BLKÖ:Rettich, Julie

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Rettich, Karl
Band: 25 (1873), ab Seite: 324. (Quelle)
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Rettich, Julie (k. k. Hofschauspielerin, geb. zu Hamburg 17.[WS 1] April 1809, nach Anderen 1810, auch schon 1805, gest. zu Wien 11. April 1866). Von ihren Eltern, der Vater war Schauspieler, die Mutter eine beliebte Opernsängerin, erhielt Julie eine sorgfältige Erziehung, die jedoch auf nichts weniger als die dramatische Laufbahn abzielte. Die Kinder- und die Mädchenjahre verlebte sie in Strelitz, wo im Jahre 1817 Julien’s Mutter als großherzogliche Kammersängerin angestellt war, und in Dresden, wo die Familie im Jahre 1823 ihren bleibenden Wohnsitz nahm. An letzterem Orte war es, wo sie einer Vorstellung des „Wilhelm Tell“ im Hoftheater beiwohnte und davon so begeistert wurde, daß sie den festen Entschluß faßte, sich der Bühne zu widmen. Der Vater wollte davon nichts wissen, aber endlich – in der Meinung, die Probe werde mißlingen – ließ er sich unter der Bedingung dazu herbei, wenn sie auf einer ersten Bühne in einer ersten Rolle Beifall finde. Freiherr von Lüttichau, der damalige Intendant des Dresdener Hoftheaters, ließ sich zu diesem Experimente herbei, und Julie Gley betrat am 22. September 1825 als Margarethe in Iffland’s „Die Hagestolzen“ zum ersten Male die Bühne und spielte ihre Rolle so meisterhaft, daß der Beifall allgemein war und Lüttichau am nächsten Morgen den Contract in’s Haus brachte, der sie sofort zum Mitgliede des Dresdener Hoftheaters machte. Auch Ludwig Tieck, mit dem vorbeschriebenen Experimente nichts weniger als einverstanden, weil durch ein solches Wagniß Alles auf einen Wurf gesetzt war, wurde durch diesen schönen Erfolg auf das Freudigste überrascht und blieb fortan der treue Freund und Mentor der jungen Künstlerin. Hermann Meynert gibt in seinem kleinen Essay: „Julie Gley und Ludwig Tieck“ eine anmuthige Darstellung des fruchtbringenden Verkehrs zwischen Meister und Schülerin, welch Letztere in späteren Jahren mit innigster Pietät ihres geistvollen Mentors, dem [325] sie selbst so viel verdankte, gedachte, während Tieck in seinen dramaturgischen Blättern öfter in aufmunternder und anerkennender Weise seiner Elevin erwähnt. Zwei Jahre war Julie Gley am Dresdener Hoftheater thätig gewesen, und schon ergingen im Jahre 1827 an sie Einladungen zu Gastspielen in Prag und Hamburg. Aber ihre Blicke richtete sie damals bereits nach der Wiener Hofbühne, welcher das schöne Vorrecht, die erste in Deutschland zu sein, wohl zu jener Zeit Niemand streitig machen konnte. Das Wiener Burg-Theater, damals unter Schreyvogel’s gediegener Leitung, besaß einen europäischen Ruf. Im Winter 1828 war es ihr endlich gegönnt, zu einem Gastspiele nach Wien zu reisen, welches in der Zeit vom 15. bis 19. December nur drei Rollen umfaßte, das Mädchen von Marienburg, in dem damaligen beliebten gleichnamigen Stücke von Kratter, die Wilhelmine in Bretzner’s „Räuschchen“ und die Irene in Schenk’s „Belisar“. Dieses Gastspiel hatte kein weiteres Ergebniß als im folgenden Jahre die Einladung zu einem zweiten, in welchem sie nebst der letzten der obgenannten Rollen noch die Jungfrau von Orleans, die Thekla in „Wallenstein“, die Isabella in den „Quälgeistern“, einer älteren Bearbeitung von Shakespeare’s „Viel Lärmen um Nichts“, und die Elisena in „Wald von Hermannstadt“, von Frau von Weissenthurn, spielte und mit dem Beifalle des Publicums den viel lohnenderen Schreyvogel’s erntete, der nun in ihr eine Kraft erkannte, die den vorhandenen Kräften der von ihm geleiteten Bühne sich ebenbürtig zeigte und welche zu gewinnen sich um so mehr lohnte, als eben das von ihr gespielte Fach einer Ergänzung bedurfte. Ueberdieß hatte der glänzende Erfolg ihres Wiener Gastspieles ihren Künstlerruf gesteigert, es kamen ihr von mehreren bedeutenden Bühnen Anträge zu, aber sie entschied sich für Wien, wo ihr Schreyvogel’s Leitung für die Lösung künstlerischer Aufgaben eine sichere Bürgschaft bot. Nachdem sie ihre Verbindlichkeiten an der Dresdener Hofbühne gelöst, an welcher sie noch in der ersten, zur Goethe-Feier veranstalteten Aufführung des „Faust“ als Gretchen[WS 2] einen glänzenden Erfolg gefeiert, trat sie am 12. October 1830, wenige Monate nach dem Tode der Sophie Müller (gest. 20. Juni 1830), als Julie in „Romeo und Julie“ ihr Engagement im Burgtheater an. In demselben wurde sie bald der Liebling des Publicums, vor dem sie in einer Reihe der schönsten Rollen, die sie schuf, namentlich als Olga in Raupach’s „Isidor und Olga“, als Maria Stuart, als Camilla in Houwald’s „Bild“, als Elvira in Müller’s „Schuld“ ihre künstlerische Meisterschaft darlegte. Die Ferien benützte sie zu Gastspielen; auf einem derselben, in Gratz 1832, gastirte sie zugleich mit dem Hofschauspieler Karl Rettich, und als dessen Braut kehrte sie nach Wien zurück und wurde am 9. April 1833 dessen Gattin. Nun traten mehrere Umstände zu gleicher Zeit ein, welche der Hofbühne die kaum gewonnene Künstlerin wieder entführten. Durch die damals herrschende Cholera hatte sie zuerst ihren Vater verloren, bald darauf wurde sie selbst und ihre Schwester vom Typhus befallen, welchem die Letztere erlag. Tiefe Melancholie bemächtigte sich nun der genesenden Künstlerin, die nun eifrigst bestrebt war, die Stätte zu verlassen, wo sie in kurzer Zeit so schweres Leid erfahren. Aber es waren noch andere Factoren thätig, um der [326] Künstlerin ihre Thätigkeit an der Hofbühne zu verleiden. Aus Anschütz Memoiren erfahren wir, welche Mißhelligkeiten zwischen dem Grafen Czernin, Oberstkämmerer, dem eigentlichen Chef der Hofbühne, und dem damaligen Dramaturgen Schreyvogel herrschten. Sie endeten mit Schreyvogel’s Pensionirung. Dabei übertrug der Oberstkämmerer seine Chikanen und Launen auch auf alle jene Mitglieder, die durch Schreyvogel für die Bühne waren gewonnen worden! Der Oberstkämmerer ging nun in seinem Verfolgungseifer so weit, daß er, als Frau Rettich nach ihrer Genesung in der „Braut von Messina“ zugleich mit der gefeierten Sophie Schröder spielte und der noch jungen strebenden Künstlerin das Publicum bei ihrem Erscheinen auf der Bühne mit nicht geringerem Enthusiasmus als der großen Tragödin entgegen jubelte, Herrn von Deinhardstein, Schreyvogel’s Nachfolger, in seine Loge bescheiden ließ, um ihm den Auftrag zu geben: daß Julie Rettich nicht weiter beschäftigt werden sollte. Solche Kabalen erleichterten der Künstlerin das Scheiden und führten sie mit Freude an jene Bühne zurück, wo sie Freiherr von Lüttichau mit offenen Armen aufnahm. Aber nicht lange sollten diese widrigen