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Zeitbetrachtung

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Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Zeitbetrachtung
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zeitbetrachtung.




Geschieht nicht, was wir wollen, so wird doch geschehen etwas, das besser ist, denn wir warten auf ein zukünftiges Reich, wenn hier alles fehlgegangen ist.
 Luther. 30. Juni 1530.







 In die großen Entscheidungskämpfe hineingestellt, da es sich weniger mehr um die Religion der Zukunft als um die Zukunft der Religion überhaupt handelt und ein Mann wie der Leipziger Historiker Lamprecht als Ertrag der immer größeren Näherung der Nationen und ihrer Kultur nicht die kleinliche Berücksichtigung und Verwertung der öden und bedeutungslosen Streitigkeiten in der Christenheit bezeichnet, sondern die Verallgemeinerung der großen, die Welt aller Zeiten erfüllenden ethisch-religiösen Gedanken, woher sie auch kommen und wie gestaltet sie auch sein mögen, eine nicht der Christenheit allein, ja ihr nicht einmal zunächst und vornehmlich zugehörende Weltmissionierung begrüßt, – in solche Fragen, deren Austrag ja dem Glauben in alle Wege feststeht, mit den Sorgen und Wünschen für Volk und Kirche hineingestellt kann der Einzelne, so sehr er sich bemühen mag, die Vielheit der Erscheinungen zu erfassen und aus einheitlichen Gesichtspunkten zu ordnen, nur schwer hindurchfinden und muß sich genügen lassen, das hervorzuheben, was ihm besondere Beachtung abnötigt und darum zu verdienen scheint. Aber auch diese Behandlung der Dinge nach und an symptomatischen Erscheinungen, die wie Scheinwerfer weitverzweigte und in kaum aufspürbaren Hintergrund sich verlierende Bewegungen erleuchten können, hat| ihre großen Bedenken. Denn wer bürgt dafür, daß diese Einzelvorgänge recht aufgefaßt wurden, daß – man denke nur an die differierenden Berichte über die Austrittsbewegung in Berlin und anderwärts, wo der Wunsch nach Zahlen der Vater ihrer Feststellungen ist – mit objektiver Wahrheit berichtet ward? Es ist aber nicht nur den Gegnern des alten Glaubens, wenn dieses mir unsympathische Wort nun doch gebraucht werden will, zur Last zu legen, daß sie wahrnehmen, was sie sehen, und berichten, wie sie es aufgefaßt wissen wollen, sondern auch auf unserer Seite, die doch völlig der Wahrheit, nicht wie sie dem Empfinden sich gibt, sondern gerade dann, wenn sie ihm widerspricht, dienen will und soll, wird gefehlt. Die Presse, die mit heiligem Ernste und lautrem Eifer Gottes Reich in alter Weise mit neuen Mitteln fördern will, muß vor allem sich befleißen, Einzelvorgänge im gegnerischen Lager nicht auf sich gestellt sein zu lassen und in solcher Isoliertheit einzuschätzen, sondern das ihnen einwohnende Wahrheitsmoment noch zu erforschen und dessen zu gedenken, daß nicht unbedingt innerlich logische Folge ist, was in zeitlicher Darauffolge sich entwickelte: non semper propter hoc, quod post hoc. Welche Gedanken müßten sonst der Reformation, der Evangelisierung, ja der apostolischen Tätigkeit selbst entgegenstehen! Eben weil wir vor Gott mit unserem Urteil bestehen wollen, müssen wir die Symptome ernstlich prüfen, ehe wir aus ihnen allgemeine Werturteile deduzieren.
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 Nur ein Beispiel. Mit Recht ist bisher darauf hingewiesen worden, daß der sog. liberale Protestantismus, das dogmenlose Christentum, in der äußeren Mission wenig ausrichte. Bald drei Jahrzehnte hat der „Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein“ hinter sich und konnte trotz seiner gewiß in weiten Kreisen geteilten Grundanschauungen von Duldung, Ehrung, Hereinnahme verfeinerter heidnischer Ideen es doch nur auf sieben Missionare (von 920 deutschen) und auf 130 000 Mark Jahreseinnahme gegenüber 81/2 Millionen der alten deutschen Missionsgesellschaften bringen. Aber bei der Aufteilung der sog. Missionsnationalspende wurde man inne, daß eine verhältnismäßig große Summe für die liberale Mission gegeben wurde, und wird vorsichtiger in dem Urteil sein müssen, daß diese keinen Boden finde, obwohl sie reichlichen haben könnte. Matth. 7, 15 ff. lehrt Christus erst die Regelmäßigkeit von Symptomen| erfassen, ehe das Urteil gefällt wird, und erst aus der an einer Reihe von Erfahrungen erwachsenen Anschauung heraus scheiden und entscheiden. Wenn aber die Kennzeichen klar vorhanden sind, so kann und soll man urteilen. Würde, um dafür ein Beispiel zu nennen, vor 15 Jahren gegen gewisse Abbiegungen in der deutschen Gemeinschaftsbewegung, die deutlich und kennbar genug zutage traten, gegen die unevangelische Auffassung von Kirche und Heiligung mit ernster Absage aufgetreten worden sein, so wäre die Pfingstbewegung mit ihren oft schauerlichen Verirrungen nicht gekommen.
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 So sei es versucht, die, je öfter sie erfüllt werden soll, desto schwerer erscheinende und werdende Arbeit zu unternehmen und eine kirchliche Übersicht über das zu Ende gehende Jahr zu schreiben, aus der etliche Gedanken über die Gestaltung der Zukunft von selbst sich ergeben. Das Jahr 1913 war ein Jubiläumsjahr, und das sollte ihm eine gute Vorbedeutung sein. Denn ein geschichtsloses Volk wird die Beute des zwingenden Augenblicks: es hat nichts gelernt, alles vergessen. So trägt die Stunde wie einen Raub fort, was die Jahrhunderte als Besitz erworben und gelassen haben. Israels Weltstellung bleibt durch sein Gedächtnis und dessen treue Pflege gesichert; weil es in der Geschichte lebt, hat es Geschichte. Als die antiken Völker über geschichtliche Begeisterung als über eine jugendliche Naivität lächelten, da verloren sie ihr Anrecht an die Geschichte. Wer nicht feiern will, kann nicht arbeiten und wer nicht denkt, dankt nicht. Bei Gedankenlosen aber findet man weder Herz noch Mut. Man braucht nicht in Byzantinismus versunken zu sein – ruere vile in servitium schreibt Tacitus von den Zeiten des Tiberius – um mit Dank an die Kaisertage im Juni sich zu erinnern, da dem Kaiser gehuldigt ward, daß er als ein Hort des Friedens und ein Schutzherr der Friedenswerke dem deutschen Volke sich erzeigte, die christliche Weltanschauung in ihren Grundzügen fest bekannt und ins häusliche und berufliche Leben hereingenommen hat. Es war nicht eigentlich höfisches Gepränge, sondern die Feier trug familienhafte Züge. Dem monarchischen Prinzipe huldigte ein Volk, das trotz vieler Gegensätze und Gegenströmungen unter ihm am besten sich geborgen weiß. Mächtiger, gewaltiger redeten die Feiern von Kelheim und Leipzig. Die deutschen Fürsten, um den Kaiser versammelt, dankten mit ihrem| Volke für die großen Taten von 1813 dem Gott, der groß und wunderbar unzerbrechlich scheinende Ketten zerrissen und ein auf Jahrhunderte angelegtes Joch zertrümmert hatte. Es war echte, aus den Tiefen hervorbrechende Begeisterung. Als die Fürsten die Befreiungshalle verließen, und der goldene Sonnenschein über Berg und Tal erglänzte, da schien es wie eine freundliche Prophezeihung, daß der Gott unserer Väter aus dem düstern Gewölk von Streit und Bitterkeit, aus den Nebeln der Irrung und des Wahnes seine Gnadensonne unserem Volke noch einmal leuchten lassen wolle. Und die alten Lieder des Dankes und des Gelöbnisses erschallten weit ins Land hinaus. Es hat doch manch einer auf die geheimen Kräfte des Sieges und Segens sich besonnen, die vor hundert Jahren unser Volk über sich und seine Dürftigkeit und Kleinlichkeit gehoben hatten und der ewigen Gottesmacht gedacht, die oft lange schweigt, als hätte sie unser vergessen, und säumt in die Geschichte einzugreifen, so daß sie wie ein öder Mechanismus sich abzuwickeln scheint, bis sie eingreift und ihn als den Lebendigen erweist, der Völker gehen und kommen läßt und in seine ewige Pläne Menschenwerk und -wesen so weit einordnet, als es ihm gefällt. Die sittlich-ernsten, in Not gestählten Charaktere, denen das Gebet die einzig mögliche Sprache eines gepreßten Herzens und die schlichte Arbeit der Segen des Gebetes wurde, traten doch wieder vor die Augen des Volkes. Und das Volk hat die Gotteshäuser an den Gedächtnistagen wieder aufgesucht, die stille Sehnsucht nach Persönlichkeiten, nach gewissen Kräften und verlässigen Heilmitteln fand da und dort Worte, schüchterne vielleicht, unklare, unbestimmte. Aber die eine Erkenntnis blieb gewiß, daß nur Ewigkeitsernst der Zeit und ihren Täuschungen es abgewinnen und nur Ewigkeitssinn wirklich Beständiges erarbeiten kann. Ein nüchterner Beurteiler der Volkesseele hat es ausgesprochen, daß die Lauheit in den Scharen der fortwährenden Verneinung und unfruchtbaren Opposition von der Begeisterung der Feste herrühre. Daß Theorien nicht befreien und Diesseitigkeitssinn die irdischen Aufgaben kaum einschätzen, geschweige denn lösen kann, hat doch mancher gesehen.
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 Abseits von der großen Heerstraße hat in den letzten Tagen des Oktobers eine wenig gekannte Gemeinde ihr dreihundertfünfzigjähriges Jubiläum gefeiert, die einzige evangelische Landgemeinde in| Niederbayern. Sie verdient es, hier genannt zu werden, weil ihre Geschichte in die Bewegungen des ausgehenden 16. Jahrhunderts eingreift und ihre Geschicke in kleinem Spiegel die Geschichte unserer Kirche wiedergeben. 1563 am 17. Oktober hielt Magister Cölestinus in der Frauenkirche des Marktes Ortenburg bei Passau, geladen von dem ehrenfesten und bekenntnistreuen Grafen Joachim von Ortenburg und seiner von ihm für das Evangelium gewonnenen mutigen Gemahlin Ursula aus Fuggerschem Geschlechte, die erste evangelische Predigt, die unter allen Widrigkeiten nimmer verstummen durfte, vielmehr in den Schrecken des dreißigjährigen Krieges den vertriebenen Glaubensgenossen aus dem Lande ob der Enns die Heimat ersetzte. Als am Jubiläumstage aus den entlegensten Orten der niederbayerischen Diaspora die verstreuten, oft der Vereinsamung und Verkümmerung ausgesetzten Glaubensgenossen sich gegen Ortenburg aufmachten, um mitzufeiern und mitzudanken, und die Predigt über Ps. 77, 6 die Herzen auf die Pflicht der Erinnerung wies, daß sie eine Kraft sei und zur Tat treiben müsse, über den Gräbern der Bekenner, an den Grüften der ritterlichen Grafen die alten Glaubenslieder angestimmt wurden, da konnte unserer Kirche Art und Wesen deutlich werden. Sie feiert mit einfachen Mitteln, mit dem Liede ihrer Wallfahrt, dem Chorale, dem eine große, ernste Geschichte innewohnt, von Not hineingebetet und herauserklungen mit Dank und Lob. Ihre Feiern sind schlichte Zeugnisse von wenigen Treuen, nicht vielen Edlen und Gewaltigen, aber von etlichen Echten und Beharrlichen, ihre Hoffnung steht auf den Kräften, denen sie ihr Dasein verdankt. Mitten in die Not der Verkennung und Verfolgung verwiesen, zieht sie immer wieder die Einsamen an, mit denen sie zur rechten Zeit das heilsame Wort reden kann, und erweist sich durch ihre Erfahrung als mütterliche Trösterin. Aus den Gräbern der Heiligen und über den Schlachtfeldern, dahin man sie drängt, wird das Bekenntnis, das ihr Herr in der Stunde, da man’s am wenigsten hoffen konnte, Luk. 22, 28, den Jüngern bezeugt hat, laut und weithin bekannt, welchen Lohn das Bleiben der Beständigkeit und die ausharrende Geduld der Treue am Ende davon tragen soll.
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 Auf ein Jubiläum, dem unscheinbaren nach Art und Wesen vergleichbar, rüstet sich die Kirche. Das Jahr 1917 steigt herauf| und weckt Erinnerungen, Gelübde und Dank. Noch ist es nicht so weit, Parallelen zwischen 1817 und seiner Sattheit und Selbstzufriedenheit – ich erinnere an Klaus Harms bittere Reden wider die Glaubenslosigkeit unserer Tage – oder an die verordneten, wohlgesetzten Kirchengebete, die mehr ein Verzeichnis des durch die Tugend der Gläubigen Erreichten darstellen, und dem unverkennbaren Bußernste und Arbeitsmut zu ziehen, der jetzt unsere Kirche erfüllt. Aber mit hoher Freude wird man einen Gedanken begrüßen müssen, der in den Septembertagen auf der Allg. Ev.-Luth. Konferenz zu Nürnberg angeregt ward, es möchte ein Jubiläumsfonds gegründet werden, der jungen, wissenschaftlich tüchtigen Geistlichen lutherischen Bekenntnisses die akademische Laufbahn zu betreten ermögliche. Gerade weil aus liberalen Kreisen den Bekennern des alten Evangeliums das Schleiermachersche Wort vom Bündnis der Orthodoxie mit der Ignoranz und Geistesträgheit, mit der Barbarei vorgehalten wird und weil nichts wesenloser ist als der Vorwurf, Bibelglaube und Bekenntnistreue vertrügen nicht die wissenschaftliche Forschung, rufen wir mit der frohesten Zuversicht unserem theologischen Nachwuchs zu, er solle zeigen, daß nicht Religionspsychologie und Religionsgeschichte Wissenschaftlichkeit bedingen, sondern gründliche Exegese, exakte geschichtliche Forschung, systematische Begründung der Wahrheit.

