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Geschichte des Deutschen Buchhandels Band 1/Sechstes Kapitel

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[360] Sechstes Kapitel.

Der Buchhandel in seinem Verhältnis zum Humanismus.

Renaissance und Humanismus. – Phasen des Humanismus. – Humanistisch-theologische Periode. (Brüder vom gemeinsamen Leben.) – Humanistisch-wissenschaftliche Periode. – Erasmus. – Aldus Manutius. – Seine Verlagsthätigkeit. – Verbindungen mit den deutschen Humanisten. – Beziehungen zu Erasmus. – Zu Reuchlin. – Geschäftsbeziehungen zu Deutschland. – Geschäftliche Leistungen und Erfolge. – Johann Froben. Humanismus in Erfurt. – Die humanistisch-polemische Periode. Streit mit den Dunkelmännern. – Die Epistolae obscurorum virorum. – Schluß.

Die Morgenröte eines neuen Tages brach an, als Italien, die alte Lehrerin Europas, durch Wiederbelebung der klassischen Studien eine untergegangene schöne Welt aus dem Schutt ausgrub und die strebsamen Geister zu edlern und idealern Anschauungen emporhob. Die Menschheit fing eben wieder an, sich auf sich selbst zu besinnen und dem Gängelband des Priestertums zu entwachsen. Neben der Kirche, welche bisher das Abendland zusammengehalten hatte, entstand jetzt ein neues geistiges Medium, welches – mit Jakob Burckhardt zu reden[1] – von Italien her sich ausbreitend zur Lebensatmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wurde. Diese Richtung, welche in ihrem Geburtslande Renaissance hieß und dort die besten Kreise durchdrang, entwickelte sich auf deutschem Boden als Humanismus und fand namentlich unter den Gelehrten und der studierenden Jugend ihre begeisterten Anhänger, welche durch gründliches Studium der klassischen Sprachen eine höhere Bildung anzubahnen und eine Reformation der Wissenschaft hervorzurufen suchten. Der Italiener der Renaissance ist der vornehme Herr, welcher keine Schranken für sein persönliches Belieben kennt, den Ruhm als das höchste aller [361] Lebensgüter erstrebt, heidnisch lebt und höchstens christlich stirbt. Der deutsche Humanist dagegen geht meistens aus den mittlern und untern Volksklassen hervor, faßt, von tiefem Erkenntnisdrange ergriffen, ernste Erziehungswerke, eine feste religiöse und sittliche Bildung ins Auge und sucht durch gewissenhafte Arbeit das Leben des Einzelnen zu verinnerlichen und zu veredeln. Allmählich erweitert sich nun dieses Streben zum Kampfe des freien Geistes gegen den Scholastizismus, zur wissenschaftlichen Forschung gegenüber leerer Verstandesspielerei und zum selbständigen Denken gegenüber päpstlicher Autorität, um schließlich in der Reformation aufzugehen. Äußerlich einander vielfach ähnlich, namentlich aber in ihren Angriffen oft dasselbe Ziel verfolgend, sind Renaissance und Humanismus jedoch innerlich weit voneinander verschieden. Italien spiegelt auch auf diesem Gebiete den romanischen, wie Deutschland den germanischen Geist wider. Im Gegensatz zur schönen allseitigen Ausbildung des Menschen und der gefälligen Form des Italieners dringt der unbeholfenere, aber ernstere Deutsche auf Hebung des innern geistigen Lebens.

Für die vorliegende Arbeit kommt natürlich nur der deutsche Humanismus in Betracht und auch dieser höchstens nur insoweit, als seine Wechselbeziehungen zum deutschen Buchhandel reichen. Ludwig Geiger, dessen vortreffliche Schriften dem Leser auf diesem Gebiete die eingehendste Belehrung bieten[2], unterscheidet drei verschiedene Phasen, die ziemlich gleichzeitig mit der Ausbreitung der Buchdruckerkunst beginnen und bis zur Reformation reichen (etwa von 1460 bis 1520), und zwar die humanistisch-theologische, die humanistisch-wissenschaftliche und die humanistisch-polemische Periode. Ziemlich gleichzeitig und vielfach unscheinbar ineinander übergehend, verteilen sich diese drei Perioden mit ihren verschiedenen Schattierungen über ganz Deutschland. Die erste derselben fängt an mit den Fraterherren in Holland, am Niederrhein und in Westfalen und hat ihre Hauptträger in Alexander Hegius zu Deventer und Rudolf von Langen zu Münster. Edle und ernste Geister, halten sie einen Vermittelungsversuch der neuen Bildungsansätze mit der damaligen Kirche noch für aussichtsvoll und erstreben vorzugsweise die Erneuerung des innern Lebens der letztern. Einen bedeutenden Schritt über sie hinaus thun die Wiener während der Regierung des Kaisers Maximilian unter Celtis’, die südwestdeutschen Humanisten unter Erasmus’ und Reuchlins [362] Führung; sie drücken hauptsächlich der zweiten Periode ihren Stempel auf. Die dritte, zeitlich kürzeste, aber inhaltlich vielleicht bedeutsamste, beginnt mit dem Reuchlinschen Streit gegen die kölner Dominikaner, und hat ihren geistigen Mittelpunkt in der Universität Erfurt. Diese letzte Periode endet mit der Reformation, etwa um das Jahr 1520, wo Wittenberg an Erfurts Stelle die geistige Führung Deutschlands übernimmt und die alten Kampfgenossen sich voneinander trennen. Ihre Hauptführer waren Hermann von dem Busche (1468 bis 1531) und Ulrich von Hutten (1488 bis 1523). So verschieden diese Strömungen nun auch sein mochten, sie trafen alle in demselben Streben, in der Hebung des geistigen Lebens zusammen. Wenn der Buchhandel anfangs vorzugsweise auf den engen Kreis der Klöster und einzelner Gelehrter beschränkt war, so bahnte das Wirken der Humanisten die Wege zu seiner größern Ausdehnung und zu seinem lebhaftern Betriebe. Durch den Drang nach Bildung wurde selbstredend auch das Verlangen nach Büchern geweckt und ihre Herstellung ein täglich tiefer gefühltes Bedürfnis. Zu kaum einer andern Zeit ist deshalb auch die Aufgabe des Buchhandels eine stolzere und verantwortlichere gewesen, als um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts. Es galt vor allem die alte klassische Litteratur der Menschheit neu zu erschließen, zunächst die besten ihrer noch erhaltenen Schätze ans Tageslicht zu fördern und durch den Druck wieder zum Gemeingut der gebildeten Welt zu machen. So rührten sich denn auch bald alle fleißigen Hände, und nicht allein in den verschiedenen Städten, sondern auch unter den einzelnen Ländern entfaltete sich ein reger Wetteifer, um den Nebenbuhler im friedlichen Kampfe zu überflügeln. Der Buchhandel fing an, eine internationale Bedeutung zu gewinnen und eine feste Grundlage zu erlangen, auf welcher er sich, unabhängig vom Zufall, methodisch weiter entwickeln konnte. Unter diesen Umständen war es denn auch nicht genug, daß die Verleger tüchtige Drucker und große Kaufleute waren; wenigstens die Führer unter ihnen mußten sich zum erfolgreichen Betrieb ihres Geschäfts eine so umfassende geistige Bildung zu eigen gemacht haben, daß sie die litterarischen Schätze der Vergangenheit selbst zu verstehen und zu würdigen vermochten. Solcher Verleger gab es damals viele, wie dies das zweite und dritte Kapitel dargelegt haben; und waren sie auch nicht selbst Gelehrte, so ließen sie es sich doch zum mindesten, wie auch schon früher gezeigt, keine Mühen und Kosten verdrießen, [363] wissenschaftlich gebildete Männer in ihre Interessen und Dienste zu ziehen. Es sei hier nur an die Koberger, Aldus und Froben erinnert, denen sich später die Oporin, Plantin und Etiennes würdig anschlossen. Die Nachwelt ist mithin in erster Linie nicht sowohl den Gelehrten, welche keine Verleger, als den Verlegern, welche Gelehrte waren oder sie hoch schätzen, für die Erhaltung der Klassiker des Altertums und der mittelalterlichen Theologen zu ewigem Dank verpflichtet. Ohne die Druckerpresse wären die glänzenden Siege des Humanismus kaum so entscheidend geworden, und ohne diesen hätte auch der Handel mit Büchern nicht sobald einen so hohen Flug genommen.

Als den Vorläufern und Gründern der neuen geistigen Bewegung gebührt der erste Platz im erlauchten Kreise deutscher Humanisten den „Brüdern vom gemeinsamen Leben“, deren großer Verdienste um die Ausbreitung des Buchdrucks bereits im zweiten Kapitel gedacht wurde. Sie führten ihn in ihre eigenen Anstalten ein und machten ihn vor allem ihren Bildungszwecken dienstbar. Die neue Erfindung war ihnen ein wirksameres Mittel als die Schrift, den Scholastizismus durch gründlichen Unterricht zu bekämpfen und das faule Mönchstum durch fleißiges Studium möglichst unschädlich zu machen. Unter ihrem Rektor Alexander Hegius (aus Heek bei Horstmar im Münsterlande, etwa 1433 bis 1498) entwickelte sich die Schule von Deventer zum Mittelpunkt der humanistischen Bewegung, und nach dessen Tode trat die münstersche Domschule unter dem gelehrten Domherrn Rudolf von Langen (geboren 1438 in Everswinkel, gleichfalls im Münsterlande, und gestorben 1519 in Münster) würdig an die Seite von Deventer. Radienförmig liefen von beiden Schulen die Zweiganstalten der Fraterherren als Pflanzstätten humaner Bildung und gelehrter Forschung aus. Die gelehrtesten Männer der Zeit huldigten Hegius und Langen als ihren Meistern; ihre Schulordnung galt ein halbes Jahrhundert lang als unerreichbares Muster, und ihre Lehrbücher blieben ebenso lange, wenn nicht noch länger, im allgemeinen Gebrauch. Deventer und Münster versorgten ganz Deutschland mit tüchtig gebildeten Lehrern und machten das Studium der Klassiker zur Grundlage der gelehrten Bildung. Schlettstadt im Elsaß (Dringenberg), später Meißen, Pforta und Merseburg in Sachsen (Rivius) und Schwerin in Mecklenburg (Daber Kusius), ja selbst Kopenhagen bezeichnen die äußersten Grenzen, bis zu welchen die Schüler der holländisch-westfälischen Humanisten [364] vor und während der Reformation als Lehrer der Jugend thätig waren. Dabei hat Langen Bibliotheken in kleinen westfälischen Landstädtchen, wie z. B. Lünen, gegründet oder gründen helfen, welche heutzutage nichts mehr jener Zeit Ähnliches aufzuweisen haben; dauernd aber war der Segen, welchen die Tausende von Humanisten aus der Schule Hegius’ und Langens im engern und weitern Vaterlande verbreiteten. Es ist kein Zufall, daß Münster so bald mit der Reformation und seine Söhne mit den Häuptern derselben Beziehungen anknüpften. Langen hatte den Boden vorbereitet und seine Stadt zum Herde des Humanismus erhoben. Mit diesem hielten auch die Buchdrucker und Buchhändler ihren siegreichen Einzug in Münster und lieferten die geistigen Waffen, welche jetzt täglich unentbehrlicher wurden.

Auf diese Pioniere, welche trotz ihrer Begeisterung für das klassische Altertum noch fest an ihrer Kirche hingen, oder von ihr abhingen, und durch diese ihre Stellung vielfach in Zwiespalt mit sich selbst gerieten, folgte nun in der zweiten, in der wissenschaftlichen Periode des deutschen Humanismus ein jüngeres Geschlecht, welches sich entweder ganz gleichgültig gegen die Kirche verhielt oder sie im geheimen erbittert bekämpfte, indessen vorsichtig genug war, es äußerlich nicht mit Rom zu verderben. Es fing an, dessen Ansprüche und Recht in Zweifel zu ziehen, die kirchlichen Überlieferungen kritisch zu widerlegen, den Klerus zu verachten und sich mit desto ungeteilterer Liebe der Heimat zuzuwenden. Diese Männer also eröffneten die zweite Periode des Humanismus.

Am besten gediehen sie in Basel und dem ganzen südwestlichen Deutschland, sowie später auch in Erfurt; indessen gelangte der Humanismus selbst in Wien zu einer kurzen Blüte, wenn auch, weil nur von fürstlicher Gunst gepflegt, nur zu einer kurzen. Kaiser Maximilian schien durch seine Kunst und Wissenschaft gebrachten Huldigungen ein neues Zeitalter für Österreich herbeigeführt zu haben; allein mit seinem Tode (1517) starben alle von ihm liebevoll gepflegten Keime wieder ab. Es war eben nur ein flüchtiger Zwischenakt, wie es deren auch sonst noch in der österreichischen Geschichte gibt. Übrigens wirkte die verständnisvolle Teilnahme dieses feingebildeten Fürsten an allen idealen Bestrebungen seiner Zeit und sein freundschaftlicher Verkehr mit Gelehrten und Künstlern anregend und veredelnd auf sein Zeitalter und fesselte die bedeutendsten Maler, Bildhauer und Gelehrten an seine Person. Der Kaiser machte Erasmus, Peutinger [365] und Pirckheimer zu seinen Räten, berief Konrad Celtis (1459 bis 1508) 1497 an die wiener Universität, ernannte Cuspinian (Spießheimer) zu seinem Sekretär und krönte Hutten zum Poeten. Es war hauptsächlich seine Gunst und sein Verdienst, daß während seiner Regierungszeit der Scholastizismus an der wiener Universität sogar unterlag und daß die Hauptstadt einen der bedeutendsten Sitze des Humanismus bildete. Zu seiner Verbreitung und Pflege rief Celtis in Verbindung mit Johann Fuchsmagen und Peter Krachenberger eine freie Vereinigung gelehrter Männer ins Leben, die Donau-Gesellschaft, welche ganz unabhängig von der Universität dastand und eine Art Akademie mit einem von ihr selbst gewählten Präsidenten und Geschäftsleiter bildete. Bischof Johann Vitez war ihr erster Vorstand; ihm folgten Celtis und Cuspinian. Später wurde aus ihr eine eigene wiener Genossenschaft, Contubernium, welche noch immer Donau-Gesellschaft hieß.[3] Wie Wien Hunderte von wandernden Humanisten anzog, so herrschte auch ein reger brieflicher Verkehr zwischen den dort wohnhaften und den auswärtigen Gesinnungsgenossen. Cuspinian schrieb wiederholt an Reuchlin und Pirckheimer, mit welchen auch der Universitätskanzler Perger, ferner Fuchsmagen, Krachenberger, Joachim Vadian, Simon Laz u. a. in schriftlichem Meinungsaustausch standen. Die Mehrzahl der Lehrer (einige hundert) und der oft 7000 Studenten der wiener Universität gehörten dem Humanismus an. Natürlich beschäftigten diese Kreise auch die wiener Buchdruckerpressen und standen mit den bedeutendern Buchhändlern auf vertrautem Fuß. Mit der Blüte des Humanismus fiel auch die der Typographie zusammen, und dem innern Werte der von jenen bearbeiteten Klassiker, Reden und Schulausgaben entsprach die solide Arbeit und äußere Ausstattung des Verlegers. So herrschte beiderseits eine fruchtbringende Thätigkeit. Während von theologischen Schriften nur verschiedene Werke des Hieronymus neu erschienen und Jurisprudenz und Medizin ebenfalls nur dürftig bedacht wurden, warf sich die Hauptthätigkeit der wiener Humanisten auf die kritische Bearbeitung der alten Klassiker. So veröffentlichte der Minorit Camers Ausgaben der besten Römer und Griechen und lieferte einen Kommentar zu Plinius’ Naturgeschichte; die Deutschen Vadian, Stretziger, Agricola Aesticampius und Wimpheling aber brachten tüchtige rhetorische Arbeiten, die Italiener Perger, Valla, Guarino endlich gute grammatikalische Werke.