Verhältnisse dauern, unter denen nicht blos der Einzelne, sondern das ganze, der Kunst gewidmete Institut schwer litt. Im Jahre 1835, nach dem Tode des Kaisers Franz, wurde der Oberstkämmerer jedes Einflusses auf die Theatergeschäfte enthoben und Landgraf von Fürstenberg zum Hoftheater-Intendanten ernannt. Die fast unmittelbare Folge dieses Directionswechsels war die Einladung des Rettich’schen Ehepaares zu einem Gastspiele am Hofburg-Theater, wo es Anfangs October g. J. dasselbe mit Maria Stuart eröffnete. Zu ihren damaligen Gastrollen gehörte auch das Gretchen, das sie am 13. October 1835 und dann noch mehrmals in „Scenen aus Goethe’s „Faust“ spielte. Die vollständige Tragödie, so weit gegenüber der Bühnenbearbeitung von einer Vollständigkeit die Rede sein kann, ging erst vier Jahre später über die Bretter des Burgtheaters. Außerdem spielte sie damals noch folgende Rollen: Olga in Raupach’s „Isidor und Olga“, Lucia in desselben „König Enzio“, Rutland in „Essex“ von Banks, die Bertha in Grillparzer’s „Ahnfrau“, die Walburgis in „Goldschmieds Töchterlein“, Donna Diana im gleichnamigen Stücke, Konradin in Raupach’s „König Konradin“, die Eboli in Schiller’s „Don Carlos“ und die Iphigenie in Goethe’s gleichnamiger Dichtung. Die Folge dieses Gastspieles, das einer Reihe von Triumphen glich – schreibt doch Anschütz, „daß der sich immer steigernde Triumph in Faust’s „Gretchen“ und Iphigenie auf Tauris einen himmelstürmenden Gipfelpunct erreichte“ – war ihr Engagement im Burgtheater, das sie um so freudiger annahm, als ihr Gatte sich nach Oesterreich zurücksehnte. Derselbe Oberstkämmerer, dessen Gunst Julie Rettich niemals erringen konnte, mußte, Ironie des Schicksals, das kaiserliche Decret der lebenslänglichen Anstellung des Ehepaars Rettich unterzeichnen. Nachdem sie ihre Verbindlichkeiten in Dresden gelöst, kehrte sie im Spätherbste 1835 nach Wien zurück und trat als neuengagirtes Mitglied zum ersten Male als Desdemona in Shakespeare’s „Othello“ auf. Wenige Monate darnach trat sie in Halm’s „Griseldis“ auf und machte. [327] um mit Anschütz zu reden, den damals noch unbekannten Dichter über Nacht zum gefeierten österreichischen und bald auch deutschen Dichter. Um jedoch von der historischen Wahrheit nicht abzuweichen, bemerken wir, daß Frau Rettich in der ersten Vorstellung der „Griseldis“ die Rolle der Ginevra gab, aber gleich am zweiten Abende die Titelrolle übernahm, um sie für immer zu behalten. Von nun an gehörte sie bis zu ihrer tödtlichen Erkrankung, also durch mehr als dreißig Jahre, dem Burgtheater an. Um ein Bild dieser großen und, sagen wir es offen, in dieser Art unerreichten Künstler-Individualität zu geben, folgt auf S. 329 in chronologischer Reihe eine Uebersicht ihrer Hauptrollen – mit Ausnahme der schon genannten. – Wir fördern mit einer solchen Aufzählung ein Stück Geschichte des Wiener Hofburg-Theaters zu Tage, andererseits gestalten wir ein lebendiges Bild der Künstlerin in allen ihren Uebergängen von der Liebhaberin zu den jugendlichen Heroinen und dann zu eigentlichen Heldenpartien. Noch sei bemerkt, daß sie in den Ferienmonaten Gastspiele auf verschiedenen Bühnen Oesterreichs und Deutschlands gab, wo sie überall, wie in Wien, die größten Triumphe feierte. – Wir haben nur noch Weniges über Julie Rettich als Frau und Mutter hinzuzufügen. Den Keim des Leidens, das mit ihrem Tode endete, und an dem sie in den letzten Momenten schmerzlichst, aber mit einer seltenen Ergebung litt, schien sie bereits lange in sich getragen zu haben. Am 18. September 1863 wurde sie zum ersten Male auf dem Theaterzettel unpäßlich gemeldet, den Tag zuvor hatte sie in der Porcia in Shakespeare’s „Julius Cäsar“ zum letzten Male die Bühne des Burgtheaters betreten. Die letzten Worte, die sie auf der Bühne (zu Brutus) sprach, waren: „Sagt mir, was ihr beschloßt, ich will’s bewahren | Ich habe meine Stärke hart geprüft | Freiwillig eine Wunde mir versetzend | Ertrug’ ich das geduldig | Und ein Geheimniß meines Gatten nicht?“ Während ihrer langen, lorbeergeschmückten Laufbahn bewährte sie eine seltene Musterhaftigkeit und Pünctlichkeit. Während der ganzen Zeit ihrer Wirksamkeit auf der Hofbühne hat sie nie durch eine plötzliche Absage das Repertoir gestört, oder eine ihr zugetheilte Rolle, wenn ihr dieselbe auch nicht zusagte, zurückgewiesen. Im Gegentheile von edlem künstlerischem Ehrgeize beseelt, sehnte sie sich immer nach neuen Rollen, und gerade in den letzten Jahren ihrer Thätigkeit entwickelte sie nach dieser Richtung eine staunenswerthe Rührigkeit und Bereitwilligkeit, welche unter Colleginen und Collegen fast sprichwörtlich geworden war, so daß man sich scherzweise äußerte: „Würde der Frau Rettich der „König Lear“ zur Darstellung überwiesen werden, sie würde wohl bedenklich den Kopf schütteln, aber ihn schließlich doch spielen.“ Ihr Eifer, ihr Pflichtgefühl finden heute in der Periode des Virtuosenthums in der Kunst kaum ihres Gleichen. Wenn sie zur ersten Probe eines neuen Stückes erschien, wußte sie ihre Rolle schon auswendig, hatte sie jede Nuance, jede Betonung genau durchdacht. Dabei kam ihr eine hervorragende, die verschiedensten Fächer umfassende Bildung vortrefflich zu statten; mit dem Geiste der Zeit immer Schritt haltend, blieb keine literarische Neuigkeit von ihr unbeachtet, und durch sorgfältig gewählte Lectüre und das Studium der besten wissenschaftlichen, namentlich historischen Werke, sowie durch [328] den Umgang mit Gebildeten bereicherte sie täglich den bereits gewonnenen Schatz ihrer mannigfaltigen[WS 3] Kenntnisse. In dieser Hinsicht wirkte der Verkehr mit dem Dichter Halm, der ein Freund ihres Hauses war, im hohen Grade anregend und fast erscheint es wie ein Act dankbarer Wiedervergeltung, wenn sie als Trägerin der Hauptrollen in seinen Dramen ihnen auf der Hofbühne zu Erfolgen verhalf, der ihnen auf anderen Bühnen nicht immer zu Theil ward. Dabei besaß Frau Rettich ganz ungewöhnliche Sprachkenntnisse und behandelte sie das Italienische, Französische, Englische wie ihre Muttersprache. Die Gabe der Declamation besaß sie in einer Art, wie nur wenige Künstlerinen sich derselben rühmen können, und nur dadurch ist es erklärlich, daß z. B. die oft schalen Declamationsdichtungen Saphir’s zu einer Bedeutung gelangten, die sie sonst nicht erlangt hätten. Wunderte sich doch der Humorist selbst oft genug über den ungeahnten Erfolg seiner Reimereien und Wortklaubereien, welche sogar Mode geworden und nachgeahmt wurden. Als Vorleserin Ihrer kais. Hoheit der Erzherzogin Sophie stand sie auch in Hofkreisen in der höchsten Achtung. Nach dem Ableben der Künstlerin ließ die erlauchte