine schmerzenreiche Mutter werden, und der Schmerz soll durch ihre Seele wie ein Schwert gehen. Daß der holde Knabe nicht sein werde wie die anderen Menschenkinder, die als Säuglinge ihre Mutter mit Freuden, hernach aber durch ihre Sünden und Uebertretungen und Beleidigungen mit namenlosem Jammer und Weh zu überschütten pflegen; daß JEsus niemals eine Schuld haben wird, wenn Seine Mutter weint, das ist klar, aber Er ist eben nicht bloß ein Fels, selbst voll Ruhe, umwogt vom Streit, sondern Er wird auch ein blutender und gekreuzigter Erlöser. Er ist geboren, nicht bloß um andere streiten zu laßen, sondern um selbst ein Herzog aller Streiter zu sein und den Kampf zu führen, wo er am schwierigsten ist. Er wird wohl Leben schaffen für alle Welt, aber nur durch den eigenen Tod, und zwar was für einen. Es wird mit| großem Geschrei und Thränen, mit Angst und Weh und Leid zugehen, und die Mutter wird alles sehen, und wißen und miterleben, sie wird es auch erleben, wie „der Herzen Gedanken“ über, für und wider ihren Sohn sich offenbaren werden. Denkt nur daran, wie sie es erlebt hat, als sie am Kreuze stand und die Hohenpriester und Pharisäer vorübergiengen und spotteten und höhnten. – So ist also auch das Leben und Glück des Gottessohnes, so lange Er hier auf Erden Seinem Ziele nachjagt, dem irdischen Wechsel zwischen Licht und Finsternis, Freude und Jammer ausgesetzt, ja es findet sich das alles bei Ihm in einem solchen Maße, daß man sagen könnte, das Ergehen aller andern Menschenkinder sei nur ein Mitleiden, ein Nachleiden, ein schwaches Abbild Seiner Leiden. Seine heilige und selige Jugend mündet wie ein klarer Bach, der von grünen Wiesen kommt, in die Katarakte einer arbeits- und mühevollen Manneszeit und von da hinab in unbegreifliche Todesleiden. Wohlan denn, wenn es Ihm also geht, warum erwartest du für dich etwas anderes. Christo nach gehen, mit Ihm gleiches Schicksal haben in der Zeit, das laß dir nur gefallen, du wirst auch mit Ihm Seine Ewigkeit genießen. Gewöhne dich bei Zeiten, alles im Lichte der Ewigkeit anzusehen, dann bleiben dir auf Erden alle deine Freuden und es verklären sich alle deine Leiden durch den Blick auf das ewige Ende, welches sie zu nehmen bestimmt sind.
Am Neujahrstage, als dem Beschneidungsfeste Christi.
Luc. 2, 21.

 WEr das heutige Evangelium mit Aufmerksamkeit betrachtet, und sich darnach die Frage vorlegt, wovon dasselbige mehr handele, von der Beschneidung Christi oder von dem Namen JEsu, der wird schnell zu der Antwort kommen: Es ist mehr die Rede von dem Namen JEsu, als von der Beschneidung, und wer den Grundtext kennt, der wird es wohl bestätigen, wenn jemand sagt, es sei von der Beschneidung nur gelegentlich die Rede, die eigentliche Absicht des heiligen Lucas aber sei gewesen, von der Namengebung JEsu zu sprechen. So ists, wenn man den Text ansieht. Will aber jemand die beiden Ereignisse des heutigen Tages, die Beschneidung und die Namengebung JEsu gegen einander abwägen, und die vorherrschende Wichtigkeit bestimmen, so könnte er vielleicht in eine Verlegenheit gerathen. Die Beschneidung ist ja bekanntlich an und für sich im Leben JEsu eine sehr große und wichtige Sache, die erste Blüthe des Blutes und der Leiden JEsu; sie gehört gewis zu der heiligen Verpflichtung des HErrn, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Auf der andern Seite wiegt der Umstand so viel, daß der Name JEsu nicht bloß in unserem Evangelium hervorgehoben, sondern schon vorher, ehe Er noch von Seiner Mutter empfangen war, von Gott Selbst durch Seinen hohen Engel Gabriel der gebenedeiten Mutter und damit der ganzen Kirche offenbart und mitgetheilt wurde. Das Herz und Wohlgefallen der Christen wird sich wohl geneigt finden, die vorwiegende Bedeutung und Wichtigkeit der Namengebung JEsu zuzuschreiben. Es ist auch ein lieblicher und anmuthiger Gedanke, den heutigen Tag, obendrein den ersten Tag des Jahres als Namensfest JEsu zu faßen und dann zu denken, was alles uns in diesem Namen geoffenbart ist.

 Ohne Zweifel stammt der Name aus dem Herzen Gottes selbst, denn nicht Gabriel, sondern Gott durch Gabriel hat den Namen gegeben. Der Name muß daher nicht bloß der Person, die ihn empfieng, sondern auch Gottes würdig sein. Es muß ein schöner Name sein nach Klang und Inhalt, werth von einem jeden mit Andacht ausgesprochen und erwogen zu werden. Wir sprechen den Namen, wie ihn die Griechen sprechen, nemlich JEsus; im Munde des Engels hatte er ohne Zweifel den ebräischen Klang. In beide Formen der Aussprache muß sich das Ohr erst hineinhören, um die Lieblichkeit und Schönheit des Klanges zu finden: wie bald aber wird allerdings der innere Sinn dem äußeren helfen und erkannt werden, welch ein süßer Ton und Klang in dem Worte „JEsus“ oder „JEsua“ liegt. Ob aber auch der Klang nicht so schnell unser Wohlgefallen fände, als es doch wirklich der Fall ist, der Inhalt des Wortes ist und bleibt allen Seelen heilig als| des Allerhöchsten selbsteigene Zusammenfaßung des gesammten Evangeliums in ein einziges Wort. Oder weshalb hätte denn der HErr dem Erlöser, noch ehe Er in Mutterleibe empfangen war, noch ehe Er in das zeitliche Dasein eintrat, den Namen gegeben, wenn Er nicht Seiner eigenen Idee und Meinung von dem entsprochen hätte, der da kommen sollte. Der, welchem alle Seine Werke von Anfang her bewußt sind, hat alles, was Er uns in JEsu schenken wollte, in diesen Seinen Namen gelegt. So müßen wir auch alles in dem Namen finden können und wie der Strom aus dem Quell fließt, so muß alle Herrlichkeit und aller Segen der allerheiligsten Person JEsu und Seines Werkes aus diesem Namen abgeleitet werden können. Aus diesem Namen „JEsus“, nach der Deutung des Engels: „Er wird Sein Volk selig machen von ihren Sünden.“

 Dieser volle reiche Name, der aus dem Herzen Gottes entsproßen, von Engeln geoffenbart, von der gebenedeiten Mutter zuerst vernommen und gelernt und am Tage der Beschneidung von der alttestamentlichen Kirche dem neugebornen Erlöser gegeben worden ist, der seitdem von der Kirche mit Andacht ja mit Anbetung gesprochen und unzählige Male alle Tage und Stunden wiederholt wird, der genannteste, der gesegnetste unter allen Namen auf Erden stehe auch an den Pforten dieses Jahres und sei uns wie eine ausgeschüttete Salbe des Wohlgeruches, wie das Salböl des Hohenpriesters Gottes, das vom Haupte desselben herabträuft in seinen ganzen Bart und von diesem in sein Gewand. Er sei das erste Wort, welches die Unmündigen lernen, das letzte Wort der sterbenden Zungen, der letzte Klang den sterbenden Ohren, das erste Wort unserer Ewigkeit und die Summa unsrer unsterblichen Lieder in der Heimath. Auch in diesem Jahre erschalle Er von Tage zu Tage, von Stunde zu Stunde; Er nehme zu auf Erden, alle Lande müßen Seiner Ehren voll werden und am Ende alle Creaturen einstimmen in den Ruf: „Gelobt sei JEsus Christus!"


Am Sonntage nach dem Neujahrstage.
Matth. 2, 13–23.

 1. „Warum hat der Engel nicht lieber Herodis Unthat gehindert, statt sie bloß dem Joseph anzusagen? Oder warum hat er sie nicht auch den Eltern der andern Kinder angesagt, daß sie ihre Kleinen hätten retten können? Warum hat Gott die böse That nicht gehindert? Warum hat der Allwissende geschwiegen?“ – So fragst du, mein Freund? Ich weiß die geheimen Absichten Gottes nicht. Ich bin nicht Sein heimlicher Rath. Aber ich weiß, daß die Kinder nach den kurzen Todesaugenblicken großen Frieden und ewige Freuden fanden, daß sies nicht mehr gereut, durch einen starken, ausgereckten Arm entrückt worden zu sein. Auch die Eltern klagen nicht mehr, Rahel beweint ihre Kindlein nicht mehr. Wenn dus wüßtest, wie sie dort singen: „Der HErr hats gegeben, der HErr hats genommen, der Name des HErrn sei gelobet!“ Alle, die es angieng, sind nun zufrieden. Du, mein Freund, lerne von ihnen Ergebung. Nimm dir vor: „Ich will in diesem Jahre von Gott nur Gutes erwarten!“

 2. „Ach, die armen Kindlein!“ jammerst du fort. Jammere nicht. Mit Ausnahme des Engels sind alle Personen, welche in diesem Evangelium genannt werden, mehr zu beklagen, als die Kindlein. Sie leiden um JEsu willen und dringen zu Seinen Freuden hindurch. Ein kurzer Wechsel führt sie zum unwandelbaren Lichte. Aber die Eltern der Kinder, sie haben den Todeskelch ihrer Kinder lebenslang zu schmecken. Und die Eltern JEsu, – an sie, an ihre Flucht, an den traurigen Abschied von dem lieben Lande und allem, was theuer ist, an ihre Angst um das hochgelobte Kind, – an das alles denkst du nicht? Und an Herodes, – denkst du an ihn? Ist er zu beneiden um diese That! Er hat schwer aufgeladen: ob sein Schifflein nicht auf dem Meere seiner Sünden ewig untergeht? Kennst du sein Ende, sein schauriges, schreckliches Ende? Klag um ihn! Von den Kindlein ist geweißagt: „Sie werden wiederkommen“; von Herodes und für ihn ist nichts zu hoffen. – Und, mein Freund, wie kannst du über den Leiden der Kindlein das Kindlein vergeßen, deß Leiden uns am meisten angeht? Die Kindlein| sind immer nur sündige Kindlein, „Kinder des Zorns von Natur“, wie die Schrift sagt. Aber das Heilige, das von Maria geboren ist, ist Gottes unbefleckter Sohn, das unschuldige Lamm! Jene Kindlein leiden einen kurzen Tod, Er aber entflieht mit Ungemach dem Tode, um 33 Jahre lang zu leben, – ja zu leiden 33 Jahre lang und endlich einen Tod zu sterben, der in seiner Tiefe und in seinen Schmerzen allen Creaturen ein Räthsel ist! Er ist der Leidende, von dem sichs handelt! Ihn bedenke! Bedaure Ihn nicht, es paßt kaum für Ihn! Er ist zu groß dazu? Er ist auch aus der Angst und dem Gerichte genommen: wer will Seines Lebens Länge ausreden? Dank Ihm für Sein Leiden hier, das dich leidensfrei und ewig fröhlich macht! Dank Ihm für Seine Flucht, für Sein unstätes Leben, das dich zum Bürger in der Stadt Gottes macht! Dank Ihm mit Gut und Blut, in Zeit und Ewigkeit!
Am Erscheinungsfeste.
Matth. 2, 1–12.
 EIn Tag großer Glorie zu Bethlehem, in der Stadt David und in dem Hause, wohin Maria nach der Geburt ihres Einzigen aus dem Stalle gewandert sein muß. Die Magier aus dem fernen Morgenlande, weise Männer ohne Zweifel, reich, wie ihre Geschenke beweisen, ehrwürdig, wie ihr Benehmen und ihre Anbetung vor dem Hochgelobten bezeugt, fromm, gläubig, des heiligen Geistes voll, eine hochansehnliche Gesellschaft, von einem Wundersterne geleitet, ziehen freuden- und wonnevoll in feiernder Andacht durchs Thor von Bethlehem bis zu dem Hause, wo ihr glänzender Führer, der Stern der Weisen, selbst feiernd und anbetend, stille steht. Man weiß vieles nicht von diesen Magiern, was hernachmals die Sage wohlwollend auszufüllen suchte. Die Zahl, das Vaterland, der Stand der Magier und anderes sind uns nicht mitgetheilt, da wir doch so leicht auf demselbigen Wege, auf dem wir das andere erfahren haben, auch dieses hätten erfahren können. Dennoch aber sieht und hört und weiß man genug, um Gott über die ganze Begebenheit zu preisen und diese würdige erste Gesandtschaft aller Heiden, welche dem Sohne Gottes und Marien die Huldigung darbringt, glücklich zu preisen und auch im eigenen Namen ihre Stellvertretung zu bestätigen und gleichsam zu unterschreiben. – „Ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis des Volkes Israel“, dieß ist der schöne Titel, welchen der greise Simeon dem Jesuskinde gibt. Und warum? Zu Bethlehem kann man heute die Wahrheit des Titels schauen. Es leuchtet nicht bloß der Stern, heller leuchtet das Kindlein, nicht der Stern bringt zur Anbetung und macht zum Opfer geneigt, wohl aber der Geist des Kindes, der die Weisen in ihrer Heimath besucht hat, und sie mit größerem Lichte in der Gegenwart des hochgelobten Kindes erfüllt. Diese Heiden wißen genug von JEsu, da ihre Wißenschaft sie zur Anbetung treibt und der Sinn ihrer Seelen wohl auch in der Wahl ihrer Gaben, in Gold, Weihrauch und Myrhen sich ausgesprochen wird. Eine Weisheit und ein Licht, welche reife Männer vor einem scheinbar armen und geringen Säugling zur Anbetung aufs Angesicht niedergebeugt, ist etwas außerordentliches, bei deßen Warnehmung man wohl daran denken kann, daß sie das Licht müßen gesehen haben, das die Heiden erleuchtet. Zugleich aber sieht man auch, wie Christus der HErr der Preis Seines Volkes Israel ist. In ganz Israel waren zu jener Zeit keine Personen, welche mit der nächsten Umgebung des Neugebornen, mit der gebenedeiten Mutter und dem Nährvater Joseph verglichen werden konnten. Man hätte diese beiden etwa zusammen mit Zacharias und Elisabeth, mit Simeon und Hanna, selbst einen Preis des Volkes Israel nennen können. Diese Personen waren es, in denen sich JEsu gegenüber der Sinn und Geist des ächten Israel regte. Wie werden aber gerade sie von der Anbetung der Heiden ergriffen worden sein. Ich will nicht sagen, daß ihre eigene Anbetung durch die der Heiden erst angefrischt zu werden und neue Kraft zu bekommen nöthig hatte. Ich trage vielmehr in mir die Ueberzeugung, daß die Erfahrungen, die sie zuvor mit dem Kinde gemacht hatten, viel zu groß gewesen sind, als daß sie nicht hätten einige Wochen oder Monden nachhalten und Licht, Kraft und Andacht| geben können. So wenig ich mir denken kann, daß die Schmerzen der gebenedeiten Mutter unter dem Kreuze aus Unglauben oder Unwißenheit hergerührt hätten, ebensowenig, und man darf wohl sagen, noch weniger kann man sich denken, daß die Art und Weise der Mutterschaft Marien sie nicht zur ersten Anbeterin und Jüngerin JEsu gemacht hätten. Maria und Joseph bedurften sicherlich nicht der heidnischen Gesandschaft, um in ihrem eigenen Glauben fest zu werden. Aber angeregt, freudig angeregt wurden gewis auch sie, als die seligen Magier sich dem Säugling anbetend und opfernd nahten. Sie konnten es merken und inne werden, wie JEsus, der Neugeborne, der Preis und die Herrlichkeit Seines Volkes werden sollte. Die besten aller Heiden, die weisesten unter ihnen folgen den Magiern nach zur Anbetung und zum Opfer. Das Volk Israel selbst tritt allmählich, wenn auch zögernd in dieselbigen Fußtapfen ein; Juden und Heiden beten vor Einem Heiland. Aber der, vor dem sie anbeten, ist selbst ein Israelite; einer aus Davids Stamm, von jüdischer Nation, ein ewiger und unvergänglicher Tempel der Gottheit, ja Gott und Mensch in einer Person. Man beneidet sonst ein Volk um Seine großen Männer, die Juden aber werden, obwohl von allen gepriesen, doch von niemand beneidet, dafür, daß Gott aus ihrem Geschlechte die Menschheit an Sich nahm. Dieß Glück, diese Ehre, dieser Preis ist selbst für den Neid zu groß. Einzig, jede Wiederholung ausschließend ist die Menschwerdung Gottes aus Israel, und alle Gläubigen auf Erden erkennen demüthig diesen Vorzug der jüdischen Nation vor allen andern an.

 Der Heiden Licht und Israels Preis leuchtet im Evangelium dieses Tages lieblich und prächtig in alle Augen. Gott ist gegenwärtig in Israel, Immanuel hat sich in Bethlehem eingefunden. Ein Tag der Erscheinung ist da. Tage gleicher Würde ohne Zahl sind diesem Tage gefolgt. Man kann seit dem Tage der Pfingsten die ganze Zeit eine Zeit der Erscheinung nennen, eine Zeit der Offenbarung des Wesens und der Gnade Christi. Sonderlich hat damals unsere Zeit, der Heiden Zeit begonnen, und wenn Israel bisher je länger je weniger in Christo JEsu seinen Preis zu erkennen scheint, so wird doch der Chor der Heiden immer reicher und volltöniger und ihr Tag immer lichter, die Anbetung JEsu immer ausgebreiteter, immer unzähliger das Heer der Bekenner und Lobsänger, deren Herzoge die Weisen aus Morgenland sind. Drum wollen wir, drum sollen mit uns alle Heiden sich des heutigen Tages, als ihres Jahrestages und als des Anfangs der Zeit der Heiden freuen und den Allmächtigen anrufen, daß diese Zeit, so lange sie noch währet, immer gesegneter werde, immer zahlreicher die Heerschaar der gläubigen Heidenschaft, damit auch Israels Tag und Seligkeit wie ein Licht am Abend der Welt erscheine und die Zeit der Welt geendet und erfüllt werden könne zum Preise des HErrn und Seiner uralten heiligen und seligen Gedanken.


Am ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Luc. 2, 41–52.
 OHne Zweifel waren JEsu Eltern die besten Eltern, sonst würden sie nicht zu Seinen Eltern erwählt worden sein. Und doch gibt es an ihnen zu tadeln! Sie erkennen beßer, als viele Erzieher vom Fach, daß die Gottesdienste das edelste Erziehungsmittel sind, ja, ihnen däucht sicherlich die Erziehung im Ganzen nichts anderes, als eine Hinanführung der Kinder zum HErrn und Seinem heiligen Dienste: darum eilen sie, ihren JEsus, so bald es möglich ist, mit hinauf nach Jerusalem zu nehmen. Sie nehmen Ihn mit, sie sind Seinetwegen sorglos, sie trauen Ihm der Hin- und Heimreise wegen das Beste zu, sie können auf der Heimreise einen Tag lang gehen, ohne Ihn zu vermißen, weil sie Ihn immer in ihrer Nähe glauben. Ein schönes Vertrauen, aber doch fehlerhaft! Warum? Weil es zu frühe aufhört, weil das Maß desselben zu gering ist. – – Da der Knabe vermißt wird, erschrecken die Eltern, sie suchen Ihn überall, sie suchen Ihn drei Tage, sie suchen Ihn mit Schmerzen, sie suchen, bis sie Ihn finden, ihr Schmerz und ihre Freude hat keine Gränzen: das zeigt sich in den tiefsinnigen Worten: „Mein| Sohn, warum hast Du uns das gethan? Dein Vater und ich haben etc.“ Schmerz und Freude, sie geben beide Zeugnis von der gränzenlosen Liebe zu Ihm, in dem die Eltern ihres Lebens Glück und Freude sehen. Wahrlich, grenzenlose Liebe – und doch eine tadelhafte! Warum? Weil sie zu menschlich war. – Du schüttelst, lieber Leser, das Haupt dazu? Ich neige meines dagegen, um meine Behauptung zu bejahen. Die Eltern haben dem Knaben JEsu viel zugetraut und doch zu wenig. Gerade da sie nicht für Ihn sorgen konnten, da sie Ihn vermißten, hätten sie Ihm, oder doch dem Vater im Himmel, oder doch den Engeln, die über Bethlehems Fluren sich zu Ihm bekannt hatten, zutrauen sollen, daß Er bewahrt, am besten Orte sei. Kann Ihm denn ein Unfall begegnen, der Seine Sendung hindert? Der Augapfel aller Himmel, die Perle der Welt, der Liebling, der Einzige des Vaters, kann Dem etwas mangeln, darum etwas mangeln, daß ein Mägdlein, daß ein Greis Ihn aus dem Auge verloren? Da hätten Maria und Joseph vertrauen, oder eher, als am Abend, nach Ihm schauen sollen! – Die Liebe war groß, das zeigt sich im Schmerz des Verlustes; aber sie war zu menschlich – „weil sie zu schmerzensreich war“? Vielleicht auch darum, aber doch mehr darum, weil sie auch beim Wiederfinden noch einen Schmerz zuläßt, ja fast einen Vorwurf in den Worten: „Warum hast Du uns das gethan?“ Ist Er doch über allen Vorwurf erhaben! Wer will Ihn darum tadeln, daß im Tempel, in Mitten der Lehrer, Sein Geist erwacht, daß an dem Lichte der Lehrer Sein Licht und Recht entzündet wird, daß Er ein Vorspiel Seines Lehramts gibt, daß Er aufs Angesicht der Greise und Männer, zu deren Füßen nicht, in deren Mitte Er sitzt, eine Morgenröthe Seines Tages wirft? Allzutraulich redet die menschliche Mutter Den an, welchem der HErr vom Himmel Sein vollkommenes Wohlgefallen bezeigt. Darum wird sie auch mit sanfter Majestät gefernt vom Herzen – und die Eltern müßen faßen, daß der Knabe ihnen entwachsen, für sie zu hehr und zu erhaben ist. O Er ist groß! Und Er ist doch so gut. In einem Augenblick verstummt die Rede: „ich und Dein Vater“, da das Wort gesprochen war von Dem, das Seines Vaters ist. Und im zweiten Augenblicke – wie überaus schön ists, wenn Er den Tempel verläßt und kindlich Joseph und Marien folgt. Nach der Offenbarung Seiner Herrlichkeit so fromme Niedrigkeit, so heiliger Gehorsam! – Kannst du sagen, Leser, nicht, wie es in Christi Seele aussah, (denn das kannst du nicht!) aber wie in der Eltern Herzen? – – „Gebenedeit sei Mariens Sohn, der da kommt im Namen des HErrn.“ Ja, gebenedeit sei Er, und Seine Benedeiung komme über unsere Kinder, bei denen der Eltern Vertrauen zu lange dauert in der Regel und zu groß ist, die einer Liebe bedürfen, die allzeit wie Maria sucht, was verloren ist.
Am zweiten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Joh. 2, 1–11.

