Prinz Tu-Ta-Tu

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Textdaten
Autor: Louis Angely, nach Thomas Sauvage
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Titel: Prinz Tu-Ta-Tu
Untertitel: Burleske mit Gesang nach Sauvage
aus: Neustes komisches Theater von Louis Angely. Erster Band. Hamburg: Magazin für Buchhandel, Musik und Kunst 1836, S. 255–307
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Erscheinungsdatum: 1836
Verlag: Magazin für Buchhandel, Musik und Kunst
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
basiert auf Fich-Tong-Khan, ou L’orphelin de la tartarie, Parade chinoise en un acte. Paris 1835 Google
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[Ξ]
Prinz Tu-Ta-Tu.
Burleske mit Gesang
nach
Sauvage
von
Louis Angely.

[Ξ]
Personen.
Ka-ka-ho, der Zweiundsechszigste, Kaiser von China.
Tu-Ta-Tu, tartarischer Prinz, als Gaukler verkleidet.
Ka-Ut-Tschuh, Mandarin.
Gu-Lu-Li, seine Tochter.
Puff-a-Puff, auch ein Mandarin.
Noch mehr Mandarinen.
Wachen. Sclaven. Volk.


Scene: die Hauptstadt Peking.

[Ξ] Das Theater stellt einen großen Saal in einem chinesischen Pallaste vor. Im Hintergrunde eine Gallerie, nach freier Gegend führend und mit einer Balüstrade begrenzt. Vorn links eine ungeheure Thee-Vase. Quer über der Bühne, ungefähr an der dritten Coulisse, drei Piedestals, worauf drei Pagoden in Lebensgröße stehen. Rechts vorn mehrere Kissen zum Sitzen.


Erster Auftritt.
Gululi, (allein, steht an der Balüstrade und schaut auf den Platz). Volk, (von außen).
Chor des Volks (von außen).
Erster Theil.

Ha! Bravo! bravo! Das war schön!
So etwas hat man nie gesehn!
Auch dieses Stück gelang ihm sehr!
Man glaubt es nun und nimmermehr.

[258]
Zweiter Theil.
5
Ach! das war einzig! welche Kraft!

Was der uns für Vergnügen schafft!
Nein! so was hat man nie gesehn,
Das ist wahrhaftig wunderschön!
Bravo! bravo! bravo!


Volk (von außen).

Herrlich! trefflich! bravo! o! o! o! o!

Gululi. O liebenswürdiger, unübertrefflicher Künstler! jeden Tag erscheinst Du auf diesem Platze, produzirst Deine göttlichen Kunststücke, und jeden Tag finde ich ein neues Vergnügen sie und Dich zu bewundern. (Rufend.) Bravo! bravissimo! – Ha! jetzt stellt er einen spitzen Degen auf seine gigantische, colossale Stirn! – o trefflicher Equilebrist, wie balancirst Du ihn so meisterhaft! – Hu! man ergötzt sich, und schaudert zu gleicher Zeit! – Sieht es doch aus, als beschäftige er sich gar nicht mit dem, was er thut! – immer blickt er hier herauf! – Es ist ein schöner Mann! – von ausgezeichneter Tournüre! – pfui! Gululi! schäme dich! Du Tochter des Premier-Ministers Ka-ut-tschuh, seiner Seits rechter Arm des erhabenen Ka-ka-ho des zweiundsechszigsten, Kaisers von China – du würdigst dich herab, einem gemeinen Gaukler einen Blick zuzuwerfen?! – Aber, ach, gemeiner Gaukler! warum bist Du so schön, [259] in einem Lande, wo die meisten Männer nur Affen und Pagoden gleichen! – Gululi hat ein Herz, und –

Volk (von außen, ängstlich schreiend und rufend). O! ah! o! ei! ah! o weh!