Frau Herrn Rettich zu sich rufen, um ihm in den zartesten Worten ihr Beileid über den unersetzlichen Verlust auszusprechen, den er und die Kunst durch ihren Tod erlitten, und schloß die Erzherzogin ihre Rede: „Ich selbst verlor in ihr die Künstlerin und eine Freundin“. Während der Zeit der Krankheit der Künstlerin sandte sie jeden Morgen den Kammerdiener in die Wohnung der Frau Rettich, um gleich in den frühesten Morgenstunden einen Bericht über das Befinden der Künstlerin zu erhalten. Es war eine seltene Frau, die mit den großen Talenten eines reichen Geistes die edelsten Vorzüge eines Weibes in sich vereinigte. – Ueber Frau Rettich als Mutter gibt uns Betti Paoli einige Aufschlüsse. Aus ihrer Ehe mit Karl Rettich hatte die Künstlerin nur eine Tochter (geb. im Jahre 1834) und zur Erinnerung an die dahingeschiedene Schwester Emilie genannt. Mit welch schwärmerischer Zärtlichkeit sie dieses Kind, das ihr einziges blieb, umfaßte, schreibt Betti Paoli, weiß nur der, dem ein Einblick in ihr Verhältniß zu ihrer Tochter gegönnt war. Diese Liebe war ihr ein Cultus, der all ihr Thun und Lassen bedingte, dem sie freudig Alles opferte, unbekümmert, ob das Opfer nicht unverhältnißmäßig größer sei, als der damit zu erreichende Zweck. Lieber hätte sie ihr eigenes Herz zerdrückt, als einen Wunsch Emilien’s unerfüllt gelassen. Die Güter, die ihr eigenes Leben schmückten, hatten für sie nur in sofern Werth, als sie in ihnen Mittel sah, den künftigen Lebensweg ihres Kindes zu ebnen. Es ist charakteristisch für ihr ganzes Wesen, daß die Mutterliebe, diese einzige Liebe, der kein Atom von Selbstsucht innewohnt, die stärkste und heftigste Leidenschaft war, die sie empfand“. Emilie erhielt eine ungemein sorgfältige Erziehung; bildete sich vornehmlich im Gesange aus und widmete sich der Bühne. Sie wurde später Gemalin des italienischen Impresario Eugen Merelli und trat an mehreren italienischen Bühnen unter dem Namen Madame Redi mit Erfolg auf. Aus dieser Ehe der Tochter mit Merelli sind zwei Kinder, Karoline und Friedrich, vorhanden, welche seit ihrer Geburt im Hause der Großeltern sich befinden und deren Erziehung noch gegenwärtig [329] der Großvater leitet. – Zum Schlusse sei noch bemerkt, daß Julie Rettich ihre reichen Geistesgaben nicht blos auf der Bühne, sondern auch schöpferisch in mehreren Arbeiten, die sich im Nachlasse vorfanden, entfaltete. Noch bei Lebzeiten hatte sie einige Jahre vor ihrem Tode der Direction des Burgtheaters ein Stück: „Die alte Jungfer“, eingereicht. Niemand kannte den Verfasser dieser Arbeit, die im Großen und Ganzen wohlgelungen und nur im Einzelnen eine Umarbeitung wünschenswerth erscheinen ließ. Nach der Hand stellte sich heraus, daß Frau Rettich die Verfasserin war. Und auf ihrem Schmerzenslager noch hatte sie mit Bleistift ein dreiactiges Schauspiel niedergeschrieben, das sie mit ergreifenden Worten der Liebe und des Dankes ihrem Gatten widmete. Zu Anfang des J. 1867 wurde im Buchhandel ein Band vermischter Schriften – theils Original-Arbeiten novellistischen und dramatischen Inhalts, theils Uebersetzungen aus dem Englischen enthaltend, aus dem literarischen Nachlasse der Künstlerin angekündigt. Jedoch scheint derselbe bisher nicht erschienen zu sein. Bei ihrem Tode zeigte sich die Theilnahme der Bevölkerung in ihrer ganzen Bedeutenheit, die Räume des protestantischen Bethauses, wo die Leiche eingesegnet wurde, faßten die Zahl der Leidtragenden, welche in den umliegenden Straßen in unübersehbarer Menge versammelt waren, nicht. Weithin durch die entfernten Vorstädte, die nach dem Friedhofe führen, standen dichte Gruppen, des Zuges harrend, der sich in dem Gewühle nur langsam fortbewegen konnte. Man trug eine Frau zu Grabe, die von Allen, selbst von Jenen, die nicht das Glück hatten, sie persönlich zu kennen, hoch verehrt wurde. Sie machte das in engherzigen Gemüthern und in Kreisen, welche die neue Zeit nicht verstehen, weil sie mit ihrem ganzen Denken in den Vorurtheilen und Abgeschmacktheiten einer längstvergangenen Zeit wurzeln, herrschende Vorurtheil über den Schauspielerstand zu nichte; wahrhaftig, sie war nur eine Schauspielerin, aber als solche wie als Weib größer, sittlicher und durch ihren Einfluß gewaltiger als viele, durch Geburt und Verhältnisse bevorzugte Naturen, die es gar nicht verstehen, dieser zufälligen Bevorzugung gerecht zu werden.

I. Rollen-Reptetoir der Frau Julie Rettich. Mit Uebergehung der schon in der Lebensskizze genannten Rollen aus den J. 1828 u. 1835 folgen hier in chronologischer Reihe die Hauptrollen dieser großen Künstlerin, und wird bei jenen Stücken, welche mit ihr die erste Ausführung erlebten, in welchen sie also den Charakter der ihr übertragenen Rolle gleichsam schuf, das Datum der ersten Aufführung beigefügt.
1830. Die Magelona in „Schuld und Buße“, von einem ungenannten Autor. – Die Chriemhild in Raupach’s „Nibelungenhort“.
1831. Am 21. Jänner: Die Flaminia in Houwald’s „Die Seeräuber“. – Am 8. Februar: Die Isabella in Holbein’s „Fürst und Minnesänger“. – Am 5. April: Die Hero in Grillparzer’s „Des Meeres und der Liebe Wellen“. – Die Ophelia in „Hamlet“. – Die Elvira in Müllner’s „Schuld“. – Die Sappho in Grillparzer’s gleichnamigem Stücke. – Die Lady Macbeth in Shakespeare’s „Macbeth“.
1832. Am 28. April: Die Olympia in Bauernfeld’s „Der Musiker von Augsburg“. – Am 10. October: Die Gabriele in des GrafenJohann Majláth „Die „Zwillingsschwestern“. – Lanassa im gleichnamigen Stücke von Plümicke. – Die Frau in „Der Wahn“.
1833. Die Beatrice in Schiller’s „Braut von Messina“. Mit dieser Rolle schloß sie ihr erstes Engagement am Wiener Hofburg-Theater ab, das erst 1836 wieder beginnt.
1836. Am 13. April: Die Baronin in „Das geraubte Kind“ von Koch. – Am 5. Mai: Die Eleonore in die „Belagerung von Calais“ von Treitschke. – [330] Am 12. November: Die Agnes in Halm’s „Der Adept“. – Am 29. November: Die Lucretia in Bauernfeld’s „Die Kunstjünger“. – Am 20. December: Die Försterin in „Die Christnacht“ von Pannasch. – Orsina in Schiller’s „Kabale und Liebe“. – Die Hedwig in „Wilhelm Tell“ und die Eleonore in Raupach’s „Tasso’s Tod“.
1837. Am 11. Februar: Die Marie in „Maximilian in Flandern“ von Pannasch. – Am 18. März: Die Marie in „Marie oder drei Zeiträume“, nach dem Französischen. – Am 30. März: Perez in „Camoens“ von Halm. – Am 11. December: Die Marie in „Des Stranders Tochter“ von Treitschke.
1838. Am 6. März: Die Edrita in „Weh’ dem, der lügt“ von Grillparzer. – Am 4. October: Die Alphonsine in „Die Malteser“ von Kuffner. – Am 6. December: Die Imelda in Halm’s „Imelda Lambertazzi“. – Die Rosaura in Calderon’s „Das Leben ein Traum“.