 Wie viele Aufgaben warten unserer Fakultäten, Neufundierung der Glaubenslehre, weitere Erforschung der biblischen Grundbegriffe, Aufzeigung des biblischen Lehrbegriffes – es sei nur an Gloels „der heilige Geist in der Lehrverkündigung des Paulus“ erinnert! – ernste würdige Abwehr der Verflachung und Symbolisierung des Grundbekenntnisses. Darum sei der Gedanke der Allg. Ev.-Luth. Konferenz nicht als müßiger und überflüssiger beiseite gelegt, sondern freudig begrüßt und freundlich gefördert. Er will nicht Mittelmäßigkeiten züchten, sondern der Zukunft Lehrer schenken, die aus dem alten Grund Neues bauen. Freilich, Lehrgaben und Lehrerfolge schenkt Gott allein; dem Kirchenhistoriker Frank blieb versagt, was dem Systematiker in so reichem Maße geschenkt ward.

 An sich ist kaum eine Zeit geeigneter, solche Bitte und Mahnung zu unterstützen als die jetzige; einmal um der Not willen, weil die treuen, vielgeehrten und bedankten Lehrer des alten Bekenntnisses| meist bei Jahren sind und nach Unterstützung und Ersatz aussehen, zum anderen weil jetzt wieder die Zahl der Theologiestudierenden in Zunahme ist, quantitativ und – qualitativ. Es ist zwar in einer politischen Zeitung, die man gerade für solche Ausführungen lieber nicht benutzt sehen möchte, nachgewiesen worden – wohl aus Kenntnis etlicher Absolutorialzeugnisse – die wissenschaftliche Tüchtigkeit der bayerischen Theologiestudierenden nehme ab. Dem kann aus umfassenderer Kenntnis entgegengehalten werden, daß in den letzten Jahren die Zeugnisse besser lauten, aber auch die Abgangszeugnisse am Gymnasium noch kein ausreichendes Kriterium für Bildung abgeben. Vier Jahre vermögen an der intellektuellen, vorab an der sittlichen Ausreifung und Bewährung viel zu fördern. Wenn Schlatter, auf dem der Segen des seligen Beck ruht, die große Aula zu seinen Kollegien benutzen muß, die wahrlich ernstes Studium und gespannte Mitarbeit erfordern, und durch ihn hauptsächlich Tübingen mit 512 Studierenden Berlin mit 483 überflügelt, wenn Erlangen unter den 17 theologischen Fakultäten wieder den vierten Platz einnimmt und der Zahl sich nähert, die es in der Blütezeit zu verzeichnen hatte, so soll das nicht einseitig gedeutet werden, da Marburg und Heidelberg auch auffällig anwachsende Frequenzen aufweisen (Marburg 1893 155, jetzt 243; Heidelberg 1893 75, jetzt 173). Aber der Hoffnung darf Raum gegeben werden, daß das eigentlich theologische Studium wieder zu Ehren komme und gepflegt werde. Und wieder darf betont werden, daß die Bibelkenntnis zunimmt, der Grundtext fleißiger studiert und,die Bekenntnisschriften mehr beachtet werden. Diese Wahrnehmung ist nicht auf Bayern beschränkt.
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 Die lutherische Kirche geht zweifellos einer schweren Sichtungszeit entgegen: sie weiß aber, je weiter der Widerspruch gegen ihre Lehre und Lehrübung sich erhebt, desto mehr sich aus dem rechten Weg, gegen den eben der Gegensatz laut wird. Wenn sie zu Konzessionen bereit wäre, würde man sie gewähren lassen – papierne Beschlüsse und Entschlüsse tun nicht weh –, weil sie aber trotzig beharrt, je mehr sie sich in ihrem innersten Wesen als Bekenntniskirche kennen lernt, der es befohlen ist, das Geheimnis des Evangeliums durch alle Widerwärtigkeiten durchzuretten, ja gerade an ihnen als echt zu beweisen – „Herr, himmlischer Vater, betet Luther, laß| uns in alle Sünde fallen, behalte uns aber an dem und in dem, den du einen Herrn über Sünde und Unschuld gesetzt hast, daß wir denselben nie verleugnen noch aus den Augen lassen“ – so muß sie leiden. Ganz ohne Vermengung mit politischen und wissenschaftlichen Fragen, in armer Dürftigkeit rein auf sich selbst gestellt, nur aus Sündenschrecken, da „wir bis auf den ewigen Tod in dem Spital gelegen“, heraus in die Erfahrung der Gnade hineingerettet, dem „Kreuz Christi, das Lästerer haben muß“, als einziger Rettung verpflichtet hat unsere Kirche die hilflose Pietät des schlichten klaren Dankes, die vor Gott darum nicht geringer erachtet wird, weil sie so wenig ausrichtet, und wiederum deshalb nicht verzagen darf, weil sie so gar nicht den Ausgang des Kampfes sieht noch vor seinen Wendungen sich zu schützen weiß. Es liegt kindliche Vertrauensseligkeit in dem Bewußtsein, daß der Herr, der den Weg der Kirche so nahe an seinen Kreuzesweg gerückt hat, auch den Ausgang in Herrlichkeit schenken oder sie mit Ehren untergehen lassen werde. So haben die Synoden und Konferenzen unserer Kirche immer etwas Unbefriedigendes. Aber dem Herrn gefällt es im Dunkeln zu wohnen, und seine Kirche muß es sich gefallen lassen, für die nächste Zukunft in Ungewißheit zu bleiben. Sie weiß nicht einmal, ob sie das Notdach über ihren Häupten und den oft so morschen Zaun, der ihre Grenzen behütet, noch lange wird behalten können. So wenig es richtig ist, mit dem Gedanken des Verfalls der Landeskirche oder deren Zersetzung sich zu beschäftigen, als ob es nicht doch ein bittres Sterben würde, wenn die Herberge in der Wanderzeit plötzlich verlassen werden müßte, und so wenig es gesund lutherisch ist, etwa die Freikirche als die einzig rettende und bewahrende Kirchenform anzupreisen, da auch ihr, weil sie das Geheimnis lutherischen Kirchentums in sich bergen will, die großen inneren Gefahren begegnen und zuwachsen werden, welche die Landeskirche – vielleicht von anderen Türen her, aber doch in derselben Art umdrohen, so richtig ist es, innerlich mit der Auflösung der Landeskirchen zu rechnen, die, wenn nicht ein unvorhergesehener Einhalt und Aufschub geschieht, eintreten wird. Was in dem Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt sich ereignete, ist typisch. Wenn die Partei, die keine Kirche mehr haßt als die lutherische, weil sie in keiner mehr Wahrheitsmomente gegen ihre Theorien, aber| auch in keiner weniger Kraft diese Wahrheiten zur Geltung zu bringen sieht, – von Sieg zu Sieg schreitet, woran nach der Grundanschauung der neutestamentlichen Weissagung nicht zu zweifeln ist, so werden zuerst die äußeren Verbindungen zwischen Staat und Kirche gelöst, dann die inneren, durch Jahrhunderte segensreich gewesenen Beziehungen gefährdet werden. Der Ansturm gegen die geistliche Schulaufsicht ist gewiß von ihrer vielen gut gemeint: man will die Lehrer einer ihres Bildungsgrades und ihrer Leistungen scheinbar unwürdigen Bevormundung entziehen und einer ihnen doch nicht ganz gerecht zu werden vermögenden Aufsicht entnehmen und ihnen Vorgesetzte nach ihren Herzen geben. – Aber nach der Überzeugung des Verfassers dieses Artikels stehen innerhalb der Lehrerwelt und noch mehr außer ihren Kreisen ganz andere Tendenzen im Hintergrund, welche nach dem Gesetze der Schwerkraft durchdringen wollen und werden. So tut die lutherische Kirche, die auch äußerlich ärmste, wohl daran, Mittel zu sammeln und auf Wege zu sinnen, mit denen sie sich durch die Zeit erhalten und auf denen sie gehen kann, um ihre Weltmission zu erfüllen, freilich des gewiß, daß Einer ihren Füßen weiten Raum geben und vor ihm, wenn Finsternis deckt, auch der nächtige Weg licht sein kann.
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 Die lutherische Kirche – die „einsame Kirche, über die alle Wetter gehen“: das ist nicht empfindsame Redensart, sondern eine Tatsache, welche sie stärken und erheben kann und muß. Das Unklare und Verschwommene, das Unbedeutende und Mittelmäßige hat keine Feinde und erregt nirgends Gegnerschaft: man überläßt es dem ihm einwohnenden Sterbeprozeß. Aber der bedeutsame Kontrast zwischen dem idealen Rechtsanspruch der Kirche, Wohltäterin der Welt in Behütung und Ausspendung der Reichtümer des Evangeliums zu sein und in bewußter und willentlicher Beschränkung den weitesten Gesichtskreis zu haben – und der mühsamen Behauptung ihres Sonderrechtes und der kümmerlichen Ausübung und Verwertung ihrer Gaben im öffentlichen Leben, die Unbehilflichkeit und Schwerfälligkeit, mit der sie in Erscheinung tritt, erwecken ihr allenthalben Gegner. Der Katholizismus, dessen weltgewandte Tätigkeit in weltförmiger Arbeit wie in weltabgewandter Askese sich zeigt, der den Augenblick ausnützt, damit er der Zukunft nach seinen Plänen diene, kann unsere Kirche so wenig verstehen| wie ihren geistlichen Vater, den Mann, in dem nach unserer Überzeugung die apostolische Behauptung des Glaubens- und Lebensgutes am meisten sich ausgeprägt hat, „St. Pauli natürlichen Sohn“. Die Vergröberung und Verzerrung der ablehnenden Urteile über ihn, über „die bodenlose Roheit, Gemeinheit und Verkommenheit Luthers“ ist doch nur in der Tonlage anders als die maßgebliche in der Borromäusenzyklika. Und die sichtliche Bemühung etwa Grisars, Luthers Charakter zu verstehen, endet immer mit der Erklärung, in ihm ein unheimliches Problem sehen zu müssen. Dem ernsten, seines Weges gewissen Katholizismus – den sog. integralen lasse ich beiseite – muß in dem Freiprotestantismus, wie ihn die „christliche Freiheit“ Prof. Baumgartens vielleicht am klarsten vertritt, die genuine Ausgestaltung und das im Wesen des Luthertums belegene, darum mit dem Recht und der Macht innerer Konsequenz zum Durchbruch und zur Herrschaft gelangte Prinzip des Protestantismus erscheinen. Hinopferung jeder außerhalb des eignen Gewissens gelegenen Autorität, Preisgabe des normativen Schriftprinzipes, schließlich Indifferenzierung des grundleglich Neuen im Christentum sind, so glaubt der ernste Katholik, die Früchte des Giftbaums, den der unselige Apostat von Wittenberg in deutsche Erde gepflanzt hat. – Wo aber im Luthertum der Glaube der Väter, die Gemeinschaft mit der bekennenden Kirche aller Zeiten, die Anbetung des um der Menschheitssünde willen in den Tod gegangenen und zur wahren Gerechtigkeit der Menschheit auferstandenen Heilsmittlers sich zeigen, da erblickt katholische Anschauung der Dinge verkürzte Verbindungen mit der verlassenen Kirche, kümmerliche Residuen des alten Glaubens, den man bekämpft, um ihn zu vergessen, und dessen man bedarf, um ein Leben zu fristen.
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 Es soll jetzt nicht untersucht werden, welche innere Beziehungen bei scheinbar ausschließender Gegensätzlichkeit zwischen Freiprotestantismus und Katholizismus bestehen, etwa in der Hochhaltung des Verdienstlichkeitscharakters, in dem Kultus des Heroismus, in der einseitigen Bewertung der vita contemp1ativa. Die Paulus verwerfen, geraten über Franziskus in Verzückung, und die gegen die Jesuitengefahr unablässig streiten, versenken sich andächtig in das Bild des Ignatius. – Aber das muß gesagt werden. Wenn der Katholizismus dem Luthertum wirklichen Abbruch tun will, wird er es nicht direkt| bekämpfen – die Zeiten der Befehdung waren für uns immer Zeiten der Befreiung. Der Krieg hat seine Ehre und erhebt alles ins Ungemeine, das gilt auch auf dem Kampffeld der Geister, – sondern indirekt durch Begünstigung der die lutherische Eigenart halten und stärken wollenden, in Wahrheit ihres Grundes und Haltes beraubenden Freiprotestanten.
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 Der Schreiber dieses Artikels hat Gelegenheit nicht gesucht, aber gehabt, mit Vertretern des Modernismus aus Laienkreisen zu sprechen und hat dem regen Eifer und dem sittlichen Ernste seine Achtung nicht versagen können, auch gerne noch, wo Gemeinsames sich spüren ließ, es auf sich wirken lassen, hat aus Frauenkreisen Zuschriften von innerer Würde und Zartheit des Empfindens für das Gute, Große und Edle der liberalen Theologie erhalten, erkennt endlich in manchen Forderungen des sog. Laienbundes, der in Bayern, innerlich längst vorbereitet und begründet, an bestimmten Vorgängen den äußeren Anlaß nahm hervorzutreten, Ansprüche an, die aus protestantischem Gesamtbewußtsein erklärt, gewürdigt, vielleicht erfüllt werden müssen. Aber das alles kann ihn nicht hindern, in der Gesinnungsgemeinschaft den Gegensatz, die Aufhebung der Glaubensgemeinschaft, der Kirche, wie sie das Bekenntnis im rechten Verstand des Jesuswortes darstellt, zu erblicken und zu bekämpfen, zu bekämpfen mit den Waffen, die hier allein würdig und wirksam sind. Gewisse Kreise der lutherischen Kirche, denen diese lediglich Zuchtanstalt ist, wollen in drängerischer Weise mit unverhohlenem Mißtrauen gegen ein allzu mildes Kirchenregiment, vor allem und fast ausschließlich ein äußeres Vorgehen. Es gehört gleichfalls zu den Bitternissen in der Kirche, von denen oft am wenigsten verstanden werden zu wollen und unterstützt zu sein, die es gewiß treu meinen und an Liebe zu den Wahrheiten der Kirche und ihrem Heile uns nahestehen. Aber vielleicht darf doch Luthers Wort dem einen und dem andern Pfarrherrn, der im heiligen, aber nicht immer heilsamen Eifer genau weiß, was geschehen müßte und hätte geschehen sollen und nicht geschehen ist, und der urteilsbeschränkten, weil nicht alle Momente gleichmäßig erfahrenden, kennenden und abzugleichen fähigen Zuhörerschaft und Leserkreise seine Meinung aufnötet, gesagt werden: „Wenn wir sehen, daß das Regiment strauchelt, sind wir bald da,| meinen: Ei, so und so wollte ichs machen, und sollten wohl den Karren recht in den Kot hineinführen und gar über und über werfen, wenn wir regieren sollten. Daß uns also niemand kann recht tun, und wenn wir selber uns ansehen, sind wir selbst noch nie recht geworden“ (Predigt über I. Thess. 4, 13-18 zu Wittenberg 18. Aug. 1532 bei der Beisetzung des Kurfürsten Johann). Je länger, desto mehr wird die Auslegung der 1. Bitte, bei der unsere Väter anmerkten, daß in die Lehre das „Suspirium und herzliche Gebet“ Luthers hineingeraten, uns ins Gebet und den ernstlichen Kampf treiben: „Davor behüt uns, himmlischer Vater“, vor „andrer Lehre, denn das Wort Gottes lehrt“. Es wird und muß zur Scheidung kommen. Das Luthertum rechter Art, nicht das anstürmende und fleischlich streitende, muß von einer Auflösung seines Glaubensbestandes sich lossagen, wenn es nicht selbst sich aufgeben will. Daß diese innere Lossagung äußerlich kennbare Folgen haben wird, steht außer Zweifel. Aber wie dem Verfasser die Dinge sich geben und darstellen, werden die Bekenner der leidentliche Teil sein und, um das unleidliche, weil innerlich unwahre Nebeneinander zu meiden, auf vieles verzichten müssen, um Christi willen auch können. Nur sollen sie wohl zusehen, daß sie ein unbeflecktes Gewissen behalten, das herzliche Mitleiden mit denen, mit denen sie so gerne arbeiten möchten, aber nimmer können noch dürfen, nicht aufgeben; anerkennen, was noch anerkannt werden darf, um desto bestimmter und klarer ablehnen zu können, was nimmer getragen werden will, wenn die Bekennerpflicht, die Dankbarkeit und die Treue der Bewahrung nicht in Frage kommen sollen. Was aber den Kampf so erschwert und die Entscheidung so verlangsamt, ist die Uneinheitlichkeit und Ungeschlossenheit des sog. Liberalismus, dem man, so wie jetzt noch die Dinge liegen, geradezu Unrecht tun würde, wenn man ihm die Leugnung der Einzigartigkeit Jesu als charakteristisches Merkmal oder die Verkennung seiner ewigen Wohltat als bestimmende Sondermeinung ausprägen wollte. Es ist ein buntes Farbenspiel, ein vieldeutiges Gewebe, in das herzliche Pietät, dankbare Erinnerung, unbewußter Traditionalismus, scharfe Kritik, Gefühlswert und Verstandesurteil ihre Fäden hineinwirken. Wogegen der alte Glaube, bei dem die Gegner zu Unrecht einen ihren Anschauungen zustrebenden Zug bemerken| wollen, in der völligen, schriftgemäßen Anerkennung Jesu Christi, seines im Wunder anhebenden Erdenlebens, seines sündlosen Erdenwandels, seiner scheinbaren Zernichtung und wirklichen Verherrlichung, seiner Erhöhung und aus ihr sich vernötigenden Wiederkunft die einheitliche und einigende Grundanschauung besitzt. Es ist unbillig, sich selbst nur theologische, nicht religiöse Andersart zuzuschreiben, bei den Vertretern aber des alten Glaubens religiöse Differenzierung in jeder theologischen zu statuieren. Es mag z. B. über die Art der Inspiration Verschiedenheit der Meinungen bestehen: Hauptsache bleibt, daß sie selbst in ihrer Einzigartigkeit als das die heilige Schrift von allen literarischen Zeugnissen absondernde Merkmal anerkannt wird. Es mag über Einwirkung und Einwohnung des heiligen Geistes so oder anders gedacht werden, was ihre Vermittlung anlangt, – die Persönlichkeit des schöpferisch tätigen, in der durch den πρῶτος παράκλητος (Joh. 14, 16) geheiligten Knechtsgestalt, durchs Wort und Sakrament, diese „geheiligten Unscheinbarkeiten“ wirksam sich bezeigenden Gottesgeistes wird nicht geleugnet.
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 Joh. 8, 32 verheißt der Wahrhaftige dem μένειν ἐν τῷ λογῳ τῆς ἀληθείας – die γνῶσις τῆς ἀληθείας und aus ihr heraus die ἐλευθερία. Wenn der lutherischen Kirche die ὑπομονὴ τῶν ἁγίων und die πίστις μένουσα (Offenb. 13, 10) die höchste Sorge ist, so wird sie zwar die Einsame, über die alle Wetter gehen, bleiben, aber klaren Unterschied der Dinge lernen und Treue im Kampfe üben und schließlich ihren Sieg erleben. Wir haben auf den äußeren Erfolg gar nicht zu achten. Die nächsten Jahrzehnte werden dem Bekenntnis und der Entschiedenheit zu ihm nicht gehören, so wenig je eine Zeit ihr gehörte. Man wird in vielen Kreisen mitleidvolles Verständnis haben für die „Verkannten, die Übelberüchtigten, für die Bedrückten, für die verfolgten Minderheiten,“ die in Wahrheit Majoritäten, der Presse, des Beifalls der Autoritätsfeinde teilhaft und mächtig sind, man wird über „hierarchische Gelüste, über mittelalterlichen Zelotismus“ reden, vergessen, daß nicht der geringste Teil der Zustimmung zur Moderne auf ihrer Opposition gegen die pflichtgemäß sprechende Autorität, gegen die Übung der beschworenen Hirten- und Wächterpflicht beruht und in dem oft ernsten, würdigen, lichten Leben „liberaler“ Christen, dem| man als Gegenbild das lichtscheue, unoffene, in Winkelzügen sich gefallende, gedrückte und unfreie Dasein des Orthodoxen entgegenstellt, den Erweis der Richtigkeit ihrer Weltanschauung erblicken, wie es denn Unsitte auf allen Seiten ist, bei den Gegnern wie bei den Eigenen Einzelerscheinungen zu generalisieren: so sind jene und so sind wir.