Gululi (erschrickt und wendet sich wieder nach dem Platze). Welch Jammergeschrei! was geschieht? was geschah? Die Menge umringt ihn! Hat er sich verwundet? (Ruft.) Kioly, Mahala! (Zwei chinesische Sclavinnen erscheinen). Rasch eilt hinab auf den Platz! Dem jungen Künstler ist ein Unglück zugestoßen! man soll ihn sogleich in den Pallast, zu mir hieher führen. (Die Sclavinnen eilen hinaus). Der arme, holde Jüngling! und ich bin die Ursache seines Unfalls! er sah mich an, ich sah ihn an, dies zerstreute ihn, und das schwebende Schwerdt senkte sich vielleicht in sein schönes Auge! Nun wird es mir Pflicht, ihm beizustehen! Menschlichkeit ziert auch eine Ministerstochter! Ha! sanfte Töne erschallen! er ist’s!


Zweiter Auftritt.
Sclaven und Sclavinnen Gululi’s führen Tutatu herbei. Gululi.
Chor.

Ach Prinzessin, habt Erbarmen!
Seht, die Kraft verläßt den Armen.
Athmen kann er fast nicht mehr!
Schafft Hülfe! ach, er leidet sehr!

[260] Tutatu (stöhnend). Oh! oh! oh!

Gululi. Was sagt er?


Chor.

Er stöhnt vor Schmerz.

Tutatu. Ah! ah! ah!

Gululi. Himmel, das bricht mir das Herz.

Tutatu. Oh! oh! oh!

Gululi. Könnt’ ich ihm Linderung gewähren!

Tutatu. Ah! ah! ah! es will der Schmerz mich verzehren!

Gululi. Brennt’s?

Tutatu. Ja.

Gululi. Wo?

Tutatu. Hier.

Gululi. Sticht’s?

Tutatu. Ja.

Gululi. Wo?

Tutatu. Hier.

Gululi. Pocht’s?

Tutatu. Ja.

Gululi. Wo?

Tutatu. Hier.

Gululi. Schlägt’s?

Tutatu. Ja.

Beide. Weh’ mir.

[261] Zugleich.[WS 1]

Chor und Gululi.

Der Arme leidet gar zu sehr!
Er ist erschöpft, er athmet schwer!
Vielleicht hilft Ruhe ihm allein,
Drum laßt uns ruhig seyn.

Tutatu.

Sie glauben all’, ich leide sehr.
Zu täuschen sie, ward mir nicht schwer.
Sie lassen mich mit ihr allein,
Wie glücklich werd’ ich seyn.

(Die Sclaven haben Tutatu auf die Kissen gelegt, und betrachten ihn neugierig.)

Gululi. Er bedarf der Ruhe, der Erholung! entfernt Euch! ich folge!


Chor.

(Wiederholt.)

Leise laßt uns ihn verlassen,
Er wird neue Kräfte fassen,
Ruhe wird ihm nöthig seyn,
Darum laßt ihn allein.

(Das Gefolge geht ab; Gululi will folgen, sieht aber zögernd nach Tutatu zurück.)

Tutatu (für sich). Meine List gelang! ich bin im Pallaste!

Notes

  1. Die folgenden zwei Strophen sind zusammengeklammert.

[262] Gululi. Wenn er sich ermuntert hat, werde ich wiederkehren.

Tutatu (springt auf, hält sie zurück und stürzt zu ihren Füßen). O bleib, und verlaß mich niemals, reizende Gululi! Du siehst Deinen treuen Sclaven zu Deinen Füßen!

Gululi. Wie? – und Deine Wunde –?

Tutatu. Ein Gauklerkniff – ein schlechter Witz –!

Gululi. Deine Ohnmacht?

Tutatu. Ein Zopf – ein bedeutender – Dir zu Liebe! O schönstes Chinesenkind!

Gululi. So bist Du gar nicht krank?

Tutatu. Krank? Ich bin so gesund, wie der gemeinste Mensch; und das ist mein Unglück, denn ich habe einen Appetit, vor dem die Natur sich revoltiren würde; doch mit der Leere meines Magens paart sich die Leere meines Geldbeutels. Ich bin nicht Herr über die armseligste Münzsorte des weiten Kaiserreichs. So gering ist der Bestand meiner Casse, o anbetungswerthes Weib! Schließe daraus auf meine Liebe!