1839. Am 21. Februar: Die Amalie in den „Schwestern“, aus dem Französischen von Karoline Müller. – Am 19. März: Die Louise in Deinhardstein’s „Louise von Lignerolles“. – Am 26. November: Die Viola und den Sebastian in Shakespeare’s „Viola“. – Die Lady Claypole in „Cromwell’s Tod“ von Raupach. – Die Kunigunde in „Ottocar’s Glück und Ende“ von Grillparzer.
1840. Am 31. Jänner: Die Edith in „Ein mildes Urtheil“ von Halm. – Am 19. Mai: Die Titelrolle in „Ines de Castro“ von Wiesner. – Am 29. November: Die Titelrolle in Grillparzer’s „Libussa“. – Die Louise in „Die Pflegetochter“ von Halm. – Die Gräfin Terzky in Schiller’s „Wallenstein’s Tod“. – Die Schauspielerin in dem dramatischen Scherz. „Komm’ her“ von Elsholtz.
1841. Am 20. August: Die Titelrolle in „Maria von Medicis“ von Berger. – Am 28. September: Die Herzogin von Marlborough in „Ein Glas Wasser“ von Scribe. – Die Brunhild in Raupach’s „Nibelungenhort“. – Die Elisabeth in Schiller’s „Maria Stuart“.
1842. Am 28. Jänner: Die Parthenia in Halm’s „Sohn der Wildniß“. – Am 6. September: Die Lady in „Richard Savage“ von Gutzkow. – Am 16. December: Die Imogen in Halm’s Bearbeitung der „Die Kinder Cymbellin’s“ von Shakespeare. – Die Medea in Grillparzer’s gleichnamigem Stücke und die Amalie in „Pauline“ von Frau von Weißenthurn.
1843. Am 13. Jänner: Die Beate in „Ein weißes Blatt“ von Gutzkow. – Am 23. März: Die Königin Christine in „Monaldeschi“ von Laube.
1844. Am 22. Jänner: Die Vanina in „Sampiero“ von Halm. – Die Tullia in Ponsard’s „Lucretia“. – Am 16. November: Die Margaretha in Kuranda’s „Die letzte weiße Rose“.
1845. Am 24. Jänner: Die Oberstin in „Voldemar“ von Franz von Braunau. – Die Churfürstin in „Moriz von Sachsen“ von Prutz. – Am 30. October: Die Ulrike in Kaltenbrunner’s gleichnamigem Stücke.
1846. Am 27. October: Die Gräfin in Prechtler’s „Falconiere“. – Am 29. December: Die Neuberin im gleichnamigen Stücke von Ernst Ritter. – Die Königin Elisabeth in „Die Gunst des Fürsten“ – und Margaretha in „Die Sühnung“ von Houwald.
1847. Am 2. März: Die Donna Maria de Molina in Halm’s gleichnamigem Stücke. – Die Ossakowa in Babo’s „Strelitzen“.
1848. Am 29. März: Die Stella in Halm’s „Verbot und Befehl“. – Am 24. April: Die Franziska in „Die Karlsschüler“ von Laube. – Am 25 August: Die Gräfin Eleonore in „Die Macht der Verhältnisse“ von Ludwig Robert. – Am 29. September: Die Gräfin Terzky in Schiller’s „Die Piccolomini“. – Am 7. December: Die Barbara in „Raphael Sanzio“ von Wollheim. – Am 29. December: Die Marcellina in „Ludovica“ von Deinhardstein.
1849. Am 19. April: Die Alexandra in Hebbel’s „Herodes und Mariamne“. – Am 30. October: Die Gräfin Gallen in „Struensee“ von Laube. – Die Esther in „Uriel Acosta“ von Gutzkow.
1850. Am 21. Februar: Den Wolfgang Goethe in Gutzkow’s „Der Königslieutenant“. – Am 27. Mai: Die Portia in Shakespeare’s „Julius Cäsar“. – Am 31. August: Die Johanna von Neapel im gleichnamigen Stücke von O. Prechtler. – Die Sittah in „Nathan“.
[331] 1851. Am 20. Juni: Die Volumnia in Shakespeare’s „Coriolan“. – Die Elisabeth in Goethe’s „Götz von Berlichingen“. – Die Königin in „Hamlet“. – Die Goneril in „Lear“.
1852. Am 14. Februar: Die Herzogin von York in Shakespeare’s „König Richard III.“ – Am 8. November: Die Lea in Otto Ludwig’s „Die Makabäer“. – Die Claudia in Lessing’s „Emilia Galotti“. – Die Generalin in „Mutter und Sohn“.
1853. Am 12. Februar: Die Menzia in „Der Dolch“ von Raupach. – Am 3. März: Adrian in Mosenthal’s „Gabriele von Precy“. – Am 1. September: Die Lady in „Die Royalisten“ von Raupach. – Am 3. October: Die Rosa in „Im Alter“ von Bauernfeld. – Am 18. October: Die Gräfin in Gutzkow’s „Lady Tartuffe“.
1854. Am 20. Jänner: Die Margaretha in Hebbel’s „Magellone“. – Am 13. September: Die Frau von Aubiers in „Furcht vor der Freude“. – Am 18. October: Die Thusnelda in Halm’s „Fechter von Ravenna“. – Am 10. November: Die Armgart In Schiller’s „Wilhelm Tell“.
1855. Am 20. Februar: Frau Ackermann in Otto Müller’s „Charlotte Ackermann“. – Am 4. October: Frau Marton in „Ein Trauschein“ von Charlotte Birch-Pfeiffer.
1856. Am 1. Februar: Die Elisabeth in „Essex“ von Laube. – Am 15. Mai: Die Klytemnestra in Tempeltey’s gleichnamigem Stücke. – Am 18. October: Die Elektra in Halm’s „Iphigenia in Delphi“. – Die Margarethe in „König Ottocar’s Glück und Ende“ von Grillparzer.
1857. Am 30. März: Die Cornelia in „Brutus und sein Haus“ von Roderich Anschütz.
1858. Am 18. September: Die Churfürstin Dorothea in „Das Testament des großen Churfürsten“. – Am 3. November: Die Naëmi in „Ruth“ von Frau v. Binzer.
1859. Am 3. Februar: Die Margarethe in „Montrose“ von Laube. – Am 11. November: Die Poesie in Halm’s Festspiel „Vor hundert Jahren“. – Die Marfa in „Demetrius“ von Schiller.
1860. Am 2. Jänner: Die Crescentia im gleichnamigen Stücke von Blittersberg. – Am 17. Jänner: Die Eleonore in „Der letzte Ravenswood“ von Hermannsthal. – Am 30. Jänner: Die Frau von Chateaurenard in „Ein Kind des Glückes“. – Am 10. September: Die Johanna in „Graf Hiob“. – Die Churfürstin in „Der Prinz von Homburg“ von Heinrich Kleist.
1861. Am 11. Jänner: Die Mathilde in „Die Grafen von der Esche“ von Paul Heyse. – Am 23. September.- Die Anna in „Don Juan d’Austria“. – Am 4. November: Die Großmutter im gleichnamigen Stücke von R. Benedix. – Die Meisterin in Schiller’s „Lied von der Glocke“ und das alte Weib in Grillparzer’s „Traum ein Leben“.
1862. Am 23. Februar: Die Dorothea in „Wilhelm von Oranien“ von Putlitz. – Am 6. März: Die Gräfin Manteuffel in „Gottsched und Gellert“ von Laube. – Am 4. November: Die Frau Rey in „Die Eine weint, die Andere lacht“.
1863. Am 19. Februar: Die Frau Ute in „Die Nibelungen“ von Hebbel. – Am 13. März: Die Margarethe in „Kunz von Kaufungen“ von Roderich Anschütz. – Am 1. April: Die Frau Luthof in „Die Alten und die Jungen“ von Hieronymus Lorm. – Am 24. September: Die Herzogin von Gloster in Shakespeare’s „Richard II.“ – Am 30. December: Norbert in „Eine Jugendschuld“.