 1. Bleib nicht, lieber Leser, an den Worten: „Weib, was habe Ich mit dir zu schaffen?“ hängen, sonst übersiehst du das, was viel heilsamer ist. Keine Mutter darf sich in die Amtsgeschäfte des Sohnes mischen, denn für diese haben alle Priester und Amtleute eine Instruction 5. Mos. 33, 9., welche sie nicht überschreiten dürfen. Viel weniger darf sich die Mutter JEsu in Seine Amtsgeschäfte mischen. Was will sie den barmherzigen und weisen HErrn berathen? Viel beßer hätte sie in der Stille betend gesprochen: „HErr, Du weißt alle Dinge, Dein Wille geschehe.“ Er hat keine Helfer: wer kann Ihm beistehen? „Er offenbart Seine Herrlichkeit“, und an der läßt Er auch der besten, nämlich Seiner Mutter keinen Antheil.

 2. Auf Eins möchte Ich dein Auge richten und auf noch Eins. Das Erste? Bei welcher Gelegenheit that Er Sein erstes Wunder, bei welcher offenbarte Er Seine Herrlichkeit zuerst? Es war eine Hochzeit. So ehrte Er also die Ehe, so gefällt Ihm also die Ehe! Wie sollte sie auch nicht, da Er sie selbst gestiftet hat? Soll Er etwa über Seine eigene Stiftung erröthen? Seine Werke sind gut. Da Er am Ende der Schöpfung ansah, was Er gemacht| hatte, siehe, so war Alles sehr gut, also auch die Ehe, die Er gestiftet hatte. – Warum belächelst du Brautleute? Warum machst du aus der Hochzeit, auf welche die Kreuzschule der Ehe folgt, eine Leichtfertigkeit? Warum schüttelst du das Haupt, wenn fromme Leute heirathen? Ohne Zweifel hast du einen andern Sinn, als der HErr. Er ist heilig, so ist Ihm auch die Ehe heilig. Du bist fleischlich gesinnt, darum urtheilst du über die Ehe, als wäre sie Fleisch. Deines Herzens Unrath verunreinigt dir in der Ehe Leib und Seele. Simon von Cana (denn er soll der Bräutigam gewesen sein) ist in der Liebe JEsu durch seine Ehe nicht gehindert, wie etwa deine Ehe dich hindert: er sahe Seine Herrlichkeit und glaubte an Ihn.

 3. Noch Eins! Es war eine Hochzeit armer Leute, welcher der HErr beiwohnte, deren Feier Er durch Offenbarung Seiner Herrlichkeit erhöhte. So will Er also die Armen auch in der Ehe haben, nicht bloß die Reichen! Er kommt zu der Armen Hochzeit mit Seinem Reichtum. Er übernimmt die Verantwortung, Er gibt ihnen Korn und Most die Fülle und steht ein, daß fleißige und gottesfürchtige Arme niemanden zur Last fallen sollen. Niemanden, d. i. keinem, dems eine Last ist, wenn er frommen Armen beistehen soll. Denn Ihm und Seinen Jüngern ist es keine Last, sondern Lust, armen Eheleuten Liebe zu erweisen. – Wie ganz anders denkt man doch in vielen Gemeinden unserer Zeit. Wer „nicht hat“, kann nicht heirathen, er wird nicht aufgenommen. Warum nicht? Er könnte der Gemeinde zur Last fallen. Aber wenn nun der wilden Ehen immer mehr werden, wenn der Kinder immer mehr werden, die Vater und Mutter nicht rufen können, ohne sie zu beschämen? Wenn nun die Sünde, weil sie zu oft vorkommt, nicht mehr Sünde sein wird? Wenn die vaterlosen Kinder von schwachen, leichtsinnigen Müttern schlecht erzogen und ohne Unterlaß geärgert werden? Wenn durch sie die Bosheit immer allgemeiner wird? Wenn etwa durch sie auch die Menge der Armen immer größer wird, die Gemeinden dennoch immer mehr belästigt werden? mehr belästigt, als durch Familien, die aus gesegneter Ehe hervorgiengen? – Oder ist das unwahrscheinlich? – Kanns nicht so kommen? Ists nicht so gekommen? – Ach wer kann die Folgen unbarmherziger Verweigerung der Ehe übersehen! Laßt uns nur gestehen: der christliche, barmherzige Weg ist nicht allein der beste, sondern auch der weiseste. Er hat, wie alle Gottseligkeit, eine Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens!


Am dritten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 8, 1–13.
 1. ZWei Geschichten erzählt das Evangelium, die Heilung des Aussätzigen und die des gichtbrüchigen Knechtes. Der Aussätzige naht dem HErrn mit dem Worte: „HErr, so Du willst, kannst Du mich wohl reinigen.“ Der Hauptmann von Capernaum spricht: „HErr, ich bin nicht würdig, daß Du unter mein Dach eingehest, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund, denn ich bin auch ein Mensch der Obrigkeit unterthan, habe unter mir selbst wieder Kriegsknechte: und sage ich zu diesem: gehe hin, so geht er, und zum andern: komm, so kommt er, und zu meinem Sklaven: thue das, so thut ers.“ Mit diesen Worten sprechen beide einen Glauben aus, der Himmel und Erde in Verwunderung setzt. Der Aussatz, eine Krankheit, für die es keine Arzenei gibt, die aller Aerzte spottet, soll nun dem Willen des Menschensohnes JEsu unterworfen sein und die Gichtbrüchigkeit, die von dem Hauptmanne selbst als eine Ursache vorhandener gewaltiger Qualen und Schmerzen beschrieben wird, die soll sich zu JEsu, wie ein Soldat gegen seinen Hauptmann, wie ein Sklave zu seinem HErrn verhalten und nach Seinem Willen gehen, wohin Er sie weiset. Auch soll Sein Wille so übermächtig sein, daß Er ihr aus der Ferne gebieten und sie Ihm in der Ferne folgen muß. Was für ein Vertrauen hat der Aussätzige zu JEsu, was für einen Glauben an Seine Hilfe der Gichtbrüchige. Es ist hier nicht vom seligmachenden Glauben die Rede, sondern von dem Glauben an die wunderbare Hilfe, vom Wunderglauben, nicht wie er in dem Wunderthäter, sondern in denen| ruht und wirkt, denen die Hilfe geschehen soll. Dieser Wunderglaube deutet auf ein kommendes Wunder und ist selbst ein Wunder, im Herzen der Leidenden geschaffen vom Geiste des HErrn und zwar auf unmittelbare Weise, wenn auch nicht ohne Wort und Kenntnis der Person des Wunderthäters und des großen Gottes, der helfen soll. Ohne Zweifel ist dieser Wunderglaube etwas Besonderes und Großes, auch etwas Seltenes, während der seligmachende Glaube nach Gottes Willen nicht selten sein, sondern allen Menschen gegeben werden soll, die in diese Welt kommen und sich dem Rufe des HErrn nicht widersetzen. Da ist dann seltener der geringere Glaube, der Wunderglaube, öfter zu finden aber der größere Glaube der seligmachende: denn es ist offenbar, daß man diejenige Ursache größer nennen müße, welche Größeres wirkt, kleiner aber die, welche Kleineres wirkt. Auffälliger ist der kleinere Glaube, der Wunderglaube, weil seine Wirkung sichtbar ist, dagegen aber übt der seligmachende Glaube unsichtbar in die Ewigkeit hinein seine gewaltige Wirkung und geht daher durch unser Leben hindurch in geheimer Herrlichkeit und Majestät. Es gehören feinere Sinnen des Geistes und ein größeres Maß von Wahrhaftigkeit dazu, den seligmachenden Glauben zu faßen, als den wunderthätigen. Doch ist es Ein Geist, der beide wirkt, und wenn der Wunderglaube nicht in dem Wunderthäter, sondern in dem angeschaut wird, an welchem die wunderbare Hilfe geschehen soll, so scheint es, als könne auch der andere, der seligmachende nicht fern sein. Wo ein solches Vertrauen ist, daß man Christo und Seinem Willen so außerordentliche Wirkung auf den Leib zutraut, da scheint es auch nahe zu liegen, ein Vertrauen zu Ihm als Meister und Lehrer des ewigen Lebens anzunehmen.
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 2. Als unser HErr und Heiland Sein Wirken auf Erden beschloß, traten an Seine Stelle die heiligen Apostel und die übrigen Jünger, und der HErr begleitete die Predigt des göttlichen Wortes mit Zeichen und Wundern an allen Orten und Enden. Auch gab der HErr nach dem ersten Christengeschlechte vielen andern die Gabe, Wunder zu thun. Sehr häufig gab Er dann den Wunderglauben in doppelter Gestalt, nemlich in denen, welche die Wunder wirken sollten, und in denen, an welchen sie geschehen sollten, so daß oft der Glaube des Leidenden, wie dort bei Petro und Johanne an der schönen Thür des Tempels durch den Glauben des Wunderthäters, oftmals aber auch der Glaube des Wunderthäters durch den des Leidenden erweckt wurde. Einer sah an der Gegenwart des andern, daß eine Stunde der Hilfe und Erbarmung des Allerhöchsten gekommen sei. Es gibt ja freilich ein falsches Vertrauen, wie in den Leidenden so in denen, die sich unterwinden, in Gottes Namen Hilfe zu leisten, aber dieses Vertrauen wird zu Schanden, das rechte Vertrauen erweist sich seinerseits dem aufrichtigen und weisen Christen so ziemlich kenntlich. Daher bei den Alten, wenn auch Vorsicht gegenüber der Täuschung, so doch auch Wachsamkeit und Aufmerken auf das Vorhandensein des doppelten Glaubens in dem Geber und Empfänger zu finden ist. Da ein Lehrer der alten Kirche gerufen wurde, einem Kranken die Hände aufzulegen, daß er gesund würde, antwortete er, er habe die Gabe der Wunder nicht. Als ihm aber ein anderer nach empfangener Weisung durch einen merkwürdigen Traum Zeugnis ablegte, daß sein Handauflegen gesegnet sein würde, erweckte sich in ihm die vorhandene Gabe, er legte betend die Hände auf und der Kranke ward heil. Da erwachte also der Glaube des Gebers am Glauben derer, die da nehmen sollten, er konnte, was man von ihm begehrte, nachdem er durch Auffindung seines Zwillingsbruders sich selbst in Leben und Stärke fand. Sogar diese Regel des Altertums findet in Christo und Seinem Verhalten ihr Beispiel, denn Er heilte, die Ihm vertrauensvoll nahten, und gieng vorüber an denen, denen kein Gottesgeist im Herzen den großen Helfer in dem Menschensohne zeigte. – Obwohl bei uns die Gaben der Heilung in so geringem Maße vorhanden sind, daß viele Gottesgelehrte behaupten, sie seien gar nicht mehr vorhanden, so ist doch diese unsere Rede nicht bloß für die Beurtheilung früherer Zeiten, sondern auch für etwa auftauchende Fälle in unserer Zeit nicht ohne Wichtigkeit: es liegt eine Erweckung zur Vorsicht und ein Befehl zur nüchternen Prüfung darinnen, daß man hört und weiß, daß es einen doppelten Wunderglauben gebe, den einen im Geber, den andern im Nehmer, und daß sich insgemein beide einstellen, wo einer von beiden berechtigt ist, aufzutreten.
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Am vierten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 8, 23–27.

 DAß die Menschen sich wider unsern HErrn empören, ist uns eine bekannte Sache, die wir gewohnt sind zu sehen; aber daß sich die Natur wider ihren HErrn empört und das friedliche galiläische Meer, während es die Ehre hat Ihn zu tragen, in Wallung geräth, das kann alle Welt verwundern. Ist doch sonst zu merken, daß die Natur ihren HErrn anerkennt, und daß sie Ihm freudig dient; wird doch sonst der Waßerspiegel zum festen Boden, wenn Er darauf gehen will, und nun erhebt sich ein so groß Ungestüm im Meer. Da sieht man wohl, daß die alten Kirchenväter eine Ursache hatten, wenn sie behaupteten, daß sich hinter diesem natürlichen Vorgang die Gewalt des Feindes JEsu und unserer Seligkeit versteckt hat. Es mag wohl angenommen werden, daß dem Satan um sein Reich bange ward und um die Wohnstätte der Teufel, die diese in den Bewohnern des Gergesener- und Gadarenerlandes gefunden hatten, welchem das königliche Schifflein zuruderte. Warum soll das nicht möglich sein, daß der Satan unter Gottes Zulaßung irgend eine Wirkung auf natürliche Dinge äußert, da doch eine solche Wirkung immer noch weit geringer anzuschlagen ist, als eine Wirkung auf menschliche Leiber und auf die Glieder der Erben einer ewigen Seligkeit? War doch auch der Strauß, auf welchen sich der Teufel muthwilliger Weise einließ, voraussichtlich zur Ehre Gottes und zur Schande des Feindes. Denn obwohl der König der ewigen Herrlichkeit im Waßerschifflein schlief, so hat Er doch auch im Schlafe Seine Allmacht nicht niedergelegt, Seine Hand hat ja doch die Zügel der Welt und hält sie fest und Sein allwißender Geist sieht auch, während Seine Augen schlummern, den nahenden Angriff. Darum wacht Er auch nicht einmal auf, wenn der Sturm tost und die Wellen brausen, und nur der Angstruf der Seinen kann Ihn verhindern fortzuschlummern und, während die Wellen mit dem Schifflein spielen, Sich von ihnen gefahrlos wiegen zu laßen und Selbst mit ihnen allmächtig zu spielen. – O Du, der Du niemals in Gefahr bist, auch wenn die Deinen angstvoll rufen: „HErr, hilf uns, wir verderben“! Wer Dich könnte walten laßen mit stillem Warten und hoffender Zuversicht, wer schweigend glauben und vertrauen könnte, der wäre vor Deinem Auge und Ohre ein gewaltigerer Beter, als wer den Nothruf zu Dir bringt: HErr, hilf uns, wir verderben. Wenn wir aber zu solchem Vertrauen zu gering sind, und solches Schweigen für uns zu groß ist, so laß uns eben, uns arme elende Kinder, nicht zu groß und hochmüthig sein, mit Deinen Aposteln den Angstruf und das Stoßgebet zu erheben: HErr, hilf uns, wir verderben. Schaue uns dann an mit Deinem schirmenden Auge, schilt unsern Kleinglauben, denn wir sind ja doch immer noch hoffnungsvolle Kinder und Dein Eigentum, wenn Du uns freundlich schiltst; schilt uns, und hilf uns, und laß die glänzende wunderbare Spiegelglätte unseres Lebenswaßers wieder eintreten, damit wir Deine Herrlichkeit sehen und Deine Gnade preisen. Ohne Dich auf den Wegen des Lebensmeeres fahren, HErr, das möchte ich nimmermehr. Aber mit Dir besteige ich jedes Schiff und fahre auf allen Meeren, wenn ich nur zu Dir schweigen oder zu Dir reden darf. Schenke mir das beredtere Schweigen, schenke mir das geringere Rufen und Schreien nach Deinem Willen und meinem Maße, aber eins fehle mir nie und nimmer, daß Du bei mir im Schifflein bist und ich bei Dir. Dann müßen die Wellen und Winde sich legen und die Macht der Dämonen versiegen. Amen.


Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 13, 24–30.
 DEr Acker ist die Welt“, so sagt unwiderleglich der HErr Selbst, Vers 38. Der böse Same, die Kinder der Bosheit sind nicht vom HErrn, sondern von dem bösen Säemann, dem Teufel. Nicht| daß der Teufel den Samen, die Kinder der Bosheit, geschaffen hätte, aber daß er sie zu einem bösen Samen gemacht und mit ihrer Einwilligung hineingesäet hat als Böse in Gottes Saatfeld, diese Welt. Da die Leute schliefen, die wachen sollten, da wagte es der Feind, seinen Samen sich und seinem Willen gerecht zu machen und ihn auszusäen. Der gute Säemann schlief nicht, der schläft und schlummert überhaupt nicht; aber die Leute, die nun hätten auf sein Saatfeld achten und es bewachen sollen, die schliefen. Es gieng, wie im Paradiese: Eva wachte nicht, wo sie hätte wachen sollen, da geschah das Unglück, von dem alle Welt noch jetzt belastet ist. Seitdem geht alles Böse und sein Fortschritt mit einer Unachtsamkeit und Schläfrigkeit derjenigen zusammen, welche durch Gottes Willen Wacht und Obhut haben. – So ist denn also durch Schuld der „Leute“ und des Teufels, die Welt eine gemischte Gesellschaft zwischen Guten und Bösen, – und wie die Pflanzen wachsen, so wachsen Gute und Böse miteinander fort, und das Uebel verdichtet, durchdringt und verwirrt sich immer mehr. Es sieht oft an einem Orte die Mischung nicht so gar böse aus, aber wart nur, es wächst und reift alles allmählich und an der Aernte erkennt man erst die Saat.

 Kannst du’s ändern, daß die Welt ein Gemeng und ein Gemisch ist? Reise, wohin du willst, – es ist überall so und wird so bleiben bis ans Ende. Es gibt und gilt keine andere Ansicht. Selbst die Kirche Gottes, namentlich seitdem die sogenannten Staats- oder Landeskirchen entstanden sind, ist wie ein Theil der Welt anzuschauen. Das ist so gewis, daß manch redlicher Christ und Diener Gottes schon dieß ganze Evangelium auf die Kirche ausgelegt und vergeßen hat, daß Vers 38 die Deutung auf die Welt steht. So laß denn sein, was ist, – willst du weinen, daß es ist, so weine, denn es ist beweinenswerth; aber füg dich, worein dein Gott sich füget, und was Er zugelaßen, das laß um dich und über dich gehen, so lang du lebst und so lang es dauert, nemlich bis zur Aernte Zeit, bis ans Ende der Welt.

 Muß man gleich dem Bösen nicht sein Recht, aber seine Stelle laßen bis an der Welt Ende, wird das nicht anders bis der HErr erscheint; so hat es ja doch seine Grenze, und in der andern Welt wird alles neu. Da gibts einen neuen Himmel und eine neue Erde, wo Gerechtigkeit und nur ein heiliger Same wächst. Es ist ja nicht alles aus, die Hoffnung nicht unberechtigt, weil hier nichts zu hoffen ist. Es gibt eine Hoffnung auf Scheidung von Bösen und Guten und eine völlig reine Kirche. Erwarte nur die Zeit, die ewige Zeit.

 Weil man diese Hoffnung hat, kann man sich gedulden und muß man sich gedulden. Die Geduld ist nicht immer leicht; es ist oft die Macht des Bösen und der Bösen so groß, daß es einem in die Arme und Fäuste fahren will, zuzugreifen und mit Gewalt das Unkraut auszuraufen. Ach, es ist schwer, das Gemisch und Gemeng in seinen Folgen und Wirkungen zu tragen. Die Welt ist um dieses Gemisches willen ein Jammer- und Thränenthal; sie würde ohne dies bei allem Mangel ein Vorhof des Himmels werden und sein. Mag es aber sein, wie schwer es will, wir müßen uns gedulden und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung des großen Gottes und Heilandes JEsu Christi. – Also Geduld! Keine Gewalt, sondern Geduld. Das Lamm Gottes siegt durch Leiden, so auch seine Kirche. – O stärke uns durch Deinen Geist, Deinen Sinn, Du Gotteslamm!


Am sechsten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Matth. 17. 1–9.
 EIne wunderbare Geschichte, man lese sie, wie man will. Mitten im Leben der Erniedrigung JEsu steht unvergeßlich den Aposteln der „heilige Berg“, wie ihn St. Petrus 2 Petri 1, 16. nennt, und die Geschichte von der Verklärung. Woher diese Verwandelung JEsu? Fällt dieß Licht auf Ihn von außen her, oder strömt es aus Seinem Innern? Scheint Ihn eine Sonne der Gnaden an, oder ist ER eine Sonne, welche die Nebel der Umgebung durchbricht und so erscheint, wie sie’s immer könnte,| wenn sie immer wollte? Die Antwort ist, denk ich, nicht schwer, ER ist die Sonne. In Ihm ist das Leben und dieß Leben ward das Licht, welches auf dem Berge der Verklärung leuchtete. Aus Seinem gottverlobten Innern brach das Licht hervor. Erst durchleuchtet es Seinen Leib, welcher sofort leuchtete wie die Sonne, dann Seine Kleider, daß sie weiß wurden wie Schnee. Die Kleider sind nicht so dicht wie Sein Leib; aber Sein Leib ist reiner, sonnenhafter, dem Lichte verwandter, das aus Seinem Innern strömte, darum leuchtet Er wie die Sonne, während dem Kleide nur die Farbe genommen und die Reinheit Seiner sündlosen Natur über dasselbe ergoßen wird. – Aus dem ganzen Vorgang sieht man, daß die Entäußerung und Entleerung der Herrlichkeit nicht so zu nehmen ist, als wäre dem HErrn Seine Glorie genommen worden, so daß Er keine Macht mehr über sie gehabt hätte. Er hat Sich Selbst entäußert, Er legte den Gebrauch nieder, weil derselbe nicht zweckdienlich gewesen wäre; aber Er behält die Macht, Licht und Herrlichkeit wieder anzuziehen als Sein Kleid, wo überall Er es für gut hält. Und auf dem heiligen Berge hat Er es für gut gehalten, vor Mose und Elia, vor Petro, Andrea und Johanne und vor Seinem Vater in der Glorie, die Er hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward, auch im sterblichen Leibe zu erscheinen.