Gululi (für sich). Ist es denn möglich? (Laut.) Du liebst mich? Du? entferne Dich, kecker Gauckler! wagst Du es, Deine Blicke bis zu der Tochter eines Mandarinen, eines Colao zu erheben?

Tutatu. Was Mandarin, was Colao! Und wärst Du die Tochter eines chinesischen Peruckenmachers – mir gleichviel! Wir sind verwandt mit einander – [263] zwar etwas weitläuftig, aber unbestreitbar. Wir stammen beide von Adam und Eva ab. Das ist witzig, was ich sage, und besonders neu – denn Du hast es gewiß noch nicht gewußt. Ja, wir sind beide Kinder Adam’s und Eva’s, wenn wir auch im Costüm einiges verändert haben. Du staunst? O cölestes Wesen, Du hältst mich vielleicht für einen jener altmodischen Marktschreier, die mit gallonirten Röcken und goldbeblechten Westen, den Weltglobus umkreisen, Schweizer-Wundbalsam, Eau de Cologne und Schneeberger Schnupftaback verkaufen, die die Zähne mit sammt dem Zahnfleisch unter Begleitung der großen Trommel ausreißen, und Gradgewachsene krumm kuriren? o nein! gegen diesen antiphilantropischen Stand fühle ich eine natürliche Antipathie!

Gululi. Wer seyd Ihr denn?

Tutatu. Niemand kann uns sehen – niemand kann uns hören? Nun, dann engelgleiche Creatur, ich öffne Dir mein Herz – und meinen Ueberrock.

Gululi. Was werde ich hören! was werde ich sehen?

Tutatu. Unter diesem verächtlichen, von Zeit und Elend durchlöcherten Schanzläufer, unter diesen Stiefeln, deren schöne Tage in Arranjuez längst vorüber sind, ohne daß sie heiterer wurden, unter dieser Cravatte, die in ihrer Jugendblüthe den glänzendsten Ruf eines kostbaren Madras-Tuches genoß – unter allen diesem – o Gululi – weißt Du, was unter allen diesem steckt?

[264] Gululi. Du erschrickst mich.

Tutatu. Fürchte nichts. Darunter steckt ein completter Tartarischer Prinz!

Gululi. Ein Tartarischer Prinz?

Tutatu. Complett! – Um die höheren Behörden und Statsgewalten zu täuschen, ward ich sogar gezwungen, eine Perucke zu tragen. (Er nimmt seine Perücke ab, sein Haupt ist kahl und hat nur auf dem Scheitel ein Büschel Haare.) Sieh hier meinen ächten Ursprung. Ich bin der unglückliche, glückslose, beklagenswerthe Tutatu, in der schönen Tartarei geboren, und im zarten Alter von siebzehn Monaten wegen Majestäts-Verbrechen gegen unsern geliebten Kaiser, den grausamen Ka-ka-ho, zweiundsechszigsten seines Namens, auf ewig des Landes verwiesen.

Gululi. Wie? Du wärest –?

Tutatu. Tutatu! o!

Gululi. O Tutatu! Du Tutatu!

Tutatu. Ja Gululi! ich bin Tutatu!

Gululi. Und Du liebst mich?

Tutatu. Ob ich Dich liebe, hinreißendes Weib? Du fragst! Du kannst fragen? O schmähe meinen Charakter nicht!

Gululi. Nun – da Du meines Gleichen bist – da ich mich Deiner Liebe nicht mehr schämen darf, – so –

Tutatu (fragend). So? –

[265]
Duett.

Gululi.

Nun, so will ich denn gestehen –

Tutatu.

Was?

Gululi.

Daß ich –

Tutatu.

Daß –?

Gululi.

Daß ich –

Tutatu.

Daß Du –?

Gululi.