1864. Am 20. Februar: Die Susanne in „Eine vornehme Ehe“. – Am 23. April: Die Elisabeth in „Ein Abend zu Titchfield“ von Halm. – Am 10. September: Das jüdische Weib in Mosenthal’s „Deborah“. – Am 3. October: Die Elisabeth in „Das Forsthaus“ von Hieronymus Lorm. – Am 18. October: Die Herzogin in „Hans Lange“ von Paul Heyse. – Am 19. November: Die Oberin in „Herzog Albrecht“ von Melchior Meyr. – Am 10. December: Die Erhabe in „Edda“ von Joseph Weilen.
1865. Am 10. März: Die Anna in „Prinzessin von Monlpensier“ von Brachvogel. – Am 17. September: Die Portia in „Julius Cäsar“, ihr letztes Auftreten auf der Hofbühne, am nächsten Tage ward sie bereits auf dem Theaterzettel krank gemeldet.
II. Quellen zu ihrer Biographie. Allgemeines Theater-Lexikon u. s. w. herausgegeben von R. Blum, K. Herloßsohn, H. [332] Marggraff u. A. (Altenburg und Leipzig o. J., 8°.) Neue Ausgabe, Bd. VI, S. 182. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) 1866, S. 270, im Feuilleton. – Debatte (Wiener polit. Blatt) 1867, Nr. 101, im Feuilleton: „Eine Erinnerung an Julie Rettich“, von Dr. N. Beck. – Deutsche Schaubühne von Martin Perels. II. Jahrg. (1861), Heft 9 u. 10: „Biographische Skizze“ von Friedr. Steinebach. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1866, Nr. 100, im Hauptblatt und in der I. Beilage: „Julie Rettich“ [nach diesem gest. am 10. April 1866] – und ebenda Nr. 102. – Hoffinger (J. Ritter von), Oesterreichische Ehrenhalle. IV. 1866 (Separatabdruck aus dem „Oesterr. Volks- und Wirthschafts-Kalender für 1868“) (Wien 1867, Anton Schweiger u. Comp., gr. 8°.) S. 82. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) 1866, Nr. 1191. – Iris (Gratzer Moden- und Musterblatt, schm. 4°.) XV. Jahrg. (1863), Bd. III, Lieferung 11, S. 138: „Frauen-Gallerie. VII. Julie Rettich“. – Männer der Zeit . Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1862, C. B. Lorck, 4°.) Im Anhange der II. Serie: Frauen der Zeit, Sp. 95. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) Zweite Abth. Bd. V, S. 971. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 581 vom 13. April [nach dieser gest. 11. April 1866]. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. IV, S. 377 [nach dieser geb. zu Hamburg im Jahre 1805]. – Paoli (Betti), Julie Rettich. Ein Lebens- und Charakterbild (Wien 1866, Leop. Sommer, 36 S. 8°.). – Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 100: „Biographie“. – Thalia. Taschenbuch (Wien, 12°.) Jahrg. 1868: „Biographie“. – Waldheim’s Illustrirte Blätter (Wien, gr. 4°.) 1866, Nr. 17, S. 134: „Julie Rettich“. – Wanderer (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 100, im Feuilleton: „Julie Rettich“. – Weil (Philipp), Wiener Jahrbuch für Zeitgeschichte, Kunst und Industrie, und Oesterreichische Walhalla (Wien 1851, Ant. Schweiger, 12°.) Erste Abtheilg. S. 93. – Wiener Theater-Chronik. Herausgegeben von C. A. Sachse. 1866, Nr. 16 [nach dieser war sie im Jahre 1805 in Hamburg geboren]. – Wiener Theater-Post 1866, Nr. 4, im Feuilleton: „Julie Rettich“. – Wiener Zeitung 1866, Nr. 96, S. 191: „Julie Rettich im Burgtheater“. – Wiener Abendpost (Beilage der Wiener [amtlichen] Zeitung) 1867, Nr. 297 u. 298: „Julie Gley und Ludwig Tieck“, von H(ermann) M(einert).
III. Zur künstlerischen Charakteristik von Julie Rettich. a) Aussprüche von Fachmännern. Heinrich Laube, dem wir eben nicht nachrühmen können, die „alte Garde“ des Burgtheaters, die nicht mehr lebt und mit deren Abgang diese Hofbühne aufgehört das erste deutsche dramatische Kunstinstitut zu sein, mit Glacéhandschuhen angefaßt zu haben, und der auch gegen Frau Julie Rettich weder die der Künstlerin noch der Frau gebührende Schonung hatte walten lassen, läßt an ihr doch so viel noch gelten, daß manche andere heutige Tragödin aus Herrn Kierschner’s Theaterschule genug daran zu zehren hätte. Laube schreibt unter Anderem über Frau Rettich: „Julie Rettich hatte die Energie in sich, umzuändern, was nur irgend erreichbar war, sobald man ihr die Nothwendigkeit überzeugend auseinandergesetzt hatte. Ich fand sie zum Beispiel in einer singenden Unmanier, welche die letzten Worte des Satzes in die Höhe ringelte. Das war ihr eingeimpft worden durch die Declamationsstücke, welche so lange im Burgtheater herrschten und denen Halm’s Verse Vorschub leisteten. Ich machte sie unerschrocken darauf aufmerksam. Sie wollte es nicht glauben. „Darf ich jedesmal, wenn der singende Aufschlag kommt, mit dem Stocke aufstoßen?“ – „Freilich!“ – Wir probirten „Iphigenie“. Mein Stock setzte sie in Verzweiflung; aber sie arbeitete von da an unablässig an Besiegung der Unart und – sie siegte. Sie war eine starke Stütze des Theaters und hatte Rollen, die ihr nie nachgespielt werden können. Namentlich solche, welche dem geistigen Verständnisse allein heimgegeben sind, wie die Prinzessin von Parma in „Egmont“, die Gräfin Terzky in der Ueberredungsscene. Sie war überhaupt Meisterin in der Rhetorik. In der Redekunst kann der Geist viel eher die Zügel allein führen, als in der Darstellungskunst. Mit überlegener Fähigkeit wußte sie die schwierigste Rede so zu gruppiren, daß ihr die feinste Gerechtigkeit widerfuhr, da konnte ihr starker Geist seine ganze Ueberlegenheit geltend machen. Aus solchen Gründen lagen ihr die Halm’schen Rollen am vortheilhaftesten. Gerade Julie Rettich konnte eine Thusnelda durchführen, [333] well man bei der Ermordung des eigenen Sohnes nicht an die volle Wahrheit glaubt, sondern sich mit dem Begriffe einer Komödie tröstet. Solche Aufgaben bedürfen nicht, ja sie vertragen kaum die Unmittelbarkeit des Darstellungs-Talentes. Ebenso war sie in Aufgaben trefflich, welche eine didaktische Grundlage hatten. Als „Karoline Neuberin“ war sie von schlagender Kraft. Diese Theater-Regentin lebt und webt in geistiger Bestrebung und verliert sich in keine Leidenschaft. In solchen Rollen blieb Geist und Talent der Frau Rettich in gleicher Linie, und da war sie meisterhaft. Welch ein Verlust ist ihr frühzeitiger Tod! Welcher Schatz für ein Theater, eine Frau von so großer geistiger und moralischer Tüchtigkeit zu besitzen! Sie war eine feste Säule des guten Beispiels in gründlicher Beschäftigung mit ihren Aufgaben, in geistig freier und großer Auffassung derselben, in gewissenhafter Erfüllung auch der kleinsten Pflicht. Sie adelte den Schauspielerstand durch die Auffassung, welche sie ihm widmete, durch die Hingebung an seine Grundidee eines edlen Berufes, welche ihn hoch erhebt über die hundertfachen persönlichen Nichtigkeiten so vieler Schauspieler. Sie gehörte an die Seite eines Directors, sie wäre der Regisseur gewesen, den man zu wünschen hat – sie war eine erhöhte „Karoline Neuberin“. Denn sie war gründlich im Stande, ein gutes Theater zu schaffen und zu leiten.“