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 Die lutherische Kirche hüte sich nur – das ist ein wohlgemeinter, aber auch wohlberechtigter Rat – vor Übertreibungen, wie sie in Broschüren für Stimmungsmache, in Massenaufgeboten, in schnell hingeworfenen Zeitungsartikeln sich finden, sie buche nicht, was gegen sie und was an sich gefehlt wird, οὐ λογίζεται τὸ κακὸν, weil so leicht dann die Freude über das Unrecht sich einstellt, sondern sie nehme in dem ihr vorausgesagten und aufgenötigten Kampfe Waffen der Gerechtigkeit zur Abwehr wie zum Angriff (2. Kor. 6, 7). So war die in Nürnberg versammelte Allg. Ev.-Luth. Konferenz, wenn wir recht urteilen, gestimmt. Nicht die verletzenden, sondern die strafenden, nicht die herausfordernden, sondern die zu Tatsachen sich bekennenden und sie um der Kirche und um der Gegner willen beklagenden Worte gaben den Hauptton. Die Antithese – das ist echt lutherisch – war nicht die Hauptsache, sondern die schlichte, ihres Weges gewisse These, wie sie in den beiden gottesdienstlichen Darbietungen, denen der Verfasser beiwohnen konnte, zum Ausdruck kam. In den Kernpunkt lutherischer Erkenntnis und wahren Lebens einführend ließen die Prediger am Morgen des 9. und 10. September die wissenschaftliche Zurüstung, wie sie ihr Beruf erwirbt und besitzt, bedarf und darbietet, nicht vermissen, aber weder gleißen noch klirren, sondern nur der Erbauung der Gemeinde dienen. Die Innigkeit und Tiefe des einen, die Schlichtheit, Geradheit und frohe Gewißheit des andern Zeugnisses haben dem Freunde der lutherischen Kirche das Herz erfreuen, ja zum Jubel stimmen müssen über einer Kirche, die so predigen kann, so ohne Rhetorik und Schmuck zum Herzen reden darf. Nichts von Auseinandersetzung mit modernen Problemen, keine Zitate von Goethe bis auf Ibsen, daß man immer mit Unruhe an die Lücken im Büchmann daheim und im eigenen Wissen denken muß, sondern die majestätische Gewißheit des alten Glaubens an den, der nicht erst zu überwinden braucht, und die herzstärkende Weissagung des endlichen Sieges. Dazu kam das treue Vermächtnis| des greisen Mitherausgebers dieser Zeitschrift, der je wirksamer und ergreifender sprach, je weniger er es liebt, auf das Gemüt zu wirken, das gute Zeugnis eines τὴν διακονίαν πληροφορήσαντος. D. von Zahns, unseres ehrwürdigen Altmeisters, Rede war der Ertrag eines reichen ganz der Schriftforschung in heiligem Ernst geweihten Lebens, die Mahnung eines auf den Höhen der wissenschaftlichen Arbeit und Erkenntnis Wandelnden, diesem äußerlich wohl und trefflich bezeugten und innerlich je und immer sich bezeugenden Schriftworte Treue zu halten, es durchzuleben, durchzuleiden und so aus Leben und Leiden zum Siege der Gewißheit und zur Gewißheit des Sieges zu gelangen. Gerade in dem etwas einfacheren Programm, das manche gegenüber dem von Rostock (1904) und Upsala (1911) beklagten, lag für andere die dankenswerte Weisheit der Beschränkung auf das Eine und Nötige. Die Anwesenden waren nicht Gäste einer beliebigen Konferenz aus der schola quaerentium, um mit Melanchthon zu reden, sondern Glieder der kämpfenden, des Ernstes der Lage sich wohl bewußten Bekenntniskirche, der ecclesia possidentium. Und Nürnberg mit seiner Vergangenheit und Gegenwart, mit seiner Zukunft gab dem Ganzen, für das man danken muß, auch wenn es nur wieder einmal festgestellt hätte, was nicht oft genug festgestellt werden kann, daß es sich nicht um theologische, sondern um religiöse Gegensätze in der Kirche handle, den wirkungsvollen Hintergrund. Löhe, der Pfarrverweser von Egydien und bei St. Lorenz, seine Vater-Unserpredigten und seine machtvolle Predigt über die Epistel des vierten Trinitatissonntags, die Bibelstunden im Helfferichschen Hause zur frühen Morgenstunde, und die ehrwürdigen Gestalten von Rehberger und Schöner, der Kaufleute Kießling und Volk, des Rosenbäckers Burger, des „getreuen Eckart lutherischen Bekenntnisses,“ des edlen Freiherrn Adolf von Scheurl, die frommen Humanisten Roth und Nägelsbach mit seiner ernsten Mahnung und Warnung „vor unheilvollem Heidentum, wenn man nicht am Evangelium festhalte“ (Vorwort zur homerischen Theologie), Schuberts und Karl von Raumers, Hofmanns und Thomasius gesegnete Gestalten, ihre Arbeit in der Kirche und für sie, und weiter zurück die Bekenner des 18., die Streitbaren des 17. Jahrhunderts, die Reformationsfreunde des 16. Jahrhunderts, sie alle traten vor das rückwärtsschauende Auge, eine| Wolke stärkender, tröstender, mahnender Zeugen, daß man das Wort der Geduld bewahren solle, damit es uns bewahre. Und angesichts der Gegenwartslage, die in Nürnberg, dem Vorort protestantischen Lebens nicht nur in Bayern, drei scharf geschiedene Parteigruppen da gezeitigt hat, wo man durch Jahrzehnte viel Lauheit und totes Kirchtum neben bewußter Ablehnung und ebenso bewußter Erfassung des Christentums zu erblicken gewohnt war, kann man ernster Sorgen nicht sich erwehren. Den geistlichen Führern und Beratern des Freiprotestantismus muß das Zeugnis gegeben werden, daß sie religiöse Bewegung und Beweglichkeit erweckten, Kirchen füllten und voll zu erhalten wissen, daß sie in ihrer Weise eingehende Seelsorge üben und besonders die Lehrerwelt für große Fragen zu interessieren verstanden. Die beliebten, aber auch zu fürchtenden Umfragen, die durch Gewinnung eines Querdurchschnittes ein geschichtliches Urteil zu vermitteln suchen, aber gewiß der Gefahr der Einseitigkeit nicht entgehen, weil schon die Erkundung nach der Stellung zu einer aktuellen Frage für diese Stimmung macht, vollends weil das, was tolerieren will, gern aus Toleranz hinter dem zurücktritt, was toleriert werden soll, und der eigene Standort in Erfassung der fremden leicht zerbröckelt, – diese Umfragen haben dem Freiprotestantismus viele von ihm gewiß reichlich zu verwertende Anerkennungen zugeführt. Daneben will eine Gruppe in der Stille vermitteln, im Kampfe mäßigend, in der Schärfe der Gegensätze mildernd wirken, Gemeinschaft, wo sie noch denkbar und ausführbar ist, ermöglichen, während die Bekenntnisfreunde, die eigentlich das Kirchenvolk vertreten und durch dieses überflüssig gemacht sein sollten, dem Modernen gleich durch Vorträge, Versammlungen, Besprechungen für das umdrohte Kirchengut treu und ernst eintreten. Wem äußerlich die Zukunft des Protestantismus in Nürnberg gehören wird, ist unschwer zu sagen. Der Mittelpartei s. v. v. keinesfalls, äußerlich kaum dem Bunde der Bekenntnisfreunde, die schon um deswillen schwer Eingang finden, weil sie mit ihren Kirchenoberen nicht kirchenpolitisch, aber von Herzen eins sind. Denn nach dem Sinne des Kirchenliberalismus ist das Kirchenregiment nicht befugt, in die Fragen der Einzelgemeinden einzugreifen, und gilt es als ganz unevangelisch, Glaubensbekenntnisse für den Einzelnen zu normieren, als ob es das wollte; seine Funktionen seien vielmehr rein äußerliche, verwaltungsmäßige,| administrative, schließlich solche, die seine Überflüssigkeit genügend kundtun, bis es, von dem Gemeindewillen verjüngt und neugewählt, eine fröhliche Auferstehung feiern kann. Die Solidarität, welche unsere Lehrerwelt auszeichnet, der Zusammenschluß des autonomen Bürgertums mit politischem Einschlag, der Dank für Gebotenes und die Hoffnung auf weitere Fortschritte sichern, wahrlich mehr als seinerzeit denen um Ghillany und Platner (1849), dem Laienbunde die Beherrschung des protestantischen Nürnbergs. Und damit weiter Kreise. Denn wenn es auch nicht heißen soll, daß, wenn Nürnberg denkt, die Welt denke, so wird doch weithin der fröhliche Fortschritt der Freiheit, unter der die meisten recht wenig Abhängigkeit verstehen, begrüßt werden. Die bekannten Predigtbücher, die, um ein Wort des alten D. Boeckh anzuwenden, bei gutem Wetter diensam sind, haben weit mehr Herzen gewonnen als man weiß, bis weit in die bekenntnistreuen Häuser hinein, werden vorgelesen, wo man gesunde und gute Predigten begehrt, in Instituten, die ihre kirchliche Korrektheit betonen, gebraucht und erwecken in urteilsfähigen Kreisen, z. B. Norddeutschlands den oft ausgesprochenen Gedanken, es sei in Bayern eben doch nur Theologengezänke mit der den Orthodoxen so gern eigenen rabies und die Verfasser der Predigtbücher könnten und sollten bedeutendere Kanzeln zieren als ihre heimischen. – Daß der Fortschritt des Katholizismus und seine Klostergründung in Nürnberg Besorgnisse zu erwecken geeignet ist, sei nur nebenhin erwähnt; denn das ritzt die Haut, das andere geht ans Herz. – Es ist die Ehre des gesunden Luthertums, in der Minorität zu sein und in ihr doch sich als die siegreiche Kraft zu erkennen und zu erfassen. Und es ist seine Kraft, „durch die Sorgen ins Gebet sich treiben zu lassen und die Sorgen durch Gebet zu vertreiben“. Dieses „sich zu Tode hoffen“, das Melanchthon so gern sich und anderen empfahl, wird der umdrohten und befehdeten Kirche niemand wehren können und ihr Gott segnen.
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 Irren wir, wenn wir glauben, daß aus manchen Ländern, auch solchen, die an sich nicht lutherisch sind, der Kampf des Luthertums mit betender Teilnahme verfolgt wird, weil es eine eigene Sache gilt? Wenn in Schweden die Waldströmianer – etwa unseren Gemeinschaftskreisen gleich, doch mit geringerer Teilnahme an der Kirche – gegen die Aufnahme von Religionsgeschichtlern| in theologische Fakultäten zugleich mit der lutherischen Theologie protestieren oder in Baden die Gemeinschaftskreise ganz klare Parole ausgeben, zu welchen Geistlichen sie noch gehen könnten, zu welchen nimmer, wenn das Aus- und Umpfarrungssystem im Elsaß, in Hamburg die Kapellengemeinde Fortschritte macht oder in Berlin der Schutz für die Minoritäten aufgerufen und erbeten wird, – den diese, falls sie vom Bekenntnis dissentieren, in den Rheinlanden selbst sich zubilligen, wobei ein fremder Oberhofprediger ihnen geistliche Speise bietet! –, wenn der kurz zu berührenden Generalsynode des diesseitigen Bayern (16.–30. September) vielseitiges Interesse von auswärts begegnet, so ist das Zeugnis genug dafür, daß die Kämpfe des Luthertums um seinen Bestand wohl gewürdigt und verstanden werden. Noch einmal sei gefragt, ob das Landeskirchentum Raum genug für diese Kampfzeiten und Werdeprozesse einer um das Alte im Neuen ringenden Kirchenzeit bieten kann, ja bieten darf. Aber die Flucht in die Freikirche, als ob diese eben in ihrer Verfaßtheit und durch sie Schutz vor der Irrlehre böte, ist ohne göttliches Geheiß nicht anzuraten, hat auch noch keine Verheißung. So sehr wir der Freikirche Licht und Luft und freudiges, friedsames Wachstum gönnen und bedauern müssen, daß die hessische Renitenz kaum Zukunft, die evangelisch-lutherische Kirche in Preußen wenig Zuwachs hat, wissen wir doch, daß auch sie von Lehrstreitigkeiten, freilich peripherischen, die aber schließlich doch auf zentrale Punkte kamen, nicht verschont blieb, und fürchten auch, sie werde, eben weil sie mit reinlichem Ernste lutherische Lehre behaupten will, in deren Bestreitung nicht nur von außen her, sondern auch von innen heraus einbezogen werden, wie die lutherische Kirche Amerikas beweist.
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 Die Form, in die Gottes Geheimnis mit seiner Kirche für diese Weltzeit gefaßt werden will und kann, muß der schaffen, der das Geheimnis selbst geschenkt hat. Er wird den Geist selbst die Form bilden heißen und wir. werden darüber stille bleiben dürfen. Daß wir nur die Betätigungen äußerer und innerer Mission nicht in die bestehenden kirchlichen Ordnungen einzwängen und sie vernötigen, an den Kämpfen teilzunehmen, da sie doch, mit Joh. Falk zu reden, Charpie für eiternde Wunden bereiten sollen, sie beide, denn auch die äußere Mission soll heilkräftig für die Kirche wirken,| indem sie den Blick weitet, das Herz auftut, den Mut durch ihre Fortschritte stärkt. So hat manch einer unbeschadet der Anerkennung des guten Willens die Missionsnationalspende mit der auf sie gewandten Organisation und Agitation sorglichen Auges betrachtet und denkt skeptisch über den Betriebsfonds, den man zurückbehalten hat ad nutum imperatoris. Es sind Mittel angewendet worden, die Haussammlung z. B., die Bedenken erregen, die Loyalität bei dem besonderen Anlaß ward mächtig angerufen, Leugner der Echtheit des Missionsbefehls, ja selbst des Missionsgedankens bei Jesu setzten ihre Namen friedsam neben den der Männer des Alten Glaubens, der Weimarer Missionsverein, den die Edinburgher Weltkonferenz ebenso ablehnte als die kontinentale Missionsvereinigung, ward gleichberechtigt, und auf der Liste der Missionszuwendungen prangt auch die – Adventistenmission! – Wird nicht mancher Mißerfolg bedeutender Missionen einmal darauf zurückgeführt werden müssen, daß sie zu viel Kirchenpolitik trieben und in die äußeren Sorgen der Heimatkirche sich verflochten, so daß Blick und Kraft verkürzt wurde?
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 Und je regsamer die Innere Mission sich zeigt, die in dem kleinen Bayern, auf klarem Bekenntnisstand sich erbauend, letzter Jahre Bedeutendes geleistet, Bedeutenderes angeregt hat, je größeren Arbeiten sie willig und freudig mit der Jugenderziehung, mit der Nachpflege der Kirchenarbeit und der Aufsuchung der Entkirchlichten sich unterzieht, desto mehr muß man ihr Licht und Odem gönnen und lassen. Was unter dem Segen der verfaßten Kirche, freilich oft einem verspäteten, in die Erscheinung trat, ohne aus ihr geboren zu sein, soll frei sich entfalten. Wobei es sich von selbst versteht, daß die inneren Sorgen der Kirche, nicht der verfaßten, sondern der über sie hinausragenden des dritten Glaubensartikels je mehr die Mission erfüllen und beschäftigen, je mehr sie dem Bekenntnis dient in Tatpredigt und Predigttat. Es bleibt eine große Demütigung für lutherisches Bekenntnis, daß es die Schönheit des Dienens etwa in der Diakonie – wenn vordringlichere Aufgaben zu näherem und nächstem Dienste mangeln – so wenig darlegen kann. Der Katholizismus muß fast seine „Freiwilligen“ zurückhalten, das Luthertum wirbt und bittet vom frühen Morgen bis zum Abend, aber die Müßigen wollen nicht kommen, sie haben die Frauenfrage zu lösen| oder das Problem der Laienpredigt zu studieren. Die Diakonissen- und Diakonenhäuser sind doch nicht nur Marksteine des wiedererwachten kirchlichen Lebens, sondern mit dem gleichen Rechte Denksteine eines nicht genug wachen. Dazu wird je länger je mehr eine große soziale Einseitigkeit und Eintönigkeit durch den Zufluß solcher herbeigeführt, die nicht aus Liebe zum Dienen überhaupt, sondern zu solchem höheren Dienste kommen. Und es ist desgleichen zu beklagen, daß die Mission, welche einst die meisten akademisch gebildeten Sendlinge hatte, ihrer immer mehr ermangelt. Aber das ist zu erbitten, daß in all diesen Werken das Bekenntnis treibende, tragende Kraft und seine Ehre und Ausbreitung Aufgabe und Ziel sei. In der äußeren Mission wird der Mangel an Bekenntnisgewißheit – wir reden nicht von äußerlich korrekter, sondern von der innerlich treibenden Kraft der Gegenliebe für das Geheimnis der Erlösung – am ehesten sich rächen. Kulturelle, zivilisatorische Arbeit unmittelbar zu treiben, kann denen nicht beschieden sein, die nur mittelbar in der Ausbreitung des Evangeliums sie zu treiben versprochen und Befehl haben. Manche verfallene Mission aus früheren Zeiten redet deutlich davon, wie Gott sein nicht spotten und Mission sich versprechen läßt, während nationalistische und kolonisatorische Gedanken im Vordergrund standen. Möge auch die mit neuem Eifer betriebene und betonte ärztliche Mission nicht einen Fremdkörper in den Missionsbetrieb einführen, sondern als heilsames Mittel zum heilsamsten Zweck sich bewähren.
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 Die Innere Mission, so nahe an den Grenzgebieten der humanitären und philanthropischen Veranstaltungen und Werke, speziell die Diakonie in der Pflege der Kranken, aus der sie vielleicht bald, wenn auch nur auf kurze Zeit, verwiesen werden wird, in der Betreuung der Gefährdeten und Gefallenen, zu der jetzt allerlei Ligen und Bündnisse nach und mit Enthüllungen und Statistiken sich drängen, die mehr Unheil stiften als die Tatsachen selbst, läuft Gefahr, zu verflachen und stumpf zu werden. Wenn in einer einzigen medizinischen Abteilung einer Diakonisse 47 Mädchen evangelischen Bekenntnisses unterkommen, die sich durch Gift aus dem Wege räumen wollten, und das in elf Monaten – so muß Gott selbst helfen, sonst vergeht man im Elend, indem man es gewöhnt, und neigt zur Beklagung des Geschickes, statt zur Aufzeigung seines| verschuldeten Grundes. Das Leben als Roman und der Roman des Lebens treten in den Magdalenien so hart an die Diakonissen heran, die Wegwerfung des Gottesglaubens, sodann der Gottesfurcht und der Selbstzucht erscheint so begreiflich, so naturhaft, die Untauglichkeit der Religion, aus dem Sumpf zu ziehen, wird so glaubhaft, daß den einzelnen der Mut zum Zeugnis wider die Sünde und für die einzige Arznei entfällt.