Dich wohl leiden kann.

Tutatu.

Sieh mal an!

Gululi.

Und seit ein’gen Tagen fühl’ ich, daß –

Tutatu.

Fühlst Du – was?

Gululi.

Daß mein Herzchen pocht –

Tutatu.

Es pocht?

Gululi.

Und kocht –

[266] Tutatu.

Es pocht und kocht – o ich beglückter Mann!
Also es pocht? –

Gululi.

Unmenschlich!

Tutatu.

Und warum?

Gululi.

Wie? warum?

Tutatu.

Ja, warum pocht es?

Gululi.

Weil –

Tutatu.

Weil?

Gululi.

Gott, wie dumm!

Tutatu.

Wer ist dumm?

Gululi.

Du!

Tutatu.

Ich?

Gululi.

Freilich, sonst verständest Du –

Tutatu.

Was? nur zu!

[267] Gululi.

Daß es nur für Dich pocht!

Tutatu.

Nur für mich?

Gululi.

Nun, ja doch, ja!

Tutatu (außer sich).

Gululi!

Gululi (eben so).

Tutatu!

(Sie stürzen sich in die Arme.)

Beide.

Ha! das wagt’ ich (er) nie zu hoffen.
Fast erdrückt mich (ihn) dieses Glück.
Ach ich seh (er sieht) den Himmel offen,
Ganz ätherisch wird sein (mein) Blick.

Gululi.

Und liebst auch Du mich tief?

Tutatu.

     Tief? frage nicht so naiv!
Ich schnitt es gern in alle Rinden ein,
Ich grüb’ es gern in jeden Kieselstein,
Ich möchte ziehen einen jungen Staar,

5
Bis daß er spräch’ die Worte rein und klar,

[268]

Auf jeden weißen Zettel möcht’ ich’s schreiben:
Dein ist mein Herz und wird es ewig bleiben!

Gululi.

Sein ist mein Herz, auf Stein will er es schreiben.

Tutatu.

Ja, Gululi, laß Dir schwören,
Ewig, ewig bin ich Dein!

Gululi.

Wirst Du mich auch nicht bethören?
Wirst Du mein auch ewig seyn?

Beide (hinsterbend).

Gululi und Tutatu.
Tutatu und Gululi.

Gululi.

Wie, Du weinest? ein Mann und weinen?
Was soll das greinen?

Tutatu.

Wen sollte das nicht rühren!

Gululi.

Das kann mir nicht passiren.
Ich bin ja so fröhlich,
So glücklich und selig,
Und immer umgaukeln mich Freud’ und Glück!

5
Doch Himmel! es trübt sich mein Blick!

[269] Tutatu.

Ha! auch Du fängst an zu weinen? Sapperment!
Mach dem Jammer jetzt ein End’!
Weihe Dich der größten Fröhlichkeit mit mir,
Sey vor Freuden außer Dir!

5
     Lache, jubilire,

     Jauchze, musizire,
     Tanze, hüpfe, springe,
     Juble, säusle, singe,
Dreh Dich mit dem ganzen Erdball rund herum,

10
     Hopptscharimaritschum!

Beide.

Ihr Götter, welch Entzücken!
Laß an die Brust Dich drücken.
Fort ist nun jeder Schmerz,
Mein ist nun Gululi’s (Tutatu’s) Herz.

Gululi. Ja, seit Du begannest auf diesem Platze zu gaukeln, überraschte ich mich oft bei dem Vorsatze, mir zuzulispeln: Dieser Zahnbrecher machte Eindruck auf dein Herz – er scheint ein schöner Mann zu seyn!

Tutatu (feurig). Soll ich diesen Schanzläufer von mir werfen, um mich Dir in der vortheilhaftesten Gestaltung zu zeigen?

Gululi. Nein, nein, noch nicht – denn ich zittere, ich fürchte, Dein kühnes Unternehmen möchte Dich zu einem entsetzlichen Resultate führen.

[270] Tutatu. Wie das?