Adalbert Stifter schreibt in einem Nachrufe über die Künstlerin: „… Wenn man sagt, daß die Schaubühne ein Tempel der Gesittung und Größe sein kann, und wenn, so die Bühne dieses Ziel nicht erreicht, sie eine Schule des Lasters und der Verderbniß zu werden vermag, ja wenn der Menschenfreund in unseren Tagen bitter klagen muß, daß sie auf diesem Abwege eilig weiter geht, weßhalb ein Mann der Kunst und der Menschheit den Ausspruch that, man suche die Bühne mit allen Mitteln, die sich tausendfach lohnen, zu heben, oder schließe sie gänzlich – wenn es so ist, und es ist so: dann ist die Gestalt der edlen Frau Rettich um so verehrungswürdiger und die Welt hat einen desto größeren Verlust erlitten. Was man auch gesagt hat, daß sie fehle, daß sie dieses oder jenes anders gestalten sollte, daß sie an die Schröder nicht hinanreiche, so war das, wenn es gründlich und wohlwollend war, ein Wink zu ihrem Fortschreiten; jetzt aber ist es unnütz zu reden, was sie nicht war; und wir fühlen nur, was sie war, und selbst ihre Tadler werden es fühlen. Sie ist eine Größe gewesen, deren Ersatz nicht leicht zu finden sein wird. Wenn Darstellungen lediglicher Leidenschaft, tobender Empfindungen, ausschweifender Absonderlichkeiten, roher Wirklichkeiten – von dem Haufen beklatscht werden, und wenn selbst Künstler besserer Art nach dem Aftergolde dieses Ruhmes haschen, so that Julie Rettich dieses nie; in ihren Leistungen war immer der Hauch der hohen, reinen, großartigen Menschlichkeit, die uns über uns emporhebt und uns edler macht, und die Seele jeder Kunst ist. Ja selbst durch jene ihrer Gebilde, an denen Einzelnes getadelt werden konnte, und durch ihre Darstellung der erschütterndsten Gefühle ging dieser Schritt der Größe; in jenen ihrer Kunstschöpfungen aber, die vollendet waren, strahlte diese Größe in ganzer Fülle, und wird von denen, die sie in sich aufgenommen haben, nicht vergessen werden.“
Bemerkenswerthes schreibt auch Ludwig Speidel über diese große Tragödin, der, wie bekannt, wenn es die Wahrheit gilt, auch vor dem Tode sich nicht genirt und das de mortuis non nisi bene zur alten unbrauchbar gewordenen Phraseologie geworfen hat. „An Leib und Seele“, schreibt Speidel, „hat Frau Rettich die Natur für ihre Kunst freigebig ausgestattet. Ihre Gestalt war freilich nur mittelgroß, doch schien sie im Augenblicke des Affects über sich selbst hinaus zu wachsen; ihre Bewegungen waren energisch und voll Adel. Das schöne Oval ihres Gesichtes, die bedeutende Nase, das große feurige Auge und der wohlgebaute Mund, der den Athem voll ausströmen ließ, gewiß waren das unschätzbare Mittel für eine dramatische Künstlerin. Zu ihnen gesellte sich eine volle, wohllautende Stimme, in deren seltenem Umfange sich für jede Empfindung die richtige Klangfarbe fand. Das war aber nur das treffliche Instrument, auf welchem nur der Genius spielte. Mit heftiger Empfindung erfaßte sie ihre Aufgaben; sie drang mit einem Ruck in das Innere einer Rolle und arbeitete sie von da in ihre Details heraus, sehr verschieden von der Methode der sogenannten „verständigen“ Schauspieler, die ihre Rollen von außen beseelen wollen. Mit einer untadelhaft reinen Aussprache und einer wunderbar gelösten Zunge, war sie eine vollendete Meisterin der Rede. Ihrer Auffassungsweise [334] nach huldigte sie jenem wahrhaften Idealismus, der die Wirklichkeit nur in dem Sinne vereint, daß er sie geistig verzehrt und läutert. Allerdings lagen ursprünglich harte, realistische Elemente in ihrem Wesen, die auch später gelegentlich durchbrachen und sich mit den Jahren häufiger geltend machten. Ein geistreicher College wies bereits auf den üblen Einfluß hin, welchen die Gastspiele der Rachel und Ristori auf Rettich geübt. Dem Zaubertrank, der alle Welt berauschte, konnte sich die empfängliche Künstlerin gleichfalls nicht verschließen, und er wirkte um so heftiger, als er auf verwandte, allerdings durch Bildung und Geschmack zurückgedrängte Kräfte in ihrem Innern traf. Man konnte einen Augenblick befürchten, daß sich Frau Rettich ganz in Manier verlieren werde; es schien sich eine Verhärtung von Eigenschaften einzustellen, die, wenn sie im Zusammenhang des Ganzen vorübergehend auftreten, ihre Berechtigung und Nothwendigkeit haben. Das stete Zwinkern mit den Augenliedern, das häufige Starren wie in’s Leere, dieses rasche, eckige Vorwerfen der Arme, die in der Luft sich plötzlich zu versteinern scheinen, das grelle Pointiren der Rede und jenes schrille Aufschreien, das aus dem tiefsten Register unvermittelt in die höchsten Chorden bricht – dieß konnte man Alles für Anzeichen eines nicht mehr aufzuhaltenden Verfalls betrachten. Aber die gute Natur der Künstlerin stellte sich rasch wieder her, und wenn sie durch glänzende Talente, in welchen sich Echtes und Falsches seltsam mischten, einen Augenblick von ihrem Pfade abgelenkt werden konnte, so brach sich in ihr die Erkenntniß wieder Bahn, daß in aller Kunst die Wahrheit zwar das Erste, aber nur die Schönheit das Letzte sei. Nach der Rachel schuf Frau Rettich noch die Thusnelda, nach der Ristori noch die Marfa: zwei Rollen, vor deren Gewalt und hoher Schönheit jene Beiden sich hätten beugen müssen. Man hat an Frau Rettich oft ihre ewige Jugend bewundert, die am Ende nur auf dem Geheimniß beruhte, die ganze Persönlichkeit vom Geiste aus zu verjüngen. Ein geistreiches Wort der Rachel scheint für sie geschrieben zu sein. Es lautet: „Nichts macht alt, als das Einwilligen darein, Vernachlässigung der Jugend und Mangel an ewiger Eleganz; man kann nicht nur Abends um sechs Uhr ein Künstler sein, man muß es den ganzen Tag sein“. Frau Rettich war die Künstlerin nach dem Sinne Rachel’s. Ihr diese unverwüstliche Jugend zu bewahren, trug viel jener treue Freundeskreis bei, der sich, seit der Dichter der „Griseldis“ ihr näher getreten, um sie als seinen Mittelpunct bewegte. Frau Rettich mit ihrer reichen, von der mannigfaltigsten Bildung befruchteten Natur, hatte viel zu geben. Alles Schöne und Holde, was ein Weib ziert, hatte sie in sich ausgebildet; es ging eine erziehende Kraft von ihr aus, die unbewußt veredelte. Zwei Talente, die man nur bei Frauen findet, besaß sie in vorzüglicher Weise: sie war eine Meisterin im Pflegen und im Dulden. Das fühlte man auch ihrer Kunst an. Sie strömte ihr Herzblut aus, wenn sie uns als Griseldis in Abgründe weiblichen Leidens blicken ließ und die grellen Dissonanzen dieses Lebens in einer erhabenen Resignation auflöste; sie war Parthenia, bevor sie Parthenia spielte, denn gerade das Erziehen durch Liebe war recht ihr Element. Durch die Würde ihrer Persönlichkeit hat sie, gleich wie Anschütz, für die Stellung des Schauspielers in der bürgerlichen Gesellschaft Großes geleistet; dem jungen Volke fiel diese Frucht in den Schooß, und es zeigt, natürlich mit rühmlichen Ausnahmen, nicht übel Lust, sie leichtsinnig wieder wegzuwerfen. Julie Rettich ruht nun in der kühlen Erde; aber eine doppelte Unsterblichkeit ist ihr sicher: sie wird fortleben in den Ueberlieferungen ihrer Kunst, und jeder redliche Mensch, der einen Hauch ihres reinen Waltens verspürt, wird es Kindern und Enkeln weiter erzählen, daß sie nicht nur eine berühmte, sondern eine tugendhafte und gütige Frau gewesen, deren Größe gerade auf dieser inneren Tüchtigkeit beruhte.“