[366] So schnell aber, als unter Maximilian das geistige Leben in Wien wuchs, ebenso bald verlor es auch mit dem Tode des Kaisers seine Herrschaft wieder. Unter dem Regiment des bigotten Königs Ferdinand und seiner Priester welkte es sogar schon dahin, ehe es nur, eine in Österreich ausländische Pflanze, festen Fuß gefaßt hatte. Wie unter den ersten 19 Druckern und Buchhändlern der Kaiserstadt sich nachweisbar nur ein Wiener, Johann Singriener der Jüngere, befand[4], während die meisten aus den deutschen Landen und zwei sogar aus Polen gekommen waren, so bestand auch die größere Zahl der nach Wien berufenen Gelehrten aus Deutschen, sodaß mit ihrem Weggang nur geringe Spuren ihrer Thätigkeit zurückblieben.

So unbefriedigend nun die hoffnungsreichen wiener Anfänge auch ausliefen, so kräftig entwickelte sich dagegen der Humanismus in Südwestdeutschland mit seiner Hauptstadt Basel. Hier war es weniger die Universität, obgleich diese den ersten humanistischen Lehrstuhl gegründet hatte, als die vereinte wissenschaftliche Thätigkeit der Verleger und Gelehrten, welche ohne jede Unterstützung von außen erfolgreich für die Befestigung der neuen und freiern Geistesrichtung arbeitete. Das meiste zu diesem mächtigen Aufschwung trug Desiderius Erasmus bei, der von 1513, beziehungsweise 1521 bis 1536 in Basel und Freiburg lebte, aber schon zu Anfang des Jahrhunderts der eigentliche Träger der Bewegung gewesen war. Er zog zugleich wissenschaftlich gebildete Männer und Studenten an, welche als Textesrevisoren oder Korrektoren, oder auch als Setzer in den baseler Druckereien thätig waren und als Schüler der Inclyta Germaniae Basilea, wenn sie diese verließen, ihre dort erworbenen Kenntnisse und Anschauungen weiter trugen und, den Ruhm der Stadt überall hin verbreitend, zugleich neuen Nachwuchs anlockten.

Erasmus ist der bedeutendste und gefeiertste Vertreter der wissenschaftlichen Periode des deutschen Humanismus. Ein Gelehrter, dessen Stellung in der litterarischen Welt nur mit Voltaire’s Einfluß im 18. Jahrhundert verglichen werden kann[5], ein Herrscher im Reiche der Geister und eins „der Augen Deutschlands“, hat er dem ganzen Zeitalter den Stempel seines Genius aufgedrückt. Das andere Auge ist Johann Reuchlin, dessen Streit mit den Kölnern die Brücke zur dritten und letzten Periode des Humanismus bildet und in seinen Anfängen sogar noch der Ankunft des Erasmus in Basel vorausgeht.

[367] Im Jahre 1467 (nach ältern Quellen 1465) in Rotterdam geboren, erhielt Erasmus seine erste gelehrte Bildung bei Alexander Hegius in Deventer und lebte, nachdem er längere Zeit seine Studien in Paris fortgesetzt hatte, fast fünf Jahre im Kloster. Vorübergehend hielt er sich dann in den Niederlanden, in England, Italien und Deutschland auf und wohnte von 1517 an bis zu seinem Tode dauernd in Löwen, Basel und Freiburg. Ein öffentliches Amt bekleidete er nie, obgleich er gegen äußere Ehren durchaus nicht unempfindlich war. Die politischen Geschäfte seiner Zeit, bei denen er leicht hätte mitwirken können, ließen ihn gleichgültig. Dagegen war sein geistiges Leben so bedeutend, daß es entscheidend in die Entwickelung seiner Zeit eingriff und den wissenschaftlichen Bestrebungen des Buchhandels ihre Bahn mit anwies. In der Geschichte desselben nimmt Erasmus durch seine langjährigen Beziehungen zu Aldus Manutius und Johann Froben eine ganz besonders hervorragende und vermittelnde Stellung ein. Es gibt kaum einen Gelehrten, der anregender auf litterarischem Gebiete gewirkt, bedeutendere wissenschaftliche Unternehmungen gefördert und durch sein persönliches Ansehen auf Gelehrte und Buchhändler einen gleich wohlthuenden Einfluß ausgeübt hätte.

Der im vorigen Kapitel bereits erwähnte riesige Absatz seiner Schriften, um deren Verlag die angesehensten Firmen sich rissen, trug nicht unwesentlich zur Hebung des deutschen Buchhandels bei. Solche Erfolge hatte noch kein deutscher Schriftsteller errungen; Erasmus konnte unter den bedeutendsten Verlegern von Paris, Venedig und Basel wählen und zählte die Gelehrten aller Länder zu seinen Bewunderern. Von seinen selbständigen Werken[6] ist dem Datum der Veröffentlichung nach zuerst zu nennen seine Sprichwörtersammlung – „Adagiorum Opus“ –, welche 1500 von Johann Philippi, einem Deutschen in Paris, gedruckt wurde, anfangs nur eine trockene Zusammenstellung von einigen hundert Sprichwörtern enthielt, dann aber mit Tausenden von Digressionen vermehrt, seit 1515 zu einem starken Folioband umgestaltet, immer und immer wieder in neuen Auflagen erschien.

Das Buch beleuchtet und erklärt in elegantestem Latein die verschiedensten Lebensverhältnisse, enthält witzige Ausfälle gegen Priester, Juristen, Adelige, Frauen und einzelne Stände, oder verspottet die Eitelkeit ganzer Klassen und Völker. Überall getragen von dem beseelenden [368] humanistischen Gedanken erschien diese Sammlung den Zeitgenossen als ein Schatzkästlein der Weisheit, welches den innern Zusammenhang der antiken mit der modernen Welt vermittelte. Das Lob der Narrheit – „Moriae Encomium“ – war 1508 geschrieben, erschien zuerst 1509 nach der Verfassers Rückkehr aus Rom und ist gleichfalls eine geistreiche Satire, in welcher dem Geschmack der Zeit entsprechend die Thorheit redend auftritt und die Schwächen der Welt mit seiner Ironie und vornehmem Hohn lächerlich macht. Seine Hauptangriffe waren gegen die Geistlichkeit, vom Papste an, namentlich aber gegen die Mönche mit ihrer Beschränktheit, ihrem niedrigen Treiben, ihrem Bildungshasse und ihrer Verlogenheit gerichtet; sie trafen das alte System vernichtend. Das „Lob der Narrheit“ wurde denn auch noch später auf den päpstlichen Index (der verbotenen Bücher) gesetzt. Die Vertraulichen Gespräche – „Colloquia familiaria“ –, welche zuerst 1519 ausgegeben wurden, 1530 aber zu ihrer jetzigen Gestalt gediehen, behandeln in leicht dahinfließendem Stil und in witzigen satirischen Bemerkungen die verschiedensten Gegenstände und Erscheinungen des öffentlichen und privaten Lebens, tadeln mangelhafte oder verkehrte Einrichtungen und geißeln pedantische Grammatiker sowohl, als anmaßende Priester oder Bettelmönche. Das Werk erzielte eine durchschlagende Wirkung; in verhältnismäßig kurzer Zeit wurden 24000 Exemplare davon abgesetzt.

Außer seinen eigenen Werken erschienen von Erasmus noch viele Ausgaben von Klassikern und Kirchenvätern. So gab er die Sentenzen des Cato und Publius Syrus mit Scholien heraus, Seneca, Sueton nebst den übrigen Schriftstellern zur römischen Kaisergeschichte und einigen ergänzenden Schriften neuerer Geschichtschreiber, Cicero „De Officiis“ und „Quaestiones Tusculanae“, Plinius, Terenz, Livius, Demosthenes, Ptolemäus, ferner die Kirchenväter Cyprian, Arnobius’ Kommentare über die Psalmen, Hieronymus, Irenäus, Ambrosius, Augustin, Epiphanius, Laktanz, Chrysostomus, Basilius Magnus und einen Teil des Origenes, sodaß seine litterarische Thätigkeit eine wahrhaft staunenswerte ist.

Hochgelehrt und witzig, scharf und ironisch, geistreich und boshaft, heute kühn und verwegen im Angriff, morgen kleinlaut und verzagt im Rückzug, höflich, ja unterwürfig gegen Hochstehende und Mächtige, hochmütig, selbst brutal gegen Schwache und Unglückliche: so beherrscht dieser [369] kleinliche und doch vornehme Mann die Geister an der Wende von zwei Jahrhunderten und geberdet sich als Gegner des Humanismus und der Reformation, obgleich er sein ganzes Leben lang für die Ideen gekämpft hatte, welche diese beiden gewaltigen Erscheinungen bedingten. So hat kein Humanist wuchtigere Hiebe gegen den römischen Klerus, gegen das faule Mönchsleben geführt, kein Reformator überzeugender für die geistige Auffassung der biblischen Legende und für die Verinnerlichung des Glaubens geschrieben. Erasmus war eben, wie die Dunkelmännerbriefe ihn charakterisierten, ein Mann für sich und wollte es sein; er hat, wie ihn seine Gegner gern beschuldigten, das Ei gelegt, welches Luther erst ausgebrütet hat. Er war radikaler Humanist, dem die Bewegung vielfach nicht weit genug ging, aber er hielt sich von der Gefahr fern und sah dem Kampfe lieber von weitem zu. Als die Reformation auf den ihr vom Humanismus bereiteten Platz trat, zog er sich scheu in sein Studierzimmer zurück, angeekelt von einer Bewegung, welche sich nicht an die gelehrte Welt, sondern an die Massen wandte und diese zu Bundesgenossen, ja zu Schiedsrichtern im Kampfe gegen Rom aufrufen mußte. Erasmus war nicht für den Streit auf offenem Markte geschaffen, so bitter er auch hassen und aus sicherm Hinterhalte verwunden konnte; er wagte deshalb auch nicht ehrlich nach außen hin für seine Überzeugung einzutreten. Es fehlte ihm jener Mut und jene Treue der Gesinnung, welche sich bei entschlossenen Charakteren gerade im Moment der Gefahr bewähren. Er wich deshalb auch ängstlich vor jeder entschiedenen Parteinahme zurück. So geriet er denn sehr bald zwischen die streitenden Parteien, deren keine ihm traute, ja nicht trauen konnte, wenn sie seine Stellung in der Gegenwart mit seiner Vergangenheit verglich. Rom haßte ihn trotz der wichtigen Dienste, die er ihm geleistet hatte, bald ebenso gründlich wie die Lutheraner. Allerdings konnte man einem so bedeutenden vaterlandslosen Gelehrten, einem so vorurteilslosen Denker nicht zumuten, daß er sich für alle Einzelheiten der Lutherschen Lehre begeistern sollte; allein in revolutionären Zeiten muß der einzelne sich in Fragen zweiten Ranges unterordnen und trotz seiner vielleicht bessern Einsicht einer der streitenden Parteien sich anschließen, wenn er nicht von der unaufhaltsam vorwärts drängenden Bewegung zermalmt werden will. Erasmus aber ist zugleich voll von Mißgunst und nicht frei von Neid und Bosheit. Wenn ihn persönlicher Stolz verhindert hatte, fest [370] zu Reuchlin zu stehen, da er selbst sich als Führer fühlte, so wurde er in dem Augenblick der Feind Luthers, als dieser den fortschreitenden Geist der ganzen Nation in sich verkörperte und als in der Hitze des Kampfes die Erasmischen Schriften kaum mehr genannt, geschweige denn gekauft wurden. Deutschland hatte glücklicherweise anderes und besseres zu thun, als sich um den kleinlichen Gelehrtendünkel zu kümmern, der die griechischen Kenntnisse des großen Reformators bemängelte und wegen seiner genauern Kenntnis des Altertums den Männern der That sich überlegen dünkte. Endlich aber ist es charakteristisch für Erasmus, daß er den ungestümsten Vorkämpfer der neuen Ideen, den todkranken Ulrich von Hutten, verleugnet, von seiner Schwelle weist und bis zu dessen Ende boshaft verfolgt. Ein großer Gelehrter, aber ein schwacher, halber Charakter – so lautet der Wahrspruch der Geschichte über Erasmus.

Seine Werke wären übrigens nicht gleich von Anfang an so glänzend aufgenommen worden und von so durchschlagendem Erfolg begleitet gewesen, wenn ihm nicht zwei ebenbürtige Geister als Verleger zur Seite gestanden hätten: der Venezianer Aldus Manutius und der Baseler Johannes Froben.

Jener gehört zwar durch seine Geburt und Wirksamkeit zunächst Italien an, indessen äußert sich sein Einfluß auch auf Deutschland ebenso nachhaltig, wenn nicht noch nachhaltiger, als der irgend eines deutschen Verlegers jener Zeit. Seine freundschaftlichen Beziehungen zu Reuchlin, Erasmus und den hervorragendsten Humanisten begründen sogar eine Gemeinschaft der Interessen, welche die deutsche gelehrte Welt vielfach in neue Bahnen lenkte. Wie dem ganzen Mittelalter, so war auch seinen Ausläufern die besondere Betonung der Nationalität fremd. Viel höher standen ihm die Vereinigungspunkte, welche die Kirche oder selbst die einzelnen Stände gewährten. Die spätern nationalen Schranken bedeuteten zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf geistigem Gebiete kaum so viel, so heutzutage provinzielle Unterschiede, denn das Lateinische als Gelehrten- und Weltsprache schlang ein einheitliches Band um die wissenschaftlichen Bestrebungen aller Völker. Auch als Verleger Reuchlins und Erasmus’ beanspruchen Aldus und seine bahnbrechende Thätigkeit einen Ehrenplatz in der Geschichte des Buchhandels des humanistischen Zeitalters.

Geboren um 1450 zu Sermonetta bei Velletri im Römischen und [371] gestorben 1515 in Venedig hatte Aldo Manuzio Lateinisch in Rom und Griechisch in Ferrara studiert, dann mehrere Jahre in den gelehrten Kreisen des Johann Pico von Mirandola, sowie des Fürsten Albert Pius von Carpi verkehrt und der Erziehung von dessen Söhnen gelebt, 1490 aber in Venedig eine Druckerei und Verlagshandlung errichtet, durch welche er die Werke der Alten, jene Monumente des menschlichen Geistes, welche mehr und mehr von den Abschreibern verunstaltet wurden und allmählich ganz zu verschwinden drohten, vom Untergang zu retten beabsichtigte. „Ich habe“, sagte er schon zu jener Zeit von sich, „das Gelübde gethan, mein Leben dem öffentlichen Wohle zu weihen. Einem ruhigen Dasein habe ich ein arbeitsames und bewegtes vorgezogen. Der Mensch ist nicht dazu geboren, sich den einer edeln Seele unwürdigen Genüssen hinzugeben, sondern sich ehrenvollen Arbeiten zu widmen. Überlassen wir der gemeinen Heerde die niedrige Existenz! Cato hat das menschliche Dasein mit dem Eisen verglichen: es glänzt, sagt er, wenn man stets thätig ist; allein es rostet, wenn man es nicht gebraucht.“ Wie schon dieser Wahlspruch zeigt, hat es kaum je einen so gelehrten, ideale Ziele sicher verfolgenden, aber auch selten einen ebenso praktischen, selbst den kleinsten Vorteil nicht verschmähenden, geschäftlich tüchtigen Verleger als Aldus gegeben.