 Warum Er gerade für gut hält, eben bei dieser Gelegenheit in Glorie zu erscheinen, weißt du’s? Man könnte die Absicht des Wunders in der Stimme erkennen, welche aus der lichten Wolke auf die Jünger herabkam. Christus wird als Gottes Sohn vor Seiner Auferstehung erklärt, – Er zeigt sich vor der Auferstehung, wie Er nach der Auferstehung sein wird, damit Er nach der Auferstehung als derselbe erkannt würde, der Er vor der Auferstehung war. Darum soll auch die Erscheinung erst nach der Auferstehung bekannt gegeben werden, und deshalb ist sie auch so auffallend und außerordentlich, daß ihr Glanz in der Erinnerung durch keine andere Begebenheit in Schatten gestellt werden konnte. Es galt, dem Christus, der nun Seinem Tode entgegengieng, Zeugnis und Glauben zu verschaffen vor den Zeugen, von deren Glauben der Glaube der ganzen Welt abhieng. Und diese Absicht wird erreicht – bei den Jüngern, die, wie St. Petrus in seinem Abschiedsbriefe, noch nach einem Menschenalter voll Wonne und Andacht von der Sache redeten, und bei der Kirche, die, es sei ihr Verständnis über den Vorgang groß oder klein, dennoch aus demselben so viel abnimmt, daß ihr HErr überhaupt durch die Glorie vor und nach Seinem Leiden ihr als Einer, als ihr einziger Heiland gezeigt wird.

 Aber war die ganze Absicht mit der Aufnahme der Stimme, die aus der Wolke fiel, erreicht? Was für eine Stelle nimmt die Verklärung im ganzen Lebensgang JEsu ein? Warum trat sie gerade damals ein? Warum mußte sie damals eintreten? Es gibt Antworten, die nicht falsch sind, aber doch nicht befriedigen, weil sie den Hauptpunkt nicht treffen, nicht erschöpfend sind. So könntest du z. B. sagen, Mose und Elia hätten mit dem HErrn von Seinem Leiden und Sterben gesprochen, – das hätten sie im Auftrag des himmlischen Vaters gethan, – den Auftrag zu erfüllen, seien sie erschienen. Von Seinem Leiden hätten sie vor Seinem Leiden reden müßen, das sei die rechte Zeit für so ein Gespräch gewesen. Bald (s. 19, 1.) sei der HErr zu Seiner Todesreise aus Galiläa nach Jerusalem aufgebrochen; zu der habe Er Sich durch die feierliche Besprechung mit den Abgesandten aus der andern Welt bereitet. Aber genügt das? Warum mußte Er Sich bereiten, warum denn? Wozu war das alles nöthig für Ihn? – Sag’s nur heraus, daß du’s nicht weißst. Andere wißen es auch nicht. Manche fliegen bei solchen Fragen wie Mücken um das Licht herum; aber sie können doch nicht hineinfliegen, ohne gestraft und verbrannt aus der Luft zu Boden zu fallen. So laß es sein, alles wißen zu wollen, und sei zufrieden mit dem, was dein frommer Gott dir zeigt. In einer jeden Frage, welche von Gottes Wort angeregt wird, die man aber hier nicht lösen kann, liegt eine Bürgschaft für die Ewigkeit und ihre Offenbarungen. Erwarte nur die Zeit, es wird sich alles lösen, wenn du Den sehen wirst, den die Jünger auf dem heiligen Berge sahen. Dort wirst du auch keine blöden Augen mehr haben und nicht mehr von Schläfrigkeit überfallen werden, wenn dich Gottes Licht anblickt. Hier erzeugt groß Licht – wie eine Predigt dem irdischgesinnten Pfarrkind – Schlaf, Dumpfheit; aber wir werden erwachen nach Seinem, nach JEsu Bilde und dann Sein Licht aufnehmen können. Darauf laß uns warten.


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Am Sonntage Septuagesima.
Matth. 20, 1–16.

 DIeß Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist eines der gedankenreichsten und in der That auch eines der schwersten. Man könnte nicht bloß einen ganzen Haufen Lectionen, sondern Bücher über seine Tiefen schreiben. Ein Weniges aus dem Vielen nimm, lieber Bruder, als Gabe und Speise für dieses Mal.

 Sonst geht ein Hausvater, um Arbeiter und Tagelöhner zu miethen, am Abend vor dem Arbeitstage aus, oder wenn er es da nicht gethan hat, wird er es am Morgen thun. Wenn aber einer nicht bloß am Morgen ausgeht, sondern am Arbeitstage selbst mehr als ein Mal zu verschiedenen Zeiten: so wird er dazu besondern Grund haben. Es wird der Weinberg sehr groß sein, oder die Jahreszeit und die Geschäfte sehr dringend, so daß auch nur Ein Arbeiter mehr, oder eine einzige Stunde Arbeit mehr für den HErrn des Weinberges sehr wichtig und werth sind. Der Weinberg, von dem es sich in unserm Gleichnisse handelt, ist die Kirche mit ihrem großen und weiten Gebiete, dem bebauten und unbebauten, mit ihren gewordenen Gemeinden und denen, die es werden sollen. Kann man nun da auch sagen, der HErr des Weinbergs, Gott, gehe mehrere Male während des Arbeitstages aus und miethe Arbeiter, weil das Gebiet der Arbeit so groß, die Arbeit so nöthig, die Arbeiter so wenig, so werth und wichtig sind? Man kann und darf es. Es ist ja wahr, daß die Arbeit so groß und dringend, und die Zahl der Arbeiter so ungenügend ist. Es ist ja auch, könntest du erläuternd dazu setzen, der Arbeitstag nichts anderes, als die letzte Zeit, von Christi Auffahrt und der Ausgießung des heiligen Geistes bis zu Seiner Wiederkunft. Da brauchts des wiederholten Dingens und Miethens um so mehr, weil die Arbeiter nicht den ganzen Tag aushalten, sondern ein Arbeitergeschlecht stirbt, das andere kommt, ehe der Tag zu Ende ist. Diese Erläuterung hält nun wohl nicht Stand, denn so nahe es liegt, den Tag so zu faßen, so ist doch ganz offenbar von Arbeitern die Rede, welche den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abende mit einander arbeiten oder doch arbeiten können; der Tag muß daher, wenn er ausgedeutet werden soll (es ist aber in einem Gleichnis nicht einmal alles gesagt, um gedeutet zu werden), mehr auf den Lebenstag derer, die miteinander leben, auf die gemeinsame Lebenszeit der Zeitgenoßen gedeutet werden, so daß der Abend des Lebens Ende sei und der Empfang des Tagelohnes ans Ende des Lebens gestellt werden muß. Es mag jedoch damit sein wie es will, wir reden von einem andern Punkte des Gleichnisses, von der Wiederholung des Ganges, den der HErr des Weinberges vornimmt, um Arbeiter zu miethen, und von den Ursachen der Wiederholung. Wir haben schon eine Ursache der Wiederholung, nemlich die dringende Arbeit auf dem weiten Gebiete der Kirche, des Weinberges Gottes. Ich denke aber, bei diesem HErrn des Weinberges werden wir gar nicht falsch schließen, wenn wir sagen, Er wiederholt Seinen Gang auch um der Arbeiter selbst willen. Er kann es nicht leiden, daß die Leute am Markte des Lebens müssig stehen, – Er will, daß alles arbeite, Sein Reich mehre und Lohn der Arbeit empfange. Es ist merkwürdig, daß der HErr immer in den Stunden ausgeht, Arbeiter zu miethen, zu welchen die alttestamentliche Gemeinde ihre Betzeiten hatte, – wie wenn das Gebet der Gemeinde durch Seinen Gang auf den Markt erhört würde. Es ist aber auch merkwürdig, daß Er den letzten Gang eine Stunde, eine einzige Stunde vor Abend wiederholte. Das ist keine Betstunde für die Gemeinde gewesen, aber eine Stunde, deren Wahl recht geeignet ist, zu zeigen, wie sehr es dem HErrn daran gelegen ist, daß alle, ehe der Lebenstag vergeht, noch in Seinem Weinberge arbeiten werden, für wie gefährlich Er es hält, am Lebensmarkte müßig zu stehen. Das ist, meine Brüder, die eine Bemerkung, welche wir heute nehmen und doch ja auf uns selbst anwenden wollen. Die Arbeiter im Weinberg werden wohl vornehmlich die Hirten und Lehrer sein, aber gewis nicht sie allein, so nahe es am Ende – auch durch den Zusammenhang mit dem vorigen Kapitel – liegt. Es hat ein Jeder Platz im Weinberg Christi, und auf einen jeden wartet eine edle Aufgabe, – auch auf dich.| Darum laßt uns alle fragen, ob wir denn im Weinberge sind und arbeiten? Und wenn wir Faullenzer sind am Lebensmarkte, dann wollen wir rufen und schreien, bis uns der HErr hört und Sein miethender Ruf uns die Pforte zu Seinem Weinberge öffnet.

 Eine zweite Bemerkung, lieben Brüder, verschmähet nicht.

 Letzte, die die Ersten werden, sind ganz offenbar Arbeiter, die nicht lange, vielleicht erst gegen das Lebensende hin, zur elften Stunde in den Weinberg eingetreten sind, aber am Ende durch die Gnade des HErrn den ganz gleichen Lohn empfangen, über welchen Er mit Denen eins geworden ist, welche die Last des Tages und die Hitze getragen haben. Der HErr kann aus Gnaden treuen Arbeitern, auch wenn ihre Arbeitszeit kurz war, denselben Gnadenlohn reichen, welchen Er den Tagelöhnern und Arbeitern der ganzen langen Tage aus Gnaden verheißen, ja vertragsmäßig zugesagt hat. Er sieht auf Treue und gibt den Treuen, die Er kennt, was Er will. – Wie ist es nun aber mit dem Worte, welches das ganze Gleichnis beschließt: „So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein, denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“ Nicht die Frage ist schwer zu lösen: „Welche sind die Berufenen“? Berufen sind sie alle. Aber welche sind denn die Auserwählten? Sind die Letzten, weil sie Letzte sind, auserwählt? Gewis undenkbar. Sind die Ersten, weil sie Erste sind und des Tages Last und die Hitze getragen haben, auserwählt? Gewis noch weniger denkbar. Dennoch aber scheinen die Letzten die Auserwählten zu sein, die Ersten aber nicht auserwählt. Sie arbeiten beide, sie empfangen beide den Lohn, und zwar denselben, den völlig gleichen Lohn. Es wird auch keineswegs gesagt, daß die einen weniger treu gewesen seien als die andern. Am Ende macht also weder die Arbeitszeit, die längere oder kürzere, noch der Lohn, den die nicht Auserwählten bekommen wie die andern, noch die Treue in der Arbeit auserwählt. So sage mir einer, was auserwählt macht? Die Ersten im Gleichnisse sind nicht auserwählt trotz Arbeit und Lohn, warum nicht? Ist keine Spur vorhanden von dem Grunde? Sie sind unmuthig, daß sie nicht mehr bekommen, als die Letzten, sie sprechen den Unmuth aus; da die Letzten aus Gnaden bekommen, was ihnen vertragsmäßig zugesagt ist, hätten sie auch eine Zulage erwartet aus dem Reichtum derselben Gnade. Sie scheinen vergeßen zu haben, daß ihr Lohn immerhin schon Gnade, daß ihre Arbeit des Lohnes nicht werth ist; sie betonen vom Worte Gnaden-Lohn statt den ersten Theil den zweiten – und haben kein in Gott zufriedenes und vergnügtes Herz. Dadurch, sonst könnte ich mir nichts anderes denken, verlieren sie die Wahl. Oder wenn sie nicht so neidisch und unmuthig gewesen, wenn sie nach voller Tageslast und Hitze in Demuth zufrieden und vergnügt gewesen wären und sich gefreut hätten, daß auch die Arbeiter der letzten Nachmittagsstunde den Lohn bekommen: würde man sie dann für nicht auserwählt halten können, ohne auf die grauenvollen Irrwege der Prädestinatianer zu kommen? Daraus erklärt sich dann auch, was die Letzten nicht bloß den Ersten gleich, sondern auserwählt gemacht haben muß. Sie müßen erkannt haben, daß sie durch Gnade belohnt wurden; gebeugt, anbetend müßen sie den frommen Gott gelobt haben, der die Armen reich und die Gottlosen gerecht macht. Was also macht auserwählt? Was ist das Zeichen der Auserwählten? Demüthige Ergreifung der Gnade in allen Dingen, auch im Lohne. Es mußten Arbeiter sein, treue, die auserwählt werden sollen, aber sie müßen unter keinen Umständen auf ihre Arbeit, sondern nur auf Gottes Gnade sehen. So stimmt dann alles auch mit Matth. 22, 14 zusammen, wo auch nur die auserwählt sind, welche nicht ihr eignes Kleid beim Hochzeitmahle tragen wollen, sondern das der Gerechtigkeit Christi. Ist das richtig, so ist Lohn und Wahl zweierlei. Die Wahl ist unter den Arbeitern, aber nicht alle Arbeiter werden auserwählt, wenn auch alle gelohnt. Daraus folgt allerlei, was, so weit es richtig geschloßen und in den Grenzen anderer Bibelstellen geht, nicht abzuleugnen ist. Aber kann man die Sache anders nehmen?

 Wohlan, so arbeite, was du kannst, wie viel, wie lang, wie treu du kannst, – und dann, wenn’s Abend wird, leg dein Arbeitszeug aus der Hand und dem Gedächtnis, und stirb auf Gnade!


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Am Sonntage Sexagesimä.
Luc. 8, 4–15.

 DIe vielen Zuhörer, welche sich um den HErrn her gesammelt haben (siehe Vers 4.), veranlaßen Ihn, in einem Gleichniße Seine Hoffnungen von den Hörern des Wortes, wie sie zu allen Zeiten sein werden, kund zu thun. Wie die Erde viel Land, so bietet die Menschheit zu allen Zeiten viele Hörer. Unter diesen bringen es einige zu einem Anfang des geistlichen Lebens, nur wenige bewähren sich als Gottes auserwählte Kinder.

 Wie viele auserwählte Gotteskinder werden denn wohl, lieber Leser, in der Gemeinde sich befinden, welcher du angehörst? Das weißt du nicht. Du weißt nicht, ob es viele oder wenige sein werden. Darum thue nicht, als ob du etwas wüßtest, und richte nicht vor der Zeit. Du sprichst: „Es regt sich bei uns gar nichts“; aber du redest schon mit diesem zu viel, denn du hörst das Gras nicht wachsen, viel weniger weißt du von der Arbeit des Geistes in den Seelen deiner Nachbarn Rechenschaft zu geben. Du sprichst: „Bei uns ists lebendig“; aber daß du nicht vor der Aernte jauchzest, erst am Aerntetage werden die Auserwählten kund. Du sprichst: „Es fällt einer nach dem andern ab“; aber auch wenns wahr ist, was du sprichst, ist keine Gefahr fürs Reich Gottes; auch können wieder aufstehen, die da fielen. Kurz, richte nicht, aber bete, und vor allem, sorge, daß du die eigene Seele rettest. Die so viel Zeit haben, fürs Reich zu sorgen, – die für die Wolken sorgen, daß sie nicht zerreißen, und für den Regenbogen, daß er nicht falle, – kennen die Noth der eigenen Seele nicht, nehmen es zu leicht mit ihrer Seligkeit, haben noch viel Sicherheit in sich. Eine Seele rette, die deine: das ist deine Aufgabe. Für die andern bete, und was du kannst, ohne den Hauptzweck deines Lebens, deine Seligkeit aus dem Auge zu verlieren, das thue für sie. Uebrigens vertraue Gott und Seinem Worte. – Vielleicht sagst du: „Es muß doch am Pfarrer liegen, daß bei uns nichts wird.“ Vielleicht liegts auch am Pfarrer. Aber wenn er Gottes Wort rein und lauter predigt, wenn er der Sakramente richtig waltet, wenn er die ihm vom HErrn befohlene Arbeit in Schwachheit, aber auch in Demuth verrichtet, – mit einem Worte, wenn Wort und Wandel dem Glauben ähnlich sind; dann liegts doch nicht am Pfarrer. „Aber warum wirds denn nichts?“ Antwort: Wenn der Same gut ist und recht gesäet, so ist weder der Säemann noch der Same schuld, sondern das Land, das harte, widerstrebende, oder mit andern saugenden Pflanzen bereits besetzte Land. So ists eben! So hats der HErr gesagt! So hat Ers erfahren, so Seine Jünger! Sie haben alle mit Schäffeln gesäet, guten Samen, und sich voraus darein ergeben, mehr zu säen als zu ärnten, und Geben für die ihnen zugedachte Seligkeit erkannt. Du möchtest vielleicht gerne nicht die stille Ausbreitung des Reiches in den Seelen, die an Seinen Auserwählten Ihm niemand wehren wird, sondern das Getümmel der Erweckungen und die Regsamkeit der Seelen, – du möchtests gerne weniger langweilig, – deine Augenweide suchst du, schauen willst du. Gottes Knechte aber beschließen im Frieden Gute und Böse ins Netz, schonen das Netz und den Acker, wo Kraut und Unkraut wächst, und warten auf den Tag der Scheidung im Glauben. An dem bekommen sie Augen und sündlose Lust der Augen, wenn sie die Garben einbringen, die vor deinen Augen kleinen, vor Gott großen. Den Tag erwarte!


Am Sonntage Estomihi.
Luc. 18, 31–43.
 MItten in Seinem Siegeslaufe, da Wunder auf Wunder von Ihm geschehen, verkündigt Er Sein Leiden und Sterben. Da man hoffte, Seine Sonne sollte immer höher steigen, da man eben erst begonnen hatte, an ihren Strahlen zu erwarmen, stimmt Er den Schwanengesang an und weißagt| Seinen Abend. So hatten Seine Jünger nicht gedacht. Seine Wege, Seine Todeswege unterbrechen ihre Gedanken, ihre Lebensplane. Sie sträuben sich, Seine Reden aufzufaßen, – sie wollen so nicht. Ehe Er von Seinem Ende gesprochen hat, war schon ihr Urtheil fertig, wie es mit Ihm gehen sollte. – O die Vorurtheile, o der Fürwitz, was haben diese schon in der Welt gesündigt und verschuldet! – „Ich habe mirs ganz anders gedacht“, sprichst du, – und weil es anders kam, als du dachtest, weil du dich auf einer Selbsttäuschung erfandest, darum verlierst du Aug und Empfänglichkeit für die Wahrheit, so wie sie ist, – ja, du wirst der nicht erkannten Wahrheit feind, weil du ahnest, daß sie dich Lügen straft. – Du hast im Christentume etwas ganz anderes gesucht, als du findest – oder zu finden wähnst. Du suchtest ein Land, wie Gosen, wo mans zeitlich gut hat, wenn alle Welt leidet, – eine anfechtungslose, immer gleiche Seelenstille, ähnlich jener Stimmung, die auf freien Bergen unter dem blauen Himmel bei schönen Lüften den müden Wanderer überrascht, und nun findest du an der Pforte des Christentums den Gekreuzigten und auf dem schmalen steilen Wege hinter der Pforte lauter Kreuzträger, und unter allen Christen ist keiner, der nicht sein Kreuz auf sich nehmen und dem HErrn so nachfolgen müßte! So ganz verschieden hievon war dein Vorurtheil, daß du mitten im Reiche Gottes immer zweifelst, ob du drinnen seiest! Freudenmangel erfüllt dich mit Zweifeln! – Aber wer kann dafür, daß du Vorurtheile hegtest? Ist denn, was Christentum sei, je in eines Menschen Herz gekommen anders, als durch Offenbarung? Und ist dir denn verheißen worden, was du suchtest? Schlimm genug, daß du durch Vorurtheile deinen Blick, deine Faßungskraft beschränkst. Vorurtheile sind Beschränkung. Hätten die Jünger nicht Vorurtheile von dem Werke JEsu gehabt, so würden sie nicht von der Todesverkündigung so völlig betäubt worden sein, daß sie das Ende derselben, die Verkündigung der Auferstehung überhörten. In ihren Ohren klang es immer nur vom Tode – und da nun bald der Tod herannahte, so waren sie voll Jammers. Da sie vor dem Leichnam JEsu standen, war ihre Hoffnung erloschen, ihr Leben hatte seinen Werth verloren. Hätten sie hingegen keine Vorurtheile gehabt, so würden sie unbefangen den ganzen Inhalt der Verkündigung JEsu gefaßt haben. Der Tod würde ihnen nicht überraschend gekommen sein, die Hoffnung der Auferstehung würde das Weh gemildert und sie für den Ostermorgen und seine frohe Kunde bereitet haben, sie würden mit Anbetung Seine erhabenen Wege angestaunt und auf Seine Verherrlichung gehofft haben. Aber so ists, Vorurtheile bannen in den Kreis des nahen Elends – und vor lauter Ausschauen nach Erfüllung eigener Gedanken wird man kurzsichtig für Gottes Wege, die so herrlich enden! – Freund, höre, höre, was Gott redet, Keiner wird verständig, der nicht ein treuer Hörer ist. Höre auf das Wort, folg seinem Schalle, – laß dich nicht bald dünken, daß du genug vernommen habest und bald weise seiest: höre, folg dem Schalle, davon bekommst du Augen gleich dem Blinden. Der wird nie recht sehen lernen, der nicht gerne und beharrlich hört.
Am Sonntage Invocavit.
Matth. 4, 1–11.
 EIn trefflicher Spiegel ist dieß Evangelium: unser Leben – ist eine Wüste, in welcher uns wilde Thiere umgeben und der Satan versucht. Ein wunderbarer Spiegel ist dieß Evangelium: in der Wüste, der wir angehören, sehen wir uns wandeln, aber nicht wie wir sind, sondern wie wir sein sollen; denn wir sehen Christum wandeln, und Er ist, wie wir sein sollen. Es ist alles, wie bei uns: Er wird versucht, wie wir, – nur ohne Sünde. Brodmangel versucht Ihn in der dürren Wüste, Ehrgeiz will Ihn fällen in der öden, menschenleeren Wüste, Hunger nach Gewalt und Herrschaft möchte in der armen Wüste von Ihm aufgenommen sein. Alles, wie bei uns, – die hochmüthige Sehnsucht des armen, verachteten, unmächtigen Menschen, sein sehnsüchtiger, unzufriedener Hochmuth wagt sich an Ihn. Aber Er ist uns in allem ähnlich, nur nicht (und das ahnte etwa der Versucher nicht) in der Sünde. Das eben| ist der große Unterschied: in Seiner Burg war kein Verräther, Sein angefochtenes Herz antwortete der Versuchung mit keinem Tone, aber wir? In uns antwortet auf jede Versuchung, die außer uns lautbar wird, ein verwandter Ton: das Reich Gottes, das festbeschirmte, ist nicht in uns, sondern wir sind voll Verrathes und böser Lust. Ja, wenn in uns keine Lust zum Bösen wäre, dann blühte unser inwendiges Leben in der verderbten Welt wie die Rosen unter ihren Dornen. Du hast keine Lust zum Tanz, so pfeift man dir ohne Seelenschaden; du hast deine Lust an dem HErrn, so singt dir die buhlerische Welt erfolglos, sündlos von ihren Freuden, d. i. ihren Sünden. Aber wie ganz anders, wenn du Lust hast! – Daß du deines Herzens böse, lüsterne Beschaffenheit in ihrer Tiefe schauen dürftest am Bußtage! Das wäre recht Buße gethan, wenn du sie beweinen könntest!