 Manche Anzeichen – es ist dies schon öfter angedeutet worden – lassen befürchten, was ja wohl erklärbar ist, daß die moderne Weltanschauung, wenn sie auch kaum imstande sein wird, Diakonissenhäuser zu bauen und zu erhalten, doch imstande sein kann, über die Mauern zu steigen und Eingang zu erzwingen, wo nicht freiwillig die Tore geöffnet werden. Je inniger und wahrer die Häuser ihrer Kirche, der Kirche Wohl und Wehe erleben und erfahren, desto leichter wird gerade im Frauengemüt, das in Erregbarkeit dem Neuen und in Gefühligkeit dem „Bekämpften und Bedrückten“ zufällt, die Beschäftigung mit dem lichten, katechismusfernen, gottfrohen und Sünde und Schuld anmutig bedeckenden, neuen Glauben statthaben. Man wird, weil man in der Familienhaftigkeit des Hauses es kann, den Mut haben müssen, die „Begierde nach der Zahl“ zu bekämpfen, welche aus der dinglichen Notwendigkeit so leicht erwacht, und lieber kleinere Häuser auf altem Grund als große auf wankendem zu leiten. Dabei sei die bedeutsame Frage, wie Diakonissenhäuser nicht künstlich zu verkleinern, aber weise zu teilen sind, nur angeregt: sie zu erörtern ist weder Sache dieses Aufsatzes noch dessen, der ihn schreibt.