Die berühmte Handelsmetropole am Adriatischen Meere war ganz der Platz, wo Aldus gedeihen mußte; wenigstens konnten ihm die äußern Verhältnisse nicht günstiger sein. Auf den Schultern von Vorgängern, wie den Gebrüdern Johann und Wendelin von Speyer und Nikolaus Jenson, stehend, überflügelte der gelehrte und praktische Drucker bald alle seine Vorgänger und wurde der Hauptträger von Venedigs Ruhm als Druckerstadt. Venedig bot alle für ein großes Geschäft erforderlichen Hilfsmittel, und selbst wenn diese vielleicht einmal zufällig nicht vorhanden gewesen wären, so hätten sie jederzeit sehr leicht beschafft werden können. Dabei waren seine Verbindungen mit dem Auslande die bestgeregelten in ganz Italien. Bei dem steten Zuströmen von zahlreichen Fremden aus allen Gegenden der Windrose eignete sich die Stadt auch vortrefflich zum Sortimentshandel, und selbst der spätere große Verleger verschmähte es nicht, einen öffentlichen Buchladen (bibliopolium) zu halten, in welchem er auch den Verlag ihm wahlverwandter Firmen verkaufte, wie z. B. den von Zacharias Caliergi, Nikolaus Blastos, Johannes [372] Bistoli, Benedikt Maregi u. a. Die Kataloge über sein Lager, nebst teilweiser Preisangabe der einzelnen Werke, sind noch erhalten.

Aldus war unter dem mächtigen Eindruck des frischen geistigen Lebens herangewachsen, welches die Ankunft der flüchtigen Griechen in den gelehrten Kreisen seines Vaterlandes hervorgerufen hatte. Es war nicht mehr die junge Morgenröte der ersten Wiedererwachens der Wissenschaften, in der man anfing, die Alten zu studieren und sich der Herrlichkeit der bisher wenig gekannten Schätze zu freuen, nicht mehr die begeisterte Jugendzeit, in der man noch nach allen Seiten hin Gelehrte aussandte, welche bisher noch unbekannte griechische und römische Handschriften an das Licht fördern sollten; es war vielmehr die Zeit der Lese und der Ernte, denn gegen das Ende des 15. Jahrhunderts waren jene Schätze meistens schon gehoben. So viel indessen schon geschehen war, so blieb doch noch viel mehr zu thun übrig. Um namentlich die Größe und Schönheit des klassischen Altertums für alle künftigen Geschlechter zu erhalten und weitern Kreisen zugänglich zu machen, dazu bedurfte es der Herstellung korrekter, kritisch bearbeiteter Ausgaben der Schriftsteller, die bisher nur in leicht zerstörbaren, fehlerhaften Handschriften vorhanden waren. Und gerade hier ist es, wo Aldus einsetzt. Seinem begeisterten Streben ist es hauptsächlich zu danken, daß die Mehrzahl der griechischen Klassiker überhaupt erst den Völkern des Abendlandes zugänglich gemacht wurde. Selbst ein vortrefflicher griechischer Philologe und Kritiker, wußte er am besten zu beurteilen, welche griechischen Gelehrten er als Bearbeiter der Texte, als Korrektoren, Grammatiker, Abschreiber oder auch als Buchbinder beschäftigen sollte. Mit ihrer Hilfe stellte er die schönen Folio-, Quart- und Oktavausgaben her, welche, wenn jetzt auch zum großen Teil veraltet, doch jahrhundertelang die Grundlage für die griechischen Studien gebildet haben, und noch heute zu den tüchtigsten Leistungen der damaligen Buchdruckerkunst zählen. Sein erster Verlagsartikel war 1494 die griechische Grammatik des Konstantin Laskaris (eines nach der Einnahme seiner Vaterstadt nach Italien geflüchteten Konstantinopolitaners); ihr folgten von 1495 bis 1498 der kritisch durchgesehene Aristoteles in fünf Folianten und 1498 Aristophanes. Vor 1495 waren im ganzen nur zehn griechische Bücher in ganz Italien gedruckt worden, darunter 1488 Homer zu Florenz in einer sehr schlechten Ausgabe; fortan aber vermehrten sich die [373] griechischen Drucke mit jedem Jahr um zahlreiche Bände. Charakteristisch ist es, daß er anfänglich seine enge Verbindung mit den Kreisen der vornehmen Förderer der Wissenschaften nicht verleugnete, in den Äußerlichkeiten seiner Drucke der Vorliebe derselben für Handschriften und deren Ausstattungsweise Rechnung trug. Nur langsam folgte er den Verbesserungen, welche sich in den Druckereien bei jenen Äußerlichkeiten Bahn brachen. Noch 1497 empfahl er dem Leser, das Griechische Lexikon zu paginieren, statt selber die Seitenzahlen zu drucken, und den Wünschen und Bedürfnissen jener reichen Liebhaber wurde er gerecht, indem er öfter eine kleine Anzahl von Exemplaren auf Pergament oder auf feinerm, wohl auch blauem – richtiger blaugrauem – Papier abzog. Letzteres galt zu jener Zeit als besonders schön und vornehm.

Aldus’ Hauptverdienst aber bestand in der Schaffung handlicher und billiger Klassikerausgaben, durch welche er das Studium der alten Litteratur erst in weitern Kreisen ermöglichte und thatsächlich auch verbreitete. Bis zu seiner Zeit überwogen meist die Folianten und Quartanten mit großer gotischer oder Antiqua-Schrift gedruckt. Diese schweren Bände waren nur mit Mühe zu handhaben und konnten selbstredend nicht billig hergestellt werden. Aldus bewirkte eine förmliche Revolution, indem er mit dem neuen Jahrhundert zunächst für die alten Klassiker das bequeme Oktavformat einführte, eine Art von Volksausgaben für jene Zeit schuf, etwa von der Größe der heutigen „Bibliotheca Teubneriana“, und ihnen eine neue und gefällige, kleine, von Francesco Raibolini aus Bologna geschnittene Schrift – die Kursiv (Italique) – gab, für welche Petrarca’s Handschrift das Vorbild geliefert haben soll. Zur Bequemlichkeit der Leser ließ er diese Ausgaben, die in einer Auflage von 1000 und mehr Exemplaren (mille et amplius) abgezogen wurden, mit breitem Rand drucken, damit jene, dem damaligen Gebrauche nach, ihre Bemerkungen darauf machen konnten, ganz ähnlich, wie gleichzeitig die leipziger Artistenfakultät die auf ihre Kosten hergestellten Klassikerausgaben in Folio mit übermäßigem Durchschuß zwischen den Zeilen drucken ließ, damit die Studierenden den von dem docierenden Lehrer mündlich vorgetragenen Kommentar hineinzuschreiben im Stande waren. Der im April des Jahres 1501 erschienene Virgil eröffnete die Reihe jener typographischen Meisterwerke. Daneben druckte Aldus zwar auch noch seine Klassiker in Folio und Quart, aber gerade die Werke der beliebtesten Schriftsteller [374] (zum Teil auch moderner) stellte er in Oktav her und gewann dadurch für sie in ganz Europa einen dankbaren Leser- und Käuferkreis, machte so die alten Klassiker erst zum Gemeingut aller Gebildeten. Der Preis des Bandes betrug auch nur 3 Marcelli, oder, wie Renouard und Didot berechnen, 2,04 Franken oder 1,63 Mark.[7] Abgesehen von neuen Abdrücken folgten dem Virgil und andern im Jahre 1502 Werke von Cicero, Lucian, Horaz, Sophokles, Ovid, Catull, Tibull und Properz, 1504 Homer, Plinius und Sallust, 1507 Euripides, 1509 Cicero’s Briefe, Valerius Maximus und Martial und 1513 Cäsar und Pindar.

Wenn sich nun auch Aldus durch diesen Zweig seiner buchhändlerischen Thätigkeit um die ganze gebildete Welt verdient gemacht hat, so äußerte sich doch sein mächtiger Einfluß insbesondere auf Deutschland günstig und nachhaltig, günstiger und nachhaltiger als auf irgend ein anderes Land. Während in Italien die Vornehmen und Reichen an der Spitze der neuen Bewegung standen und sogar aus aristokratischem Übermute noch ziemlich lange, wie im ersten Kapitel schon erwähnt, die reich ausgestattete Handschrift dem schönsten Druck vorzogen, gingen die deutschen Humanisten in ihrer Mehrzahl aus den ärmern Schichten der Bevölkerung hervor. Ein gedrucktes Buch war für sie noch bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts hinein ein seltener und schwer erschwingbarer Schatz; sie mußten sich ihr litterarisches Handwerkszeug zum Teil mühsam abschreiben. Luther wurde, als er in Erfurt noch Rechtswissenschaft studierte, ob seines juristischen Eifers ganz besonders belobt, weil er sich (etwa 1506) eine Ausgabe des „Corpus juris“ gekauft hatte. Thomas Plater erzählt in seiner Selbstbiographie (Ausgabe von H. Boos, S. 23) aus dem Jahre 1515: „In der schull zu St. Elisabeth zu Breslau lasen alwägen einsmals zu einer stund in einer stuben 9 baccalaurei. war doch graeca lingua noch nimmet (nirgendswo) im Land, desgleichen hett niemand noch kein truckte Bücher, alein der praecepter hat ein truckten Terentium. was man liß, mußt man erstlich dictieren, dan distingwieren, dan construieren, zuletzt erst exponieren, das die bachanten grosse scarteken mit inen heim hatten zu tragen, wen sy hinwegzugen.“ (Hier handelt es sich allerdings um arme fahrende Schüler.) Joachim Camerarius hatte, ehe er 1518 nach Erfurt kam, bei einem in Leipzig entstandenen Aufstand zuerst seinen Herodot in Sicherheit gebracht[8]; das übrige machte ihm wenig Sorge. Als Melanchthon [375] 1524 in Wittenberg über die Reden des Demosthenes las, mußten die Zuhörer sein Exemplar abschreiben, trotzdem daß es dort schon seit 1508 einen Buchladen gab. Konrad Paulus Scriptoris trug 1499 eine große hebräische Bibel auf dem Rücken von Heidelberg nach Stuttgart, weil er das Kleinod keinem andern anzuvertrauen wagte. Reuchlin war vom Herzog Wilhelm von Bayern mit einem Gehalt von 200 Goldgulden als Professor der hebräischen und griechischen Sprache nach Ingolstadt berufen worden. „Da es hier kein einziges gedrucktes griechisches und hebräisches Buch gibt“, schreibt er am 14. März 1520 an Hummelsberger[9], „welches in einer Zahl von mehr 300 Exemplaren unter so viele Zuhörer verteilt werden kann, so bin ich gezwungen, beide Sprachen täglich auf vier Tafeln aufzuschreiben, sie täglich in zwei Stunden zu lehren und öffentlich so lange zu lesen, bis einmal durch einen glücklichen Zufall derartige Bücher aus den Handelsplätzen zu uns gelangen.“ Der jüngere Basilius Amerbach, Sohn des Bonifatz und bemittelt, versuchte noch 1552 bis 1553, wo er in Tübingen studierte, vergebens, ein „Corpus juris“ zu leihen. Im September 1553 ging er zur Fortsetzung seiner Studien nach Padua; hier sorgte sein Präzeptor für die juristischen Handbücher, indem er die nötigsten unter der Bedingung bei einem Juden kaufte, daß derselbe sie beim Weggange Amerbachs gegen den Kaufpreis wieder annehmen und sich mit einem Kronenthaler Zins begnügen sollte.[10] Es war dort ein solcher mittelalterlicher Vertrag noch immer die gewöhnliche Art, wie Ausländer sich die zum Studium nötigen Bücher verschafften.

Seit Aldus ersparten wenigstens die gedruckten Werke der Klassiker den Studenten das mühsame Abschreiben und machten ihnen vor allem den Besuch einer italienischen Hochschule vielfach entbehrlich. Mit verhältnismäßig wenig Geld konnte sich fortan auch der weniger Bemittelte eine kleine Handbibliothek kaufen. Ein so großer italienischer Patriot Aldus auch war, die Förderung der Wissenschaft und die Verbreitung der alten Klassiker standen ihm immer in erster Linie. Manche seiner Landsleute hielten es für unklug, die Kenntnis der griechischen Autoren durch den Druck allgemein zugänglich zu machen; sie fürchteten, daß die „Barbaren“ sich dann zu Hause unterrichten könnten und weniger genötigt sein würden, nach Italien, der Quelle der Bildung, zu kommen. So erzählt Beatus Rhenanus in der Einleitung zu den Werken des [376] Erasmus: „Quidam Venetiis olim Aldo Manutio commentarios graecos in Euripidem et Sophoclem edere paranti dixit: Cave, cave hoc facias, ne barbari istis adjuti domi maneant et pauciores in Italiam ventilent.“ Dieser engherzige Geselle hatte allerdings Recht, denn die deutschen Humanisten und Studenten zogen fortan immer weniger über die Alpen, um an der bisherigen alleinigen Quelle der Bildung zu schöpfen. Wenn sie aber mit geringern Kosten und in größerer Zahl in der Heimat dieselben Ziele erreichen konnten, so verdankten sie eine so bedeutende Erleichterung vorzugsweise dem uneigennützigen Aldus. Mit gutem Recht wurde er also auch einer der angesehensten und populärsten Männer unter den deutschen Humanisten. Sie suchten seine Freundschaft, knüpften geschäftlich mit ihm an, fragten ihn um Rat und wurden nicht müde, ihm ihre Bewunderung in meist bombastischen Wendungen auszusprechen. Sie verherrlichten das Zeitalter, in welchem diese Ausgaben erschienen, waren stolz darauf, sie zu besitzen, priesen den Meister bewundernd als die Leuchte des Jahrhunderts und dankten ihm voller Hochachtung für ihre Fortschritte in den Wissenschaften, da diese ihnen nur durch ihn und seine Ausgaben ermöglicht worden seien. Konrad Celtis hatte bereits im Jahre 1498 mit Aldus Briefe gewechselt und am 3. Oktober 1498 von ihm eine Einleitung in das Studium der griechischen Sprache geschenkt erhalten, welche er zur größern Verbreitung derselben benutzen sollte. Zwei Jahre später feierte Celtis und der mit ihm in Wien lebende Humanist Vinzenz Longinus den gelehrten Drucker in Versen. Aldus dankte in einem an beide gerichteten Briefe vom 9. Juli 1501 und schenkte jedem von ihnen ein Exemplar seines Virgil, seines Horaz und seiner lateinischen Grammatik. „Wenn Ihr glaubt“, fährt er fort, „daß man bei Euch Absatz für meine Verlagsartikel finden kann, so setzt mich gefälligst davon in Kenntnis. Ich werde Euch dann die Zahl der Exemplare einsenden, welche Ihr mir angeben werdet.“ Zwei Monate später, am 3 September 1501, sandte Aldus das erste Blatt seiner damals beabsichtigten, aber später nicht ausgeführten Polyglotten-Bibel an Celtis und bat ihn um Mitteilung griechischer Handschriften, sowie um die Schlußverse der Ovidischen Fasten, weigerte sich aber Celtis’ Loblied auf Kaiser Maximilian zu drucken, da er die Gefahr nicht laufen könne, den von ihm besiegten Böhmen und Ungarn zu mißfallen, von deren Gelehrten [377] ihm viele seltene, bisher unbekannte Handschriften einsendeten. Sonst war Aldus ein großer Verehrer und Bewunderer Maximilians, der seinerseits ihm wohlwollte. Die Rhapsodie erschien übrigens 1504 bei Johann Otmar in Augsburg.

