Die Edda (Simrock 1876)/Erläuterungen/Anmerkungen
Ehe wir uns zu den Erläuterungen wenden, müßen wir uns nach dem gelehrtern Theile unserer Leser gegenüber wegen unserer Schreibung der nordischen Namen entschuldigen. Wir haben diese den Deutschen mundrecht zu machen, unserer Aussprache anzubequemen, ja ihnen durch die Form, in der wir sie überliefern, einen Theil ihres fremden Aussehens zu benehmen gesucht. Wir schreiben Wöluspa, nicht Völu-spa, weil das isländische v unserm w entspricht; Joten nicht Jötune, weil wir nach Grimm Myth. 486 diese kürzere Form für erlaubt halten u. s. w.
Einen erschöpfenden Commentar der Edda zu liefern, kann die Absicht der nachstehenden Anmerkungen, welchen ein knapper Raum zugemeßen war, nicht sein. Zum Glück bedarf es dessen nicht, da die Übersetzung selbst schon angiebt wie der Verfaßer das Original verstanden hat. Wir gedachten Anfangs nichts weiter zur Erklärung zu thun, nachdem wir mittels dem Text eingefügter Zahlen auf diejenige Dämisaga der jüngern Edda verwiesen hatten, in welcher die Erklärung der betreffenden Stelle zu finden ist, denn die jüngere Edda ist als der älteste und zuverläßigste, obgleich nicht untrügliche Commentar der Eddalieder, besonders der Wöluspa, zu betrachten. Indes überzeugten wir uns bald, daß damit zwar viel, aber bei weitem nicht genug geleistet ist, und obgleich es schwer sein mag, die schmale Linie zwischen Zuviel und Zuwenig innezuhalten, so haben wir doch versuchen wollen, sie zu treffen, und bitten den Leser um Nachsicht, wenn wir bald nach der einen, bald nach der andern Seite hin abgewichen sind.
Den Reigen der nordischen Götterlieder eröffnen drei kosmogonische und theogonische Gesänge, unter welchen die Wöluspa als der bedeutendste, berühmteste und wahrscheinlich auch älteste um so billiger voransteht als sie fast den gesammten nordischen Glauben umfaßt und in seinen Grundzügen übersichtlich zusammenstellt.
[353] Bekannt sind die nordischen Walen oder Wölen, zauberhafte Wahrsagerinnen, wie jene höhlenbewohnende des Hyndluliedes, das auch die kleinere Wöluspa heißt, oder wie die Veleda des Tacitus, die vom hohen Thurm die Geschicke der Völker lenkte, bei denen sie fast abgöttischer Verehrung genoß. Man dachte die Wölen das Land durchziehend, von Haus zu Haus an die Thüren klopfend (St. 26. Ögisdr. 24), wohl um den Menschen, besonders neugebornen, zu weißagen, ihr Schicksal anzuzeigen, vielleicht gar wie die Nornen, mit welchen sie sich berühren, selbst zu schaffen und zu bestimmen. Kommt ihr Name von at velja (wählen), so scheinen sie selbst den Walküren verwandt, mit denen sie Str. 24. 25. 26. zusammengestellt werden. Über die Form des Namens völva sagt Grimm Myth. 87: „Entweder steht hier völu für völvu, oder es läßt sich die ältere Form vala (gen. völu) behaupten; beiden würde ein ahd. Walawa oder Wala entsprechen.“
Der Name Wöluspa ist nicht leicht wiederzugeben. Wörtlich heißt es nur die Rede, das Gesicht der Wöle oder Wala, dem Sinne nach nicht sowohl dieß als Offenbarung der Seherin, denn nicht die Zukunft allein verkündet sie: auch in die Vergangenheit ist ihr der Blick geschärft, der Schleier gelüftet von den geheimnissvollen Ursprüngen der Dinge. Sie hat die ersten Geschicke der Welt von ihren Erziehern, den urgebornen Riesen (Str. 2) erfahren und weiß in allen neun Himmeln oder Welten Bescheid. Aber Vergangenheit und Zukunft berühren sich im Kreißlauf der Dinge: nach dem Weltuntergange taucht die Erde zum andernmal aus dem Waßer auf (Str. 57), dann werden die wundersamen goldenen Scheiben, mit denen die Götter in der Zeit ihrer Unschuld spielten (Str. 4. 8), sich im Grase wiederfinden (Str. 59), und das goldene Zeitalter zurückkehren, das durch die Gier des Goldes verloren ging. Was zwischen diesen äußersten Enden in der Mitte liegt, wird uns nicht verschwiegen: der Verlust der ersten Unschuld mit dem Beginn der Zeit, da die drei Thursentöchter aus Riesenheim kamen (Str. 8.), die Schöpfung der erzschürfenden Zwerge und der Menschen (Str. 9–18) und der erste durch die Bereitung des Goldes herbeigeführte Mord (Str. 25), der Treubruch der Asen (Str. 28–30) und das herannahende Verderben durch die Erziehung der beiden Wölfe, die als Fenrirs Geschlecht Sonne und Mond zu verschlingen bestimmt sind, und die nun das Blut mästet, das im ungerechten widernatürlichen Kriege vergoßen wird (Str. 32), Baldurs beunruhigende Träume und ihre Erfüllung (Str. 36. 37), die Vorkehrungen der Götter in Lokis und Fenrirs Feßelung (Str. 38. 39), wobei sie aber die in Str. 32 gedachten Wölfe, [354] die heimlich im Eisenwald aufgezogen wurden, unschädlich zu machen versäumen, weshalb der gefürchtete Ausgang nun doch eintreten muß; dann schon die Vorzeichen des Weltuntergangs in der überhand nehmenden Entsittlichung, die alle Bande gelöst hat und selbst den Brudermord nicht mehr scheut, die höchste Stufe der Verwilderung Str. 45, endlich der Untergang selbst und der letzte Kampf bis die Sonne schwarz wird, die Erde ins Meer sinkt und Surturs Lohe den allnährenden Weltbaum verschlingt. All dieß ist in dem geheimnissvollen Tone vorgetragen, der Propheten eignet, deren Looß doch ist, von den blöden Kindern der Zeit unverstanden zu bleiben. Das Mysteriöse ist noch durch Lücken und die zweifelhafte Folge der Strophen gesteigert, da uns das Gedicht schwerlich ganz vorliegt und die Handschriften wie die Ausgaben in der Anordnung abweichen. Manches möchte man hinwegwünschen, um nach Tilgung des Eingeschobenen das unzweifelhaft Echte in beßern Zusammenhang zu bringen. Aber wer wollte an ein so ehrwürdiges Altertum die Hand legen, und wo wäre das Ende des Beliebens und der Willkür, wenn man einmal begänne, das Überlieferte nach eigenem Gutdünken zu modeln? Will doch Jeder auf seine Weise helfen, der Eine wegschaffen was dem Andern das Wichtigste scheint, der diese, der jene Anordnung herstellen. Auch wir hätten die unsrige im Sinne, wollen aber dem Leser nicht vorgreifen, der seinem Sinne folgen und die hier nach den gangbarsten Ausgaben geordneten Strophen sich selber zurechtstellen mag.
Die nachstehenden, der Ordnung der Strophen folgenden, Bemerkungen wollen nur Einzelnes erläutern; einen Commentar des Ganzen enthalten meine „Geschicke der Welt und der Götter,“ welche den ersten Theil meines Handbuchs der Deutschen Mythologie (Bonn bei Marcus, 4. Aufl. 1874) bildet.
1. Die Seherin beginnt damit, Stillschweigen aufzuerlegen, damit Jedermann sie vernehmen könne. Die Worte, deren sie sich dabei bedient, sind eine hieratische Formel wie das lat. favete linguis. Sie spricht als Priesterin, denn nach Tac. Germ. stand es den Priestern zu, bei Volksversammlungen Stillschweigen zu gebieten. Müllenhoff Zeitschr. IX. 127. Heimdal lernen wir weiterhin, im Rigsmal, als den Erzeuger der verschiedenen Stände kennen.
6. Under ist die Nachmittagsstunde. Vergl. „Unterzech“ im Volksbuch von Faust 1592 S. 216. Übrigens ist in Str. 3–6 die Weltschöpfung sehr unvollständig vorgetragen; doch holen die folgenden Lieder, mit denen noch D.[WS 1] 10. 14. und Grimms Myth. 525 ff. zu vergleichen sind, das Fehlende nach.
[355] 7, 3. Die hier erwähnten Götterburgen beschreibt Grimnismal näher.
8. Daß hier, wie wir oben vorausgesetzt haben, von der goldenen Zeit gesprochen wird, sagt D. 14 ausdrücklich mit dem Zusatz, daß sie von dem Golde den Namen habe, welches die Götter verarbeiteten. Die Richtigkeit dieser Deutung bezweifelnd finden wir sie allein in der Unschuld der Götter. Unter den Thursentöchtern pflegt man die Nacht, Angurboda und Hel (D. 34) zu verstehen. Wir nehmen sie für die Nornen (Str. 20), da das Goldalter, das mit ihrem Erscheinen endet, eigentlich aller Zeit voraufliegt. Ihren Bezug auf die Riesen ergiebt Wafthr. 49.
9–16. In dem Verzeichniss der Zwerge herscht in den Handschriften Verwirrung. Auch D. 14 weicht in der Aufzählung ab; von Einigen wird es für eingeschoben gehalten. Manche dieser Namen erklären sich von selbst, wie Nordri, Sudri, Austri und Westri, welche auf die vier Himmelsgegenden zielen (vgl. D. 8); wie Modsognir (Kraftsauger), Althiofr, die diebische Natur der Zwerge bezeichnend; wie Biwor und Bawor, ablautend vom Beben benannt, und an den Zwerg Bibung der Heldensage erinnernd, wie auch Billing und Finnr mit Heldennamen stimmen; Alfr, der Elfe, Gandalfr und Windalfr; Har, der Hohe, sonst ein Beinamen Odhins; Skafidr[WS 2] und Frosti u. s. w. Von andern liegt die Deutung nahe; so scheinen Nyi und Nidi, vielleicht auch Nyr und Nyrathi auf Phasen des Mondes zu gehen (Wafthr. 25), Nar, Nain und Dain (mortuus) gespenstische Geister zu bezeichnen. Ai, der zweimal vorkommt und im Rigsmal mit Edda (Eltermutter) zusammengestellt wird, deutet auf das hohe Alter, das Zwerge erreichen. Bemerkenswerth sind die reimenden und ablautenden Formen, während die meisten nur nach dem Gesetz des Stabreims zusammenstehen. Übrigens scheinen dreierlei Zwerge unterschieden:
- 1.Modsognirs Schar Str. 10–12. Für Lichtalfen kann ich sie nicht halten, da der Unterschied, welchen die j. Edda zwischen Lichtalfen und Schwarzalfen aufstellt, den Liedern unbekannt scheint. (Vgl. mein Handb. §. 124.)
- 2.Die welche Str. 13 nennt ohne ihre Eigenschaft anzugeben. Sie scheinen unter Durin zu stehen, wie jene unter Modsognir. Nach St. 14 wohnen sie im Gestein wie jene in der Erde. Dann
- 3.Die aus Dwalins Zunft und Lofars Geschlecht Str. 14–16. 17. 18. Vgl. Gr. Myth. 527. 537.
22. Gewöhnlich deutet man diese Stelle als eine Anspielung auf Odhins Einäugigkeit und läßt die Sonne Odhins Eines Auge sein, das andere aber deren bei Sonnenauf- oder Untergang im Waßer gespiegeltes Bild. [356] Dann würde der Mythus von der Verpfändung des Auges um einen Trunk aus der Quelle zu erlangen, in welcher Weisheit und Verstand verborgen sind, wie D. 15 gesagt ist, zunächst eine Naturerscheinung zu erklären dienen, aber Mimirs Weisheit schon voraussetzen, von der die Edda sonst nichts berichtet, wohl aber die Heimskringla I. 4, wonach die Asen bei dem Friedensschluß mit den Wanen, dessen auch D. 57 gedacht ist, den Mimir, ihren weisesten Mann zugleich mit Hönir, für den sie den Niörd empfingen, zu den Wanen als Geisel sandten, welche den Mimir erschlugen und sein Haupt den Asen zurückschickten. Odhin nahm das Haupt und salbte es mit Kräutern, so daß es nicht faulen konnte, und sang Zauberlieder darüber und bezauberte es so, daß es mit ihm redete und viel verborgene Dinge sagte. Hieraus erklärt sich 47, 4. Mimir ist seinem Namen nach das Gedächtniss; zugleich hat er aber einen Bezug auf das Waßer, den gleichfalls sein Name ausdrückt, da Waßergeister Minnen und Muomel hießen. Im Waßer lag allen Völkern Weisheit, und Waßergeister sind weißagend und wahrsagend. Nehmen wir das im Meer, dem Brunnen Mimirs, gespiegelte Bild der Sonne für den ältesten Sinn des Mythus von Odhins verpfändetem andern Auge, so lag die spätere Umdeutung des Mythus auf den Mond nahe, denn wenn die Sonne das Eine Auge des Himmelsgottes ist, wer würde dann nicht den Mond für das Andere nehmen? Nur so begreift sich, wie Mimir aus dem Pfande des Gottes trinken kann, denn unrichtig wird in Str. 22 Z. 3 Walvaters Pfand für Mimirs Brunnen erklärt, vielmehr ist es nach Str. 31, 4 Heimdals Horn. Nach einer allgemeinen Anschauung bildet die Mondsichel ein Horn und dieß muß Str. 22, 3 als Trinkhorn gedacht sein. Die j. Edda sagt ausdrücklich D. 15 Mimir, der Eigner des Brunnens, trinke täglich von dem Brunnen aus einem Horne. Sie nennt es das Giallarhorn, weil sie dabei an Heimdals Horn Wöl. 47, 3 denkt, das zugleich zum Blasen dient. Dabei gründet sie sich auf Wöl. 31. Der Strom, der hier mit starkem Fall aus Heimdals Horn stürzt, ist nichts als die Kunde von dem Anbruch des jüngsten Tages. Von dieser Kunde, die aus Mimirs Quelle geschöpft ist, heißt es, sie stürze aus Walvaters Pfand, weil der Mond, das andere Auge des Himmels, als Horn (Mondsichel) gedacht, im Brunnen verpfändet war. Dieß Trinkhorn und Heimdals tönendes Horn hat also die kühne Bildersprache des Nordens vertauscht, wozu sie um so mehr berechtigt war, als auch Heimdals Giallarhorn ursprünglich den Mond bedeutet hatte. Als Wächter der Götter gebührte ihm der Sichelmond zum Horn, da es in den Nächten vornämlich seines Hütens bedurfte.
[357] 25. 26. Schon in den Strophen 21 und 23 sprach die Seherin von sich in der dritten Person. Da sie aber Anfangs von sich in der ersten gesprochen hatte, so war es nicht nöthig in den folgenden Strophen die dritte Person herzustellen, namentlich nicht in den Strophen 24 und 39. Str. 26 kann ich aber nicht auf die Seherin beziehen, obgleich darin von einer Wala die Rede ist. Zunächst ist deutlich, daß noch immer von Gullweig (der Goldstufe oder der Goldkraft, dem flüßigen Gold) gesprochen wird, von der es in der vorhergehenden Strophe hieß, da sei zuerst der Mord in die Welt gekommen als man sie mit Gabeln oder Geeren gestoßen und gebrannt habe. Aber die Handschriften, welchen Rask folgt, verkehren die Ordnung dieser Strophen und Grimm (Myth. 374) nimmt sowohl Gullweig als Heid für Namen, die sich unsere Wala selber beilege. Dieser Meinung, welcher auch Sophus Bugge, einer der neuesten Herausgeber des Textes, anhängt, kann ich nicht beitreten, weil die Seherin sowohl von dem Golde als von dem Reichtum, die unter diesen beiden Namen personificiert sind, ungünstig spricht. Das goldene Zeitalter nahm ein Ende, wie treffend gesagt worden ist als das Gold erfunden ward, und die Schöpfung der Zwerge, die es aus der Erde gewinnen, fällt nicht mehr in die Unschuldszeit der Götter, die noch die Gier des Goldes nicht kannten. Als man die Goldstufe mit Gabeln stieß und in der Halle schmelzte, da zuerst kam der Mord in die Welt. Wenn das so ausgedrückt wird, als ob der Mord an der Goldstufe selbst vollbracht wäre, so mag dieß eben nur poetische Einkleidung sein. Daß die Seherin das Gold für verderblich ansieht, wie dieß auch in der Heldensage geschieht, und sich also unter Gullweig und Heidr nicht selber verstehen kann, beweist mir die ganze Str. 26 und ganz entschieden ihr Schluß:
Übler Leute Liebling allezeit.
27. Wie die zweite Hälfte dieser Str. hier übersetzt ist, steht sie mit dem Vorhergehenden nach unserer Deutung der Str. 25 und 26 im besten Zusammenhang. Die Einführung der Sühnopfer, nachdem durch das Gold Untreue (afrâdh) in die Welt gekommen, zeigt uns die Welt schon von dem sittlichen Verderben erfaßt, das in den nächsten drei Strophen die Götter sogar unter sich uneinig, ja wort- und eidbrüchig werden läßt.
28. Die erste Langzeile Str. 25 kehrt hier als Schlußzeile wieder: das Übel, das durch das Gold in die Welt gekommen war, erscheint hier als ein Krieg unter den Göttern selbst, und zwar muß jener erste Wanenkrieg gemeint sein, der nach D. 23. 57 durch den Friedensschluß beendet ward, welcher den Njörd mit seinen Kindern als Geisel zu den [358] Asen brachte. Der Ausdruck schlachtkundige Wanen deutet an, daß es den friedliebenden Wanen an sich unnatürlich war, zum Schwerte zu greifen, mithin auch hier das unter den Göttern einreißende Verderben sich ankündigt.
29–30. Den Commentar dieser Strophen enthält D. 42. Nachdem der Burgwall der Götter gebrochen ist, schließen sie auf Lokis Rath einen Vertrag mit einem Riesen wegen Erbauung einer neuen Burg.
31. Die Erklärung dieser bisher unverstanden gebliebenen Strophe ist zu Strophe 22 gegeben, welcher sie unmittelbar folgen sollte. Unter dem heiligen Baum, in Mimirs Quelle, war nach der ersten Langzeile Heimdals Horn, das so mit Walvaters Pfand vertauscht wird, verborgen. Im Folgenden kehrt sich die Vertauschung um. Da wird Walvaters Pfand genannt, wo Heimdals Horn gemeint ist. Zwar sehen wir Heimdal erst Str. 47 ins erhobene Horn stoßen, aber was sich dann wirklich begiebt, das ahnt schon jetzt die Seherin nach dem (Sünden-) Fall der Götter, dessen Folge der Weltuntergang ist.
32. Vgl. D. 12, wo diese Stelle angeführt ist. Managarm (der Mondhund) ist nach Gr. Myth. 668 ein anderer Name für Hati, der D. 12, womit Gr. M. 39 stimmt, Hrôdwitnirs Sohn heißt. Fenrir steht hier wohl für Wolf überhaupt. Vgl. M. Handb. §. 43, wo ausgeführt ist, daß die j. Edda D. 12 diese Strophe unbefriedigend erläutert, indem sie jene im Eisenwalde heranwachsenden Wölfe mit dem Blute „aller Menschen, die da sterben,“ mästen läßt, indem vielmehr Fleisch und Blut der im widernatürlichen Krieg, im Krieg des Bruders gegen den Bruder (Str. 45), Gefällten ihre Nahrung ist. Daß die Götter die Feßelung dieser beiden Wölfe versäumt haben, als sie Loki und Fenrir in Bande legten, ist oben angedeutet.
34. Egdir für Hräswelg (Leichenschwelger) D. 18 zu halten, sehe ich keinen Grund. Als Hüter der Riesin, bedeutet er den Sturm, der in den Wipfeln der Bäume braust. Meines Wißens wird er nur hier erwähnt, so wie auch die Hähne, die den Göttern und in den Sälen Hels die Stunde des letzten Kampfs ankrähen. Der hochrothe, goldkammige (Gullinkambi) führt den Namen Fialar, der auch im Zwergregister vorkommt. Vgl. D. 57. In deutschen Sagen sind der Hähne drei, der weiße, rothe und schwarze, obgleich zuweilen nur zwei von ihnen genannt werden; das Krähen des schwarzen ist von des übelsten Vorbedeutung. Vgl. Reinhold Köhler Germ. XI. 85.
37. Die eingeklammerte Stelle, die sich nicht in allen Handschriften [359] findet, und in der That ein späterer Einschub scheint, geht auf Wali, Baldurs Rächer, nach D. 30. 53. Vgl. Wegtamskw. 16. Hyndlul. 27. Wafthr. 51.
39. Über Garm s. zu Str. 32. Den Namen Freki, der hier mit dem Namen Garm vertauscht wird, führt sonst Einer von Odhins Wölfen D. 4. Wie aber hier Freki ein erborgter bildlicher Name ist, so kann es auch Garm sein, denn in der That scheint Fenrir gemeint. Von dem Höllenhunde wißen wir nicht, daß er gefeßelt sei. In Wegtamskw. 6. 7. geht er dem Odhin frei entgegen. Daß auch Managarm, der Mondhund, von dem der Name Garm erborgt ist, zu feßeln versäumt wurde, ist mehrfach bemerkt. Dagegen ist Fenrir D. 34 gefeßelt mit dem Bande Glitnir, das bis zur Götterdämmerung halten soll. Von seinem Brechen muß hier die Rede sein, da des Wolfes Loskommen, das Str. 53. 4 vorausgesetzt wird, sonst nicht gemeldet wäre. Doch hat schon D. 51 unsere Stelle irrthümlich auf den Höllenhund oder Mondhund statt auf Fenrir bezogen, da sie ausdrücklich sagt, Garm habe vor der Gnipahöhle gelegen und sei nun los geworden. Daß er mit Tyr kämpfe, sagt nur sie; die Wöluspa weiß nichts von einem solchen Kampfe, dessen Sinn sich auch nicht angeben ließe. Vgl. M. Handb. §. 46, 5. Übrigens steht die letzte Langzeile von Strophe 39 hier nur als Vorahnung; den wirklichen Eintritt des Ereignisses bezeichnet die Wiederkehr dieser Zeilen am Schluß von Str. 48. Hier erst wird Fenrir frei, nachdem schon in der vorhergehenden Lokis Freiwerdung gemeldet war.
40–46. Weinhold hat (Zeitschr. VI. 311 das hohe Alter der Wöluspa angefochten und die Ansicht geltend zu machen gesucht, sie sei aus ältern Liedern durch spätere Bearbeiter zu einem Ganzen gestaltet und dabei unsere Str. eingerückt worden, welche durch Annahme von Höllenstrafen das Eindringen christlicher Vorstellungen verriethen. Indessen setzt er sie in der überlieferten Gestalt doch nicht später als in die erste Hälfte des 9. Jahrh. Dagegen hat Dietrich (Zeitschr. VII. 304 ff.) geltend gemacht, daß die angenommenen Strafleiden, das Waten schwerer Ströme, das Aussaugen der Leichen durch Nidhöggr u. s. w. nicht biblisch sind und von einer christlichen Hölle mit ihrer Feuersglut, mit Heulen und Zähnklappern u. s. w. hier keine Spur ist. Die Strafleiden sind aus dem wirklichen Leben des Nordens auf das Schattenleben übertragen, da dort noch bis auf den heutigen Tag das Durchwaten der vielen Flüße eine der gefährlichsten Mühen ist, und die unbegrabenen Leichen der Erschlagenen, die Wölfen und Raben zur Beute liegen, den Überlebenden ein tiefes Leid sein musten. Diese [360] Züge, denen nordische Färbung nicht abzusprechen ist, sind überdieß mit Lokis unterweltlichem Leiden gleichartig, indem der giftspeienden Schlange über seinem Haupte die durch das Fenster niederfallenden Gifttropfen des aus Schlangenrücken errichteten Saals entsprechen. Endlich kennt auch das unbezweifelt echte Sigrdrifumal nachirdische Strafen, die um so mehr anzunehmen sind als Str. 64 auch überweltliche Belohnungen, ihre Kehrseite, verheißt. Aus gleichen Gründen sind auch die Str. 45 geschilderten Vorzeichen des jüngsten Tages, der Bruch der Sippe, die dem heidnischen Germanen das heiligste war, durch den Brudermord u. s. w. von allem Verdacht christlichen Ursprungs frei. Die äußern Zeugnisse für das Alter des Liedes, nach welchem es schon in der ersten Hälfte des 8ten Jahrhunderts in der gegenwärtigen Gestalt vorhanden war, mag man in Dietrichs Abhandlung nachlesen. Übrigens läßt auch Er das Gedicht aus ältern selbständigen mythologischen Liedern entstehen, die der mit dem 6ten Jahrhundert beginnenden Blütezeit des mythologischen Epos im Norden angehören sollen. Obgleich wir selbst nicht geneigt sind, unser Gedicht, das wir als ein Ganzes auffaßen möchten, aus mosaikartig zusammengesetzten Bruchstücken älterer Lieder entstehen zu laßen, so scheinen uns doch die Str. 40–43 eingeschoben, da sie den Gang der Ereignisse sehr zur Unzeit unterbrechen.
40. Eiter bedeutet hier Gift. Slidur wird D. 4 unter den Höllenflüßen aufgeführt.
41 ist D. 52 paraphrasiert, aber nicht erläutert. Der erste Saal, der hier für Sindris Geschlecht sein soll, heißt dort selber Sindri. Den Namen führt auch Einer der Zwerge, mit welchem Loki D. 61 wettete. Die Bedeutung ist die des deutschen Sinters.
47. Mimirs Söhne sind die Wellen des Meers, die sich empören, wie in der folgenden Zeile der Weltbaum sich entzündet: der Aufruhr der Elemente gehört zu den Vorzeichen des Weltuntergangs, welche in Str. 45 nur von der sittlichen Seite geschildert waren. Über das Giallarhorn und Mimirs Haupt vgl. zu Str. 22. Der Name Mimirs Söhne zur Bezeichnung der Wellen scheint Nachbildung des früher geprägten Ausdrucks Muspels Söhne Str. 50 für die Flammen. Vgl. Myth. 525. 568 und D. 5. 54.
48. Der Riese, der hier frei wird, kann nur Loki sein, von dessen mit Angurboda gezeugtem Sohne Fenrir in der nächsten Strophe ein Gleiches gemeldet wird, wenn unsere zu Str. 39 gegebene Erklärung des Namens Garm richtig ist. Schon dieser Zusammenhang beweist, daß die [361] mittlern Zeilen von Str. 48 ein ungehöriger Einschub sind, den wirklich nicht alle Handschriften haben. Ebenso waren vielleicht auch die mittlern Zeilen von Str. 39, die hernach als Str. 44 wiederkehren, nur eingeschoben um den Inhalt der letzten als ein noch fern liegendes Ereigniss, das dort nur vorgreifend erwähnt wird, während es hier wirklich eintritt, zu bezeichnen. Dort wie hier werden die beiden Gefeßelten zusammen erwähnt.
49. Hrym bezieht sich nach D. 51 auf die Hrymthursen, deren Schiff Naglfar er steuert. Für einen Feuerriesen kann er nicht gelten, da zwei verschiedene Schiffe nicht nöthig waren, die Mächte des Feuers herbeizuführen. Das Schiff Naglfar ist von Nägeln der Todten gezimmert, welche die Lieblosigkeit der Menschen unbestattet gelaßen hat. Solche Lieblosigkeit kann nur aus erkaltetem Herzen entspringen. Das ist der zweite Grund, warum Hrym kein Feuerriese sein kann. Vgl. Handb. §. 44. Jörmungandr ist die Midgardsschlange.
50. Da Z. 4 Bileists Bruder Loki ist, so kann er Z. 2 nicht gemeint sein, sondern Loki der Feuerriese.
51. Surtur der schwarze ist ein Riese der Feuerwelt, nicht ein hehrer Lichtgott, unter dessen Herschaft dieß neue Weltreich stehen soll, wie Finn Magnusen meinte. Vgl. Gr. Myth. 784.
53. Hlin ist hier ein Beinamen Friggs, der Gemahlin Odhins, nach D. 33 aber selbst eine Göttin, die zu Friggs Gefolge gehört. Belis Mörder ist Freyr. Vgl. D. 37 und Skirnirs Fahrt. In der letzten Zeile ist Odhin gemeint.
54. Hwedrung kommt in der Skalda unter Odhins Namen vor; hier ist Loki gemeint.
55. Hlodyn und Fiörgyn sind Beinamen der Erde (Jörd), der Mutter Thors. Gr. M. 235. Midgards Weiher, Segner oder Heiliger (Véorr) heißt Thor, der sich zu dieser Weihe seines Hammers Miölnir bedient. Uhland Myth. des Thor 28. Diese Strophe paraphrasiert D. 51.
56. Vor dieser Strophe müste von Tyrs Kampfe mit dem Höllenhunde, wenn D. 51 nicht irrte (vgl. oben zu 39), die Rede sein. Sie berichtet aber auch noch von Heimdals Kampf gegen Loki, der hier gleichfalls unerwähnt bleibt.
57, 58.[WS 3] Die erste Strophe entspricht Str. 7 und 8, wie das wiedergewonnene Paradies dem unverlorenen. Daß der Aar nach Fischen weidet, scheint anzudeuten, daß in der verjüngten Welt ewiger Friede herscht, da der Vogel des Schlachtengottes keine Leichen mehr findet. In der folgenden [362] ist die Wiederkehr des goldenen Zeitalters noch deutlicher ausgesprochen. Daß Z. 2 und 3 richtig übertragen sind, beweist die Paraphrase in D. 53. Fimbultyr, der Str. 58 allein genannt wird, scheint der höchste Gott; ob hier Odhin, der Erfinder der Runen gemeint sei, Gr. Myth. 785, oder ein höherer, der das neue Weltreich beherscht, und schon vordem geheimnissvoll waltete, bleibt ungewiss. Doch spricht für diese Annahme Str. 63 und Hyndlul. 41, wo ein unausgesprochener Gott, der kommen werde, angekündigt wird.
61. Hönir war den Wanen als Geisel gegeben: nun aber soll er zurückkehren dürfen. Da unter den beiden Brüdern nicht Odhin und Loki verstanden sein werden, indem Lokis Söhne nicht wiederkehren, so könnten Hönir und Odhin die Brüder sein, deren Söhne nun das weite Windheim bewohnen sollen. Darnach wäre vorausgesetzt, daß Hönir die Rückkehr wählen werde. Beßer versteht man Hödr und Baldur unter den beiden Brüdern.
64. Die Echtheit dieser unverständlichen Strophe macht schon das sonst nur im Solarlied vorkommende Wort Dreki (Drache) verdächtig.
Paulus Diaconus I, 8 erzählt die bekannte Sage von den Langobarden, die zuerst Winiler hießen, und ihrem Kampf mit den Wandalen: „Nun traten die Wandaler vor Gwodan und flehten um Sieg über die Winiler. Der Gott antwortete: „Denen will ich Sieg verleihen, die ich bei Sonnenaufgang zuerst sehe.“ Gambara aber, eine schlaue, edle Frau der Winiler, trat vor Frea, Gwodans Gemahlin, und flehte um Sieg für ihr Volk. Da gab Frea den Rath, der Winiler Frauen sollten ihre Haare auflösen und unter das Kinn in Bartes Weise ziehen, dann aber frühmorgens mit ihren Männern sich dem Gwodan zu Gesicht stellen, vor das Fenster gegen Morgen hin, aus dem er zu schauen pflegte. Sie stellten sich also dahin, und als Gwodan ausschaute bei Sonnenaufgang, rief er: „Was sind das für Langbärte?“ Frea versetzte: „Wem du Namen gabst, dem must du auch Sieg geben. Auf diese Weise verlieh Gwodan den Winilern den Sieg und seit der Zeit nannten sich die Winiler Langbärte (Langobarden).“ Grimm Myth. 124 hat auf die Ähnlichkeit dieser Sage mit der in der Einleitung zu Grimnismal berichteten hingewiesen. „Denn gerade wie Frea ihre Günstlinge, die Winiler, gegen Gwodans eigenen Entschluß durchsetzt, bringt Frigg den von Odhin begünstigten Geirrödr in Nachtheil,“ und bestimmt Odhin, fügen wir hinzu, sich dem Agnar zuzuwenden, [363] der zwar ein jüngerer, Geirröds Sohn ist, in dem aber ihr gleichnamiger Günstling wiedergeboren scheint. Entfernter ist die Ähnlichkeit, wenn Odhin dem Hialmgunnar nach Sigrdrifumal Sieg zugedacht hat, Sigrdrifa (Brynhild) aber ihn dem Agnar verleiht, wobei jedoch das Einstimmen des Namens Agnar in beiden Sagen auf einen bisher unbeachtet gebliebenen Zusammenhang deutet. Vgl. Zeitschr. für Myth. II, 13. Mein Handb. §. 108.
Auf Grimnismal stützt sich hauptsächlich Finn Magnusens astronomische Deutung des nordischen Heidentums, welche Köppen 203 mit Recht als eine nähere Entwickelung der auch bei uns verbreiteten natursymbolischen Ansicht bezeichnet. Ihr sind die 12 Asen Monats- oder Zeitgötter und demgemäß ihre zwölf Wohnungen die Zeichen eines altnordischen Thierkreises, von dem sich aber sonst wenig Spuren erhalten haben. Auffallend bleibt es übrigens, daß die zwölf Götter, deren Wohnungen hier aufgezählt sind, mit den zwölf Asen, welche die j. Edda 20–33 aufzählt, nicht übereinstimmen. Wir setzen das Verzeichniss derselben in der Ordnung her, wie sie dort genannt werden. 1. Odhin, 2. Thor, 3. Baldur, 4. Niördr, 5. Freyr, 6. Tyr, 7. Bragi, 8. Heimdal, 9. Hödur, 10. Widar, 11. Wali, 12. Uller, 13. Forseti, 14. Loki. Da nun 20 gesagt ist, es gebe 12 Asen, so müßen wir von diesen 14 zweie ausscheiden, und da ist es wahrscheinlich, daß wir Loki und Freyr nicht hatten aufzählen sollen, Loki nicht, weil von ihm nur anhangsweise die Rede ist, Freyr nicht, weil er nur bei Gelegenheit, da von seinem Vater Niördr die Rede war, genannt wurde. Auch Bragarödur D. 55 nennt andere Asen: 1. Thor, 2. Niördr, 3. Freyr, 4. Tyr, 5. Heimdall, 6. Bragi, 7. Widar, 8. Wali, 9. Uller, 10. Hönir, 11. Forseti, 12. Loki. Baldur ist hier weggelaßen, weil die Erzählung nach seinem Tode spielt. Jene zwölf entsprechen nun den in Grimnism. genannten nicht, unter welche drei Asinnen, Saga, Skadi und Freyja Aufnahme gefunden haben. Dagegen fallen aus: Thor, Tyr, Bragi und Hödur, also viere statt dreier, was sich daraus erklärt, daß die durch den Ausfall des vierten entstehende Lücke durch Freyr, dessen Vater Niördr doch gleichfalls vorkommt, wieder ausgefüllt wird. Bragi könnte man durch Saga, die ihm unter den Göttinnen gleichsam entspricht, ersetzt glauben. Hödur wird man nicht gerade vermissen, aber Thor und Tyr hätte man erwartet, wie auch unter den Göttinnen Frigg mit Fensal, ihrem Pallaste. Thors Weglaßung ist um so auffallender, als er Str. 4 samt Thrudheim seiner Wohnung, allerdings genannt, aber nicht mitgezählt wird. Aber gerade, daß es nicht die höchsten Götter sind, welche Grimnismal mit den [364] zwölf Götterburgen ausstattet, könnte für Finn Magnusens Meinung, daß es Monatsgottheiten seien, welche hier aufgezählt werden, zu streiten scheinen.
In der j. Edda D. 17 werden von unsern 12 göttlichen Wohnungen nur folgende genannt: 1. Alfheim, 2. Breidablick, 3. Glitnir, 4. Himinbiorg, 5. Walaskialf, aber als Odhins Wohnung nicht Walis, der freilich auch in unserm Gedicht nicht namentlich als dessen Eigner bezeichnet wird. Die übrigen bleiben hier unerwähnt, während Gimil, Andlang und Widblain, deren ferner Erwähnung geschieht, in eine andere Reihe gehören. Dagegen wird D. 14 auch Gladsheim genannt, das nach Grimnism. 8. Odhins Wohnung sein soll, dort aber als die gemeinsame Wohnung sämmtlicher Götter erscheint, gegenüber von Wingolf, das den Asinnen zugewiesen wird. Man sieht hieraus, daß dem Verfaßer der jüngern Edda, dem doch Grimnismal vorlag, die Beziehung der zwölf Himmelswohnungen auf den Thierkreiß nicht bewust war.
In der Prosaeinleitung müßen die acht Nächte, welche Odhin zwischen zwei Feuern sitzt, die acht Wintermonate des Nordens bedeuten. Sie vergleichen sich den neun Nächten, welche Odhin Runenlied Str. 1 am Weltbaume hing, den neun Nächten, welche Niördhr D. 23 in Thrymheim zubrachte, den neun Nächten, nach welchen Gerdha D. 37 sich dem Freyr zu vermählen verheißt (Skirnisf. 39. 41). So werden Thrymskw. 8 auch die acht Rasten und Ögisdr. 23 die acht Winter auf ebensoviel Wintermonate bezogen u. s. w. Hiedurch fällt ein ganz neues Licht auf Geirröd: er fließt mit jenem andern Geirröd D. 60 zusammen. Vgl. M. Handb. §§. 91. 95.
5. Ydalir erwähnt die j. Edda D. 17 nicht, noch D. 31, wo von Uller die Rede ist. Ebensowenig Skalda 14. Alfheim dagegen ist D. 17 aufgeführt, aber nicht auf Freyr, sondern auf die Lichtalfen bezogen.
Von dem altskandinavisch-finnischen Gebrauch des Zahngebindes handelt Gr. Gesch. d. deutsch. Spr. 154. Die Sitte ist in Deutschland noch nicht nachgewiesen; nur den Ammen, nicht den Kindern selbst, pflegt für den ersten Zahn ein Geschenk gemacht zu werden.
6. Walaskialf bezieht D. 17 auf Odhin. Auch unsere Stelle nennt Wali nicht. Der As, der sie schon in alter Zeit erwählt hat, darf eben wieder Odhin sein, auf den Wala schon darum bezogen werden kann, weil er auch Walvater heißt und Walhall selbst von den Erschlagenen benannt ist. Auch D. 30, wo von Wali die Rede ist, legt ihm keine der himmlischen Wohnungen bei. Aber auf Odhin kämen dann zwei dieser Himmelsburgen, [365] da ihm Str. 8–10 auch Gladsheim zutheilen. Man wird also doch bei Wali bleiben und annehmen müßen, D. 17 sei durch den verwandten Namen Hlidskiâlf, welcher Odhins Hochsitz bezeichnet, verleitet, ihm auch Waluskiâlf zuzuweisen.
7. Söckwabeck (Sturzbach) wird D. 35 allerdings erwähnt und auf Saga bezogen, aber weiter wird hier nichts gemeldet.
8. Gladsheim kennt die jüngere Edda 14 als die gemeinschaftliche Wohnung aller Götter gegenüber den Göttinnen, die Wingolf bewohnen. Damit stimmen die Zeilen, wo es heißt: golden schimmert Walhalls weite Halle. Als Odhins besondere Wohnung schildern sie dagegen die folgenden Meldungen unseres Liedes.
10. Eine entsprechende Stelle in der j. Edda findet sich nicht. Grimm hat an verschiedenen Orten den Adler verglichen, der im Gipfel des Palastes Karl des Großen aufgestellt war: Myth. 600. 1086. Gesch. d. deutsch. Spr. 763. Übrigens erklären sich alle in dieser und der vorgehenden Strophe angeführten Symbole aus Odhins Eigenschaft als Kriegs- und Siegsgott.
14. Dem Odhin gehören die Helden, die Knechte (Bauern) dem Thor, s. Harbardsliod 24. Aber hier und D. 24 wird auch der Freyja ein Theil der Erschlagenen zugewiesen. Es sind demnach drei Gottheiten, die sich in die Todten theilen. Hängt es damit zusammen, wenn der Herodias oder Pharaildis und Abundia, in welchen eine Erinnerung geblieben sein mag, die tertia pars mundi zugeschrieben wird, Gr. Myth. 261. 263; oder wenn Holda und Berchta die ungetauft sterbenden Kinder in ihr Heer aufnehmen, Gr. M. 282; wenn endlich die Seelen der Abgeschiedenen die erste Nacht bei Gertrud herbergen und erst die dritte an ihren Bestimmungsort gelangen sollen, Myth. 54? Die Namen Volkwangr und Sessrumnir, der sitzgeräumige, scheinen diesen Bezug der Göttin auf die im Streit Erschlagenen zu bestätigen, wie auch gesagt wird, daß sie zum Kampfe ziehe, D. 24. Freyja ist hienach eine nordische Bellona und Gruntvigs Deutung auf die Liebe, die so viel Opfer fordere als der Krieg, muß beanstandet werden.