 Einer ruft hier: Die erkenne, die beweine ich; aber wie von ihr frei werden, wie inwendig anders werden, wie rein werden, daß der Unrath dieser Welt nicht mehr in mir fahen könne? – Leichte Antwort. Christus antwortet dem Satan mit eitel Sprüchen des göttlichen Wortes. Du bist nicht wie Christus, aber nimm Sein Wort in deine Seele auf, so wird Er dich Ihm ähnlich machen, und du wirst, wie Er, den von außen nahenden Versucher schlagen. Wie der Menschensohn im Fleische zu uns kam, so kommt Sein Geist, der heilige und heiligende, im Worte: wer das Wort aufnimmt, nimmt auch den Geist auf und wird es an sich erfahren, daß es nicht ein Schall, sondern ein lebendig, schäftig, mächtig Wesen sei. Laß durch das Wort des Gesetzes deinen alten Menschen tödten, durchs Evangelium ein neues Licht und Leben in dich kommen, – laß dem Worte Raum und Macht und es wird dir Raum und Macht geben über die Pforten der Hölle, daß sie dich nicht überwältigen können. Ists nicht in dir, so hilfts nichts außer dir. Aus dem Herzen hervor brichts wie hauendes Schwert des Cherubs. – – Sieh da, eine Sünde, eine große, eine schädliche Sünde wird dir offenbart, am Bußtag: Verachtung des Worts, Mistrauen in seine Macht, Verschloßenheit gegen dasselbe, wenn es eindringen will. Die Sünde bereue, für sie suche Vergebung, sie vermeide!


Am Sonntage Reminiscere.
Matth 15, 21–28.

 EIne Heidin liegt zu JEsu Füßen. Ihr Licht von dem Sohne Davids, von des Satans Werken unter den Heiden, von der Heiden Erwählung, von ihrer Gnadenhülfe, von des Glaubens Anrecht an den HErrn – war groß. Ihr Glaube selber war groß, wie ihr Licht. Ihr Gebet war brünstig, – sie rief in ihrer Sprache ihr: „Ich laße Dich nicht, Du segnest mich denn.“ Heiden sind pur auf den Glauben hingewiesen, darum gibt es unter den Heiden Helden im Glauben – eine Glaubensheldin aus den Heiden sehen wir zu JEsu Füßen – siegen.

 Eine Mutter liegt zu JEsu Füßen. Welche Mutterliebe siehst du hier! Sie erbarmt sich ihres Kindes, – sie macht des Kindes Leiden zu eigenen Leiden, bittet, bettelt um Erbarmen nicht für die Tochter, für sich, für sich („Erbarm Dich meiner!“) – sie weicht nicht, da der einzige Helfer Sich von ihr wendet, – sie weiß den Beruf Christi in Seiner Erniedrigung, da Er nur zu Juden gesandt war, zu durchbrechen und den der Erhöhung herauszufordern, der auch für die Heiden segensreich wirkt, – sie kann, wie eine Biene aus mancherlei Blumen, aus allen, auch aus harten Worten JEsu Beweis und Glauben an Sein Erbarmen sammeln, – sie gewinnt mit ihrem sehnlichen Rufen der Jünger Fürbitte, – sie erlangt endlich eine reife Frucht der Hülfe und die Verwunderung Deßen, der sich gerne besiegen läßt von standhaften Betern. Siehe, welch ein Sieg der Mutterliebe!

 Welch ein Bild, das Bild der betenden, siegenden, glücklichen Mutter: sollte einem nicht das Herz lachen, wenn man es anschaut? – Harre, ein anderes Bild führe ich dir vor die Augen. Ein Weib, eine Mutter vieler Kinder, eine Heidin, heidnische Gräuel voll, ein Weib voll Krankheit und Gebrechen, eine Mutter verlorener Kinder, eine Mutter, gräßlichem| Tode unter gräßlich sterbenden Kindern entgegengehend, ja selber sterbend, steht vom Stolze, von der Fieberkraft des falschen Selbstbewußtseins aufrecht gehalten. Vor ihr liegt, nicht ein Kleiner, vor ihr liegt ein Weinender, ein Mitleidiger, ein Mächtiger, ein Helfer ohne Gleichen, Gottes Sohn in Seiner Herrlichkeit, – Er bittet, Er fleht, Er reicht Arzenei und Leben, das Verdienst Seiner Leiden, eine Fülle von Gnade dar und fleht um nichts, als daß die häßliche Cananäerin sich und ihren Kindern helfen laße, stündlich, augenblicklich, völlig, ewig! Aber der HErr HErr, der Allmächtige, der alle Kronen trägt, siegt nicht. Seine Liebe ist mehr, ja mehr, als Mutterliebe, – und Er siegt nicht, – Seine Hände mit dem Himmel, den sie reichen, sinken, – Seine Thränen rinnen hoffnungslos. –

 Das Weib, die Welt und ihre Kinder! Welch ein Bild! – Ach, Bruder, laß uns nicht alle Dinge verkehren! Laß uns knieen mit dem cananäischen Weibe! Er soll uns erhören, wie Er sie erhörte, zu Seiner Stunde und in Seiner Maße!


Am Sonntage Oculi.
Luc. 11, 14–28.

 ALle Evangelien der Fastenzeit zeigen uns den HErrn in Leiden, nur nicht in den letzten Todesleiden, sondern in den Leiden, die das bittere Leben bietet. Seine Todesleiden vergeßen wir nicht, die Leiden Seines Lebens sollen nicht vergeßen sein in der Zeit Seiner Leiden. Heute sehen wir Ihn, den Weibessamen, wider den Satan und seinen Samen streiten. Er treibt die Teufel aus, – und ärntet Undank, Lästerung und Mistrauen. Meinst du, daß solches Streiten nicht auch Leiden gewesen sei? Leicht ist die Arbeit, wenn sie von denen erkannt wird, für welche man sie thut; aber wenn man sich zum Heile Anderer müde arbeitet – und des „Teufels“ Dank dafür bekommt, wenn man am Ende noch erkennen muß, man habe sich für Schlangensamen abgemüht, Zeit, Kraft und Mühe nur auf Undank verwendet: das ist doch Leiden, lieber Leser, – und, wenn du ein Tröpflein davon gekostet hast, wirst du ein wenig ahnen können, was JEsus Christus in Seinem Leben litt. Wahrlich, es kommt einem fast, wie dem Weibe, von welcher am Ende des Evangeliums geschrieben steht, Ihm zum Trost zu rufen: „Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die Du gesogen hast!“ Man möchte beim Lesen dieses Evangeliums ein herzinniges Zeugnis geben, daß man sich Seiner nicht schämt!

 Willst du Ihm ein solches Zeugnis geben? Nimm Sein Zeugnis an. „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ – Es gibt Leute und gab sie, ja sie bildeten einmal eine eigne Secte, – Leute, die auch auf Seine Worte und Werke wie Ketzerrichter sehen und aus ihnen rechten, unanstößigen Sinn zu gewinnen, sich fast schämen, – Leute, die vor der Hingabe an Sein Wort sich scheuen, weise und gut zu sein glauben, wenn sie nicht nur allen Dingen, sondern auch dem ewigen Lichte des göttlichen Wortes zwei Seiten abgewinnen können – die ihre Freude daran haben, unausgemacht zu laßen, ob Gott etwas und was Er in Seinem Worte rede. Ihr höchstes Streben ist, nicht betrogen zu werden, darüber werden sie mistrauisch gegen Gott und Sein Wort und Sein heiliges Werk. Sie können nichts Großes, nichts Gutes mehr glauben, wie die Pharisäer im Evangelium. Es ist ihnen alles verdächtig. Die Welt wird ihnen eine schlimme Rotte; doch sie sind frei von ihr, sich mistrauen sie nicht. Sie laßen sich über keine That des HErrn das Urtheil nehmen, – kein Herz fast meint es redlich, – ächte Bekehrung des Sünders gibts nicht. – Bruder, laß uns so nicht sein! Sein Wort laß uns nach einfachem Sinn ohne weiteres für Sein Wort halten und eher glauben, daß die Welt und unsere eigene Weisheit lüge, als daß ein Titel Seiner Reden lüge. Und von der Wirkung Seines Wortes laß uns allzeit Gutes hoffen, so werden wir es sehen! Und wenn wir seine Wirkung in einem Menschen sehen, so wollen wir nicht sorgen, ob sie rein sei, sondern beten, daß sie, wenn sie es nicht ist, rein werde, daß| JEsus völlig siege! Laß uns mit Ihm sammeln, wenn Er sammelt! Laß uns nicht ungläubig sein, sondern glauben, daß Er lebe, daß vor Ihm des Teufels Werk entweichen muß auch jetzt noch!
Am Sonntage Lätare.
Joh. 6, 1–15.

 LErne aus diesem Evangelio JEsu heilige Tischzucht kennen und lerne etwas für deine Tischzucht. – Ehe die Speisung beginnt, gebietet Er, daß sich die Menge lagere. Und es lagerten sich bei fünftausend Mann, und zwar nach Seinem Gebot „bei Tisch vollen“ (Marc. 6, 39.), je fünfzig und fünfzig einander gegenüber, so daß immer hundert Mann einen Tisch voll gaben und die ganze Schaar in fünfzig Tische vertheilt war. Der Tag neigt sich, die Hungrigen und Müden, die neu Genesenen, die Geheilten freuen sich, daß sie Speise empfangen sollen und sinken fröhlich nieder auf das grüne Gras. Ein schöner Anblick, diese fünfzig Tischlein voll, diese Tischordnung! Ein rührender Anblick, diese Tausende zu sehen, welche von einerlei Hoffnung und Vertrauen auf JEsu Speisung erfüllt sind. Aller Augen warten auf Ihn, sie sitzen bei dem Allmächtigen zu Tische. So sollte es auch bei deinem Tische sein, lieber Leser! Gleichwie des Heilands Mahlzeit nicht beginnt, bevor die volle Ordnung hergestellt ist, so solltest auch du die Deinen bei Tisch zu heiliger Ordnung versammeln. Es ist nicht schön, wenn der Hausvater die Mahlzeit beginnt, die Kinder sie fortsetzen, das Gesinde sie endigt und dazwischen bald der, bald jener sich entfernt. Sammle die Deinen, laß aller Augen auf des HErrn Güte warten, das Vertrauen auf Seine Güte vereine euch alle, Seine Gaben empfanget mit Andacht, Dank und Liebe mache euer Mittags-, euer Abendeßen zum Liebesmahle.

 Nachdem sie alle vor JEsu Augen sich gelagert hatten, nahm Er die fünf Brote und die zween Fische, sah auf gen Himmel und dankte. Er dankt, und ist doch Selbst allmächtig. Gleich wie der Vater das Leben hat in Ihm Selber, also hat Er auch dem Sohne gegeben, das Leben zu haben in Ihm Selber, dennoch sieht der Sohn zum Vater auf und dankt. Denn es ist des Sohnes Freude, alles von dem Vater zu empfangen, alles Ihm zu danken. Er ist mit dem Vater Eins nach Macht und Wesen, – durch Seinen Dank spricht sich Seine unaussprechliche Freude, Sein heiliges Bewußtsein von der ewigen Einigkeit aus. Freund, lern danken! Der Dank macht auch die Creatur mit dem Schöpfer so einig, als es sein kann. Dank ist selbst schon ein demüthiges Bekenntnis der Vereinigung mit Ihm. – Er dankt, und für was? Für die fünf Brote, die zween Fische? Auch für diese, aber für noch mehr. Der nicht dankt mit Ihm und wie Er, sieht eine arme Gabe, aber Sein Dank ist Weißagung, denn Er dankt für alles, was aus dem kleinen Vorrath zur Sättigung der großen Menge erwächst. So sieht der Dank rückwärts nicht allein, sondern auch vorwärts, in Vergangenheit und Zukunft. Freund, wenn du an Gott glaubst, so glaubst du mehr, als deine Augen sehen, und dankst drum auch für mehr. Lern glauben, so lernst du danken. Lern danken, so wächst, wie dein Dank, dein Glaube. – Aber du dankst vielleicht nicht, du sprichst vielleicht über deinen zu Tisch versammelten Kindern und der vorhandenen Speise das Dankgebet wie eine unverständliche Zauberformel, ohne daß dein Herz etwas davon weiß? Ach lern danken! Schau auf zu Gott, erkenne dich in Seiner Nähe und alles, was du hast, als Seine Gabe, – dann sprich dein Dankgebet.

 Nach dem Dankgebete bricht der HErr die Brote und reicht jedem der zwölf Jünger einen Theil davon, wieder auszutheilen den Hungernden. Seine heiligen Apostel bedienen die Hungrigen. Der Arme, der Nothleidende wird im Reiche JEsu behandelt als ein Vornehmer und Herrlicher, für den alle andern da sind. Die aber an Seinem Tische täglich satt werden nach Leib und Seele, die Fürsten Seiner Kirche, sind aller Diener. Sie beweisen es mit der aufopfernden Liebe, mit treuer, zum Besten des Nächsten vermeinter Arbeit des Berufes, daß sie sind, nicht bloß heißen, die Knechte aller Knechte Gottes. – Ein Wiederschein dieser Ordnung findet sich auch bei den natürlichen Menschen. Bricht doch jeder Hausvater den Seinigen das Brot, bereitet doch jede Hausmutter den Ihrigen| die Nahrung, sorgen doch immer die Alten für die Jungen, die Großen für die Kleinen, die Könige für die Unterthanen. Das ist ein Wiederschein, aber es ist so lange nur Schein, als nicht ein jeder mit Freuden seinem Nächsten in seinem Theile dient, als er einen Dienst nicht aus Liebe und Gehorsam gegen JEsum leistet. Die Liebe ist die demüthigste, die treueste, die freieste und die freudigste Dienerin aller Menschen. Habe Liebe, dann erst dienst du den Deinigen selig zu Tische.

 Sie werden satt. Ein jeder bekommt, „so viel er will“ (Joh. 6, 11). Mancher wollte mehr, als er bedurfte. Es bleiben viele Brocken übrig, zwölf Körbe voll. Der so leicht das Brot bereitet und die Fische mehrt, braucht nicht aus Armuth zu sparen, Er thuts auch nicht aus Geiz. Aber Gott hat Achtung vor Seinen Gaben und schonet ihrer, läßt sie nicht umkommen. Gleichwie Er Mildthätigkeit nicht für Verschwendung hält, so verwechselt Er auch nicht, wie irrsame Menschenkinder, Sparsamkeit mit Geiz. Ahme du deinem HErrn nach. Sei mild, gib reichlich und spare doch. Spare, achte Gottes Gaben für werth, daß du genau mit ihnen umgehest. Sammle die übrigen Brocken, aber halte nicht für übrig, was zwar du nicht, aber dein armer Nächster bedarf.

 Der übrigen Brocken werden zwölf Körbe gesammelt. Zwölf Apostel dienen zu Tische, ein jeglicher sammelt von der Mahlzeit, bei der sie andere sättigten, auch für sich sein reichliches Theil. Die mit Freuden dem HErrn in Seinen armen Brüdern dienen, haben auch selber nach Seinem Willen ihr täglich Brot, und keiner, der dankbar an des HErrn täglichem Tische bei Seiner geistlichen und leiblichen Mahlzeit sitzt, misgönnt ihnen das. Der HErr ist reich über alle. Sei du günstig gegen alle, die der HErr versorgt, auch wenn ihr Maß voller ist, als deines!


Am Sonntage Judica.
Joh. 8, 46–59.

 GIbt es noch einen, der von sich selber so Großes sagen und doch behaupten darf: „Ich bin von Herzen demüthig“? Kannst du bei andern Menschen die Demuth mit der Behauptung der Sündlosigkeit zusammenreimen, welche unser HErr Vers 46. vor Sich Selber aufstellt? Was würdest du auch von dem unsträflichsten Menschen urtheilen, der vor Abraham gewesen zu sein behauptete und von dem Glauben und Gehorsam gegen seine Worte das ewige Leben abhängig machte, wie das offenbar JEsus Vers 58. und Vers 51. thut? Wäre JEsus ein purer Mensch, so könnte Er, mit Scheu und Schaam sei es gesagt, kein reiner Mensch sein, denn Er würde zu viel von Sich halten und sagen, –und das thut kein reines Herz. Um ein reiner, heiliger Mensch zu sein, muß JEsus Gott sein, oder wir beten, ich sage nicht einen Menschen, sondern einen Sünder an, wie wir sind. Ist Er Gott, so ist über alle Seine Zeugniße von Ihm selber die heiligste, unnachahmlichste Demuth ausgegoßen. Ist Er Gott, dann ist auch kein demüthigerer Mensch auf Erden funden und im Himmel, als Er. Dann sind alle Seine Leiden unverschuldet, dann trägt Er sie nicht Seinetwillen – denn das ist dann unmöglich, – sondern allein um unsertwillen, – denn so sind sie alleine möglich zu denken. – Verzeihe Du, o HErr, daß ich so von Dir rede. Deine Ehre suche ich mit solchen Worten. Ja, Du bist mir erhaben über alles, gleichwie ich Dich erniedrigt unter Alles sehe. Du redest so wenig von Dir, find ich, denn ich sehne mich, bei Dir von Dir mehr zu hören. Deine Worte sind so gar demüthig, wenn Du von Dir Selbst sprichst. Doch auch diese meine Rede ist thöricht. Ich sehe nur Deine Demuth so sehr, weil ich Dich aus Deinem Worte als so gar erhaben erkenne. Ich kanns nicht faßen, wie solche Hoheit und Demuth in Einer Person vereinigt sein können. Ich schweige vor Dir. Ich bete Dich an. Du bist, Du bist mir erhaben über Alles.