Und mit welchem Enthusiasmus wurden diese neuen Schätze in den deutschen Landen aufgenommen! Der Humanist Mutianus Rufus (1472 bis 1526) weinte vor Freuden, als ihm ein Freund einen Aldinischen Cicero, Lucrez, Curtius u. a. schenkte. Er und seine Freunde Urban und Spalatin entzogen sich das Notwendigste, um mit vieler Mühe die Aldinischen und andere Ausgaben der klassischen Autoren über die Alpen herbeizuschaffen.[11] Wilibald Pirckheimer und Johann Reuchlin gehörten mit zu den ersten Käufern der venezianischen Ausgaben überhaupt. „Zu jener Zeit“, sagt des erstern Biograph, Rittershaus, „waren sie sehr teuer, wie sie auch heute noch, wenn sie überhaupt zu haben sind, verdientermaßen als Schätze aufbewahrt werden, vor allem aber diejenigen, welche Aldus Manutius gedruckt hat, welchen man mit Recht die Zierde und den Schmuck der Buchdruckerkunst nennt. Seine schönsten Ausgaben kaufte daher Wilibald zu hohen Preisen und mit großen Kosten an.“ Michael Hummelsberger aber schreibt am 11. November 1512 an Thomas Anshelm in Tübingen[12]: „Hebräische Bücher werde ich in Italien erwerben, denn man sagt mir, daß dort einige mit den feinen und schönen Aldinischen Buchstaben gedruckt sind. Die Deinigen sind nicht weniger fein, kommen jenen vielmehr gleich, wenn sie dieselben nicht übertreffen. Daher verdankt Dir Deutschland ebensoviel als Latium seinem Manutius.“

Von seinen zahlreichen Verbindungen mit europäischen Gelehrten hat für Deutschland keine eine größere Bedeutung, als sein Verhältnis zu Erasmus. Es konnte nicht fehlen, daß sie bei gleicher wissenschaftlicher Richtung schon früh einander nahe traten und auch später, als sie sich persönlich kennen lernten, ein engeres freundschaftliches Verhältnis unterhielten, welches bis zu Aldus’ Tode ungetrübt fortdauerte. Daran zu zweifeln liegt kein Grund vor, obschon kleinlicher Klatsch das Gegenteil behauptet. Undenkbar wäre es, daß Erasmus mit dem Sohne und den Enkeln des Aldus nach wie vor auf dem besten Fuße hätte stehen können, wenn wirklich ein Bruch stattgefunden gehabt hätte.

Schon 1500 wird Erasmus als Mitglied der Aldinischen Akademie [378] aufgeführt. Im Jahre 1507 veröffentlichte er bei Aldus seine Übersetzung zweier Euripideischen Tragödien. Was Erasmus in seiner Sprichwörtersammlung („Adagia“) über den Wahlspruch seines Freundes „Festina lente“ schrieb, war Aldus ganz aus der Seele gesprochen. „Früher“, so lautet die Stelle wörtlich, „widmete man der Genauigkeit der Manuskripte eine ebenso große Sorgfalt, als der Redaction eines notariellen Aktes. Diese Sorgfalt galt als heilige Pflicht; später wurde sie unwissenden Mönchen und dann sogar Frauen anvertraut. Aber um wie viel größer ist das Übel, welches ein Drucker anrichten kann! Die Gesetze sagen nichts über diesen Punkt. Man straft den, welcher englisches Tuch statt des venezianischen verkauft; aber derjenige, welcher an Stelle guter Texte dem Leser wahres Kreuz und wahre Qualen schafft, bleibt unbestraft. Daher rührt auch, namentlich in Deutschland, die unzählige Masse entstellter Bücher. Während es Verbote gegen die Bäckerei gibt, fehlt ein solches gegen die Typographie, und doch, wo ist der entfernteste Erdenwinkel, wohin nicht die gedruckten Bücher gleich Bienenschwärmen fliegen?“ Im Jahre 1508 kam Erasmus von Bologna nach Venedig, um bei Aldus eine neue verbesserte und vermehrte Auflage seiner Sprichwörtersammlung auszuarbeiten und drucken zu lassen. Sie erschien denn auch im September 1508.[13] Aldus nahm den berühmten Gastfreund zuvorkommend auf und gab ihm Wohnung im Hause seines Schwiegervaters Andrea Torresani di Asula. Wie sorgfältig der Druck überwacht wurde, das beweist die Thatsache, daß Erasmus selbst die erste Korrektur las, ein Korrektor Seraphin die zweite, und Aldus die dritte, um, wie letzterer auf Befragen erklärte, sich zu bilden. Eine zweite Aldinische Ausgabe erschien 1520, jedoch gestattete die italienische Geistlichkeit nicht ihre Verbreitung; ihre Feindseligkeit gegen die Sammlung ging so weit, daß Paul Manutius später nicht einmal den Namen des Erasmus als des Verfassers in seinen Verlagskatalogen nennen durfte, ihn mit der Umschreibung: „Batavus quidam homo“ bezeichnen mußte.

Erasmus beschäftigte sich übrigens damals in Venedig nicht bloß mit der Herausgabe seines eigenen Werkes, bei welcher ihn, wie er selbst sagt, Italiener und Griechen – der spätere Kardinal Hieronymus Aleander war unter anderm Korrektor bei Aldus – zuvorkommend durch Mitteilung von Büchern und Handschriften unterstützten, sondern half auch seinem Gastfreunde bei dessen Arbeiten; er korrigierte für ihn nach den [379] Handschriften den Text verschiedener Klassiker, wie des Terenz, Seneca und Plautus.[14] Auch brachte er für die beabsichtigte eigenen Ausgabe des letztern die Verse in Ordnung, wofür er nach seiner eigenen Angabe 20 Goldstücke erhielt. Aber gegen die Annahme, als habe er einfach als Korrektor in Aldus’ Druckerei gearbeitet, sucht er sich doch zu verwahren. Als der ältere Scaliger mit einem Anflug von Verachtung behauptete, Erasmus sei eben Korrektor bei Aldus gewesen, setze dieser bei Erwähnung jener Belohnung ausdrücklich hinzu, daß er für die Ausmerzung von bloßen Fehlern nichts erhalten habe, und ebenso entgegnete er später dem Fürsten von Carpi, der ihn gleichfalls durch die Benennung Korrektor herabzusetzen suchte, daß einer, der hauptsächlich für sein eigenes Werk thätig gewesen sei, doch nicht als Korrektor betrachtet werden könne.

Weiter besorgte Erasmus im Jahre 1507 die Textrecension der Aldinischen Ausgabe der „Moralia“ des Plutarch, und drei Jahre später (1512) druckte Aldus seine „Colloquia familiaria“.[15] Ebenso erschien im August 1515 bei diesem sein „Moriae Encomium“ (Lob der Narrheit).

Noch länger als mit Erasmus, ja am längsten unter allen Deutschen hat übrigens Aldus mit Johann Reuchlin in Verbindung gestanden. Es ist nur zu natürlich, daß der Begründer der griechischen Studien in Deutschland gern zu dem Manne in Beziehungen trat, welcher die sie fördernde Litteratur massenhaft verbreitete und eine griechische Akademie in Venedig ins Leben gerufen hatte. Der italienischen Verleger hatte schon im September 1498 die lateinische Rede gedruckt, welche der deutsche Gelehrte am 7. August desselben Jahres zu Gunsten des vom Papste seines Investiturrechts beraubten Pfalzgrafen Philipp vor Alexander VI. erfolgreich gehalten hatte. Seitdem blieben beide Männer in regelmäßigem, auch geschäftlichem Verkehr miteinander. Bei Bücherbestellungen – er bestellte unter anderm den Herodot, Valerius Maximus und Suidas – schickte Reuchlin in der Folge immer bares Geld ein; aber vielfach findet er die Bücher auch zu teuer. „Eins kann ich Dir nicht verhehlen“, schreibt er unter anderm 1502 an Aldus, „zeige Dich mir gegenüber nicht als Händler, sondern als Freund, damit ich mich nicht zu schämen brauche, für Deine Bücher, Dir, dem berühmten Kaufmann, mehr zahlen zu müssen als unsern kleinen Händlern. Denn Deine Konkurrenten geben mir das höhnisch zu verstehen.“

[380] In den „Clarorum Virorum Epistolae ad Joannem Reuchlinum“, jener Sammlung, welche dessen Freunde während des Streits mit Hogstraten veröffentlicht haben, finden sich unter anderm auch zwei Briefe von Aldus an Reuchlin. In dem ersten derselben, vom 28. Oktober 1502, gibt jener diesem ausführliche Auskunft über seine Verlagsunternehmungen und bietet ihm am Schluß alle diejenigen zum Geschenk an, welche sein, des Aldus, eigener Verlag seien und welche Reuchlin etwa wünschen sollte.

Welch hohen Wert übrigens Aldus auf des letztern Lob legte, geht aus dem zweiten dieser Briefe vom 23. Dezember 1502 hervor, welcher also lautet: „Ich kann Dir kaum schreiben, wie glücklich ich darüber bin, daß Du Dich über meine Briefe und meine Arbeit freust. Es ist kein geringer Ruhm, wenn der Kleine dem Großen zu gefallen vermag. Jenes Lob, zumal wenn es von einem so bedeutenden Mann wie Dir herrührt, macht mich glauben, daß auch ich einigen Wert besitze. Ich bitte Gott, daß wir uns noch lange und von Tag zu Tag mehr, einer an den Werken des andern erfreuen mögen. Ich halte das nicht für unmöglich, wenn wir so lange leben als unser dem Dienste der Menschheit gewidmetes Leben nützen kann.“ Aldus meldet sodann, daß mit Ausnahme zweier, noch nicht fertig gedruckter Werke (des Nonnus und Gregorius) die von Reuchlin gewünschten Bücher dessen Agenten bereits übergeben worden seien. „Ich wundere mich übrigens darüber“, fährt er ob des obigen ihm gemachten Vorwurfs gekränkt fort, „daß Du es für möglich hältst, unsere Bücher dort wohlfeiler kaufen zu können, als hier. Denn es ist eine Thatsache, daß sie hier nicht billiger, ja ich kann sagen, daß sie in Venedig teuerer verkauft werden. Ich suche den Grund dafür in dem Kaufmann, welchen Du erwähnst. Er kauft offenbar von unserer Gesellschaft in Venedig im großen und erhält usanzenmäßig die Bücher billiger, damit er bei ihrem Vertrieb etwas gewinnen kann. Außerdem aber zahlt er nicht bar, sondern wir geben ihm Kredit. Sollte er sich deshalb vielleicht einbilden, daß ihn die Bücher nichts kosteten?“ Aldus spricht hier mit schneidender Ironie, nicht von einem wirklichen Buchhändler, dessen Handelsbetrieb er natürlich auch im Ausdruck sehr wohl von dem gewöhnlichen kaufmännischen zu unterscheiden weiß, sondern in der That von einem Kaufmann. Ob dieser „mercator“ ein Italiener war, der neben seinen sonstigen Waren auch mit Aldinen [381] und andern Büchern die deutschen Messen bezog, oder ein Schweizer oder Deutscher, welcher die Bücher in Venedig kaufte und im Ausland mit ihnen spekulierte, das läßt sich nicht feststellen. Eine buchhändlerische Verbindung zwischen Venedig und Stuttgart gab es damals noch nicht, ebenso wenig noch drei Jahre später eine solche von erstgenannter Stadt nach Augsburg.

Dagegen bestand schon damals ein regelmäßiger kaufmännischer und Warenverkehr von Venedig nach Wien einerseits und von Venedig nach Augsburg und Nürnberg andererseits. Die Straße für jenen ging durch Krain, Kärnten und Steiermark nach Wien und führte für diesen über Verona, Trient, Bozen, Innsbruck und Füssen nach Augsburg und Nürnberg. Die Post wurde durch die „Ordinari“ (Postboten) vermittelt, welche an jedem Samstag Abend von Augsburg resp. Nürnberg nach Venedig abgingen und hier am darauffolgenden Samstag eintreffen mußten, während sie Venedig an jedem Freitag verließen und am nächstfolgenden Samstag Augsburg erreichen sollten; von hier gingen dann dieselben vereideten Boten nach Nürnberg. Die lebhafte venezianische Handelsstraße für das südwestliche Deutschland zog sich über Mailand nördlich in die Alpen, überschritt den St. Gotthard und teilte sich in Luzern in zwei Arme: nach Zürich und nach Basel. So erklärt es sich, daß die Aldinischen Drucke bis etwa zum Ende des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts vorzugsweise in Wien, Augsburg, Nürnberg und Basel gefunden und gekauft, und erst später direkt nach Frankfurt auf die Messe gesandt wurden. Der Zeitpunkt hierfür hat sich bisher noch nicht genau feststellen lassen. Selbst für jene ersterwähnten Städte waren oft neue Zufuhren von Klassikern durch die langjährigen Kriege mit Venedig verhindert worden. „Der tägliche Zusammenstoß französischer und venezianischer Soldaten“, schreibt Mutianus Rufus an Urban, „hat die Engpässe der Alpen und die nach Italien führende rhätische Straße so völlig geschlossen, daß die schönen Wissenschaften, der Hilfe des Aldus beraubt, daniederliegen. Ich hatte schon gehofft, daß die nächsten frankfurter Messen unsern Studierenden ausgezeichnete Autoren bieten würden. O, der trügerischen Hoffnung; es gab nichts Neues! Allerorten sind die Buchläden mit juristischen Werken (wörtlich cum Bartolis) angefüllt. Der Mann ist selten oder gar nicht vorhanden, der die Früchte der unermüdlichen Thätigkeit des Manutius verkauft. Um die Schulen Deutschlands ist’s geschehen! Was gibt es denn noch außer [382] kleinlichen und elenden Dingen?“ Im Jahre 1514 wandte sich sogar der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen auf Veranlassung seines Bibliothekars Georg Spalatin (1482 bis 1545) an Aldus, um von ihm direkt die Klassikerausgaben für die wittenberger Bibliothek zu kaufen. Der Brief war aber nicht angekommen, wie Aldus am 9. Mai 1514 an Spalatin schreibt, der Auftrag also auch nicht ausgeführt worden, und Wittenberg mußte sich ohne Aldinen behelfen.

So viel steht jedenfalls fest, daß Aldus selbst zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch keine regelmäßigen Verbindungen mit Deutschland hatte, und daß sein Verkehr mit Augsburg und Nürnberg nur ein gelegentlicher war. Obwohl ein ebenso umsichtiger Kaufmann, als erfahrener Verleger, hatte Aldus 1501 noch kein wirkliches oder dauerndes Lager in Deutschland. Hätte er ein solches z. B. schon damals bei den Gebrüdern Alantsee in Wien gehabt, so würde er sicherlich, wie schon früher erwähnt, den dort lebenden Konrad Celtis nicht um seine Vermittelung für den Absatz einer Schrift gebeten haben.[16] Er kann augenscheinlich keine Gelegenheit zu einer direkten Versorgung des wiener Markts von sich selbst aus gehabt haben, wohl aber muß jene Firma – ohne förmlich als Agent (Faktor) für Aldus bestellt gewesen zu sein – sich mit dem gelegentlichen Vertrieb seiner Drucke auf ihre alleinige Gefahr hin befaßt haben. Noch am 12. Dezember 1505 schickt Heinrich Urban vier Dukaten an Aldus und bestellt Bücher dafür, welche durch die Fugger nach Georgenthal gesandt werden sollten. Doch scheint Aldus die Vermittelung dieses Hauses nicht besonders genehm gewesen zu sein; neun Jahre später, am 5. Mai 1514, schreibt er wenigstens an Spalatin, daß die Fugger nicht einmal Briefe für ihn nach Deutschland hätten besorgen wollen, wenn er sie nicht im voraus für deren Beförderung bezahle. Am 19 Oktober 1516, als alles anfing sich zum Frieden zu neigen, schrieb Heinrich Glareanus aus Basel an Zwingli: „Wolfgang Lachner hat Leute nach Venedig geschickt, welche die besten Autoren in aldinischen Ausgaben hierher bringen sollen. Willst Du welche haben, so sage es sofort und schicke mir bares Geld, denn es sind immer dreißig da, welche nach den Büchern langen, ohne nach dem Preise zu fragen. Manche verstehen sie gar nicht, wollen sie aber doch haben.“ Eine solche Sendung brauchte damals je nach der Jahreszeit sechs Wochen bis zwei Monate, um an Ort und Stelle zu gelangen.