21. Thundr heißt nach der Schlußstrophe unseres Liedes und Hawam. 146 Odhin selbst. Hier bedeutet es einen donnernden Strom, der um Walhall fließt, aber sonst nicht genannt wird als in dieser räthselhaften Strophe. Unter den Flüßen, die Str. 27–9 genannt werden, kehrt sein Name nicht wieder. Wiborg meint, der Fluß in der Haddingsage bei Saxo, worin Pfeile von verschiedener Art schwammen, sei unser Thundr und [366] Thiodwitnirs Fisch nur eine Umschreibung von Pfeil oder Spieß. Dieser Ansicht ist beizustimmen, wenn gleich der Fluß in der Haddingssage auch Slidhr, der Höllenfluß in der Wöluspa 42 sein kann, Thundr aber gleich dem Gitter in der nächsten Strophe Walhall schützt. Die Unterwelt fällt mit der Götterwelt in einer ältern Ansicht zusammen und so kann Thundr mit Slidhr, Walgrind (Str. 22) mit dem Höllengitter Eins sein. Auch was wir von dem Höllenthore wißen, daß es den Eintretenden auf die Ferse fällt (Sigurdarkw. III, 66), wird D. 2 von dem Thor der Himmelshalle berichtet. Walglaumi (tödlicher Lärm) bezeichnet den Strom, der zuerst Thundr (Donner) hieß.
23. Vergl. Liebrecht, G. G. A. 1865. St. 12. S. 449 ff.
Schon in der Einleitung ist ausgeführt, wie diesem Liede die Einkleidung von Gylfaginning, dem ersten Abschnitt der jüngern Edda, abgeborgt ist. Ebenso scheint es in der Herwararsage benutzt, wo Odhin unter dem Namen des blinden Gastes dem König Heidrek Räthselfragen aufgiebt und zuletzt auch die, welche hier den Schluß macht: was Odhin dem Baldur ins Ohr gesagt habe bevor er auf den Scheiterhaufen getragen ward. Sowohl hier als in der Gylfaginning und der Herwararsage wird das Haupt dessen zu Pfande gestellt, der eine Antwort schuldig bleibe. In unserm Wartburgskriege, wo gleichfalls Räthselfragen vorgelegt werden, ist es nicht anders und auch in deutschen Märchen, in jenem von der Turandot, und in der griechischen Mythe von Ödipus und der Sphinx, muß das Räthsel gelöst oder der Mangel an Scharfsinn mit dem Tode gebüßt werden. Dem Abt von St. Gallen geht es nur um die Abtswürde; aber Hans Bendix gleicht genau dem Odin, wie er in der Herwararsage dem König Heidrek entgegentritt. Daß hier nur Fragen über göttliche Geheimnisse, nicht eigentliche Räthsel vorgelegt werden, begründet keinen wesentlichen Unterschied. Nur darin liegt einer, daß die uralte Sitte, das Haupt bei dem Wettstreit des Wißens oder des Scharfsinns zu Pfande zu stellen, hier nur als Einkleidung dient, während die so überlieferten Lehren über die göttlichen Dinge den eigentlichen Inhalt des Liedes ausmachen. Ebenso verhält es sich in Alwismal, das wir schon oben gleichfalls als eine Nachahmung unseres Liedes bezeichnet haben, nur daß dort keine Strafe angedroht, wohl aber wie bei der Turandot Lohn verheißen wird, wenn der Befragte seine Weisheit bewähre. Sonst bedarf es keiner Vorbemerkung, und werden wir uns auch sonst bei diesem nicht dunkeln Liede auf wenige [367] Erläuterungen beschränken können. Übrigens scheint Wafthrudnir, wie Gr. G. d. d. Spr. 764 ausführt, ein älterer Odhin, wie auch bei den Griechen neue Götter den ältern Titanen gegenüber stehen. Nach Grimnism. 54 heißt Odhin nämlich selbst Wafudr, ein Name, der die webende, wabernde Luft (Alwism. 20) ausdrückt und in dieser Bedeutung mit Wafthrudnir zusammenfällt.
5. Yggr (Schrecken) ist nach D. 20 ein Beiname Odhins. In Grimnismal wird er Str. 53. 54. verzeichnet. Im, der Zweifel, dessen Vater Wafthr. sein soll, findet sich Skaldsk. c. 75 in dem Verzeichniss der Riesennamen.
7. Schon hier ist gesagt, was Str. 19 bestimmter ausgedrückt wird, daß für jede unbeantwortete Frage das Haupt zu Pfande steht. Zunächst ist nun Odhins Haupt gefährdet, da ihm in diesem Abschnitte noch Fragen vorgelegt werden, durch deren Beantwortung sich erweisen soll ob er würdig sei selber Fragen auszuwerfen. Str. 19 wird dieß anerkannt, worauf beide die Rollen tauschen. Von da ab steht also des Riesen Haupt zu Pfande, der jetzt zu antworten hat, wie in der Einleitung Gangradr.
8. Dieser Name bedeutet wie Gangleri, der nach Grimnism. 46 gleichfalls einer von Odhins Namen ist, obgleich sich Gylfi in der jüngern Edda desselben bedient, wie Wegtam, den Odhin in der Wegtamskwida annimmt, den Wanderer, und der des blinden Gastes, den er sich in der Herwararsage beilegt, hat keinen andern Sinn. Als hülfloser Gast, als müder Wanderer hatte er nach germanischer Sitte auf wirthliche Aufnahme Anspruch und diesen macht er in unserer Strophe geltend.
10 erinnert an die sprichwörtlichen Lehren des Hawamals, die auch in demselben Maße vorgetragen werden. Vermuthlich ist es ein schon geprägtes altgesprochenes Wort, das der Dichter hier dem Gotte in den Mund legt. Zugleich bestätigt dieser Spruch von der Armut, daß Gangradr in Gestalt eines armen Mannes, wie bei König Heidrek in der eines blinden Gastes, in Wafthrudnirs Saal getreten ist.
11–14. Über Skinfaxi und Hrimfaxi vgl. D. 10.
15–16. Ifing und Ilfing wird weder D. 4. 39, Grimnism. 27. 28, noch, was zu verwundern ist, Skaldskap. c. 75 unter den Strömen genannt. Offenbar soll er nur die wesentliche Verschiedenheit der Götter und Riesen bezeichnen. Ähnlich ist es, wenn im Herbardslied ein Strom die Scheidewand zwischen Odhin und Thor bildet. Wie dort die Überfahrt verweigert wird, so drückt hier das Niegefrieren des Stromes die Unübersteiglichkeit der gesetzten Scheidewand aus.
[368] 17–18. Vgl. D. 51. Dagegen heißt in Fafnismal 15 der Holm, wo Surtur mit den Asen das Herzblut mischen soll, Oskopnir.
20–22. Vgl. D. 8, Grim. M. 40, Hyndluliod 32 und Gr. Myth. 526. 532 ff. „Wie die Edda den zerstückten ausgeweideten Leib des Riesen auf Erde und Himmel anwendet, so wird umgekehrt in andern (zum Theil deutschen) Überlieferungen die ganze Welt gebraucht, um den Leib des Menschen zu schaffen.“
22. 23. Vgl. D. 11.
24. 25. Vgl. D. 10.
32. D. 5 lautet die zweite Hälfte der Str.
Unsre Geschlechter kamen alle daher,
Drum sind sie unhold immer.
39. Wie hier von Niördr, den die Asen von den Wanen zum Geisel empfangen, gesagt wird, er werde am Ende der Zeiten zu ihnen zurückkehren, so hieß es Wöluspa 63, Hönir, den die Asen als Geisel zu den Wanen sandten, solle bei der neuen Weltordnung sein Looß sich selber kiesen, also zu den Asen zurückkehren dürfen.
49. Warum hier die Nornen, denn nur sie können gemeint sein, Mögthrasirs Töchter genannt werden, bleibt uns dunkel. Die Stelle bestätigt übrigens die Beziehung von Wölusp. 8 auf die Nornen, die dort Thursentöchter aus Riesenheim heißen.
55. Wafthrudnir erklärt sich hier überwunden, da er auf diese Frage keine Antwort weiß. Daß er den Tod verwirkt hat, ist ihm wohl bewust; ob er an ihm vollzogen ward, vermeidet der Dichter zu melden. Daß er mit Odhin gekämpft hat, erkennt der Besiegte an dem Inhalt der Frage, die ein Geheimniss betrifft, von dem kein Anderer Kunde haben kann. Sollen wir uns gleichwohl eine Vermuthung erlauben, so möchten wir aus der Stellung der Frage unmittelbar nach der über das Ende des höchsten der Götter schließen, daß das hier waltende Geheimniss auf die einstige Wiedergeburt der Welt und der Götter zu beziehen sei. AM. ist Lüning.
Unser Lied gilt für das dunkelste und räthselhafteste der ganzen Edda. Erik Halson, ein gelehrter Isländer des 17ten Jahrh. beschäftigte sich zehn Jahre lang mit demselben ohne es verstehen zu lernen. Wir hoffen glücklicher gewesen zu sein obgleich wir uns gleichen Zeitaufwands nicht zu rühmen haben. Die Schwierigkeit liegt in der mythologisch gelehrten [369] Sprache, zu der wir aber den Schlüßel nicht mehr entbehren. Vermehrt schien sie dadurch, daß man das Gedicht nur zur Hälfte erhalten glaubte. Wie es sich damit verhält, werden wir bald sehen. Auch über seine Echtheit sind Zweifel angeregt. Dietrich (Zeitschrift VII, 314) erklärt es nach Dr. Schering zu Bessastadr in Island für ein Machwerk später Aftergelehrsamkeit und jedenfalls jünger als Snorris Edda. Auch Uhland (Mythus des Thor 128), der sich um seine Erklärung sehr verdient gemacht hat, weist ihm eine verhältnissmäßige späte Abfaßungszeit an, urtheilt aber sonst günstig von ihm, indem er das innere Verständnis der mythischen Symbolik noch durchaus darin herschend findet.
Für seinen spätern Ursprung bezieht man sich auf mancherlei Entlehnungen aus Liedern ältern Gepräges, als Wöluspa, Grimnismal und Wegtamskwida, welche zwar nicht geläugnet werden können, aber die Annahme, daß es jünger sei als Snorris Werk, nur wahrscheinlich machen. Was in letzterm seinem Inhalt entspricht ist der Mythus von Idun, den es aber, ohne Iduns Wesen und symbolische Bedeutung umzuwandeln, doch so wesentlich verschieden behandelt, daß an eine Entlehnung nicht gedacht werden kann. Eine kurze Vergleichung beider Darstellungen wird nähern Ausschluß gewähren. In D. 56 sehen wir Idun mit ihren verjüngenden Äpfeln von dem Riesen Thiassi, der die Gestalt eines Adlers angenommen hatte, entführt, worauf die Asen grauhaarig und alt werden. Sie nöthigen darum Loki, der an ihrer Entführung Antheil genommen hatte, sie wieder zurück zu bringen. Er thut dieß in Gestalt einer Nuß, oder nach anderer Lesart einer Schwalbe, wobei Thiassi ums Leben kommt. Hienach deutet Uhland Idun, in deren Namen er schon die Erneuung ausgedrückt findet, auf den wiederkehrenden Frühling, oder näher auf das frische Sommergrün in Gras und Laub, und ihre Entführung durch den Riesenadler auf die Entblätterung der Bäume und Entfärbung der Wiesen durch den rauhen Hauch der Herbst- und Winterwinde. Auch auf Iduns Erscheinung in unserm Liede findet dieß Anwendung, so wenig dessen Inhalt sonst mit Snorris Bericht übereinstimmt. Idun (Urd) ist auch hier verschwunden, aber kein Riese hat sie entführt: sie ist von der Weltesche herabgesunken und weilt in Thälern bei Nörwis Tochter, der Nacht, wie es scheint in der Unterwelt, wodurch ihr Schicksal dem Gerdhas in dem zuletzt besprochenen Liede ähnlich wird. Das Herabsinken von der Weltesche zeigt uns Idun wieder als den grünen Blätterschmuck, in dem die Triebkraft der Natur sich verkündet. Das Verschwinden der schönen Göttin, die in der Pflanzenwelt waltet, ist auch hier der Herbst, und der allgemeinste [370] Sinn des Liedes läßt sich dahin angeben, daß die Götter in dem Eintritt der Winterzeit ein Sinnbild des nahenden Weltuntergangs erblicken, da sie beim Abfallen des Laubes von trüben Ahnungen ergriffen werden, ein Gefühl, dessen auch wir uns nicht erwehren. In der Zeit des Laubfalls scheint uns die Natur zu altern und wir mit ihr, was D. 56 so ausdrückt, daß die Götter bei Iduns Entführung grau und alt werden. Wenn Idun in Gestalt einer Nuß zurückgebracht wird, so deutet dieß Uhland schön auf den Samenkern, aus dem die erstorbene Pflanzenwelt alljährlich wieder aufgrünt; die andere Lesart, wonach sie als Schwalbe zurückkehrt, hat einen verwandten Sinn, wenn gleich nach unserm Sprichwort Eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Da nach unserm Liede Idun von Iwalt stammt, den wir aus D. 61 als den Vater der kunstvollen Zwerge kennen, die Sifs Haar schmiedeten, so stellt sie die grüne Blätterwelt gleich den in Sifs Haaren verbildlichten goldenen Ähren als das wunderbare Erzeugnis der unterirdisch wirkenden Zwerge dar. Uhland 125.
Aus diesem allgemeinsten Sinn unseres Liedes werden wir auch über das Einzelne Aufschluß erlangen. Nun der Name Odhins Rabenzauber bleibt eine nicht mit Sicherheit zu lösende Rune. Aufklärung sollen wir darüber aus Str. 3 empfangen, deren Sinn aber selbst erst der Erwägung bedarf. Nach ihr macht sich Hugin, einer von Odhins Raben, auf, die Himmel zu suchen, da die Götter von seinem längern Verweilen Unheil besorgen. „Raben,“ sagt Uhland, „durch eine besondere Opferweihe dazu bereitet, ließ man vor dem Gebrauche des Magnets vom Schiffe auffliegen um die Nähe des Landes zu erforschen. Rabenzauber hieß nun wohl die Beschwörungsformel, wodurch diese Vögel zu solchen Diensten geweiht wurden und dann auch die Rabensendung überhaupt, womit sich der Name des Liedes erklärt. Von der Wiederkehr Hugins, des nach Rettung ausgesandten göttlichen Gedankens, schweigt dasselbe. Ein zweiter fehlender Theil mochte das Ergebniss des Rabenflugs und die endliche Erlösung Iduns darstellen.“
Wir verhehlen den Zweifel nicht, ob diese Vermuthung sich mit den Worten, „den Himmel zu suchen,“ verträgt, die eher auf des Raben Rückkehr als auf seine Aussendung zu gehen scheinen. Auch hängt bei solcher Annahme die andere Hälfte der Strophe mit der ersten nicht zusammen. Eine Verbindung läßt sich nur herstellen, wenn man annimmt, daß Hugin zu den Zwergen Dain und Thrain gesandt war, um ihren Ausspruch zu erfragen, der aber so ausfiel, daß er schweren, dunkeln Träumen verglichen [371] wird. Diese erinnern nun an jene Baldurs in dem folgenden Liede, das in seinem Grundgedanken mit dem unsern so innig verwandt ist, daß wir es als dessen vermisste andere Hälfte betrachten. Überraschend wird dieß dadurch bestätigt, daß unser Lied noch eine zweite Überschrift führt, welche Forspiallsliodh lautet. Daß sie nur den ersten fünf Strophen gelten sollte, hinter welchen Rask abtheilt, können wir nicht mit Uhland annehmen, weil in der folgenden sechsten Strophe, wie wir sehen werden, Idun zwar zuerst unter diesem Namen erwähnt wird, aber schon früher unter dem Urds eingeführt war, mit Str. 6 also kein neuer Abschnitt anhebt. Die zweite Überschrift bezeichnet das Gedicht mithin als ein Vorspiel zu dem folgenden, auf das es auch verweist, da die Hindeutung auf den kommenden Morgen und den über Nacht zu faßenden Rath Str. 20, nachdem Iduns Besendung keinen Erfolg gehabt hat, nur die Befragung der Wala (Wöle) meinen kann, die den Inhalt der Wegtamskwida bildet. Ein Vorspiel zur Wegtamskwida ist unser Gedicht auch schon in einem weitern Sinne. Wenn nämlich Wegtamskwida von dem Tode Baldurs, des besten der Asen, handelt, in ihm also die Götterdämmerung gleichsam schon eingeleitet ist, so wird in unserm Liede der Eintritt der Winterzeit eben als ein Vorspiel des nahenden Weltunterganges behandelt.
Daraus ergiebt sich nun, daß unser Lied, wenn auch als Bruchstück gedichtet, doch vollständig erhalten ist, mithin bei der Erklärung des Namens Rabenzauber Odhins auf einen fehlenden zweiten Theil, der das Ergebniss des Rabenflugs bringen sollte, nicht verwiesen werden darf. Bei seiner Deutung sind wir demnach lediglich auf die dritte Strophe angewiesen, welche diese Überschrift wohl veranlaßt haben kann. Freilich ist er von einem einzelnen Zuge hergenommen, und läßt den Grundgedanken des Liedes unausgesprochen. Wir wißen aber auch nicht, von Wem er herrührt, ob von dem Dichter selbst oder von einem spätern Abschreiber. Wir haben gesehen, daß auch Gylfaginning von einem solchen, nicht von seinem Verfaßer, den Namen erhielt. Von dem Dichter unseres Liedes möchten wir glauben, daß er sein viel späteres und darum im Ausdruck gesuchteres Werk nur als Vorspiel zur Wegtamskwida gedichtet und darum auch als Forspiallsliodh bezeichnet habe. Wir wißen nicht, ob Pauli sich auf Handschriften bezieht, wenn er meldet, die Wegtamskwida selber habe einst den Namen unseres Liedes getragen, was jedenfalls auf beider Verbindung deutet.
Die Übersetzung sucht dem Leser das Verständniss des Liedes durch Weglaßung einiger seltnern Namen Odhins und eines Beinamens Iduns [372] zu erleichtern. Letzterer lautet Jorunn Str. 13 und ist vielleicht nur für Idun verschrieben. Einen andern Nanna Str. 8 führt sonst Baldurs Gattin. Wenn Nanna nach Uhlands Deutung die Blüte bezeichnet, wie Baldur das Licht, so war der Dichter nach der kühnen Sprache der nordischen Poesie, von der wir bald andere Beispiele besprechen müßen, durch die Verwandtschaft der Begriffe von Laub und Blüte allerdings berechtigt, diesen Namen für Idun zu gebrauchen.
Str. 1. Das Gedicht beginnt räthselhaft genug mit Aufzählung der verschiedenen Wesen des nordischen Glaubens, die uns bis auf die Iwidien, die etwa den Dryaden der Alten entsprechen (Grimm vergleicht sie unsern Moos- und Waldleuten), schon bekannt sind. Sie werden nach ihrem Verhalten gegen die Schicksale der Welt und den Weltuntergang, das Thema des Liedes, kurz aber treffend bezeichnet.
2. In der folgenden Str. sehen wir die Götter, von widrigen Vorzeichen erschreckt, wegen Odhrörirs in Besorgniss gerathen, welcher Urds Bewachung anvertraut war. Urd ist der Name der ältesten Norne, Odhrörir das Gefäß, in welchem der göttliche Meth, der Asen Unsterblichkeitstrank, aufbewahrt wird. Nichts hat das Verständniss des Liedes so erschwert, als diese Einführung Iduns unter dem Namen Urds, deren Beziehung zu Odhrörir nicht einleuchten noch mit dem folgenden stimmen wollte. In einer spätern Str., der 11ten, wird nämlich eine Wärterin des Tranks erwähnt, und der Zusammenhang zeigt, daß die schon vorher genannte Idun gemeint sei. Das schien nun ein Widerspruch mit unserer Str., wo Urd Odhrörir bewacht. Der Widerspruch löst sich aber, wenn wir annehmen, daß hier Idun Urd, wie Str. 8 Nanna genannt werde. Ihr, die auch die goldenen Äpfel verwahrt, deren Genuß die alternden Götter verjüngt (D. 26), konnte auch die Hut Odhrörirs übergeben werden. Wenn sie aber dabei Urd genannt wird, so ist dieß dem Geist der nordischen Dichtersprache gemäß, die ein Verwandtes für das andere zu nennen liebt, wovon in unserm Liede noch andere Beispiele begegnen. Das erste kann es schon scheinen, wenn der Asen Trank statt ihrer Speise der Hut Iduns übergeben sein soll; doch damit verhält es sich vielleicht, wie wir gleich sehen werden, anders. Iduns Verwandtschaft mit Urd liegt aber in Folgendem: D. 16 berichtet von Urds Brunnen, daß mit seinem heiligen Waßer die Esche Yggdrasils besprengt wird, damit ihre Äste nicht dorren oder faulen. Dieses Waßer hat also auch verjüngende Kraft wie Odhrörir, und indem Idun diesen behütet, wie Urd jenen Brunnen, fällt sie im Begriff mit ihr zusammen und der Dichter darf einen Namen für [373] den andern setzen. Ebenso mögen aber auch beide Verjüngungsquellen einander vertreten, und wir haben an Odhrörir nicht zu denken, sondern nur an Urds Brunnen, da dieser unter der Weltesche liegt, wo wir Str. 6 Idun wiederfinden. Indessen läßt sich aus Odhins Runenlied 3 (Hawamal 141) schließen, daß Urds Brunnen den Namen Odhrörir (Geisterreger) allgemein geführt habe, und nicht bloß in unserer Stelle der kühnen Sprache des Dichters verdanke. Aus seiner Geist erregenden Kraft würde sich dann auch erklären, warum die Götter nach D. 15 an Urds Brunnen ihre Versammlungen halten. Dann ist aber Urd die eigentliche Heldin unseres Liedes, welcher nach Str. 6 der Name Idun nur in der Sprache der Alfen zu gehören scheint, wie ihr der Dichter weiterhin noch andere beilegt.
Diese heilige Quelle hat also ihre verjüngende Kraft entweder schon verloren, oder die Asen besorgen, daß dieses Ereigniss eintreten werde, wie es Str. 6 geschehen ist.
3. Darum (thvi) war Hugin, Odhins Rabe, ausgesandt, darüber den Ausspruch zweier Zwerge zu vernehmen, deren Name bedeutungsvoll klingt. Dain ist mortuus, Thrain nach Myth. 422 contumax oder rancidus. Den Raben kann man nicht umhin, seinem Namen gemäß, auf den göttlichen Gedanken zu deuten; die Zwerge, deren Ausspruch schweren dunkeln Träumen gleicht, scheinen selber nur Träume, aber unheilverkündende, widerwärtige. Ihrer Einkleidung entblößt sagt also die Strophe, die Götter hätten durch Nachdenken über das stockende Wachstum an der Weltesche nichts erreicht als von beunruhigenden Träumen gequält zu werden.
4 und 5 zählen eine Reihe von Erscheinungen auf, die nicht weniger beunruhigend sind als jenes stockende Wachstum, als dessen Folgen sie zugleich betrachtet werden können. Daß den Zwergen die Kräfte schwinden, sagt eben nichts als was wir schon vermuthet haben, daß die Triebkraft der Natur nachgelaßen hat. Zwar könnte darin der Grund angegeben sein, warum Idun die nach Str. 6 zum Geschlechte der Zwerge (D. 61) gehört, die Quelle der Verjüngung nicht zu hüten, zu beschützen, vermochte, vielmehr selbst, wie wir aus eben dieser Strophe erfahren, von der Weltesche herabgesunken ist. Doch thun wir der Einheit des Gedankens willen am Besten, alles von der verlorenen Jungkraft des Brunnens abzuleiten. Die übrigen Erscheinungen, welche sich zum Theil durch die beigeschriebenen, auf Stellen der j. Edda deutenden Zahlen, erläutern, sind vom Herbst hergenommen, mit Ausnahme der letzten, welche eben nur wieder die Rathlosigkeit der Götter ausdrücken soll.
[374] 6 führt Idun zuerst unter diesem Namen ein. Die vorwißende Göttin, nicht die vorwitzige, wie Uhland will, heißt Idun, weil das Abfallen des Blätterschmucks als ein Bedeutungsvolles aufgefaßt wird, über das sie späterhin selbst Auskunft geben soll. „Darin, daß sie von Yggdrasil herabsinkt,“ sagt Uhland, „fallen Bild und Gegenstand fast gänzlich zusammen.“
7. Hier ist Nörwis Tochter die Nacht; vielleicht hätten wir aber übersetzen sollen: bei der Verwandten Nörwis, wenn Hel die Unterwelt gemeint ist, wie Str. 11 anzudeuten scheint. Wenn sie aber nun in der Unterwelt weilen soll, wie Gerda, so ist sie wohl mehr die Triebkraft der Natur, die den grünen Laubschmuck hervorgebracht hat, als dieser selbst: diese Kraft hat sich nun in die Wurzel zurückgezogen; der Weltbaum ist entblättert, der Winter eingetreten.
8. Das Wolfsfell, das ihr die Götter geben, wißen wir nicht anders als auf den Reif und Schnee des Winters zu deuten, von dem bedeckt Stauden und Bäume von Neuem zu blühen scheinen.
Die nächsten Strophen 9–14 sind deutlich. Überhaupt scheinen die Schwierigkeiten gehoben. Odhin besendet die versunkene Idun selbst, um sie zu fragen ob das Ihr Widerfahrene der Welt und den Göttern Unheil bedeute. Die Boten sind Heimdal, Loki und Bragi. Warum gerade sie gewählt worden, hat Uhland, auf den ich hier verweise, genügend erklärt. Heimdal, der in Str. 14 der Vormann der Botschaft heißt, ist es auch, der Str. 11 das Wort führt. Aber die Sendung hat keinen Erfolg, Idun weint und schweigt Str. 12. 13, die Boten kehren unverrichteter Dinge heim, nur Bragi, den wir aus D. 26 als Iduns Gatten kennen, bleibt als ihr Wächter zurück. Vermuthlich wollte der Dichter damit ihre Vermählung einleiten. Im Naturgefühl des Altertums, sagt Uhland, ist die schöne grünende Jahreszeit auch die Zeit des Gesanges, des menschlichen, wie des Vogelsanges: darum bleibt Bragi jetzt auch unten bei Idun in ihrer Verbannung, der verstummte Gesang bei der hingewelkten Sommergrüne.
15–20. Noch weniger machen uns die Strophen zu schaffen, welche die Rückkehr der beiden Boten und das Gastmal der Asen beschreiben, bei welchem sie von der Erfolglosigkeit ihrer Werbung Bericht abstatten. Da vertröstet Odhin auf den andern Morgen, und fordert auf, die Nacht nicht ungenutzt verstreichen zu laßen, sondern auf neuen Rath zu sinnen. Diese Stelle kann aber nicht beweisen, daß uns das Gedicht nur zur Hälfte erhalten sei. Den Rath, welchen die Nacht bringen soll, die Befragung der Wöla, führt Odhin in der Wegtamskwida am andern Morgen selber aus. Nur eine Einzelnheit bleibt zu erläutern. Odhins Gesandte kehren von [375] Fornjots Söhnen getragen zurück. Fornjots Söhne sind nach den beiden Bruchstücken über den Anbau Norwegens: Hler, Loki und Kari, Personificationen der Elemente Waßer, Feuer und Luft. Gewöhnlich heißt es nun von den Göttern, wenn sie sich von einem Orte zum andern bewegen: „sie ritten Luft und Meer.“ Dafür steht hier, Fornjots Freunde hätten sie getragen. Ein neues Beispiel des mythologisch gelehrten Ausdrucks bietet die nächste Strophe.
21. Walis Mutter ist nach D. 30 Rinda, die winterliche Erde. Mit Fenrirs Nahrung scheint der Mond gemeint. Fenrir steht hier für den Höllenhund, wie umgekehrt Garm (Wöluspa 41) für Fenrir. Ein Wink, daß die nordische Dichtersprache schon früh Ein Ähnliches, im Begriff Verwandtes für das andere zu setzen liebte, mithin unser Gedicht, so starken Gebrauch es auch von solchen Vertauschungen macht, darum doch nicht für so jung gehalten werden muß. Wir sehen also hier die Schilderung der Nacht begonnen, welche die beiden nächsten Strophen prächtig ausmalen. Mit Str. 24 hebt dann die Beschreibung des Morgens an, auf welchen Odhin verwiesen hat und mit ihr muß unser Vorspiel zur Wegtamskwida schließen.
22. Der reifkalte Riese ist Nörwi, der Vater der Nacht. Die dornige Ruthe, mit welcher er die Völker in Schlaf versenkt, erinnert an den Schlafdorn, womit Odhin die Walküre Brunhild ins Haupt traf. In der nächsten Strophe sehen wir selbst Heimdal, den Wächter der Götter, der weniger Schlaf bedarf als ein Vogel, von der Schlummerlust ergriffen. Übrigens haben wir diese Strophen an die ihnen gebührende Stelle gerückt.
24. 25. In der hier folgenden Beschreibung des anbrechenden Tags wird die Sonne des Zwergs Überlisterin genannt, mit Anspielung auf die auch Alwismal zu Grunde liegende Mythe, daß Riesen und Zwerge, welche vom Sonnenstral getroffen zu Gestein erstarren, mit List bis zum Anbruch des Tages hingehalten und bezwungen werden. Dieser ihrer lichtscheuen Natur gemäß sehen wir beide vor dem Tage der Schlafstätte zufliehen.
26. Aus gleichem Grunde heißt hier die Sonne Alfenbestralerin, wie Skirnisför 4. Ulfruna ist eine der im Hyndluliod aufgezählten neun Mütter Heimdalls. Argiöll (die frühtönende) scheint ein Beiname der Himmelsbrücke, welche Heimdal bewacht.
Mit Anbruch des Tages ist das Vorspiel zu Ende, das Str. 20 auf den Morgen verwiesen hatte. Die Nacht ist wirklich von Odhin zu neuen Entschlüßen genutzt worden, deren Ausführung den Gegenstand des Hauptliedes, [376] unserer Wegtamskwida, bildet. Daß dieß mit dem Morgen beginnt und nur den Raum des nächsten Tages zu füllen braucht, wird deutlicher, wenn man nach der ersten Strophe, wo die Asen sich bei der Gerichtsstätte versammelt haben, was in der Frühe zu geschehen pflegt, die eingeklammerten vier Strophen, die sich nur in spätern Handschriften finden und den Eindruck schwächen, hinwegdenkt. Offenbar sollen sie Vorhergegangenes nachholen, wobei sie aber arge Verwirrung anrichten, und sogar den Schein erregen als ob von einer doppelten Versammlung an der Gerichtsstätte die Rede wäre, obgleich der Verfaßer eigentlich nur die Veranlaßung zu der in der ersten Strophe erwähnten angeben will. Arge Verwirrung scheint es uns, wenn St. 4 schon der Eide gedenkt, die alle Wesen schwören musten, Baldurn nicht zu schaden, denn zu diesem Auskunftsmittel, das vollkommen beruhigen muste, konnte nicht gegriffen werden ehe der Ausspruch der Wala ergeben hatte, daß Baldurs Leben bedroht sei. Zwar sollen dieß nach Str. 2 und 3 schon andere vorschauende Wesen angesprochen haben; aber damit würde der Grund zu Odhins Besuch bei der Wöla hinwegfallen und das ganze Gedicht müßig sein. Ja selbst mit der ersten Strophe, welche durch diese eingeschobenen doch erläutert werden soll, steht dieß im Widerspruch, denn die Asen brauchten sich nicht erst zu berathen, was Baldurs böse Träume bedeuten möchten, wenn sie schon wüsten, daß er dem Tode bestimmt sei. Nur bei der Annahme, daß sie von dem Verfaßer des Vorspielliedes eingeschoben sind, begreifen sich diese Strophen. Dieß hat jetzt auch der neueste Herausgeber des Textes angenommen.
Unser Lied ist auch nach den in der ersten Strophe erwähnten Träumen Baldurs (Baldrs draumar) benannt. Den andern Namen führt es nach jenem, welchen sich darin Odhin beilegt. Wegtam bezeichnet den wegkundigen Wanderer, wie Waltam (so nennt er seinen Vater) den schlachtgewohnten Krieger. Ähnliche Beinamen Odhins, die wir zum Theil schon kennen, sind Gangradr, Gangleri, Widförull und Saxos viator indefessus. Eine Erklärung bedarf in unserm Liede nur Str. 16, von der wir gestehen müßen, sie mit großer Freiheit übertragen zu haben. Wörtlich heißt die von Odhin gestellte Frage: „wie heißen die Mädchen, die nach Willkür weinen u. s. w.,“ was man auf die Meereswellen, die Wolken oder Walküren zu beziehen pflegt. Wie aber dann an dieser Frage Odhin erkannt werden könnte, sähen wir nicht ab: darum haben schon andere vor uns vermuthet, Odhin frage nach dem Namen des Weibes, die nach dem Schluße von D. 49 Baldurs Tod nicht beweinen wollte. Freilich liegt dieß Ereigniss weit hinter Baldurs hier erst geweißagtem Ende, aber auch die [377] Rache, die Wali (Str. 16 vgl. Wöluspa 37) an Hödur nehmen soll, liegt hinter demselben, und Thöcks (l. Döcks) Weigerung, Baldurn zu beweinen, gehört in den Plan eines Gedichts, das alle an seinen Tod sich knüpfenden Begebenheiten zusammenfaßen will. Und gerade an dieser Frage mochte Odhin erkannt werden, denn keinem Andern war dieser Blick in die ferne Zukunft zuzutrauen. Allerdings kann man einwenden, wenn Odhin so vorwißend sei, so habe er die Wöla nicht zu befragen gebraucht. Allein mit verständigen Reflexionen dieser Art würde man alle Poesie zerstören. Wirklich hat man, von Odhins Weisheit ausgehend, diesen Einwand gegen unser ganzes Gedicht gerichtet. „So nichtsbedeutend,“ sagt Wiborg 264, „konnte doch wohl der Asenkönig nicht geworden sein, daß eine todte Hexe mehr als Er wuste.“ Wir wollen uns aber mit so kühler Prosa jedenfalls ein Gedicht nicht zerstören laßen, das an zweien Stellen (Str. 10. 12) ans Erhabene streift, wenn wir auch selbst an seiner Originalität einen bescheidenen Zweifel nicht bergen. Trifft nämlich unsere Deutung der letzten Frage zu, so ist unser Lied, wo nicht eine Nachahmung von Wafthrudnismal doch in seinem Grundgedanken fast zu nahe mit ihm verwandt. Dort wird zwar Odhin an der Frage nach einer Begebenheit erkannt, die schon weit in der Vergangenheit liegt, ihm aber allein bewust sein konnte, während ihn hier der Blick in die Zukunft verräth. Gemeinsam ist aber beiden Fragen die Beziehung auf Baldurs Tod und hierin erkennen wir eine Bestätigung unserer Vermuthung, die wir in den Text aufzunehmen nicht Bedenken getragen haben.
Zu Str. 16 vgl. Liebrecht G. G. A. 1865, 12., wonach hier von den Nornen die Rede wäre, die nach Willkür über die Geschicke verfügen mögen und die Enden ihrer Seile an den Himmel werfen. Auf Liebrechts Frage, was ich mir unter „himmelan werfen des Hauptes Schleier“ gedacht habe, antworte ich: eine Gebärde der Klageweiber. Egilsons Deutung der Worte halsa skautum als ausgestreckte Hälse, kommt meiner Auffaßung nahe. Für Liebrechts Deutung auf die Nornen spricht, daß nicht von Einem Weibe, sondern von mehrern die Rede ist; entgegen steht ihr aber, daß an einer Frage nach den Nornen Odhin nicht erkannt werden konnte, wohl aber, wenn er auf ein in der fernsten Zukunft liegendes Ereigniss wie Thöcks Weigerung um Baldur zu weinen, hingedeutet hätte.
Hawamal ist eigentlich nur ein Spruchgedicht, in das aber zwei mythologische Episoden eingeflochten sind; beide auf Odhin bezüglich, nach [378] dem es auch „des Hohen Lied“ genannt ist. Außerdem besteht es aus drei verschiedenen ursprünglich selbständigen Theilen, von welchen der letzte, Odhins Runenlied, den übrigen ungleichartig scheint, indem es nicht eigentlich ethischen, wenn auch durch seinen Bezug auf den Runenzauber, lehrhaften Inhalts ist. Der mittlere Theil, von den an Loddfafnir gerichteten Rathschlägen Loddfafnismal genannt, ist rein ethisch und nur an seinem Ende auf zauberhafte Heilkunst bezüglich. Dieß hat wohl seine Verbindung mit Odhins Runenlied vermittelt, vor dessen Schluß jetzt sogar Loddfafnir angeredet wird, wodurch der Schein entsteht als wenn es wie Loddfafnismal an ihn gerichtet wäre. Die letzte Strophe des dreitheiligen Ganzen geht wieder auf den ersten ursprünglichen Haupttheil zurück und hat zu dem angehängten Runenliede wohl nie gehört.
Die diesem Haupttheil eingeflochtenen Episoden sind folgende:
- 1)die vom Begeisterungstrank bei Gunlödh Str. 12 und 13, eigentlich nicht mehr als eine Anspielung auf die bekannte unter 3 näher besprochene, D. 57 ausführlich erzählte Mythe.
- 2)Die von Billungs Tochter Str. 95–101.
- 3)Die von der Erwerbung des Begeisterungstranks Str. 104–110.
Durch Einflechtung dieser drei auf Odhin bezüglichen Episoden wollte wohl der Dichter oder Sammler der in dem Haupttheile zusammengestellten altüberlieferten, gröstentheils allgemein germanischen sprichwörtlichen Lehren und Klugheitsregeln den Schein hervorbringen als wenn Odhin, nach welchem das Ganze des Hohen Lied benannt ist, der Sprechende wäre. Da Odhin der Gott des Geistes, die Spruchweisheit des Volkes aber nur der Ausdruck seines Geistes ist, so fehlt dieser Fiction die Berechtigung nicht. Auch das angefügte Runenlied ist dem Gott in den Mund gelegt; bei Loddfafnismal ist dieß eigentlich nicht der Fall, der Sprechende ist Loddfafnir selbst, aber seine Weisheit hat er in des Hohen Halle und an Urdas Brunnen, vermuthlich doch wieder von Odhin selbst, vernommen und mit Berufung darauf theilt er es jetzt vom Rednerstuhle den Zuhörern wörtlich mit, wodurch der Ungleichartigkeit des Inhalts ungeachtet doch eine formelle Gleichartigkeit der drei Bestandtheile des Ganzen entsteht.
Die erste Strophe hat auf das Mythische noch den besondern Bezug, daß diese Klugheitsregel in der Einleitung von Gylfaginning D. 2 dem Gylfi in den Mund gelegt wird ehe er Odhins Halle betritt, was aber wohl nur als eine Anspielung auf unser Lied zu betrachten ist. Diese Strophe gehört schon zu den Gast- und Reiseregeln, die im Anfang bis Str. 34 zusammengestellt sind und sich in Odhins Munde besonders wohl [379] geziemen, da er überall als der Vielgewanderte gedacht ist und ihm besonders der Schutz der Gastfreiheit oblag. Eine strenge Anordnung war aber bei der Mannigfaltigkeit des dem Dichter vorliegenden Stoffes nicht durchzuführen und so sehen wir schon mit Str. 32 den Übergang zu den Regeln über das Verhalten gegen Freunde begonnen, das mit Str. 39 entschiedener zum Gegenstand, und bis Str. 51 besonders in Bezug auf das Schenken besprochen wird. Von da ab bis 66 sind die Strophen ziemlich bunt durcheinander gewürfelt, obgleich die frühern Themata noch nicht gänzlich verlaßen scheinen. Mit Str. 67 beginnt offenbar ein neues, welches Dietrich (Zeitschrift III, 400) mit „Vergleichung der Güter des Lebens“ bezeichnet. Von Str. 80 nehmen die Sprüche mehr einen Priamelartigen Charakter an. Von Str. 89 abwärts beziehen sie sich, anfangs noch in diesem Charakter fortgehend, auf die Frauenliebe; Str. 94 bildet den Übergang zu der Episode von Billungs Tochter, ebenso ist Str. 102. 103 als Einleitung zu der zweiten von Gunnlödh anzusehen, womit dieser erste Haupttheil abschließt.