 Laß mich, lieber Leser, nicht alleine anbeten, bete mit mir an. Laß uns aber nicht allein anbeten, sondern laß uns aus diesem Evangelium lernen, was Seinen Jüngern und Anbetern ziemt und nicht ziemt. Vor allem ziemt uns nicht, daß wir mit den Juden uns und unsre Väter oder irgend Menschen höher| achten, als Ihn. Lesen wir doch (und können wirs ohne Schrecken lesen?), daß, die solches thun, Lügner und des Teufels Kinder, also Schlangensame sind, also dem Fluche unterliegen. Laß uns, wenn Er redet, schweigen, hören, glauben. Was Er uns sagt, das wißen wir nicht; denn wir sind von der Erde, aber Er redet eitel Geheimnis und göttliches Wort. Was Er uns sagt, will nicht zuvor nach alle Seiner Wahrheit erkannt, sondern geglaubt, für heilig gehalten, unterschrieben und beschworen sein. Höre mit vollem Vertrauen, so wirst du erleuchtet, so wirst du neubelebt, so wird aus dir der Tod und was zu seinem Reiche gehört, vertrieben, so lebst du ewig. – Wie viel liegt am vertrauensvollen Hören! Wie gar alles! Höre, gebietet der HErr, und öffnet dir das Ohr. Höre, ruft Er, und nimmt dir deine Taubheit! Höre, ruft Er dem, der, weil der HErr ruft, hören kann. So höre doch und erfahre, wie Sein Wort an Leib und Seele Wunder wirkt! Bete an – höre – und sei selig!
Am Sonntage Palmarum.
Matth. 21, 1–9.
 ZWei Mal im Kirchenjahre kehrt der heutige Text wieder: am ersten Adventsonntage und am Palmensonntage. Woher das? Man begann einst das Kirchenjahr mit der österlichen Zeit, am Palmensonntage, und da las man dieß Evangelium, welches mit seinem nahenden Christus, mit seinem Hosianna freilich trefflich zum neuen Jahre der Kirche paßt. Als man dann später das Kirchenjahr mit Advent begann, nahm man das schöne Evangelium mit hinüber, behielt es aber auch für den Palmensonntag, deßen Geschichte es ja beschreibt, dem es im allereigentlichsten Sinne angehört. An Advent wird es angewendet – und, wie immer verschiedene Zeiten auf eine Bibelstelle ein verschiedenes Licht werfen, oder, richtiger zu reden, jede Bibelstelle zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Glanz entwickelt, so hat dieß Evangelium an Advent die Eigenschaft, daß es von der Majestät des HErrn strahlt, daß es eitel Freude bietet. Man kann sich in der Adventszeit nicht satt daran hören und singt Ihm immer in dem Liede: „Wie soll ich Dich empfangen“ etc. ein herzliches Echo entgegen. Dagegen würde es für viele überraschend sein, in der Leidenswoche das Freudenlied: „Wie soll ich Dich empfangen“ etc. anzustimmen, und am Palmensonntage erscheint das Evangelium selber in einer ernsten, vom Andenken des Blutes JEsu gerötheten Gestalt. Nicht die Herrlichkeit, die Armuth und Niedrigkeit Seines Einzugs fällt auf. Hosianna klingt nicht, wie ein Freudenton, es ist einem, als wäre es ein großer Spott, das „Kreuzige! Kreuzige“! des Charfreitags ist zu nahe. Die Friedenspalmen, die man Ihm vorträgt und auf den Weg streut, scheinen dem Herzen voll Weh und Leid, den Thränen JEsu bei der Stadt Anblick gar zu sehr zu widersprechen. Ein Ach, eine Klage über die Veränderlichkeit und Unwahrheit des menschlichen Herzens entsteigt der Brust Deßen, der am Palmensonntage, unter den Thoren der Charwoche, den Jubel des Volkes vernimmt. – Und wenn man nun fragt: welcher Eindruck ist der rechte, der, den das Evangelium an Advent, oder den es am Palmensonntage macht? Was wird die Antwort sein? Für den ersten Anblick wird gewis der des heutigen Tages der wahrere zu sein scheinen. Gleichwie einst Josua an diesem Tage durch den Jordan gieng, um mit heißen Kämpfen das gelobte Land zu gewinnen, so schickt Sich ja auch JEsus zu einem schweren Kampfe an. Gleichwie an diesem Tage, sechs Tage vor Ostern, das Passahlamm ausgewählt zu werden pflegte, so stellt Sich ja Christus heute im Tempel dar, um als das rechte Osterlamm nach sechs Tagen unter heißen Schmerzen aufgeopfert zu werden. Eine große Woche, eine unaussprechlich schwere, eine für jeglichen Verstand unbegreifliche Arbeit beginnt der HErr! Er bedarf so sehr das Hosianna, das Gebet: „HErr, hilf, o HErr, laß wohl gelingen!“ Ach, es wäre Ihm der Sieg und Friede, den die Palmen andeuten, so sehr zu wünschen! Aber noch ist Sieg und Frieden nicht zu denken. Der den Harnisch anlegt, kann sich nicht rühmen, als der ihn hat abgelegt? – – Und doch, und doch, dürfen wir nicht so gar in Traurigkeit versinken. Er hat ja vollendet, es ist Ihm ja gelungen, Er ist ja aus der Angst| und dem Gerichte genommen. Können wir denn so uns in Seine Leiden vertiefen, daß nicht das Gedächtnis Seines Sieges bei uns bleibe – und der Wehmuth die Süßigkeit mittheilte, die die Erinnerung überstandener Kämpfe hat? Ist nicht, wenn wir Hosianna rufen, der Trauerton genommen? Ist nicht das Hosianna gewißermaßen gleichbedeutend geworden mit dem Halleluja? Nicht ganz, wie an Advent, aber doch gewis mit Freuden beginnen wir die Charwoche. Zu uns, wie zu Johannes, ist gesagt: „Weine nicht, siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlechte Juda, die Wurzel David.“ Offenb. 5, 5. Wir sind getröstet über Seine Leiden. Sie sind der Ursprung aller Freuden. In dem Lamme, das überwunden hat, finden wir das Geheimnis, uns allewege freuen zu können. Keine Adventsfreude ohne Seine Leiden. Schon hier kann kein Fest den Wiederschein der andern Feste entbehren. Dort, ja dort wird ein Fest und aller Feste Köstlichkeiten in dieß eine Fest versammelt sein. Dort wirds erscheinen, daß aller Feste Eigenthümlichkeit auf Wahrheit ruhte.
Am grünen Donnerstage.
Joh. 13, 1–15.

 ES kann einem manchmal ein Mensch gefallen und zugleich misfallen. Der reiche Jüngling gefiel dem HErrn und doch misfiel er Ihm. Und Petrus, der des HErrn heiliges Fußwaschen unterbrach, misfällt einem, misfiel vielleicht, ja gewis auch dem HErrn, und doch spricht er alles, was er spricht, so aus unserem eigenen Herzen, daß man nicht anders kann, als in ihm einen Vorredner der andern schweigenden Apostel und aller Christen erkennen. So ist Petrus – er zieht an, wenn er abstößt, man fühlt sich hinter ihm her, wenn er noch so ungescheut und scheinbar unpaßend laut werden läßt, was in ihm lebt. Man könnte eine heilige Rede über das Edle und Schöne in Petri Fehlern halten. Jedoch zur Sache, die wir meinen.

 „HErr, Du meine Füße wäschest?“ Du – meine? Der HErr hat Seine Kleider ausgezogen, – wie ein Sclave kniet Er vor den Jüngern und wäscht ihnen die staubigen, schmutzigen Füße. Aber diese Erniedrigung zeigt dem offenen Mannesauge Petri gerade erst recht die Größe des HErrn. Wie mancher Vater, mancher Lehrer, mancher Herr halten es für eitel Schaden und Herabsetzung ihres Ansehens und Hindernis ihres Berufs, wenn sie vor ihren Untergebenen klein werden, etwa gar einen Fehler gestehen, abbitten sollen. Wie thöricht sind sie, wie blendet sie Hochmuth über den rechten Weg! Steig herunter und werde klein, wo es recht ist, so wirst du groß. Lern das, o sündige Creatur, von dem sündlosen JEsus. Er kann freilich nicht für Sich Buße thun und auf die Weise klein werden, wie du es kannst und sollst; aber klein wird Er doch, aus Liebe klein, zu Lehr und Unterweisung Seiner Kindlein. Und da Er so klein wird, ruft Petrus voll Erstaunen: „Du – meine Füße?“ Du – Füße – und gar meine! Ach darin liegt Bewunderung und Anbetung und das thut wohl dem Menschen, der gerne seinen HErrn bewundert und anbetet.

 Der HErr deutet dem heiligen Petrus an, daß Er ein Geheimnis vollziehe, indem Er die Füße der Jünger wasche, verheißt ihm auch Offenbarung und Erkenntnis des Geheimnisses. Wahrlich freundliche Zurechtweisung und Gnade genug für einen armen, irrenden Menschensinn. – Aber Petrus weiß doch noch nicht, was JEsus will, der Schlüßel fehlt zum Räthsel, und da kann er nun einmal den Eindruck noch nicht überwinden; statt nachzugeben, statt zu schweigen bricht er im Gegentheil nur noch mächtiger hervor und ruft: „Du darfst mir in Ewigkeit nicht die Füße waschen.“ Es ist ja dieß Wort wider JEsu Thun und Willen, es ist also nicht recht, es ist ein Tadel darüber auszusprechen. Aber doch liegt etwas drin, was unsere Seelen bewegt, und wenn nicht der HErr ein Geheimnis vollzogen hätte, wenn es nicht ein so besonderer Fall gewesen wäre, die ganze Kirche würde ihrem Vorredner Petrus beipflichten; denn das ist ja nicht das Verhältnis zwischen dem HErrn und dem Sündenkinde, daß jener diesem Sclavendienste thue; kehr um die ganze Handlung, so gibt es ja immer noch, so umgekehrt es scheine,| das seligste Verhältnis, welches sich denken läßt, nämlich: der Sünder wäscht JEsu die Füße. Es ist in der Weigerung Petri bei allem verkehrten Widerstreben so viel Demuth, Feier, Anbetung und Liebe, daß sein irrender Sinn wie ein heiliges Beispiel vor uns offenbar wird. – O, daß ich nie anders gefehlt und gesündigt hätte, als so, als aus irrender Liebe, aber doch aus starker kräftiger Liebe zu JEsu!

 Auch der HErr schont Petrum! Statt eines ernstern Wortes für die Störung, die er Ihm macht, folgt eine deutlichere erklärende Rede. Da liegt Er vor Seinem Jünger mit Waschbecken und Handtuch und wartet auf seine, des armen Sünders Einwilligung zum hohen Vornehmen. Da liegt Er und handelt und fast möcht ich sagen, bittet um die sündigen Füße – weil es ja gilt, Petro Theil an und mit seinem HErrn zu verschaffen, und weil Petrus diesen Theil ohne das Geheimnis der Fußwaschung nicht finden kann. „Wenn ich Dich nicht wasche, so hast Du kein Theil mit mir!“ spricht der Gnadenreiche, der in Seinem ewigen Königreiche nur Gäste und Diener brauchen kann, welche sich von Ihm durch Sein Waßer und Sein Blut reinigen laßen. Das war nun allerdings für Petrus auch noch keine klare Antwort. Was hat das Fußwaschen mit einer Reinigung für das ewige Leben zu thun? Er versteht’s nicht. Aber es klingt in seinen Ohren: „Kein Theil mit mir, oder Ich wasche Dich!“ Da ist Alles auf einmal anders. Es handelt sich nicht mehr um das demüthige und rechte Verhältnis des Dieners zum HErrn, sondern um den Theil mit Ihm, um die Verbindung und Verkettung des eigenen Looses mit dem des HErrn Was hilft da ferneres Weigern der Füße. Das umgekehrte Verhalten tritt nun ein – aus Beständigkeit, nicht aus Unbeständigkeit, denn seines HErrn sein wollte Petrus, als er die Füße nicht wollte waschen laßen und als er mehr wollte als das – „HErr, nicht meine Füße allein, ruft er, sondern auch die Hände und das Haupt.“ Gilts meinen Theil an Dir, so laß ich mich auch von Dir waschen, ich armer Sünder: – da hast Du Füße, Hände und Haupt. Ich will mit Dir erben – so viel ich kann, ganz Dein sein, daß Du ewig mein seiest. – Auch diese Worte Petri sind nicht, wie sie sollen; wie viele haben großen Tadel über sie ergoßen, sie im Sinne des Hochmuths aufgefaßt! Aber dennoch, dennoch schriee auch ich mit Petro: „Nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt,“ wenn ich nicht die Antwort Christi wüßte, die auch Petrum beschwichtigte und ihn zum einfachen Gehorsam brachte. Petrus will seines HErrn und in Seinem heiligen ewigen Erbe sein – und gegenüber aller Lauheit und Trägheit ist mir sein munteres, freudiges, feuriges Aufspringen und sein Sturz in JEsu Hände und an Seinen Hals ganz aus der Seele geschehen. –

 Gegenüber mir und einer Welt, die für Petri Fehler, nicht bloß für seine Tugend zu klein ist, lese ich im Evangelium von dem großen Beispiel der dienenden Liebe JEsu auch eine Empfehlung der Liebe und Anbetung Petri vor den Füßen JEsu.


Am Charfreitage.
Matth. 27, 26.
 BIst Du’s oder bist Du’s nicht? Irre ich oder ist es Wahrheit? Da stehst Du an der Martersäule in Deiner Blöße, Du Heiliger, den Licht und Klarheit auf dem heiligen Berge umgeben hat und nun ewig umgibt auf dem Throne der Ehren! Deine Arme sind um die Säule geschlungen; Du hältst Dich an ihr, als sollte sie Dich halten; sie haben Dich an sie angebunden, damit Du ihren Hieben nicht ausweichen könnest; sie schlagen und geißeln unbarmherzig, auf daß die Geißelung auch werth sei, eine Todesvorbereitung zu heißen. Dein heiliger, zarter Leichnam windet sich unter der grausamen Todesvorbereitung, Dein Blut rinnt in Strömen aus Deinen Adern. So muß ich Dich sehen, Du schönster, Du heiligster, Du barmherzigster Menschensohn, Du wirst gegeißelt, gegeißelt wirst Du von den unbarmherzigen Kriegsknechten. Ich bedarf nicht die Phantasie derer, die Deine Leiden im Gesichte sahen, ich darf mir nur die Geißelung der römischen Kriegsknechte denken, wie sie Bluturtheilen voranzugehen pflegte, und die Umstände auf Dich anwenden; so tritt mir ein Bild entgegen, das mir die Frage eingibt: bist Du’s oder| bist Du’s nicht? Ein nackter, bloßer, blutrünstiger, unter furchtbaren Hieben sich krümmender und windender und seufzender und vielleicht weinender Mensch – das ist der Menschensohn, welchen Daniel, welchen später Johannes in so großer Majestät und Glorie sah, umgeben von Myriaden und Myriaden dienender Engel. Wo sind denn die Legionen Deiner Engel? Warum stehen sie so still, warum schauen sie ihrem blutigen, angebeteten König zu, so that-, so regungs- und trostlos? Hast Du ihnen Selbst die Hände gebunden mit Deinem Verbote, auf daß Du alleine littest und, o Schöpfer, erführest und in Deiner zarten Menschheit spürtest, was Leid und Weh sei? Ach Du trauriger, ach Du gepeinigter, ach Du blutiger, jammervoller Heiland, ich lese ja, daß Du Dich mit vielem Geschrei und Thränen Gott geopfert habest; ich habe mich über Dein Geschrei und Deine Thränen oft gewundert; aber ich habe mich drein gefunden, Deine Leiden waren so und dazu Dein Leib und Deine Seele, daß Du alles spürtest nicht wie andere, sondern mehr als andere in gleichem Falle, und Du bist doch allmächtig, auch wenn ich mir das Geschrei Deines Mundes und die Thränen Deiner Augen wie Ströme denken müßte! Aber wann hast Du geweint und geschrieen? Soll ich mir Dein Jammern und Weinen und Deine dennoch so willige und freudige Aufopferung mit der Geißelung zusammendenken? Soll mein Ohr meinem Auge helfen, Dein Leiden betrachten, auf daß mein Herz völlig getroffen, durchbohrt und Dir mitleidend zu Füßen gelegt werde? –

 Ja, es ist wahr, man geht über vieles hinweg. Man liest, was Matthäus, Marcus und Lucas von Deinen Geißelhieben, Johannes von den Peitschenhieben schreibt, welche Du littest, so hin, als wäre es nichts. Unter der Menge der Begebenheiten des Charfreitags scheint es, als wäre die Geißelung klein. Man denkt, man fühlt, man lebt sich nicht in Deine Leiden hinein und in deren Umstände. Ich weiß zwar wohl, daß Deine Leiden zu groß sind, um sich hineinzudenken und hineinzufühlen nach Würden; aber umsonst ist der Versuch doch nicht und es wäre gut, wenn wir’s oft thäten und wenn wir dabei aller der Umstände achteten, unter denen alles geschah. Es gilt auch hier was sonst, daß die Umstände ein helles Licht auf die Erzählungen der heiligen Schrift werfen, ein Licht der Wahrheit.

 So laß mich denn einmal an diesem Charfreitag Deine Geißelung, die blutige Todesvorbereitung nicht vergeßen; sondern gedenke mein und schenke mir Deinen Geist, daß ich Dein gedenke und lebendig Deine Geißelung vor meine Seele trete. Du opferst Dich in Weh und Schmerzen, in Thränen und Geschrei – gedenke mein und laß michs wißen, erinnere mich daran, wenn ich müde werden will, um Deinetwillen mit Worten und Werken Deiner Feinde ein wenig gegeißelt zu werden, oder wenn ich gar mich in Bande und Stricke der Welt will geben und versucht werde aufs Neue Dich in den Deinen zu geißeln. Gedenke mein auch in den Schmerzen und Leiden meines Leibes und Lebens, und wenn ich mich winde und krümme unter meinen Schlägen, die mir ohne Deine Vorsehung und mein Verdienst nicht kommen, dann laß mich nicht mein Leid mit Deiner Geißelung vergleichen (denn das ist kein Vergleich, ein solcher Vergleich ist ja schier Frevel), aber dran denken laß mich und meine Schmerzen Dir zu Ehren tragen und unter Geschrei und Thränen mich Dir zum Dankopfer bringen, wie Du Dich mir zum Versöhnopfer brachtest.

 Gegeißelter, Gegeißelter, gedenke mein, daß ich Dein nicht vergeße. Ehe ich Dein vergeße und Dich aus Herz und Sinn verlöre, wollte ich lieber Dir nach selbst gegeißelt werden. Gedenke mein, daß ich Deiner Geißelung nicht vergeße, sondern reuend, büßend, glaubend auch an diesem Umstand Deiner Leiden hange! Amen.


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Am heiligen Osterfeste.
I.
Gesang der Väter.

Sei gegrüßt, du heiliger Tag,
Den Gott freudsam erleuchtet hat.
An welchem frei des Todes Art
Von Christ überwunden ward.

Nehmt wahr, dieß sind Gnadenzeichen,
Daß Er ist erstanden auf
Und hat alles herwiedergebracht,
Das längst der Welt war versagt.

Darum freut sich mit dem Kämpfer Christ
Alles, was geschaffen ist,
Laub, Gras, Bäum und alle Blumen,
Daß Christ vom Tod ist kommen.

Die gefangen waren im höllischen Reich,
Loben Gott alle geleich,
Der den Himmel eröffnet hat,
Zerstört des Teufels Hoffarth.

Gottes Sohn, der da am Kreuze hieng,
Ehrerbieten alle Ding,
Sonn’, Mond, Erd, Luft, Feuer und Waßer
Die durch Ihn sind geschaffen.


Marc. 16, 1–8.

 Und da der Sabbath vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria Jacobi und Salome Specerei, auf daß sie kämen und salbeten Ihn. Und sie kamen zum Grabe an einem Sabbather sehr früh, da die Sonne aufgieng. Und sie sprachen unter einander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Thür? Und sie sahen dahin, und wurden gewahr, daß der Stein abgewälzt war: denn er war sehr groß. Und sie giengen hinein in das Grab, und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an; und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzet euch nicht; ihr sucht JEsum von Nazareth, den Gekreuzigten, Er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie Ihn hinlegten. Gehet aber hin, und saget es Seinen Jüngern und Petro, daß Er vor euch hingehen wird nach Galiläa: da werdet ihr Ihn sehen, wie Er euch gesagt hat. Und sie giengen schnell heraus, und flohen von dem Grabe, denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen, und sagten niemand nichts, denn sie fürchteten sich.

Christ ist erstanden von der Marter alle;
Deß soll’n wir alle froh sein,
Christus will unser Trost sein. Kyrie eleis!

Wär Er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen.
Seit daß Er erstanden ist,
Lob’n wir den HErrn JEsum Christ. Kyrie eleis.

Halleluja, Halleluja, Halleluja!
Des soll’n wir alle froh sein,
Christus will unser Trost sein. Kyrie eleis!


Joh. 20, 1–18.
 An der Sabbather einem kommt Maria Magdalena frühe, da es noch finster war, zum Grabe, und siehet, daß der Stein vom Grabe hinweg war. Da läuft sie, und kommt zu Simon Petro und zu dem andern Jünger, welchen JEsus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den HErrn weggenommen aus dem Grabe, und wir wißen nicht, wo sie Ihn hingelegt haben. Da gieng Petrus und der andere Jünger hinaus, und kamen zum Grabe. Es liefen aber die zwei mit einander, und der andere Jünger lief zuvor, schneller denn Petrus, und kam am ersten zum Grabe; gucket hinein, und siehet die Leinen gelegt; er gieng aber nicht hinein. Da kam Simon Petrus ihm nach, und gieng hinein in das Grab, und sieht die Leinen gelegt, und das Schweißtuch, das JEsu um das Haupt gebunden war, nicht bei den Leinen gelegt, sondern beiseits eingewickelt an einem besondern Ort. Da gieng auch der andere Jünger hinein, der am ersten zum Grabe kam, und sahe und glaubte es. Denn sie wußten die Schrift noch nicht, daß Er von den Todten auferstehen müßte. Da giengen die Jünger wieder| zusammen. Maria aber stand vor dem Grabe und weinte draußen. Als sie nun weinte, guckte sie in das Grab, und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu den Häupten, und den andern zu den Füßen, da sie den Leichnam JEsu hingelegt hatten. Und dieselben sprachen zu ihr: Weib, was weinest du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen HErrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie Ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich zurück, und sieht JEsum stehen, und weiß nicht, daß es JEsus ist. Spricht JEsus zu ihr: Weib, was weinest du? Wen suchest du? Sie meinet, es sei der Gärtner, und spricht zu Ihm: Herr, hast du Ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du Ihn hingelegt, so will ich Ihn holen? Spricht JEsus zu ihr: Maria. Da wandte sie sich um, und spricht zu Ihm: Rabbuni; das heißt: Meister. Spricht JEsus zu ihr: Rühre Mich nicht an, denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater. Gehe aber hin zu Meinen Brüdern, und sage ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott. Maria Magdalena kommt und verkündiget den Jüngern: Ich habe den HErrn gesehen und solches hat Er zu mir gesagt.


Gesang der Väter.

 Heut sollen all Christen loben das Osterlamm mit Freuden. Solch Lamm hat Gott versöhnet. Seinem Vater unsre Schuld, und Sein Schaf erlöst mit Seiner Unschuld.

 Tod und Leben, die stritten um Christ, den wahren Mittler, der HErre des Lebens regiert ewig.

 Sag uns nu, Maria, was sahst du am Weg allda? Das Grab des lebendigen Gottes und den Preis Christi, der erstanden ist; der Engel Gezeugnis, (das) zeugt, daß Christ erstanden ist; Sein Schweißtuch und heilige Kleider; Bescheid, Ihn zu sehn in Galiläa.

 Es ist viel mehr zu gläuben allein Marien wahrhaftig, denn was die Juden sagen unnützlich.

 Wir wißen, daß der Christ vom Tod erstanden ist wahrlich. Drum gib uns, HErr Gott, Dein Freude ewiglich. Halleluja!


1 Cor. 15, 1–11.

 Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch stehet; durch welches ihr auch selig werdet, welcher Gestalt ich es euch verkündiget habe, so ihr es behalten habt; es wäre denn, daß ihr es umsonst geglaubt hättet. Denn ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, daß Christus gestorben sei für unsere Sünden, nach der Schrift; und daß Er begraben sei und daß Er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift; und daß Er gesehen worden ist von Kephas, darnach von den Zwölfen. Darnach ist Er gesehen worden von mehr denn fünf hundert Brüdern auf einmal, derer noch viele leben, etliche aber sind entschlafen. Darnach ist Er gesehen worden von Jakobo, darnach von allen Aposteln. Am letzten nach allen ist Er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, als der ich nicht werth bin, daß ich ein Apostel heiße, darum, daß ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, das ich bin, und Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene, also predigen wir, und also habt ihr geglaubet.