[383] Nun war es aber Aldus sehr um den Absatz seiner Verlagswerke zu thun, und er wäre gewiß der letzte gewesen, von Basel aus Aufträge abzuwarten, wenn sich inzwischen der Charakter seiner geschäftlichen Beziehungen zu Deutschland geändert, er nunmehr etwa ein stehendes Lager in Deutschland zur Befriedigung seiner Kunden gehabt hätte. Offenbar haben die fast ununterbrochenen Kriege des Kaisers Maximilian mit Italien und die dadurch bewirkte Unsicherheit der Straßen und der Zahlungsverhältnisse den großen venezianischen Verleger von dem Besuche oder der Beschickung der frankfurter Büchermessen abgehalten. Nicht einmal der Name Frankfurts kommt in seiner umfangreichen Korrespondenz vor. Dagegen ist es wahrscheinlich genug, daß manches in Basel, Augsburg oder Nürnberg erhandelte Werk seines Verlags auf Umwegen nach Frankfurt gelangte und dann dort auf der Messe weiter verkauft wurde. Erst seine Erben und Söhne gingen regelmäßig nach Frankfurt. Das Geschäft bestand bis 1597, dem Todesjahre des Enkels, und veröffentlichte im ganzen 1049 Werke, worunter 137 theologische, 21 juristische, 125 allgemein wissenschaftliche, 628 Klassiker und Wörter- oder Handbücher zu denselben, sowie endlich 138 geschichtliche.

Aldus war nur 20 Jahre in seinem Beruf thätig (1495 bis 1515) und wurde während dieser Zeit sogar vielfach durch Kriege (wie 1506, 1510 und 1511) und Geldsorgen in seinen Arbeiten gestört; indessen hat er trotzdem nicht weniger als 126 Werke von jenen 1049 gedruckt, von deren meisten er die handschriftlichen Quellen erst beschaffen und kritisch revidieren mußte. Von diesen seinen Veröffentlichungen gehören nur 2 der Theologie an, während 16 auf die Geschichte, 20 auf die schönen Wissenschaften, 88 auf die alten Klassiker, Grammatiken und Handbücher fallen. Ein juristisches Werk ist dagegen überhaupt nicht von ihm verlegt worden. Einzelne Klassiker, wie Homer und Euripides, erschienen in je zwei Folianten, andere, wie Ovid, in drei Bänden und Aristoteles sogar in fünf Folianten. Eduard Frommann hat in seinen vortrefflichen „Aufsätzen zur Geschichte des Buchhandels im 16. Jahrhundert“ (II, 11 bis 51) aus Renouards „Annales de l’Imprimerie des Aldes“ (II, 343 bis 383) Aldus’ hauptsächliche Drucke und Verlagswerke alphabetisch zusammengestellt. Da indessen die Zeitfolge ihrer Veröffentlichung ein übersichtlicheres Bild von Aldus’ planmäßiger Thätigkeit bietet, so möge diese Liste im Anhange unter VIII in chronologischer [384] Ordnung mit der Bemerkung folgen, daß die in Klammern angeführten Jahreszahlen spätere Auflagen bei Aldus’ Lebzeiten bezeichnen, die mit einem * versehenen Werke erste Ausgaben alter Schriftsteller, und die Jahreszahlen nicht in der venezianischen, sondern in der gegenwärtigen Zeitrechnung angegeben sind. Ein Marcello ist gleich einer halben Lira Veneta (zu 20 Soldi), ein Dukaten gleich 6 1/5 Lire (12 2/5 Marcelli); ein Marcello würde also etwa 1 Franken, 1 Lira 2 Franken, 1 Dukaten 12 ½ Franken oder Mark betragen.

Aldus that übrigens alles, was in seinen Kräften stand, um die gelehrte Welt von den Fortschritten seiner wissenschaftlichen Unternehmungen in Kenntnis zu setzen und zu erhalten. Er war der erste Buchhändler, welcher überhaupt nach einem bestimmen Plane bearbeitete Verlagskataloge herausgab. Der erste derselben, ein Plakat in Folio, erschien am 1. Oktober 1498 und ordnete die bei ihm erschienenen Werke in vier Abteilungen, in Grammatik, Logik, Philosophie und heilige Schrift. Es war Aldus schon damals sehr lästig, wenn nicht unmöglich geworden, die fast täglich bei ihm einlaufenden persönlichen Anfragen eingehend zu beantworten. Deshalb fügte er – hierin für lange Zeit vereinzelt dastehend – seinem Katalog die Preise bei; sie sind aus dem Anhang VIII zu ersehen. In seinem zweiten Katalog vom 22. Juni 1503 führt er auch verschiedene, nicht von ihm selbst gedruckte Bücher an, wie z. B. das vom Kretenser Zacharias Caliergi auf Kosten von Nikolaus Blastos 1499 herausgegebene Prachtwerk „Etymologicon magnum“ zu 2 ½ Dukaten, „Simplicius in praedicamenta Aristotelis“ zu 1 ½ Dukaten, „Ammonius in praedicabilia Porphyrii“ auch zu 1 ½ Dukaten, „Apollonius de Argonautis cum commentariis“ zu 1 Dukaten, „Suidas“ zu 3 ½ Dukaten, „Homeri libri 48“ (Florenz 1488), letztere ohne Preisangabe. Den dritten und letzten Katalog veröffentlichte Aldus im November 1513; er umfaßt fünf zweispaltige Folioseiten und enthält alle von ihm bis dahin gedruckten Werke.

Gleichwohl erzielte Aldus keinen seinen Anstrengungen und Arbeiten entsprechenden Erfolg. „Seit sieben Jahren“, sagte er 1503, „haben die Bücher gegen die Waffen kämpfen müssen.“[17] Unter diesen Umständen wollte es etwas heißen, wenn die monatlichen Ausgaben von 200 Dukaten[18] regelmäßig bestritten werden konnten. Neben den vielfältigen Kriegswirren schädigten nicht nur vier, wenn schließlich auch [385] energisch unterdrückte, Druckerstrikes mannigfach den Geschäftsgang und den Absatz, – es bemächtigte sich auch sehr bald der Nachdruck des Aldusschen Verlags. Er stürzte sich auf die neuen handlichen Klassikerausgaben und trieb sein unsauberes Gewerbe ungescheut nicht allein in der Ferne, wie in Lyon und in Tübingen, beziehungsweise Köln, sondern sogar in nächster Nähe, wie in Fano und Florenz. Aldus hatte zwar schon 1495 für den ersten Band seines Aristoteles ein Privilegium vom venezianischen Senat erhalten; indessen scheint es mehr als Schreckschuß gedient und keine praktische Anwendung gefunden zu haben. Von wirklicher Bedeutung wurde die Frage erst, als jene handlichen Ausgaben zu erscheinen begannen. Aldus erbat also im Oktober 1502 vom Senat ein neues Privilegium und erlangte ein solches auch 13. November desselben Jahres auf zehn Jahre. Es findet sich vollständig abgedruckt in der Ovid-Ausgabe von 1502 und gewährt dem Nachsuchenden Schutz, nicht allein gegen das Nachschneiden der von ihm erfundenen Kursivschrift, sondern auch gegen Nachdruck eines jeden von ihm gedruckten oder noch zu druckenden Werks. Den Zuwiderhandelnden traf Konfiskation des Werks, oder der Exemplare, sowie eine Geldstrafe von 200 Dukaten für jeden einzelnen Fall der Nachbildung. Papst Alexander VI. bestätigte dieses Privilegium am 17. Dezember 1502, Julius II. erneuerte es am 27. Januar 1513 auf 15 Jahre und dehnte es unter Androhung der Strafe der Exkommunikation auf die ganze Christenheit aus; Leo X. bestätigte es endlich nochmals am 28. November 1513.

Leider halfen diese Privilegien so gut wie gar nichts. Venedig besaß ein zu kleines Gebiet, als daß es sonderlich in Gewicht gefallen wäre. Der übrigen Staaten und Staatchen waren zu viele in dem damaligen Italien, als daß es durchführbar gewesen wäre, bei jedem einzelnen um ein Privilegium einzukommen; die Kirche aber hatte nur in außerordentlichen Fällen ein Interesse am Einschreiten. Noch weniger vermochte Aldus dem Übel durch sein „Monitum in Lugdunenses Typographos“ abzuhelfen, welches er am 16. März 1503 gegen die dortigen Nachdrucker erließ. Es geht aus demselben hervor, daß damals schon sein Virgil, Horaz, Juvenal, Persius, Martial, Lucian, Catull, Tibull, Properz und Terenz mit einer der seinigen nachgeschnittenen, nur etwas plumpern Kursiv, ohne Angabe eines Druckorts, Verlegers und der Jahreszahl in Lyon nachgedruckt waren. Die wiederholt aufeinanderfolgenden [386] Auflagen dieser Nachdrucke beweisen, daß sie bessern Absatz fanden als die schönern Originalausgaben selbst. Wenn zwar den unlautersten Motiven ihren Ursprung verdankend, so haben doch auch diese Nachdrucke das Studium der Alten mächtig gefördert und wenigstens die Anforderungen nicht wieder heruntergedrückt, welche seit den Aldinen an Texteskritik und äußere Ausstattung gestellt wurden.

Auch Thomas Anshelm in Tübingen druckte im März 1514 unter anderm die Aldinische Ausgabe der Erasmischen Sprichwörtersammlung für Ludwig Horncken in Köln nach. Was Erasmus besonders dabei schmerzte, war der Umstand, daß der weniger Erfahrene sie für einen Originaldruck des berühmten Venezianers halten konnte. Denn Anshelm hielt sich bei allen Nachdrucken Aldinischer Ausgaben stets sklavisch an die Vorlage; strebte er doch nach dem Ruhm, der deutsche Aldus zu heißen.[19] Außerdem hatte er im März 1512 die Lateinische Elementargrammatik, Aldus’ eigene Arbeit, und im Juli einen Teil der von demselben schon 1495 veröffentlichten Grammatik des Lascaris, „De literis graecis ac diphthongis“ nachgedruckt. Die 1508 erschienenen vier Bücher der lateinischen Grammatik von Aldus, welche Anshelm im April 1516 ebenfalls herausgab, enthalten zwar zum Teil eine Bearbeitung für deutsche Studierende, sind aber wiederum so genau abgedruckt, daß selbst das auf dem Titel mit angeführt wird (de literis graecis), was Anshelm in seiner Ausgabe wegließ. Trotzdem hat sich Aldus nie über Anshelms Nachdrucke beschwert, sie anscheinend gar nicht beachtet, offenbar deshalb, weil sie ihm gar nicht oder nur wenig geschadet haben.

Nach Aldus’ Tode führte Andrea Torresani aus Asola, sein Schwiegervater, das Geschäft bis 1529 für Rechnung der Erben unter der Firma „In Aedibus Aldi et Andreae Soceri“ fort. Andreas starb in diesem Jahre und Paul Manutius, der dritte Sohn des Aldus, übernahm nun bei seiner im Jahre 1533 erreichten Großjährigkeit das Geschäft unter der Firma „In Aedibus heredum Aldi et Andreae Asolani Soceri.“ Dieses Verhältnis, welches übrigens nur wenige Verlagswerke entstehen sah, dauerte bis 1540, von wo ab „Aldi Filii“, Sohn und Enkel des berühmten Gründers, die Druckerei fortsetzen. Beide waren Gelehrte ersten Ranges. Paul stand jahrelang einer in Rom errichteten großen päpstlichen Offizin vor und starb 1578. Sein Sohn, der 1547 geborene [387] jüngere Aldus, der schon mit zehn Jahren als Schriftsteller auftrat und auch eine Zeit lang an der Spitze der päpstlichen Druckerei stand, starb 1597. Mit ihm erlosch diese berühmte Familie von Druckerherren und Verlegern, welche wieder in dem letzten Träger eine bedeutende litterarische Thätigkeit entwickelt hatte.

Ein dem Aldus ebenbürtiger Geist und um die Förderung der Wissenschaft ebenso hoch verdienter Verleger ist der Deutsche Johannes Froben. Erasmus war der Freund beider Männer und bildete die Vermittelung zwischen ihnen. Froben hat mit seinem Zeitgenossen Aldus Manutius vieles gemein. Beide veranstalten nicht allein korrekte Ausgaben und schöne Drucke, sondern stellen auch ihren persönlichen Vorteil in zweite Linie, wenn es gilt, einen bedeutenden alten Schriftsteller der Nachwelt zu erhalten oder einen neuen erst einzuführen. Beide sahen sich schließlich für ihre Thätigkeit schlecht belohnt und starben trotz ihres unermüdlichen Fleißes in durchaus nicht glänzenden Verhältnissen. Denis nennt Froben den Aldus der Deutschen, Dorpius stellt ihn sogar über den Venezianer, welchem sich Froben selbst dagegen bescheiden unterordnet und welchem es gleichzuthun sein höchster Ehrgeiz ist. Die Lorbeern des Aldus und Johann Parvus lassen Froben nicht schlafen – es ist derselbe Buchhändler Parvus oder Johann Kleyn, Jean Petit, in Paris, welcher die Pressen von 16 Druckern beschäftigte – aber nicht aus Neid, sondern in dem Streben nach gleichen Leistungen, nach gleichem Ruhm. Aldus erfreut sich der Unterstützungen der italienischen Großen, wurzelt in einem damals gebildetern Volke, in einer Weltstadt und verfügt über die reichsten Mittel. Froben dagegen steht meist auf eigenen Füßen und hat einen beschränkten Kundenkreis. Aldus hat sich zum Signet oder Symbol einen Anker gewählt, um den sich ein Delphin windet, während in der Mitte, zu beiden Seiten des Ankers, geteilt der Name Aldus steht. Er will in diesem Symbol seiner Thätigkeit einerseits das schnelle rastlose Schaffen, andererseits zugleich die Zurückhaltung und reifliche Überlegung andeuten. Frobens Signet bildet eine Stange, auf deren Spitze eine Taube sitzt und über deren Kopf hinaus sich von unten her zwei Schlangen ringelnd emporheben. „Wenn die Fürsten nördlich von den Alpen“, sagt Erasmus, „Froben gerade so ermutigen wollten, wie Aldus, so würden ihm seine Schlangen nicht weniger nutzbringend sein, als diesem sein Delphin; Froben wird, indem er auf seinem Druckerzeichen die Unschuld der Taube [388] mit der Klugheit der Schlange vereinigt, Ruhm und Reichtum erwerben.“ Leider aber traf diese Weissagung nicht ein. – Aldus war ein mehr schöpferischer Geist, der neue Erfindungen machte und manche Verbesserungen einführte; Froben ein mehr bedächtiger Mann, welcher die Aldinischen Eroberungen nachahmte und gewissenhaft im Interesse seiner Kunst ausbeutete. So ließ er nach dem Vorbild der meisten italienischen Drucker und des Aldus die eckige und schwerfällige sogenannte gotische Schrift fallen und druckte 1513 zuerst die Sprichwörtersammlung des Erasmus mit der neuen Kursiv. Froben sowohl als Aldus können nicht genug wichtigen und lohnenden Stoff für ihre Pressen bekommen und wünschen nichts mehr als neue Funde. Ihre Gelehrten können ihnen nicht schnell genug arbeiten und nichts ist ihnen peinlicher als wenn ihre Pressen stillstehen. Aus dem Briefwechsel des Beatus Rhenanus (1485 bis 1547) geht hervor, daß die Offizinen Frobens, der Amerbachs, Herwagens und Oporinus’ nicht nur die Sammelpunkte der Gelehrten waren, in welchen man alles erfuhr, was diese interessierte an neuen Funden und Ausgaben, allerlei Personalien und Skandalgeschichten, sondern auch wahre Zufluchtsstätten ärmerer Jünger der Wissenschaft und wandernder Scholaren. Rhenanus z. B. genoß namentlich von Froben und den Amerbachs vielfache Unterstützung. Mutianus Rufus lobt Froben begeistert ob seiner wissenschaftlichen Leistungen und der durch sie allgemein zugänglich gemachten alten Codices, wie er denn auch mit der höchsten Anerkennung der „Autores Frobeniani“ gedenkt.