 Fast ungezählte, wie eine geharnischte Schar aus dem Boden wachsende Fragen umgeben den Mann der Kirche. Neugestaltung des Religionsunterrichtes in der Volksschule, etwa mehr Geschichts-, weniger Katechismusunterweisung, als ob nicht beides in wahrer Wechselwirkung geschehen könnte, Behandlung der biblischen Geschichte nach dem „gesicherten“ Ergebnis moderner Forschung, als ob es gesicherte Ergebnisse in unserer Zeit der Überraschungen geben könnte, – oder sollten etwa Abraham, Joseph, Moses als ἥρωες ἐπώνυμοι gefeiert werden? Verwertung der Bibelkritik, damit man etliches über das biblische Buch wisse, nichts aus ihm. Der Religionsunterricht aus den Gymnasien, der die besten Kräfte| erfordert, soll anregend und doch lehrhaft, fesselnd und doch klar bestimmt sein, nicht auf Entdeckungen ausgehen, sondern das εὕρημα αἰώνιον Hebr. 9, 12 nahebringen. Wird es noch gelingen, unsere Gebildeten – wer dieses Wort recht deuten, seine Grenzen und sein Recht gut würdigen könnte! – nicht durch Versöhnung von Christentum und Gegenwart, wobei jenes an diese zahlen mußte, sondern durch Erklärung des Christentums aus der Gegenwart und dieser aus ihm, für die armselige Torheit des Kreuzes, die doch höchste Weisheit ist, zu gewinnen und sub specie mortis et aeterniatis den darzustellen, der dem Tode die Macht genommen und die Ewigkeit aus einem lichtleeren Raume zu der Vaterheimat gestaltet hat? Wird man den Mut noch aufrufen können, dem die causa victa gefällt, weil die causa victrix auf der Heerstraße gepriesen wird? Wer reicht die Waffen gegen den Monismus dar, der bald im Gewande des verzückten Mystikers bald mit dem Seziermesser des kalten, nüchternen Kritikers die Existenz des persönlichen Gottes, die Verantwortlichkeit des Innenlebens ihm gegenüber bestreitet? In die trüben, ungründigen Wellen eines in Buddhismus und Enthusiasmus, in Welttrunkenheit und künstlicher Hypnotisierung daherflutenden Meeres starren Tausende als in eine neue, das Christentum erst recht zum Verständnis bringende Offenbarung. Wer bannt diesen unheimlichen Zauber, dessen Wirkung weit größer, jedenfalls weit gefährlicher ist als der Ostwalds und Horneffers? Wie bringen wir die einzige Frage um das Heil der Seele, um deren Verantwortlichkeit für sich und die des Nächsten an unser in dem Diesseitsdienste langsam erstickendes Volk, dem der Grund unter den Füßen weicht, weil die Sünde kaum mehr genannt, geschweige geahndet wird? Zehntausend Ehescheidungen hat ein Jahr der Reichshauptstadt gebracht, die furchtbaren Prozesse, in denen die Sünde gegen das fünfte und sechste Gebot nur mit der gegen das siebente abwechselt, werden breit und behaglich geschildert, und der Verteidiger scheut sich nicht, Dirnen mit Ehrennamen vor Gericht zu nennen. So wälzt sich wie ein breiter dunkler Strom Gottesferne, Menschenverachtung, Lebensbejahung in Lust und Lüsternheit, Lebensverneinung, wenn der Taumel vorüber ist, durch unser Volksleben dahin, und vergebens steht der Herr unseres Volkes, dessen Geschichte er mit sonderlichen Erweisen seiner Macht und Gnade| geschmückt hat, am Ufer: Ach, daß du auf meine Gebote merktest, so wäre deine Gerechtigkeit wie ein Strom und dein Friede wie des Meeres Wellen. Aber die Gottlosen wollen keinen Frieden, so haben sie ihn auch nicht.