Gululi. Der Kaiser verabscheut Deinen Namen. Dein Vater, Unglückseliger, hat einst eine Verschwörung gegen ihn anzetteln wollen. Wagt es selbst jetzt noch jemand, den Namen Tutatu auszusprechen, so bekömmt er Nervenzufälle, und giebt dann gewöhnlich die ungereimtesten, grausamsten Befehle!

(Man hört Trompeten und Cymbeln ertönen.)

Tutatu. Was ist das?

Ein Ausrufer (unten mit lauter Stimme ausschreiend). „Im Namen Kakaho’s des zweiundsechszigsten, Beherrschers des himmlischen Reichs, Kaisers von China und Cochinchina, Besitzers des weißen Elephanten und der vierundzwanzig Parasolls, thue ich kund: jeder zur Zeit in Peking sich aufhaltende fremde Ausländer und Einheimische wird eingeladen, sich auf dem kaiserlichen Zollamte einzufinden, und daselbst freiwillig sein rechtes Ohr zu deponiren. Verweigert er den Gehorsam, wird man auch ohne seine Bewilligung, ihn seiner beiden Ohren zu entäußern wissen!“

Tutatu. Freiwillig das rechte Ohr?

Gululi. Sonst unfreiwillig alle beide! – Nun, was sagst Du dazu?

Tutatu (wüthend). Wer sah je einen so monstruösen Chinesen!

Gululi. Sprich nicht zu laut, Geliebter!

[271] Tutatu. Du hast recht, Geliebte! (Sehr leise.) Wer sah je einen so monstruösen Chinesen! (Etwas lauter.) Aber was mag er mit so vielen Ohren wollen?

Gululi. Das weiß ich nicht. Doch die Ursache glaube ich zu errathen. Gestern nahm unser huldreicher Monarch Musik-Unterricht. Da nun der erlauchte Kaiser das Unglück hat, äußerst unrein zu singen, so brach sein ungeduldiger Gesanglehrer in die Worte aus: „Ew. Majestät haben nicht genug Ohr.“ – Und darauf gab er den Befehl, der eben proclamirt ward.“

Tutatu. O Abscheu erregendes Mißverständniß! – Wie? weil er nicht genug Ohr hat, sollen alle Fremdlinge ihm die ihrigen liefern? Das ist eine Kleinheit! eine Niedrigkeit! oh! er ist ein unwürdiger, ja, ein alberner Mensch!

Gululi. Ich höre Lärm!

Tutatu (ruhig). Ich auch.

Gululi. Man kommt –!

Tutatu. Wer – man?

Gululi. Die Stimme meines Vaters –! Götter! wenn er Dich hier träfe, Geliebter!

Tutatu. Was würde er mir thun, der alte ungebildete Mann?

Gululi. Wohin verberge ich Dich? – Ha! in die Theebüchse des Kaisers.

Tutatu. In die Theebüchse? – Darin muß es ja unglaublich unbequem seyn. Mir wäre die erste beste [272] chambre garnie angenehmer – gleichviel in welcher Etage.

Gululi. Wir haben keine Wahl. Darum besieh Dir das Gefäß der Rettung nicht erst lange, sondern steig’ hinein.

Tutatu. Gululi – ich bin in einer schauderhaften Lage – ich laufe in dieser Theebüchse – Gefahren – ich laufe entsetzliche Gefahren darin. Wie, wenn man siedendes Wasser auf mich gösse – mich zu einem Thee präparirte?

Gululi. Fürchte nichts – ich bleibe hier, und weiche nicht von der Stelle, bis ich Dich gerettet weiß.

Tutatu (steigt in die Vase). Ja, weiche nicht – und laß mich nicht weichen! O Natur! ward ich geboren, ein Theeblatt zu werden?


Dritter Auftritt.
Vorige. Ka-ut-tschuh.[WS 1]
(Tutatu steckt alle Augenblicke seinen Kopf aus der Theevase hervor, und zieht ihn wieder zurück.)