Frobens buchhändlerische Bedeutung und Stellung in der wissenschaftlichen Welt spricht sich übrigens am klarsten in seinen Verhältnissen zu Erasmus aus, mit welchem er von 1513 an bis zu seinem Tode in inniger, ungetrübter Freundschaft verbunden war. Ihre Beziehungen zueinander waren herzlicher, als die zwischen Erasmus und Aldus. Es ist der Bund „des Fürsten der Buchhändler“ mit dem Fürsten der Wissenschaft, wie die beiderseitigen Verehrer Froben und Erasmus nennen. Letzterer war 1521 zum zweiten mal zum Besuch nach Basel gekommen, blieb aber, hauptsächlich durch Froben freundschaftlich angezogen und auch geschäftlich gefesselt, bis 1529 also bis kurz nach dessen Tode, dort fast neun Jahre, und zwar die längste Zeit im Frobenschen Hause, wohnen. Hier sammelte sich um ihn eine ganze Schar jüngerer und älterer Männer, welche sämtlich der neuen Richtung zugethan, ihn als ihren Führer und [389] Patron bewunderten und verehrten, wie die Gebrüder Amerbach, Glareanus, Ökolampadius, Beatus Rhenanus, Gerhard Lystrius, Nikolaus Gerbellius, Fontejus und Eobanus Hesse. Dem letztgenannten, der ihn um Besorgung eines Verlegers gebeten hatte, antwortete Erasmus am 6. September 1524: „Ich weiß noch nicht, was Froben mit Beatus verhandelt hat, denn der hat Deine Gedichte. Die Drucker suchen jetzt mehr das leicht Verkäufliche als das Gute. Wenn Du willst, werde ich es bei den Franzosen versuchen.“[20] Von allen Seiten drängten sich Gelehrte an ihn und fragten ihn persönlich oder schriftlich um Rat. So wurde Basel der Sitz der gelehrten Studien, für deren Förderung zugleich die Pressen von Froben und Amerbach eifrig arbeiteten. Erasmus selbst freute sich dieser angenehmen Geselligkeit, fühlte sich, unabhängig von äußern Sorgen, wohl im Kreise strebender Genossen, deren belebender Mittelpunkt er war. Entzückt rief er aus, daß sein Vaterland (Deutschland) ihn mehr und mehr anlächle, und daß es ihn gereue, es erst so spät kennen gelernt zu haben.

Die beiden Frobenschen Verlagsartikel, welche Erasmus zuerst emendieren half und in die gelehrte Welt einführte, waren das 1516 erschienene erste griechische Neue Testament – der griechische Text der Complutensischen Polyglotte war zwar schon 1514 gedruckt worden, wurde aber erst 1520 ausgegeben – und eine Ausgabe der Werke des heiligen Hieronymus, bei welch letztere zugleich Konrad Pellican und Johann Reuchlin als Korrektoren des Hebräischen, beziehungsweise Griechischen thätig waren. „Ich traf in Basel“, sagt Erasmus in zwei Briefen, welche er am 31. März 1515 an die Kardinäle Grimanus und Raphael richtete, „einige, welche das Werk (den Hieronymus) sogar schon in Angriff genommen haben: es sind dies Johann Froben, durch dessen Kunst und auf dessen Kosten es zum großen Teil fertig gestellt wird, und die drei hochgelehrten jungen Brüder Amerbach, die auch Hebräisch gut verstehen. Es arbeitet die ganze große Offizin an dieser, auf zehn Bände berechneten Ausgabe. Sie wird mit den vorzüglichsten Lettern und solchem Aufwande von Geld und Schweiß gedruckt, daß es dem göttlichen Hieronymus weniger Arbeit gekostet haben muß, seine Bücher zu schreiben, als uns, sie wiederherzustellen. Ich wage sogar zu schwören, daß in den letzten 20 Jahren kein Werk in irgend einer Offizin mit gleichen Kosten und gleichem Eifer vorbereitet worden ist.“

[390] An den Papst Leo X. aber schrieb Erasmus am 29. April 1515: „Es ist schon lange das große Werk in Arbeit. In Basel, im Lande der Rauraker, entsteht von neuem der ganze Hieronymus und zwar in Frobens Werkstatt, der zuverlässigsten von allen, aus der am meisten Bücher hervorgehen, zumal solche, die sich auf religiöse Dinge beziehen. Am meisten haben die Gebrüder Amerbach dazu beigetragen, daß auf ihre Kosten und mit ihrer Arbeit im Verein mit Froben das Werk vollendet wird. Dies Haus scheint zu diesem Zweck vom Schicksal selbst dazu bestimmt, den Hieronymus wieder aufleben zu machen. Der wackere Vater hatte seine drei Söhne zu dem Zweck im Griechischen, Lateinischen und Hebräischen unterrichten lassen. Er selbst empfahl bei seinem Tode seinen Kindern dies Studium gleichsam als Erbe; alle seine Mittel wandte er auf dies Werk. Die wackern Jünglinge besorgen das vom Vater empfohlene schöne Werk eifrig.“

Die Herausgabe des Hieronymus, welcher ein Mann wie Erasmus fördernd zur Seite stand, bildete ein großes Ereignis in der damaligen gelehrten Welt. Man verfolgte die Fortschritte des Drucks mit der gespanntesten Teilnahme, berichtete einander davon wie von etwas Ungewöhnlichem und suchte nach außen hin dem mutigen Verleger die Wege zu ebnen.

So schreibt unter anderm Michael Hummelsberger am 30. August 1516 an Froben: „Konrad Peutinger hat dem Ägidius Remus, seinem Mitbürger und Verwandten, Beatus Rhenanus hat mir mitgeteilt, daß Du jetzt des göttlichen Hieronymus Werke druckst, des trefflichen Erklärers der heiligen Wissenschaften, die Du aus allen Bibliotheken Europas zusammengebracht hast. Zugleich haben sie mich dringend gebeten, vom Papste Leo ein Privilegium zu erwirken, wonach niemand innerhalb fünf Jahren jene irgendwo drucken darf. Wir haben es für recht gehalten, Dich mit allen unsern Kräften zu unterstützen, dem Peutinger und Rhenanus den Gefallen zu thun und überhaupt bei so einem frommen, der wissenschaftlichen Welt nützlichen Werk behilflich zu sein. Besonders wollten wir dem Erasmus von Rotterdam, dem gebildetsten Mann der Deutschen, der nicht geringe Mühe auf diese Ausgabe verwendet, zu Gefallen sein. Damit wir um so leichter und mit geringern Kosten dies erreichten, haben wir uns der Hilfe der hochgebildeten Männer, Stephanus Rosirus aus Augsburg und des Jakob Questenberg [391] bedient, welche den verehrten Kardinal Adrianus, den Förderer des wissenschaftlichen und gebildeten Lebens, gebeten haben, beim Papste ein gutes Wort für Dich einzulegen. Nachdem dieser ein sehr zierliches Schreiben von unserm Rhenanus hierüber an mich angenommen hatte, hat er beim Papste unsere Bitte durchgesetzt. Es ist also ein päpstliches Breve erlangt und ausgegeben, welches wir anbei übersenden. Wir haben sechs Dukaten dafür ausgelegt, die wir von den Welsers in Augsburg empfangen haben und die Du ihnen zurückerstatten lassen wirst. Sei versichert, daß diese Ausgabe eine sehr geringe ist, aber unserer Anstrengung und unserm Fleiß magst Du es zuschrieben, wenn wir weniger als andere bezahlt haben. Denn sei versichert, kein anderer hätte es so billig erlangt. Dies bezeugen auch die römischen Buchhändler, die auch auf unser Befragen meinten, wir müßten etwa 30 Goldgulden daran wenden. Uns also, die wir so willfährig Deinen und der Freunde Bitten oder vielmehr Ermahnungen nachgegeben, bist Du jetzt etwas verpflichtet, damit Du die Dir erwiesene Wohlthat bei Gelegenheit Deinerseits zurückerstattest.“[21]

Ziemlich um dieselbe Zeit, am 19. August 1516, meldete Erasmus dem Papste Leo X.: „Der ganze Hieronymus, der unter den günstigsten Auspizien entstanden ist und von allen Gelehrten mit der größten Spannung erwartet wird, soll im nächsten Monat September herauskommen.“ Es dauerte indessen länger, denn noch am 5. Juni 1517 schrieb Erasmus, daß der vollständige Hieronymus erst zur Herbstmesse jenes Jahres erscheinen werde.

Die sämmtlichen mit Erasmus in Verkehr stehenden Gelehrten urteilen nicht minder günstig über Frobens hervorragende Leistungen. „O, daß es mir doch vergönnt wäre“ schreibt Nikolaus Beraldus am 16. März 1518 an Erasmus, „dieses Neue Testament recht bald in den schönsten Typen gedruckt zu sehen, mit Frobenschen nämlich; es kann nichts Glänzenderes, Angenehmeres und Vornehmeres als diese geben.“ Dorpius aber bittet am 14. Juli 1518 Erasmus, den „Prinzeps“ aller Drucker, Froben, herzlich von ihm zu grüßen, da die Wissenschaft ihm so viel verdanke. „Möge der Herr ihm noch viele und glückliche Jahre geben, damit er seinem schönen Berufe, in welchem er selbst den Aldus übertrifft, noch lange leben kann!“ Erasmus ist damit einverstanden, denn am 25. August 1518 schreibt er an Puccius, daß die Studien der heiligen Wissenschaften [392] keiner Offizin mehr verdanken als der Frobenschen, und am 2. Februar 1525 lobt er in einem Briefe an Turzo in Olmütz die Schönheit und den Glanz der Werkstatt Frobens, welch letzterer ihm nur zur Verherrlichung der Wissenschaften geboren zu sein scheint. Und an Theobald Fettichius richtet Erasmus am 5. Dezember 1526 die Worte: „Es kann niemandem zweifelhaft sein, wie viele Jahre Johann Froben, mit welchen Nachtwachen, Anstrengungen und Kosten er vorzügliche Autoren gefördert hat und zwar mit größerm Ruhm als Vorteil. Er hat zu Hause in beiden Litteraturen einen ebenso hochgelehrten als gewissenhaften Mann, welch letztere Eigenschaft ich nicht zuletzt rechne. Daher ist meines Ermessens kein anderer würdiger Eurer Gunst, als Froben, denn durch kein andere Werkstatt wird für treffliche Autoren besser gesorgt werden; endlich aber werdet ihr kaum einem andern ebenso dankbaren und erkenntlichen Mann Eure Geschäfte auftragen.“

„Wenn ich in der Schlacht sterben soll“, schreibt Erasmus an Johann Vergura am 2. September 1527, „so wird Froben für mich der beste Beistand sein, indem er mir die Waffen im Kampfe darreicht.“ Den ganzen Wert des Freundes und seine eigene Trauer faßte aber Erasmus nach Frobens Tode in die ergreifenden Worte zusammen: „Johannes Froben, ein in jeder Beziehung vorzüglicher Mann, hat uns, von einer Lähmung dahingerafft, zu meinem tiefen Schmerze verlassen. Er war zur Förderung der Studien geschaffen und wünschte sich kein längeres Leben, als bis er den heiligen Augustinus vollendet hätte, den er mit großen Kosten vorbereitet hatte und auf sechs Pressen druckte. Der Hingang dieses Freundes hat mich hart getroffen. Die Last der Offizin haben sein Sohn Hieronymus und ich übernommen. Für die sieben Pressen muß ich schaffen, was sie drucken, aber vor allem erschöpft mich der Augustin, den ich ganz verbessere, während ich beim Hieronymus nur die Briefe für mich genommen habe. Diese Arbeit hat mir, obgleich ich mich mit Händen und Füßen wehrte, der selige Johannes Froben aufgeladen, den ich so liebte, daß ich ihm nichts abschlagen konnte, auch wenn er mir befohlen hätte, auf dem Markte auf dem Seil zu tanzen. Er ist über der Arbeit gestorben. Ich fürchte, daß sie auch mich aufreibt; wenigstens hat sie mir schon die Augen verdorben.“ „Seit 15 Jahren“, fährt Erasmus am 16. September 1528 fort, „habe ich mit Basel in Verbindung gestanden; ich habe die Stadt oft auf der [393] Rückreise von Brabant besucht, endlich habe ich fast acht Jahre fortwährend die bequeme Gastfreundschaft jenes guten Mannes genossen. Dort war Johannes Froben mein Freund geworden, einen ehrlichern kann ich mir von den Göttern nicht wünschen. Dieselbe Gesinnung hatte die ganze Familie gegen mich; daher ist mein Wohlwollen gegen die Kinder auch durch seinen Tod nicht verändert.“

„Ich hoffe“, schreibt Erasmus weiter aus Freiburg am 7. August 1529 an Nikolaus Episcopius, Frobens Schwiegersohn, „binnen kurzem Euch noch mehr beglückwünschen zu können, wenn erst der kleine Episcopilus im Hofe spielt, der uns mit demselben Gesicht Euch Beide vorführt und nicht Euch allein, sondern auch unsern nahen Freund, den Johannes Froben; denn die Natur pflegt oft auch in den Enkeln das Abbild der Großväter abzumalen. Ich höre, daß Du in das Haus einziehen wirst, welches ich dort durch meinen Weggang freigemacht; in das Haus, in welchem ich so viele Jahre zugebracht, daß ich von Beginn meines Lebens an in keiner Stadt länger gelebt habe, in welches mich Dein Schwiegervater mit seinem Wohlwollen so oft hineinzubringen versucht hat.“

„Viele Tugenden besaß Johann Froben seligen Angedenkens, die ihn meiner Zuneigung sehr empfahlen“, heißt es in einem andern Erasmischen Briefe vom 9. August 1531 an den Sohn, „aber durch nichts hat er mich so anhaltend und stark gefesselt, als dadurch, daß er im ganzen Leben nichts Höheres kannte, als – wenn auch mit noch so großem Aufwand von Mühe und Geld – durch den Druck aller bewährten Autoren die öffentlichen Bestrebungen zu unterstützen: eine Arbeit, über welcher der wackere Mann auch gestorben ist...... So kam es, daß er die wissenschaftlichen Arbeiten mehr förderte als sein Hauswesen, und daß es seinen Erben mehr ehrenvollen Ruhm als Reichtum hinterließ. Da ich nun sehe, daß Du nicht nur seine verehrte Witwe aufgenommen, sondern auch das Erde des Geistes angetreten hast, den jener in der Förderung und Hebung der Wissenschaft zeigte, so kann ich nicht umhin, das Wohlwollen, welches ich gegen jenen stets gezeigt habe, auch auf Dich zu übertragen.“

Erasmus begnügte sich den Erben seines verstorbenen Freundes gegenüber nicht mit bloßen Worten. Er suchte für sie, wenn auch vergeblich, um ein französisches Privilegium für den Augustinus nach, da von dem [394] Absatz dieses Werkes nach seiner Ansicht Vermögen und Existenz der Frobenschen Kinder abhing. Er selbst aber hatte seine eigene Mühe und Arbeit fast umsonst dargebracht; wie er am 29. September 1528 schreibt, würde er für jeden Dritten eine so schwere Arbeit nicht um 2000 Gulden übernommen haben. Auch von Froben selbst hatte er schon bei dessen Lebzeiten nur sehr wenig erhalten, weil er kaum ein Drittel von dem annahm, was jener ihm angeboten, und auch das Eigentum des Hauses zurückgewiesen hatte, welches Froben ihm wiederholt schenken wollte.