12. 13. Da wir von den einzelnen Strophen nur die wenigen besprechen wollen, über die wir eine Bemerkung auf dem Herzen haben, so kommen wir gleich zu den beiden Strophen, die wir oben als erste Episode von Gunnlödh bezeichneten. Diese schöne Stelle, welche die Übersetzung fast schon hinlänglich erläutert hat, stimmt nicht ganz zu der Erzählung in D. 57. Nicht in Fialars, sondern in Suttungs Felsen hatte Odhin den Meth getrunken, wie auch in unserer zweiten Episode über diesen Mythus angenommen scheint. Fialar hieß D. 57 einer der Zwerge, welche Kwasir tödteten und aus seinem mit Honig vermischten Blut den Meth der Begeisterung gewannen. Der Verfaßer der Strophe, welche der Sammler hier aufgenommen hat, scheint also von einer andern Gestalt dieser Göttersage auszugehen. Ferner, nicht als Reiher, als Adler entfliegt Odhin; aber nach der bekannten kühnen Dichtersprache des Nordens steht Ein großer Vogel anstatt des andern. „Als Odhin den ersehnten Trank schlürfte und der schönen Riesin theilhaftig wurde, feßelten ihn Adlerschwingen.“ Hierin findet Grimm Myth. 1086 den erhabensten Rausch der Unsterblichkeit und zugleich Dichtkunst geschildert, und zürnt den nordischen Auslegern, welche eine Beschreibung gemeiner Trunkenheit darin finden, vor deren Folgen ein isländisches Gedicht unter dem Titel ominnis hegri warne. Nicht zu läugnen ist gleichwohl, daß Str. 11, welche die Einleitung zu unserer kleinen Episode bildet, vor Betrunkenheit warnt und selbst Str. 13 von dieser Absicht nicht frei ist. Vgl. M. Handb. §. 7 und §. 76.
[380] 52. Diese Strophe versteh ich so wenig als die Erklärung, welche Dietrich a. a. O. von ihr giebt. Die Übersetzung wird also schwerlich das Richtige getroffen haben.
56. Mit der Rede vertraut, nicht in der Rede kund, was so viel sein soll als berühmt, wie Dietrich will, dessen Deutungen wir uns sonst hier wohl gerne angeschloßen haben.
95–101. Odhins Werbung um die Tochter Billungs ist uns sonst nicht berichtet: sie für jene Rinda zu halten, welche nach Saxo Gr. III, 44 Odhin zuletzt doch bezwang (dieselbe, welche wir aus D. 30 als Walis Mutter kennen) haben wir keinen zwingenden Grund, eher spricht der Schluß von Str. 101 dagegen, nach welcher er bei Billungs Maid nie zum Ziel gelangt scheint.
104–110. Der Str. 106 gedachte Bohrer heißt in der angezogenen D. Rati; vielleicht soll er auch hier so heißen, wenn nicht der Bericht der Sn. Edda auf einem Missverständniss dieser vieldeutigen Stelle beruht. Vgl. Dietrich a. a. O. 442.
111. Das Loddfafnismal, sagt Dietrich, war sicher ein selbständiges Spruchgedicht und nicht ursprünglich mit Hawamal verbunden, da es sich durch die neue Einkleidung, die Versetzung an den Urdarbrunnen, wie durch die besondere Form, die Einschließung eines Kehrverses, absondert und nur zusammenhanglos aneinander gereihte Regeln enthält, die zum großen Theil in Hawamal schon enthalten sind.
112. Die hier erwähnten Runen, die im eigentlichen Sinn als Zauberbuchstaben zu verstehen sind, können die Anfügung des Runenlieds, welches den dritten Haupttheil des Ganzen bildet, veranlaßt oder doch zu vermitteln geholfen haben.
139–164. Das mystische Runenlied zu erklären maßen wir uns nicht an, es sind Andere, die mehr dazu berufen schienen, dieser Aufgabe aus dem Wege gegangen. Das Wenige, was wir dennoch darüber mittheilen, geben wir als unsere eigenen Anschauungen, welche künftige Untersuchungen bestätigen oder beseitigen mögen.
Als Übergang zu dem Runenlied haben wir schon die Schlußstrophe des vorhergehenden bezeichnet, wo zum Gebrauch der Heilkunde allerlei geheimnissvolle, zauberische Mittel empfohlen wurden. In der vorletzten Zeile wird auch ausdrücklich der Runen gedacht, von welchen bereits 112 die Rede war. Nach ihr hatte Loddfafnir in des Hohen Halle oder an Urdas Brunnen, dessen geisterregende Kraft wir bei Odhins Rabenzauber vermuthet haben, von Runen sagen hören und die Lehren vernommen, welche [381] Loddfafnismal überliefert. Unser Lied ist also Str. 112 auch schon angekündigt, wie Str. 162 auf den beiden gemeinschaftlichen Eingang zurück verweist. Als Erfinder der Runen, von deren zauberischem oder doch prophetischem Gebrauch hier allein die Rede ist, wie der Nordländer denn kaum noch einen andern Nutzen der Schriftzeichen kannte, wird in unserm Liede Odhin geschildert. Seine Beschäftigung mit der Zauberei, die im Norden im höchsten Ansehen stand, kennen wir schon aus dem Harbardsliede, sowie den Vorwurf, den ihm Loki Ögisdr. 24 daraus macht. Aber es ist der alten sinnlichen Vorstellungen gemäß, daß selbst der Gott der Weisheit und höchsten Macht seine Wunder zu verrichten äußerer Mittel bedürfe: so schickt Odhin seine Raben aus, die ihm Alles ins Ohr flistern, was sich in der Welt begiebt, so späht er von Hlidskialf hernieder, so trinkt er aus Mimirs Brunnen, so besendet er Idun, so weckt er die Wala, Baldurs Geschicke zu erkunden. Wenn Gr. Myth. 983 sagt, erst den gesunkenen, verachteten Göttern habe man Zauberei zugeschrieben, und sich dabei auf Snorri und Saxo Grammaticus bezieht, so lebten diese in einer Zeit, wo die Zauberkunst selbst gesunken und durch christliche Priester als teuflisch verschrieen war. Aber was dieser Zeit als teuflisch erschien, war der heidnischen noch göttlich. Grimm selbst sagt gleich darauf: Unmittelbar aus den heiligsten Geschäften, Gottesdienst und Dichtkunst, muß zugleich aller Zauberei Ursprung geleitet werden. Opfern und Singen tritt über in die Vorstellung von Zaubern: Priester und Dichter, Vertraute der Götter und göttlicher Eingebung theilhaftig, grenzen an Weißager und Zauberer. Erinnern wir uns nur aus dem Eingange der Hymiskwida, daß die Götter selbst zum Zweck der Weißagung geritzte Runen-Stäbe schüttelten. Einer so hochgehaltenen Kunst wird nun hier der erhabenste Ursprung beigelegt. Aus Sigrdrifulied 9 kennen wir den geburtshülflichen Gebrauch der Runen: durch Zauberlieder, den hier beschriebenen Runenliedern gleich, half Oddrun Heidreks Tochter Borgny (Oddrunargratr 8) entbinden. Hier aber verhilft sich Odhin selbst durch Erfindung der Runen zur Geburt. Er ist als eine Frucht des Weltbaums gedacht, an dem er neun Nächte lang, neun Monate wie im Mutterleibe, hing. Auch von Mimameidr, womit nur die Weltesche gemeint sein kann, wird Fiölsw. 20 gesagt, daß Niemand wiße, welcher Wurzel er entsproßen sei wie es hier Str. 139 von dem windigen Baume heißt, von dem sich Odhin durch Runen löste, daß er zur Erde fiel. Die Weltesche muß dieser Baum sein, darauf deutet auch der in der folgenden Str. erwähnte Trunk aus Odhrörir, durch den er zu gedeihen und zu wachsen begann, wenn nämlich auch hier wie Hrafnag. [382] 2 Urds Brunnen gemeint ist, der unter ihrer zweiten Wurzel lag. Es steht nicht entgegen, daß er zuvor neun Hauptlieder von Bölthorns weisem Sohne gelernt haben soll, denn nach D. 6 ist Odhin selbst Bölthorns Sohn oder Enkel, und die von ihm noch an der Weltesche erfundenen Runenlieder hatten seine Geburt, die Lösung von ihrem Zweige, befördert. Daß er vom Spieß durchbohrt, und sich selber geweiht war, erinnert zunächst daran, daß sich Altersschwache oder Todkranke mit dem Spere ritzen ließen, um zu Odhin zu kommen, der in seiner Himmelshalle nur solche aufnahm, welche Wunden vorzuzeigen hatten. Dann war Odhin als Hângatyr auch der Gott der Gehängten, Menschenopfer wurden ihm an Bäumen aufgehängt, nicht ohne vorher, wie wir aus der Wikarssage sehen, vom Sper durchbohrt zu werden. Als Frucht des Weltbaums, von dem er sich erst noch lösen soll, hängt er am Stiel, und dieser, oder was dem bei menschlicher Frucht entspricht, kann hier dem durchbohrenden Spieß verglichen sein.
In welchem Verhältniss zu den Runen standen aber die Str. 141 gemeinten, in den Str. 147–165 nach ihren zauberischen Wirkungen näher beschriebenen Runenlieder? Ohne Zweifel wird dieses Verhältniss durch die Liedstäbe vermittelt, etwa so, daß die den geschüttelten Zweigen oder Stäben eingeritzten Runen als Reimstäbe des Liedes dreimal wiederkehren musten, wie Skirnisför 36 beweisen kann, wo die Zeile, welche das Einritzen des Thurs (Th) begleitet, zugleich diese Runen zu Liedstäben hat: Thurs rist ek thér ok thrjá stafi. Doch mögen die eingeritzten Runen den Inhalt des Liedes noch näher vermittelt haben, da alle Runen Namen führten, z. B. die Rune M führt den Namen Madr, der Mann, und das Zeichen selbst ist aus der Gestalt eines Mannes mit zwei Armen entstanden (Gr. G. der deutschen Spr. 158) wie in den uns erhaltenen Gedichten über die Runen (Wilh. Grimm über deutsche Runen 218–252) jede Strophe mit dem Worte beginnt, das die Rune benennt. In dem einfachsten dieser Lieder über die Runenzeichen, dem nordischen, finden wir über jede Rune nur eine, unsern Fibelsprüchen verwandte, Langzeile mit drei Stäben, von welchen der dritte nach dem allgemeinen Gesetz als Hauptstab in der zweiten Hälfte der Zeile steht, zugleich aber von dem Namen der Rune, oder was gleichbedeutend ist, von der Rune selbst gebildet wird. In dem ältern angelsächsischen besteht die Strophe aus mehrern Langzeilen und nur die erste nimmt in den Stäben auf die Rune Bezug. In unsern ältesten Segenssprüchen, welche wir als Nachklänge der in unserm Liede gemeinten zauberischen Runenlieder zu denken haben, treffen wir gleichfalls [383] mehr als eine alliterierende Langzeile. Unter den uns erhaltenen ist keiner, der mit dem Namen einer Rune begänne, wenn nicht etwa die angelsächsische Rune ear (Wilh. Gr. 233) die Erde bedeutete, in welchem Falle der Segensspruch Gr. Myth. 1186 mit ihr anheben könnte. Jedenfalls erklärt sich der Name der Stäbe für die reimenden Anfangsbuchstaben der Lieder nur aus dem angenommenen Verhältniss derselben zu den aus den Stäben (Tac. c. 10) eingeritzten Runenzeichen, so daß noch unsere Buchstaben von dem alten Zusammenhang der Dichtkunst mit Weißagung und Gottesdienst, mit Opfer- und Zaubergebräuchen Zeugniss geben. Auf gottesdienstliche Verrichtungen geht auch wirklich Einzelnes in den Str. 145. 146, die wir sonst unerläutert laßen. Vgl. übrigens v. Lilienkron und Müllenhoff Zur Runenlehre 1852, wo S. 19 ausgeführt wird, wie die eingeritzte Rune an sich todt war und erst durch das dazu gesungene Lied, welchem dieselbe Rune zu Stäben diente, Leben und zauberkräftige Wirkung empfing. Darnach wären Str. 140 die Runenzeichen selbst gemeint, Str. 141 aber unter dem Trunke Meth, aus Odhrörir geschöpft – einer gewöhnlichen dichterischen Umschreibung gemäß – die Poesie: das zu dem eingeritzten Stab gesungene mit demselben Stab als Liedstäben versehene Runenlied. Der Sinn ist also, daß Odhin die Runenzeichen mit den dazu gehörenden Versen oder Sprüchen erfand. In gleichem Sinn heißt es Sigrdrifumal Str. 18, die Runen seien „mit hehrem Meth geheiligt und gesandt auf weite Wege;“ d. h. wiederum „mit dem Zeichen ist der Vers verbunden und dadurch die Zauberkraft des Zeichens geweckt.“ Der Gewinn aber, welcher sich für die Erklärung eines der beiden Merseburger Heilsprüche aus unserer Str. 150 vgl. mit Grogaldr 10 schöpfen läßt, bleibt noch zweifelhaft. Der erste derselben nämlich, welchen man von den darin erwähnten Göttinnen Idisi zu nennen pflegt, ist nach Andern ein solches Runenlied wie das hier gemeinte, dessen Zauberkraft die Feßeln der Gefangenen zu sprengen vermag, während wir den Spruch nur für einen Segen halten, der über den ausziehenden Krieger gesprochen wird um ihn vor längerer Gefangenschaft zu bewahren. Vielleicht läßt sich aber 157 zur Erklärung von Tac. Germ. c. 3. verwenden, der bekannten Stelle über die in den Schild (nord. bardhi) gesungenen Lieder (barditus), welche Klopstock auf die undeutschen Barden bezog und in seinen Bardieten nachahmen wollte. Den Gebrauch dieser Lieder zur Weißagung erkannte Tacitus selbst, indem er berichtet, man habe aus ihrem stärkern oder schwächern Erklingen den Ausgang der Schlacht, Sieg oder Niederlage, vorher verkündigt. Ihre zauberhafte Wirkung, dem Glauben der Germanen [384] nach, ahnte er nicht, und doch läßt unsere Stelle vermuthen, daß es solche Lieder, wie das hier gemeinte Runenlied waren, die sie in den Schild sangen, um heil in den Kampf, heil aus dem Kampfe zu ziehen. Die Sache würde ganz außer Zweifel sein, wenn die Urschrift nicht gerade hier ein anderes Wort für Schild, das auch in Deutschland bekannte rand, gebrauchte. Die Lesart baritus ist nicht bloß handschriftlich unbeglaubigt, sie giebt auch keinen Sinn, denn das friesische baria heißt nicht sowohl clamare, laut rufen R. A. 855. 876, als gleich dem entsprechenden althochd. paron detegere, manifestare. Vgl. Richthofen 619. Grimm Wörterb. I. 1121. So heißt es in einem angelsächs. Liede: Vordum and bordum hovon herecombol: sie erhoben die Heerfahne mit Worten und Borden (Schilden). Barditus ist abgeleitet wie fulliths; Müllenhoff Zeitschrift IX, 242. Daß bardhi für Schild mehr ein tropischer Ausdruck ist, scheint mir nicht entgegenzustehen.
Str. 161. Delling ist nach D. 10 der Vater des Tages, Volkrörir (vgl. Odhrörir), der die Völker aufregt, als etwa ein früher Morgentraum, denn er fällt noch in die Nacht vor Dellings Schwelle, d. h. eh des Tages Pforte sich erschließt. Die Nacht kräftigt alle Wesen: diese vom Volkrörirsliede auf Odhins Runenlied übertragene Wirkung ist hier auf die einzelnen Wesenarten angewandt und als Stärke, Gedeihen und Weisheit unterschieden. Vgl. Lüning S. 294.
Die bisher betrachteten Lieder gehörten eigentlich alle dem Mythus von Odhin an, zu dem im weitern Sinne auch der von Baldur gerechnet wird, da von diesem Gotte nichts als sein Tod bekannt ist, den zu verhindern sich Odhin vergebens bemüht. Dem Mythus von Odhin steht aber der von Thor gegenüber, welchem die vier folgenden Lieder gelten. Beide Kreise verbindet nun das gegenwärtige Gedicht, das keinen andern Gegenstand hat als das Wesen beider Götter durch den Gegensatz anschaulich zu machen. Diesen Gegensatz spricht Uhland Mythus des Thor 21 in folgenden Worten aus: „Odhin das Haupt der Asen, der auch dem Namen nach der Gott des lebendigen Geistes ist, durchforscht rastlos die Welt und stärkt die Sache der Götter, indem er überall geistiges Leben weckt und den irdischen Heldengeist zu höherm Berufe, zur künftigen Theilnahme an gem großen Götterkampf in seine himmlische Halle heranzieht. Dagegen ist Thor, Odhins kräftigster Sohn, vorzugsweise Beschirmer der Erde, deren Anbau er begründet, deren Fruchtbarkeit und Freundlichkeit er zum [385] Besten ihrer Bewohner unermüdlich fördert und schützt, und darum mit den wilden Elementargewalten in beständigem Kampfe liegt.“ Wie dieser ihrer Natur zufolge beide Götter einander feindlich gegenüber treten können, indem Odhin, der Beleber alles Geistes, insbesondere den kriegerischen Geist anregt, welcher den Thors Obhut vertrauten Anbau wieder vernichtet, dieß soll unser Lied veranschaulichen, dessen Thema Uhland demnach mit den Worten ausspricht: „der Segen des Landbaus, verdrängt durch zerstörende Kriegsgewalt.“ Dieser Gegensatz, sagt er S. 93, ist gleichwohl kein innerer Widerspruch der nordischen Glaubenslehre, keine Spaltung religiöser Ansichten, er zeigt nur den nothwendigen äußern Zusammenstoß der verschiedenen, je unter Obhut eines dieser Götter gestellten Richtungen und Zustände des irdischen Daseins.
Da Uhland unser Lied einer vollständigen und genügenden Erläuterung gewürdigt hat, auf die wir verweisen können wie jetzt auch auf den Aufsatz von Lilienkrons (Zeitschr. X. 180 ff.), so beschränken wir uns auf wenige Bemerkungen, deren Zweck kein anderer sein kann, als den angedeuteten Grundgedanken noch stärker hervorzuheben. Wenn wir uns auch dabei zuweilen der Worte Uhlands bedienen, so geschieht es nicht ohne sie als sein Eigenthum anzudeuten.
Odhin bleibt, „damit der äußerliche Zwiespalt im Wesen beider Götter nicht in ihr Leben selbst eingreife,“ unter Namen und Gestalt des Fergen Harbard verhüllt. Diesen Namen kennen wir schon aus Grimnismal als einen der Beinamen Odhins, er möge nun den Heerschild bedeuten oder wie andere Namen Odhins seinen dichten Haar- und Bartwuchs bezeichnen. Alles was von Harbard ausgesagt wird, zeigt uns Odhin, „wie er überall in der nordischen Heldensage umgeht.“ Daß er, der stäts in menschlicher Verkleidung erscheint, dießmal die Gestalt eines Fährmanns angenommen hat, schließt sich daran, daß hier die Verschiedenheit im Wesen beider Asen durch einen Sund veranschaulicht wird, der ihre Gebiete trennt, wie in Wafthr.-Mal 16 der Fluß Ifing oder Ilfing die der Riesen und Götter. Der Fährmann steht aber im Dienste Hildolfs, dessen Name zunächst den furchtbaren dämonischen Kriegsmann bedeutet, hier wohl den Krieg selbst mit seinen Schrecken.
Thor bietet dem Fährmann, daß er ihn herüberhole, statt goldener Spangen wie Hagen dem Donaufergen, die Überbleibsel seines letzten ländlichen Mals, dessen Kärglichkeit zu seinem ärmlichen Aufzug stimmt, um dessentwillen Harbard spottet, er sehe nicht aus wie Einer, der drei gute Höfe besitze. Soll diese Armut bedeuten, daß der Landbau wohl seinen [386] Mann nähre, aber nicht reich mache, oder ist sie schon die Wirkung des verheerenden Kriegs? Uhland erklärt sie daraus, daß Thor von Osten, d. h. aus dem Winter komme, „denn um diese Zeit gehen die Wintervorräthe zu Ende, die ihn bisher satt erhalten.“
Die verweigerte Überfahrt veranlaßt einen Wortwechsel, „in dem Jeder seine Thaten hervorhebt und die des Andern verkleinert.“ Unter denen Thors wird seiner Kämpfe mit Hrungnir und Thiassi (D. 59. 56), des Abenteuers mit Skrymir, wo er sich im Handschuh des Riesen verbarg (D. 45), gedacht sowie zweier andern (Str. 29 und 37), von denen sich sonst keine Meldungen finden. Der Zweck dieser Kämpfe mit den Riesen wird Str. 23 dadurch angedeutet, daß es mit den Menschen in Midgard zu Ende wäre, wenn die Riesen Überhand nähmen. Die Erde wohnlich zu machen bezwingt Thor die dämonischen Naturgewalten, die sich ihrem Anbau widersetzen. In diesem Sinne hat Uhland jene bekannten, in der j. Edda ausführlich erzählten Thaten Thors, auf die hier nur angespielt wird, gedeutet, und den nur hier erwähnten weist er den gleichen Inhalt nach. Swarangs Söhne, des Ängstigers (29), „die nach Thor, dem Gotte des Anbaus, mit Steinen werfen, bedeuten den Hagel, der aus schwerdrohender Wetterwolke fährt; sie stürmen in Mehrzahl an, weil die Schloßen wie von vielen Händen zugleich geworfen werden. Thor aber wehrt ihnen siegreich den Übergang in sein bebautes Gebiet, denn obgleich selbst Herr des Donners kämpft er doch auch gegen die verheerende Macht des Gewitters, wie gegen jede jötunische Gewalt, schirmend an. Weiter hat Thor (37 ff.) auf Hlesey Berserkbräute geschlagen, Wölfinnen mehr denn Weiber, die alles Volk betrogen, die sein Schiff losgewunden, das er auf Stützen gebracht hatte, die ihn mit dem Eisenknüppel bedroht und Thialfi vertrieben haben. Auf Hlesey, mag damit Meereiland überhaupt, oder die Insel Läsö besonders gemeint sein, hat Thor sein Schiff an den Strand gezogen und auf Pfähle gesetzt: er hat den Anbau nach dieser Insel gebracht. Darum ist auch Thialfi bei ihm, derselbe, der auch nach Gotland das erste Feuer geführt. Aber Berserkbräute, wilde Riesenweiber, bekriegen und beschädigen hier das Volk, wüthende Sturmfluten verheeren das ihnen wieder allzusehr ausgesetzte, vergeblich angebaute Uferland, reißen das schon befestigte Schiff wieder los und verjagen Thialfi, ihr gewaltiger Wogenschlag gleicht dem Schlage mit eisenbeschlagenen Keulen.“
Diesen Kämpfen Thors stellt Harbard seine Kriegsthaten, Zauber- und Liebesabenteuer entgegen. Von den Geschichten, deren er dabei gedenkt (16. 20. 24), wißen wir keine weitere Auskunft. Am entschiedensten spricht [387] es sein Wesen aus, wenn er Kämpfen und Streiten nachzieht, die Fürsten verfeindet und dem Frieden zu wehren sucht; wenn er sich rühmt, auch jetzt wieder bei dem Heere gewesen zu sein, das hieher Kriegsfahnen erhob, um den Sper zu färben, oder wenn er dem Thor vorwirft, daß er wohl Macht habe, aber nicht Muth, daß nur die Knechte, die das Feld bestellen, sein Antheil wären, während zu Odhin die Fürsten kämen, die im Kampfe fallen, wornach er auch auf Thors Frage, wie er zu den Hohnreden komme, antwortet, er lerne sie von den alten Leuten, die in den Wäldern wohnen, womit er, wie wir aus Thors Entgegnung sehen, die Erschlagenen meint, denen da Grabmäler errichtet sind. Löning bemerkt mit Recht, daß eine schmähliche Übertreibung darin liege, daß Harbard auch die freien Bauern, weil sie nicht Kampfhelden sind, zu den Knechten rechnet.
Zu Anfang des Gesprächs hatte er zu Thor gesagt, es stehe übel bei ihm daheim, seine Mutter werde todt sein. Str. 48 entgegnet er auf eine Drohung Thors, Sif, sein Gemahl, habe einen Buhler daheim: an dem solle er seine Kraft erproben. Thor scheint das erst nicht zu glauben; da ihm aber die Überfahrt verweigert bleibt, bittet er, ihm wenigstens den Weg zu zeigen, womit er den Heimweg meinen muß, denn indem Harbard ihm diesen bis Werland beschreibt, fügt er hinzu: dort werde Fiörgyn u. s. w. ihren Sohn treffen. Diese Runen löst Uhland mit diesen Worten: „Thors Mutter, die Erde, in Folge von Hildolfs Kriegszug verheert und ungebaut, liegt leblos da, und seine Gattin Sif, die letzte Ernte, ward der fremden Gewalt zur Beute. Doch ist Jörd nicht wirklich todt, denn auf dem Wege zur Linken, den Harbard zuletzt dem Wanderer anzeigt, in Werland, wird Fiörgyn, einer der Namen Jörds, ihren Sohn Thor finden und ihn der Verwandten Wege zu Odhins Lande lehren; mit Mühe wird er bei noch obenstehender Sonne dahin gelangen. Unter diesem mühsamen Umweg, dessen Angabe Thor für Spott zu nehmen scheint, ist dem ganzen Zusammenhange nach eine neue Aussaat und Feldbestellung, die doch dem Jahre noch einen Ertrag abgewinnt, zu verstehen. Dem von Osten kommenden Thor ist der Weg zur linken Hand ein südlicher, sommerlicher: in Frühlingssaat und Sommerfrucht muß er seinen Ausweg suchen; Werland, wo er seine Mutter Erde noch am Leben trifft, ist das von Menschen bewohnte, dem Anbau günstige Land; die Bahnen der Verwandten zu Odhins Landen beziehen sich dann auf das Emporstreben der Saat in Licht und Luft, die Gebiete der Asen, im Gegensatze zu den finstern beeisten Pfaden, auf denen Thor sonst mit dem Saatkorbe wandeln muß; [388] mit Noth kommt er noch vor untergehender Sonne an das Ziel, kaum noch gelangt die neue Aussaat vor einbrechendem Winter zur Reife.“
Übrigens scheint dieses Lied, das mehrfach auf Erzählungen anspielt, die wir nur aus der j. Edda kennen, eins der jüngsten. Auffallen muß, daß Thor, der sonst Ströme watet, hier der Überfahrt harrt. Auf ältern Grund deutet aber doch wieder, daß Harbard sich Str. 52 für einen Viehhirten ausgiebt. Daß vor der Unterwelt Vieh geweidet wird, ist Handb. §. 125 nachgewiesen. Vgl. Skirnisf. 11. War Odhin vielleicht in dem ältern, dem unsern zu Grunde liegenden, Liede, wie wir ihn als Todtengott kennen lernen, zugleich als Todtenschiffer gedacht, und vergliche sich mit Thor Hagen bei Gelfrats Fergen, Dietrich bei Norprecht?
Thors Fischfang mit Hymir erzählten auch Skaldenlieder, von welchen uns Bruchstücke erhalten sind, unter andern Ulfs Husdrapa, die bei der Darstellung, welche die j. Edda in D. 48 von diesem Abenteuer liefert, benutzt wurde. Von unserm Liede weicht sie unter Anderm darin ab, daß weder des Kelchs, noch des Keßels und des Gastmals erwähnt wird, durch welche letztere unser Lied mit dem folgenden in Verbindung steht. Ebensowenig ist der Begleitung Tyrs noch der beiden Frauen in Hymirs Behausung gedacht, von welchen die ältere Str. 7 mit ihren neunhundert Häuptern an des Teufels Großmutter in deutschen Märchen erinnert, die jüngere etwa an des Ogers Frau in Klein Däumchen. Daß sie sich der Gäste annimmt, ist hier durch ein verwandtschaftliches Verhältniss eingeleitet, indem sie als Tyrs Mutter erscheint. Die j. Edda weiß nichts davon, daß Tyr eine solche Mutter habe, sie nennt ihn nur Odhins Sohn; da sie aber seiner Mutter geschweigt, so besteht auch kein Widerspruch. Diese jüngere Frau wird Str. 30 Hymis Frille d. i. Kebsweib genannt; sie räth zu seinem Schaden, und da sie als golden und weißbrauig Str. 8 geschildert wird, so ist sie wohl so wenig als Gerda, obgleich es von dieser doch gesagt wird, riesiger Abkunft. Ob aber der Riese die Verwandte der Asen geraubt hat, nachdem Odhin den Tyr mit ihr erzeugt, oder ob er sie als Skirnir im Frühjahr befreit hat, während der neue Winter sie wieder in die Gewalt der Forstriesen brachte, errathen wir nicht. Als Tyrs Wesen giebt D. 25 die Kühnheit an, indem sie als Beweis seiner Unerschrockenheit meldet, daß Er allein es gewagt habe, die Hand in Fenrirs Rachen zu stecken. Ähnlich überträgt ihm D. 34 die Fütterung Fenrirs, weil er allein den Muth gehabt habe, zu ihm zu gehen. Uhland nimmt ihn daher [389] als die Personification des kühnen Entschlußes: „Auf Tyrs Rath unternimmt Thor die gefahrvolle Fahrt zu Hymir, er folgt der Eingebung des verwegensten Muthes. Der Besuch der Eismeere muste selbst dem unerschrockenen Sinne der nordischen Seefahrer für das Gewagteste gelten.“ Dem gemäß hat ihm die Verwandtschaft Tyrs im äußersten Riesenlande den Sinn, daß der Kühne im Lande der Schrecken und Fährlichkeiten heimisch sei, und die lichte Mutter, die dem ankommenden Sohne den Trank der Stärke bringt, erscheint ihm als „die edle strebsame Heldennatur, die den kühnen Muth gebar, ihn zum Hause der Gefahren hinzieht, in demselben vertraut macht und kräftigt.“
Für Hymiskwida mag diese Deutung gelten, obwohl Tyrs Sohnschaft zu jener lichten Erdgöttin, welche unter der Allgoldenen verborgen ist, gewiss aus uralter Überlieferung fließt. Daß seine Mutter eine Erdgöttin war, muß an anderer Stelle erwiesen werden; aber schon Handbuch §. 43 ist dargethan, daß er den Fenrir nicht fütterte, weil er der Kühnste ist unter den Göttern, sondern weil dieser lichte Himmelsgott im Norden zuletzt nur noch für den Gott des widernatürlichen Krieges galt, der Verwandte wider Verwandte führt, und die Leichen der darin Erschlagenen den Untergang großziehen, der in Fenrir vorgestellt ist. Wenn er den Arm dem Fenrir verpfändet haben sollte D. 34, wie Odhin dem Mimir das Auge, so ist dieser Arm das Schwert, wie er selber der Schwertgott. Als solcher ist er seiner Natur nach einarmig, da das Schwert nur Eine Klinge hat, ganz wie Odhin einäugig sein muß, weil er der Himmelsgott ist und der Himmel nur ein Auge hat, die Sonne; wie aber der Widerschein der Sonne im Waßer zu der Dichtung von Odhins verpfändetem Auge Veranlaßung gab, so ist das Schwert, das dem Fenrir den Rachen sperrte, zu der andern von Tyrs dem Wolf verpfändeten Arme benutzt worden.
Tyr spielt in der Hymiskwida nur eine Nebenrolle; gleichwohl ist in seinem Verhältniss zu der Allgoldenen, in welcher wir die Erdgöttin erkannt haben, ein für das Verständniss seines Mythus zu wichtiger Zug gerettet, als daß wir ihn in so abstracte Gedanken sich verflüchtigen laßen möchten, wie diejenigen, welche Uhland auf das Zeugniss der j. Edda von Tyrs Kühnheit gründet.
Im Übrigen erzählt das Lied den Hergang ganz verständlich und wir können dem Leser seine Deutung selbst überlaßen. Gelingt ihm dieß nicht, so mag er sich bei Uhland Raths erholen, dessen Erläuterungen uns nur darin nicht ganz genügen, daß die nordische Färbung der Erzählung, welche den Hymir zu einem Frostriesen gemacht hat, ihn übersehen läßt, daß es [390] auch hier wieder wie in andern von Thor erzählten Fahrten, z. B. der nach Geirrödsgard D. 60 und der in D. 46. 47 berichteten zu Utgardaloki, die Unterwelt ist, zu welcher er, ein deutscher Hercules, hinabsteigt. Darum seh ich auch einen Nachklang unseres Götterliedes in der Heldensage von Herzog Ernst, dessen Reiseziel gleichfalls die Unterwelt ist, aus der er den Waisen, den Hauptedelstein der deutschen Kaiserkrone, heraufholte, und der wie Thor von Tyr, dem Schwertgott, von Wetzel begleitet ward, dessen Name auf die Schärfe des Schwertes zu deuten ist. Vgl. Handb. d. Myth. 260 §. 85.
Wir haben noch den Zusammenhang unseres Liedes mit dem folgenden, und demgemäß auch mit der Einkleidung von Bragarödur zu erläutern.
Der Meergott Ögir, der auch mit Hler identisch ist (vgl. die Anm. zu Hrafnag. 17), hieß, wie das folgende Lied im Eingang ausdrücklich sagt, mit anderm Namen Gymir. Unter diesem haben wir ihn in Skirnisför als Gerdas Vater kennen gelernt. Obgleich nach D. 37 Bergriesengeschlechts (vgl. Str. 2) steht er mit den Asen in gastfreundlichem Verkehr. Wir sahen oben, daß in Bragarödur Ögir die Götter besucht und von ihnen bei Schwertlicht bewirthet wird. Wir glaubten darin eine Umkehrung der Fabel des folgenden Liedes zu erkennen, nach welcher Ögir die Asen bei Goldlicht bewirthet hatte. Es wird sich aber wohl so verhalten, daß nach der ältesten Sage Ögis Besuch bei den Göttern das frühere Ereigniss war, und in unsern Liedern der Gegenbesuch der Asen bei dem Meergott, der sie bei Goldlicht bewirthet, dargestellt ist. In Skaldskaparmal 33 (s. o.) heißt es nämlich, ehe von der Bewirthung der Götter erzählt wird was wir aus dem folgenden Liede wißen, Ögir sei in Asgard zu Gaste gewesen, bei der Heimreise aber habe er Odhin und alle Asen über drei Monate zu sich geladen. Von diesem Besuche Ögis bei den Göttern ist demnach die Sage verloren bis auf den Nachklang, der sich davon in Bragarödur findet, und wir wißen nicht wie sich das gastfreundliche Verhältniss zwischen den Asen und dem Meergotte zuerst entspann. Ob etwa durch Freys Vermählung mit Gymis (Ögis) Tochter Gerdha?
Unser Lied und das folgende haben nun beide den Gegenbesuch der Asen bei dem Meergotte zum Gegenstand. Das Lied von Hymir behandelt ihn aber selbständig und ist der Ergänzung durch das folgende nicht bedürftig, obgleich es das Gastmal Ögis nur einleitet, und mit Herbeischaffung des Braukeßels, in welchem Ögir den Göttern das Bier brauen soll, abschließt. Es setzt aber damit das folgende Lied voraus und kann jünger sein als dieses. Zwar scheint auch wieder das folgende unseres [391] voraus zu setzen, indem sich Thors spätes Erscheinen in Ögis Halle, wo doch Sif, seine Gattin, sich gleich Anfangs eingefunden hatte, am Besten dadurch erklärt, daß er den Braukeßel herbeizuschaffen ausgesandt war. Davon ist aber in der Einleitung nichts gesagt, es heißt da nur, Thor sei auf der Ostfahrt gewesen. Auch in dem Liede selbst wird auf den Braukeßel nicht erst gewartet, da die Bewirthung wirklich vor sich geht.
Mit Gymir (Ögir) ist Hymir, den die j. Edda Ymir nennt, nicht zu verwechseln, obgleich die Vermuthung, daß sie ursprünglich Eins gewesen, nicht ganz abzuweisen ist. Gymir weiß Grimm nur als epulator zu deuten, Hymir heißt ihm der schläfrige, träge, während ihn Uhland, von derselben Wurzel ausgehend, mit Dämmerer übersetzt und auf die Lichtarmut des hochnordischen Winters bezieht. In ihm, der an des Himmels Ende im Osten der Eliwagar, der urweltlichen Eisströme, wohnt, bei dessen Nahn die Gletscher dröhnen, dessen Kinnwald gefroren ist, vor dessen Blick die Säule birst, ist ein lebensvolles Bild der nordischen Frostriesen, ja des Frostes selber aufgestellt; die neunhunderthäuptige Mutter und die vielgehauptete Schar, die ihm die Gäste verfolgen hilft, sind entsprechende Nebenfiguren. Wie leicht schloß sich hier die „geschnäbelte Diet“ u. s. w. der Herzog Ernstsage an!
Der Schluß setzt die Zeit, wo die Götter bei Ögir zu Gast sein sollen, in die Leinernte, welche in den Spätsommer fällt, wo nach Uhlands Deutung die dauerndste Meeresstille herrscht. Drei Monate vorher war also Ögir bei den Asen zu Gaste. Diese Zeit hat er zu deuten nicht unternommen. Sie würde in das Frühjahr fallen, wo die See am Unruhigsten und die Schifffahrt am Gefährlichsten ist. Da er nun Ögir für das schiffbare Meer nimmt und den Braukeßel, der aus des winterlichen Hymirs Verschluße befreit werden muste, für die geöffnete See, so würde dieß zu seiner Auslegung unserer Lieder stimmen.
Zu den einzelnen Strophen mögen wenige Bemerkungen ausreichen.
Str. 1 werden zweierlei Arten die Zukunft zu erforschen genannt: die Götter warfen Zweige und besahen das Opferblut. Die letzte Art bedarf kaum einer Erklärung, die andere scheint auch unsern Vorfahren bekannt gewesenen zu sein, denn ohne Zweifel ist es dieselbe, deren Tacitus in der Germ. Cap. 10 gedenkt. Den in Stäbe zerschnittenen Zweigen waren Zeichen (Runen) eingeritzt, und aus den Runen, welche den drei aufgehobenen Stäben eingeritzt waren, konnte der Priester weißagen, weil die Namen dieser Runen ihm drei Begriffe zuführten. Vgl. Handb. §. 75 und 138.
2. Der Felswohner ist nicht Hymir, wie Gr. Myth. 495 durch Versehen [392] annimmt, sondern der Meergott Ögir (Gymir), der auch nach D. 37 Bergriesengeschlechts ist. Die Behaglichkeit, die in der Riesennatur liegt, drückt das „froh wie ein Kind“ gut aus, während der Zusatz „doch ähnlich eher“ etc. schon auf die Tücke vorbereitet, womit er in der folgenden Str. auf Rache an den Göttern sinnt.
3. Dem Abenteurer, zu dem hier Ögir den Thor auffordert, glaubt er ihn nicht gewachsen. Oft kehrt in Sagen und Märchen der Zug wieder, daß Helden und Dümmlinge von Böswilligen in Gefahren geschickt werden, in welchen sie ihren Untergang finden sollen, die aber erst recht zu ihrer Verherlichung gereichen.
5. Hundweise heißt hundertfach weise, hund verstärkt auch in andern Zusammensetzungen die Bedeutung. Vater meint hier wohl nur Stiefvater.
11. Der Name Weor, welchen Thor in diesem Liede zu führen pflegt, wird Wöl. auf Midgard bezogen; wir haben ihn dort mit Weiher, d. i. Heiligender übersetzt, der von Uhland 28 und Grimm 171 angenommenen Deutung gemäß. Hier aber ist er so wenig als Hlorridi St. 5 (vgl. Gr. 152.) der Übertragung fähig. Als Werkzeug jener Heiligung sehen wir in Thrymskwida und D. 44. 49. den Hammer Miölnir gebraucht.
31. Hüne für Riese ist in den nordischen Quellen nicht gebräuchlich. Wenn hier der Stabreim dazu verführte, so mag zur Beschönigung dienen, daß Grimm bei Hymir daran dachte, unser Hüne von einem jenem nordischen Namen entsprechenden alth. hiumi abzuleiten.
34. Von dem etwas erhöhten Golf (Vorsaal) steigt Thor in die Halle hinab, um sich den Keßel leichter aufs Haupt stellen zu können. Lüning.
37. 38. Was hier von einem der Böcke Thors erzählt wird, dem der Fuß lahmte, wofür Thor zur Sühne zwei Kinder des Riesen empfing, kehrt in anderm Zusammenhang D. 44 wieder. Der Beschädiger ist aber dort ein Bauer und seine beiden Kinder, die er zur Buße gab, sind Thialfi und dessen Schwester Röskwa, die seitdem in Thors Gefolge blieben. Dem Verfaßer des Liedes scheint es nach dem Anfang von Str. 38 nicht unbewust, daß er hier ein auch sonst in anderer Anknüpfung bekanntes Ereigniss berühre. Selbst die Einführung Lokis, der hier nicht, wohl aber bei dem Abenteuer in D. 44 zugegen war, kann darauf deuten, daß ihm dieses im Sinne lag. Vgl. Uhland 33. Handb. §. 80.
Dieses Lied führt auch die Namen Lokasenna und Lokaglepsa, Lokis Zank und Lokis Zähnefletschen, ja vielleicht gehört die Überschrift Ögisdrecka, [393] Ögirs Trinkgelag, nur zu der vorausgeschickten prosaischen Einleitung. Den Hauptgegenstand bilden allerdings Lokis Schmähreden gegen die Götter und die Strafe, welche er dafür nach dem Schlußwort empfängt. In welchem Verhältnisse es zu dem vorhergehenden Liede und zu Bragarödur, einem Abschnitt der jüngern Edda, steht, ist so eben entwickelt worden.