Junius novus – unter welchem Pseudonym sich der Director des Leopoldstädter Theaters, Anton Ascher, nach Anderen Bauernfeld verbergen soll – schreibt über Julie Rettich, nachdem er ihr als Künstlerin Gerechtigkeit widerfahren ließ: „Das deutsche Theater hat durch ihren Tod einen großen Verlust zu betrauern. Und doch behaupten wir, noch bedeutender ist der Verlust, den die Gesellschaft Wiens durch den Tod dieser Frau erlitten. Der Geist der Rettich zählte größere Schätze, als er auf der Bühne nur reproducirend ausgeben konnte. Vielleicht in einigen Rollen eine einseitige Schauspielerin, war sie eine der vielseitigsten Frauen, die wir gekannt. Eine echte Patriotin, ein aufgeklärter Geist, begeistert und begeisternd [335] für alles Edle, Gute und Schöne, nahm sie an Allem, was die Zeit und die Männer der Zeit bewegte, regen Antheil. Und sie war oft von großem Einflusse auf dieselben; denn sie wußte ihr Haus zu einem der anziehendsten von Wien zu gestalten. Gar mancher Staatsmann suchte nach vollbrachter und voraussichtlich vergebens vollbrachter Arbeit geistige Erholung in der erfrischenden, stärkenden Luft des Salons, dessen Zierde Julie Rettich war. Wie schöne Jungfrauen eine Atmosphäre verbreiten, daß man glaubt, Blumenduft umgebe sie und sie kämen eben aus einem Rosengarten, so durchgeistigte Julie Rettich förmlich ihre Umgebung. Wenn sie, in welche Gesellschaft immer, eintrat, stockte rasch das Gespräch, das sich vielleicht um nichtige Tagesereignisse bewegt hatte, und Jeder war bemüht sein Bestes zu geben. Die Frau wußte stets das A der guten Lebensart und des gebildeten Tones anzuschlagen. Sie hob sichtlich Jeden, der mit ihr sprach. Wie Schönheit stets Gefallen erregt, so wirkte der Reiz ihres Geistes anregend und anmuthend. Begeistert, wie sie es sein konnte, riß sie Alles zur Begeisterung mit sich fort. Von ihrer Jugend an, wo Ludwig Tieck die ersten Schritte der Kunstnovize geleitet, bis in ihr Alter waren Dichter stets ihr liebster Umgang, und es gibt kaum einen Poeten von Bedeutung in Deutschland, der mit ihr nicht in Verkehr gestanden, der ihr nicht gehuldigt, den sie nicht gefördert hätte. Was sie gar Friedrich Halm gewesen, ist bekannt. Außer dem feingebildeten Gatten der Rettich hat wohl Niemand einen so großen Verlust durch den Tod der verehrten Frau erlitten, als der Dichter der „Griseldis“, dessen Muse die Entschwundene gewesen. Wenn der erste Schaffensdrang dem Dichter in dem Kampfe des Lebens verflogen ist, so bedarf er einer Frau, die ihn anregt, anspornt und fördert, ihn, wie das Germanenweib die Söhne, in die Schlacht jagt, damit er den Kranz erringe. Eine solche Freundin fand Halm in Julie Rettich; und da sie nicht blos seine Muse, sondern auch die Frau gewesen, die seine Gestalten verkörperte, so begreift sich die Bewunderung, welche ihr der Dichter darbrachte. Julie Rettich hat das Geheimniß verstanden, Freundin eines Dichters zu werden und eine liebevolle Gattin und Mutter zu bleiben.“
Ein norddeutscher Kritiker schrieb über Julie Rettich in der ersten Zeit ihrer künstlerischen Wirksamkeit (1833): „… Wohl verdankt Fräulein Gley Tieck’s Unterricht viel; kein Lehrer aber, auch nicht der erste der Welt, kann eine Künstlerin bilden, wenn nicht der Prometheische Funke von innen heraus mitarbeitet. Die ihr inwohnende Poesie, die Fülle ihrer Begeisterung arbeiteten mit der geistigen Bildung fort, die wohl hauptsächlich Tieck’s Werk ist, die Naivheit ihres Talents ist aber etwas Angeborenes, was kein Lehrer geben kann. Die Kritik nannte ihre Erscheinung eine ganz neue auf deutscher Bühne. Ihre Darstellungsart hat mit keiner irgend einer früheren Schauspielerin Aehnlichkeit. Am besten charakterisirt sie die Frage, mit der sie früher ihre Kritiker beschäftigte: ob sie sich zum Lustspiel mehr, oder zur Tragödie eigne? Allerdings eignet sie sich für’s Lustspiel; sie besitzt jenen poetischen Humor, der Rührung und Frohsinn zugleich erweckt, und sie weiß ihn zu einer so zauberischen und neckischen Schalkhaftigkeit zu steigern, daß sie mit allen Reizen und Schätzen innerer Weiblichkeit gleichsam coquettirt. Ihr Spiel ist daher die Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit des weiblichen Charakters, und sie ist in jeder Rolle eine Andere. Der Humor gehört eben auch in die Tragödie, in die romantische nämlich. Sie beginnt eine solche Rolle in vollkommener Jugendfrische und Lebensheiterkeit, die um so empfindlicher und reizbarer der feindseligen schmerzvollen Berührung des vernichtenden Schicksals unterliegt. Weil sie jede tragische Rolle mit der heiteren Lebensfülle beginnt, hat sie eine Charakterfarbe, einen Ton der Empfindung mehr als jede andere Schauspielerin, die sogleich in Empfindsamkeit und Wehmuth, ehe noch eine Anfeindung des Lebens den Charakter berührte, erscheint. Sie kann daher die letzte äußerste Kraft bis zum äußersten letzten Momente sparen, und hier offenbart sie sich abermals als Humor des Wahnsinns, der Agonie, der Verzweiflung. So verwirklicht sie die innige Verwandtschaft des Tragischen und Komischen in der romantischen Poesie, und obige Frage charakterisirt daher die romantische Schauspielerin.“
III. b) Quellen zur Charakteristik Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur. In vier Bänden (Leipzig 1833, F. A. Brockhaus, gr. 8°.) Bd. II, S. 183, unter Julie Gley [eine treffende Charakteristik der damals noch ganz jungen Künstlerin, die als „eine ganz neue Erscheinung auf der deutschen Bühne“ bezeichnet und von [336] deren Darstellungsart ganz ausdrücklich gesagt wird, „daß sie mit keiner irgend einer früheren Schauspielerin Aehnlichkeit habe“]. – Neue freie Presse (Wien) 1866, Nr. 583, im Feuilleton: „Julie Rettich“, von L. Sp.(eidel); – dieselbe, Nr. 589: „Theaterbriefe“, von Junius novus (Ascher) [eine künstlerische Würdigung dieser großen Tragödin]; – dieselbe 1868, Nr. 1216, im Feuilleton: „Das Burgtheater von 1848 bis 1867“, von Heinrich Laube. XIII. [auch in dessen bei Weidmann in Leipzig erschienenen „Geschichte des Wiener Burgtheaters“]. – Neuigkeiten (Brünner polit. Blatt) 1864, Nr. 209, Im Feuilleton: „Frau Julie Rettich“. – Presse 1866, Nr. 45, im Feuilleton: „Aus dem Leben Heinrich Anschütz’. Ueber Julie Gley“. [Wir erfahren daraus, daß Julie Rettich zwanzig Jahre früher, als Frau Bayer-Bürck der Grillparzer’schen Tragödie „Des Meeres und der Liebe Wellen“ durch die unvergleichlich schöne Darstellung des „Hero“ sozusagen Bahn brach und in dieser Rolle eine Leistung gab, die jener der Frau Bayer-Bürck, wie Vater Anschütz versichert, in keiner Hinsicht nachgestanden.] – Dieselbe, Nr. 103, im Feuilleton: „Julie Rettich“, von E.(mil) K.(uh). – Wiener Abendpost (Abendblatt der Wiener (amtlichen) Zeitung) 1866, Nr. 91: „Ein Nachruf an Julie Rettich“ [Abdruck eines Artikels von Adalbert Stifter, der in der Linzer Zeitung enthalten war].