Natürlich bot Hieronymus Froben alles auf, sich Erasmus’ Gunst zu sichern. In einem gegen Ende des Jahres 1530 geschriebenen Briefe erklärte er ihm schmeichelnd, seine Offizin hänge lediglich von Erasmus ab, worauf dieser am 15. Dezember 1530 erwiderte, daß sie dann an einem morschen Seile hänge, indessen doch auf neue Verlagsanerbietungen einging. –

In Mitteldeutschland erlangte Erfurt eine hervorragende Bedeutung. Hier hatte der Humanismus schon sehr früh (um 1460) Eingang gefunden und zunächst die Versöhnung mit dem alten Kirchentum gesucht; später widmete er dann der wissenschaftlichen Vertiefung der Studien die besten Kräfte und stellte schließlich die kühnsten Kämpfer zum Angriff gegen Rom. Alle drei Perioden des Humanismus sind hier also vollständig vertreten, ja folgerichtig bis in ihre Konsequenzen entwickelt, und zwar nicht bloß durch die begeisterte Jugend, sondern auch durch reifere Gelehrte und Zierden der Universität, wie Maternus Pistoris und Nikolaus Marschalk. Der Boden fand sich schon vorbereitet, denn die reiche Stadt war ein alter Sitz der Formschneidekunst und verschiedener Schreiberstuben und zählt daher auch zu den ältesten Druck- und Verlagsorten Deutschlands.[22] Dieses künstlerische Leben hatte schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine hohe Blüte erreicht.

In Erfurt machte sich also der neue Geist in aller Form zuerst eine mittelalterliche Lehranstalt dienstbar. Was dieser Sieg heißen will, das wird erst klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß alles wissenschaftliche Leben der vorreformatorischen Zeit von der Kirche bedingt war, daß dementsprechend auch die Universitäten, durch päpstlichen Machtspruch ins Leben gerufen, in Ursprung, Form und äußerer Haltung ein entschieden kirchliches Gepräge trugen. In erster Linie hatten sie die Verteidigung der kirchlichen Interessen zu führen; deshalb bildete denn auch die Theologie, [395] in der Form der Scholastik, den Hauptinhalt der Lehrtätigkeit. Paris, die Universität der Theologie, nicht aber Bologna, die Universität der Juristen, war das Vorbild der deutschen Hochschulen gewesen. Fast überall befand sich die Kanzlerwürde im Besitz von Geistlichen und bis ins 16. Jahrhundert hinein waren alle Lehrstühle ausschließlich in den Händen von Klerikern. Noch 1523 mußte der Rektor ein Kleriker sein und in Heidelberg wurde erst nach schwerem Kampfe durchgesetzt, daß ein Laie eine Professur der Medizin erhielt.

Zu einer Zeit also, wo der Scholastizismus noch die Universitäten beherrschte, siegte der neue wissenschaftliche Geist in Erfurt. Seine Universität war (1392) die Schöpfung einer freien Bürgerschaft und trug von Anfang an das Gepräge ihres Ursprungs an sich. Der erfurter Humanismus feierte 1520 in dem Rektorat des Humanisten Crotus Rubianus den vollendetsten und letzten Sieg. Publicius Rufus, ein Florentiner, war es, der hier den ersten Samen klassischer Bildung ausstreute; hervorragende Professoren an der Universität, wie Gode und Trutvetter, Luthers Lehrer, vertraten die neue Richtung, und bedeutende Männer, wie Johann von Dalberg, verpflanzten sie von hier aus weiter. Zu Anfang des neuen Jahrhunderts, im September 1501, erschien auf Veranlassung des Nikolaus Marschalk in Erfurt, zuerst unter allen deutschen Städten, das erste in griechischer Sprache, aber noch ohne Accente gedruckte Buch „Prisciani grammaticorum facile princips Περι συνταξεως“. In demselben Jahre folgten dieser Erstlingsschrift noch zwei andere, während Wittenberg und Tübingen erst 1511 und 1512 griechische Drucke veröffentlichten. Der erfurter Verleger, Wolfgang Schenck (vorher in Leipzig ansässig), nennt sich auf seinen Verlagsartikeln auch Lupambetus Ganymedes oder Οινοχόον oder auch Pocitator.[23] Diese Annahme klassischer Namen beweist, daß ihre Träger mit Bewußtsein im Dienste der neuen Richtung standen; diese hob den litterarischen Verkehr von Tag zu Tag mehr und mehr, sodaß der erfurter Verlags- und Sortimentshandel bald eine besondere Bedeutung gewann. Außer dem bereits genannten Schenck sind schon im Anfang des 16. Jahrhunderts thätig: Sartorius, Mathias Maler, Stribilita, Knapp, Goldhammer, Melchior Sachs, Wolfgang und Servatius Sturmer. Sie führten fast alle auch antikisierte Namen; Hans Knapp nannte sich z. B. Cn. Appius. Welches der eigentliche Name von Stribilita war, läßt sich schwer erraten. [396] Es erschienen in Erfurt unter anderm Huttens „Nemo“ ohne Jahreszahl (wahrscheinlich 1512 oder 1513) bei Stribilita, und im August 1513 dessen „Vir bonus“ bei Knapp. Ende 1520 ließ es sich Crotus besonders angelegen sein, durch nach allen Richtungen ausgestreute anregende Flugschriften und Briefe die Nation im Sinne der Bewegung zu bearbeiten. Er war damals, wie schon gesagt, Rektor der Universität und vermittelte auch um diese Zeit den Verkehr zwischen Luther und Hutten. Auch für die Universitätsbibliothek geschah viel. Eobanus Hesse ist unerschöpflich in ihrem Lobe, ja er setzt sie – gar zu überschwenglich – sogar über die große Ptolemäische Büchersammlung.

Im neuen Jahrhundert wurde Erfurt der Sammel- und Mittelpunkt der jungen, von ihren Gegnern Poeten genannten Humanisten, die fortan diesen Namen mit Stolz führten. Um Maternus Pistoris zunächst scharten sich Konrad Celtis, Johann Jäger (Crotus Rubianus), einer der vornehmsten Verfasser der Dunkelmännerbriefe, Spalatin, Eobanus Hesse (1488 bis 1540), der oft vor 1800 Studenten seine Kollegien über römische Klassiker las, Mutianus Rufus, der begeisterte Anhänger Reuchlins (in Gotha), zeitweise auch Ulrich von Hutten, sowie die spätern Reformatoren Luther und Melanchthon. Aber manche von ihnen und gerade diejenigen, welche anfänglich am lautesten gegen das Papsttum gekämpft hatten, Eobanus Hesse, Mutianus Rufus und Crotus Rubianus, fanden später nicht die Kraft in sich, Luther zu folgen; die entschiedenen Geister siedelten 1520 von Erfurt nach Wittenberg über, welches nun zunächst den Mittelpunkt des geistigen Lebens für Deutschland, ja Europa, bildete.

Will man die reißend schnellen Fortschritte des deutschen Humanismus, die zum großen Teil von Erfurt ausliefen und hier wieder mündeten, recht verstehen, so muß man in erster Linie den Unmut und Ekel im Auge behalten, welche in allen Gemütern gegen das Alte und Bestehende, namentlich aber gegen die Methode und den Inhalt der mittelalterlich-klösterlichen Bildung herrschten und alle Volksklassen für die neuen Gedanken und Bestrebungen doppelt empfänglich machten.

Allein mehr als das, es war eine gewaltig bewegte Zeit. Eine Entdeckung drängte die andere, neue wissenschaftliche Probleme forderten zum gründlichen Studium auch der alten Lehrmeinungen auf, und wie die räumliche Welt sich in einem kurz zuvor kaum noch geahnten Umfange erweiterte, so fand auch die geistige Bewegung keine Schranken und stürmte [397] ungestüm vorwärts. Die beiden Feuerseelen Ulrich von Hutten (1488 bis 1526) und Hermann von dem Busche aus Sassenberg in Westfalen (1468 bis 1534), ein Schüler und Neffe Rudolfs von Langen, standen an der Spitze derer, welche überall die Vertreter der Scholastik zum Kampfe herausforderten und diesen Kampf bis zur glücklich durchgesetzten Reformation fortführten. Über ganz Deutschland die neuen Ideen verbreitend, zogen sie von einer Universität zur andern und gewannen den alten Zunftgelehrten zum Trotz die studierende Jugend für sich. Das nicht gelehrte Volk aber fühlte sich mächtig zu ihnen hingezogen, weil es in ihnen die geborenen Vertheidiger seines Rechts und die berufenen Vorkämpfer seiner Ziele erblickte.

Die Begeisterung dieser unstäten Gesellen steckte alle Kreise an. Ein bisher nie gekanntes Interesse für geistige Fragen erfaßte Hoch und Niedrig, jeder neue Gedanke, jede frische That, jeder Schritt vorwärts wurde mit Jubel begrüßt, jeder neue geistige Hauch bis in die entlegensten Winkel des Landes getragen. Dieser Wandertrieb der jungen Humanisten entsprach dem jugendfrischen Wesen der ganzen Zeit und ward zunächst bedingt durch die mangelhaften Verkehrs- und Verbindungsmittel jener Tage. Zudem waren überall in der wissenschaftlichen Welt neue hervorragende Kräfte aufgetaucht, ohne daß der Buchhandel schon beweglich genug gewesen wäre, die geistigen Beziehungen genügend zu vermitteln. Wer den Umgang mit einem großen Gelehrten gewinnen wollte, der mußte ihn Paris, Padua, Bologna, Straßburg oder Basel aufsuchen; wer mit einem Gesinnungsgenossen anzuknüpfen suchte, der konnte nichts Besseres thun, als nach dessen Wohnort zu pilgern oder an einem andern Punkte mit ihm zusammenzutreffen. Man denke an die Wander- und Irrfahrten eines Konrad Celtis oder Ulrich von Hutten, die mit leichtem Gepäck und wenigem Geld in der ganzen damaligen civilisierten Welt herumzogen und überall neue Freunde und Mitkämpfer für ihre Sache gewannen. Die jungen Humanisten bildeten eine einzige unsichtbare Gemeinde, welche wie auf Verabredung gemeinschaftlich handelte und, wenn es galt, auch losschlug. Die Solidarität der freien und schönen Geister jener Zeit bewährte sich einige Jahre später glänzend in den Reuchlinschen Händeln mit den kölner Scholastikern. Dieser Kampf erst lehrte die räumlich voneinander getrennt lebenden Gesinnungsgenossen sich als Einheit fühlen und mit vereinigten Kräften tapfer bis zum glücklichen [398] Ausgang streiten. Er fand sein Ende durch die Reformation und bildete den Höhepunkt der humanistischen Bewegung, weshalb er auch vollen Anspruch auf die Hervorhebung seiner Hauptmomente machen darf.

Johann Pfefferkorn also, ein getaufter Jude, hatte es sich mit dem den Renegaten eigenen Eifer schon seit Jahren angelegen sein lassen, die geistliche und weltliche Macht gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen einzunehmen, ihre Ausweisung zu betreiben und die Vernichtung ihrer Bücher, welche der Hauptgrund ihrer Verstocktheit seien, zu erwirken. Seine Schriften, der „Judenspiegel“ (1507) die „Judenbeichte“ (1508), das „Osternbuch“ und der „Judenfeind“ (letztere beide 1509), machten einen nur geringen Eindruck; Pfefferkorn ging denn deshalb auch mit Hilfe der kölner Dominikaner zur praktischen Thätigkeit über.

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts beanspruchte dieser Orden ein ihm durch päpstliche Vollmacht übertragenes oberstes Censurrecht in und für Deutschland. Da nun unter den von Pfefferkorn gegen die Juden vorgeschlagenen Maßregeln die Unterdrückung ihrer Bücher eine der wesentlichsten war, zeigte sich ihm in dieser Vollmacht der Weg zur Erreichung seiner Absichten. Die Juden waren immer Kammerknechte des Kaisers, der also auch über ihr Eigentum verfügen konnte und deshalb in dieser Angelegenheit gefragt werden mußte. Maximilian verlangte denn auch im Juli 1510, daß ihm ein Gutachten verschiedener namhaft gemachter Gelehrten über die Thunlichkeit und Ausführbarkeit des Vorschlags durch den Kurfürsten von Mainz eingereicht werde.

Unter diesen Gelehrten befand sich auch Reuchlin, welcher bereits am 6. Oktober 1510 seinen Bericht erstattete. Er teilte darin die Bücher der Juden in sogenannte Schmachbüchlein und nicht anstößige und sprach sich dahin aus, daß man nur jene zwar erst nach vorgängiger Untersuchung, wie auch rechtmäßig ergangenem Urteil vernichten solle. Dieser Antrag erregte den heftigen Unwillen der „glaubenseifrigen“ Mönche, denen es bei solchem schwerwiegenden Widerspruch unmöglich wurde, die Juden zu Ehren Gottes und der christlichen Kirche zu plündern. So veranlaßten sie denn Pfefferkorn zur Veröffentlichung einer Schmähschrift gegen Reuchlin, welche der Renegat unter dem Titel „Handspiegel“ – in etwa 1000 Exemplaren – auf der frankfurter Ostermesse 1511 selbst hausierend verkaufte und „durch sein Weib im offenen Grempelkram jedermann feilbot, auch verschickte und verschenkte“. Pfefferkorn sprach darin [399] Reuchlin jede Kenntnis des Hebräischen ab und beschuldigte ihn, daß er sich von den Juden habe bestechen lassen. Dieser blieb die Antwort nicht schuldig und gab für die Herbstmesse 1511 bei Thomas Anshelm in Tübingen den „Augenspiegel“ heraus. Dieses Büchlein trat jetzt in den Vordergrund der Debatte und des öffentlichen Interesses. Von den Juden und ihren Büchern war fortan keine Rede mehr, denn in dem Kampfe, der jetzt Deutschland in zwei große Parteien spaltete und die Gebildeten von ganz Europa in Mitleidenschaft zog, handelte es sich um viel Größeres und Wichtigeres, um das Recht der freien Meinungsäußerung gegenüber inquisitorischer Verketzerung. Auf seiten Reuchlins standen Männer wie Melanchthon, Spalatin, Eoban Hesse, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Pirckheimer, Hermann von dem Busche, Wolfgang Angst, Peutinger, Ökolampadius, Sebastian Brant, Crotus Rubianus u. s. w.; auf seiten der Gegner der rechtgläubige, aber beschränkte und verfolgungssüchtige Klerus. Reuchlin weist in seiner Schrift den Vorwurf der Bestechung unwillig zurück, widerlegt 34 Lügen Pfefferkorns und namentlich dessen Anschuldigung, daß er, Reuchlin, kein Hebräisch verstehe, ja, seine hebräische Grammatik nicht einmal selbst verfaßt habe.

Der Pleban Peter Meyer, der von 1510 bis 1524 in Frankfurt a. M. sich als Bücherkommissar der Kurfürsten von Mainz geberdete, verbot den dortigen Buchhändlern den Verkauf des „Augenspiegels“ auf der Messe. Hutten nennt diesen Meyer den unverschämtesten und ungelehrtesten Pfaffen von allen, welche Reuchlin übel wollten.[24] Aus anderweitigen Zänkereien mit der Stadt, dem Stift und dem Kurfürsten ist er allerdings als ein auch sonst sehr zank- und händelsüchtiger Priester unvorteilhaft genug bekannt. Als der Erzbischof jenes Verbot nicht bestätigte, ließ Meyer seinen Schützling Pfefferkorn vor der Kirchenthür gegen den „Augenspiegel“ predigen, der infolge dieser öffentlichen Angriffe, zumal er in deutscher Sprache und leidenschaftlich geschrieben war, nur desto mehr Käufer fand. Des weitern sandte Meyer ein Exemplar der angeblich anstößigen Schrift an die kölner theologische Fakultät. Diese aber übergab sie dem Professor Arnold von Tungern zur Prüfung darauf hin, ob etwas Ketzerisches darin zu entdecken sei.