Von der Einleitung des Liedes, mit der Skaldsk. c. 33 zu vergleichen ist, hat schon Uhland bemerkt, daß sie eine von dem Inhalt des Liedes verschiedene Darstellung des Mythus zu benutzen scheine, indem die Erzählung, wie Fimafeng von Loki erschlagen und letzterer dann von den Asen verfolgt wird, nicht zu dem Anfang des Liedes passt, woselbst Loki, ohne irgend einen Bezug auf jenen Vorgang, neu hinzu kommt. Statt Fimafengr lese ich mit Grimm G. D. Spr. 767 Funafengr (Feuerfänger), wie Eldir, der Name des andern Dieners Ögis, den Zünder bedeutet. Beide Namen scheinen auf das Goldlicht zu gehen, bei dem Ögir seine Gäste bewirthet. Über die in der Einleitung benutzte abweichende Gestalt des Mythus vermuthet nun Grimm a. a. O., daß Loki darum mit Ögis Dienern in Streit gerathen, weil er der neue Gott des Feuers sei, der Meergott Ögir aber, wie das Goldlicht und jene Namen verriethen, einst auch Feuergott gewesen sei. Vgl. jedoch Handb. §. 122.
Eins deutet doch vielleicht dahin, daß noch in unserm Liede selbst Funafengs Ermordung vorausgesetzt sei. Unter den Personen dieses kleinen Dramas treten nämlich auch Beyggwir und sein Weib Beyla auf, welche die Einleitung als Freyrs Dienstleute bezeichnet. Was diese sonst völlig unbekannten Wesen, von Uhland ihrem von Biegen abgeleiteten Namen gemäß als milde Sommerlüfte gedeutet, hier sollen, ist nicht leicht einzusehen. Beyggwir giebt Str. 45 an, er sei behülflich, daß die Gäste in Ägis Halle Äl trinken könnten, und so sehen wir auch Beyla Str. 53, wenn nicht, wie wir angenommen haben, Sif zu lesen ist, dem Loki schenken. Die Vermuthung läge nun nahe, daß die Bewirthung der Gäste von diesen beiden übernommen worden sei, nachdem Funafeng, auf den Ögir gezählt hatte, von Loki erschlagen worden war. Die ersten Worte der Einleitung sagen uns, daß Ögir mit anderm Namen Gymir hieß, Gymis Tochter (Str. 42) war aber nach D. 37 Gerdha, Freys Gemahlin, und so konnte dieser mit seinem Gefolge als zu Ögis Hause gehörig angesehen werden.
Die prosaische Schlußerzählung enthält Lokis auch sonst (D. 50), Wölusp. 38) bekannte Bestrafung, die aber mit seinen Schmähungen gegen die Götter willkürlich in Verbindung gesetzt ist.
[394] Über Werth und Charakter unseres Liedes sind sehr verschiedene Urtheile gefällt worden. Einige haben es für ein Spottlied voll lucianischen Witzes, wohl gar für das eines Christen auf die heidnischen Götter gehalten. Dagegen findet Köppen, der es für ein echt heidnisches Lied erklärt, seinen Grundton tief tragisch. Jene furchtbare Zerrißenheit, welche dem Untergang vorhergeht, habe sich der Götter bemeistert und diese werde unnachahmlich schön geschildert, so daß man nicht umhin könne, das Gedicht für eins der tiefsinnigsten und best ausgeführten zu erklären. Die Wahrheit liegt wohl auch dießmal in der Mitte. Von einem tieftragischen Grundtone des Liedes kann man wohl so wenig als von seinem großen Tiefsinn sprechen, eher noch von einer schon ziemlich leichtfertigen Reflexion über die Götter, die nicht mehr die beste Zeit verräth. Der Untergang der Asen, den auch dieß Lied behandelt, lag zwar schon früh in dem Gefühl der Nordbewohner, und die Ahnung, daß sie an ihrer eigenen Schuld zu Grunde gehen, spricht bereits die Wöluspa aus; unser Lied sucht aber die Schuld an den einzelnen Göttern nachzuweisen, wobei es viel klügelnden Scharfsinn aufbietet, und wo dieser nicht ausreicht, sogar zu absichtlichen Erdichtungen und Entstellungen greift, weshalb es der Mythologe nur mit Vorsicht benutzen sollte. Indem es dem Loki diese Anklagen der Götter in den Mund legt, und ihn so zum Feinde, zum bösen Gewißen der Götter macht, faßt es dessen Wesen schon in einem ziemlich modernen Sinne auf, von dem z. B. Thrymskwida noch nichts weiß.
Absichtliche Erdichtungen und Entstellungen finden wir in dem Vorwurf der Buhlerei, welchen Loki der Reihe nach fast gegen alle Göttinnen richtet. Was zunächst Idun (Str. 17) betrifft, so ist von ihr nicht bekannt, daß sie den Mörder ihres Bruders umarmt habe. Von Gerda freilich, mit der sie sich, wie wir bei Skirnisför angedeutet haben, zu berühren scheint, kann dieß gesagt werden, da Freyr ihren Bruder Beli erschlagen hatte. Da aber beide Wesen sonst in diesem Gedicht auseinander gehalten sind, indem Idun als Bragis Gattin erscheint, und Gerda Str. 42 als Freys Gemahlin, so war der Dichter zu solcher Identification nicht berechtigt, und es ist ein Nothbehelf, wenn er sich dieses sonst gebräuchlichen Mittels hier bedient. Gefion wird D. 36 als jungfräulich gedacht, was freilich mit D. 1 nicht zum Besten stimmt. Was ihr aber Str. 20 Schuld gegeben wird, scheint wieder auf einer absichtlichen Verwechselung, und zwar mit Freyja zu beruhen, die sich für das Kleinod Brisingamen den Zwergen Preis gab, vgl. Sn. 354–357 und Gr. Myth. 283. Nun führt zwar Freyja nach D. 35 auch den Namen Gefn, der dem Gefions verwandt sein mag; aber [395] diese darum mit Freyja zusammenzuwerfen, während sie doch wieder neben ihr erscheint, heißt die Willkür übertreiben. Was der Frigg vorgeworfen wird, daß sie außer Odhin auch seine Brüder Wili und We umarmt habe, geht von der Identität der drei Brüder aus und ist mindestens Sophistik. Was Ynglingasaga c. 3 Bestätigendes meldet, kann hier entliehen sein. Freyjas Unschuld wollen wir nach dem Obigen nicht in Schutz nehmen, obgleich die Bezichtigung weit geht, und der Gattin Tyrs Str. 40, die völlig unbekannt ist, werden wir uns nicht zum Anwalt aufwerfen; der Gunst Skadis, deren Gegner er Skaldsk. 16 heißt, rühmt sich aber Loki mit keinem andern Schein als daß dazu bei Iduns Befreiung (D. 56) Gelegenheit gewesen wäre. Mit mehr Grund mag er sich Sifs (Str. 54) rühmen, welcher er nach D. 61 das Haar abgeschoren hat, obgleich wir auch hier nur Anlaß haben, den Scharfsinn des Dichters zu bewundern. Die gegen Beyla geschleuderte Lästerung endlich mag gleichfalls nur für diesen zeugen, wenn Uhland Recht hat, sie und Beyggwir für milde Sommerlüfte zu halten, von deren buhlerischem Spiel auch unsere Dichter reden. Übrigens macht die sechsmalige Wiederholung desselben Vorwurfs der Erfindungsgabe des Verfaßers keine große Ehre, und so deutet es auch auf seine Armut, daß von Gefion (Str. 21) und von Frigg (Str. 29) fast das Gleiche gerühmt wird. Zwar will Weinhold (Zeitschr. VII, 10) Lokis Buhlerei mit den Göttinnen daraus erklären, daß er einst als Ehegott gegolten, was die jüngere Zeit, die den symbolischen Ausdruck einfacher Verhältnisse nicht mehr verstand, grob entstellt habe; aber dieß passt nur auf diejenigen Göttinnen, deren Gunst Loki selber genoßen zu haben vorgiebt.
Diese allgemeinen Bemerkungen über unser Lied haben der Erläuterung einzelner Strophen schon das Meiste vorweggenommen. Was übrig bleibt, beschränkt sich auf Folgendes:
9. In den ältern Mythen erscheint Loki als Odhins Gefährte, wo nicht Bruder, und die Dreiheit Odhin Hönir Loki gleicht der in Str. 26 erwähnten: Odhin (Widrir) Wili We. Die jüngste Form derselben Trias, Har, Jafnhar und Thridi, kennen wir aus Gylfaginning; aber die Namen finden sich unter denen Odhins schon in Grimnismal 46. 49.
11. Daß Loki dem Bragi so feindlich gesinnt ist, daß er ihn allein in seinem Heilspruch ausnimmt, erklärt sich genügend daraus, daß ihm Bragi Str. 8 Sitz und Stelle beim Mal verweigert hat, die Odhin ihm auf sein Anrufen Str. 10 gewährt. Dafür bietet ihm Bragi Str. 12 Schwert, Ross und Ring zur Buße. Bragis auffallendes Hervortreten in unserm Liede, demzufolge er auch in der sich anschließenden Einkleidung des [396] Abschnittes der jüngern Edda, der nach ihm Bragarödur genannt ist, dem Ögir zur Seite sitzt, würde sich vielleicht aufklären, wenn wir die ältere Sage von Ögis Bewirthung bei den Asen, wovon sich in jenem Abschnitt nur ein Nachklang zeigt (s. o. die Erläuterungen zur Hymiskw.), noch kennten. Grimm (Myth. 216) möchte irgend ein näheres Verhältniss zwischen Bragi und Ögir annehmen. Nahe liegt die Vermuthung, daß dieß durch die Identität Iduns und Gerdas, von der unser Dichter Str. 17 auszugehen scheint, begründet sein könne.
23. Der Vorwurf, den hier Loki von Odhin hinnehmen muß, scheint Str. 33 von Niördr wiederholt zu werden. Weinhold (Zeitschrift VII, 11) schließt daraus, daß Loki in der ältesten Zeit als Gottheit der Schöpfung und Fruchtbarkeit galt.
24. Was hier von Odhins Zaubereien gesagt wird, vgl. man mit dem was er im Harbardsliede selber von sich rühmt. Ähnliche Berichte mögen den Saxo Gram. verleitet haben, ihn nur als betrügerischen Zauberkünstler aufzufaßen.
32. Vor ihrer Aufnahme unter die Asen könnte Freyja dem Freyr vermählt gewesen sein, wie Niördhr der Nerthus, welche Str. 36 unter der Schwester Niördhrs zu meinen scheint, mit welcher er den Sohn erzeugt habe.
36. Ynglingasaga c. 4 meldet, als Niördr noch bei den Wanen war, hab er seine Schwester zur Frau gehabt; aber bei den Asen sei es verboten gewesen, so nah in die Verwandtschaft zu heiraten. Ob freilich Niörds Schwester und erste Frau, denn bei den Asen nahm er Skadi, Thiassis Tochter, jene Nerthus war, die wir allein aus Tacitus kennen, läßt sich nur vermuthen.
38. Vgl. Liebrecht G. G. A. 1865. St. 12 S. 453.
43. Das bekannte Königsgeschlecht der Ynglinge, von dem die Ynglingasaga meldet, wird von Frey abgeleitet. Ob aber die Verbindung, welche Freys Name mit dem des göttlichen Helden Ingo schon früh einging, nicht noch einen tiefern mythischen oder geschichtlichen Zusammenhang habe, ist Gr. Myth. 192. 320 ff. in Betracht gezogen.
53. Diese Strophe der Beyla in den Mund zu legen, und demgemäß auch ihren Namen in den einleitenden Worten mit dem Sifs zu vertauschen, verführte das ihr als der Gattin Beyggwis nach Str. 45 zugetraute Schenkamt und die Nachbarschaft der ihr wirklich gehörenden Str. 45. Aber auch Widar schenkt Str. 10 dem Loki, und Beyggwir hat wohl nur an der Stelle des erschlagenen Funafeng für Mal und Beleuchtung zu sorgen. [397] Eines Schenkamts bedarf es nicht: die Einleitung sagt, der Meth habe sich selber aufgetragen: geschenkt wird daher nur dem Loki und nur von den Gästen selbst, da ihm der Wirth, dem er den Diener erschlagen hat, keinen Trunk gönnt, und darum wohl auch Bragi, der mit Ögir nahe befreundet ist, Sitz und Stelle verweigert. Daß aber Sif hier spricht, geht aus Lokis Entgegnung hervor, der auch den Hlorridi zum Hahnrei gemacht zu haben versichert, was gar nicht hieher gehörte, wenn er mit Beyla spräche. Überdieß würde Sif in der Einleitung nicht unter den Anwesenden aufgeführt sein, wenn ihr im Liede selbst keine Rolle zugetheilt wäre.
Der mythische Inhalt dieses Liedes findet sich in dem Märchen von Meister Pfriem wieder wie es W. Grimm K. H. M. III. 250 erzählt, vgl. Kellers altd. Erz. S. 97 ff. und Mein Märchen Der Müller im Himmel in Westermanns Monatsheften 1858. S. 388 und Meinen deutschen Märchen Nr. 3. Am nächsten verwandt ist Bürgers Frau Schnips.
Von allen Eddaliedern kommt dieses der reinen Schönheit am Nächsten, auch hat keins so tief im Volke Wurzel geschlagen. Noch in den heutigen nordischen Mundarten, schwedisch, dänisch und norwegisch lebt ein später Nachklang davon in gereimten Volksliedern fort, „welche sich zu jenem eddischen verhalten wie das Volkslied von Hildebrand und Alebrand zu der alten Dichtung.“[WS 4] Auch in Deutschland, wo es öfter als irgend ein anderes und zum Theil schon ziemlich befriedigend übertragen worden ist, hat es einige Berühmtheit erworben. An diesem Erfolge mag außer großen poetischen Vorzügen auch seine Leichtverständlichkeit Antheil haben, obgleich ein Punct in demselben, zum Nachtheil des Eindrucks, bisher unaufgehellt geblieben war, der nämlich, welche Bewandtniss es mit dem Brautgut habe, das die Riesin Str. 32 in Anspruch nimmt. Der Wortlaut des Originals ergiebt nicht sogleich für Wen und von Wem, noch mit welchem Rechte sie es fordert. Selbst Grimm schien darüber nicht ins Klare gekommen, als er Rechtsalterth. S. 429 fragte: Was für ein brûdfê ist es, das die Riesin Säm. Edda 74 fordert? und mit welchem Rechte verlangt sie es? Aus dem Zusammenhang schöpfen wir die Antwort darauf, daß es nicht nach dem Recht, sondern nach der Sitte und für Niemand anders als für die Riesin selbst gefordert wird. Man darf dabei weder an die Morgengabe noch an ein anderes Rechtsinstitut denken; aber noch jetzt ist es Gebrauch, daß jedweder der Brautleute die Verwandten des andern beschenkt, um sich bei ihnen beliebt zu machen. Ein solches Geschenk heißt am Niederrhein ein [398] „Bruchstück,“ was nach dem Volksdialekt eher Brauchstück als Brautstück bedeuten kann. Hier ist nichts Anderes gemeint, was schon daraus hervorgeht, daß die Riesin ihre Gunst und Liebe für die erbetenen Ringe verheißt, und statt derselben zuletzt Schläge und Hammerhiebe empfängt. Handelte es sich um einen Rechtsgebrauch, so würde demselben wohl vor der Hammerweihe, die Str. 32 eingeleitet wird, genügt worden sein.
Daß mit dem Hammer die Braut geweiht und die Eheleute zusammengegeben werden sollen ist im Original durch Wiederholung des Wortes „weihen“ in der vorletzten Zeile noch deutlicher ausgedrückt als es die Übersetzung vermochte. Auch zur Leichenweihe bedient sich Thor D. 49 seines Hammers und D. 44 weiht er die Bocksfelle mit ihm und belebt die darauf liegenden Gebeine seiner Böcke. Durch seinen Hammer, welcher den Blitzstral bedeutet, heiligt Thor auch die Erde und heißt darum Midgards Weor (Weiher), auch Weor schlechtweg, wie wir schon oben bemerkt haben. Im altdeutschen Recht, bemerkt Grimm, heiligt Hammerwurf den Erwerb.
Wenn Thrym Thors entwendeten Hammer acht Rasten tief unter der Erde verborgen hatte (Str. 8), so stellt dieß Grimm mit dem Volksglauben zusammen, daß der Donnerkeil tief in die Erde fahre und sieben oder neun Jahre brauche um wieder an die Oberfläche zu rücken: „er steigt gleichsam jedes Jahr eine Meile aufwärts.“ Damit steht es nicht im Widerspruch, wenn Thrym Str. 30 den Hammer sofort wieder herbeizuschaffen weiß, denn auch dem Thor kehrt der Hammer nach D. 61 sobald er will in die Hand zurück, und Thrymr selbst, dessen Name von thruma (tonitru) abgeleitet wird, ist ursprünglich mit Thor identisch und ein älterer Naturgott, in dessen Händen vor Ankunft der Asen der Donner gewesen war. Grimm Myth. 165. M. Handb. S. 57, §. 28.
Wegen der mythischen Bedeutung unseres Liedes verweise ich auf Uhland 98 ff. und K. Weinhold, Zeitschrift VII, 22.
Schon in der Einleitung haben wir dieß Lied als eine schwache Nachahmung von Wafthrudnismal bezeichnet. Die Ähnlichkeit tritt zuerst in dem Namen des Zwerges Alwis (des allkundigen) zu Tage, da Wafthrudnir der allkluge (alswidhr) Riese hieß; noch mehr liegt sie aber in dem Verhältniss der Einkleidung zu dem Inhalt, der in beiden Liedern in den gleichen Rahmen gefaßt ist, nur daß in Alwissmal die Einkleidung fast allein anzieht, während in Wafthrudnismal Inhalt und Rahmen gleich [399] großartig sind. War dort ein Wettgespräch Odhins mit dem Riesen, bei dem das Haupt zur Wette stand, zur Form der Belehrung über die höchsten mythologischen Dinge benutzt, so giebt hier ein Fragespiel Thors mit dem Zwerg, bei dem es um eine Braut gilt, Veranlaßung, eine Reihe poetischer Synonyme vorzuführen, die für uns kaum mehr Werth haben als die Heiti (S. Einl.) der Skalda, zu welchem dieß Lied als ein Übergang betrachtet werden darf. Beide Einkleidungen beruhen also auf dem uralten mythischen Gebrauch der Räthselfragen, bei welchen das Haupt des Verlierenden zu Pfande zu stehen pflegt, wonach in Wafthrudnismal der Riese unterliegt; in Alwismal, wo von keiner Strafe die Rede ist, der Zwerg eigentlich siegen und den verheißenen Lohn, die Braut, davontragen müste. Um diesen wird er aber durch eine List gebracht, die wir als einen Vorzug des Rahmens unseres Liedes vor dem von Wafthrudnismal ansehen müsten, wenn nicht auch dort der Sieg gewissermaßen durch eine List entschieden würde, indem Odhin eine Frage vorlegt, die ihrer Natur nach Niemand als er selbst beantworten konnte.
Betrachten wir nun zunächst den Rahmen unseres Liedes, so kann die Tochter Thors nur jene Thrud sein, die wir aus Skaldskap. C. 4. 21 als Thors mit Sif erzeugte Tochter kennen. Sif läßt sich ihrer von den unterirdischen Zwergen gewirkten goldenen Haare wegen mit gleicher Sicherheit auf das Getreidefeld deuten als Thors Hammer auf den Donnerkeil, und da wir im Harbardslied Thors Bezug auf die Feldbestellung kennen gelernt haben, so kann die Tochter solcher Eltern nicht weit vom Stamme gefallen sein. Doch gehen wir auf ihre mythische Deutung nur darum ein, weil ohne sie die Verlobung eines uns als so schön geschilderten Mädchens an den bleichnasigen Zwerg immer befremdend bliebe. Nachdem Uhland den Namen Thruds auf das nährende stärkende Erdmark, auf die im Korn liegende Nährkraft bezogen und demgemäß auch Thors Gebiet Thrudheim oder Thrudwang als das fruchtbare, nährkräftige Bauland erklärt hat, deutet er den Mythus des Rahmens in folgender uns sehr glücklich scheinender Weise:
„Der Gott verweigert und entrafft seine Tochter dem Zwerge, dem sie in seiner Abwesenheit verlobt worden. Daß diese Tochter jung, schönglänzend u. s. w. genannt wird, passt ganz auf das neugewachsene und neues Leben beginnende, goldfarbige, weißmehlige Saatkorn. Der Zwerg ist sehr bestimmt als Unterirdischer, als lichtscheuer, unheimlicher Erdgeist gezeichnet, er haust unter Erd und Stein, er ist Thursen ähnlich, bleich ist er um die Nase als hätt er die Nacht bei Leichen zugebracht, die ja auch in der dunkeln Erde liegen und zur Nachtzeit herauskommen (Hrafn. 25). Ist [400] ihm Thors junge Tochter anverlobt, das ausgestreute Saatkorn scheint dem finstern Erdgrunde verhaftet zu sein; aber Wingthor kommt heran und hebt dieses Verlöbniss auf, die Saat wird mit dem rückkehrenden Sommer wieder an das Licht gezogen.“
Die List, deren sich Thor gegen den Zwerg bedient, ihn durch Fragen aufzuhalten bis er vom Tageslicht überrascht zu Stein erstarrt, knüpft sich an einen bekannten, in vielen Sagen benutzten Volksglauben, von dem in unsern Eddaliedern noch ein Andermal ein ähnlicher Gebrauch gemacht wird, nämlich in der Helgakwida Hiörwardssonar, wo Atli die Riesin Hrimgerd im nächtlichen Wortstreite säumt bis die aufgehende Sonne sie in ein Steinbild verwandelt. Anspielungen darauf finden sich in unserm Liede selbst, Str. 17 und Hrafnag. 24.
Nach dieser Erwägung der Einkleidung unseres Liedes kommen wir auf dessen eigentlichen Inhalt, der darauf ausgeht, nicht nur die Sprache der Götter und Menschen, sondern überdieß noch anderer Wesen nordischen Glaubens als Wanen, Alfen, Riesen, Zwerge u. s. w. zu vergleichen und die in den verschiedenen Welten für die gangbarsten Vorstellungen üblichen Ausdrücke nebeneinander zu stellen. Diese Ausdrücke sind aber nicht, wie man wohl geglaubt hat, zum Theil aus fremden Sprachen hergenommen, sondern neben die gewöhnlichen Namen der Dinge sehen wir deren Synonymen und dichterische Benennungen gestellt, die, aus der nordischen Sprache selbst geschöpft, sich gewöhnlich nicht einmal auf abweichende Mundarten derselben beziehen und nur nach Maßgabe der Alliteration auf die Bewohner der angenommenen Himmelswelten vertheilen, obgleich es nicht an aller Berücksichtigung des Charakters dieser verschiedenen Wesen gebricht. Dabei ist es Grimm auffallend, daß zwar Götter und Asen für gleichbedeutend genommen, dagegen Götter und höhere Wesen (Ginregin) geschieden werden (Myth. 308), wie auch Alfen, Zwerge und Bewohner der Unterwelt gesondert stehen (Myth. 412). Allein dieß ist nicht ganz genau, Str. 17 werden Götter und Asensöhne unterschieden und nur so laßen sich neunerlei Classen redender Wesen herausbringen, nämlich: 1. Menschen. 2. Götter. 3. Asen. 4. Höhere Mächte, Ginregin und Uppregin. 5. Wanen. 6. Riesen. 7. Alfen. 8. Zwerge. 9. Bewohner der Unterwelt. Freilich ist die Unterscheidung von Göttern und Asen sinnlos; es fragt sich aber, ob beide von Ginregin mit beßerm Grunde gesondert stehen und ob die Unterscheidung von Zwergen und Alfen, die freilich öfter wiederkehrt, nicht gleichfalls nur ein Nothbehelf sei. Petersen hält Upregin für eine andere Bezeichnung der Zwerge, Ginregin für eine andere Bezeichnung der Wanen.
[401] Überraschend bleibt immer, daß griechischer und deutscher Glaube darin übereinstimmen, einen Unterschied göttlicher und menschlicher Sprache anzunehmen, wovon bei keinem andern Volke ein Beispiel nachzuweisen ist.
Wenn es aber einem glaubensvollen Volke natürlich scheint, von mehrern der Sprache zu Gebote stehenden Namen der Dinge den ältesten und würdigsten den Göttern beizulegen, so hat die Annahme einer besondern Sprache für jede Classe mythischer Wesen schon etwas Gezwungenes, das wir nur der Willkür des Dichters, nicht mehr dem einfachen Volksglauben zuschreiben mögen. Was dazu verleiten konnte, ist die Annahme der neun Himmelswelten, in welchen der Zwerg Str. 9 wie Wafthrudnir[WS 5] Str. 43 bewandert zu sein vorgiebt. Bei der Durchführung im Einzelnen muste aber der Dichter zu Nothbehelfen wie die schon gerügten greifen; und doch konnte er schon des zu kurzen Maßes wegen nicht alle neun Welten zugleich berücksichtigen, und auch für diejenigen, welche darin Raum fanden, reichen theils die vorhandenen Synonymen nicht immer aus, theils konnte es bei der Vertheilung an dieselben nicht ohne Willkür zugehen. Aus gleichem Grunde muß auch der Übersetzer bei diesem Liede noch mehr als bei allen andern die Nachsicht des Lesers in Anspruch nehmen. Die Schwierigkeit, die mannigfaltigen Ausdrücke für einen und denselben Gegenstand innerhalb der Schranken der Alliteration passend wiederzugeben, hat schon Köppen S. 61 anerkannt.
Es folgen noch einige Bemerkungen zu einzelnen Strophen:
3. heißt Thor der Wagenlenker wegen seines Bockgespanns. „Zwar haben auch andere Götter,“ bemerkt Gr. Myth. 151, „ihren Wagen, namentlich Odhin und Freyr; allein Thor ist im eigentlichen Sinn der fahrend gedachte: niemals kommt er gleich Odhin reitend vor, noch wird ihm ein Pferd beigelegt, er fährt entweder oder geht zu Fuß.“
5. Alwis stellt sich als wiße er nicht mit Wem er spricht, ja er bezweifelt ausdrücklich, daß es Thor der Gott der Donnerkeile sei, und so sieht sich dieser in der folgenden Zeile genöthigt, sich zu nennen. Der Dichter, der nicht wie wir Neuere für Lesende schrieb, sondern eine dramatische Darstellung im Auge hatte, muste es hier wie in Wafthrudnismal und Fiölswinnsmal herbeizuführen suchen, daß der Zuschauer die auftretenden Personen kennen lernte. Haben wir auch keine äußern Zeugnisse für die Aufführung unserer dialogisierten Lieder, so zeugt ihre innere Form, man betrachte z. B. Ögisdrecka, desto stärker dafür.
6. Die eigentliche Bedeutung des Namens Wingthor, den der Gott in diesem Liede ausschließlich, wie schon neben andern in dem vorigen, [402] führt, ist keineswegs ausgemacht; gewöhnlich wird es für Schwingthor, der beflügelte Donnerstral, genommen. Sidgrani ist ein Beinamen Odhins in Bezug auf sein dichtes Barthaar.
17, Z. 3. Dwalins-leika haben wir hier und Hrafnag. 24. gleichmäßig übertragen und soeben wie oben zu jener Stelle erklärt. Wörtlich heist es Dwalins Spiel, oder Gespiel, wie auch Idun Skaldsk. 22 der Asen Gespiel heißt, was auch andere Deutungen möglich macht, wegen deren wir auf Lex. Myth. 321 verweisen.
19. Diese Str. hat Gr. Myth. 308 ausführlich besprochen.
Den ersten, kosmogonischen und theogonischen Liedern ließen wir früher Skirnisför folgen, und allerdings gab es Gründe für eine solche Stellung. Daß sein Inhalt in mehrern der folgenden Lieder schon als bekannt vorausgesetzt ward, will ich nicht geltend machen, da es seinerseits auch wieder auf folgende Lieder anspielt; aber in der Reihe der Begebenheiten, welche den Untergang der Götter herbeiführen, nimmt die hier erzählte eine der ersten Stellen ein. Auch steht Freyr, obgleich kein Sohn Odhins, und überhaupt nach unsern Quellen nicht vom Geschlecht der Asen, sondern nur durch Vertrag mit den Wanen, welchen er eigentlich angehört, in ihren Kreiß aufgenommen, nach abweichenden Genealogieen, über welche Gr. Myth. 197–200 Auskunft giebt, mit Odhin in Verbindung. Ja was wir hier von Freyr berichtet sehen, kann ursprünglich von Odhin selbst geglaubt worden sein, da Skaldsk. 19 Frigg als Gerdas Nebenbuhlerin bezeichnet wird, was sich nur erklärt, wenn wir Odhin an Freyrs Stelle für Gerdas Befreier und Gemahl nehmen. Gleichwohl haben wir jetzt den von Odhin sprechenden Liedern die von Thor folgen laßen, worauf dann in Skirnisför und seiner Sippe die auf Freyr bezüglichen sich anschließen.
Für den Mythus, der unserm Liede zu Grunde liegt, giebt es außer ihm und D. 37 keine Quelle. Beide ergänzen sich wechselseitig. Das wichtigste was hier fehlt und dort hinzugefügt wird, ist Freyrs Kampf mit Beli, von dem unser Lied ohne ihn zu nennen, doch eine Spur zeigt. Offenbar ist Gerdas Bruder, den Freyr Str. 18 getödtet haben soll, jener auch in Wölusp. 54 erwähnte Beli; nur das bleibt ungewiss ob das Lied oder die Erzählung Recht hat, wenn jenes den Kampf schon als geschehen voraussetzt, diese ihn erst nach der in Skirnisför erzählten Begebenheit sich ereignen läßt.
Die natürliche Deutung, welche von unserm Mythus Finn Magnusen [403] gab, nach welcher Freyr der Sonnengott, Gerda aber das Nordlicht sein soll, verfiel in der nähern Ausdeutung der einzelnen Züge, die dafür geltend gemacht wurden, auf Abgeschmacktheiten; was dafür angeführt werden kann, wollen wir nicht verschweigen.
Für Freyrs Beziehung auf die Sonne, wie der Freyja auf den Mond, giebt es in unsern Quellen kein Zeugniss, und wenn er Regen und Sonnenschein verleiht, so ist er damit noch nicht als Sonnengott bezeichnet. Indes läßt sein Sinnbild, der goldborstige Eber, kaum eine andere Deutung zu, und sein Verhältniss zu den Alfen, welches sich daraus ergiebt, daß er Alfheim besitzt (vgl. Gr.-M. 5 mit der Anm.) scheint sie zu bestätigen, so wie unsere Str. 4, wo die Alfenbestralerin die Sonne ist. Endlich mag unser Mythus, wenn Freyr sich auf Hlidskialf setzt, wo nur Odhin sitzen darf, dem griechischen von Phaeton zu vergleichen sein.
Bei Gerda, von deren weißen Armen Luft und Waßer widerstralen, an den Nordschein zu denken, war man veranlaßt, da es ausdrücklich heißt, Freyr habe sie gesehen als er nach Norden blickte.
Wenn man aber annimmt, es solle in unserm Liede ein Liebesbund zwischen Sonne und Nordschein eingegangen werden, so würde eine solche Dichtung nicht aller Wahrheit ermangeln, da beide an dem Lichte ein Gemeinschaftliches haben. Auch ließen sich die ihrer Verbindung nach Str. 7. 20 entgegenstehenden Hindernisse wohl darin nachweisen, daß es der Ordnung der Natur widerstreitet, wenn Sonne und Nordschein zugleich am Himmel sichtbar wären. Aber die Unzulänglichkeit der ganzen Anlegung ergiebt sich auch sofort daraus, daß diese Hindernisse ihrer Natur nach nicht gehoben werden können, mithin die Verbindung der Liebenden unmöglich und der Schluß des Gedichts unerklärt bliebe.
Überdieß geht weder Freyrs noch Gerdas Wesen in jener Deutung vollständig auf. Freyr müßen wir, ohne seinen Bezug auf die Sonne ganz aufzugeben, doch allgemeiner, als Gott der Fruchtbarkeit, auffaßen, wenn wir die eilf Äpfel Str. 19 und den Ring Draupnir, von dem jede neunte Nacht acht eben so schwere träufeln, Str. 21 (D. 49. 61) richtig verstehen wollen. Was nun Gerda belangt, so erscheint sie uns zuerst nur als eine Riesentochter. Ihr Vater ist Gymir, D. 37 vgl. Str. 12. 22. 24, ein Name, den nach Ögisdrecka auch der Meergott Ögir führt. Ihr Bruder Beli kann der Brüllende heißen und auf den Sturmwind gedeutet werden. Wenn ihn Freyr erlegt, so passt dieß auf den milden Gott der Fruchtbarkeit und Wärme, bei dessen Nahen die Winterstürme sich legen. In dieser Verwandtschaft Gerdas, durch welche sie den ungebändigten Naturkräften [404] angehört, die zu bekämpfen die Götter und ihr späterer Niederschlag, die Helden, berufen sind, liegt das Hinderniss ihrer Verbindung mit Freyr. Gerdas Schönheit widerspricht solcher Abkunft nicht; aber nur gezwungen wird sie im Kreise ihrer Verwandten zurückgehalten. Dieser Zwang ist Str. 9. 17 in der flackernden Flamme ausgedrückt, die ihren Saal umschließt, so wie weiterhin in dem Zaun, der von wüthenden Hunden bewacht wird. Jene Waberlohe, die in der Sigurdssage zweimal vorkommt, wie auch in dem nahe verwandten Fiölswinsm. 2. 5, bedeutet nach Grimms Abhandlung über das Verbrennen der Leichen die Glut des Scheiterhaufens, der mit Dornen unterflochten ward, weshalb in dem Märchen von Dornröschen eine undurchdringliche Dornhecke die Waberlohe vertritt. Dieß und Str. 12 und 27 laßen vermuthen, daß es die Unterwelt ist, in die sie gebannt erscheint, wodurch ihr Mythus mit dem von Idun, der in dem folgenden Liede ausgeführt ist, in Beziehung tritt, zumal an diese schon die goldenen Äpfel Str. 19 erinnern. Gerda erscheint hienach als die im Winter unter Schnee und Eis befangene Erde, die wir aus D. 10 als eine Riesentochter kennen. (Andere nehmen Gerda wie Thors Tochter Thrudr in Alwismal für das Saatkorn.) Im Winter in der Gewalt dämonischer Kräfte zurückgehalten, wird sie von der rückkehrenden Sonnenglut befreit. Freyrs Diener Skirnir (von at skirna clarescere), der Heiterer, erhält den Auftrag, sie aus jenem Bann zu erlösen, und dem belebenden Einfluß des Lichts und der Sonnenwärme zurückzugeben. Ihre Verbindung mit Freyr geschieht dann in dem Haine Barri d. i. dem grünenden, also im Frühjahr, wenn Freyr längst die brüllenden Sturmwinde bezwungen hat.
Was bedeutet es aber, wenn Freyr um in Gerdas Besitz zu gelangen, sein Schwert hingiebt, das er beim letzten Kampfe vermissen wird? Hier sehen wir uns doch genöthigt, Freyr als den Sonnengott zu faßen und sein Schwert als den Sonnenstral. Er giebt es hin, um in Gerdas Besitz zu gelangen, d. h. die Sonnenglut senkt sich in die Erde um Gerdas Erlösung aus der Haft der Frostriesen zu bewirken, die sie unter Eis und Schnee zurückhalten und von wüthenden Hunden, schnaubenden Nordstürmen bewachen laßen. Da dieß alljährlich geschieht, so kann der Mythus ursprünglich mit dem von dem letzten Weltkampf in keiner Verbindung gestanden haben: er bezog sich auf das gewöhnliche Sonnenjahr; auf das große Weltenjahr ward er erst später umgedeutet und D. 37 nahm erst aus Ögisdr. 42 dazu den Anlaß. In Skirnisför ist nirgend angedeutet, daß sich Freyr durch die Hingabe des Schwerts für den letzten Kampf untüchtig [405] mache und Wöl. 54 weiß nichts davon, daß ihm das Schwert fehle. Überdieß wird das Schwert nicht an die Riesen hingegeben, sondern an Freyrs Diener Skirnir und diesem nur leihweise, wie auch das Ross, zur Vollführung des Auftrags. Da Skirnir Freyrs Diener bleibt (D. 34), so ist es seinem Herrn unverloren. Vgl. d. Anm. zu Str. 16. Wie das Schwert als Sonnenstral, so ist das Ross als Sonnenross zu faßen. Nach Handb. §. 66 haben diese Wunschdinge hier mythische Bedeutung, welche Weinhold Riesen 15 nur den Äpfeln zugesteht, die doch nicht wesentlich sind.
Wir haben in Obigem schon so viele Einzelnheiten unseres Liedes berühren müßen, daß für die Erklärung der 42 Str. desselben fast nichts mehr übrig bleibt.
Str. 3. Daß Freyr hier als volkwaltender Gott angeredet wird, erinnert daran, daß in den oben erwähnten Stammtafeln, welche Freyr mit Odhin verbinden, ein Folkwalt unter seinen Ahnen aufgeführt wird. Da nun auch Freyjas Götterhalle Gr.-M. 14 Volkwang heißt, was in der Anm. dazu auf die Todten bezogen wird, so wird dieß Beiwort bei Freyr einer ähnlichen Deutung unterliegen und darf auf alten Kriegsruhm dieses friedlichen Gottes nicht gedeutet werden.
16. Die Strophe zeigt deutlich, daß es in der ältern Gestalt des Liedes Freyr selbst war, der unter dem Namen Skirnir die Fahrt unternahm. Gerda ahnt, daß ihres Bruders Mörder gekommen sei; dieß war aber nach dem Obigen Freyr selbst. Mithin ist diese Strophe durch ein Versehen des Überarbeiters aus dem ältern Liede stehen geblieben. Was hieraus für die Sigurdsage gefolgert werden kann, werde ich unten geltend machen. Einstweilen verweise ich auf mein Handb. §. 30.
19. Die Deutung der 11 Äpfel auf 11 Monatssonnen ist eine von jenen gewaltsamen, die den entschiedenen Willen kund geben, in den Mythus hineinzutragen, was man darin zu finden von vornherein mit sich einig ist. Unsere Erklärung ist oben gegeben.
21. Über den Ring Draupnir giebt D. 49 hinlängliche Auskunft. Ihn auf den Thau träufelnden Mond und dessen Phasen zu beziehen ist nicht beßer als die eben verworfene Auslegung. Durch ihn berührt sich Freyr mit Baldur.
25. Über die hier beginnenden Beschwörungen vgl. Handb. §. 29 und Von Lilienkron und Müllenhoff Zur Runenkunde 22. 56, Homeyer über das Germ. Looßen 1854. S. 14.
33. Der Asenfürst ist Thor, vgl. Gr. Myth. 215. Auf junge Abfaßung des Liedes schließt Weinhold (Riesen 15) aus Ring und Schwert, [406] welche er für ständige Theile des Mahlschatzes hält, die nach älterm Recht nicht der Braut als Geschenk, sondern dem Vater als Brautkauf hätten gegeben werden müßen. Allein das Schwert behält Skirnir für sich, und der Ring wird mit Recht der Braut gegeben; auf die Einwilligung des Vaters kommt es nicht an: ohne ihn zu fragen gelobt Gerda, sich nach neun (in der Schlußstrophe drei) Nächten im Haine Barri einzufinden. Fortgelebt hat unser Lied mehr als das nahverwandte von Fiölswinsmal in dem dänischen Swendalliede, das Gruntwick Gamle folke visar II. 239 mitgetheilt und Lüning wörtlich übersetzt hat. Vgl. Handb. d. Myth. §. 30.
Wir haben dieß Lied schon in unserer Einleitung als Nachahmung von Odhins Lied über die Runen, das den letzten Theil von Hawamal bildet, bezeichnet. Selbst einer offenbaren Entlehnung hat sich der Verfaßer nicht enthalten können, wie die Vergleichung unserer zehnten Str. mit Hawam. 150 ergiebt. Auch die folgende halte man mit Hawam. 155 oder mit Str. 10 von Sigrdrifulied zusammen, aus dessen Str. 13 auch unsere Str. 14 entstanden sein kann, und man wird von der Selbständigkeit des Verfaßers, der sogar die Einkleidung aus Wegtamskwida erborgt zu haben scheint, keine große Meinung hegen. In Odhins Runenlied ist übrigens alles Ethische fern gehalten: von achtzehn Liedern, deren von Str. 147 bis 164 Erwähnung geschieht, wird nichts gesagt was nicht dahin zielte, die Macht des Runenzaubers zu erweisen; in Grôugaldr dagegen spielt das Sittliche Str. 6 und 7 mit hinein, was vielleicht eine Wirkung des mit dem Runenlied verbundenen Loddfafnismals ist.