Kauttschuh (tritt lachend ein). Hahahaha!

Gululi. So heiter, mein Vater?

Kauttschuh. Meine Gululi – umarme den Urheber Deiner Tage. Ich bin das glücklichste Wesen, das die Sonne China’s in diesem Augenblicke bescheint. Ich habe mein Ohr gerettet, ich habe noch alle beide.

Notes

  1. „Ka-ut-tschu“ zu „Ka-ut-tschuh“ korrigiert.

[273] Gululi. Wie? – der Kaiser begehrte –?

Kauttschuh. Nicht allein die Ohren der Fremdlinge, auch die der Einheimischen; ja, er sprach selbst von der Nase. –

Gululi. Aber hat er denn den Kopf verloren?

Kauttschuh. Unter uns – es sieht beinah so aus. Wäre er ein gewöhnlicher Particulier, so würde man ihn für absolut toll halten. Seit einer Woche schon ist unser unglückseliger Beherrscher, – Besitzer des großen Elephanten und der vierundzwanzig Parasolls – der große Tien – wache über ihn – von einer beklagenswerthen Chimaire befallen. Er bildet sich ein, es sitze eine Fliege auf seiner Nase.

Gululi. Eine Fliege?

Tutatu (den Kopf heraussteckend). Eine Fliege?

Kauttschuh. Eine Fliege! und er strengt alle seine Kräfte an, um dieses vielfüßige Insekt zu verjagen. Dieses aber wankt und weicht nicht, aus dem einfachen Grunde, weil es gar nicht vorhanden ist. Begreifst Du, mein theures Kind, unter diesen Umständen die bejammernswerthe Lage seiner Mandarinen, seiner Minister?

Tutatu (wie vorhin). Sie ist schmachvoll.

Gululi. Das ist ja entsetzlich!

Kauttschuh. Um seine böse Laune zu beseitigen, habe ich ein Projekt ersonnen. Der Kaiser vergöttert die Musik! Es ist dieses Mannes schwache Seite. Du sollst ihm daher ein Lied vorsingen, ein kleines, niedliches [274] Lied, gleichviel aus welcher Tonart. Die Musik wirkt allmächtig auf nervenschwache Temperamente – die Strauße haben Gefühl dafür – das Dromedar hört sie nicht – ohne Gleichgültigkeit an, und so müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein Kaiser von China nicht so gefühlvoll wäre, wie ein Kameel.

Gululi. Ich soll dem Kaiser etwas vorsingen?

Kauttschuh. Singen. Und es wird Dir gelingen, seine Schwermuth zu bezwingen. Es wäre nicht das erste Beispiel der Art.

Gululi. Ich werde alles thun, was Du wünschest, doch unter der Bedingung, daß Du mir eine Bitte gewährst.

Kauttschuh. Laß hören – was verlangst Du?

Gululi. Eine Kleinigkeit – ich will mich vermählen.

Tutatu (den Kopf hervorsteckend). Ach – sie wagt ein kühnes Wort!

Kauttschuh. Vermählen? etwa mit Puffapuff?

Gululi. O nein, mit – einem unglücklichen Verbannten, dessen Name niemand in diesem Pallaste auszusprechen wagt.

Kauttschuh. Tutatu? Tutatu?!!

Gululi. Tutatu! – Er ist hier – ich habe ihn gesehen – ich liebe ihn –

Kautschuh. Du liebst ihn –?

Gululi. Er liebt mich – wir lieben uns –

[275] Kauttschuh. Ihr liebt Euch?! – Ha! der kleine Schelm! oh! der große Verräther!

Tutatu (zieht den Kopf zurück). Das Ding geht schief.

Kauttschuh. Wo ist er? daß ich ihn den gräßlichsten Martern überliefere! sag’ es mir, Gululi, und ich verspreche Dir – eine Locke von meinen Haaren.

Tutatu (steckt den Kopf vor). Ich glaube, der Augenblick, mich zu zeigen, ist jetzt nicht sehr günstig.