IV. Gedichte an Julie Rettich. Die Zahl derselben ist Legion; wir führen hier nur jene an, welche dem Schmerze über ihren Verlust Ausdruck geben. – Constitutionelle Vorstadt-Zeitung (Wien, Fol.) 1865, Nr. 244: „An die schwerleidende edle Künstlerin Julie Rettich“ [von einem namhaften – doch nicht genannten – Dichter]. – Neue freie Presse 1866, Nr. 586, im Feuilleton: „Julie Rettich“, Gedicht von Franz Dingelstedt. – Zellner’s Blätter für Theater, Musik u. s. w. (Wien, kl. Fol.) 1866, Nr. 32, im Feuilleton: „Julie Rettich, † 11. April 1866“. – Deutsche Schaubühne. Herausgegeben von Martin Perels. 1865, S. 89; „Widmung an Julie Rettich“.
V. Porträte. 1) Facsimile des Namenszuges: Julie Rettich. Kriehuber 1855 (lith.) (gedruckt bei Jos. Stoufs in Wien), Halb-Fol. – 2) Stahlstich im Jahrg. 1868 der von Friedrich Steinebach [zuerst von Dr. Aug. Schmidt, dann von J. Nep. Vogl] redigirten „Thalia“. – 3) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: Julie Rettich. Stahlstich (Stich von A. Weger in Leipzig, 4°., Baumgartner’s Buchhandlung) [ein interessantes Bildniß aus ihren jüngeren Jahren]. – 4) Zwei Holzschnitte in der „Gallerie denkwürdiger Persönlichkeiten der Gegenwart. Nach Originalzeichnungen, Gemälden, Statuen und Medaillen“ (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) Bd. II, auf Tafel 46 mit Doering, La Roche, Frau Haizinger, E. Devrient, Hemdrichs, Liedtke, Anschütz, Louise Neumann, W. Kaiser, H. Schneider und Marie Seebach auf Einem Blatte, und auf Tafel 104 allein. – 5) Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen in Waldheim’s Illustrirten Blättern 1866, S. 129 [unähnlich; harte, rauhe Züge, wie sie die Künstlerin nie besaß, wenn auch aus ihrer Miene seltene Energie und große Willenskraft sprachen]. – 6) Unterschrift: Julie Rettich, kaiserlich österreichische Hofschauspielerin. Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners u. Xylogr. im 24. Bande der Leipziger Illustrirten Zeitung. – 7) Costumbild. Herr und Madame Rettich, k. k. Hofschauspieler, als König Enzio und Luzie im gleichnamigen Trauerspiele. Schöller del. , Andr. Geiger sc. (Wien, 4°.) [in der Bäuerle’schen „Theater-Zeitung“. Geschmacklos, verzeichnet, fast komisch). – 8) Costumbild. Als Parthenia in Halm’s „Sohn der Wildniß“ zugleich mit Ludwig Löwe als Ingomar in der Scene: „Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag“. Cajetan del., J. W. Zinke sc. [Beilage der Theater-Zeitung von Bäuerle. Eben auch kein sehr gelungenes Bild.] – 9) Costumbild. Als Lady Elisabeth Claypole in Raupach’s „Cromwell’s Ende“. Auf einem Blatte zugleich mit Karl Laroche, der in der Rolle Cromwell’s dargestellt ist. Schöller del., Zechmayer sc. [Beilage der Theater-Zeitung von Bäuerle. Verzerrt und geschmacklos, wie alle Zeichnungen Schöller’s). – 16) Julie Rettich als Thusnelda in „Der Fechter von Ravenna“. Nach einer Photographie von Heinrich Bucker in Dresden (Berlin, Verlag von Eduard Bloch, 4°.) [ganze Figur, colorirt; gutes und ziemlich ähnliches Costumbild]. – 11) Costumbild. Unterschrift: Julie Rettich als Thusnelda in F. Halm’s Fechter von Ravenna. Deis (sc.). Ganze Figur (Fol, Stahlstich), in dem von Karl Hoffmann in Stuttgart [337] herausgegebenen „Theater-Album“. – 12) Ihr Bild als Maria de Molina in Halm’s gleichnamigem Drama, von Eybl in Oel gemalt, befindet sich in der von Kaiser Joseph II. gegründeten Gallerie der Wiener Hofschauspieler im Burgtheater unweit der kaiserlichen Loge.
VI. Handschrift. Das „Deutsche Stammbuch“ enthält in facsimilirter Schrift folgende, nicht blos geschriebene, sondern von der Künstlerin im Leben auch verwirklichte Devise:

„Du mußt der Kunst dich ganz, nicht halb ergeben,
Sonst taugt nicht deine Kunst und nicht dein Leben.
Wien, d: 12/9 1852.          Julie Rettich.“

VII. Begräbniß und Grabdenkmal. Fremden-Blatt. Von Gust. Heine (Wien, 4°.) 1866, Nr. 102: „Julie Rettich’s Leichenbegängniß“. – Neue freie Presse 1866, Nr. 583: „Julie Rettich’s Begräbniß“ [mit der von Dr. Laube an ihrem Sarge gesprochenen Rede]. – Presse 1866, Nr. 102, im Local-Anzeiger: „Leichenbegängniß der Frau Julie Rettich“. – Wiener Zeitung 1866, Nr. 89, S. 174: „Leichenbegängniß der Frau Rettich“. – Grabdenkmal. Frau Julie Rettich liegt in Wien auf dem protestantischen Friedhofe begraben. Ein schöner Granitsockel, der in einem Medaillon das wohlgetroffene Bildniß der Künstlerin weist, trägt folgende Inschrift: Juwel der Kunst, Juwel der Frauen, | Im Kleinen groß, im Großen unerreicht; | Treu jeder Pflicht, ward jede Pflicht Dir leicht. | Dich werden wir nicht wieder schauen.
VIII. Cajetan Cerri zeichnet von Julie Rettich folgende zutreffende Silhouette: „Eine geborene Tragödin. Diese hehre, schlanke Gestalt, dieses edle Ebenmaß der Glieder und Formen, diese imponirende, würdevollernste Erscheinung, das Alles ist gemacht, um vom hohen Kothurn getragen zu werden. Ovales, blasses Gesicht mit ausdrucksvollen, leichtbewegten und scharfgezeichneten Zügen; braunes Haar; weite Stirne; dunkelfeuriges, besonders schöngeschnittenes Auge; Adlernase; um den Mund ein eigenthümlicher, halb gutmüthiger, halb sarkastischer Zug; wohlgeschultes, wirksames Organ; vorzügliche Aussprache; ungeziertes und doch vornehm gemessenes Portamento; riesiges Gedächtniß. Um das Genie dieser großen Künstlerin auf der Bühne vollkommen würdigen zu können, muß man sie in zwei so diametral entgegengesetzten Rollen, wie beispielsweise „Elektra“ und „Neuberin“, nacheinander gesehen haben. Im Privatleben heiter, warm, deutschhäuslich und durch Geist und Gemüth ungemein anregend und fassend; besonders bemerkenswerth ist auch ihre enorme Belesenheit.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 71.
  2. Vorlage: Gretcher.
  3. Vorlage: mannnigfaltigen