Aus Str. 13, wo schon von getauften Frauen die Rede ist, womit christliche gemeint sind, da es im Original heißt kristin daudh kona, können wir auf späte Entstehung dieser Nachahmung schließen. Wegen Str. 159 läßt sich von Odhins Runenlied nicht dasselbe sagen, denn die Taufe der Kinder war schon den heidnischen Nordländern bekannt.
Den Namen Groa anbelangend, so scheint ihn der Verfaßer willkürlich gewählt zu haben, da weder mit jener Groa, welche nach D. 59 Thors Stirnwunde zu heilen versuchte, noch mit der im ersten Buch des Saxo Grammaticus ein Zusammenhang obwalten kann.
Aus dem schon erwähnten Swendalliede läßt sich schließen, daß unser Gedicht ursprünglich mit dem in Skirnisför und Fiölswinnsmal behandelten Mythus in Verbindung stand eh es zu einer Nachbildung von [407] Odhins Runenlied wurde. Die arge Frau, die sein Vater umfing (Str. 3), ist die Stiefmutter des Helden, der Gerda oder Menglada zu befreien reitet, und von der todten Stiefmutter, die er aus dem Grabe weckt, nicht heilkräftige Sprüche sondern Ross und Schwert, das Erbe des Vaters, verlangt. Die Stiefmutter des Sonnengotts, die ihm das Schwert, den Sonnenstral, vorenthält, ist die kalte Winterzeit.
Wenn wir den Ruf der Dunkelheit, in dem Hrafnag. stand, nicht bestätigt gefunden haben, so gebührt er diesem Liede eher, an dessen Erklärung sich selbst die Symboliker nicht recht getraut haben, obgleich zur Begründung ihrer Ansicht hier offenbar mehr als irgendwo zu gewinnen war. Das Ganze scheint ein einziges großes Räthsel, dem viele kleinere eingewebt sind, und wenn auch deren Lösung nicht gelingen will, so ist doch ihre mythologische, vielleicht kosmogonische Natur schon wegen der Str. 36–40 und der durchgehends allegorischen Namen nicht zu bezweifeln und wir können der Ansicht Köppens nicht beistimmen, daß dieß Lied mit Unrecht in die Reihe der mythologischen gestellt werde. Selbst Grimm erklärt Myth. 1102 Menglöd für Freyja, worauf auch ihr Name (monili laeta die schmuckfrohe) deutet, indem er auf Brisingamen, den Halsschmuck der Freyja, anzuspielen scheint.
Wenn wir aber die Dunkelheit unseres Liedes zugestehend uns nicht gerade anheischig machen die Aufhellung dieses Dunkels zu bewirken, so können wir doch nicht zugeben, daß es unverständlich sei. Dunkel sind und sollen alle Räthsel sein und bleiben bis ihre Lösung gefunden ist; aber unverständlich wird man sie nicht nennen dürfen, wenn weiter nichts zu ihrem Verständnisse gebricht als die Auflösung. So ist auch unser Lied als Räthsel verständlich, obgleich sein volles Verständniss erst gewonnen werden kann, wenn das lösende Wort sich findet. Unsere Pflicht als Erklärer kann nur die sein, das Räthsel selbst verständlich zu machen, und dieß wollen wir in Nachstehendem versuchen, da die Übersetzung vielleicht Manches nicht klar genug herausstellte.
Swipdagr, Solbiarts, des sonnenglänzenden, Sohn kommt unter dem angenommenen Namen Windkaldr zu einer Burg, die von seiner Verlobten Menglada beherscht wird. Daß beide für einander bestimmt sind, drückt sich auch darin aus, daß wie Swipdagr Solbiarts, des sonnenglänzenden, Sohn heißt, sie selbst auch die sonnenglänzende genannt wird. In der That hat sie seine Ankunft mit Sehnsucht erwartet, und als der Wächter, [408] der ihn vergeblich zurückgewiesen und erst nach langem Gespräch als den erwarteten Bräutigam seiner Herrin erkannt hat, ihn bei dieser anmeldet, wird er von der Geliebten, nachdem auch ihre Zweifel beseitigt sind, mit offenen Armen empfangen. Wir sehen also im Wesentlichen dasselbe Thema wiederkehren, das auch in Skirnisför behandelt wird: die Befreiung der Erdgöttin, als welche hier Freyja (Menglada) wie dort Gerda erscheint. Zwar ist nirgends ausdrücklich gesagt, daß sie sich in der Haft der Frostriesen befinde, aber ihr Sitz wird ein Riesensitz genannt und der vorgegebene Name Windkaldr, sowie die windkalten Wege, welche ihn nach Str. 47 herbeiführen, deuten an, daß es der Winter war, der ihrer Verbindung mit Swipdagr, ihrem Verlobten (Str. 42) entgegenstand. Dagegen ist auch hier die Unterwelt und fast auf gleiche Weise wie dort, durch die Waberlohe Str. 1. 5. 31, das Gitter Str. 9, und die Hunde Str. 13, gekennzeichnet. Was dem gleichwohl entgegen zu stehen scheint, wird nicht verschwiegen werden. Swipdagrs Wiedervereinigung mit Menglada scheint demnach der eigentliche Inhalt, eingekleidet in das Gespräch zwischen dem Gast und dem Wächter, in welchem wir über die Burg und ihre Umgebung räthselhafte Auskunft erhalten. Bei einer nähern Inhaltsangabe wird sich manche Erläuterung einflechten laßen.
In den ersten Strophen sehen wir einen Fremdling einer hochgelegenen Burg nahen, die gleich jener Brynhilds oder Gerdas mit Waberlohe umschlagen ist. Ein Wächter, der sich Fiölswidr (vielwißend) nennt, weist erst den Wanderer zurück und fragt ihn, als er nicht weichen will, nach seinem Namen: dieser nennt darauf (Str. 6) diesen so wie den seines Vaters und Großvaters; aber nicht die wirklichen, wie wir nachher erfahren, sondern erfundene, die sein Wesen verhüllen und doch vielleicht andeuten sollen. Der Name Windkaldr (windkalt), den er sich selber beilegt, erinnert an Windswalr, wie nach D. 19 der Vater des Winters heißt. Warkaldr, der Name des Vaters, bedeutet Frühlingskalt, der des Großvaters Fiölkaldr erklärt sich selbst. Der Fremdling legt nun eine Reihe Fragen über die Burg und ihre Besitzerin vor, welche Fiölswidr beantwortet. Als den Namen jener lernen wir nun Str. 8 Menglada, die Tochter Swafrs, des Sohnes Thorins, kennen. Den ersten Namen haben wir schon erklärt. Die Deutung des andern hat große Bedenken. Thorin (audax) heißt Einer der Zwerge in der Wöluspa; Swafr wird vibrans übertragen, mag aber mit at svafa einschläfern, und Odhins Namen Swafnir zusammenhängen. Der Name des Gitters, dem die nächste Frage Str. 9 gilt, bedeutet Donnerschall; Solblindi, dessen drei Söhne es gemacht haben sollen, kann nur sonnenblind [409] heißen. Den Namen Helblindi führt Odhin und ein Bruder Lokis, wenn nicht beide zusammenfallen. Solblindi wird hier nur genannt; seine drei Söhne laßen an Odhin und seine Brüder denken. Solblindi für einen Zwerg zu halten ist man weil von einem Kunstwerk die Rede sei, nicht genöthigt, da nach Wöluspa 7 die Asen selbst bei der Weltschöpfung Essen erbauten und Erz schmiedeten. Die Gürtung, die Fiölswidr (Odhins Beiname, Grimnism. 47) nach Str. 12 selbst aus des Lehmriesen Gliedern erbaut hat, und die ewig stehen wird, heißt Gastropnir, was keinen passenden Sinn giebt, wenn es hospites conclamans bedeuten soll, da vielmehr seine Bestimmung ist, die Gäste abzuhalten. Der Lehmriese, dessen Glieder die Gürtung bilden, heißt D. 59 Möckurkalfi und bedeutet den Erdgrund selbst, was der Annahme, daß Menglada sich in der Unterwelt befinde, günstig ist. Von den Namen der Str. 15 genannten Hunde stimmt einer, Geri, buchstäblich, der andere Gifr (frech) dem Wortsinne nach mit denen von Odhins Wölfen Geri und Frecki D. überein. Die eilf Wachten, die sie abwechselnd Tag und Nacht wachen müßen, scheinen eilf Monate; da aber dann die Burg einen Monat lang unbewacht wäre, so könnte es als eine beliebte Zahl (vgl. die eilf Äpfel in Skirnisför) statt 12 stehen. Oder wäre der zwölfte Monat der, in welchem der Bräutigam eintrifft? Die folgenden Strophen bis 30, die ein größeres Räthselgeflecht bilden, faßen wir zusammen. Jene Hunde können nämlich nur kirre gemacht werden, wenn man ihnen die Flügel Widofnis vorwirft, eines Hahns, der, wie es scheint, gleichfalls zur Bewachung der Burg auf Mimameidr sitzt. Für Widofnir ist vielleicht Windofnir (Windweber) zu lesen, wie nach dem vorigen Liede Str. 13 der Himmel in der Sprache der Wanen heißen soll. Da nun Mimameidr durch seinen Bezug auf die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts mit der Esche Yggdrasils zusammenzufallen scheint, so sind die in Wölusp. 34. 5 gedachten Hähne zu vergleichen, von welchen der mit dem Goldkamm, der Fialar heißt, gleichfalls auf die Weltesche zu beziehen ist. Die Anwendung hat aber ihre Schwierigkeiten, da Widofnir schwarz (Str. 24) sein und doch nach 23 von Golde glänzen soll, während Fialar hochroth beschrieben wird. Noch seltsamer ist, was von der Ruthe Häwatein Str. 26 gesagt wird, die man haben muß, um Widofnir zu tödten. Diese Ruthe kann nämlich nur von Sinmara erlangt werden, und auch von dieser nach Str. 30 nur, wenn man ihr die Sichel (Schwanzfeder) bringt, die aus Widofnis Schwingen gerupft ist. Da man aber die Schwanzfeder zu erlangen des Hahns schon so Meister sein müste, daß man ihn allenfalls auch gleich tödten könnte, so erinnert der hier angerathene Umweg stark an [410] den Rath, den man Kindern giebt, den Vögeln Salz auf den Schwanz zu streuen, damit sie sich fangen ließen. Doch kommt in deutschen Märchen vor, daß eine Feder aus dem Schwanze des Vogels Greif gerupft werden soll, oder ein Haar aus dem Haupte des Teufels, des Ogers oder Menschenfreßers, welcher dem Hymir unserer Hymiskwida entspricht. Vgl. M. Handb. §. 83 und §. 85. Durch die Frau des Menschenfreßers u. s. w., die der „Allgoldenen“ der Hymiskwida ähnlich sich des Gastes annimmt, wird ihm dann Haar oder Feder ausgezogen während er schläft. Bei Saxo Grammaticus in der Erzählung von Utgarthilocus, welche der eddischen D. 46 bis 47 zur Seite steht, sind es drei hörnernen Sperschäften gleichende, übelriechende Barthaare. Der Schauplatz ist in allen diesen Erzählungen die Unterwelt, was unserer obigen Annahme zu Statten kommt. Die Ruthe Häwatein (treffender Zweig) gleicht dem Mistiltein, den Loki (Loptr) nach D. 49 gleichfalls gebrochen hat, „östlich von Walhall“ heißt es dort, während hier 26 ausdrücklich gesagt wird, „vor dem Todtenthor.“ Von Sinmara, welche die hochberühmte oder die sehnenstarke heißen kann, wißen wir nichts als was hier gemeldet wird. Doch gestattet der Zusammenhang, sie für die Hel zu halten. Die schwersten Riegel scheinen hiemit gehoben; aber die folgenden Strophen 31–36 beschreiben den mit Waberlohe umschlungenen Saal so, daß man an die Sonne denken möchte, was allerdings der Deutung auf die Unterwelt entgegenstünde. Wenn es aber von diesem Saale heißt, er drehe sich wie auf des Schwertes Spitze, so dreht sich auch die Erde um ihre Axe; den Schall, der davon entsteht, hat Niemand mit Ohren gehört, wie viel auch davon gesprochen werde. Die dabei erwähnte Waberlohe haben wir bei Skirnisför als die Glut des Scheiterhaufens begriffen, durch welche man hindurch muß um in die Unterwelt zu gelangen. Zieht man aber dieser Strophen wegen die Deutung auf die Sonne vor, so kann Swipdagr der Frühlingsgott sein, der sie aus der Haft der winterlichen Mächte zu befreien kommt: immer bliebe die Verwandtschaft mit Skirnisför deutlich und selbst die Beziehung Swipdagrs auf Freyr nicht ausgeschloßen.
Unter den Str. 36 genannten zwölf Asensöhnen begegnen nur zwei bekannte Namen, Loki und Dellingr (D. 33. 10). Von letzterm wißen wir, daß er Asengeschlechts ist; Loki zählt auch sonst wohl zu den Asen, welchen er nach den ältesten Mythen als Odhins Bruder sogar angehört. Unter den übrigen kann Lidskialf auf Odhin, aber auch auf Freyr (D. 37) gedeutet werden; Wegdrasil scheint ein Beiname Odhins wie Wegtamr; über die andern wagen wir keine Vermuthung als daß wohl die zwölf höchsten [411] Götter unter zum Theil unerhörten Namen verborgen sind, zumal hier Loki wieder wie gewöhnlich der letzte ist. Daß Asensöhne diese kunstvolle Einrichtung getroffen haben, während die Burg doch als Riesensitz bezeichnet wird, erklärt sich wohl daraus, daß sie sich im Winter in der Gewalt riesiger Mächte wie Schnee und Eis befindet, obgleich sie von Göttern geschaffen ward.
Die folgenden Str. 37–39 hat Grimm. Myth. 1101 erläutert. Darnach ist Menglada, obgleich höchste Göttin, der andere dienen, zugleich als weise, heil- und zauberkundige Frau gedacht, die wie Brynhild, Veleda und Jettha auf dem Berge wohnt und dem Volke, durch ihre Priester heilsamen Rath ertheilt. Von den göttlichen verehrten Frauen, die vor ihren Knieen sitzen, sind zwei auch sonst bekannt: Eir wird D. 35 unter den Asinnen als die beste der Ärztinnen aufgeführt, und eine Örboda erscheint D. 37 als Gymirs Frau, der doch als Ögir mit Ran vermählt ist. Gleich ihr scheint Hlifthursa Riesengeschlechts, obgleich ihr Name nur eine Variation von Hlif (die schützende, schonende) sein mag, so daß sich wie in Thiotwarta (Volkswärterin) der Begriff der schonenden, heilenden Pflege vervielfältigt. Auch Bild und Blidur (die sanfte) sind nur Variationen des gleichen Namens und Biört die glänzende erinnert an die in Deutschland berühmte Bertha, so daß wir wohl nur holdselige, mildthätige Wesen vor uns haben, wie sie sich in Freyjas Geleit geziemen.
Auf die nächste, Mengladas Treue betreffende Frage empfängt der Gast erwünschte Auskunft, worauf er sich durch Nennung seines wahren Namens zu erkennen zu geben nicht länger ansteht: Den Ausgang haben wir bereits berichtet, und nur der Name Swipdagr, Beschleuniger des Tags, von at svipa, beeilen, blieb uns noch zu erklären. Als Beschleuniger des Tages ist Swipdagr der Frühling, wo die Tage früher anbrechen. Der Name Windkalt, den er sich Str. 6 beilegte, geht also auf die rauhen Merzwinde, womit stimmt, daß sein vorgeblicher Vater Warkaldr, d. h. Frühlingskalt heißen soll. Sein wirklicher Vater Solbiart, der sonnenglänzende, darf aber wohl Freyr den Sonnengott zum Sohne haben. Diesem ist die Erde verlobt, die im Winter erstorben scheint, in der That aber nur, als mit Schnee bedeckt, in der Unterwelt weilt. Es ist Menglada, die schmuckfrohe, weil das Sommergrün, das ihr die rückkehrende Sonne wiedergiebt, den Schmuck der Erde (iardar men) bildet. Freyja, die Göttin der Schönheit und des Frühlings trägt sonst Brisingamen, das keine andere Deutung als auf das Sommergrün, den Schmuck der Erde, zuläßt. Darum erklärt Grimm Menglada für Freyja. Aber sie kann auch Idun, sie kann Gerda heißen: im [412] Wesentlichen fällt Fiölswinnsmal mit Skirnisför zusammen, zumal wir dort nachgewiesen haben, daß es in der alten Gestalt dieses Liedes Freyr selbst war, der unter dem Namen Skirnir die Fahrt unternahm. Von dieser einfachen und ursprünglichen Gestalt des Mythus ging der Dichter von Fiölswinnsmal aus, um ihn seinerseits auch wieder mit poetischer Freiheit zu behandeln. Er bietet seine ganze Kunst auf, unsern Scharfsinn mit einem Räthselgeflecht auf die Probe zu stellen, dessen Auflösung zu sein scheint, daß eben Niemand zu Menglada gelangen kann als ihr ersehnter Bräutigam, was uns lebhaft an das rheinische Sprichwort erinnert: wenn der rechte Joseph kommt, so sagt Maria Ja.
Zwischen der Deutung Mengladens auf die Erde und der auf die Sonne, der vom Sonnengott oder dem Frühlingsgott befreit wird, scheint die Wahl gestattet; wenn aber nach Germ. X. 433 ff. Swipdagr der Mond sein soll, der um die Sonne freit, so ist schwer einzusehen, welche natürliche Grundlage ein solcher Mythus haben sollte.
Über die Verwandtschaft dieses Liedes mit dem dänischen Swendalliede vgl. den Schluß unserer Bemerkungen zu Skirnisför.
Die Verschiedenheit der Stände von göttlichem Ursprung herzuleiten, ist die Absicht dieses nicht ganz auf uns gekommenen, für die älteste noch halbgöttliche Heldensage höchst wichtigen Gedichts. Auch sein poetisches Verdienst ist nicht gering, obgleich es seiner Erfindung Eintrag thun könnte, daß die von göttlicher Anordnung abzuleitenden Stände in den drei Paaren, welchen der Gott zu Nachkommenschaft verhilft, schon vorgebildet sind, so daß es seiner Vermittlung gar nicht erst zu bedürfen scheint. Er schafft aber hier nicht die Menschen, die Wöl. 1 seine Kinder heißen, sondern die Ordnungen der Gesellschaft, die früher bloß natürliche Verhältnisse nun zu politischen Ständen werden. Wir finden zugleich in diesen Paaren die drei Stände der Unfreien, Freien und Edeln, die sich bei allen deutschen Stämmen (Tac. Germ. c. 25) nachweisen laßen (im Angels. eorlas, ceorlas, thraelas) so gut aufgefaßt und geschildert, daß wir uns über jenes Bedenken wohl hinwegsetzen dürfen.
Rigr, welchen der prosaische Eingang des Liedes für den Asen Heimdal erklärt, haftet tief in den Ursagen deutscher Völker. Der Name ist aus Iring verkürzt und verdichtet (Myth. 335). Iring kennen wir aus dem Nibelungenliede, wo er im Kampf mit Hagen erliegt. Indem die Wilkinasage, die aus deutschen Liedern schöpft, diesen Kampf berichtet, läßt [413] sie ihn an einer Steinmauer niedersinken, die zur Erinnerung an den Helden noch bis heute Irungs veggr heißen soll. Die Vergleichung einer Erzählung Widukinds von Corvei, die den Krieg der Franken mit Thüringen und Sachsen gleichfalls nach Liedern mehr der Sage gemäß als geschichtlich darstellt, ergiebt, daß die Wilk. veggr (Mauer) mit veg (Weg) verwechselt hat, denn nach ihm bahnte sich Iring Weg mit dem Schwerte und bewährte solche Tapferkeit, daß noch zu Widukinds Zeit die Milchstraße nach ihm benannt wurde. Die Iringsstraße wird auch sonst noch erwähnt, nicht immer in Bezug auf die himmlische: auch auf Erde hießen große Königsstraßen in England und Schweden bald nach Erik (= Rigr = Iring), bald nach Irmin und Iring. Der thüringische Iring erscheint aber im Nibelungenliede sowohl als bei Widukind mit Irminfried verbunden, wie sich Iring und Irmin in den Namen himmlischer und irdischer Straßen vertreten. Das Ergebniss der ganzen in Gr. Myth. 329–336 geführten Untersuchung ist nun, daß der im Eingang unseres Liedes für Iring erklärte Heimdal, der Hüter Bifrösts des Regenbogens, als des Weges, auf welchem die Götter zum Himmel niedersteigen, Veranlaßung gab, die Milchstraße und jene irdischen Königsstraßen gleichfalls nach Rik, Erik, Iring oder Irmin zu benennen. Auch in unserm Liede wandelt Rigr grœnar brautir, in welchen grünen irdischen Wegen die weißen leuchtenden des Himmels abgespiegelt sind. Die hiemit zusammenhängende Untersuchung über Irmin (Myth. 328) leitet darauf, daß in ihm die Sachsen einen kriegerisch dargestellten Odhin verehrt hätten. Vgl. jedoch M. Handb. §. 86. 89. Wie aber Odhin sonst als der Wanderer erscheint und an der Spitze der Geschlechter steht, so finden wir in unserm Liede beide Rollen auf seinen Sohn Heimdal übertragen, und die auf Irmin und Iring bezogenen Straßen auf Erden und am Himmel sind nach den höchsten und weisesten der Asen benannt, die als Götter Vater und Sohn waren und noch zu Helden herabgesunken stäts mit einander verbunden auftreten.
Noch ein anderes Streiflicht wirft das Lied auf unsere ältere Völkergeschichte. An seinem leider verstümmelten Schluß (Str. 45) werden Dan und Danpr wie es scheint als Nachkommen Jarls erwähnt. Der herlichen Schätze und Städte Danprs wird auch Atlakwida 5 gedacht. Nach Snorris Ynglingasaga war nun Danpr der Sohn Rigs, der zuerst in dänischer Sprache König hieß. Erst Danprs Sohn war Dan der Prächtige (hinn mikillati), von dem Dänemark den Namen empfing. Der Enkel Drotts, der Schwester Dans, heißt hier Dag. Auch Saxo leitete Dänemarks Namen von Dan ab, aber erst ein späterer Dag ist ihm der Sohn Rigs. In der [414] Gesch. d. deutschen Spr., wo Grimm bekanntlich Daci und Dani für gleichbedeutend nimmt, indem sich aus Daci Dacini ableiten und diese in Dani kürzen, erklärt er nun die Namen Dagr, Danpr und Danr für Nebenformen desselben Namens, in welchem das alte Dag nachklinge. Die Wurzel dieses Völkernamens ist ihm Dags = dies, welches lateinische Wort selbst aus dacies, wie Dani aus Dacini gekürzt erscheine. Demgemäß sind ihm die Dänen die hellen, lichten. Nun hieß nach D. 10 Dags Vater Dellingr, welches für Döglingr stehen muß, beßer aber auf die Nachkommen Dags als auf einen seinen Vorfahren passen würde. Doch will Grimm das dallr in Heimdallr jenem Dellingr für Döglingr vergleichen, so daß in dem lichtesten der Asen (hvita as) D. 27 als dem Stammvater des Dänenvolks schon dessen heller Ursprung ausgedrückt wäre.
Den drei Paaren, welchen durch Rigrs zweideutige Vermittlung die drei Stände entspringen, legt unser Lied Namen bei, welche zugleich Altersstufen bezeichnen. So hießen die Voreltern der Unfreien Ai und Edda, Urgroßvater und Urgroßmutter, die der freien Bauern Afi und Amma, Großvater und Großmutter, erst die der Edeln Vater und Mutter. Wenn damit nicht ausgedrückt werden soll, daß der Stamm der Knechte zuerst, die der Freien später und der der Edeln zujüngst entsprungen sei (Gr. R. A. 228), so müßen diese Namen der Sitte entliehen sein. Auch die nächsten Paare führen bezeichnende Namen, bei den Knechten Thräll und Thyr (Knecht und Magd), die noch ein spätes Sprichwort zusammenkommen läßt, bei den Bauern Karl und Snör, bei den Edeln Jarl und Erna. Karl und Jarl bezeichnen den Stand, Snör und Erna mehr sittliche Eigenschaften, die der raschen Thätigkeit und heitern Lebendigkeit. Es würde zu weit führen, auch die Namen der weitern Sprößlinge zu deuten; wir verweisen deshalb auf Gr. R. A. 266. 283. 304, Rochholz A. Kinderl. 157 und Leo Rect. 155. Es versteht sich von selbst, daß auch sie charakteristisch gewählt sind und bei den Knechten zum Theil Plumpheit und Missgestalt, bei den Bauern nützliche Beschäftigung, bei den Edeln vornehmes Wesen ausdrücken. In Konur, dessen Namen mit König verwandt ist (Gr. R. A. 230), sollte wohl dargelegt werden, wie aus dem Stande der Edeln das Königtum sich hervorbildet. Aus konr ûngr wird konûngr, der erste König; v. Lilienkron[WS 6] Zeitschr. X. 194. Daß gerade der Jüngste des Geschlechts hiezu ersehen ist, mag uns den König als die Blüte des Adels, den letzten höchsten Trieb der Volksentwickelung darstellen sollen. A. M. ist Liebrecht G. G. A. 1865. 12, der hier eine Hinweisung auf das einst weitverbreitete Jüngstenrecht erkennt. Vgl. auch Heidelb. Jahrb. 1864, S. 210. Schade, [415] daß das Gedicht kurz vor seinem Schluße abbricht. Auch innerhalb finden sich einige schwer auszufüllende Lücken. Wie viel wir aber auch verloren haben, das Erhaltene bleibt auch als Bruchstück unschätzbar.
Wie das vorhergehende steht auch dieses Gedicht in der Mitte zwischen Götter- und Heldensage. Die Einkleidung ist jener ausschließlich entliehen, aber auch der Inhalt reicht zuletzt zu ihr hinauf. Was von diesem der Heldensage angehört, beschränkt sich nicht wie die heroischen Lieder unsres zweiten Abschnitts auf die auch in Deutschland bekannte Sage von den Niflungen und Giukungen, sondern begreift fast alle nordischen Königsgeschlechter, indem es die grösten Heldennamen, die bis zum Ende des achten Jahrhunderts, seine vermuthliche Abfaßungszeit, im Norden berühmt waren, übersichtlich zusammenstellt.
Wenn ein politisches Lied, so beliebt die Gattung jetzt bei uns geworden ist, Goethen ein Pfui entlockte, so muß ein genealogisches wie das gegenwärtige noch auf viel stärkere Abneigung gefaßt sein, zumal das Interesse, das der Nordländer für die Geschlechtsreihen seiner Könige mitbrachte, uns in unendlich geringerm Maße beiwohnt. Der Dichter scheint aber wohl empfunden zu haben, wie sehr sein Stoff, welche Vorliebe ihm auch entgegen kam, poetischer Behandlung widerstrebte, denn er hat alle Mittel angewandt, welche die Kunst darbot, ihn zu würzen und genießbar zu machen. Dazu bediente er sich der Einkleidung und des Kehrverses, die wir beide abgesondert betrachten wollen.
Wie in der Wegtamskwida Odhin sich nach den Geschicken Baldurs bei der Seherin erkundigt, die er aus dem Grabe weckt, so sucht hier Freyja die höhlenbewohnende Riesin Hyndla auf, die sie schmeichlerisch Schwester und Freundin nennt, um von ihr über die Vorfahren eines Schützlings Belehrung zu empfangen. Wir wißen aus D. 35, daß Freyja einst einem Manne vermählt war, der Odur hieß, und dem sie, als er sie verließ, goldene Thränen nachweinte. Es erhellt nicht, ob dieser Odur derselbe war, der hier als Ottar der junge, Innsteins Sohn, auftritt. Hyndla freilich nennt ihn Freyjas Mann, sie selbst aber nur ihren Schützling, der ihr ein Haus aus Steinen errichtet und oft mit Opferblut getränkt habe. In seinem Geleit kommt sie nun zu der weisen Wala, damit er selbst aus ihrem Munde die Auskunft vernehme, deren er zur Entscheidung eines Rechtsstreits mit Angantyr über sein väterliches Erbe bedarf. Bei ihrem nächtlichen Besuch rückt aber Freyja nicht gleich mit ihrem Anliegen heraus, [416] sondern fordert zunächst zu einem Ritt nach Walhall auf, da sie denn unterwegs wohl im Gespräch ihren Zweck zu erreichen gedenkt. Aber Hyndla weigert sich, ihr nach Walhall zu folgen; auch bedürfe dessen Freyja nicht, da sie ja ihren Mann, den jungen Ottar, zum Begleiter habe. Freyja zürnt, daß Hyndla sie eines solchen Verhältnisses zu ihrem Begleiter verdächtigt, steht aber von der Reise nach Walhall ab und kommt zu ihrem eigentlichen Zweck, indem sie über die Geschlechtsreihen der Voreltern Ottars Auskunft verlangt. Diese gewährt auch Hyndla in den Str. 12–41, welche den genealogischen Inhalt des Gedichts bilden. Als aber Freyja ihr nun auch zumuthet, ihrem Begleiter das Äl der Erinnerung zu reichen, damit er sich nach dreien Tagen vor Gericht aller empfangenen Belehrungen noch entsinne, kehrt sie die rauhe Seite wieder hervor, schilt die Göttin in ehrenrührigen Ausdrücken wegen ihres Umgangs mit Männern und verweigert ihre neue Bitte unter dem Vorgeben, daß sie von Schlaflust befallen sei. Freyja nöthigt sie jedoch, ihr zu willfahren, indem sie die Höhle der Riesin mit Flammen umgiebt, worauf sie zwar den begehrten Trank, aber mit der Drohung empfängt, daß er ihrem Liebling den Tod bringen werde. Doch diesen Fluch weiß Freyja in Segnung zu verkehren.
Dieß die Einkleidung, welche wir zu dem Zweck, für den trocknen Inhalt zu entschädigen, vortrefflich erfunden meinen. Aber auch diesen selbst war der Dichter durch mehrfache Kehrreime zu unterbrechen und zu würzen bedacht, unter welchen der am häufigsten angewandte: Dieß all ist dein Geschlecht, Ottar, du Blöder! auch die gröste Wirkung thut.
Rechnen wir hinzu, daß die Stammtafeln der nordischen Götter und Helden dem Skandinavier des achten und neunten Jahrhunderts näher am Herzen liegen musten als uns, so mögen wir dem Gedichte wohl eine bedeutende Wirkung in jener Zeit zutrauen. Ettmüllers Urtheil, daß es wenig dichterischen Werth habe, ist aber jedenfalls ungerecht.
Wir werden bei Besprechung des Einzelnen eine ausführliche Erläuterung des so eingekleideten und mundrecht gemachten genealogischen Inhalts vermeiden, weil wir aller Kunst des Dichters ungeachtet doch nicht erwarten, daß der Leser Interesse genug für ihn genommen habe, um noch weitere Auffschlüße darüber zu wünschen. Auch sonst beschränken wir uns möglichst auf die wenigen Strophen, die zur Rechtfertigung unserer Auffaßung einer nähern Erörterung bedürfen.
1. Magd der Mägde ist eine im Norden beliebte Steigerung des Ausdrucks, wie sie uns schon im Eingang des Harbardsliedes begegnet ist. [417] Ebenso rök rökra, welches wir mit Nacht und Nebel übertragen haben, obgleich es wörtlich die Finsterniss der Finsternisse bedeutet. Hyndla heißt die Wala (Weißagerin) unseres Liedes, nach welcher es wohl auch den Namen der „kleinen Wöluspa“ führt, wenn dieser Name nicht darauf geht, daß auch hier wie in jenem Gedichte die künftigen Weltgeschicke (Str. 41) verkündet werden. Sie gehört wohl zu den weisen Frauen, die in unserer Mythologie und ältesten Geschichten so bedeutend auftreten. Als Höhlenbewohnerin scheint sie übermenschlicher Natur, etwa riesiger Abkunft. Durch die Gabe der Weißagung ist sie selbst Göttinnen überlegen, wie die Wala der Wegtamskwida dem Gotte; aber auch Zauberkünste sind ihr vertraut, wie der Erinnerungstrank zeigt, den sie am Schluße darreicht.
Der Name Hyndla (canicula, junge Wölfin oder Hündin) muß nicht darauf gedeutet werden, daß sie auf Wölfen reite, wie es von Andern ihres Gleichen wohl berichtet wird. Vgl. jedoch Handb. §. 129.
2. Welcher Hermodr hier neben Sigmund, dem Vater Sigurds, genannt sei, bleibt ungewiss, schwerlich jener, den wir aus D. 49 als Odhins Sohn und Friggs Boten zur Unterwelt kennen, eher jener des Beowulfliedes, Kemble 64. Wie Sigmund das Schwert aus dem Kinderstamm zog, welches Odhin hineingestoßen hatte, ist aus der Wölsungasaga bekannt.
5. Da diese Strophe Hyndla zu sprechen scheint, so kann auch sie nicht dafür zeugen, daß sie auf Wölfen zu reiten pflegte. Den Wolf räth sie vielmehr im Zorn der Freyja an, da ihr Eber träge sei, Götterwege zu treten. Den Eber mit den Goldborsten (Str. 7) pflegt sonst Freyjas Bruder Freyr zu reiten (D. 61); da er Ihr hier beigelegt wird, so bleibt er wenigstens in der Verwandtschaft. Sich selbst legt Hyndla ein Ross bei nach der letzten Langzeile, welcher ich ein „nicht“ eingeschaltet habe, weil ich die ganze Strophe nur als eine heftige Weigerung verstehen kann, sich auf den vorgeschlagenen Ritt nach Walhall einzulaßen. Daß er wirklich nicht vorgenommen wird, ergiebt der Schluß, wo die Scene noch wie Anfangs vor Hyndlas Höhle spielt, welche Freyja mit Flammen umgeben will. Es steht nicht entgegen, daß Freyja Str. 8 sagt: „Laß uns im Sattel sitzen und plaudern,“ denn dieß kann auf sie selbst und ihren Gefährten gehen. Wozu aber Hyndla ihr Ross besteigen sollte, da sie doch den Vorplatz ihrer Höhle nicht verläßt, wüsten wir nicht.
6. 7. Die Schwierigkeiten dieser Strophen laßen sich kaum anders lösen als es die Übersetzung gethan hat. Die erste giebt für die in der vorhergehenden ausgesprochene Weigerung, an dem Ritte zur heiligen [418] Walhall Theil zu nehmen, den Grund an, daß Freyja keiner andern Begleitung bedürfe, da Ottar bei ihr sei. I valsinni heißt wörtlich „bei der Todesreise;“ aber so drückt sich Hyndla mit gutem Recht aus, denn nach Walhall fahren und sterben war den Nordländern gleichbedeutend. Daß Hyndla den Ottar für Freyjas Mann ausgiebt, spielt vielleicht auf die Odurs-Sage D. 35 an, ist aber hier zunächst als Schmähung Freyjas gemeint, die zu der ganzen schnöden Abfertigung der Göttin in den beiden Strophen 5 und 6 stimmt und durch die ehrenrührigen Reden, in welche Hyndla am Schluß gegen sie ausbricht, noch erläutert wird. Nachdem Freyja Str. 7 diesen Vorwurf zurückgewiesen hat, entgegnet sie auch den unfreundlichen Worten Str. 5 über ihren Eber. Die Erwähnung seiner glühenden Goldborsten, welche nach D. 61 die Nacht erleuchten, soll dem Zweifel entgegentreten ob er zu dem vorgeschlagenen nächtlichen Ritte nach Walhall geschickt sei. Die Zwerge, welche diesen Eber geschaffen haben, sind nach dieser D. Brock und Sindri; vielleicht folgt aber das Gedicht einer andern Überlieferung, nach der ihn die daselbst ungenannt bleibenden Söhne Iwaldis, welchen andere Kleinode beigelegt werden, gebildet hatten.
11. Unter den hier genannten berühmten nordischen Königsgeschlechtern sind die Ülfinge wohl nicht die Wölfinge der deutschen Heldensage, sondern die Wölsungen, welchen die Helgilieder mit Anspielung auf Sigmunds und Sinfiötlis wölfische Verwandlung diesen Namen beilegen. Vielleicht stehen sie aber durch Irrtum hier, da in der entsprechenden Str. 16 die Ynglinge an ihre Stelle getreten sind. Die in der folgenden Zeile genannten Freien heißen im Urtext Höldar, worüber Myth. 316 Auskunft giebt. In Rigsmal 21 wird Höldr unter den Nachkommen Karls, des freien Bauern, genannt. Statt der Jarle, deren Erwähnung man nach den Freien erwartet, stehen hier die Hersen, die den Jarlen untergeordnet, doch wohl nicht als von ihnen wesentlich verschieden gedacht sind. Vgl. Rigsmal 36. 37.
12. Der Stammbaum Ottars, welchen Ettmüller zu Beowulf p. 16 nach unsern Str. 12–15 giebt, bedarf insofern der Berichtigung als Hledis Ottars Großmutter, nicht Mutter ist.
14. Nach Skaldsk. 64 opferte Halfdan der Alte zu Mittwinter den Göttern, damit ihm vergönnt werde, dreihundert Winter in seinem Königtum zu leben. Da erhielt er zum Bescheide, daß er zwar nicht länger leben werde als ein langes Menschenalter, aber dreihundert Winter lang aus seinem Geschlecht nur königliche Männer und Frauen hervorgehen würden. Es war ein großer Heermann und fuhr nach Osten weit umher. [419] Da erschlug er im Zweikampf einen König mit Namen Sigtrygg und freite Alwig, die Kluge, König Eymunds Tochter von Holmgard. Sie hatten achtzehn Söhne, von welchen neun zugleich geboren wurden. Sie hießen Thengil, Räsir, Gram, Gylfi, Hilmir, Jöfur, Tiggi, Skuli und Harri. Diese neun Brüder wurden so berühmt in Heerfahrten, daß hernach ihre Namen in allen Liedern zur Bezeichnung fürstlicher Würden gebraucht wurden. Sie hatten keine Kinder und fielen Alle in Schlachten. Hernach hatten Halfdan und Alwig noch neun andere Söhne: Hildir, von dem die Hildinge stammen; Nefir, von dem die Niflinge stammen (?); Audi, von dem die Audlinge stammen; Yngwi, von dem die Ynglinge stammen; Dag, von dem die Döglinge stammen; Bragi, von dem die Bragninge stammen; Budli, von dem die Budlinge, Atli und Brynhild stammen; Lofdi, ein großer Heerkönig, von dem die Löfdunge stammen und Eylimi, Sigurd des Fafnirtödters mütterlicher Großvater; Sigar, von dem die Siklinge stammen, zu welchen Siggeir zählt, Wölsungs Schwager, und Sigars Geschlecht, der den Hagbard hängen ließ. Von den Hildingen stammte Harald Rothbart, der mütterliche Großvater Halfdan des Schwarzen. Aus dem Geschlecht der Niflinge entsprang Giuki, von den Audlingen Kiar, von den Ülfingen Eirik der Weise. Auch dieß sind berühmte Königsgeschlechter: von Yngwi kamen die Ynglinge, von Skiöld die Skiöldunge in Dänemark, von Wölsung die Wölsungen in Frankland. Skelfir hieß ein Heerkönig, von dessen Geschlecht die Skilfinge sind, die im Osten herschen. Die Namen aller dieser Geschlechter dienen in den Liedern zur Bezeichnung königlicher Würde. Nicht ganz stimmt dieser Bericht mit unserm Liede, das z. B. den Eilimi Str. 25 von den Ödlingen stammen läßt, während ihn die Skalda zu den Löfdungen zählt; dagegen scheint der Verfaßer von Fundin Noregr bald aus unserm Liede, bald aus der Skalda geschöpft zu haben. Des ersten Angaben sind wohl die einfachsten und altertümlichsten.
19. Der Str. 12 genannte Alf, so wie der Str. 18 sind nach Lünings richtiger Bemerkung andere.
22. Wenn man die drei ersten Zeilen streicht und die eingeklammerten beibehält, so stimmen die genannten zwölf Namen mit dem Verzeichniss der Söhne Arngrims in der Herwarasage, nur müste statt Tyrfingr Sämingr gelesen werden.
24. In dieser Strophe betreten unsere Leser plötzlich bekannten Boden, da hier Namen genannt werden, die der deutschen Heldensage in ihrer nordischen Faßung angehören und im zweiten Kreiß unserer Eddalieder, den wir Heldensage überschrieben haben, öfter wiederkehren.