 Um so mehr sollten diejenigen sich zusammenschließen, die in Jesu, des barmherzigen Hohenpriesters Tränen und Trauer, in seinem Mitleid, das vom Kreuz bestätigt und in ihm erfüllt wird, ihre Rettung gefunden haben, in dem menschgewordenen Erbarmen Gottes ihres Daseins Berechtigung erblicken, sich zusammentun zur ernsten Arbeit an der eigenen, zur treuen Sorge für die Seele des Volkes. Zwar an äußeren Verbindungen und Verbündnissen ist kein Mangel, – sie müssen wohl sein, solange man der Erde angehört, und dürfen sein, solange sie nicht vorherrschen und das Nebensächliche und Gegenständliche zur Hauptsache und persönlichen Lebensbedingung erheben. Aber fürbittende, fürsorgende Persönlichkeiten tun not, die, wie Luther einmal kühn, scheinbar schier unevangelisch an Melanchthon schreibt (von der Koburg 29. Juni 1530) „an unserer Statt glauben, sonst wäre keine christliche Kirche und hätte uns Christus am Ende der Welt verlassen“. –

 Es scheint eine der Endzeiten heraufzuziehen: die Gegensätze verfestigen, die Widersprüche klären sich. Und darum ists eine große Zeit. Groß auch, weil der Herr, dessen Sache uns so viel Widerwärtigkeiten und innere Not erweckt und um dessen Sache es geht, teilnahmlos, so urteilen wir, schweigt. Es ist die Offenb. 8, 1 ff. geweissagte σιγὴ ὡς ἡμίωρον. Wenn er in Wettern redet, wider Völker zeugt, Beben und Angst über die Erde sendet, mag er sonst wohl schweigen. Aber in der heiligen und heilsamen Stille hört er ohne Verzug das Flehen der Seinigen und spottet ihrer Feinde. Der im Himmel sitzt, lacht ihrer (Ps. 2, 4). „Weil nun dieser unser Fürst lacht, sehe ich nicht, warum wir weinen sollen vor ihm. Lacht er doch nicht seinet- sondern unserthalber, auf daß wir um so mehr getrost seien. Man sieht nicht, was es ist, aber Er wird’s sein, so werden wir’s sehen.“ So Luther an Spalatin. Ein viel angelaufener und gewiß viel gesegneter Evangelist unserer Tage, Pastor Keller, beklagt in seinem neuesten Buche „die Auferstehung des Fleisches“, daß die „letzten Dinge“ im akademischen Unterricht, in den Lehrbüchern (NB. nicht nur von Ritschl. Vf.), im Konfirmanden-| und Katechismusunterricht, besonders aber in der Predigt so summarisch, ja mit einer gewissen Ängstlichkeit behandelt würden. Wir, die Schüler Franks, danken neben dem Vielen, was die Ewigkeit erst klarlegen wird, unserem teuern Lehrer auch das, daß er in den letzten Stunden des Kollegs über den zweiten Teil der Dogmatik, die wie Beichtreden und seelsorgerliche Vermahnungen an uns kamen, dem τετέλεσται am Kreuze (Joh. 19, 30) das γεγόναν factum est (Offenb. 21, 6) vom Throne der Erhöhung entgegenstellte, der Verheißung die Verwirklichung, der Idee die Realität. Aber es ist etwas Wahres an Kellers Vorhalt. Wir müssen, um die Zeichen der Zeit recht zu deuten und unsere Herzen zu stärken, mehr in den letzten Dingen leben, nicht an der Hand eines schattenhaften Kommentars, der in trübseliger Aufzählung der alttestamentlichen Parallelen und auch der sibyllinischen Orakel und in etlicher Textkritik nebst Konjekturen proprio Marte die Offenbarung abtut, sondern in betender Versenkung in das Buch „des Theologen“, in die heilige und die heilwertige Weissagung, die ja nicht Verheißung, sondern Offenbarung sein will. Bengel und Kliefoth zu Rate zu ziehen verschmähe man nicht, vor allem aber bedenke man, daß kaum ein Buch so die Erklärung seiner selbst ist wie dieses letzte Buch des Neuen Testaments.

 Herz und Haupt dem zur Vollendung sich anschickenden Herrn entgegen, der, wie Chrysostomus zu Apg. 7, 56 υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἑστῶτα anmerkt, seinen kommenden Knechten entgegenzugehen sich rüstet, dabei festen Fußes auf der Erde, die zu bebauen ihnen befohlen ist, wollen Lutheraner die Zeit tragen, leiden und überwinden, nicht Schönredner, sondern Wohltäter, nicht tatenlos Verzagte, sondern Männer der Hoffnung sein, wo nichts zu hoffen ist.