Mit diesem Schritt war der Streit auf den Boden der Kirchengewalt und der Rechtgläubigkeit gezogen; im Hintergrund winkte sogar der Scheiterhaufen. Reuchlin, anfangs eingeschüchtert, leistete den ihm [400] zugemuteten Widerruf schließlich aber nicht, trat vielmehr im Gefühl dessen, was er sich und seiner Sache schuldig war, entschieden gegen seine Feinde auf. Er gab zunächst zur Ostermesse 1512 bei Thomas Anshelm deutsch bearbeitete Erläuterungen zu seinem „Augenspiegel“ heraus und trug damit den Streit in viel weitere Kreise. Arnold von Tungern dagegen, um nur das Verständnis für denselben nicht weiter ins Volk dringen zu lassen, veröffentlichte darauf in Köln seine auf scholastischer Beweisführung beruhende Prüfung des „Augenspiegels“ in lateinischer Sprache. Die kölner Theologen aber erwirkten vom Kaiser bei einem Besuche, den er ihrer Stadt im Oktober 1512 machte, einen Befehl, wonach Reuchlins „Augenspiegel“ im ganzen Reiche, namentlich in Frankfurt a. M., als seinem Hauptverkaufsplatze, unterdrückt und konfisziert werden sollte. Dieser Befehl scheint jedoch wenig befolgt worden zu sein; der frankfurter Rat z. B. legte ihn einfach zu den Akten. Reuchlin aber bekämpfte seine Gegner im März 1513 in einer heftigen, an den Kaiser gerichteten, jede Rücksicht beiseite setzenden Verteidigung, welche unter dem Titel „Defensio contra Calumniatores suos Colonienses“ bei Thomas Anshelm in Tübingen erschien.[25]

Nach den verschiedensten Kreuz- und Querzügen gelang es endlich den kölner Dominikanern, am 9. Juli 1513 einen Befehl des Kaisers zu erwirken, wonach die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, sowie der Glaubensinquisitor Hogstraaten die Reuchlinschen und einige andere Schriften wegnehmen und unterdrücken, ihre weitere Feilhaltung verhindern sollten. Jetzt hatten die Kölner, was sie wollten; die Kirchengewalt konnte nunmehr ihrem Gegner auch gerichtlich zu Leibe gehen, zumal die Universitäten Löwen, Mainz, Erfurt und Paris ihr Verdammungsurteil gegen den „Augenspiegel“ bereits ausgesprochen hatten. Das Buch roch nach Ketzerei: es mußte also vernichtet, sein Verfasser exemplarisch bestraft werden. In dem nunmehr gehaltenen Ketzergericht verhinderte aber der Erzbischof von Mainz das Vorgehen Hogstraatens; Reuchlin wurde am 24. April 1514 von den beiden Unterdelegierten des Bischofs von Speyer freigesprochen, welch letzterm die Sache von Mainz aus übertragen war. Hogstraaten appellierte an den Papst. Auch Reuchlin wandte sich im Juli 1514 nach Rom, wo der Prozeß zwei volle Jahre schwebte.

Um zu bekunden, welche ausgezeichneten Männer, welche bedeutenden [401] geistigen Kräfte Reuchlin zur Seite standen, veranstalteten seine einflußreichen Freunde alsbald nach seiner Ankunft in Rom eine Sammlung von Briefen berühmter Männer: „Epistolae virorum clarorum“, welche berühmte Zeitgenossen an ihn geschrieben hatten. Die Humanisten lernten sich, wie Strauß ausführt, bei dieser Gelegenheit zuerst als große Macht kennen. Alle freisinnigen Deutschen und Italiener scharten sich um Reuchlin; sie betrachteten seine Sache als die ihrige, und Reuchlinist oder Arnoldist (nach Tungerns Vornamen) wurde das Feldgeschrei in beiden Lagern. Männer wie Peutinger, Pirckheimer und Erasmus verwandten sich beim Papste und den Kardinälen für den Verfolgten. Am 2. Juli 1516 endlich fand die Schlußsitzung des Gerichtshofs statt, dessen sämtliche Mitglieder sich, mit Ausnahme eines eifrigen Dominikaners, für Reuchlin und gegen seine Ankläger erklärten. Der Papst wagte aber nicht, das Urteil zu verkünden, sondern erließ ein Mandatum de super sedendo, welches den Prozeß bis auf weiteres nach Belieben der Kurie hemmte und ein ferneres Vorgehen untersagte. So blieb die Sache vorläufig in der Schwebe. Erst am 23. Juni 1520 wurde durch einen päpstlichen Beschluß die Ungültigkeitserklärung der speyerschen Entscheidung wiederholt, welche Hogstraaten schon früher unter der Hand durchzusetzen gewußt hatte, ohne daß jedoch die Humanisten sich bis dahin irgendwie darum gekümmert hätten. Es war also jetzt offiziell der „Augenspiegel“ als ein ärgerliches, frommen Christen anstößiges, den Juden in unerlaubter Weise günstiges Buch für den Gebrauch untersagt und zur Vernichtung verdammt, Reuchlin aber zu ewigem Stillschweigen und in die Kosten des Prozesses verurteilt.

Der römische Donner kam zu spät. Als er verkündet wurde, nahm kaum jemand Kenntnis von ihm, denn andere, schwerer wiegende Interessen und Kämpfe standen im Vordergrund. Reuchlins Streit mit den Obskuranten war eine längst abgethane Sache, zumal auch Sickingen 1519 und 1520 die kölner Dominikaner zum Frieden mit Reuchlin gezwungen hatte, jener also thatsächlich nicht weiter gestört wurde. Wenn auch schließlich verurteilt, so stand der edle Mann doch in den Augen der Mehrzahl des deutschen Volks als Sieger da. Und mit ihm hatte die neue Richtung gesiegt, welche einen Blick in den Sumpf von Beschränktheit und Unwissenheit der Scholastiker und ihrer Anhänger eröffnet, der kirchlichen Autorität aber einen empfindlichen Schlag versetzt hatte.

[402] Der Hauptanteil an diesem Siege gebührte den litterarischen Waffen, unter ihnen vor allen jener unsterblichen Satire, den im Gegensatz zu den eben erwähnten Briefen sogenannten „Epistolae obscurorum virorum“, deren erster Teil Ende 1515 und deren zweiter Anfang 1517 erschienen war. Sie gingen von dem erfurter Humanistenkreise, den Freunden des Mutianus Rufus, aus. Obwohl sich über ihre Verfasser nichts Bestimmtes sagen läßt, so kann man doch mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß Crotus Rubianus hauptsächlich den ersten Band geschrieben hat, während an dem zweiten offenbar Ulrich von Hutten, Petrejus Eberbach und Eobanus Hesse vorzugsweise gearbeitet haben. Der dritte, gegen Ende des 17. Jahrhunderts erschienene Band ist keine Originalarbeit und tritt bloß den Witz seiner beiden Vorläufer breit. Auch über Druckerei und Drucker sind die Leser durch absichtlich falsche Angaben irregeführt worden. Die erste Sammlung (in Quart gedruckt) sagt, daß sie in Venedig bei Aldus Manitius (absichtlich so, statt Manutius) erschienen sei: auch ein Beweis dafür, welch hohen Ansehens sich die Aldinische Firma unter den deutschen Humanisten erfreute; die zweite nennt in leichtverständlichem Hohn die römische Kurie als den Verleger. Die Annahme, daß Editio princeps in Köln, Mainz oder Tübingen gedruckt sei, ist neuerdings von Steiff[26] schlagend widerlegt worden. Sie wurde vielmehr 1515 durch W. Angsts Vermittelung von Heinrich Gran in Hagenau (nicht von Thomas Anshelm) und die zweite Sammlung von Johann Froben in Basel gedruckt. Die Briefe fanden einen so reißenden Absatz, daß in dem einen Jahre 1516 vom ersten Teil drei Auflagen erschienen, deren letzte noch eine nicht unbeträchtliche Vermehrung durch acht Briefe enthält, wie denn auch der zweite Teil verschiedene Ausgaben erlebte.

Die Satire war in Anlage und Durchführung trefflich gelungen. Ihre Hauptabsicht ging dahin, den Obskurantismus in seiner ganzen Ohnmacht an den Pranger zu stellen und der Bildung und Geistesfreiheit den ihr gebührenden Sieg über Barbarei und mittelalterliche Verketzerungssucht zu sichern. Das schlechte Mönchslatein, die selbstgeschaffenen Wörter und Redensarten, die unnützen, lächerlichen und doch mit großer Wichtigkeit behandelten Streitfragen, die albernen Spitzfindigkeiten, gesuchten Erklärungen und Allegorien, die krasse Unwissenheit, der thörichte Aberglaube, die hohle Aufgeblasenheit und kindische Eitelkeit, der Mißbrauch [403] zusammengeraffter und schlecht verstandener Stellen aus Aristoteles und der Bibel, die zur Zeit herrschende Roheit und Schamlosigkeit der Sitten, wenn auch mit einem geistlichen Gewande umhüllt, waren in diesen Briefen so treffend nach dem Leben geschildert, daß jedermann die Originale zu erkennen glaubte. Die Bettelmönche in England jubelten im guten Glauben, eine Schrift zu ihren Gunsten und gegen Reuchlin in Händen zu haben, und in Brabant kaufte ein Dominikanerprior eine Anzahl von Exemplaren zusammen, um seinen Obern ein Geschenk damit zu machen. Erst der letzte Brief des zweiten Teils, der aus dem Ton der Ironie in den der Invektive fällt, öffnete den guten Leuten die Augen.[27] Männer wie Thomas Morus dagegen äußerten ihr Entzücken über die Briefe; Erasmus hatte eine solche Freude über den ersten Teil und las ihn unter Freunden so oft vor, daß er ihn beinahe auswendig wußte. Ja selbst am päpstlichen Hofe war man längere Zeit ehrlich und geistreich genug, das Treffende dieser Satire anzuerkennen. Luther dagegen, dem freilich jeder Sinn für Humor fehlte, fand die Angriffe übertrieben und nannte sie sogar albern.[28]

Übrigens beschränkte sich die litterarische Bewegung im Reuchlin-Streite nicht auf diese hervorragende Leistung. Die publizistischen Waffen hieben überall schneidig und wuchtig darein. Die zahlreichen Schriften zur Verherrlichung Reuchlins und die auch der Zahl nach unbedeutendern Gegenschriften der Kölner beweisen, wie mächtig dieser Streit namentlich von 1512 bis 1517 alle Kreise ergriffen hatte und wie tief er in weitere, nicht bloß gelehrte Kreise eingedrungen war. Böcking führt 44 Schriften an, welche von 1515 bis 1521 im Kampfe für und wider erschienen. Gleichwohl hatte diese umfangreiche Thätigkeit der humanistischen Kreise keine einschneidende und zündende Wirkung auf das Gesamtleben, aufs Volk. Der Grund dieser Erfolglosigkeit liegt darin, daß jene Männer sich fast nur der lateinischen Sprache in ihren Schriften bedienen und ausschließlich auf humanistisch gebildete Leser rechnen. Tungern, der wohl nicht deutsch denken, also auch nicht schreiben konnte, gab gegen Reuchlins deutschen „Augenspiegel“ seine angebliche Widerlegung lateinisch heraus, „damit die Sache nicht ins Volk dringe“, forderte also seine Gegner förmlich heraus, sich gerade der für ihre Zwecke am besten geeigneten Waffe zu bedienen. Indessen verstanden sie ihren Vorteil nicht. Wenn nun auch die humanistischen Schriften ins Deutsche [404] übersetzt wurden und in dieser Gestalt sogar in größere Kreise eindrangen, so vermochten sie durch ihren vornehm skeptischen oder derb satirischen, aber immer blos kritischen Ton doch nicht zur Begeisterung zu entflammen. Eine Bewegung, deren beste schriftstellerische Leistung in Mönchslatein verfaßt wurde, konnte höchstens klärend und vorbereitend wirken. Die bibliographische Statistik beweist, daß die deutsche Litteratur dem Humanismus eine nur geringe unmittelbare Förderung zu danken hat und daß sie höchstens mittelbar durch die Entwickelung seiner bedeutendsten, später deutsch schreibenden Vertreter, wie Hutten und von dem Busche, gehoben worden ist. Als bald nachher der Humanismus von der Reformation überflutet wurde, griff diese, wie die folgende Darstellung ergeben wird, gleich von vornherein, im Interesse der Selbsterhaltung, zur deutschen Flugschrift und gewann hauptsächlich durch sie das Volk für ihre Sache. Ohne diese mächtige Bundesgenossin wäre sie möglicherweise in ihrer Wiege noch unterdrückt worden.

Wem diese Ansicht etwa zu weitgehend erscheint, der möge doch einmal die Anfänge der hussitischen Bewegung mit der lutherischen vergleichen. Wäre die Buchdruckerkunst schon zu Anfang, statt in der Mitte des 15. Jahrhunderts erfunden worden, so würde die geistliche und weltliche Macht schwerlich im Stande gewesen sein, Huß ein so schnelles Ende zu bereiten. Daß Huß einen mächtigen Eindruck auch auf das deutsche Volk machte, wird mehrfach erzählt und ist leicht erklärlich. Als er auf dem Wege nach Konstanz durch Nürnberg kam, bildeten die Bürger Spalier in den Gassen, welche der böhmische Reformator berührte, und die Mütter brachten ihm ihre Kinder, um sie „von dem heiligen Mann“ segnen zu lassen. Alles Volk jauchzte ihm entgegen, weil es von seinem mutigen Vorgehen die Niederlage Roms erwartete, eine Hoffnung, welche schon damals die innerste Volksseele aufwühlte. Selbst die Geistlichkeit jauchzte ihm zu, als er seine Lehrsätze offen verteidigte, ja er war, wie er erzählt, bis dahin noch keinem ausgesprochenen Widersacher begegnet. Huß konnte jedoch über keine Presse, die seine Sache führte, über keine Buchführer, welche ihn verteidigten, und folglich auch über keine Leser, die selbst dachten, verfügen.

Fußnoten

[Bearbeiten]
  1. Burckhardt, J., Die Kultur der Renaissance in Italien. 3. Auflage von L. Geiger. Leipzig 1877. I, 220.
  2. Geiger, L., Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland. Berlin 1882. S. 323 fg.; Neuere Schriften zur Geschichte des Humanismus von demselben, in Sybels Historischer Zeitschrift. XXXIII, 49–125, und Johann Reuchlin, Sein Leben und seine Werke von demselben. Leipzig 1871.
  3. Mayer, A., Wiens Buchdruckergeschichte. Wien 1883. I, 161.
  4. Mayer a. a. O. S. 21.
  5. Geiger, Renaissance und Humanismus. S. 528.
  6. Geiger a. a. O. S. 537–539.
  7. Didot, F., Alde Manuce. S. 220.
  8. Kampschulte a. a. O. I, 236.
  9. Horawitz, Zur Biographie Reuchlins. S. 68.
  10. Baseler Taschenbuch von Fechter. 11. Jahrgang. S. 174 u. 187.
  11. Kampschulte a. a. O. I, 82. Didot a. a. O. S. 290.
  12. Horawitz, Der Humanismus in Schwaben. S. 23.
  13. Didot a. a. O. s. 297.
  14. Schück, J., Aldus Manutius und seine Zeitgenossen in Italien und Deutschland. Berlin 1862. S. 82.
  15. Didot a. a. O. S. 331.
  16. Didot a. a. S. 180.
  17. Didot a. a. O. S. 240. 241.
  18. Didot a. a. O. S. 226.
  19. Steiff, K., Der erste Buchdruck in Tübingen. Tübingen 1881. S. 106.
  20. Horawitz, Erasmiana. II, 30.
  21. Horawitz, Humanismus in Schwaben. S. 58.
  22. Kampschulte a. a. O. I, 253. 257.
  23. Daselbst I, 64.
  24. Strauß, Ulrich von Hutten. I, 289.
  25. Steiff a. a. O. S. 98.
  26. Daselbst S. 218.
  27. Strauß a. a. O. I, 235.
  28. Daselbst I, 237.