[420] 27. Aus dieser Strophe hat Dietrich (Zeitschrift VII, 317) das Alter unseres Liedes bestimmt, da hier nach den Wölsungen Str. 25 zwar schon die Reihe der schwedischen Könige bis zu Iwars zweitem Schwiegersohn Radbert und seinem Sohne Randwer fortgeführt wird, aber weder Randwers Sohn Sigurd Ring, der Sieger der Brawallaschlacht, noch dessen gefeierter Sohn Ragnar Lodbrok genannt sind. Im neunten Jahrhundert wären diese Namen, die den ganzen Norden erfüllten, nicht zu unterdrücken gewesen. Dagegen soll nach K. Maurer (Zachers Ztschr. II. 443) das Gedicht vor dem 9. Jahrh. nicht entstanden sein, weil die Orkneyingasaga den Torf-Einarr Jarl für den Ersten ausgiebt, der Torf gegraben und gebrannt habe.
34. Daß in diesem genealogischen Gedichte bei Heimdal so lange verweilt wird, soll ihn vermuthlich wieder an die Spitze aller edeln Geschlechter stellen, wie es in dem vorhergehenden geschieht, wo außerdem auch die der Knechte und freien Bauern von ihm entspringen.
38.[WS 7] Bei Übertragung dieser dunkeln Strophe bin ich Grimms Erklärung Myth. XXXVIII. gefolgt.
40. 41. Die erste Strophe zielt wohl wieder auf Heimdal, obschon die zweite Zeile an Thor erinnert; die andere vergleiche man mit ihrer wahrscheinlichen Quelle (Wölusp. 65). Der Name des Gottes wird auch dort nicht genannt; unsere Stelle giebt aber als Grund des Verschweigens die Ehrfurcht an. Dieser ungenannte Gott wird sonst in unsern Liedern unter Miötudr (Meßer, Schöpfer Gr. Myth. 20) gemeint. Aber auch Fimbultyr (Wölusp. 60) mag ihn bezeichnen. A. M. ist Gr. Myth. 795.
Bei Erläuterung der hieher gehörigen Lieder können wir uns kürzer faßen, theils weil sie an sich weniger Schwierigkeiten bieten, theils weil der Leser nun schon mehr Vorkenntnisse mitbringt, und wir durch überflüßige Bemerkungen seinen Unwillen nicht verdienen möchten. Unsere hauptsächliche Aufgabe wird daher sein, das Verständniss der Lieder im Allgemeinen zu fördern, und über ihren Werth und ihr Verhältniss zur Sage, zur nordischen und deutschen, ein Urtheil festzustellen. Die nordischen Götterlieder konnten wir mit entsprechenden deutschen nicht vergleichen, da diese uns gänzlich verloren sind. Den Heldenliedern entsprechen gleichzeitige deutsche zwar ebenfalls nicht, obgleich uns über ihren Inhalt mancherlei Zeugnisse erhalten sind. Spätere deutsche Lieder, die denselben [421] Gegenstand behandeln, sind uns dagegen in den Nibelungen in großer Ausführlichkeit überliefert, und wir werden ihren Inhalt ihres Orts zu vergleichen haben. Nur über die innere Form der eddischen Heldenlieder, denn die äußere haben wir schon in der Einleitung besprochen, stehe hier eine allgemeine Betrachtung, die wir nicht treffender als mit W. Grimms Worten D. Heldens. S. 365 geben könnten: „Die Eigentümlichkeit der eddischen Lieder beruht darin, daß zunächst die Absicht nicht dahin geht, den Inhalt der Sage darzustellen, den sie vielmehr als bekannt voraussetzen, sondern daß sie einen einzelnen Punkt, wie er gerade der poetischen Stimmung dieser Zeit zusagt, herausheben und auf ihn den vollen Glanz der Dichtung fallen laßen. Nur was zu seinem Verständniss dient, wird aus der übrigen Sage angeführt, oder daran wird erinnert. Eine Beziehung auf das zunächst Vorangegangene folgt vielleicht erst einer Andeutung der Zukunft, das Entfernte wird durch kühne Übergänge in die Nähe gerückt, und zu ruhiger Entfaltung und gleichförmigem epischen Fortschreiten gelangt diese Poesie nicht. Wo sie etwa den Anfang dazu macht, wird sie durch die Neigung zu lebhafter dramatischer Darstellung gestört, die überall durchbricht und dieser Betrachtungsweise völlig angemeßen scheint. Die schönsten Lieder gehen bald in Gespräche über, oder sind ganz darin abgefaßt; die erzählenden Strophen wahren nur den Zusammenhang. Auch im Einzelnen verläugnet sich nicht der Geist des Ganzen: oft wird ein bedeutender Zug allein herausgenommen, alles Übrige im Dunkel zurückgelaßen. So wird z. B. Sigurds Mord einmal nur mit wenigen Worten erzählt: „leicht wars Gutthorm anzureizen: das Schwert stand in Sigurds Herzen.“ Wie unzulänglich für epische Entwickelung und doch wie poetisch anschaulich! Das Erhabene der eddischen Lieder beruht auf diesem in der Höhe genommenen Standpunkt, wo das Auge über die Ebenen wegschauend nur auf hervorragenden Gipfeln verweilt. Der Ausdruck edel und einfach, aber scharf und genau bezeichnend, ist nur durch reiche und kühne Zusammensetzungen geschmückt; da wo es schwer und tiefsinnig wird, blitzt der Gedanke uns doch entgegen.“ An einer andern Stelle S. 9 sagt er: „Auch die Form der Eddalieder verdient Berücksichtigung, denn auf ähnliche Weise mochten die deutschen Vorbilder abgefaßt sein. Kürzere Gesänge, die zwar häufig den Gang andeuten und voraussetzen, aber doch nur bei einzelnen, besonders hervorgehobenen Punkten verweilen. Sie laßen sich meist in einer gewissen chronologischen Folge zu einem Ganzen ordnen. Überall ein genauer, höchst angemeßener Ausdruck, zwar ohne die Breite und sinnliche Ausführlichkeit der Nibelungennoth, man kann [422] zugeben auch ohne die Anmuth derselben, aber in jener strengen, großartigen Weise, wo kein Wort unbedeutend, keins überflüßig, keins lockend oder ableitend, aber eben deshalb jedes seines Eindrucks gewiss ist. Die manchmal regelmäßig durchgeführte dialogische Form scheint dieser Poesie zuzusagen.“
Diese schöne Dichtung, die das nordische Heldenbuch eröffnet, steht in demselben, wie schon Mone bemerkt hat, ganz abgesondert als ein Bruchstück, dessen Zusammenhang mit den andern Liedern nur die Wilkinasage[WS 8] anzeigt. Zur Erläuterung dieses Zusammenhangs kann ich aber auf mein Heldenbuch verweisen, wo das Lied von Wieland den ersten der acht Theile des Amelungenliedes bildet. Auch hab ich in den Anmerkungen zu letzterm die weit verbreitete Sage, die selbst zu den romanischen Völkern gedrungen ist (bei den Nordfranzosen hieß unser Wieland Galland) näher besprochen. Über Wölundars Bruder Egil, der in der deutschen Sage als Eigel der Schütze bekannt, und als solcher fast ebenso berühmt war, wie Wieland als Schmied, daher ihm die Tellssage ursprünglich beigelegt ward, hab ich mich in der Vorrede zum deutschen Orendelliede (Stuttgart, 1845), wo er als König Eigel von Trier mit der Sage vom heiligen Rock in Verbindung gebracht ist, ausführlich ausgelaßen, den Zusammenhang Tells mit Orendel aber erst Handb. §. 82 eingesehen. Hier will ich als ein neues Zeugniss für die Verbreitung seiner Sage am Niederrhein nur den gerade in Bonn vorkommenden Eigennamen Schützeichel (Eigel der Schütze) nachtragen. Dem dritten Bruder Slagfidr legt weder die nordische Sage, noch die deutsche wie sie die Wilkinasage erhalten hat, eine eigene Kunst bei, obgleich das verbreitete und vielfach gestaltete Märchen von den drei oder sieben kunstreichen Brüdern ohne Zweifel zu Grunde liegt, wonach ihm die Arzneikunst zuzuschreiben wäre. Vgl. auch Vorrede zu den Quellen des Shakespeare, II. Aufl., S. IX.
Durch die eigenthümlich deutsche Pest, die uns noch zu Grunde richten wird, die Ausländerei unserer sogenannten gebildeten Stände, nach deren Geschmack sich auch die Dichter richten musten, wäre diese in Deutschland entsprungene, einst sehr beliebte und allbekannte Mythe bei uns fast gänzlich untergegangen, wenn die beiden Niederschreibungen im Norden sie uns nicht erhalten hätten. Von diesen muß die erste schon sehr früh erfolgt sein, da unser Eddalied allen Anzeichen nach eins der ältesten ist. Daß es im Norden gedichtet sei, bezweifle ich sehr; wahrscheinlich liegt ein [423] deutsches Lied zu Grunde, das die skandinavischen Völker sich angeeignet und localisiert haben. Bei der andern Aufzeichnung, die manches Jahrhundert später erfolgt sein muß, ist der deutsche Ursprung gewiss, da die Wilkinasage sich ausdrücklich auf deutsche Lieder und die Aussage deutscher Männer, namentlich aus Soest, Bremen und Münster, beruft. Beide Niederschreibungen ergänzen sich wechselseitig und namentlich verdanken wir unserm Liede, das sonst die Sage viel dürftiger darstellt, die in der Wilkinasage vergeßene Erzählung von den drei Schwanenjungfrauen, auf welche noch im vierzehnten Jahrhundert das Gedicht von Friedrich von Schwaben anspielt, aus welchem sich unser Lied insoweit ergänzt als dieses die Wegnahme der von den Mädchen abgelegten Gewänder, wodurch sie in die Gewalt der Brüder gerathen, nicht ausdrücklich meldet.
Ein anderer Umstand, den unser Lied im Dunkel läßt, wird durch keine Vergleichung aufgeklärt, nämlich welche Bewandtniss es mit dem Ringe habe, den König Nidudr in Wölundurs Hause vom Baste zog und seiner Tochter schenkte. Warum nahm Nidudr von den siebenhunderten, die am Baste aufgezogen waren, nur den einen? Str. 18 heißt es zwar, nun trage Bödwild die rothen Ringe der Frau des Wölundur; aber dieß scheint eines der vielen Verderbnisse, denen dieß alte Lied nicht entgehen konnte; daß es nur Ein Ring war, auf den Nidudr hohen Werth legte, sehen wir auch daraus, daß Bödwild, als sie ihn zerbrochen hatte, nach Str. 24, womit die Wilkinas. c. 25 übereinstimmt, es nicht wagte ihrem Vater davon zu sagen, was bei einem gewöhnlichen Goldringe, dem nicht irgend eine wunderbare Eigenschaft beigewohnt hätte, ganz undenkbar wäre. Aber hier verlaßen uns die Quellen und ich war in Wieland dem Schmied auf die eigene Erfindungsgabe angewiesen. Nur das ist noch angedeutet (Str. 41. 18), daß diesen Ring einst Wölundurs Gemahl Alhwitr beseßen hatte.
Was diesen Namen betrifft, so heißt er in der Urschrift Alwitur (Allwißend), welches ich nach Analogie des Namens Swanhwit (schwanweiß) in Alhwitr (allweiß) gebeßert habe. Außerdem habe ich Str. 4, die in der Urschrift die 15te ist, an diese ihr gebührende Stelle gerückt, und in Str. 2 die eingeklammerten Zeilen nach Vermuthung eingeschoben. Doch könnte auch die vorausgehende Zeile entstellt sein und die gleiche Nachricht enthalten haben. Grimm Lieder d. ä. E. S. 4. 5. und Mone Untersuchungen zur deutschen Heldens. S. 102.
Str. 4 fragt der Niarenkönig Nidudr den Wölundur, nachdem er ihn aus Ulfdalir (Wolfsthal) entführt und in sein Reich geschleppt hat, wie er [424] in Besitz der Goldschätze des Niarenlands gekommen sei, aus denen er so viele Kleinode geschmiedet habe. Mit dieser Frage gedenkt er die Gewaltthat der Entführung Wölundurs zu beschönigen. Aber dieser antwortet: „Hier war kein Gold zu erwerben, also kann ich es Euch nicht entwendet haben. Dieß Land ist fern von den Felsen des Rheins, aus dessen Goldwäschen alles Gold stammt. In unserer rheinischen Heimat, der ihr mich gewaltsam entrißen habt, mochten wir des Goldes leicht noch mehr erwerben.“ Wölundurs (Wielands) rheinische Heimat, für die wir hier ein Eddisches Zeugniss haben, bezeugt auch Galfred von Monmouth in den Worten:
Pocula, quae sculpsit Guilandus in urbe Sigeni.
Das Sigener Land, noch jetzt durch Bergbau berühmt, war schon im frühen Mittelalter wegen kunstreicher Erzarbeiten weithin bekannt. Über die rheinischen Goldwäschen, der thatsächlichen Grundlagen des mythischen Nibelungenhorts, vgl. Atlakw. 15 und Mein Handb. d. d. Myth. §. 115.
Bei Rask heißt dieß Lied Helgaquida Hatingaskatha, weil die Bemerkung am Schluß des zweiten Liedes von Helgi dem Hundingstödter daß dieser als Helgi Haddingjaskathi wiedergeboren sei, in die Überschriften der Lieder Verwirrung gebracht hatte. Jener Haddingische Helgi war eine zweite Wiedergeburt des Helden unseres Liedes, der zuerst als Helgi der Hundingstödter wiedergeboren ward, mithin kann der Beinamen Haddingjaskathi dem ersten Helgi nicht zukommen. Die Kara-Lieder, welche jene zweite Wiedergeburt behandelten, sind verloren gegangen.
Von Helgi, dem Sohne Hiörwards, weiß die Wölsungasage nichts; nur den Inhalt der beiden Lieder von Helgi dem Hundingstödter hat sie aufgenommen. Den Inhalt unseres Liedes berichtet auch keine andere Quelle, er scheint eine nordische Zuthat, welche die Aneignung der beiden andern Helgilieder, deren deutscher Ursprung wahrscheinlich ist, vermitteln sollte. Die Verbindung kann nicht loser sein: sie beruht nur darauf, daß dieser Helgi, der Sohn Hiörwards, als Sigmunds Sohn Helgi wiedergeboren sein soll, wie denn noch eine neue Wiedergeburt in jenen verlorenen Karaliedern angenommen ward, die wohl auch hinzugedichtet wurden, als die Lieder von Helgi dem Hundingstödter den wohlverdienten allgemeinen Anklang fanden. Bei unserm Liede mögen echte Sagen benutzt worden sein, es hat eine durchaus altertümlich nordische Färbung, auch soll sein poetisches Verdienst nicht herabgesetzt werden; wir zweifeln nur ob [425] es sich gegen die andern Helgilieder, denen es doch jedenfalls an Kraft nachsteht, völlig selbständig verhalte. Einige Namen scheinen aus diesen entliehen, wie Sigarsholm, Sigarswöllr, Warinsey und Frekastein, während andere wie Glasislundr ursprünglich der Göttersage angehören. Frekastein ist vielleicht wie der Aarstein im folgenden Liede nur epischer Ausdruck für Schlachtfeld überhaupt, da Freki einer der Wölfe Odhins heißt. Jedenfalls wird ein selbständiger wirklicher Schauplatz nicht in ihm nachzuweisen sein; man vgl. jedoch Joseph Haupt Untersuchungen zur deutschen Sage S. 87 ff. Das Verhältniss der Walküre Swawa zu Helgi scheint dem Sigruns zu Helgi in den beiden andern Liedern nachgebildet: die behauptete Wiedergeburt Helgis soll die Nachahmung beschönigen. Der Wortwechsel Atlis mit Hrimgerden, welchen Helgi fortführt, gleicht dem Sinfiötlis mit Gudmund in den beiden andern Liedern; während der Schluß dieser Episode, Hrimgerdens Verwandlung in Stein beim Anbruch des Tages, der Göttersage entliehen ist, vgl. Alwissmal. Dennoch bleibt unserm Liede viel Eigentümliches. So in dem ersten der vier Theile, in welche wir es der Übersicht wegen zerlegt haben, der Vogel, der sich Altar und goldgehörnte Kühe bedingt, wenn er dem König den Besitz Sigurlinns verschaffe. Wir erfahren nicht, welcher Gott sich so Hiörwards Verehrung erkauft. Ein dunkler böser Geist muß es nicht nothwendig sein, wenn auch jetzt in deutschen Märchen, wie Grimm erinnert, der Teufel als Vogel erscheint, um sich für Gewährung des Wunsches das Kind im Mutterleibe zu bedingen. Etwas Ähnliches fürchtet aber allerdings Atli, indem er Str. 3 Hiörwards Frauen und Kinder vorsichtig von der Wahl ausnimmt. Zwischen diesem Vogel und dem andern, in den sich am Schluß desselben Abschnitts Sigurlinns Pfleger verwandelt hatte, ist allerdings Zusammenhang. Es war Franmar Jarl, der sich schon früher wie jetzt in Adlergestalt gekleidet und das Opfer bedingt hatte. Riesen pflegen Adlergestalt anzunehmen, weil sie Sturmwinde bedeuten. Nicht bloß Hräswelg, ein Riese nach Wafthrudn. 37, sitzt an des Himmels Ende, und facht den Wind über alle Völker, auch D. 56 sitzt der Riese Thiassi in Adlersgestalt auf der Eiche, und wehrt dem Feuer, das die drei Asen entzündet haben, durch das Fachen seiner Flügel, und der Sud kann nicht zum Sieden kommen. Wenn sie aber gestatten wollen, daß er sich von dem Ochsen sättige, den sie zu sieden gedenken, so will er den Sud sieden laßen. Ohne Zweifel ist es auch hier ein Opfer, das sich der Riese bedingt. Die auffallendste Eigentümlichkeit unseres Liedes enthält aber der vierte Abschnitt in dem Verhältniss Hedins zu Helgi, der Str. 33 seinen Tod vermuthet, weil seine Folgegeister Hedin [426] ausgesucht hatten. Daß es den Tod bedeutet, wenn die Schutzgeister Abschied nehmen, sehen wir auch aus Atlimal 26; daß sie aber auch einen Andern aufsuchen können nachdem sie den Einen verlaßen haben, gewahren wir nur in unserm Liede. Die Fylgien, auch Hamingien genannt, sind unsern Schutzengeln ähnlich. Im Kuhländchen kommen sie nach Meiners noch unter ihrem alten Namen vor.
Mit diesen Liedern berühren wir zuerst die deutsche Siegfriedssage, deren älteste Gestalt uns im Norden erhalten ist. Als eine nordische Zuthat können wir die Lieder von Helgi dem Hundingstödter nicht durchaus betrachten, denn obgleich uns von Helgi keine Spur auf deutschem Boden begegnet, so ist doch Sinfiötli, den wir in seine Sage verflochten sehen, als Sintarfizilo in Deutschland nachgewiesen (Zeitschrift I, 2 ff.) und auch das Beowulfslied kennt ihn als Fitela. „Es ist eine jetzt schon unbedenkliche Annahme,“ sagt J. Grimm a. a. O., „daß in früher Zeit manche Sagen aus Deutschland übergeführt wurden, die, unter uns ganz verschollen, dort erhalten blieben. Die längere Dauer, und was damit genau zusammenhängt, die größere Fülle der nordischen Überlieferung steht dem Verschwinden wie der Armut unserer heimatlichen entgegen; es macht Freude, und bewährt den engen Bund beider Stämme, nachzuweisen, daß der Norden von unsern Vorfahren empfing was er uns rettete.“ Doch sucht Uhland VIII, 127 nachzuweisen, daß der Hauptinhalt der Helgilieder der Wölsungensage ursprünglich nicht angehört habe. Ähnlich sagt Grimm a. a. O.: „Wenn gleich Saxo II, 25 ff. Helgi als Hundingstödter, vielleicht aus unsern Liedern, kennt, so gehen doch dieselben auf Helgis Kampf mit Hunding wenig ein,“ und der Name Hodbroddstödter, den ihm Saxo daneben giebt, scheint ihm nach den Liedern gemäßer. Angelsachsen und Dänen kannten aber doch Helgi und Fitela, und die Lenorensage, die uns bei Helgi zuerst begegnet, ist Deutschland nicht fremd. Ungewiss bleibt also nur ob die deutsche Siegfriedssage in Bezug auf Helgi aus diesen Liedern ergänzt werden kann.
Das Ansehen, das die beiden Lieder im Norden genoßen, spiegelt sich darin, daß man ihre Helden, Helgi und Sigrun, noch zweimal geboren werden ließ, einmal früher und einmal später, um ihnen andere, jenen nachgebildete Lieder an die Seite zu stellen, damit ein Abglanz ihres Ruhms auf dieses Seitenstück zurückstrale, was mit dem Liede, das wir soeben betrachtet haben, wirklich geglückt ist. Einer andern Nachahmung eines unserer Lieder werden wir in Gudruns Aufreizung begegnen. Dieser Ruhm war [427] kein unverdienter: mit Beschränkung auf die echten Helgilieder möchten wir C. F. Köppens Urtheile über ihren Werth beitreten: „An epischer, wahrhaft homerischer Kraft und Fülle stehen diese Lieder allen andern Dichtungen der Edda voran. Andererseits aber weht in ihnen, namentlich in der Liebe zwischen Helgi und Sigrun, eine so unendliche Milde und Tiefe des innigsten Gemüthslebens, daß man nicht weiß, von welcher Seite man diese hohen Gesänge am lautesten preisen soll.“
Die Wölsungasaga hat den Inhalt unseres ersten Liedes aufgenommen, das zweite aber scheint sie nicht zu kennen. Auch von jenem giebt sie nur einen Auszug, während sie von Sinfiötli und seinem Vater Sigmund sehr ausführlich erzählt, nicht ohne Anführung einer Liederstelle, woraus wir schließen müßen, daß auch über diese Theile der Siegfriedssage Lieder vorhanden wären, deren Verlust zu beklagen ist.
Aus der Vielgestaltigkeit des Volksgesangs erklärt es sich, daß wir von der Helgisage zwei verschiedene und doch in einigen Theilen zusammenfallende Lieder besitzen. Sie erklären und ergänzen sich wechselseitig und der Leser wird gut thun, sie zu vergleichen. Am besten liest man nach dem ersten Abschnitte des ersten Liedes den ersten Abschnitt des zweiten. Was dann im zweiten Abschnitte des zweiten folgt, hat im ersten Liede keine Parallele, ja diese erste Begegnung Sigruns und Helgis scheint beiden Liedern zu widersprechen, denn nach St. 13 des zweiten sollte man nicht glauben, daß sie sich schon früher gesehen hätten ehe Sigrun Helgis Hülfe gegen Hödbroddr in Anspruch nahm (1. Lied Str. 16 bis 20 vgl. mit 2. Lied Str. 12–16). Wenn sich hier das zweite Lied auf das alte Wölsungenlied wie später auf das Helgilied beruft, so könnte damit nur unser erstes Helgilied (Str. 18 und 32) gemeint sein; Andere halten es für eine beiden Liedern gemeinschaftliche Quelle. Auch der Meinung Mones a. a. O. S. 108, daß das zweite Lied älter sei als das erste, würde mir jene Berufung entgegen zu stehen scheinen, wenn sich mehr darin ausspräche als die Meinung des Sammlers, welche die Lücken der Lieder durch seine Zwischenreden verband. Von Helgis Kampf mit Hunding ist in beiden Liedern nichts übrig als die Meldung, daß letzterer fiel (1, 10 und 2, 8); aber auch von der Schlacht bei Logafiöll, welche Helgi gegen Hundings Söhne gewann, erfahren wir 1, 13. 14 nur den Erfolg: den Fall der Hundingssöhne, deren Aufzählung Str. 14 durch den Aarstein seltsamlich unterbrochen wird, unter welchem Helgi ausruht. Unter dem Aarstein sitzen ist auch eine den Angelsachsen geläufige epische Formel, wie Grimm Andr. XXVII schon bemerkt hat; nur dürfte sie mehr dem kampfmüden als dem kampflustigen Helden [428] gelten. Das andere Lied wiederholt dieß offenbar aus dem ersten in der Einleitung zum dritten Abschnitt. Hierauf folgt nun in beiden die schon besprochene Bitte Sigruns um Hülfe gegen Hödbroddr. Der dabei 1, 20 von Helgi genannte Mörder Isungs muß dem Zusammenhange nach Hödbroddr sein; über Isung erhalten wir aber keine Auskunft, doch scheint 1, 54 Z. 4 unter dem „Schrecklichen“ derselbe Isung gemeint. Im ersten Liede läßt nun Helgi Str. 21 seine Mannen entbieten, Str. 22 versammeln sie sich, die Schiffe kommen Str. 23 gesegelt, Hiörleif, der ein Königssohn heißt (in der Wölsungasage ein Steuermann), stattet Str. 24 und 25 über den Erfolg seiner Sendung und die gewonnenen Streitkräfte Bericht ab; bei Tagesanbruch Str. 26 fährt die Flotte ab, doch ein Ungewitter erhebt sich Str. 29, das Sigrun Str. 30 zu stillen und die Flotte am Abend bei Unawagir zu bergen weiß. Ähnliches hatte Swawa nach dem vorigen Liede Str. 26. 27 gegen Hrimgerden, wie hier Sigrun gegen Ran, vollbracht. Von allem diesem ist in dem andern Liede nur in dem prosaischen Zwischensatz nach Str. 16 die Rede, ohne Berufung auf das erste Lied, das in der That nur von Sigrun, nicht neun Walküren, wie hier gesagt ist, meldet. Eine neue Spur, daß das erste der drei Helgilieder, das von Swawa, unsern Liedern nachgebildet ist: nach Str. 27 in jenem waren es drei Reihen oder genauer dreimal neun Mädchen, welchen Swawa voraus ritt. Was jetzt in beiden Liedern folgt, Sinfiötlis Wortstreit mit Gudmund, ist im ersten weit beßer ausgeführt als im zweiten, das sich ausdrücklich dabei auf jenes beruft, und dann doch seine schwächere Recension, wenn es nicht etwa dort vergeßene Strophen sind, nachbringt. Jedenfalls dürfte Str. 20 dem Prachtstück erhabenen Heldenzanks, das wir im ersten finden, aus dem zweiten beigefügt zu werden verdienen. Was Gudmund dem Sinfiötli vorwirft, daß er seine Brüder ermordet, und im Walde, selbst ein Wolf, mit Wölfen geschwelgt habe, ist in seiner Sage (Wöls. S. Cap. 12. 13) wirklich begründet, nicht aber so viel wir wißen die übrigen Vorwürfe, noch die, welche Sinfiötli ihnen entgegensetzt. Nachdem Helgi den Zank beigelegt hat, reiten Granmars Söhne gen Solheim, ihrem Bruder Hödbroddr den erspähten Feind und die bevorstehende Schlacht anzukündigen Str. 46 bis 49, worauf dieser sich gleichfalls rüstet und Häuptlinge und Helfer, worunter Högni, Sigruns Vater, entbietet, Str. 50. 51. Nun bringt Str. 52 eine kurze Schilderung der Schlacht bei Frekastein, in welcher Sigrun den Helgi (Str. 53) vor sausenden Speren in Schutz nimmt und ihm in den Schlußstrophen des Liedes zum Siege und ihrer Erwerbung Glück wünscht. Alles dieß wird in dem andern Liede in knapper [429] Prosa erwähnt, und hinzugefügt, daß alle Söhne Granmars und deren Häuptlinge gefallen seien und nur Dag, Högnis Sohn, als Sigruns Bruder, Frieden erhalten und den Wölsungen Eide geleistet habe. Was in demselben dritten Abschnitte noch folgt, sind weitere Ausführungen, die wir entbehren möchten, wenn nicht die zarte Schonung, womit Helgi der Sigrun den Fall ihrer Verwandten berichtet, wohlthuend wäre. Merkwürdig ist aber in der Schlußstrophe (27) die Anspielung auf die Sage von Hilde D. 65, welche um so mehr am Platze ist, als diese Hilde wie Sigrun eine Tochter Högnis war. Bekanntlich liegt diese in ihrer weitern Fortbildung unserm deutschen Gudrunliede zu Grunde, das aber davon nichts mehr weiß, daß Hilde, wie hier angedeutet ist, die in der Schlacht gefallenen Kämpfer in der Nacht wiedererweckt.
Der vierte Abschnitt des zweiten Liedes steht wieder in diesem allein und bildet den Hauptvorzug dieses im dritten Abschnitt so sehr gegen das erste zurückstehenden Liedes. Vortrefflich ist Sigruns Verwünschung ihres Bruders Dag, der ihrem Gatten die Treue gebrochen hat; rührend schön und von spätern Liedern, die hier ihr Vorbild suchten, unerreicht ihr sehnsüchtiges Lob ihres Helden, den wirklich ihr Wunsch Str. 34 herniederzieht, wo dann die älteste nachweisbare Behandlung der Lenorensage den Schluß dieses und die Krone beider Lieder bildet.
Zu S. 175, Str. 39–50. Von Helgi leitet Uhland VIII, 172 ff. den Namen Hellequin für den wilden Jäger ab, wonach auch die Sage von Richard Ohnefurcht und Thedel von Walmoden hier ihren Ursprung nahm. Bei Thedel läßt sich ein Zusammenhang mit Dietrich von Bern und seinem schwarzen Rosse nachweisen.
Zu S. 158, Str. 3, 4. Der Faden, den Neris Schwester nordwärts wirft, bedeutet Helgis frühen Tod. Von dem Zusammenhang dieser von den Nornen ausgeworfenen Fäden mit den Seidenfäden, welche Gerichte und Rosengärten, Waldheiligtümer, hegten, sowie mit den Ketten, welche sich noch jetzt in Tirol um die Kirchen gezogen finden, wie schon den Tempel von Upsala eine goldene Kette umgab, endlich mit dem heiligen Wald der Semnonen, den man nur gefeßelt betreten durfte, und der wohl auch durch einen Seidenfaden gehegt war, wie das Volk selbst davon den Namen hatte, ein andermal. Vgl. Handb. 493 §. 135 und Liebrecht G. G. A. 1865. 12. S. 454, Philologus XIX, 582.
Zu S. 159, Str. 7. Zu vgl. ist zunächst S. 228:
So war mein Sigurd bei Giukis Söhnen,
Wie hoch aus Halmen edler Lauch sich hebt.
[430] Aber hier hat der Text geirlaukr, welches die Copp. mit allium capitatum übersetzt. An unserer Stelle scheint dagegen Sieglauch Allium victoriale gemeint oder Aller Manns Harnisch, welches die Kriegsleute um den Hals trugen, weil es sieghaft machte. Vgl. Perger Deutsche Pflanzensagen S. 85. Nach Uhland VIII, 125 wäre darunter nichts anders als das Schwert verstanden, an das allerdings die Gestalt der Pflanze erinnert. Aber darum konnte auch das Geschenk des Lauchs Sieg verheißen.
Kein Lied, sondern ein prosaischer Zwischenbericht vielleicht des Sammlers unseres nordischen Heldenbuchs, welcher das, was in den Helgiliedern von Sinfiötli erwähnt war, durch die Erzählung von seinem Tode ergänzen, das Verwandtschaftsverhältniss von Sinfiötli und Helgi zu Sigurd erläutern und den Übergang zu den nun folgenden eigentlichen Liedern vermitteln soll. Der Inhalt ist in der Wölsungasage, die hier nachgelesen zu werden gar sehr verdient, ausführlicher, wahrscheinlich aus alten verlorenen Liedern, erzählt.
Dieß Lied, dessen poetischen Werth wir sehr gering anschlagen, wurde wohl nur gedichtet, um den folgenden als eine Art Inhaltsanzeige zu dienen und Sigurds Schicksale übersichtlich zusammenzustellen. Ob es der Sammler verfaßt habe, müßen wir dahin gestellt sein laßen. Der Verfaßer der Wölsungasaga hat es gekannt, da er den Besuch Sigurds bei Gripir erwähnt, weiter aber wuste er, da es nichts Neues enthält, nichts damit anzufangen, wenn nicht etwa die Str. 19 und 27 ff., die von Sigurds Aufenthalt bei Heimir handeln, Veranlaßung gegeben haben, dieß in der Sage schwerlich tief begründete, scheinbar widersprechende Ereigniss einzurücken und auszuführen. Vgl. Grimms Heldens. 350. Brynhildens Todesfahrt weiß zwar auch von einem Pfleger Brynhilds, aber dieser Pfleger ist Agnar nicht Heimir. Auch Gripir ist sonst in der Sage unbekannt, und wenn sein Name nicht auf Grippigenland (Agrippinenland) anspielt wie Hialprek, dessen Sohn Alfs sich Sigurds Mutter Hiördis in zweiter Ehe vermählte, auf Chilperich gedeutet wird, so ist wohl auch er von dem Dichter willkürlich erfunden. Vgl. jedoch J. Haupt Untersuchungen zur deutschen Sage S. 54 ff. Seltsam läßt Str. 13 auf Fafnirs Tod den Besuch bei Giuki folgen und erst dann Str. 15 Brynhilds Erweckung, während doch Str. 31 der Sache gemäß angiebt, Sigurd habe Brynhilden vergeßen nachdem er eine Nacht [431] Giukis Gast gewesen sei; vgl. die Anm. zu Fafnism. Die Erwähnung Helgis Str. 15 scheint müßig, wenn damit der Held der Helgilieder gemeint sein soll. Man hat daher an Hialmgunnar gedacht, der in Sigurdrifas Lied erwähnt wird. Vgl. Brynhildens Todesfahrt mit der Anm.
Die Einkleidung der Schicksale Sigurds in eine Weißagung ist ein Behelf, von dem auch in andern unserer Heldenlieder Gebrauch gemacht wird z. B. in dem dritten von Sigurd, wo Brynhild die künftigen Schicksale Gudruns und ihrer Brüder voraussagt, was wohl auch nur den Zweck hat, dem Leser oder Hörer die Übersicht der Sage zu erleichtern.
Auch dieses Lied haben wir in zwei Abschnitte zerlegt, von welchen der erste fast nur Regins Erzählungen über den Ursprung des Horts enthält, auf dem Regins Bruder Fafnir lag, den zu tödten er ihn reizen will. Aber Sigurd will erst seinen Vater Sigmund und Muttervater Eilimi an Hundings Söhnen rächen. Die Ausführung dieses Vorhabens bildet den Gegenstand des zweiten Abschnitts. Der Ursprung des Horts ist auch D. 62 erzählt, welche überhaupt mit diesen und den folgenden Liedern zu vergleichen ist. Unser ganzes Lied kann als eine Einleitung zu Fafnismal betrachtet werden; Regin, nachdem es benannt sein sollte, tritt auch im zweiten Abschnitte stark hervor. Aber Sigurds Kampf mit Hundings Söhnen ist vielleicht erst durch den zweiten Abschnitt in die Sage gekommen. Daß ihn Gripisspa kennt, entscheidet nichts; aber im zweiten Helgiliede schienen alle Hundingssöhne gefallen und Lyngwi, den unser Lied einen Sohn Hundings nennt, erscheint Wölsungas. Cap. 19 nicht als solcher; seine Feindschaft gegen Sigmund und dessen Schwäher Eilimi entsteht daraus, daß Hiördis ihn verschmähte. D. 62 gedenkt überhaupt des Kampfes gegen Lyngwi nicht. In den ersten Abschnitt sind einige Strophen (3 und 4) im Geiste der Götterlieder eingefügt, die gleichsam ad vocem „waten“ eine ethische Lehre bei überweltlicher Strafe einschärfen sollen. Eben so ist im zweiten Abschnitt die epische Erzählung durch die Belehrung über die Vorzeichen, welche wir „Angänge“ nannten (vgl. Grimm Mythol. 1075), unterbrochen. Sie wird dem Odhin unter dem Namen Hnikar in den Mund gelegt, der eigens deshalb herbei bemüht scheint, obgleich er auch sonst wohl, wie wir aus der Wölsungasage wißen, in die Schicksale der Wölsungen, die von ihm abstammen, eingreift, namentlich aber in die Sigurds, dem er C. 22 das Ross Grani schenkt, das wie er selber heißt, denn es ist ursprünglich das Sonnenross wie er selber der Sonnengott; nähere Auskunft [432] giebt Mein Handb. S. 208 §. 74. Als Apollo Granus wurde Odhin verehrt: dieser Apollo ist kein imberbis, denn Granus bezeichnet ihn als den Bärtigen, wie das Ross Grani von seinen Mähnen benannt ist: das Haar wie die Mähnen bedeuten die Sonnenstralen.
Auch hier tritt das Ethische bedeutend hervor, die Str. 30 und 31 erinnern ganz an Hawamal; in den Strophen 16–19 ist sogar ein rein mythologisches, den Götterliedern nachgebildetes Gespräch eingelegt. Die Einschiebung hatte aber an unrechter Stelle stattgefunden, zwischen 11 und 12, welche offenbar zusammengehören. Da so Str. 12 unverständlich geworden war, so haben wir sie nebst den beiden andern, die von ihr abhängen, wieder mit Str. 11, aus der sie sich allein erklärt, zusammengerückt, und dem eingeschobenen mythologischen Gespräch einen passenden Platz angewiesen. Auffallend ist wieder, daß Str. 41 den Besuch bei Giuki vor Brynhilds Erweckung erwähnt, wie wir in Gripisspa Str. 13 und 15 denselben Anachronismus, wenn es nicht mehr, vielleicht gar das Ursprüngliche ist, bemerkt haben. Auf die Wichtigkeit der folgenden drei Strophen werden wir ein anderes Mal aufmerksam machen.
Zu S. 200: „Finger in den Mund.“ Nach den Academy III. angeführten Stellen aus Philostratus achten auch die Araber auf den Gesang der Vögel als auf Orakelsprüche, lernen ihn aber erst verstehen, indem sie des Drachen Herz oder Eingeweide verzehren. Von den Bewohnern der indischen Stadt Paroka wird dasselbe in Bezug auf alle Thiere, nicht bloß der Vögel, berichtet.
Die Einwirkung der Götterlieder auf die Heldensage, die wir schon bei den frühern Liedern bemerkt haben, tritt hier noch stärker hervor. Wie dem Hawamal das Loddfafnismal und Odhins Lied von den Runen angehängt sind, so wird hier Brynhilden (Sigrdrifen) ein jenem odhinischen ähnliches mythisches Runenlied und dann ein dem Loddfafnismal nachgebildetes ethisches Lied in den Mund gelegt. Wahrscheinlich waren sie vorhanden und allgemein bekannt ehe sie hier eingefügt wurden. In Brynhilds Munde passt der Sittenspruch Str. 22 wenig. Bei Aufnahme des Spruchgedichts in unser Lied hat man nicht bedacht, daß er Brynhildens Charakter widerspreche. Rechnen wir diese Nachklänge der Göttersage ab, so ist das, was dem gegenwärtigen Liede für die Heldensage übrig bleibt, von geringem [433] Belang. Das Wichtigste ist noch was die Prosa erzählt, obgleich sie seltsamer Weise Sigurs Ritt durch Wafurlogi nur andeutet, nicht ausdrücklich (wie das vorige Lied Str. 42. 3) meldet. Auch D. 62 erwähnt desselben gerade hier nicht, wo er doch unbezweifelt hingehört, wohl aber später als Sigurd mit Gunnar um Brynhild wirbt. Da aber, könnt es scheinen, hab es des Zaubersfeuers nicht mehr bedurft, da der Zauber bereits gebrochen und dem Ausspruche Odhins (Brynhildens Todesfahrt 9. 10) genügt war. Die Beziehung des Zauberfeuers auf Odhins Spruch hat eine Verwirrung in unsere Lieder gebracht, die ich früher durch die Vergleichung der nordischen Sage mit der deutschen schlichten zu können glaubte. Allein ich sehe jetzt, daß das doppelte Reiten durch die Flamme, wie es die nordische Sage meldet, das Ursprüngliche sein muß, indem nur bei dieser Annahme der Zusammenhang der Heldensage mit der in Skirnisför enthaltenen Göttersage klar wird, wobei ich an das erinnere, was oben über die doppelte Gestalt dieses Liedes ausgeführt ist. In der ältern war es Freyr selbst, der durch Wafurlogi ritt, in der jüngern that es Skirnir für ihn. Beide Formen des Mythus sehen wir in der Heldensage verbunden, indem Sigurd das erstemal für sich selbst, das andremal für den Freund und Herrn durch die Flammen reitet. Vgl. Handb. §. 30. In der nordischen Gestalt der Heldensage ist also nur eins verwirrend, daß Odhin das Zauberfeuer um Brynhildens Burg geschlagen haben soll, denn es müste seinem Ausspruch gemäß nach dem ersten Ritt Sigurds erloschen sein. Gleichwohl war diese Annahme nothwendig, wenn die Göttersage in Heldensage umgestaltet werden sollte. Ursprünglich war Sigrdrifa Odhins Gemahlin, wie wir an dem Schutze sehen, den sie dem Agnar gegen Hialmgunnar gewährt haben soll. Vgl. Helreidh. 8. Auch Friggs Günstling war Agnar gewesen (Grimnismal Einleitung), sie hatte ihm das Reich durch eine List verschafft, die jener gleicht, durch welche sie dem Winilern gegen Odhins Willen den Sieg zuwandte. Nach Grimnismal ließ sich das Odhin gefallen; es muß aber eine Gestalt die Sage gegeben haben, in welcher der höchste der Götter sich als weniger gutmüthigen Gatten erwies. Diese Gestalt klingt in der Heldensage nach. Näher ist dieß Zeitschr. für Myth. II. 7 ff. ausgeführt.