 Die es gesehen, die haben es bezeuget, und der HErr hat ihr Zeugnis besiegelt durch die Gaben Seines heiligen Geistes und allerlei Zeichen. Der HErr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja! Es ist keine That Gottes auf Erden geschehen, die so viele Zeugen hätte, als die Auferstehung unseres HErrn, so viele treue, einstimmige Zeugen! Es ist auch keine That Gottes von Ihm selber der Welt so angepriesen und empfohlen worden, als die Auferstehung unsers HErrn! Die Erde bebte, Engel fuhren nieder, heilige Leiber standen auf, Wächter flohen, Pharisäer und Schriftgelehrten konnten das Geschehene durch keine Lüge verdecken, sie fanden keinen Schleier der Finsternis, welcher den Glanz des Ostermorgens hätte verhüllen können. Was den Klugen und Weisen nicht verborgen bleiben konnte, und doch verborgen blieb (denn sie erkannten es nicht), das bezeugten die Unmündigen, die zwölf Fischer, Zöllner u. dgl. Und ihr Zeugnis hat überwunden und blieb selbst unüberwunden! Der Auferstandene ist geglaubt worden von zahllosen Kindern der Kirche, die auf Erden streitet, und es schauen Ihn alle Seligen. Was hilft dein Widerspruch, Hölle? Der HErr ist auferstanden! Was hilft dir dein Hohnlächeln, dein Läugnen, o Welt? Er ist auferstanden, sieh die Millionen, die sich heute mit Halleluja der Auferstehung| grüßen. Was zagst du, kleine Heerde, klein nach deiner Meinung? Dein Glaube und der Apostel, der Fünfhundert Zeugnis wird die Welt überwinden, wie sie bisher überwunden ist. Freuet euch, ihr Seine Gläubigen, ihr grauen Häupter, ihr jugendlichen Herzen, ihr Männer und Frauen, ihr Kindlein im Tempel, freuet euch und singet Dem, dem ihr Hosianna sanget, ein Halleluja!

Christ lag in Todes Banden
Für unsre Sünd gegeben,
Der ist wieder erstanden
Und hat uns bracht das Leben:
 Deß wir sollen fröhlich sein.
Gott loben und dankbar sein
Und singen Halleluja,
 Halleluja!


1. Cor. 15, 19–24.

 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Todten, und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Sintemal durch Einen Menschen der Tod, und durch Einen Menschen die Auferstehung der Todten kommt. Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden. Ein jeglicher aber in seiner Ordnung. Der Erstling Christus; darnach die Christo angehören, wenn Er kommen wird. Darnach das Ende, wenn Er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt.

Den Tod niemand zwingen konnt
Bei allen Menschenkinden,
Das macht alles unsre Sünd,
Kein Unschuld war zu finden.
 Davon kam der Tod so bald
Und nahm über uns Gewalt,
Hielt uns in seim Reich gefangen.
 Halleluja!

JEsus Christus, Gottes Sohn,
An unser Statt ist kommen,
Und hat die Sünde abgethan,
Damit dem Tod genommen
 All sein Recht und sein Gewalt
Da bleibt nichts denn Todsgestalt,
Den Stachel hat er verloren.
 Halleluja!

Es war ein wunderlich Krieg,
Da Tod und Leben rungen.
Das Leben behielt den Sieg,
Es hat den Tod verschlungen.
 Die Schrift hat verkündet das.
Wie ein Tod den andern fraß,
Ein Spott aus dem Tod ist worden.
 Halleluja!

Hie ist das rechte Osterlamm,
Davon Gott hat geboten,
Das ist an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb gebraten.
 Des Blut zeichnet unsre Thür,
Das hält der Glaub dem Tode für,
Der Würger kann uns nicht rühren.
 Halleluja!

 Preis und Lob und Ehre sei dem, der unsern Tod getödtet, der uns Leben und unsterbliches Wesen ans Licht gebracht hat! – Gehet hin und saget denen, die da sterben: „Gehe hin, mein Volk, in deine Kammer und schleuß die Thür nach dir zu, verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe!“ (Jes. 26, 20.) Gehet hin und weißaget auf allen Gottesäckern über die Erde: „Deine Todten werden leben und mit dem Leichnam auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr lieget unter der Erden: denn Dein Thau ist ein Thau des grünen Feldes, aber das Land der Todten wirst Du stürzen!“ (V. 19.) Gehet hin und prediget einer dem andern: „Wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert! Darum laßet uns Ostern halten, nicht im alten Sauerteige, auch nicht im Sauerteige der Bosheit und Schalkheit, sondern im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit!“ (1. Cor. 5, 7. 8.) – Der| HErr aber, welcher gerühmt ist von allen Engeln, allen Creaturen, der gebe auch euch Seinen heiligen Geist, den neuen, gewissen Geist, daß ihr wißet, wem ihr angehöret, und Dem, der auferstanden ist, mit aufrichtigem Herzen lebet!

So feiern wir das hohe Fest
Mit Herzensfreud und Wonne,
Das uns der HErr scheinen läßt.
Er selber ist die Sonne,
 Der durch Seiner Gnaden Glanz
Erleucht unsre Herzen ganz,
Der Sünden Nacht ist vergangen.
 Halleluja!

Wir eßen und leben wohl
In rechten Osterfladen,
Der alte Sauerteig nicht soll
Sein bei dem Wort der Gnaden.
 Christus will die Koste sein
Und speisen die Seel allein,
Der Glaub will keins andern leben.
 Halleluja!


II.
Marc. 16, 1–8.

 ES ist mir etwas Liebliches und Rührendes, einen wohlbereiteten Altar bei der Feier des heiligen Abendmahles zu sehen. Ein solcher Altar hat etwas Oesterliches, und so wenig er manchen an ein Grab erinnern wird, so gewis soll er es dennoch thun. Denn es liegen auf ihm die weißen, leinenen Tücher (andere als leinene soll ja kein Altar zur Ueberdecke haben), vor allen das oberste, welches nicht größer ist als die Tafel des Altares selbst, das Corporale, zum Andenken an die Grabtücher JEsu, in welche Sein Leichnam eingewickelt wurde, aus denen Er wieder hervorgenommen wurde. – Du kannst mir, lieber Leser, sagen, ob ich dir denn am großen Ostertage nichts anderes zu sagen wiße, als diese Sätze von der symbolischen Deutung der leinenen Altartücher. Allein ich predige dir nicht, sondern biete dir nur eine kurze Lection, und für eine solche eignet sich die Erinnerung an die Altartücher, du wolltest aber eigentlich sagen „die Grabtücher JEsu“, ganz wohl. Entweder ist in der Geschichte JEsu nichts klein, oder es hat auch das Kleine verborgenen großen Segen. Auch darfst du, kleiner Mensch, geringe Creatur, das Kleine nicht von dir stoßen, zumal wenn du merkst, daß dein HErr und Gott es achtet. Engel sind im Grabe JEsu; als der Auferstehungsmorgen da war, verschmähen die, welche allezeit Gottes Angesicht sehen, das kleine Grab nicht. Engel zeigen im Grabe, in der Grabeskammer den Ort, wo der HErr, der doch nicht mehr da ist, gelegen hat. Den seligen Geistern ist ein Oertlein im stillen Ort bemerklich und behältlich, – sie können es vertragen, neben das Gedächtnis der Auferstehung das Gedächtnis der Grabesruhe und des Ruheplatzes JEsu zu setzen. Und liesest du noch die Erzählung der Ostergeschichte in Johannes 20, 5–8, so wirst du dich überzeugen, daß von den Grabtüchern, ja von dem Schweißtuch JEsu die Rede ist, in welches Sein Haupt gehüllt war, – daß also der heilige Geist und die heiligen Schriftsteller ein Auge für alles, auch das scheinbar Kleine, auch für Grabtücher und ein Schweißtuch hatten selbst am Ostertage. Laß mir also die Freude, dir dieß Mal die ganz gelegentliche Erinnerung ans leere Grab und die leeren Grabtücher zu bieten. Beide sind mir und dir lieb, weil der HErr einmal darin gelegen ist und dann nicht mehr darin lag. Was in Beziehung zu Seiner allerheiligsten Person stand, das ist werth und lieb den Seinen, auch wenn die Beziehung niemals wiederkehrte, sondern aufhörte.

 Gestattest du mir aber die Erinnerung an das leere Grab und an die leeren Grabtücher des HErrn, dann gestatte mir auch, die Erinnerung an die Altartücher wieder aufzunehmen. Sie sind Symbole der Grabtücher, in denen JEsu Leichnam lag, aus welchen der Leib Seiner Verklärung hervorgieng. Aber sie sind nicht bloß Symbole, sondern sie sind mehr. Wie aus jenen ersten Tüchern Sein Leib herausgenommen wurde, um dann auf den Thron des ewigen Vaters erhoben zu werden, so wird dir von jenen Tüchern der Leib des verklärten JEsus, dein Osterlamm, beim Sakramente genommen und gegeben.| Nicht leere, arme, darbende Grabtücher, sondern volle, reiche, milde Geräthe, wichtiger und schöner als jene Tücher, mit denen Petrus im Gesicht die mancherlei Thiere vom Himmel niederfahren sah, decken unsre Altäre. Nicht leere Gräber sind es, wohin wir ziehen, wie die Weiber und die Apostel, nein, wir suchen und finden, genießen und erfahren den Auferstandenen bei den Altären und den aufgedeckten Symbolen Seiner Grabtücher.

 Hie bin ich nun bei dem Gedanken, auf welchen ich lossteuerte, so lange ich diese kleine Ansprache an dich hielt.

 Schön, reich belohnend, über Bitten und Verstehen lohnend ist der Gang der Weiber zum Grabe gewesen. Sie suchten den Lebendigen bei den Todten und wußten nicht, daß Er lebte. Sie fanden zwar den Lebendigen nicht bei den Todten, aber sie erfuhren doch Botschaft und Kundschaft Seines Lebens. Wir aber gehen an Ostern zum Sacramente. Da finden wir den Auferstandenen, Seinen verklärten Leib, Sein unverwesliches Blut, – da nehmen wir Ihn nicht, wie einst Simeon, auf die Arme, aber auf die Lippen, schmecken und sehen, wie freundlich Er ist und empfangen durch Sein heiliges Begegnen die Kraft Seiner Auferstehung für Leib und Seele.

 Wer hat nun glücklich gefunden, den alle Seelen suchen, brauchen und begehren, wenn wir nicht? Wo ist Ostern, wenn nicht bei uns? Wie denn die Engel die Grabtücher als Wahrzeichen der Auferstehung bieten, wahrlich so können wir die Altarleinen mit gleichem Rechte als Wahrzeichen der Gegenwart des Auferstandenen bei den Seinen nehmen.

 Laß dir drum meine Bemerkung von den leinenen Leibtüchern JEsu auf den Altären nicht widerwärtig sein.



Am zweiten Ostertage.
Luc. 24, 13–35.

 BRüder, das gestrige Evangelium redete von einem Oster-Morgen, das heutige vom Abend des Ostertages. Welch ein Morgen, welch ein Abend, beide durch Offenbarung Seiner Auferstehung!

 Da gehen sie dahin, die allgemein beliebten Beiden, nach ihrem Emmaus und weinen und jammern. Als sie von dem großen Fremdling um die Ursach ihres Sauersehens und ihrer Melancholei gefragt werden, geben sie Antwort – und was für eine? Lauter österliche Nachricht, aber noch ohne österliche Freude. Sie streuen weinend eine Saat der Freuden, aber sie war ihnen selbst noch nicht aufgegangen zu ihrer Lust. So kann man reich sein und es nicht wißen, Kisten und Kästen voll haben und hungrig und durstig vor ihnen stehen. Aber es wird anders. Der Fremdling weiß diese Trauernden anzuregen, von ihren Trauerwinkeln hervorzulocken und durch Seine Reden ein Morgenroth der Hoffnung und der Freude in ihren Seelen zu wecken. Ihre Herzen wurden brennend! Das war das Feuer der Hoffnung, welches entbrannte, – und die Hoffnung eines ewigen Lebens und der Auferstehung hat überall, auch noch jetzt, wenn sie die Seele ergreift, die Macht, die Traurigkeit zu tödten und die Seele zu erquicken, Frühling, Leben und Feuer zu entzünden. Doch dabei bleibts nicht.

 Da gehen sie nun am Abend hinein nach Emmaus. Der heimathliche, wunderbare Fremdling läßt sich halten; Er geht mit hinein – und es wird das Mahl gehalten. Er ist der Gast, aber Er hat bereits hausväterliche Stellung; ob man es Ihm zugeschoben hat, ob es sich wie von selbst fügte, ich weiß es nicht; aber Er spricht das Tischgebet, den Speisesegen. Er nimmt das Brot in Seine gebenedeiten, heiligen Hände; Er hebt mit den Broten die Hände, die Augen. Seiner Geberde folgen die beiden mit den Augen, und ihre Augen wurden nun aufgethan: sie erkannten den HErrn am Brotbrechen, – ihr Ostern war gekommen. Ihr brennendes Herz fand die volle Genüge, das stille, selige Ruhen, Leben und Weben in Seinem Schooße, das kräftige Leben unter Seiner lebensvollen Hand.

 Das Wort entzündet die Herzen für die Osterfreude, und mit Seinem Brotbrechen wird ER Selbst erkannt von denen, die Sein Wort vernehmen. – Ich weiß, daß das Mahl, welches der HErr den| Jüngern segnete, kein Abendmahl war. Aber ich kann es nicht laßen, in dem Gang der Handlung JEsu vom Wort zum Brotbrechen auch für uns eine Weisung zu finden, eine österliche Weisung! Höre Sein Wort, jammernde, suchende Seele! „Also mußte Christus leiden und zu Seiner Herrlichkeit eingehen“, dieß große Thema aller evangelischen Verkündigung eröffnet dir die Pforten guter Hoffnung auf Genüge und selige Freude. Lebe dich ein in alles Leben JEsu – und dann, und dann komm zu Seinem Tisch, wo ER die Speise segnet und den Trank, wo ER den Seinen die Augen in Seiner Gegenwart öffnet. Er wird erkannt am Brotbrechen, am Sacrament: höhere Seligkeit hat die Erde nicht. Aller Erdenfreude Gipfel ist im Mahle JEsu.

 Gestern eine Mahnung ans heilige Mahl, heute eine. „Wie wenn das heilige Mahl mit der Auferstehung so ganz völlig verwachsen wäre!“ Recht so, lieber Bruder. Ohne Auferstehung kein Abendmahl, und im Abendmahl alle Kräfte der Auferstehung. Gesagt aber darf es werden ein Mal und noch ein Mal, warum? Weil das eine Wahrheit ist, die man oft vergißt – und die doch so selig ist.


Am Sonntage Quasimodogeniti.
Joh. 20, 19–31.

 DUrch verschloßene Thüren tritt der auferstandene HEiland am Osterabende bei den Seinigen ein. Die Nägelmaale, welche auch den verklärten Händen, die Seitenwunde, welche auch dem auferstandenen Leibe des HErrn geblieben waren, überzeugten die Jünger, daß Er Selbst, der HErr, der am Kreuze gestorben war, lebendig vor ihnen stand. Er ist nun durch die Auferstehung von den Todten kräftiglich erwiesen als Gottes Sohn, Röm. 1, 4. Alle Seine Worte, die Er von Seinem Leiden gesprochen hat, sind nun erwiesen als Gottes Worte, Seine Werke als Gottes Werke; Sein Leiden und Sterben ist nun nicht mehr Beweis der Niedrigkeit, sondern Beweis einer unausforschlichen Erniedrigung des „Mannes, des HErrn“, wie Ihn Eva nannte. Sein ganzes Leben erscheint im Lichte der Auferstehung als eine Gottesthat, als eine reiche, strömende Quelle der seligsten Folgen. Jetzt klingt freilich das „Friede sei mit euch“ ganz anders, als am Abend vor Seinem Leiden, und das „Meinen Frieden gebe, Meinen Frieden laße Ich euch, nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt“. ist nun aus dem trübseligen Geheimnis Seiner Leiden in den Glanz Seines Sieges getreten. Vom Frieden des allmächtigen Mittlers, des Sohnes Gottes, Deß Todesschmerzen aufgelöst sind, Dem unmöglich war, daß Er sollte vom Tode gehalten werden (Apostelgeschichte 2, 24), – vom Frieden Deßen, den kein Feind mehr anficht, Deß Auge Himmel und Hölle fürchten, – von einem solchen Frieden ist die Rede. „Unter solchem Schirmen ist man vor den Stürmen aller Feinde frei.“

 Brüder, was wäre die Welt, was wären wir, wenn dieß „Friede sei mit euch“ bloß zu den Jüngern, die Seine persönliche Stimme hörten, gesprochen wäre, wenn wir, wenn alle andern Menschen, wenn die Menschen aller andern Zeiten von dem Frieden ausgeschloßen wären! Acht Menschen entrannen dem Verderben im Frieden über ungestüme Waßer der Sündfluth! Zehn Menschen, zwei mehr als zu Noahs Zeiten, hatten im neuen Testamente sichern Frieden gefunden, alle andern wären ein friedlos, freudlos Meer, das im Grimme des HErrn brausen müßte, bis es vor Seiner Erscheinung verrauchen würde wie „Wachs vor Feuershitz!“ An der sichern Freude von zehen Menschen bräche sich in verzweiflungsvoller Brandung das übrige Menschengeschlecht! Gott Lob, Lob dem Auferstandenen, daß es nicht so ist! – Höre, mein Bruder, – Menschen alle, die ihr Frieden wünschet, höret und vernehmet, wie der HErr für die Fortpflanzung Seiner Friedensbotschaft auf alle Geschlechter sorgt! „Gleich wie Mich der Vater gesandt hat, spricht der HErr, so sende Ich euch. Und da Er das sagte, blies Er sie an und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlaßet, denen sind sie erlaßen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten!“

|  Freuen wir uns, daß diese Worte nicht am Pfingsttage, sondern am Osterabende gesprochen sind! Am Osterabende sind die zagenden Zehn nicht, noch nicht die Apostel, deren Amt und Würde durch mancherlei Sprachen und Zungen an alle Völker und Leute des Erdkreises Vollmacht empfängt. Die Ausgießung des Geistes an Pfingsten, durch welche den Aposteln die zur Ausbreitung des Reiches nöthigen außerordentlichen Gaben mitgetheilt wurden, ist eine andere, als die, von welcher die Worte unseres Evangeliums sprechen: „Nehmet hin den heiligen Geist!“ Hier gilt es nicht Ausbreitung, sondern Gründung des Reiches, nicht Apostelgabe, sondern Gabe der Seelentröstung und Seelenleitung, – wenn man so sagen darf, nicht Apostelgabe, sondern Priestergabe. Ganz unabhängig von der Pfingstgabe, Geister zu unterscheiden, wird die Gabe des Schlüßelamtes mitgetheilt. Das Wort der Absolution, das „Friede sei mit euch“ der Diener JEsu soll bis ans Ende der Tage ein Wort des Geistes und Gottes sein. Nicht Unfehlbarkeit aller ihrer Worte, aber Unfehlbarkeit des Wortes „Friede sei mit euch“ für alle die, welche so, wie am Osterabend die Jünger, auf Frieden warten, wird den Dienern JEsu mitgetheilt, wenn der HErr spricht: „Nehmet hin den heiligen Geist!“ Eben so drückt dieß Wort des HErrn der Bindung und Bannung aller, die Seines Friedens nicht bedürfen, sondern in eignen Werken oder in Sünden ruhen, Gottes Stempel auf.

 Siehe, so pflanzt der HErr durch Seine Diener Seinen Friedensgruß an allen Menschen fort durch Sein heiliges Amt! Bußfertige, gläubige Seele, wo du seist, das Wort der Absolution, das du vernimmst, ist ein Wort des heiligen Geistes, ist größer, als der Mensch, der es spricht! Unbußfertige, ungläubige Seele aber auch, wo du seist, du bist gebunden durch jedes Wort, welches ein Diener Gottes vom Gesetze spricht. – „Siehe, Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“, spricht der HErr, nachdem Er Sacrament und Wort, nicht nachdem Er Wundergaben anvertraut hat, Matth. 28, 19. 20. Längst sind die Apostel entschlafen, aber der Welt Ende ist noch nicht vorhanden; bei wem soll denn der HErr sein, wenn nicht bei denen, die der Apostel Botschaft und Sacrament fortpflanzen? die Seinen Segen und die Versöhnung aller Menschenkinder, eine Lösung aller Gefangenen predigen und keinen binden, als den, der sich selbst zuvor gebunden hat durch Sündenliebe und Unglauben? In die Wunde Seiner Seite legst du deine Hand nicht, nicht deine Finger in Seine Nägelmaale; aber Seines Kreuzes Frucht, Seiner Auferstehung Kraft begegnet dir in deiner Absolution, in Gottes Absolution. Nimm sie, wie Er sie gibt, so wirst du der Thomas, der zu JEsu Füßen sinkt und Sünd und Gnade mit Einem Wort bekennt, der anbetend spricht: „Mein HErr und mein Gott!


Am Sonntage Misericordias Domini.
Joh. 10, 12–16.

 VOn einer Heerde redet dieses Evangelium. Die Heerde ist die Menschheit, wie sie zu allen Zeiten von Geburt her ist und sein wird. Eine Heerde ist, wenn sie alleine gelaßen ist, ohne Weisheit, die rechte Weide zu finden, dazu ohne Schutz vor grimmigen Thieren. So ist die Menschheit eine irrende Schaar im Lande Nod, sie weiß nicht, was ihr Bedürfnis stillen soll; sie kennt auch die Gefahren nicht, welche ihr drohen. Sie ist nicht für die Wüste geschaffen, in der sie irrt, nicht für die Erde, auf welcher sie geboren wird, – aber für was sie geboren sei, und wie sie zu dem unbekannten Glücke, zur vollkommenen Genüge gelangen soll, das weiß sie nicht.