 In der Vorrede zum System der Wahrheit wünscht Frank, daß wir vor der ἡμέρα ἀνθρωπίνη und ihrem Gericht (1. Kor. 4, 3) uns nicht fürchten möchten, einzig darum bekümmert, οὺδὲν ἐμαυτῷ σύνοιδα sagen zu dürfen. Die Vorrede zu seiner Ethik, der viel zu wenig gekannten und gelesenen, schließt er mit den Worten; „Wir rüsten uns und sind des Kommenden gewärtig.“ Sein zweiter Nachfolger, der Leiter der Nürnberger Allg. Ev.-Luth. Konferenz, hat mit Recht sie der Versammlung zugerufen. Bindende| und heiligende Gewissenhaftigkeit, strenge und ernsthafte Selbstkritik tun den Männern der Kirche not, wenn sie Wechsel und Wandel der Tagesmeinung gering achten sollen, dazu Bereitschaft auf das Kommende, vor allem aber – Richard Rothes Wort soll diesen Aufsatz schließen, – wahre Liebe. „Es würde aber – auch im kirchlichen Leben, ja in ihm zumeist – der größte Unverstand sein, jemand liebzugewinnen, wenn es kein ewiges Leben gäbe, denn wahre Liebe legt es immer auf eine wahre Gemeinschaft an.“ –


Die 16. vereinigte, die 23. General-Synode

 der bayerischen evangelisch-lutherischen Kirche (protest. Kirche diesseits des Rheins) in unserer Zeitschrift anhangsweise zu schildern entspricht nicht bloß dem Wunsche ihres verehrten Redakteurs, sondern dem eigenen Bedürfnisse, vor allem einer Gepflogenheit der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, in deren Erbe unsere Neue Kirchliche Zeitschrift nach dem Willen ihrer Begründer getreten ist und in dem sie, so Gott will, noch steht, wie ihre fünfundzwanzigjährige Geschichte ausweisen kann und soll.