Bei der Annahme, daß das Spruchgedicht Str. 22–36 früher vorhanden war ehe es hier eingefügt wurde, versteht es sich von selbst, daß dieß von Str. 37 nicht gelten kann, welche eine Anspielung auf Sigurds frühen Tod enthält, die wahrscheinlich bei jener Einverleibung hinzugedichtet wurde.
[434]
Wir haben diesem Liede die Überschrift gegeben, welche es in der Urschrift führt, obgleich wir keineswegs überzeugt sind, daß es ein Bruchstück ist. Nach der von uns angenommenen Anordnung der Strophen und den Lesarten, von welchen wir bei der Übersetzung ausgegangen sind, die zum Theil allerdings auf Conjectur beruhen, scheint wenig oder nichts mehr zu fehlen. In der ersten Strophe liest der Text: „Wie bist du, Brynhild, Budlis Tochter;“ dann müste man aber entweder zwischen dieser und der folgenden Strophe, oder zwischen der zweiten und dritten, eine Lücke annehmen je nachdem man die zweite Strophe Brynhilden oder Gunnarn in den Mund legte. Ist aber die erste Strophe, wie es uns scheint, von Högni an Gunnar gerichtet, so ist alles in Ordnung, und diese Einleitung wenigstens nicht mehr lückenhaft. Zwischen der dritten und vierten mag allerdings noch etwas vermisst werden, da der Einwürfe Högnis ohnerachtet Gunnars in der ersten Strophe schon angekündigtes Vorhaben ausgeführt wird. Allein bei dem Plane des Liedes, welchen erst der Schluß deutlich macht, fehlt nichts Wesentliches. Es soll das tragische Geschick der Giukungen dargestellt werden, welche sich zu Sigurds Ermordung durch dessen Treubruch berechtigt und gegen Brynhild verpflichtet geglaubt hatten, jetzt aber, da sie seine Unschuld erkennen, vor ihrem eigenen Bewustsein selber als meineidige Mörder erscheinen. Wie es Brynhild war, die ihnen Sigurds Treulosigkeit vorgespiegelt hatte um sie zum Morde zu reizen, so ist es auch wieder Brynhild, die sie, da der Mord vollbracht ist, wie es Str. 14 heißt, wie ihr böses Gewissen meineidig schilt und Sigurds Treue auf das Nachdrücklichste schildert. In Bezug auf Brynhilden tritt also zwischen ihrem Benehmen vor Sigurds Ermordung und nach derselben der Widerspruch hervor, welchen die Schlußstrophe, die früher als 15te an der unrechten Stelle stand (obgleich das S. Bugge nicht zugestehen will, der doch sonst unserer Anordnung und Auslegung folgt), ausdrücklich bespricht. Aber erst die Nacht nach Sigurds Ermordung, wo Gunnars Gemüth von schreckhaften Bildern ergriffen wird, sollte den Wendepunkt bilden; darin liegt eine große Feinheit: vor dieser Nacht durfte Brynhild noch in dem alten Tone sprechen, damit am folgenden Morgen die Wahrheit desto greller hervorträte. Diesem Plane gemäß bringen die ersten Strophen nur kurz in Erinnerung, daß Gunnar von Brynhildens Vorspiegelungen verblendet die Ermordung Sigurds, den er für meineidig hielt, gegen Högnis Einspruch betrieben und wie wir aus der vierten Strophe ersehen, durchgesetzt hat. Die fünfte [435] Strophe, die sonst die eilfte bildete, aber beßer hier ihren Platz findet, knüpft an die Thatsache des vollbrachten Mordes schon die Ahnung der Rache. Aber schlimmer als die künftige Rache durch Atli ist das Gericht des eigenen Gewißens, und daß dieß Gunnarn verdammen werde, spricht Gudrun in der eilften Strophe ahnungsvoll aus. Was der Rabe Str. 5 angekündigt hatte, kann erst später ganz in Erfüllung gehen, obwohl schon in diesem Liede Gunnar davon beunruhigt wird. Aber Gudruns Prophezeiung Str. 11, daß Gunnarn böse Geister ergreifen würden, erfüllt sich sogleich hier, zunächst schon in den beiden folgenden Strophen, wo die Reue ihn zu ängstigen beginnt; noch weit mehr aber wird sie, wie uns der Dichter zu ermeßen überläßt, über ihn Gewalt haben, wenn er das Grauenvolle seiner That erkannt hat, die er jetzt noch, der letzten Worte des Raben ungeachtet, für berechtigt halten muß. Ihn darüber zu enttäuschen, ihm die Worte des Raben in ihrer ganzen unheilschweren Bedeutung auszulegen, dienen Brynhildens Worte in den Str. 15 bis 18, die ihn erkennen laßen, daß er gegen Sigurd treulos und um so schlechter gehandelt hat als dieser ihm unverbrüchliche Treue zu bewahren mit rührender Sorgfalt beflißen war. So schließt sich Str. 19 vortrefflich an, die Brynhilds ganzes Benehmen gegen die Giukunge zusammenfaßend eine beßere Stelle nicht finden konnte. Erst muste doch Brynhilds Rede zu Ende sein ehe von deren Wirkung auf die Giukungen berichtet werden konnte.
Nach dieser Ausführung und bei solcher Anordnung der Strophen halten wir dieses s. g. Bruchstück nicht nur für ein Ganzes, sondern für eins der besten und ergreifendsten unseres nordischen Heldenbuchs.
Die Schlußbemerkung, die vielleicht von dem Sammler herrührt, macht auf die abweichenden Berichte über den Ort, wo Sigurd erschlagen ward, aufmerksam. Mit dem Berichte der deutschen Männer, welchem das gegenwärtige Lied folgt, stimmt von den nordischen noch das zweite Gudrunenlied, hier mit Recht als altes Lied von Gudrun bezeichnet, weil es älter ist als das erste, während das folgende Lied, das dritte von Sigurd, Hamdismal und die damit zusammenhängende Aufreizung Gudruns ihn im Bette neben Gudrun erschlagen laßen. Welche Angabe die richtige ist, läßt sich hieraus nicht entscheiden, da sowohl ältere als jüngere Lieder verschiedenen Berichten folgen. Darin werden wir aber dem Sammler beistimmen müßen, daß Sigurds Ermordung im Walde deutscher Sage gemäß ist, und diese mag hier das Ursprüngliche bewahrt haben.
Die Lücke, welche sich zwischen diesem und dem vorhergehenden Liede in der Sage bemerklich macht, und durch die folgenden Lieder von Brynhild [436] und Gudrun nur zum Theil ausgefüllt wird, läßt den Verlust einer beträchtlichen Anzahl alter Lieder beklagen, indem Sigurds Verlobung mit Gudrun, Werbung um Brynhild für Gunnar, der Zank der Königinnen und Sigurds Tod übergangen sind. Bruchstücke dahin gehöriger Lieder hat die Wölsungasage erhalten und wir glauben sie hier einrücken zu müßen. Die beiden ersten finden sich Cap. 36 und zeigen, da sie sich auf die Werbung Gunnars um Brynhild beziehen, deutlich die oben besprochene Verwirrung in der nordischen Heldensage, welche noch einen zweiten Ritt durch das von Odhin um Brynhilds Burg geschlagene Feuer annehmen muste, das mit ihrer Erweckung durch Sigurd erloschen scheinen könnte.
Das Feuer brauste, die Erde bebte,
Die hohe Lohe wallte zum Himmel.
Wenige wagten da das Heldenwerk,
Ins Feuer zu sprengen, noch drüber zu steigen.
Sigurd schlug mit dem Schwert den Grani,
Das Feuer erlosch vor dem fürstlichen Helden.
Die Lohe legte sich vor dem Lobgierigen;
Die Rüstung blinkte, die Regin beseßen.
Die dritte, welche das 38te Cap. bewahrt hat, folgt auf den Zank der Königinnen und die Entdeckung des Betrugs:
Von dem Gespräche ging da Sigurd
Des Königs Freund von Kummer gebeugt.
Vor Schmerzen sprang dem Schlachtbegierigen
Der Halsberg entzwei und die Harnischringe.
Glücklicherweise sind die hier ausgefallenen Theile der Sage in den Nibelungen sehr gut und nach eigentümlicher Überlieferung ausgeführt.
Das günstige Urtheil, das wir von dem vorhergehenden Liede gefällt haben, scheint uns das gegenwärtige nur in seinen echten Theilen zu verdienen. Wir halten es für eine ziemlich junge Überarbeitung und Erweiterung eines ältern Liedes, das dem Verfaßer des ersten Gudrunenliedes, oder doch des prosaischen Schlußsatzes zu demselben, noch vorgelegen zu haben scheint. Darin ist nämlich die Angabe der Str. 67 unseres Liedes über die Zahl der mit Brynhilden verbrannten Knechte und Mägde mit [437] Berufung auf das „kürzere Sigurdslied“ wiederholt. Wenn damit nicht unser Lied gemeint sein sollte, das in seiner gegenwärtigen Gestalt eins der längsten Lieder des nordischen Heldenbuchs ist, so müste das gemeinte verloren gegangen sein. Der Theil unseres Liedes, in welchem sich diese Angabe findet, ist aber gerade der beste und wird aus dem alten kürzern Liede beibehalten sein. Durch die Überarbeitung, bei welcher ältere Lieder benutzt scheinen, hat das Lied an Einheit verloren, da die Einleitung bis Str. 40 mit dem Hauptgegenstand, Brynhildens Selbstmord, im Missverhältniss steht. Die fünf ersten Strophen können die Absicht nicht verbergen, die in der Erläuterung zu dem vorhergehenden Liede bemerkte Lücke in der Sage, namentlich in Bezug auf Sigurds Verlobung mit Gudrun und die Werbung um Brynhild für Gunnar, auszufüllen. Die Str. 6–8 haben zwar viel Schönes, aber die nun folgende Aufreizung gegen Sigurd entbehrt kräftiger Motive, und die welche Gunnarn nach der schleppenden Erwägung Str. 13 endlich zu bestimmen scheinen, der Verlust Brynhilds und ihrer Schätze (Str. 14 und 15), sind so wenig die rechten als die gemeinen, von welchen er sich Str. 16 Högnis Mitwirkung verspricht. Bei der kurzen Darstellung von Sigurds Ermordung Str. 21–27 scheint der Dichter ältern guten, aber unter sich uneinigen Liedern zu folgen. Nach Str. 24 wird Sigurd wie in Hamdismal an Gudruns Seite schlafend ermordet, während Str. 27 mit dem zweiten Gudrunenlied anzunehmen scheint, er sei auf dem Wege zum Thing erschlagen worden. Ganz verwerflich und der Sage widersprechend ist aber die Art, wie Brynhild Str. 34–40 ihren Entschluß, Gunnarn die Hand zu reichen, zu erklären sucht, denn hienach geschah es weil sie weder ihr Vatererbe missen, noch mit ihrem Bruder Atli darum kriegen wollte. Daß sie lieber Sigurds Schätze (!) genommen und sich dem vermählt hätte, dem sie nach Str. 36 früher verlobt war, ist eine lächerlich schwache Beschönigung. Nach der echten Sage muste ihr keine andere Wahl geblieben sein als den zu freien, der die Bedingungen erfüllt hatte, an die ihr Besitz geknüpft war. Daß sie durch die Vorspiegelung als ob Gunnar diese Bedingungen erfüllt habe, bestimmt worden war diesem die Hand zu reichen, darin bestand das wider sie begangene Unrecht, über welches sie sich Str. 55 beschwert. Alle Berechtigung zu dieser Beschwerde fällt weg, wenn sie durch solche Erwägungen, wie die hier ausgeführten, vermocht wurde, dem Manne die Hand zu reichen, den sie nicht liebte. Vergebens sucht sie nach solchen Eingeständnissen den Schein des Wankelmuths am Schluß der Str. 39 von sich abzuwälzen. Dem Überarbeiter war aber das Verständniss der Sage abhanden gekommen. Ihm blieb für [438] Brynhild kein anderes Motiv übrig, Sigurds Tod zu suchen als Eifersucht (Str. 8) und Herschsucht (Str. 11): daß sie ihn für ihre preisgegebene Ehre im Kampf mit unerloschener Liebe forderte und zu fordern genöthigt war; daß sie mit der eisernen Strenge ihrer Sinnesart nichts anerkennt als ihre Verlobung mit Sigurd, zu welcher die Vermählung, obgleich mit zwischengelegtem Schwerte (Str. 65) hinzugetreten war; daß sie sich als sein Gemahl betrachtet, und als seine Gattin mit ihm verbrannt sein will: das Alles finden wir hier nicht ausgedrückt, und was sie nach Str. 40 zum Selbstmord bestimmte: daß ein edelgeartetes Weib mit fremdem, ungeliebten Manne nicht leben solle, das hätte sie bedenken müßen ehe sie sich aus den angegebenen Beweggründen Gunnarn vermählte. Vortrefflich sind dagegen die nun folgenden Theile des Liedes, Högnis starke Äußerung gegen Brynhild Str. 44, ihre Selbstopferung und die Austheilung der Schätze unter die Diener, die ihr Leichengefolge bilden sollen Str. 45–50. Dieß und der Schluß des Liedes von Str. 62 an mag wie gesagt aus dem alten kürzern Liede übrig sein. Zweifelhaft bleibt die Echtheit der Weißagung Str. 51–61, wenigstens ist die Erwähnung Oddruns St. 56, die schwerlich alter Sage angehört, bedenklich; die Ankündigung von Gudruns dritter Vermählung giebt uns weniger Anstoß, da wir die beiden Lieder, die diesen Theil der Sage behandeln, für älter halten als man anzunehmen pflegt. So dürfen wir dem Urtheile W. Grimms beipflichten, daß Brynhilds letzte Rede, die Anordnung ihrer und Sigurds Leichenfeierlichkeit, und die Prophezeiung, womit sie endigt, einen vollkommen tragischen Eindruck hinterlaßen.
Schönheit und Echtheit dieses Liedes möchten wir nicht in Zweifel ziehen. Die Ähnlichkeit mit Baldurs Bestattung D. 49 ist nicht so in die Augen fallend, daß es seinem Ansehen schaden könnte, wenn auch die Göttersage hier auf ein Heldenlied eingewirkt hätte; der Widerspruch aber mit dem vorigen Liede, wonach nur Ein Scheiterhaufen gemacht und Brynhild an Sigurds Seite verbrannt wurde, ist unbedeutend und trifft nur die Einleitung. Zuletzt fragte es sich auch noch ob selbst die echten Theile des vorhergehenden das Alter des gegenwärtigen Liedes erreichen. Die acht Nächte, welche Brynhild nach Str. 12 neben Sigurd gelegen hat, stimmen allerdings weder mit Gripisspa 43, noch mit Wölsungas. c. 26, welche nur drei Nächte annehmen; aber was ist mit so jungen Zeugnissen gegen das eingeständlich ältere Lied auszurichten? Das Einzige, was Verdacht erregen könnte, ist die Erwähnung des Pflegers Str. 11, den man, vielleicht nicht [439] mit Grund, auf Heimir zu beziehen gewohnt ist. Aber darüber werden wir uns unten erklären.
Ein großer Vorzug unseres Liedes ist, daß es wichtige, sonst verdunkelte und entstellte Theile der Sage allein bewahrt hat. Dahin rechnen wir zuerst den in Str. 10 ausgesprochenen, in Sigurdrifas Lied fehlenden oder doch nur in der Einleitung angedeuteten Satz, daß Odhin um die Schildburg, in welcher Brynhild schlief, ein Feuer geschlagen hatte, durch welches nur Sigurd reiten konnte, als er das Gold in Fafnirs Bette brachte. Deutlich geht dieß, wie die Vergleichung mit Fafnismal 42–44 nicht zweifeln läßt, auf Sigurds Ritt durch das Feuer vor Brynhilds Erweckung. Noch werthvoller würde aber dieß Zeugniss sein, wenn es nicht durch Str. 12 wieder verdunkelt würde, in welcher offenbar von einem viel spätern Ereigniss, nämlich Sigurds Beilager mit Brynhild in Gunnars Gestalt die Rede ist. Der Dichter, da er die Sage als bekannt voraussetzen konnte, glaubte wohl Verwirrung nicht fürchten zu müßen indem er zwei so entlegene Begebenheiten in aufeinander folgenden Strophen berührte. Oder weiß die Sage, welcher der Dichter folgt, nur von einem einmaligen Ritt Sigurds? Auf die zweite Begebenheit kam es ihm wesentlich an, da auf der Reinheit des Beilagers mit Sigurd Brynhilds Vertheidigung gegen die Beschuldigungen des Riesenweibes, das ihr den Eingang zur Unterwelt wehren will, mit beruhte. Faßen wir diese Beschuldigungen näher ins Auge, so wird uns der Zusammenhang des Gedichts deutlich werden. Der ersten Beschuldigung (Str. 1), sie begehre den Gatten einer Andern, womit die Äußerung Str. 4 zusammenhängt, daß sie Giukis Haus gestürzt, ihn seiner Erben beraubt habe, setzt Brynhild in der folgenden Str. nur kurz entgegen, Giukis Söhne hätten sie ihrer Liebe beraubt und der Eide, die ihr Sigurd geschworen, verlustig gemacht, was auf den Vergeßenheitstrank geht, den Grimhild, der Giukungen Mutter, dem Sigurd gemischt hatte. Die Beschuldigung selbst sucht sie in einer längern Darstellung ihrer Schicksale zwar nicht zu läugnen, aber doch zu entkräften. Erst am Schluß derselben kommt sie Str. 12 auf die Begebenheit zu sprechen, welche ihre Rechtfertigung enthält.
Eine zweite Anklage, daß sie als Walküre Menschenblut vergoßen habe, fertigt sie Str. 3 mit wenigen Worten ab. Daß sie nicht freiwillig, sondern gezwungen den Walkürenstand ergriffen habe, setzt sie ihr keineswegs, wie ich früher annahm, entgegen. Doch erfahren wir in Bezug hierauf Etwas ganz Neues, das den bisherigen Erklärern der Edda entgangen ist, da schon frühe Str. 5, wie eine sehr abweichende, wahrscheinlich durch Conjectur [440] entstandene, Lesart in der Nornagestsage C. 8 beweist, sich dem Verständniss entzog. Der Grund liegt wieder darin, daß der Dichter in seiner Zeit die Sage als bekannt voraussetzen durfte: er sagt darum nicht, wie der hochherzige (hugfullr) König genannt war, welcher Brynhilden und ihren acht Schwestern die Kleider unter die Eiche tragen ließ, worauf die zwölfjährige Brynhild dem jungen Fürsten (ungom gram) den Eid schwören muste. Aber die Vergleichung der folgenden Strophe lehrt, daß beidemal der junge Bruder Adas gemeint ist, der, wie wir aus Sigurdrifaslied wißen, Agnar hieß. Unsere Kenntniss der Sage erweitert sich hiedurch um ein wichtiges Stück. Wie Wölundur und seine Brüder die drei Schwestern (Str. 2. 8) in ihre Gewalt brachten, indem sie ihre Schwanenhemden wegnahmen, so ließ König Agnar Brynhilden und ihren Schwestern die Fluggewande unter die Eiche tragen, wodurch die zwölfjährige Brynhild gezwungen wurde, ihm den Eid zu leisten und als Walküre für ihn Kriegsdienste zu thun. Die acht Gespielinnen Brynhildens müßen so wenig ihre leiblichen Schwestern gewesen sein als die drei Schwanenmädchen des Wölundurliedes alle Schwestern waren, obgleich sie so genannt werden. Übrigens scheint hier ein Unterschied zu beachten: im Wölundurliede sollten die Mädchen, die früher das Kriegsgewerbe getrieben, als die Brüder sie gefangen nahmen, aufhören Walküren zu sein und Hausfrauen werden. Hier verhält es sich anders: auch die acht Schwestern waren schon früher Walküren gewesen, da sie Flug- oder Schwanenhemden beseßen hatten; aber sie sollten nun dem Agnar Kriegsdienste leisten, zu seinen Gunsten die Geschicke der Schlacht zu entscheiden geloben. Durch diesen Zwang, den ihr Agnar anthut, zieht sich Brynhild Odhins Zorn zu, der sie mit dem Schlafdorn sticht und in den Schlummer senkt, aus dem sie nur Sigurd erwecken konnte. So wird ihre Verlobung mit Sigurd herbeigeführt, die durch den Verrath der Söhne Giukis rückgängig wurde, da diese sie eidbrüchig, ihrer Liebe verlustig machten. Wenn Str. 7 sagt, man habe sie seitdem in Hlindalir Hild unterm Helme, d. h. da Hilde eine nordische Kriegsgöttin ist, Walküre geheißen, so liegt auf Hlindalir der Ton: es wird das Reich König Agnars sein, der vermuthlich auch Str. 11 unter ihrem Hüter oder Pfleger gemeint war. Später bezog man freilich Hlindalir auf Heimir, wie es D. 62 geschieht, wozu gerade unser Lied Veranlaßung gegeben haben mag, denn als sich die schon bei Gripisspa als problematisch bezeichnete Sage von Sigurds Zusammentreffen mit Brynhild bei Heimir bildete, der wie in Wölsungas. c. 32 ihr Pfleger heißt, mochte man ihm durch Verwechselung mit Agnar Hlindalir zutheilen. Alle Versuche, [441] diesen Heimir und Sigurds zweite Verlobung mit Brynhild als ursprünglich zu halten, scheinen mir verfehlt: sie können sich nur auf Interpolationen berufen, die mit der Aslaugsage gleiche politische Zwecke gehabt haben mögen.
In Agnars Dienst also fällte sie Hialmgunnarn in der Schlacht, welchem Odhin, wie es in Sigurdrifaslied heißt, Sieg verheißen hatte. Darüber ward Odhin zornig und stach sie mit dem Schlafdorn. Sie sollte, gebot er, nicht länger Walküre sein, sondern einem Manne vermählt werden. Sie aber gelobte, sich keinem zu vermählen, der sich fürchten könne. Dem gemäß ward bestimmt, daß nur der ihren Schlaf solle brechen können, der wie unsere Str. 9 sagt, immer furchtlos erfunden würde. Darauf umschloß sie Odhin mit Schilden und umgab ihre Burg mit Feuer, offenbar, weil hierin die Bürgschaft lag, daß sie von Keinem erweckt würde, bei dem die von ihr selbst gestellte Bedingung nicht zuträfe. Die Burg ist der Scheiterhaufen, wie wir aus Sig. Kw. III, 62 ersehen; diese Bedeutung des Worts lebt in Deutschland noch heute fort. Auch ein Saal wird die Burg genannt (Helr. 10), oder ein Gezelt (Sig. Kw. III, 63) oder eine Schildburg (Sigrdrifum. Einl.), weil aus zusammengefügten Schilden gleichsam ein Zelt gebildet wurde, wie es auch hier in der Einleitung heißt, Brynhilds Leichenwagen sei mit Prachtgeweben umzeltet gewesen. „Mit Schilden ist gezeltet auf euern Schiffen“ heißt es im ersten der drei Helgilieder Str. 12, als Atli in der ersten Hälfte der Nacht die Warte hatte, und Helgi noch schlief, den er erst Str. 24 aufweckt, und Str. 26 des andern wirft der Steurer die Schiffszelte nieder um die Helden zu erwecken, worauf es in der folgenden Str. heißt: Schild scholl an Schild. Wir sehen daraus, daß es Sitte war, die Schilde in der Nacht so zusammenzufügen, daß sie eine Burg um die Schlafenden bildeten. So soll auch nach dem dritten Sigurdsliede Str. 63 die Burg, worin Brynhild mit Sigurd verbrannt sein will, mit Zelten und Schilden umzogen werden. Eine solche Schildburg umschloß also nach unserer Str. 9 auch die schlafende Brynhild, und zwar so dicht, daß die Ränder sie berührten; ihr Saal aber ward, eben diese Schildburg, mit wallendem Feuer (Wafurlogi) umgeben. Wenn die Einleitung zu Sigurdrifaslied angiebt, aus der Schildburg habe oben heraus ein Banner gestanden, so sehen wir ein Gleiches bei Skeaf im Eingang des Beowulf beobachtet. Auch Er liegt auf dem Todesbette. Als zuletzt Beowulf bestattet wird, finden wir auch seinen Scheiterhaufen Burg genannt und mit Schilden und andern Waffen umgeben. Vergl. über Burg Handbuch der Mythologie §. 148 und Meine Übersetzung des Beowulf S. 202.
[442] Nach der Einleitung, welche die Nornagestsage unserm Liede giebt, fiele dessen Zeitpunkt vor die Verbrennung. Als Brynhild nach dem Scheiterhaufen gefahren wurde, kam sie auf diesem Helwege an einigen Felsklippen vorbei, in welchen ein Riesenweib wohnte. Dieses hielt einen langen Baumast in der Hand und sprach: „Mit diesem will ich deinen Scheiterhaufen vermehren, Brynhild! Und beßer wärst du lebendig verbrannt für deine Unthaten ehe du Sigurd den Fafnirstödter, den berühmten Helden, ermorden ließest.“
„Das erste Lied von Gudrun,“ sagt Wilh. Grimm, „beschreibt die Unglückliche, die auf keinen Trost der umgebenden Frauen hörend, unbeweglich da sitzt bis bei dem Anblick der Leiche ihr Schmerz sich in Thränen löst. Das ganze Lied, für die Geschichte überflüßig, verweilt bloß bei einem rührenden Augenblicke, auch weiß weder die Wölsungasage noch die Snorraedda etwas davon.“ Darauf führt er aus, wie neue in keinem andern Liede berührte Verwandtschaftsverhältnisse darin berichtet werden, worin nur angenommene, der Sage nicht zugehörige Erweiterungen zu sehen seien. Schon diese laßen auf eine verhältnissmäßig späte Entstehung des Liedes schließen, die aus seiner elegischen Weichheit nicht mit Sicherheit zu folgern ist, da Gudrun überhaupt weiblicher und milder erscheint als Brynhild. Allerdings ist das zweite Gudrunenlied, das oben am Schluß des s. g. Bruchstücks von Brynhild das alte Lied von Gudrun hieß, kräftiger gehalten; dieß liegt aber auch mit an der Situation, da Gudrun, wie der Schluß zeigt, hier schon auf Rache für ihre Brüder sinnt. Was Uns gegen das vorliegende Lied einnimmt, ist das ungünstige Licht, in welches Brynhild Str. 21 gestellt wird, namentlich aber Str. 25 und 26, zu welchen gerade die schlechteste, jedenfalls der Überarbeitung angehörige Stelle des dritten Sigurdsliedes (Str. 37–39) Veranlaßung gegeben hat. Wie dort Brynhild von sich selber angiebt, daß sie auf Atlis Andringen, der ihr, wenn sie unvermählt bliebe, das Vatererbe vorenthalten wollte, Gunnarn die Hand gereicht habe, so wird hier dem Atli die Schuld an allem Unheil beigelegt, und der Tag verwünscht, wo sie des „Wurmbetts Feuer“ an dem Fürsten ersahen. Man darf bei diesem Ausdruck, der allerdings zunächst an Sigurd gemahnt, doch dem Zusammenhange nach nur an Gunnar denken. Wie nach D. 62 das Gold Oturs Buße, der Asen Nothgeld und fernerhin Fafnirs Bette u. s. w. hieß, so ist auch des Wurmbetts Feuer nur eine allgemeine dichterische Benennung des Goldes geworden, [443] die weiter nichts mehr mit Gudrun zu schaffen hat. Vgl. Oddruns Klage Str. 33. Also des Goldes Willen nahm Brynhild den Gunnar; diese Ansicht kann nur die bezeichnete Quelle haben, obgleich dort Brynhild nur um ihr Vatergut nicht zu verlieren, einwilligte, hier aber gar durch den Reichtum des Freiers bestimmt wird. Setzt aber unsere Stelle jene andere des dritten Sigurdsliedes voraus, so ist unser Lied erst nach der Überarbeitung, welches jene erlitt, entstanden und gehört mithin einer ziemlich jungen Zeit an. Damit stimmt nun auch alles Übrige, jene Erweiterungen der Sage, die auffallende Weichheit des Tons und der Umstand, daß nicht dieses, sondern das andere Gudrunenlied als das alte bezeichnet wird.
Noch sonst berührt sich unser Lied mit dem dritten von Sigurd, denn wenn es dort Str. 29 heißt, Gudrun habe bei Sigurds Tode die Hände so stark zusammengeschlagen, daß die Gänse auf dem Hofe geschrieen hätten, so sagt hier zwar die erste Strophe, sie habe nicht geschluchzt noch die Hände geschlagen, wie der Frauen Brauch sei, was aus Str. 11 des andern Gudrunenlieds genommen sein mag; aber hernach jammert sie doch Str. 16 beim Anblick der Leiche so sehr, daß die Gänse im Hof hell aufschrieen. Aus dem andern Gudrunenlied hat unseres noch einmal geschöpft: Str. 18 scheint eine Paraphrase der dortigen zweiten, welcher wiederum Str. 36 des dritten Helgiliedes zum Vorbild gedient haben wird.
Was die prosaische Einleitung erwähnt, Gudrun habe etwas von Fafnirs Herzen gegeßen und seitdem der Vögel Stimmen verstanden, wird sonst nirgend gemeldet; vergl. unten. Im Übrigen giebt sie nur die beiden ersten Strophen wieder; der Schlußsatz ist hingegen theils aus dem dritten Sigurdsliede, theils aus Str. 13 des alten Gudrunenliedes genommen.
Auch dieser prosaische Zwischenbericht könnte wie der erste von Sinfiötli dem Sammler unserer Heldenlieder gehören. Nur daß es der Ring Andwaranaut war, welchen Gudrun ihren Brüdern zur Warnung schickte, daß Högni von Kostbera noch einen dritten Sohn, Namens Giuki, hatte, und daß Gudrun ihre Söhne aufgefordert, der Giukungen Leben zu erbitten, was diese verweigert hätten, kann aus den Liedern, wie sie uns vorliegen, nicht geschöpft sein. Sonst scheinen alle folgenden Lieder mit Ausnahme des dritten von Gudrun und der beiden letzten von ihrer dritten Vermählung, die doch schon das dritte Sigurdslied kennt, benutzt. Den prosaischen Eingang des folgenden Liedes zog ich früher zu unserm Zwischenbericht und schloß dann weiter, daß dem Verfaßer desselben auch das dritte [444] Gudrunenlied bekannt gewesen sei, indem er aus ihm (Str. 5) die Nachricht über Dietrichs Aufenthalt bei Atli und den Verlust seiner Mannen entliehen habe. Dann müste aber auch die weitere Meldung jenes Eingangs, daß Dietrich und Gudrun einander ihr Leid geklagt hätten, aus dem dritten Gudrunliede entnommen sein, und die Klage der Gudrun im zweiten „alten“ Gudrunliede schwebte in der Luft, sie wär an Niemand gerichtet, man begriffe nicht, was ihr die Zunge löste, während doch der Dichter des ersten Gudrunenliedes sich so viel Mühe giebt, die Klage der vor Leid Verstummenden einzuleiten. Ich nehme daher jetzt mit Müllenhoff Zeitschr. X. 172 an, daß in jenen einleitenden Worten auch das zweite, alte Gudrunenlied in derselben Weise wie das dritte die Anwesenheit Dietrichs an Etzels Hofe voraussetzte. „Wem sonst sollte die arme freundberaubte Gudrunklagen, als ihm dem gleichfalls elenden freundlosen Manne?“ Vgl. Hildebrandslied Z. 23.
Rask nimmt dieses mit dem dritten Liede zusammen und giebt ihnen die gemeinschaftliche Überschrift Godrunar-Harmr, welcher er das vorige Stück, „Mord der Niflunge“ mit dem prosaischen Eingange unseres Liedes verbunden folgen läßt. Der Name scheint den Schlußworten des dritten Gudrunenliedes entliehen zu sein, wie auch Oddrunargratr sich am Ende selbst seinen Namen giebt, indem es ganz nach der Sitte deutscher Heldenlieder, die noch in den Nibelungen gewahrt ist, mit den Worten schließt: Hier ist Oddruns Klage zu Ende. Allein der Harm Gudruns, welcher ihr im dritten Liede durch Herkias Bestrafung gebüßt wird, ist ein ganz anderer als der, welchen sie in dem gegenwärtigen klagt: aus den Schlußworten jenes: „So ward der Gudrun vergolten der Harm,“ kann mithin für dieses keine Überschrift hergeleitet werden. Auch scheinen mir diese beiden Lieder, die so vereinigt werden sollen, wenig gemein zu haben. Von dem zweiten haben wir gesehen, daß es das alte Gudrunenlied genannt wurde; in der Nornagests. c. 2 scheint es unter Gudruns alter Weise verstanden und die Vergleichung mit dem ersten hat nichts ergeben, was der Meinung widerspräche, daß es älter sei als dieses. Gegen die Composition unseres Liedes finden wir wenig einzuwenden: es faßt Gudruns Schicksale, mit Ausschluß ihrer dritten Vermählung, geschickt zusammen, und obgleich der Zeitpunkt vor ihrer Rache an Atli genommen ist, wird diese doch zuletzt als Vorsatz angekündigt, und bei Auslegung der Träume Atlis geschildert. Der Eindruck, den dieser Schluß hervorbringt, ist stark genug, [445] und wir müßen die Kunst des Dichters, der dieß vermochte ohne daß vorher die Ermordung ihrer Brüder gemeldet wurde, bewundern. Denn daß diese erfolgt ist, wird verschwiegen und nur als Prophezeiung Gudruns vor ihrer Vermählung mit Atli Str. 31 dieß Motiv ihrer Rache beigebracht. Vielleicht ist zur Erklärung dieser Sehergabe Gudruns die Nachricht ersonnen, welche der Eingang des ersten Liedes bringt, Gudrun habe von Fafnirs Herzen gegeßen.
Mit dem s. g. Bruchstück eines Brynhildenliedes hat das unsere Einiges gemein. Daß in Beiden Sigurd draußen erschlagen wird, hat der Schlußsatz jenes schon selber bemerkt. Aber auch Granis ledige Heimkehr Str. 4, seine Trauer um den Herrn Str. 5, Gudruns Frage, die Högni beantwortet Str. 6 bis 8, fanden sich, wenn auch weniger ausgeführt, schon dort.
Was sich nun zunächst begiebt, findet sich in keinem andern Liede wieder; der Wölsungasage c. 41 hat es für diese Vorgänge als alleinige Quelle gedient, die sie fast wörtlich ausschreibt. Sie erklärt uns auch die Str. 13 nicht, wo in Einem Athem Alf neben Thora, Hakons Tochter in Dänemark, genannt wird, während der Schlußsatz unseres ersten Liedes nur letzterer gedenkt. Zwar setzt sie an Alfs Stelle dessen Vater Hialprek, und da sie selber diesen zum König von Dänemark macht (c. 21), so fällt ihr kein Widerspruch auf; das Verhältniss Alfs zu Thora läßt sie unerörtert. In der That schienen unsere Lieder darin einig, Hialprek in Dänemark herschen zu laßen – in Helreid Str. 11 heißt sogar Sigurd selbst ein Dänenfürst – obwohl es damit nicht zum Besten stimmt, daß das Reich Borghildens, der ersten Gemahlin Sigmunds, in Dänemark lag. Das Ursprüngliche bewahrt wohl die Meldung der Nornagestsage c. 3, wonach Hialprek in Frankenland Hof hält, zumal da die Deutung auf Chilperich so nahe liegt. Man könnte noch zweifeln, ob unser Lied wirklich Alfs Hallen nach Dänemark setzte, da die Erwähnung dieses Landes sich vielleicht allein auf Hakon bezieht. Wenn nämlich Alf, welchem sich Hiördis, Sigurds Mutter, nach Sigmunds Tode vermählte, in zweiter Ehe Thora, die Tochter Hakons von Dänemark, gefreit hätte, denn anders läßt es sich doch kaum deuten daß beide zusammen genannt werden, so brauchte man den Schauplatz dieser und der folgenden Strophen nicht nach Dänemark zu legen, zumal auch die dänischen Schwäne Str. 14, welche Thora in Gold stickte, sich einfach genug aus deren dortiger Heimat erklären ließen. Allein nach Str. 13 braucht Gudrun fünf Nächte um vom Rhein zu Alfs Hallen zu gelangen, was auf Dänemark beßer passt als [446] auf Frankenland. Die drei Wochen, welche nach Str. 34 erforderlich sind, um von Alfs Hallen zu Atlis Burg zu gelangen, geben keine Auskunft, da wir nicht wißen wo der Dichter sich diese dachte. Ebenso wenig kann Str. 16 entscheiden, wo Sigmunds, Sigars und Siggeirs Waffenthaten in Stickwerk dargestellt werden, denn diese konnten in Dänemark so bekannt sein als in Frankenland. Endlich kann auch Str. 19 nicht den Ausschlag geben, wo neben slawisch klingenden Namen wie Jarisleif (Jaroslaw) Waldar der Däne genannt wird, denn wie ich diese Str. verstehe, gehört er zum Gefolge Grimhilds. Allerdings mag man in der vielfachen Einmischung Dänemarks eine Vorliebe des Dichters für dieses Land, wie in der des Haddingelands Str. 22 für den Norden überhaupt sehen; aber die nordische Heimat der Dichter oder Überdichter unserer Lieder hat doch sonst nicht vermocht, die Spuren ihres deutschen Ursprungs aus den geographischen Angaben zu tilgen.
Da wir einmal bei diesen verweilen, so bemerken wir, daß die hunischen Helden Str. 15 noch in dem alten Sinne des Worts genommen scheinen, nach welchem Sigurds Voreltern hunische d. i. deutsche Könige waren, und er selbst mehrmals der hunische heißt. Die hunischen Töchter Str. 26 dagegen könnten schon hunnische sein sollen, denn in derselben Strophe wird Atli Gudrunen zum Gemahl vorgeschlagen. Winbiörg und Walbiörg Str. 33 scheinen erdichtete Namen.
Siggeir Str. 16 ist nach der Wölsungens. der Gemahl Signes, der Tochter Wölsungs, mit welcher ihr Bruder Sigmund den Sinfiötli zeugte, der deshalb im ersten Liede von Helgi dem Hundingstödter Str. 40 Siggeirs Stiefsohn heißt. Neben ihm ist im Text Sigar genannt, dessen Sage verdunkelt ist; mit Sigar zusammengesetzte Ortsnamen in den Helgiliedern spielen noch darauf an. Wir sind aber hier der Wölsungasage gefolgt, die aus unsern Liedern schöpft, und neben Siggeir keinen andern als Sigmund nennt. Es ist also die Schlacht gemeint, in welcher König Wals fiel und Sigmund mit seinen Brüdern gefangen wird. Siggeir hatte seinen Schwäher nebst allen Söhnen in sein Haus geladen, wo das nachgeholt werden sollte, was ihnen bei Sigmunds Hochzeit (durch Siggeirs schnelle Heimreise) gefehlt hatte. König Wals war mit dreien Schiffen ausgefahren, ward aber gleich bei der Ankunft von Siggeirs Heer überfallen und erlag nach heldenmüthiger Wehr der Übermacht. Von dieser Schlacht wird hier die Rede sein.
Der Name Hlödwers Str. 25 begegnet auch in der Wölundarkwida; in der Nornagests. c. 9 führt ihn ein König von Sachsenland; vergl. K. Maurer in Zachers Ztschr. II, 467.
[447] Mitten zwischen den beiden Hälften der Str. 35 nehmen die Erklärer eine Lücke an, oder laßen Gudrun die Vermählung mit Atli und die Ermordung ihrer Brüder als dem Dietrich schon bekannt übergehen; die Wölsungasaga c. 41 schiebt wenigstens erstere hier ein. Nothwendig scheint uns keins von beiden. Gudrun kommt schlafend in Atlis Burg an; Atli, der sie erweckt, erfährt sogleich, welche Träume sie beängstigt haben. Dieß veranlaßt ihn, auch seine Träume mit dem Wunsch zu erzählen, daß sie eine günstige Deutung zulaßen möchten. Den ersten, welcher seine Ermordung von Gudruns Hand unverhüllt ausspricht, weiß sie ohne ihre Abneigung zu verbergen doch beruhigend auszulegen; die andern, deren Sinn nicht so zu Tage liegt, deutet sie auf die Ermordung seiner und ihrer Kinder, ohne deren Mörder zu bezeichnen. Seit diesem Gespräch mit Atli, dessen sich Gudrun nach dem Fall ihrer Brüder erinnert, müßen bis zu dem Tage, wo ihr dieß Lied in den Mund gelegt wird, Jahre verstrichen sein, denn es geschieht unmittelbar nach ihrer Ankunft in Atlis Burg; nun aber, da sie sich im Trotze des Rachegefühls vornimmt (Str. 42) Atlis Träume in Erfüllung zu bringen, hat sie schon lichtgelockte Söhne mit ihm erzeugt, sonst wäre dieser Vorsatz (So will ich thun) undenkbar. Zwischen den Fall ihrer Brüder und die Ausführung der Rache fällt also dieses Lied wie vielleicht auch das folgende.