 Von einem Wolfe, der die Heerde erhascht und zerstreut, redet unser Text. Etliche erhascht der Feind, die andern suchen ihre Rettung in Flucht und Zerstreuung und werden gerade dadurch erst recht in die Irre geführt, in die Wüste, die keinen Ausweg hat. So ist es auch bei der armen, verlaßenen Menschheit. Das Glück, welches ihre Seele stille, kennt sie nicht, aber eine Furcht, ein Mistrauen ist ihr eingeboren, welches freilich durch die Menge ihrer| Feinde nur zu sehr gerechtfertigt wird. Von oben her sind böse Geister, die in der Luft herrschen, – unten gähnt ein Grab, in welchem der Tod lauert, – ringsum schreckt und lockt die Welt, die bunte, – und auch inwendig regt sich eine gedoppelte Stimme und eine Unruhe, die nicht aufhört, weißagt unerkannte Gefahren Leibes und der Seele. Der Wolf, das Verderben, droht in tausendfacher Gestalt. Etliche werden vom Verderben ergriffen, jedermann erkennt es, daß das Verderben einen Riß gethan. Die andern werden von Furcht und eigner Weisheit zerstreut hiehin, dahin. Dann heißt es: „Wir sind wie die irrenden Schafe, ein jeglicher sieht auf seinen Weg“, hoffe das Beste von ihm – und am Ende führt er doch auch in das stumme oder verzweiflungsvolle, heulende Verderben.

 Da drängen sich Seelenfreunde, Rathgeber heran. Der eine räth dieß, der andere das: einer rühmt die Weisheit der Alten oder der Neuen, – der andere rühmt den zerrißenen Rock eigener Gerechtigkeit und Tugend, in den man sich hüllen könne und dann keinen Feind zu fürchten brauche, – wieder ein anderer räth, sich in Künste und möglichste Verschönerung und Vervollkommnung zeitlichen Lebens zu versenken, als werde so das Unglück von der getünchten Hütte abgewendet, – etliche suchen Vergeßenheit alles Leidens durch unaufhaltsamen Genuß irdischer Freuden, Ehren, Güter als das beste Mittel, dem Unglück zu entfliehen, anzupreisen. Sie fallen aber alle in die Grube, der Tod erhascht sie alle, die eigene Weisheit hilft am Grabe nicht, die eigene Gerechtigkeit deckt nicht am Thore der kalten Ewigkeit, – alle Bienenindustrie behütet den Schwarm nicht vor dem Feinde, der sein begehrt, und im Lande Gott vergeßener Lust sind Lustgräber bereitet. Es sind lauter blinde Blindenleiter, lauter leidige Tröster, lauter Experimentirer, die keine erkleckliche Erfahrung gemacht haben, lauter Miethlinge, welche selbst vor dem Wolfe davonlaufen, keinen Muth, keine Stärke, keine Ueberwindung darbieten können, denn sie haben selber von dem allen nichts. Sie haben alle nicht die rechte Absicht, denn jeder sucht das Seine – und damit wird kein Wolf vom Nächsten verscheucht.

 Ach Menschheit, unter Mörder gefallene, wer naht dir tröstend im Thränenthale? Wer wird dich erlösen vom Leibe dieses Todes, vom Tode deiner Seele, vom Verderben? – Gott sei gelobt, es gibt noch einen Retter; die Schafe in der Wüste haben noch einen Hirten, der kein Miethling ist, – einen Hirten, vor dem die Heerde der Wölfe sich zerstreut, – einen Gott, der da hilft, einen HErrn, HErrn, der vom Tode errettet! Kennest du Den nicht, Menschenkind, der die Himmel zerriß und auf Erden kam, den Gewaltigen, der allen vernehmlich ruft: „Ich bin der gute Hirte!“? Gut ist Er, denn Er ist Gott, – ein Hirte, deß wir bedürfen, denn Er weiß das Verderben und die Wege, es zu überwinden, und Er hat die Macht zur Ueberwindung. „Der gute Hirte läßt Sein Leben für die Schafe.“ Der gute Hirte läßt Sein Leben für die Schafe, gibt es dem Verderben Preis, dem Wolfe hin, damit der Wolf von solcher Speise sterbe! Was für ein Mittel, das einzige mögliche, außer welchem keines vorhanden ist, das schauerliche, unbegreifliche Mittel, – und Er? Er erbleicht, Er wird betrübt, aber nur eine kleine Weile, – unverzagt, wie ein Löwe, geduldig, wie ein Lamm, ergibt Er Sich drein. Der gute Hirte läßt Sein Leben für die Schafe, Er läßt Sein Leben, – aber Er nimmt es wieder: denn Er hat Macht, Sein Leben zu laßen und wieder zu nehmen. Er nimmt es wieder mitten in den Thalen des Todes, nicht überwunden tritt Er hervor, Er hat den Tod überwunden für uns! Nichts mehr ist zu fürchten: Friede ist mit uns! – „Der HErr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich!“

 Ach, daß Er nach so bewiesener Hirtentreue noch einen Unterschied machen muß zwischen den Seinen und Denen, die es nicht sind. Er hat Sich für alle geopfert, warum fallen Ihm denn nicht alle zu? Er hat den Wolf für alle getödtet, warum freuen sich denn nicht alle Seines Lebens? Ach, warum wollen denn etliche sterben, da keiner mehr sterben muß? Warum bleibt durch der Menschen eigne Schuld die Welt zweitheilig! Warum behält durch der Menschen Schuld die Ewigkeit der Menschen zwei Orte? Warum ist die eine Heerde nicht so groß und viel, als die Menschheit selber ist? Warum muß die Kirche lehren, daß nicht alle selig werden, daß der Himmel nicht alle Menschen vereinige! – Du bist so gut, „Hirte Israels“! Du bist bekannt den Deinen als ein leidender, siegender, suchender, freudenvoll findender, selig weidender, zum ewigen Leben führender| Heiland und Hirte! Lieblich, wie kein Menschenkind dem andern werden kann, bist Du, allmächtiger Gott, den Deinigen! Und Du bist nicht erkannt von allen! Wie traurig ist es! Und kennst denn Du mich als den Deinen? Welch ein Schrecken erfüllt meine allezeit scheidende, sterbende Seele schon bei dem Gedanken: „vielleicht bin ichs nicht!“ HErr, bin ichs? Alle andern Fragen mögen mir ungelöst bleiben, aber die eine Frage laß mich wißen: HErr, bin ichs, bin ich Dein? Du bist mein, ich kenne, ich erkenne Dich, – all mein Wißen, Wollen, Fühlen, – alle meine Buße, mein Glaube, meine Liebe, mein Gebet, meine Hoffnung, mein Leben und Wandeln ist Stückwerk, ist mangelhaft, sündenbefleckt; aber ich kenne Dich, Du bist mir Vollkommenheit im unvollkommenen Leben, an Dir habe ich genug. Das ist ja von Dir, nicht von mir, daß ich in Dir alles mein Genüge suche, nicht in der täglich neuen, reizenden Mannigfaltigkeit der Welt, daß ichs in Dir habe und so oft genieße, daß mir ungerecht Wesen, das ich thue, nicht gefällt! Weil Du mich erkannt hast, so kenne, so erkenne ich Dich; denn es erkennt Dich niemand, den Du nicht erkannt hast, das ist meine Ruhe. Wenn die Wölfe dräuen und heulen, so will ich rufen: „Ich kenne Dich, Du mich! Ich bin Dein, weil Du mein.“ So will ich rufen und ruhen, – darin will ich ruhen, auch wenn „mitten in der Höllen Angst meine Sünd mich treiben“!
Am Sonntage Jubilate.
Joh. 16, 16–23.
 UEber ein Kleines“, so ist alles anders. Es ändert sich unter der Sonne alles in einer Kürze. Alles ist eitel. Unsre Jugend, Freund, wo ist sie? Ueber ein Kleines, so war sie, – und nun wir Männer sind, däucht uns, es sei die liebliche Jugend ein Traum. Erinnerst du dich an die erste Erinnerung, die du aus der Kindheit herübergerettet hast, – wie lang ist es, seit dem du dich erinnern kannst. Es ist alles so kurz gewesen, auch das lang war in seiner Gegenwart. Dahin ist Freud und Leid! – Doch nein, noch wechselt Leid und Freud, keines von beiden ist bei uns einheimisch geworden. So wird es fortgehen, bis der letzte Wechsel hinter uns liegt und von dem ganzen Leben uns nichts mehr übrig ist, als die Erinnerung und das Gewißen. Wie wird es dann um uns, in uns sein, wenn sich nichts mehr ändert, wenn wir außer dem Leibe wallen, wenn wir ans ewige Licht geboren sind? Wenn die Angst der letzten Stunde vorüber ist, was wird man jenseits uns entgegenrufen? Wirds heißen: „todt geboren!“ oder: „willkommen im Lichte!“? Es werden etliche im bleibenden Schmerze, etliche im ewigen Leben wohnen: eins von beiden, Schmerz oder Freude, wird auch dir zur Ewigkeit werden: welches von beiden, das ist die große Frage! „Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden“, spricht der HErr. „Eure Freude soll niemand von euch nehmen,“ versichert der Freudenmeister. Wer sind die, welchen der HErr in diesen Worten eine wechsellose Freude verheißt? Glücklich, wer in ihre Zahl sich zählen darf; wer sind die Glücklichen, die Seligen? Es sind die, welche in der wechselvollen, darum doch im Ganzen traurigen Welt, eine Freude von dem Himmel empfangen, die eben alle Erdenschmerzen zum seligen Ende bringt und in Freude verwandelt. Um die Freude sorge, Bruder! Was für eine Freude ist es? Es ist die österliche Freude, lieber Bruder, – die Freude, daß Er auch des ewigen Todes Pein überwunden, daß Er lebt, daß Er uns lebt, daß Er Unsterblichkeit und Leben für uns ans Licht gebracht hat. Er ist durch Schmerzen, von welchen du keinen Gedanken empfandest, zu ewiger Freude hindurchgedrungen: „über ein Kleines“ war Freude die Fülle und liebliches Wesen auf ewig bei Ihm eingekehrt, die Freude eines ewigen Gelingens, die Freude ewiger Machtvollkommenheit, allen denen, die Ihn anrufen, vom zeitlichen und ewigen Tode zum ewigen Leben auszuhelfen! Glaube an Ihn, darin ist eine Kraft, welche im Kampfe der Welt Anfangs dulden, dann Muth, dann Friede, dann Freude wirkt. Bleib im Glauben, dadurch wächst Geduld, Muth, Friede, Freude. Bleib’ im Glauben, so wird, je mehr die Welt dir verwelken wird, desto mehr eine unbegreifliche, stille Freude sich regen, eine| Freude zur Ewigkeit, wo mit dem Schauen vollkommene Freude ohne Maße dich umfangen wird. Bleib im Glauben, so wird selbst die Stunde der Ausgeburt zur Ewigkeit mit allen ihren Schmerzen mehr nicht vermögen, als die sehnliche Freude dorthin spannen, wo wir Ihn sehen und unser Herz sich freut und keine Frage mehr ist, sondern ein ewiges Antworten auf dein hiesiges Fragen und Sehnen, – HErr, stärke uns den Glauben!
Am Sonntage Cantate.
Joh. 16, 5–15.

 VOn der Trauer über JEsu Hingang, die Vers 6. berührt, ist bei uns keine Spur mehr. Ach, wenn nur irgend ein Gefühl des Herzens bei der Erinnerung an Ihn spräche! Aber es ist, wie wenn Er mit uns nicht verwandt wäre, wie wenn Er für uns nicht gestorben, nicht auferstanden wäre, nicht lebete! Jedes Interesse dieses Lebens erregt uns mehr, als Sein Evangelium! Doch halt, was klagen wir! Ist nicht JEsus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit? Ist Sein Wort nicht mehr Sein Wort? Dann wohl wäre es nicht mehr das allmächtige Wort, dann wäre nicht mehr Sein Geist im Worte wirksam. Aber so lange Er bleibt, was Er ist, ist auch Sein Wort allmächtig – und es ist an keinem Herzen völlig zu verzweifeln, so lange Sein Wort sich nach ihm ausstreckt.

 Der Sohn ist hingegangen, zurückgekehrt zum Vater, noch nicht wiedergekommen, uns heimzuholen. So ist der Tröster, der heilige Geist, noch bei uns. So lange, bis der Sohn wiederkommt zur Aernte, säet der Geist Seinen Samen, Sein heiliges Wort. Was sorgst du für Gottes Reich, wie die blinden Steuerleute, die nicht sehen, daß nicht sie, sondern ein anderer die Arche durch alle Stürme führt? Es wird nicht untergehen, so lange Seines Geistes Wort zu hören ist. Es kann nicht mangeln am Samen der Gerechten, am fruchtbaren Gewächs geistlichen Lebens, so lang das Wort des Geistes Hülle und Mittel, so lange der Geist und das Wort zusammen mit Waßer und Blut das Zeugnis ablegen, welches allen Lärm der Welt überstimmt.

 Du klagst, daß keine Buße auf Erden sei – und doch lehrt, ja überzeugt und straft der Geist im Worte die Welt über die Sünde aller Sünden, nicht an den Tilger aller Sünden zu glauben. Wird Er denn zeugen, ohne daß ein Ohr Sein Hephatha höre? Weiß Er etwa nicht, der Allwißende, wo nichts mehr zu hoffen? Meinst du, Er werde fruchtlos predigen laßen von der Sünde? So lang Er zeugt, wirkt Er! So lang Er einkehrt, singt man Hosianna! In des Vaters Reich wird keine Buße mehr gewirkt, aber im Reiche des Sohnes und Geistes bleibt wahr, daß allezeit eine bußfertige Schaar auf Erden sein muß, eine heilige, über ihren Mangel an Gerechtigkeit weinende Kirche[.]


Am Sonntage Rogate.
Joh. 16, 23–30.
 ALles betet. Die Raben schreien nach Futter, die jungen Löwen, die auf Raub ausgehen, brüllen zu Gott um Sättigung. Der HErr aber vernimmt ihr Schreien und versagt ihnen nicht, was sie bedürfen. Wie viel weniger wird Er dem Menschen, der beßer ist, als viele Thiere, Sein Ohr verschließen wenn derselbe, von Angst und Noth bedrängt, Hülfe bei dem großen Gotte sucht! Der HErr erbarmt Sich aller Seiner Werke. Aber es ist doch ein großer Unterschied zwischen Beten und Beten. Unser Evangelium redet von einer neuen Art des Gebetes, welche auch den Jüngern in den drei Jahren ihrer Lehrzeit bei JEsu unbekannt geblieben war. „Bisher habt ihr nichts gebeten in Meinem Namen“, spricht der HErr und offenbart damit Seinen Jüngern die neue Art des Gebets, „das Gebet in Seinem Namen.“| Wer im Namen des Königs etwas thut, ist in diesem Thun ein Stellvertreter des Königs, er muß auch als ein solcher anerkannt werden, und, wofern er es nicht wird, sieht es der König an, als wäre er selbst verschmäht. So ist, wer in JEsu Namen betet, ein Stellvertreter JEsu; sein Gebet soll als ein Gebet JEsu angesehen werden; wird er erhört, so ist JEsus erhört; wird er nicht erhört, so ist JEsu Gebet verschmäht. Du merkst also wohl, lieber Leser, daß es mit dem Beten in JEsu Namen ein großes Ding ist. Kein Mensch dürfte es auf eigenen Einfall hin wagen, in JEsu Namen vor den Vater zu treten, noch viel weniger, als du oder ich es wagen dürfen, auf eigenen Einfall hin etwas in des Königs Namen zu thun. Nur wer vom König dazu Auftrag und Befehl hat, darf in seinem Namen handeln, wer seine Vollmacht nicht zeigen kann, wird verspottet und gestraft werden. So darf auch nur der in JEsu Namen beten, der von JEsu Selber dazu Auftrag und Befehl hat. Die Jünger empfangen von JEsu dazu die Vollmacht und der allwißende Vater weiß auch, so oft sie vor Ihn treten, daß sie bevollmächtigte Boten Seines Sohnes sind, Er nimmt daher alle ihre Gebete mit der Liebe und Ehre auf, wie Er Seinen betenden Sohn aufnimmt. Wie ist es nun aber mit uns Spätlingen? Dürfen auch wir – und welche unter uns dürfen es wagen, in JEsu Namen zu beten? Daß es auch zu unserer Zeit erlaubt sei, in JEsu Namen zu beten, ist gewis, da ja der HErr ein Heiland aller Menschen ist – und allen sagt, was Er Seinen Jüngern sagt. Gleichen wir Seinen Jüngern, so gilt uns auch das an die Jünger gesprochene Wort Seiner Vollmacht. Wir kennen die Jünger, daß sie nicht sündlose Heilige waren; sündlose Heiligkeit wird also nicht erfordert, um im Namen JEsu beten zu können. Wohl aber heißt es Vers 27.: „Er Selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr Mich liebet und glaubet, daß Ich von Gott ausgegangen bin.“ Liebe zu JEsu und Glaube an Seinen göttlichen Ausgang, an Seine göttlich-menschliche Person, an Sein göttlich-menschliches Werk – sind also Erfordernisse, um im Namen JEsu beten zu dürfen. Nicht von einer vollkommenen Liebe, nicht von einem dem Schauen völlig gleichen Glauben ist die Sprache, sondern von Lieb und Glauben in dem Maaße, wie die Jünger sie in der Nacht besaßen, da JEsus verrathen ward, d. i. von einem herzlichen Anfang des Glaubens und der Liebe zu JEsu, welcher in sich selber wie die innige Sehnsucht, so auch die gewisse Bürgschaft der Läuterung und des Wachstums trägt. Freilich gerade diejenigen, welche so viel Glaube und Liebe in sich tragen, sind verschämt und schüchtern und wagen trotz der Erlaubnis nicht wohl das herrliche Gebet im Namen JEsu. Sie bedürfen dazu gleich den Jüngern (Vers 26.) noch einer besondern Ermächtigung, einer besondern Stärkung durch den heiligen Geist, der Pfingstgnade. Diese Ermächtigung wird ihnen aber auf ihr Seufzen durch die Kräfte des gütigen Wortes Gottes immer mehr mitgetheilt. Der Geist leitet stufenweise und stille von einer Klarheit und Zuversicht zur andern, bis man es wagt, von der Erlaubnis des HErrn Gebrauch zu machen und in JEsu Namen zu beten. Da erfährt man denn zur tiefsten Beugung der Seele, was es für eine große Ehre und Gnade ist, mit Beten JEsu Stelle zu vertreten. Die vollkommene Freude Seiner Kinder wird man inne – und es wird einem schon um des einzigen Grundes willen, daß man in JEsu Namen beten darf, leicht, die Scheidung von der Welt und alle damit verbundene Entsagung und Pein zu tragen. – Alles betet – ach, HErr, mein Gott, das Gebet, das Deine Kirche von aller betenden Heerschaar unterscheidet, verleihe auch mir! Das Gebet im höhern Chor verleihe mir!
Am Himmelfahrtstage.
Marc. 16, 14–20.

 ALs Elias gen Himmel fuhr, ließ er mit Bewilligung des HErrn seinen Mantel dem Propheten Elisa, seinem Nachfolger, welcher dann nicht wenigere oder geringere Werke wirkte als er selbst. Als der HErr gen Himmel fuhr, was ließ Er den Aposteln und allen den Seinigen?

 Wenn ich die Erzählung der Himmelfahrt vor mir hätte, wie sie am Ende des Evangeliums Lucä| zu lesen ist, würde ich diese Frage einfach so beantworten: „ER ließ ihnen Seinen Segen. Der Hohenpriester des Alten Testamentes segnete, wenn er aus dem Heiligtum herausgieng; der Hohenpriester des Neuen Testamentes unterscheidet sich von jenem dadurch, daß Er segnet, da Er in das ewige Heiligtum eingeht. Heut ist der Geburtstag des neutestamentlichen hohenpriesterlichen Segens, welchen seitdem alle Hirten den Gemeinden wiederholen, so oft sie nach geschloßenem Gottesdienst den Segen sprechen. Heut ließ Christus den Seinen den Mantel Seines Segens. Die Seinigen ergreifen ihn, wie Elisa, und wirken damit Befriedigung der Gemeinden.“

 Allein ich habe meine Frage nicht aus Lucas, sondern aus Marcus zu beantworten. Marcus redet vom Segen nichts, aber er gibt genug Stoff zur Beantwortung der Frage. – Ehe ich sie beantworte, mache ich auf deren Inhalt aufmerksam. Nicht frage ich, was Christus den Aposteln ließ, sondern was Er den Aposteln und allen den Seinigen ließ. Vergiß das nicht, lieber Leser.

 Der HErr ließ den Seinen die Taufe – und die Wundergaben. Das ist Sein Mantel, reicher an Kraft und Gabe, als Eliä Mantel. Die Taufe ist ein Mantel, die ganze Welt in Gottes Frieden und Segen einzuhüllen; sie ist groß und weit genug zu diesem Zweck, und hat eine Verheißung, nicht eher zu versiegen und aufzuhören, als die Meere, Flüße und Brunnen, von denen ihr Waßer genommen wird, sie bleibt bis ans Ende. – Die Wundergaben? Sie haben alle Einen Charakter, sie streben alle dahin, die Uebel in der Schöpfung wegzunehmen. Auch das Sprechen von mancherlei Sprachen ist ja doch nichts anderes, als die Aufhebung Eines Uebels, nemlich der Sprachenverwirrung, die seit den Zeiten Babels die Welt beherrscht. Alle Folgen der Sünde müßen in Kraft der Erlösung und der Taufe endlich weichen. Die Taufe ist Anfang, die Wundergaben weisen aufs Ende und auf die Vollendung. Weg und Ziel, Mittel und Zweck, Anfang und Ende sind zugleich nicht bloß geoffenbart, sondern gegeben von Dem, der aufgefahren ist in die Höhe und Gaben empfangen hat für die Menschen.