 Wenn der Dirigent – denn die bayerische Generalsynode wird nicht von einem aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden geleitet, sondern von einem Kommissar des Oberkonsistoriums (Niethammer, Hänlein, Kaiser, Faber, Harleß, Burger I, Meyer, Stählin, Burger II, jetzt Bezzel 1823–1913) „dirigiert“, – der Verfasser dieser Skizze ist, soll es ihr nicht schaden. Am 16. September 1913 begann die Synode, zu der 131 Vertreter erschienen waren, 65 geistliche Abgeordnete der Dekanate, der Vertreter der theologischen Fakultät (Thomasius, v. Hofmann, v. Zezschwitz, Köhler, jetzt Caspari) und 65 weltliche Abgeordnete der Dekanate. Ihnen gesellten sich zu der 1. geistliche, der weltliche Konsistorialrat von Ansbach, die beiden geistlichen und der weltliche Rat des Konsistoriums Bayreuth, wo diesmal die Generalsynode tagte. Diese Räte mit dem Dirigenten bilden das Direktorium der Synode, dem zur Wahrung der königlichen Gerechtsame ein Kommissar der Regierung beigegeben ist, diesmal Exzellenz Dr. Freiherr von Welser, ehemals Regierungspräsident von Mittelfranken, ein seiner Kirche und ihrem Bekenntnisse ritterlich zugetaner Edelmann. Die Sitzungen fanden im sog. Neuen Schlosse statt, einem äußerlich| unansehnlichen, im Innern musterhaft ausgestatteten Rokokobau, der 1758 (im Todesjahre der Markgräfin Wilhelmine, der geistreichen Schwester Friedrichs des Gr. und Freundin Voltaires, der Verfasserin der boshaften Memoiren) an Stelle des durch Unachtsamkeit beim Lesen 1752 abgebrannten Schlosses von Markgraf Friedrich, dem Gründer der Universität Erlangen († 1763) erbaut und am ersten Ostertage von dem Generalsuperintendenten Ellrodt eingeweiht ward, der dabei mitteilen konnte, es habe sich in der abgebrannten Schloßkapelle eine verkohlte Bibel gefunden, in der allein die Stelle 1. Mos. 28, 22 noch zu lesen war: „Dieser Stein, den ich ausgerichtet habe zu einem Male, soll ein Gotteshaus werden.“ Die erste Sitzung war mit der Verpflichtung der Abgeordneten ausgefüllt, das Wohl der Landeskirche auf Grund des bestehenden Bekenntnisses zu fördern. Der Kommissar hatte zuvor des Ablebens des unserer Landeskirche so geneigt gewesenen Regenten Luitpold, der beiden bedeutsamen Gesetze der Kirchensteuer (1908) und der Kirchengemeindeordnung (1912) gedacht, der Dirigent in einer programmatischen Ansprache an die heimgegangenen Mitglieder des Kirchenregimentes und der Fakultät (D. von Kelber, D. Ewald) und die inzwischen verstorbenen geistlichen und weltlichen Mitglieder der letzten Generalsynode zu Ansbach erinnert, an die Dekane Kübel, Seeberger, Langheinrich, Prinzing, Kern, Nagel, deren Namen zum Teil über Bayerns Grenzen hinaus etwas bedeuten. Die gemeinsame Arbeit begrüßte er, in der man am ersten und besten sich verstehe und stärke, die das heilsame Gleichmaß zwischen Wunsch und Wirklichkeit herstellen solle, daß diese nicht allzu düster, jener nicht allzu unbestimmt werde. Auf die alle bewegenden Fragen näher eingehend legte der Dirigent dar, nicht ein trockner Scholastizismus werbe um Beifall, sondern der Ernst der Treue bitte um Beistand. Zurückstellung und Verkürzung des Tatsächlichen sei der Fehler des Liberalismus und bedeute eben ein Weniger, so daß von Gleichberechtigung einer wegnehmenden „Richtung“ nicht die Rede sein kann. Nicht furchtsame Scheu habe das Kirchenregiment vor sog. inneren Vorlagen abgehalten, sondern weil es nur eine Vorlage kenne, die καλὴ παραθήκη des guten Bekenntnisses. Mit kurzer Würdigung der zur Beratung gestellten Anträge seitens des Oberkonsistoriums schloß die Ansprache. 1823 hatte zur| selben Zeit D. Immanuel Niethammer die erste Generalsynode zu Ansbach eröffnet, 1853 der sel. Adolf Harleß seine erste zu Bayreuth geleitet, die so erhebend dank der trefflichen Leitung und der kundigen Beeinflussung durch den Augsburger Kirchenrat D. Bomhard verlief, 1873 hatte Hofmann den berühmten Augsburger Antrag, den viele Unterschriften bedeckten und dessen Grundmeinung die des Laienbundes trifft, zur Ablehnung empfohlen, weil er unklar und, wo klar, unevangelisch sei. 1905 hatte zum letztenmal die Generalsynode zu Bayreuth getagt, an der D. Karl v. Burger weissagende Worte in tiefster Bewegung gesprochen hatte. Alle diese Erinnerungen begleiteten auf dem Wege in die schöne Stadtpfarrkirche „zur heiligen Dreifaltigkeit“, wie sie D. Schleusner bei ihrer Weihe am 1. Advent 1614 getauft hatte. Der mächtige, zweitürmige Bau war ganz gefüllt, als der Zug nahte, den am Portal die Stadtgeistlichkeit begrüßte. Dem Berichterstatter begegnete als ihr Wortführer der greise Senior Reissinger, der einzig Überlebende jener fünf ehrwürdigen Männer, die ihn in dieser Kirche 1887 ordiniert hatten. „Komm heiliger Geist, Herr Gott“ durchbrauste festlich und feierlich die Hallen, durch die dann die Liturgie, von dem Kirchenrat Buchholz in wahrhaft priesterlicher Würde gesungen, weihevoll erschallte. Es war doch nicht nur Außenwerk, als die ganze Kirchenversammlung wie aus einem Munde das Apostolische Glaubensbekenntnis bekannte, das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen. Die Predigt nach dem geliebten Liede Bogatzkys: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen“ hielt der Dirigent über Hebr. 12, 1 u. 2, über einen Text, mit dem er 22 Jahre zuvor in die Diakonissenanstalt zu Neuendettelsau sich eingeführt und über den predigend er am 9. Mai 1904 deren fünfzigjähriges Jubiläum begangen hatte. Es ist sonst nicht Brauch, daß der Dirigent die Festpredigt hält, aber Ort, Zeit, Erinnerung und Absicht mußten und konnten die Ausnahme entschuldigen. – Und dann ward mit Ernst und Eifer gearbeitet in unermüdbarer Willigkeit und kaum überbietbarer Treue. Es kann dem Dirigenten gewiß mit Grund der Vorwurf gemacht werden, der gegen ihn schon während der Tagung erhoben ward, er verlange zu viel und überanstrenge die Synode. Gewollt hat er’s nicht und gemerkt auch nicht. Um so lebhafter ist sein Dank, daß man seinem Schrittmaß folgte, weil man doch wußte, es gelte der Sache.
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|  Die Beratungsgegenstände, die aus den Vorlagen des Kirchenregimentes und ungefähr fünfzig Anträgen aus der Mitte der Synode sich zusammensetzten, seien nach ihrer Bedeutung kurz gruppiert. Kirchliche Jugendpflege gegenüber der sozialdemokratischen Propaganda, die mit vorzüglicher Kunst der Jugend sich nähert, aber auch neben der humanitären der Pfadfinder und ähnlicher Verbrüderungen, die zu leicht an der Kirche vorbeiführen, ward eifrig empfohlen, äußere und innere Hilfe ihr gewährt, größere noch verheißen, dabei aber nicht verkannt, daß die Reformation bei der Familie anfangen müsse, die nicht ganz der Verantwortlichkeit an ihren Gliedern überhoben, noch weniger der Einwirkung auf sie beraubt werden dürfe. Gersons Wort auf dem Konstanzer Konzil, daß jegliche Kirchenbesserung bei der Jugend anheben muß, ward – ungenannt und ungesagt – oft erwähnt. So kam auch der eigene Religionsunterricht an den auf den Werktag zu verlegenden Fortbildungsschulen zur Sprache. Die Massenchristenlehren am Sonntag, die etwa eine ganze Kirche wie die kleine von St. Johannis, Nürnberg, füllen und jeglicher Unterweisung spotten, müssen aufhören, Ersatz aber darf nicht fehlen. Die geistliche Schulaufsicht, die in Bayern 1808 den Pfarrern als lokale, 1818 als distriktive zugesprochen ward, aus geschichtlichen Gründen den protestantischen allein, da ihre Schulen in Gefahr stunden, unter katholisch-geistliche Aufsicht zu gelangen, während das Konkordat diese Aufsicht für selbstverständlich und im Wesen der Kirche wie der Schule begründet ansieht und darum nicht eigens erwähnt –, soll in den Konfessionsschulen Nürnbergs fallen, damit die Lehrer, des „unzeitgemäßen und eines wohl nie zu rechtfertigenden Zwanges“ entledigt, desto freudiger für die Konfessionsschule eintreten möchten, die gerade in Nürnberg beklagenswerte Rückschritte gemacht und der übermächtigen Simultanschule Raum gegeben hat, deren Erfolge unsere Kirche am eigenen Leibe noch bitter empfinden wird. Nicht einmütig, aber doch in Mehrheit ward ausgesprochen, geistliche Schulaussicht sei nicht ein Lebensinteresse der Kirche, man könne sie missen, wenn nur der Geistliche den Religionsunterricht in der Hand und im Auge behalte. Die der Synode zugehörigen zwölf Lehrer bekannten sich alle zur Fachaufsicht, wollten aber den konfessionellen Charakter der Volksschule| und die Arbeit der Geistlichen an ihr kräftig betont sehen. Daß Fachaufsicht nicht das letzte Ziel der Lehrer sei – Sachsen mag’s bezeugen –, daß sie bald wieder beanstandet werde, ferner daß kaum ein Freund für die Konfessionsschule durch den Entfall der geistlichen Schulaufsicht erstehen werde, endlich daß man dem Auftraggeber Staat nicht die Arbeit künden solle, sondern warten müsse, ob und bis er sie nehme, wagte der Dirigent zu äußern, der im Herzen dem Referenten, Baron Thüngen, zustimmte, man solle nicht Vorposten einziehen, um die Truppe zu schützen, und an ein Wort von David Friedrich Strauß dachte, Vorwerke gebe niemand preis, der die Festung halten wolle. Dem geistlichen Amte sollte der Antrag auf Gründung eines für alle Kandidaten obligatorischen Predigerseminars dienen, da das Münchner, welches seit 1833 besteht, eigentlich ein Seminarium academicorum werden sollte, eine Pflanzstätte künftiger Repetenten, deren Zahl unter dem Ephorate (1833–1848), dieser von Friedrich von Roth aus Württemberg nach Erlangen verpflanzten und dort nie eingebürgerten Einrichtung, vier betrug, jetzt zwei beträgt. Hofmann und Heinrich Schmid, der Kirchenhistoriker, Luthardt und Heinrich Thiersch, Justus Köberle, um nur einige zu nennen, sind denn auch aus dem Seminar hervorgegangen. Zudem steht ja das Seminar nur etlichen, den besten des jeweiligen Zötus, offen, die es füglich weniger brauchen. Man vergaß nicht, die vom seligen Präsidenten Stählin so warm befürworteten und freudig begrüßten Kandidatenkonferenzen zu erwähnen, die kleinen Versuche des Lehrvikariats, die nicht entmutigen können, zu nennen und seinen weiteren Ausbau dringend zu empfehlen. Etlichermaßen gedachte man auch der jüngsten Württemberger Einrichtung der Fortbildungskurse in der Landeshauptstadt unter Leitung eines eigens damit betrauten Geistlichen. Aber der Gedanke eines allgemeinen Seminars fand nach einem wohl bemessenen und weise sich beschränkenden Referat gute, ja die beste Aufnahme. Ablösung der Stolgebühren, dieser immer schwerer werdenden Belastung der Amtsfreudigkeit und Unabhängigkeit, ward ernstlich erwogen: die Kirchengemeindeordnung zeigt den einzigen Weg zur Durchführung an, der in gewissen Fällen die Kirchensteuer Beihilfe tun kann. Erhöhung der Pfarrgehälter und deren Ergänzung durch einzelne Willigungen, Umwandlung der Jahrhunderte, ja| bald ein Jahrtausend alten Pfründebesoldung in Geldbesoldung wurde vor, wenn auch zumeist in der Steuersynode, besprochen. Welche Erschütterungen bei solchen Neuerungen durch das Kirchenwesen, durch das Volksempfinden, das an Brauch und Herkommen mit Unrecht oft, aber auch zu Recht hängt, gehen werden, welche Enttäuschungen sich einstellen müssen, darüber waren wohl kaum alle sich klar. Die Disziplinarordnung von 1809 erklärte man für mindestens verbesserungswürdig und Bayern für das einzige Land, das dem Kirchenregimente allein die richterlichen Befugnisse lasse. Es solle der nie gewollten, aber oft zutage gekommenen Schutzlosigkeit der Geistlichen ein Gegengewicht geschaffen und ihr Recht besser gesichert werden. Daß gesunde Gründe, die im Wesen der Kirche und ihrer so eigengearteten Auffassung der Frage liegen, gegen dieses Vorbringen geltend gemacht werden können, hat ein jüngerer Geistlicher mit feiner Empfindung betont. Die Emeritenordnung, welche nicht nur Erbittung des Ruhestandes, sondern auch seine Verfügung vorsieht und auf oft geäußerten Wunsch die Männer der Inneren und Äußeren Mission in ihre Guttaten einbezieht, ward ebenso einstimmig angenommen als die dem Kirchenwesen dienen sollende Bitte des Kirchenregimentes, den beiden Kreiskonsistorien zu Ansbach und Bayreuth Direktoren im Hauptamte zu geben. Regierungsdirektoren und Regierungsräte können, ob sie auch besten Willens sind, nicht im Nebenamte den konsistorialen Obliegenheiten so genügen, wie ihr Umfang und ihre Bedeutung es erfordert. Eine Einrichtung, die 1818 entsprach, ist darum noch nicht für 1918 zureichend. Daß von Rotenhans, der beiden von Lindenfels, von Dobenecks Namen dem dankbaren Bewußtsein der Landeskirche gleichwohl nahe stehen, ward anzumerken nicht versäumt. Der Kirche sollten die Anträge auf Minderung und Vereinfachung der Diözesansynoden dienen, die gewiß ohne Schaden des Ganzen, vielmehr zu dessen Frommen geschehen kann. Und mit weisem Vorbedacht ward ein anfänglich aussichtsreich erscheinender Antrag fast einstimmig abgelehnt: man will nicht den Kirchenvorstand mit der Kirchenverwaltung verschmelzen: jener hat es mit den inneren, dieser mit den äußeren Fragen des Kirchenwesens zu tun. Einigung würde diese ungebührlich in den Vordergrund, jene zu sehr in den Hintergrund| treten lassen, auch könnte die Parteiung zu sehr hereingetragen werden. Die Generalsynode will fortan ihren Dirigenten – Vorsitzenden – aus ihrer Mitte wählen, ein billiges und wohl begreifliches Verlangen, dessen Verwilligung freilich die bisher dem kirchlichen, richtiger unkirchlichen Parteiwesen entrückte Generalsynode in die ganze Misere nicht nur hineinziehen kann. Den Lehrern und Organisten, den Musikdirektoren und Meßnern ward freundlich Hilfe gewährt und zugesagt. Den auf Abnahme des Eides, auf Bekämpfung des Alkoholismus und des schauerlichen Handels mit unsittlichen Mitteln zum Zwecke der Kinderbeschränkung gerichteten Anträgen ward ernste Teilnahme und Unterstützung gewährt. Kleinere, fast kleinliche Anliegen, die in die Generalsynode sich verirrt hatten, wurden kurz und bündig erledigt, die Revision der zahlreichen Rechnungen mit großer Feinheit und innerer Freiheit dargelegt. Manches vorzügliche Referat wird später zu den kirchengeschichtlichen Dokumenten der Landeskirche gehören, etliche hatten geradezu programmatische Bedeutung.
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 Der 19. September, an dessen Nachmittag der Thalmässinger Antrag im dritten Ausschusse behandelt und vom Dirigenten eingehend nach drei Gesichtspunkten gewürdigt ward, der 23., an dem er im Plenum beraten ward, bildeten die zwei denkwürdigsten und – schmerzlichsten Tage der Generalsynode. Der Antragsteller hatte seinen dem Wortlaute nach ziemlich unmißverständlichen Antrag (auf Amovierung liberaler Theologen – kurz gesagt!) mit den noch unmißverständlicheren Bibelstellen in der lakonischen Begründung durch seine auch dem Berichterstatter unerwartete mündliche Auslegung nicht nur nicht klarer gemacht, sondern seine Notwendigkeit geradezu in Frage gestellt. Denn was er gesagt hatte, wollte er nicht, und was er wollte, war schon anderwärts, so in der vorhergehenden Generalsynode und wiederholt, gesagt. Das Kirchenregiment hatte wahrlich nicht müßig zugesehen, so ernst und entschieden als maßvoll und bedächtig Zeugnis abgelegt, allerlei Anfeindungen um seines Zeugnisses willen getragen und nirgends und nie Zweifel darüber gelassen, daß es in dem Freiprotestantismus nicht das auf der Linie gesunder Lehrentwicklung gelegene, sondern von ihr abbiegende, darum die Kirche gefährdende Neue erblicke. Die aus vier nichthomogenen Stücken zusammengefügte Resolution hat wohl nirgends| ganz befriedigen können. Der Dirigent glaubte ihre Analysierung nicht versuchen zu sollen, vielmehr seine persönliche und amtliche Stellung zur Frage wie die seiner Amtsgenossen in einem kurzen Schlußworte zum Ausdruck bringen zu dürfen, das kaum auf das Vorhergegangene eingehen, aber die Kirchennot und die einzige Rettung aus ihr zum Ausdruck bringen konnte. Möchte es nicht ganz ungesegnet verhallen, möchte aber auch der Bekennerernst der Synode, ihre Willigkeit, zum Glauben der Kirche zu stehen, und ihre Treue, die wahrlich nicht „von oben her“ beeinflußt ward, werden wollte, geschweige denn konnte, – vor Gott etwas gelten. Einer bekennenden Gemeinschaft wird der Segen nie fehlen. Männer aus dem Volke, einfache Bauersleute haben mit vornehmen Männern sich zusammengetan, um frei zu bekennen, was ihres Herzens Glauben sei. Das war nicht schlechte Schultheologie und deren erkünstelter Sieg, sondern impulsiv hervortretender, herausdrängender Herzton des Glaubens: „wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll mein Glaube ruhn?“ Nicht Lehrfragen wurden mit kühler Rube behandelt, sondern Lebensfragen in heiligem Ernste durchgekämpft.

 Am 30. September schloß die Generalsynode, der Arbeitseifer, kirchliche Bewährung, willige und fürsorgliche Wahrung kirchlicher Interessen und trotz allem erfreuliche Einmütigkeit des Geistes jetzt schon bezeugt werden kann und in späteren Zeiten nachgerühmt werden soll. „Eile und errette deine Seele“ hatte der letzte Markgraf der (jüngeren) Bayreuther Linie († 1769) in ein Fenster seines Schlosses eingeschrieben. Wie eine Antwort war die ganze Synode: ἡμεῖς ἐσμὲν πίστεως εἰς περιποίησιν ψυχῆς.

Hermann Bezzel.