Nach der deutschen Sage ist Erka oder Helche, die geschichtliche Kerka des Priscus, Etzels erste Gemahlin, nach deren Tode er sich Kriemhilden, der Wittwe Siegfrieds, also der eddischen Gudrun vermählt. In unserm Liede finden wir aber Gudrun neben Herkia, die jedoch zur Magd Atlis herabgesunken ist. Gleichwohl wird auch sie aus der deutschen Sage eingedrungen sein, zumal neben ihr Dietrich erscheint wie schon im vorigen Liede. Zwar wißen die deutschen Lieder von der hier erzählten Begebenheit so wenig als von einem zärtlichen Verhältniss Dietrichs zu Kriemhilden, auch ist das Gottesurtheil des Keßelfangs, obgleich in Deutschland früher heimisch, doch dem Norden nicht fremd geblieben, da es nach R. A. 922 in der Graugans erwähnt wird; aber eine deutliche Beziehung auf unsere Heldensage ist es, wenn von Dietrich Str. 5 gesagt wird, er sei mit dreißig Mannen zu Atli gekommen, und nicht einer lebe ihm mehr von allen dreißigen. Denn nach den deutschen Liedern kam Dietrich mit etwa so viel Mannen (das Gedicht von der Flucht nennt drei und vierzig) zu Atli, und verlor sie, wie wir in den Nibelungen sehen, während eines dreißigjährigen [448] Aufenthalts an seinem Hofe in den Kämpfen, die er für ihn bestand, so daß sogar die Zahl dreißig aus unserer Sage genommen und durch Verwechselung auf die Begleiter Dietrichs angewandt sein kann. Die j. Edda und die Wölsungas. kennen den Inhalt dieses Liedes nicht, P. E. Müller schreibt es dem Sämund selber zu; ich sehe aber keinen genügenden Grund, es als unecht zu verwerfen. Der Einfluß der deutschen Sage reicht dazu nicht hin, denn diesen können auch die echtesten eddischen Lieder nicht verläugnen, und wenn Dietrich sonst der Edda unbekannt geblieben ist, so gehört doch auch das Wölundurlied, und gewissermaßen selbst das Hamdismal zur gotischen Sage. Und was man gegen unser Lied einwendet, daß es mit der Sage im Widerspruch stehe, indem sich die Begebenheit nach dem Tode Gunnars und Högnis zutrage, wo aber gar kein Platz mehr dafür sei, da noch an demselben Tage Gudrun an Atli Rache nehme, das beruht nur auf Atlakwida, während Atlamal übereinstimmend mit D. 62 und Wöls. S. c. 38 zwischen Högnis und Gunnars Fall und der Ermordung Atlis eine Zwischenzeit annehmen. Müllenhoff a. a. O. 173. Das zweite Gudrunenlied fällt gleichfalls, wie wir gesehen haben, zwischen den Tod Gunnars und Högnis und die Rache, welche Gudrun dafür an Atli nimmt, und obgleich unser drittes mit dem Trotze dieses zweiten nicht stimmt und daher von Rask nicht mit ihm zu einem Ganzen hätte verbunden werden sollen, so hebt sich doch durch beider Vergleichung der wider unser Lied erhobene Einwand.
Endlich darf uns auch der Keßelfang gegen dieses Lied nicht einnehmen, er spricht nicht einmal für seinen spätern Ursprung, da Gottesurtheile, wenn sie auch das Christentum eine Zeitlang dulden muste, und sogar durch kirchliche Gebräuche geheiligt hat, heidnischen Ursprungs und sogar vom höchsten Altertum sind. Daß der Gebrauch des Keßelfangs dem Norden bekannt war, haben wir schon erwähnt: doch dürfen wir nicht verschweigen, daß Str. 6 eine Andeutung enthält, als ob er aus Sachsen herübergekommen sei; vgl. auch K. Maurer in Zachers Ztschr. II, 443. Die Strafe, welche Herkia trifft, ist aber eine altgermanische, die schon dem Tacitus bekannt war.
Dieß Lied wird mit Recht als ein Auswuchs der Sage betrachtet, da es ein fremdes, schon romantisches Motiv hinein zu bringen sucht, das gleichwohl unwirksam bleibt und also müßig da steht. Atlis Rache an Gudruns Brüdern ist durch Brynhilds Tod, welchen er den Giukungen [449] Schuld gab, hinreichend begründet; des Vorwurfs, daß Gunnar Oddrun verführt habe, bedurfte es nicht. Auch für den Ritt der Giukungen zu Atli reicht der Beweggrund aus, welchen die echte Sage berichtet, daß sie auf ihres Schwagers Einladung die Schwester zu besuchen kamen: um Oddruns Willen, wie das Lied anzunehmen scheint, brauchten sie nicht dahin zu fahren. Der Verfaßer des Mords der Niflunge, der doch Oddruns Klage zu kennen scheint, hat auch dieses Motiv ihrer Fahrt nicht herausgelesen, da er nach den beiden Atliliedern berichtet, Gunnar habe sich schon vor derselben mit Glömwör, wie Högni mit Kostbera, vermählt. Auffallend ist aber, daß das dritte Sigurdslied in dem letzten Theile Str. 56 das Verhältniss Gunnars zu Oddrun kennt. W. Grimm vermuthet daher, daß diese Str. 56 unecht, und erst durch unser Lied in Brynhilds Weißagungen gekommen sei. Mit der Unechtheit jener Str. erklären wir uns einverstanden, aber aus unserm Liede scheint sie nicht entlehnt, da nach ihm das Verhältnis Gunnars zu Oddrun älter sein soll als seine Verbindung mit Brynhild, während jene Str. 56, die im Munde der sterbenden Brynhild liegt, es als ein Zukünftiges ankündigt, das erst nach ihrem Tode eintreten soll, wie es auch Drâp Niflunga auffaßt. Wahrscheinlich fand also der Dichter unseres Liedes die unechte Strophe schon vor, auf die er Str. 21 in den Worten „wie Brynhild sollte,“ anzuspielen scheint, und auf die er dann fortbaute und einen kleinen Roman gründete, der seine Erfindungsgabe sehr in Anspruch nahm, und doch nicht ganz befriedigend ersonnen ist. Manche Einwendung fällt zwar durch die neue Anordnung des Textes, in der wir S. Bugge gefolgt sind, zu Boden; andere Bedenken aber bleiben unerledigt. Nach Brynhilds Tode blieb Oddrun wie es scheint an Giukis Hofe und verließ ihn auch dann nicht, als Gunnars Werbung keinen Erfolg hatte; vielmehr ging sie jetzt heimliche Buhlschaft mit ihm ein, bei der sie von Atlis Spähern überrascht wurde. Diese hinterbringen dem Atli Alles, verhehlen es aber der Gudrun, die also schon mit ihm vermählt war. Hier fragen wir uns nun, warum warb Gunnar nicht um Oddrun, als Atli um Gudrun anhielt? Damals konnte er ja seine Einwilligung in Gudruns Vermählung mit Atli davon abhängig machen, daß dieser in seine Verbindung mit Oddrun willigte. Und warum forderte Atli, statt Oddrun durch seine Späher belauschen zu laßen, nicht lieber ihre Heimkehr, da nach dem Tode ihrer Schwester Brynhild zu ihrem Aufenthalt an Giukis Hof kein Grund mehr war? Auf diese Fragen giebt der Dichter keine Antwort. Ohne Atlis Einladung zu erwähnen läßt er sogleich die Giukungen an Atlis Hof reiten, wo dieser die bekannte grausame Rache an [450] ihnen übt, nicht wegen Brynhilds Tod, sondern, wie man in solchem Zusammenhang (mit W. Grimm) voraussetzen muß, wegen des unerlaubten Umgangs mit Oddrun. Wie diese jetzt Str. 29 zu Geirmund kommt, wo sie Gunnars Harfenspiel vernimmt, erfahren wir nicht. Sie war, heißt es nur, dahin gegangen wie öfter geschah, das Gastmal zu rüsten, wie wir sie Str. 13 auch dem Gunnar das Gastmal zieren sahen; fast scheint es, als ob sie daraus ein Geschäft gemacht hätte. Dieß sind die Mängel in der Erfindung des Gedichts, welche wir zu rügen gedachten; daß Gunnars Betragen der Haltung widerspricht, in der ihn die Edda sonst erscheinen läßt, daß er durch das Verhältniss zu Oddrun herabgewürdigt ist, dieser Bemerkung W. Grimms stimmen wir gleichfalls bei.
Was die Einkleidung angeht, durch welche Oddrun zu ihrer Klage veranlaßt wird, so sind die darin angenommenen Verhältnisse sonst der Sage gänzlich unbekannt, indem sie weder von Borgny, noch von Heidrek und Wilmund weiß. Daß dieser Högnis Mörder gewesen sei, womit doch schwerlich ein anderer als Giukis Sohn gemeint sein wird, ist gleichfalls eine ganz willkürliche Annahme des Dichters, bei der er allerdings freie Hand hatte, da die Sage nicht meldet, wem das Geschäft übertragen ward, ihm das Herz auszuschneiden, obgleich Atlimal 57 vermuthen läßt, es sei Beiti gewesen.
Eigentümlich ist die Darstellung von Sigurds Eintritt in Brynhilds Burg, welche sich Str. 18 und 19 findet. Es ist aber für die Geschichte der Sage wenig daraus zu gewinnen, da der Dichter sich so unbestimmt ausdrückt, daß man nicht weiß ob er von Sigurds erstem oder zweitem Besuche dieser Burg reden wolle. Dem Zusammenhang nach sollte man glauben es könnte nur von dem zweiten die Rede sein, als er für Gunnar um Brynhild warb. Sollte hier unter Burg wieder der Scheiterhaufen zu verstehen sein wie Sig. Kw. III. 62. 63? Daß die ursprüngliche Bedeutung der um Brynhild geschlungenen Wafurlogi die Glut des Scheiterhaufens war, ist oben ausgeführt; aber wäre auch hier bei dem Worte Burg noch an diese früheste Bedeutung gedacht, so blieben doch die Worte: „Kampf ward gekämpft mit welscher Klinge“ unerklärt.
Übrigens gemahnen sowohl Anfang als Ende des Gedichts an deutsche Lieder, die gern in solcher Weise beginnen und schließen. Glücklicherweise spricht sonst nichts in demselben für deutschen Ursprung, da uns gerade dieses Lied auf unsere Rechnung zu nehmen am Wenigsten gelüstet.
[451]
Dieß und das folgende Lied, nach einer norwegischen Provinz grönländische genannt (wenn nicht S. Bugge (Edda S. 433) Recht hat, sie auf das amerikanische Grönland zu beziehen; vgl. auch K. Maurer in Zachers Ztschr. II, 442), behandeln ein großes, für sich bestehendes Stück der Sage, das ungefähr dem zweiten Theil der Nibelungen entspricht. Ganz unberührt ist es zwar auch in den bisher betrachteten Liedern nicht geblieben, da schon das zweite Gudrunenlied, doch mehr in der Weise der Prophezeiung als eigentlicher Darstellung, diesen Gegenstand behandelt hatte und selbst das dritte Sigurdslied in der Weißagung der Brynhild darauf zu sprechen gekommen war. Die Vergleichung mit dem Nibelungenliede ergiebt aber, daß letzteres von der auch in diesen Eddaliedern noch bewahrten ursprünglichen Gestalt der Sage darin wesentlich abgewichen ist, daß Kriemhild Siegfrieds Ermordung an ihren Brüdern rächt, während Gudrun umgekehrt für den Mord ihrer Brüder Blutrache an ihrem Gemahl nimmt und die eigenen Kinder, weil sie zugleich die seinen sind, nicht verschont. Diese Vertauschung des Princips freier Liebe gegen die Blutrache pflegt man dem Eindringen des christlichen Geistes zuzuschreiben. Vgl. jedoch Müllenhoff Zeitschr. X, 176 ff. Von diesem hätten sich also die Atlilieder noch frei erhalten, obgleich sie später sein werden als die bisher betrachteten, wie die verkünstelte, mit mythologischer Gelehrsamkeit prunkende Sprache, die Überfüllung des Maßes, die absichtlichere, ausführlichere Darstellung und die hervortretende Persönlichkeit des Dichters verräth. Bei Atlakwida besonders kommt noch hinzu, daß es schon mit der weitern Fortbildung der Sage in Deutschland Bekanntschaft zeigt. Während Hunland bisher Sigurds Heimat bedeutete, und nur einmal, Str. 26 des zweiten Gudrunenlieds, hunisch auf Atli bezogen scheint, vielleicht auch Str. 26 des ersten, heißen hier, mit Ausnahme von Str. 12, wo der alte Sprachgebrauch beibehalten ist, Atlis Unterthanen Hunnen und sein Land Hunnenmark; in Hunnenland soll jetzt Myrkwidr (der Schwarzwald) und die Gnitahaide liegen, deren Bestimmung die frühern Lieder nicht zuließen. Sogar wird Str. 16 und 42 von hunnischen Schildmägden gesprochen, als ob sie in Brynhilds Heimat dutzendweise zu finden wären. Nach den frühern Liedern war Welschland Budlis Erbe. Die Giukungen werden hier schon Niflungen, einmal sogar Burgunden genannt und selbst der Niflungenhort kommt als hodd Niflunga Str. 26 wörtlich vor. Der Hort ist wie in den Nibelungen in den Rhein versenkt, und nach Högnis Tod weiß Gunnar allein, wo er verborgen liegt (Str. 26. 27). Um ihn ist es Atli zu thun, [452] nicht um Rache für Brynhilds Tod, und gleich in der zweiten Strophe scheinen sich die Giukungen dieses Grundes für Atlis Zorn bewust (vgl. Grimm Helsens. 12). Diesem ersten der beiden grönländischen Lieder scheint also der Sammler zu folgen (wenn von ihm Drap Niflunga herrührt), indem er die Feindschaft zwischen den Giukungen und Atli, welche doch dahin verglichen ward, daß dieser Gudrun zur Ehe nahm, daraus entspringen läßt, daß Gunnar und Högni alles Gold, Fafnirs Erbe, in Besitz genommen hätten. Auch hierin hat man eine Annäherung an die deutsche Sage gesehen, wenigstens wie sie die Wilkinas. vorträgt; in den Nibelungen ist es nicht Goldgier, was Etzel zur Einladung seiner Schwäger bestimmt. Die Verbrennung des Hauses Str. 42 stimmt aber mit der deutschen Sage auch nach der Darstellung in den Nibelungen.
Ob das Lied ganz auf uns gekommen ist, kann man zweifeln. Zwar daß Gunnar gegen Högnis Rath und seine eigene Überzeugung von der Gefährlichkeit der Reise und der lauschenden Hinterlist (Str. 11), so wie gegen den Rath der Freunde und Vertrauten mitten in der Str. 9 sich dem Entschluße gleichwohl zu fahren zuwendet, wird seinem verwegenen Muthe beizumeßen sein. Aber in Str. 20 oder vor derselben scheint eine Lücke, denn wenn es in der ersten Zeile heißt, Högni habe von Gunnar Gewalt abgewehrt, so ist das an sich, da dieser schon gefangen ist, unverständlich, wenn es sich nicht darauf bezieht, daß Högni nach Str. 24 sein Herz hergiebt, um Gunnars Leben zu erhalten. Dann vermisst man aber Auskunft darüber, ob er, der Str. 19 noch muthig und mit Erfolg kämpfte, seitdem gleichfalls gefangen ward oder sich freiwillig ergab. Die Frage an Gunnar, ob er Freiheit und Leben mit Gold erkaufen wolle, wird die Zumuthung enthalten, den Ort anzugeben, wo der Hort verborgen liege.
Die nächste Strophe kann man Gunnarn nicht wohl zutheilen, denn wenn auch die ersten Zeilen seine Weigerung enthielten, so lange Högni lebe den Hort zu verrathen, so ziemt doch der Befehl, ihm das Herz blutig aus der Brust zu schneiden, beßer in Atlis Munde, was auf eine Lücke deutet. Endlich ist Str. 28, die nur aus zwei Zeilen besteht, offenbar unvollständig, denn diese Worte Atlis, der den gefangenen Gunnar in den Thurm bringen heißt, wobei Atli selber mitreitet (vgl. St. 29. 32), dem Gunnar in den Mund zu legen, wie Ettmüller will, geht nicht wohl an, daß dieser nicht wißen kann, welches Schicksal seiner zunächst harrt.
Die prosaische Schlußzeile verweist auf die weitläufigere Ausführung in dem grönländischen Atlamal. Von ihm ist uns allein bezeugt, daß es diesen Beinamen führt, den man gewöhnlich auch der Atlakwida beilegt
[453]
Älter als das vorhergehende Lied, mit dem es den Gegenstand gemein hat, scheint Atlamal eigentlich nur, weil es für die weitere Entwickelung der deutschen Sage weniger Zeugnisse enthält. Denn obgleich die Giukungen auch hier schon Niflungen heißen und sogar ein Sohn Högnis mit dem Namen Niflung eingeführt wird, so stimmt doch das Geographische noch mit den frühern Liedern: Sigurd heißt hunisch (Str. 98), nicht Atlis Land, das von den Giukungen durch das Meer getrennt ist. In Oddruns Klage schien es sogar am Meer zu liegen, und im zweiten Gudrunenliede bedarf es nach Str. 33 um dahin zu gelangen einer siebentägigen Seefahrt, während die Giukungen Str. 18 Säumer satteln und Hengste tummeln, da sie ihre Schwester bei Thoras Tochter besuchen. Ferner scheint Atli seine Schwäger nicht allein des Hortes wegen geladen zu haben, da er Str. 52 sagt, ihn härme der Schwester Tod am Schwersten. Doch dieser Versicherung ist nicht zuviel zu trauen, da er die Giukungen in derselben Strophe beschuldigt, ihn um das Gut betrogen zu haben und Gudrun oder Högni, dem die Wölsungas. die nächste Strophe zutheilt, ihm vorwirft, er habe ihre Mutter um Schätze ermordet und in der Höhle verhungern laßen, was bekanntlich mit der Swenischen Chronik stimmt, Grimm 305. Wenn bei der nun folgenden grausamen Hinrichtung Högnis und Gunnars Gefangennehmung des Horts nicht gedacht wird, so beweist das nichts gegen Atlis Goldgier, denn der Dichter konnte aus der Sage als bekannt voraussetzen, daß sich Gunnar geweigert hatte den Hort anzuzeigen so lange Högni lebe. Die verschiedene Behandlung der Brüder hätte keinen Sinn, wenn nicht Gunnar durch den Anblick von Högnis Herzen bestimmt werden sollte, sich Leben und Freiheit zu erkaufen, indem er Atlis Verlangen willfahrte. Endlich wird Atli zwar wie in den Nibelungen und in der Wilkinas. als feige geschildert Str. 99; aber das kann schon der ältern Sage angehören. Auch daß nach Str. 35 das Fahrzeug absichtlich unbefestigt bleibt, damit die Heimkehr unmöglich werde, ist ein alter in den Nibelungen ähnlich wiederkehrender Zug, der hier nicht befremdet. Wenn aber der Inhalt des Liedes es älter erscheinen läßt als das vorhergehende, so scheint es der Form nach jünger, denn die Kennzeichen späterer Abfaßung, die wir bei der allgemeinen Betrachtung der Atlilieder als Abweichungen von dem schlichten Geist der alten volksmäßigen Gedichte bezeichnet haben, finden sich vornämlich in diesem und die Übertreibung, daß bei Gunnars Harfenspiel die Balken reißen Str. 62, ist eine der stärksten. Als eine Überarbeitung des vorigen [454] läßt es sich aber nicht betrachten, da es, wie wir gesehen haben, andere Voraussetzungen hat, und in wesentlichen Stücken von ihm abweicht. Zwar daß der Bote hier Wingi, dort Knefröd heißt, ist nicht so wichtig, und die Einführung Glaumwörs und Kostberas könnte man dem Überarbeiter zuschreiben; aber Högnis Sohn Niflung, der am Schluß plötzlich hervortritt, um an Atlis Ermordung Theil zu nehmen, scheint aus der Sage aufgenommen zu sein, die der Dichter hier wohl nicht einmal ganz auszuführen für nöthig hielt. Wie er aber dieß aus der Sage oder aus ältern Liedern schöpfte, so wird er deren auch bei den vielen neuen Namen und Ereignissen, welche er einflicht, benutzt haben. Die stärkste Abweichung von der Fabel des vorigen Liedes ist aber, daß der Brand des Hauses ganz fehlt, und Atlis Tod Gudrun versöhnt.
Lücken sehen wir uns in diesem Liede anzunehmen nicht genöthigt; aber der Ton, aus welchem Gudrun Str. 69 zu Ali spricht, um ihre Mordgedanken zu verbergen, ist von dem leidenschaftlichen der beiden vorhergehenden so verschieden, daß wohl einige Zeit verfloßen sein muste ehe sie ihn anstimmen durfte, wenn die Arglist nicht zu offenbar werden sollte. Wir haben daher hier einen neuen Abschnitt angenommen und können auch der Ansicht nicht beitreten, daß Gudrun den Atli mit dem Blut und Fleisch seiner Söhne an demselben Tage bewirthet haben müße an welchem ihre Brüder erschlagen waren, denn wenn auch in den Str. 64 und 78 Morgen und Abend entgegengesetzt werden, so sagt doch Gudrun, sie habe seitdem selten geschlafen, was allerdings heißen kann gar nicht, sich aber dann von selber verstünde, wenn keine Nacht dazwischen gelegen hätte.
Wenn W. Grimm bei unserm Liede Str. 10 bemerkt, es fehle nicht an Sprüngen und Lücken in der Geschichte, so mag er dabei außer dem eben Besprochenen noch Folgendes im Sinne haben. Str. 7, die ohnedieß an Unklarheit leidet, weil man nicht sieht, worin die offenbare Arglist bestehen soll, widerräth Högni die Fahrt, gegen Gunnars Ansicht, während er später ungeachtet der Warnungen Kostberas, die auf Auslegung der von Gudrun gesandten Runen und Deutung der eigenen Träume gegründet sind, der Treue Atlis vertraut ohne daß man sähe, wodurch diese Sinnesänderung bewirkt sei. So fällt es auch auf, daß nach Str. 50 Kostberas Söhne Säwar und Solar und ihr Bruder Orkning, wenn wir richtig übersetzt haben, den Kampf überleben, hernach aber spurlos verschwinden. Endlich ist das unerwartete Auftreten Niflungs, wenn der Sohn Högnis Str. 87 diesen Eigennamen führt, und es nicht vielmehr ein Geschlechtsnamen ist, befremdend, da er Str. 28 mit den andern Söhnen Högnis [455] hätte erwähnt sein sollen. Aber vermuthlich berichtete die Sage, die der Dichter nur andeutet, daß er diesen Sohn todwund gezeugt habe, wie nach der Wilkinas. und den faröischen Liedern den Aldrian, nach der Hwenschen Chronik den Ranke.
An dieses Lied schließt sich Gunnars Harfenschlag an, ein Gedicht, das wir seiner wahrscheinlichen Unechtheit wegen nicht in den Text aufgenommen haben. Daß ein Gedicht dieses Inhalts in alter Zeit vorhanden gewesen sei, bezeugt zwar Nornagests. c. 2; das nachstehende, welches Gudmund Magnussen 1780 in Island entdeckte, scheint aber sowohl der Sprache als dem Inhalte nach neuern Ursprungs und hat vermuthlich den 1785 verstorbenen Gelehrten Gunnar Pâlsson, zum Verfaßer, vgl. Germ. XIII. 784. Da aber die Untersuchung über seine Echtheit noch nicht abgeschloßen ist, so theilen wir es, um den Vorwurf der Unvollständigkeit von unserer Übersetzung abzuwenden, hier nachträglich mit:
Giukis Sohn, in Grabaks Saal.
Die Füße waren frei dem fürstlichen Erben,
Die Hände mit hartem Haft gebunden.
Da zeigt’ er die Kunst mit den Zweigen der Füße.
Herlich trat er die Harfenstränge:
Wie der König konnte keiner spielen.
Die Harfe spricht mit menschlicher Stimme,
Nicht süßer sänge sie, wär sie ein Schwan;
Der Wurmsaal schallt von der Saiten Gold.
Ihm, der den Bund den Niflungen brach.
Her lud Atli Högni und Gunnar,
Seine Schwäger beide, sie zu ermorden.
Mordlich Gefecht statt fröhlichen Mals.
So lange Leute nun leben, heißt es:
So falsch an Freunden that Keiner zuvor.
Brynhild stach sich selber todt,
Sie die Sigurden erschlagen ließ.
Was willst du Gudrunen drum weinen laßen?
Uns gefährde das Leben des Schwagers Fall.
Auch sagte mir Brynhild, Budlis Tochter,
Uns werde Atli überlisten.
Da wir zuletzt beisammen lagen.
Widrige Träume schreckten mein Weib:
„Fahre nicht, Gunnar! falsch ist dir Atli.
Den Erben Giukis den Galgen erbaut.
Ich dachte, die Disen lüden dich:
Drum traut nicht, Brüder, man will euch betrügen.“
Von verritzten Runen, abrathenden Träumen.
Doch kühn war das Herz in der Helden Brust,
Sie bangten beide nicht vor dem bittern Tod.
Uns Erben Giukis, nach Odhins Willen.
Wider das Schicksal mag Niemand sich setzen,
Noch von Heil verlaßen dem Herzen vertraun.
Die rothen Ringe, die Reidmar besaß.
Ich weiß allein nun wo sie verborgen sind,
Seit ihr dem Högni nach dem Herzen schnittet.
Dein hunnisch Heer nach dem Herzen schnitt.
Nicht ächzte der Niflung als das Meßer eindrang,
Verzog nicht die Braue bei dem bittern Tod.
So Manchen der Mannen, der muthigsten gar,
Durch unsre Schwerter, eh dus vollbrachtest.
Unsre hehre Schwester erschlug dir den Bruder.
Giukis Sohn, in Grafwitnirs Höhle.
Nicht wird er harmvoll Heervatern nahn,
Längst ist der Fürst der Leiden gewöhnt.
Und Nidhöggr die Nieren saugen,
Linn und Langbackr die Leber zehren
Ehe der Gleichmuth Gunnarn verläßt.
Daß uns Atli also betrogen hat.
Sie wird dir Herscher die Herzen bringen
Deiner Söhne gesotten zum Abendschmaus.
Sollst du aus der Schädel Schalen trinken.
Am härtesten härmt dir aber das Herz,
Wenn dich Gudrun feige und grausam schilt.
Böses bringt dir der Verrath an den Brüdern:
Wohl scheinst du es werth, daß wir durch die Schwester,
Die nothgezwungene, den Treubruch zahlen.
Zur Seite soll ihr Niflung stehen.
Hohe Lohe wird deine Halle umspielen,
Und dann in Nastrand dich Nidhöggr saugen.
Goin und Moin und Grafwölludr,
Ofnir und Swafnir, die giftgeschwollenen,
Nadr und Nidhöggr und die Nattern alle,
Hring und Höggwardr, vom Harfenschalle.
Die wendet das Herz mir bis an die Wurzel,
Saugt mir die Leber, frißt mir die Lunge,
Läßt nicht länger den König leben.
Das weite Walhall bewohnen fürderhin;
Mit den Göttern trinken den theuern Meth,
Von Sährimnir speisen in Odhins Saal.
Mein Lied erlabt’ euch zum letzten Mal.
Kein Fürst wird hinfort mit der Füße Zweigen
Die hellen Saiten der Harfe schlagen.“
Wir betrachten diese beiden Lieder zusammen nicht nur wegen ihres gemeinschaftlichen Gegenstandes, Gudruns dritte Vermählung, sondern weil sie, wie wir sehen werden, in einer so nahen innern Verbindung stehen, daß das zweite ohne das erste nicht vollständig und dieses zum Theil aus jenem genommen ist.
Die vorletzte Strophe in Atlamal spielt auf diese Lieder vorbereitend an. Brynhilds Weißagung im dritten Sigurdsliede (Str. 53. 60. 61) kennt ihren Inhalt, den auch D. 62 und die Wölsungasaga c. 48–51, wiewohl abweichend und mit Benutzung anderer Quellen, erzählen. In der Skalda 145 und 340 endlich sind Strophen einer Behandlung desselben Gegenstandes in einem Liede Bragi des Alten, also aus dem Ende des achten Jahrhunderts erhalten, und die Skaldensprache hat sich aus dieser Sage mit Ausdrücken bereichert.
Daß sie auch in Deutschland in den ältesten Zeiten bekannt war und von da erst (wie die deutschen Formen den Namen z. B. Erps, der nordisch Jarpr, Jonakurs, der nordisch Onar heißen würde, beweisen) in den Norden gebracht wurde, obwohl jetzt unsere Lieder wohl noch von Jörmunrek und Bicki (Ermenrich und Sibich), aber nicht mehr von Swanhilden und ihren Brüdern wißen, geht aus den Zeugnissen des Jornandes (6tes Jahrh.), der quedlinburgischen Annalen (10tes Jahrh.) und der urspergischen Chronik (reicht bis 1126) unwidersprechlich hervor. Endlich kennt auch Saxo Grammaticus in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. diese Sage, wahrscheinlich aus deutschen Quellen, obgleich mit dem Namen Gudrun.
Indem die Edda Sigurds Wittwe zur Mutter Swanhildens macht, verbindet sie die Siegfriedssage mit der gotischen von Ermenrich, während in den deutschen Liedern diese Verbindung dadurch zu Stande gebracht wird, [459] daß Dietrich bei Etzel (Atli) die Mörder Siegfrieds bezwingt. Ursprünglich denkt man sich jeden Sagenkreiß selbständig für sich bestehend. Der eigentümlich nordischen Weise, den gotischen mit dem fränkisch-burgundischen zu verbinden, hat man bisher so wenig als unsern Liedern, in welchen sie vollbracht ist, ein hohes Alter zugetraut, bis J. Grimm durch die Bemerkung, daß Bragi des Alten Gedicht doch die einfachen Lieder schon voraussetze, einer andern Ansicht Bahn brach. Die Meinung hingegen, daß schon in Str. 5 des zweiten Sigurdsliedes diese Verbindung vorausgesetzt sei, wird aufgegeben werden müßen. In den acht Edelingen, welche nach dieser Strophe durch Andwaris über das Gold ausgesprochenen Fluch ins Verderben gerathen sollen, können die drei Brüder Swanhildens nicht mitbegriffen sein, da ihr Tod mit dem Hort in keiner Verbindung steht und die Zahl sich viel einfacher erfüllen läßt, wenn man Hreidmar und seine Söhne Regin und Fafnir zu Sigurd, Guttorm, Gunnar, Högni und Atli zählt.
Wie alt aber auch unsere Lieder seien, so sind sie doch schwerlich in der Gestalt, in welcher sie uns vorliegen, ursprünglich verfaßt. Eine nähere Betrachtung von Hamdismal ergiebt, daß Str. 5 den Inhalt der dritten Strophe der Aufreizung voraussetzt, da Hamdirs Worte: Da hast du wohl träger Högnis That gelobt u. s. w. ohne dieselbe nicht verstanden werden können. Nun findet sich aber nicht bloß diese Str. 5 in dem andern Liede wieder, sondern beide haben noch andere, ja fast die ganze Einleitung gemeinschaftlich und nur von Str. 9 des ersten, Str. 11 des andern an geht jedwedes dieser beiden Lieder seinen eigenen selbständigen Gang. Diese Erscheinung erklärt sich am besten durch die Annahme, daß Hamdismal mit der fehlenden Strophe, die jetzt die dritte des andern Liedes bildet, ursprünglich allein vorhanden war, und ein späterer Dichter Gudruns Aufreizung hinzudichtete. Was dieses Lied Neues enthält, ist die Gudruns ganzes Schicksal umfaßende Klage, welche von Str. 9 an das Lied ausfüllt. Die Einleitung, Str. 1–8, entnahm er aus Hamdismal, so zwar, daß Str. 3, welche in diesem unentbehrlich ist, im strengsten Sinne des Worts entnommen ward, indem sie sich nun nicht mehr darin befindet. Auf den Namen Gudruns Aufreizung hat dieses Lied, das sich selbst 21, 3 Gudruns Harmlied nennt, kein ausschließliches Recht, er kommt dem andern Liede ebenso gut zu, ja mit beßerm Rechte als der gegenwärtige, der insofern nicht befriedigt als man nicht sieht, warum es gerade nach diesem der drei Brüder Swanhildens benannt ist. Daß man ihn dem ersten Liede gab, erklärt sich wohl, da Gudrun die Hauptperson in dem Liede ist, und der Name, Gudruns Klage, den es eigentlich führen sollte, eine Verwechselung [460] mit dem ersten Gudrunenliede, dessen Inhalt ebenfalls Klage ist, besorgen ließ. Großes Verdienst können wir diesem Liede nicht beimeßen, da der Verfaßer außer Hamdismal auch zu Str. 15 das dritte Sigurdslied (Str. 52), wenn es sich nicht umgekehrt verhält, und zu Str. 18 das zweite Lied von Helgi dem Hundingstödter, namentlich Str. 34, wo Sigrun den todten Helgi ersehnt, benutzt zu haben scheint.
Das bisher Vorgetragene genügt noch nicht zur Erklärung der übereinstimmenden und doch abweichenden Eingänge beider Lieder und der Lücken in dem von Hamdismal. Dazu wird es folgender Annahme bedürfen. Das ursprüngliche Lied bestand aus dem Eingange, d. h. aus den acht ersten Strophen unseres jetzigen ersten Liedes und den Str. 11–32 von Hamdismal. Zwischen diese Bestandtheile schob ein Späterer Gudruns Klage, d. h. die Str. 9–21 des ersten Liedes ein, welche er denjenigen sang oder sprach, die nach dem Eingange lieber von Gudrun als ihren Söhnen hören wollten. Sollte er nun fortfahren und auch die Schicksale der Söhne vortragen, so war der alte Eingang fast schon wieder vergeßen, aus welchem also einige Strophen wiederholt werden musten um das eben Gehörte wieder in Erinnerung zu bringen. Als man niederschrieb was bisher dem Gedächtnisse anvertraut gewesen, schienen die ersten zwanzig Strophen ein Lied für sich zu bilden, welchem man, um es ganz selbständig zu machen, zum Überfluße noch die 21ste anhing. Sollten aber nun auch die folgenden selbständig werden und ein Ganzes ausmachen, so muste man einige neue Strophen hinzudichten, da das nicht ganz genügte, was man bisher an dieser Stelle zu wiederholen pflegte. So kamen die ersten anderthalb Strophen von Hamdismal hinzu, womit in den alten Eingang eingelenkt wurde. Str. 4 hatte vielleicht schon in den Eingang des alten Liedes gehört, war aber ausgelaßen worden, als dessen ersten acht Strophen Gudruns Klage angehängt wurde, die eine weitere Ausführung der in dieser vierten Strophe enthaltenen Klage Gudruns bildete. Die Str. 7–10 hatte man vermuthlich schon vor der schriftlichen Abfaßung als Variationen des alten Eingangs, den man nach dem Vortrag von Gudruns Klage wieder in Erinnerung bringen wollte, zu singen gepflegt. So erklärt es sich allein, warum jetzt in dem Eingang von Hamdismal vor Str. 5 der Inhalt von Str. 3 des ersten Liedes fehlt, und vor Str. 11 vermisst wird was dessen Str. 7 berichtet.
Schwieriger ist es zu sagen, warum beide Eingänge des Erp geschweigen, den erst Str. 12 des Hamdismal einführt. Er scheint den beiden andern Brüdern, die Gudrun allein hatte reizen wollen Swanhildens Tod zu rächen, unterwegs zufällig begegnet zu sein. Daß ihn Gudrun schonen [461] wollte, erklärt sich vielleicht daraus, daß er, der Str. 14 sundrmœdri, andrer Mutter Sohn, heißt, Gudruns leiblicher mit Jonakur erzeugter Sohn war, während seine Brüder, die sich selbst Str. 25 als sammœdrar, von derselben Mutter geborne, bezeichnen, etwa Jonakurs Kinder erster Ehe waren. Damit stimmt, daß Gudrun ihn nach D. 62 am meisten liebte, und dadurch die Eifersucht der andern Söhne, die sie mit harten Worten zur Rache angetrieben hatte, erregte. Auch sehen wir nun, warum sie ihn Str. 12 unehlich geboren schelten, da sie die zweite Ehe ihres Vaters nicht als rechtmäßig anerkennen mochten. Stammte er aus dessen zweiter Ehe, so war er auch jünger als die beiden andern, vielleicht nicht einmal erwachsen, da er Str. 13 Zwerg gescholten wird, und dieß mochte Gudrun zum Vorwand nehmen, ihn nicht gleichfalls zur Rache Swanhildens anzureizen, obgleich diese seine leibliche Schwester war. Daß er endlich Str. 13 fuchsig gescholten wird, hängt nach Grimms Deutung (Zeitschr. III. 155) mit seinem Namen Erp zusammen, der wie das nordische iarpr rothbraun bedeutet. Die abweichende Farbe seines Haares soll wahrscheinlich wieder anzeigen, daß er anderer Abstammung ist als Sörli und Hamdir. So lange das sundrmœdri Str. 14 nicht beseitigt werden kann, darf man Str. 14 des ersten Liedes nicht entgegensetzen, da dieß von einem spätern Dichter herrührt, der seine Quelle, das Hamdismal, entstellt und wahrscheinlich auch nicht verstanden hat.
Unsere Stelle ist aber auch sonst verderbt überliefert und wir haben sie nach eigener Vermuthung herzustellen versucht. Wörtlich übersetzt würden Str. 12 und 13 lauten:
oder auf ernster Reise; wenn man mit den Handschriften, welchen Munch folgt, liest: einu sinni, so kann es heißen: auf einsamem Wege, denn er scheint schon vorausgeritten,
Der kühn auf dem Rücken des Rosses scherzte:
„Was frommt es, dem Blöden die Bahnen zu weisen?“
Sie schalten den Edeln unehlich geboren.
„Was würde der fuchsige Zwerg uns frommen?“
Die Handschriften legen also dem Erp, eh seine Begegnung gemeldet wird, eine Rede in den Mund, die offenbar seinen Brüdern gehört.
Ebenso fehlt in Str. 14 die Zeile:
Wie eine Hand der andern hilft,
welche doch die Strophe füllt und durch die folgende Strophe gefordert wird.
[462] Endlich ist Str. 23 nach Grimms Vermuthung übertragen, welche in der ersten Zeile statt Hrödrglödh liest Hrôptr gladhr, und so den Odhin schon hier einführt, der Str. 26 unzweifelhaft auftritt, wenn er gleich nicht genannt wird, was auch nicht nöthig war, wenn er schon Str. 27 unter dem Namen Hroptr auftrat. Daß es Odhin war, welcher den Rath giebt, Steine gegen Jonakurs Söhne zu schleudern, sagt Saxo ausdrücklich, und nach Wölsungas. c. 51 ist es ein gar alter Mann mit Einem Auge, wie Odhin öfter geschildert wird. Daß Odhin hier gegen Sigurds Geschlecht feindlich erscheine, dem er sich bisher geneigt und hilfreich erwiesen hat (vgl. das andere Sigurdslied II.), kann am wenigsten behauptet werden, wenn man mit uns annimmt, daß von Jonakurs Söhnen nur Erp von Gudrun stammt, den diese seine Halbbrüder, gegen welche Odhins Rath gerichtet ist, unterwegs erschlagen haben. Daß sie den Tod Swanhildens zu rächen kamen, die eigentlich allein von Sigurds Geschlecht ist, während ihre Mutter Gudrun ihm nur vermählt war, verschlägt nichts, da Jörmunrek (Ermenrich) nach der gotischen Sage so gut von Odhin abstammt wie Sigurd nach der fränkischen.
Hamd. 21. Der weiße Schild war als Friedenszeichen in Jörmunreks Burg aufgehängt.
Die jüngere Edda, die ein Commentar der ältern Lieder ist, selber wieder zu commentieren, fühlen wir uns nicht berufen; nach den Streiflichtern, die bei Erläuterung der Götter- und Heldensage auf sie gefallen sind, indem wir sie stäts mit der jüngern Edda verglichen haben, scheint uns vollends kein Bedürfniss dazu vorhanden. Wenn der Leser sich die Stellen, wo in unsern Erläuterungen auf die Dämisagen der jüngern Edda verwiesen wird, an den Rand derselben vermerken wollte (der Verweisungen, die schon bei den Liedern selbst durch beigesetzte Zahlen geschehen sind, zu geschweigen), so würde er finden, daß die Erklärung der jüngern Edda eine gethane Arbeit ist, die von uns ohne Selbstwiederholung nicht noch einmal unternommen werden könnte. Überdieß kann ich auf mein öfter erwähntes Handbuch verweisen.