 Die Taufe ist da, sie bleibt, niemand nimmt sie aus der Welt weg. Daran zweifelt niemand. Aber die Wundergaben, wie ist es mit ihnen? „Die Zeichen, welche folgen werden denen, die da glauben, sind diese.“ So spricht der Text. Also denen, die da glauben oder geglaubt haben. Diese Gaben sind also nicht auf die Apostel eingeschränkt, sondern auf die Gläubigen ausgedehnt. So könnte man also sagen, es müße, so lange es Gläubige gebe, auch an Wundergaben nicht fehlen. Wenn man sich an den Anfangs- und Ausgangspunkt alles christlichen Lebens zurückversetzt, also zurück in die Stunde der Himmelfahrt, wo diese Worte gesprochen wurden: wie werden sie von den Aposteln und ersten Christen aufgefaßt worden sein? Wie von den Gliedern der ersten Gemeinden, die in einer beständigen Erfahrung der Wundergaben lebten? Ihre Erfahrungen waren andere, als die unserer Zeiten. Wenn die ersten Christen nach ihren Erfahrungen urtheilten, werden sie dann auch geredet haben, wie wir nach den unsrigen? Und wenn sie nach ihren Erfahrungen das Gegentheil von dem sagten, was so viele von uns zu sagen pflegen, wenn sie die Verheißung Christi als eine allgemeine und andauernde faßten, ebenso, wie jetzige Christen die Verheißung bloß als eine Anweisung Christi für die erste Zeit und ihre Christen aufzufaßen pflegen: wer wird dann richten zwischen den beiden Urtheilen, zwischen diesem Ja und Nein? Der Wortlaut? Er stimmt doch nicht mit der Stimme unsrer Zeiten; spricht er auch nicht völlig deutlich für die Antwort der ersten Zeit, so ist es doch offenbar, daß er sich mit ihr wohl vereinigt, während für unsre Antwort nichts spricht, als unsre arme Erfahrung, die wir am Ende mit unsern Sünden verdienten.

 Ist denn wirklich keine Wundergabe mehr da, seitdem das apostolische Geschlecht entschlafen ist, oder sehen wir nur nicht? Sind denn wirklich z. B. alle die wunderbaren Dinge, welche in der Geschichte der Gründung der Kirche Frankreichs und Deutschlands zu lesen sind, nur Märchen und Erdichtungen leichtgläubiger, betrogener, betrügerischer Menschen? Sollen sie’s deshalb sein, weil etliche neuere Geschichtschreiber so sagen? Glaube denen, wer will. Die Quellen machen nicht immer, aber oft einen ganz andern Eindruck. Am Ende ist der HErr überall mit den Seinen in gleicher Weise gewesen, wo es galt, Seine Kirche zu gründen, zu festigen, zu retten; wo es galt, Seines ewigen Namens Ehre aufs Neue aufzurichten. Am Ende ist auch bei uns die Quelle Seiner Gaben| nicht völlig versiegt. Am Ende braucht man weder zu den Römischen, noch zu den Irvingianern zu gehen, um zu sehen, ob und was dort Gottes Finger wirkt. Am Ende kann jede Gemeinde reden. Ach, wir sind so gewöhnt und gelehrt, alles von Mittelursachen abzuleiten, daß wir die beste Ursache gar nicht mehr finden, daß wir kaum glauben, daß die letzte Ursache aller Dinge wirke alles in allem, durch Mittel und ohne sie. – –

 Laß uns beten, daß der HErr die Taufe und ihren seligmachenden Segen uns und unsern Kindern erhalte! Laß uns bitten, daß die Gaben des heiligen Geistes sich reichlicher ergießen und daß keinem unter uns die Augen fehlen, sie zu sehen, wo und wie sie sich ereignen. Laß uns um den vollen reichen Mantel JEsu Christi für unsre große Armuth bitten. Es ist uns armen, schwachen Geistern Frische und Erquickung aus der guten Hand des ewigen Hohenpriesters so nöthig.


Am Sonntage Exaudi.
Joh. 15, 26 – 16, 4.

 ER ist nicht mehr in menschlicher Weise auf Erden, nur in dem Himmel Gottes schaut man Ihn; bevor Er zum Gerichte wieder kommen wird, soll man Ihn auf Erden nicht schauen, sondern selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. – Aber ist denn der Glaube so ein geringes Ding, daß man es ohne Ihn haben könnte? Wenn Er die Erde verläßt, wie soll man geistlich leben? – Dafür hat Er gesorgt, mein Freund! Er läßt die Armen nicht Waisen, für die Er Mensch geworden. Nicht bloß bleibt Er Selbst auf eine göttlich-menschliche, über Sinne und Verstand erhabene Weise dennoch gegenwärtig, wie Er gesagt hat: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“; – sondern Er sendet uns, eine neue Zeit zu beginnen, den Tröster, den heiligen Geist. Der Geist des HErrn war je und je in der Kirche, aber nach JEsu Auffahrt sollte Er in einer Weise Seine Gegenwart erweisen, daß man es schmecken und sehen könnte, wie freundlich Er in Christo JEsu den Menschenkindern ist. Nicht allein mit feurigen Zungen des Pfingstfestes, nicht allein mit Zeichen und Wundern, sondern insonderheit durch die in Beweisung des Geistes und der Kraft geschehende Predigt von dem Auferstandenen sollte die neue, die letzte Zeit vor der Ewigkeit ausgezeichnet werden. Die großen Thaten Gottes in Christo JEsu hatten die Jünger gesehen: was sie gesehen haben mit ihren Augen, was sie beschaut und ihre Hände betastet haben, – das sollten sie predigen, als Augenzeugen sollten sie reden, der Geist des HErrn aber sollte verhüten, daß in ihr Zeugnis nichts Unlauteres sich einmischte, auf daß in ihren Reden und Schriften ein reines Bild des HErrn JEsu Christi erschiene. So sollten sie zeugen im heiligen Geist. Der heilige Geist sollte aber auch durch sie zeugen. Er sollte ihnen JEsu Person und Werk verklären und ihnen alle Wahrheit und Gnade Gottes offenbaren, ihnen alles darlegen, wovon der HErr gesagt hatte: „Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr könnets nicht tragen.“ Der heilige Geist sollte die Jünger lehren, daß sie JEsum, Seine Person, Sein Werk, Sein Amt im Lichte Seiner Erhöhung sähen – das Heil der Welt in Ihm, allein in Ihm, – und daß sie davon zeugen könnten, wie es geeignet wäre, die Welt zur Erkenntnis und Genuß ihres Heiles zu erwecken. – So zeugte der Geist durch die Jünger, so zeugt Er, wenn auch nicht wie durch die Augenzeugen, durch die Diener des Wortes, die aus Seiner Quelle schöpfen und in Seinem Lichte wandeln.

 Aber hast du nie gesehen, wie am Morgen die aufgehende Sonne auf finstere Nebel wirkt? Wie wogt da die Nebelwolke, wie empört sie sich gegen Gottes Licht? Wie groß ist die Sonne, wie schön! Wie lieblich und segensreich ist sie der Welt! Und die Nebel wollen mit ihr sich nicht vertragen, sich nicht gerne zu fruchtbaren Thautropfen lösen! – So wirkte, so wirkt auf die finstere, ach leider finsternisfrohe Welt die Sonne des Evangeliums, das Zeugnis des Geistes und Seiner Posaunen. Ach, wie wallt und braust, wie kämpft und wüthet die verlorene Welt gegen die einzige Rettung vom ewigen Verderben, die ihr vom Geiste des HErrn dargeboten wird!| Wie eilt sie sich zu scheiden von Dem, der sie mit Sich in seliger Religion vereinigen möchte, – wie hält sie auch den Saum Seiner Herrlichkeit, die Pracht Seiner Gnade durch Bann und Excommunication der Prediger und Boten von sich fern! Wie ist sie so eifrig, zu bannen, d. i. zu thun, was sie werth wäre, von dem HErrn zu erleiden, was sie mit Gebet und Flehen von sich abwenden sollte! Wie erspart sie durch ihr Scheiden dem Reiche der Liebe die bittere Mühe, sich von ihr, wie von einer hoffnungslosen zu scheiden! Wie bedauernswerth ist sie, die arme Welt, die Gottes Urtheil über sich selbst ausspricht und an sich selbst vollzieht! – – Aber wie nahe geht diese stolze Unempfänglichkeit der Verlorenen den Jüngern, die, weil ihre Friedensbotschaft verschmäht und ihre Personen darüber in den Staub getreten werden, dem sanftmüthigen Abel gleich, eine unschuldige Ursache werden müßen von desto schwererem Zorne Gottes gegen die Welt! Wohl werden sie über ihre Leiden getröstet; denn ihnen ist ja nichts Anderes geweißagt, sie haben unter keiner andern Aussicht ihr Botenamt übernommen. Aber die da hören, Leser, – die hören und nicht annehmen, lieber Bruder, – die dem ewigen Tode nahen Bettler, welche keine Speise noch Erquickung wollen! Gnädiger JEsu, über sie geben wir uns schwer zufrieden! – Ach, es ist unter allen Dingen das jammervollste, zu wißen: „Ich bin verloren!“ Aber nach diesem ist nichts dem Jammer gleich, der in den Worten liegt: „Du bist verloren!“
Am Pfingsttage.
I.
Joh. 14, 23–31.

 KLage nicht, Geliebter, daß du nicht damals lebtest, wo der Geist mit Brausen und Flammen die Kirche erfüllte, wo nichts leichter war, als Ihm leben, weil Er so nahe war, – nichts leichter, als sterben, weil man bei lebendigem Leibe schon in die Seligkeit versetzt war! Nicht Brausen, nicht Flammen, nicht Glück und Freude, reich wie Meereswogen, bedingen Seine Gnade, die beßer ist, als Leben. Jener erste Pfingsttag war ein Geburtstag der Kirche, herrlich und feierlich eingeläutet, unter Flammen mit Klängen vom Himmel eingeläutet. Aber auch der Geburtstag hat seine Wehen, seine Thränen, – und er ist doch nur der erste Tag des Lebens, welches länger währt, als nur einen Tag; der Lebenstag umfaßt ja viele Tage! Unser Pfingsten begann einst, aber es währt noch. Pfingsten bleibt, bis Himmel und Erde vergehen, – Pfingsten bleibt, wenn Himmel und Erde vergehen! – Du zweifelst? Ich aber glaube. Oder macht Brausen und Flamme selig, macht überschwängliche Erregung des innern Lebens, machen Wunder und Zeichen selig? Das glaubst du nicht, du selbst nicht, lieber Bruder! Was uns ewig selig macht, muß etwas Bleibendes sein! Der Gott, der uns ewig selig haben will, kann die Seligkeit nimmer an etwas gebunden haben, was nicht blieb! Er gebe uns nur, was uns selig macht, – und wir haben alle Tage Pfingsten!

 Was brauchen wir zum Seligwerden? Laß uns überlegen – und dabei bedenken, ob wir das noch haben. Laß uns dabei ins Evangelium sehen, ob es uns vielleicht Wahrheit zur Seligkeit zeige. Denn ich behaupte es zum voraus, dieß Evangelium ist in keiner andern Absicht für diesen Tag gewählt, als in der, ein dauerndes, bis ans Ende der Tage dauerndes Pfingsten zu lehren. –

 Es bleibet: 1) die Lehre, die vom Geiste stammt, das Wort der Wahrheit, welches uns frei macht von Finsternis und Blindheit, Vers 26. Oder ists nicht also? Gibt es keine Kirche mehr, welche die Wahrheit bezeugt hat, bewahrt hat und in ihrem Licht lebt? Kennst du keine?

 Es bleibet ferner: 2) die Erinnerung an das Wort des Geistes, welche selbst vom Geiste stammt, Vers 26. Oder hast du noch keine Erinnerungen an Gottes Wort empfunden? Kam dir nicht oftmals ein Wort des HErrn zu Sinne und mit ihm Licht und Ruh und Muth? Das ist vom HErrn, vom Geiste der bleibenden Pfingsten. Das ist ein Beweis, daß noch der Frühling des Geistes blüht!

|  Es bleibt 3) der Friede, der Friede Gottes in Christi Blut, – der Friede, den wir haben, so lange wir glauben, und manchmal inne werden, wenn wir glauben. Oder ist es nicht wahr, daß es noch Menschen gibt, die Ruhe und Zuversicht, Hoffnung und Freude haben, wenn alles sich verwirrt und die Welt zum brausenden, brandenden Meere wird. Und ist das nicht von Ihm, vom Geiste des HErrn? Ist das nicht Pfingsten – wunderbar, wie jenes erste? Oder darf man sagen, wunderbarer! Denn wir selber haben doch keinen Frieden, noch eine Friedenszuversicht.

 Es bleibt endlich 4) der Gehorsam Vers 23, der Gehorsam des Glaubens, der unter jedes wunderbare Gotteswort menschliche Sinne und Vernunft im Glauben beugt, – der Gehorsam des Gebotes, der uns Freude eingibt, Seinem Willen, unserer Heiligung, nachzujagen. – – Und wo der Gehorsam bleibt, da bleibt ja die Liebe, denn die Liebe ist ja Gehorsam, Neigung zu Ihm, Beugung vor Ihm. – Und wo die Liebe ist, da ist ja Seines Kommens, Seiner Einwohnung Bedingung, die Bedingung der heimlichen Vermählung mit Ihm gegeben, der Anfang und Fortgang eines unaussprechlichen, vor der Welt verborgenen, ewigen Lebens.

 Hast du genug an diesem Pfingsten? Glaubst du, daß Gottes Wort, des Geistes Erinnerung, des Geistes Friede, des Geistes Früchte – geistlicher Frühling und Pfingsten heißen dürfen? – Lehrer, Tröster, HErr, heiliger Geist, lehre uns und bewahre in uns zu seliger Erinnerung Deine Lehre! Friedlicher Geist des HErrn JEsu, wirke nur Frieden, den die Welt nicht gibt, noch nimmt! Du Geist, der alles fruchtbar macht, laß uns nur lieben und leben und Früchte bringen für Dein ewiges Reich! So ists ja Pfingsten, immer Pfingsten! So ist ja Pfingsten aller Feste Krone und Vereinigung!


II.
Joh. 14, 23–31.

 SO jemand Mich liebet, der wird Mein Wort halten, – und Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu Ihm kommen und Wohnung bei Ihm machen.

 Großes Pfingstwort! Kann man es denn unterlaßen, an eine andere Stelle zu denken, sie daneben zu schreiben und zu lesen? „Siehe, so schreibt St. Johannes Offenb. 21, 3, siehe, eine Hütte Gottes bei den Menschen, und Er wird Sein Gezelt unter ihnen aufschlagen, bei ihnen wohnen, und sie werden Seine Völker sein, und Er, der Gott mit ihnen, (der unter ihnen wohnen wird), wird ihr Gott sein.“

 Wenn das eintreffen wird, dann wird Pfingsten sein, ein Pfingsten, von welchem die hohe Begebenheit, deren Andenken wir heute feiern, nur ein Anfang genannt werden kann. Das erste Pfingsten zu Jerusalem weist auf das ewige Pfingsten, und ist selbst ein Pfand und Angeld, daß es auch noch zu diesem kommen wird.

 Es spiegelt sich aber im Anfang bereits das vollkommene Ende. Die erste Gemeinde, welche am Pfingstmorgen wartend versammelt war, liebte sie etwa JEsum nicht, hielt sie nicht Sein Wort im Gedächtnis, im Glauben, in treuer Uebung? Was war ihr Warten in Jerusalem anders als Lieben und Hangen an Seinem Worte? Darum liebte sie der Vater, wie ihnen Christus schon vorher gesagt hatte: „Er Selbst, der Vater, hat euch lieb.“ Darum kam auch im Brausen, unter den Feuerzeichen vom Himmel, mit dem Geiste der Vater und der Sohn, und die heilige Dreifaltigkeit schlug, wenn auch nicht in der vollen und sichtbaren und ewigen Glorie, wie Offenb. 21, 3 – sie schlug doch geistlich ihre Wohnung in der Gemeinde auf. Wer aber den HErrn bei sich hat, daß er bei Ihm wohnt, wie in der Stiftshütte im Lager Israels, der ist geborgen und glücklich, auch wenn das Meer der Welt brandet und braust.

 Es ist auch mit jeder einzelnen Seele gleich also. Liebe JEsum, – halte Sein Wort, – so bist du ein Liebling des Vaters, – so gibts eine Heimsuchung, ein himmlisches Besuchen, der Dreieinige wird um| dich her, bei dir, ja in dir wohnen, und du wirst wißen, was Pfingsten ist, wenn du auch die Herrlichkeit Gottes noch nicht siehst, wie am Ende.

 Ein Pfingsten leitet zum andern. Aus einem kommt das andere. Wer innerlich erfährt, was das Evangelium sagt, der erfährt auch, was die Offenbarung verheißt. Um das einmal Erfahrene bekümmere dich, so brauchst du keinen Kummer um die Herrlichkeit der neuen Erde zu haben. Das ewige Pfingsten ist eine Frucht eines zeitlichen Pfingstens. Gut warten ist für alle, die hier schon haben, was sie hier haben können und sollen.

 O HErr, sei vor allen Dingen uns allen, uns armen Sündern gnädig, daß wir Dich lieben und damit die Leiter, ja den starken Flügel ergreifen, welcher uns zu ewigen Pfingstfreuden davon hebt und trägt! Amen.


Am zweiten Pfingsttage.
Joh. 3, 16–21.

 SO wie ein Chemiker in irgend eine Flüssigkeit etwas zu träufeln weiß, wodurch von einander getrennt und geschieden wird, was wohl und unzertrennlich verbunden schien zu einer Masse, so bringt der HErr, der heilige Geist der Pfingsten Sein süßes Evangelium in die Welt, – und was alle Welt selig machen könnte, wird durch Schuld der Menschen zu einem Scheidemittel; was alle Welt sammeln soll, wird zum Gericht. Sammeln – scheiden, das sind die zwei Hauptgedanken des Pfingstfestes; nicht sammeln allein, sondern sammeln und scheiden – das beginnt an Pfingsten. Davon redet das heutige Evangelium.

 Wer wird gesammelt? „Wer die Wahrheit thut“, d. i. wer durch die vorlaufende Gnade ergriffen, wie Cornelius, dem Geiste Raum läßt, nicht widerstrebt, wenn der heilige Geist sein Herz mit Sehnsucht nach Licht, mit Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit entflammt. Ein solcher Mensch braucht es nicht zu scheuen, wenn Gottes Wort ihn im Einzelnen des Irrtums und der Sünde zeiht und überweist, weil er im Ganzen doch als einer erfunden wird, deßen Werke in Gott gethan sind. – „In Gott gethan“! Merkwürdig? Kann man denn etwas „in Gott thun“, wenn man noch nicht ans Licht, also zum Evangelium und Seiner Kirche gekommen ist? Antwort: Ohne Zweifel, ja! Das geht aus dem Evangelium, das geht aus dem epistolischen Beleg zum Evangelium, aus der Geschichte des Cornelius hervor. Wer das an beidem nicht sieht, sieht wohl überhaupt nicht viel. Was der Mensch unter Einfluß und Leitung der vorlaufenden Gnade thut, in göttlichem Verlangen nach Wahrheit und Gerechtigkeit, ist in Gott gethan; das heißt nicht, es ist vollkommen, sondern es ist eine Wirkung Gottes dabei und darin trotz aller Mängel. Zu dem Beispiele des Cornelius wißen erfahrene Seelsorger Beispiele genug zu liefern. Sie kennen die Menschen der Sehnsucht, welche, um sich für Christum zu entscheiden und sich zu Ihm sammeln zu laßen, nur von Seinem Lichte, von der Pracht des Evangeliums beschienen werden dürfen. Diese Menschen der Sehnsucht sind die ersten, welche der gute Hirte versammelt haben will. Sie sind gezeichnet vom HErrn. Wehe, wer einen von diesen zurückstößt oder ärgert!

 Wer aber wird nicht gesammelt, wer wird geschieden? „Wer Arges thut, der haßet das Licht und kommt nicht ans Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden.“ Wer Arges thut! Nimm jedes Wort in Acht. „Thut“ nicht ein Mal, sondern geflißentlich, „Arges“ – nicht Zweifelhaftes, von Verschiedenen verschieden Beurtheiltes, sondern offenbar Böses. Es ist als ob gesagt werden sollte: wer mit Wißen und Willen einen bösen Weg einschlägt, eine falsche Richtung wählt. Ein solcher Mensch, der sich schon bevor er das Evangelium vernahm, wider sein Licht und seine Erkenntnis dem bösen Reiche ergab, der kommt nicht ans Licht, nicht zum Evangelium. Er merkt es am ersten Strahl, welcher in seine Nacht fällt, daß es ihn nur strafen kann – und da er tief innen sein Verwerfungsurtheil und Cainszeichen schon trägt, so flieht er beim ersten Nahen des göttlichen Wortes, verzweifelt und innerlich von dem Gedanken gepeinigt, daß das Evangelium für ihn nichts sei. –

|  Welche Wirkung des Evangeliums! Gott hat doch weder Seinen Sohn, noch Deßen Evangelium gesandt, die Welt zu richten, sondern sie selig zu machen. Was ist denn Richterliches, was Grelles am Evangelium? Es ist ja rein zufällig, wenn es zur Verdammnis dient. Die Schuld liegt doch auch gar nicht an ihm und in ihm! Sie liegt allein an der Menschen Verkehrtheit, nicht an Gottes Erbarmen: der HErr kann und will ja sogar die Gottlosen gerecht machen, und sammeln, die „Arges thun“, daß sie an Seinem Lichte heil und selig werden!

 Die Geschichte jedes einzelnen Menschen ist weiter Nichts, als entweder gesammelt oder geschieden werden – zum HErrn, vom HErrn. Der Sinn jedes Lebensabschnittes, jedes Tages, jeder Stunde ist Einer: es gilt immer die Wiederholung der allgemeinen Scheidung der Seele von dem HErrn oder ihrer Versammlung zu Ihm. Die Geschichte der einzelnen Menschen und der Verlauf eines jeden Lebensabschnittes, er sei lang oder kurz, ist also immer nur Einer, – ein und derselbe mit dem Verlauf der Weltgeschichte und Kirchengeschichte. Seitdem der Geist der Pfingsten vorhanden ist, geschieht mächtiger, dringender, wie es der „letzten Stunde“ geziemt, was seit dem Fall schon nachweisbar geschehen ist: es sammelt sich aus der Welt die Kirche, es scheidet sich von der Kirche die Welt.

 Schaffe, lieber Bruder, mit Furcht und Zittern, daß du nicht geschieden, sondern gesammelt werdest. Laß jede Stunde aufs Neue deine Seele und alle ihre Kräfte sich neigen vor deinem HErrn und übergib sie Ihm!

 Der HErr aber, der gute Hirte, sammle uns alle fröhlich und völlig zu Sich und zu Seinem Frieden! Amen.




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