Gululi. Ich? Dir den überliefern, den ich liebe? O Vater! bin ich denn nicht mehr Dein Kind?

Kauttschuh. O – ich denke doch wohl; ja!

Gululi (mit Seele, phantasirend). Bin ich nicht mehr die süße Gululi, die Du einst so liebtest, und die jetzt sich zu Deinen Füßen windet und Dich anfleht, sie mit dem zu vereinen, den sie anbetet, oder das Leben zurückzunehmen, das Du einst ihr gabst?

(Liegt zu seinen Füßen.)

Tutatu (den Kopf heraus). Bravo! bravo!

Kauttschuh (weint). Hätte ich mich doch nie – meinem Kinde gegenüber – für so entsetzlich stupide gehalten.

Gululi (ihres Vaters Hände drückend). Mein Vater! Du bist gerührt?

Kauttschuh. Ich bin’s!

Tutatu (oben). Gerührter, deliziöser Greis! ich segne Dich!

[276] Kauttschuh. Doch still – Puffapuff, Mandarin der Finanzen, nahet sich. Er darf nichts ahnen – denn er ist der größte, feinste und zugleich dickste Bösewicht, den je mein Auge sah.


Vierter Auftritt.
Vorige. Puff-a-puff.

Puffapuff (lacht). Hehehehe! Ka–ut–tschu, ich komme!

Kauttschuh. Puffapuff, das seh’ ich, und zwar mit sehr vergnügtem Gesicht, woraus ich entnehme, daß der Zorn unsers Gebieters sich verdampft hat.

Puffapuff. Ja, Ka–ut–tschuh, er verdampfte sich. Sanft schlief der Beherrscher des himmlischen Reiches ein, und bei seinem Erwachen, hehehe, lieferte er der Fliege eine Schlacht! Hehehe! er hat sich mehr Faustschläge auf die Nase gegeben, als Sandkörner im gelben Flusse liegen. Es war lustig und traurig zugleich mit anzusehen. Ich habe ganz erbärmlich geseufzt, als ich den Zustand unsers geliebten Fürsten betrachtete. Er ist seiner eigenen Nase Henker. Doch, da kommen beide, – Er und seine Nase!

Kauttschuh.[WS 1] Entferne Dich, Gululi!

Gululi (für sich). Ich muß! O Du da drinnen, Tutatu! Dich bewahre ein günstiges Geschick! (Ab.)

Notes

  1. „Kauttschu“ zu „Kauttschuh“ korrigiert.

[277] Tutatu (oben). Ja, das ist leicht gesagt. Sie läßt mich stecken!


Fünfter Auftritt.
Der Kaiser Ka-ka-ho erscheint, getragen in einem reichen Palankin, von Wachen begleitet. Zu einer brillanten Musik tanzen Bayaderen vor ihm her. Volk kniet zu beiden Seiten des Hintergrundes vor ihm. Wenn er in den Vorgrund anlangt, werfen sich die Mandarine nieder und er steigt über ihren Rücken aus dem Palankin zur Erde. Kauttschuh. Puffapuff. Mandarine. Tutatu (in der Theevase).

Chor und Tanz.

Volk, juble laut! Kakaho naht,
China’s beglückender, leuchtender Stern.
Werft Euch zur Erde, bahnt ihm den Pfad,
Kriecht vor ihm her, das hat er gern.

5
Peking, Canton und Macao,

Preis’t den mächtigen Kakaho!
Tamtams tönen! Glocken klingen.
Den Erhabenen zu besingen,
Volk, juble laut etc. etc.

10
Hoch Kakaho – Kakakakakaho! Hohohohohoho! Hoch!

Puffapuff. Sonne der Chinesen, Stern von Peking, Fackel des ganzen Erdkreises – erhabener Abkömmling [278] der Tschangs, der Tschongs, der Tschings und Tschas! glücklicher Souverain von Tsching, Ton Fu, Tsching-kiang-fu, Yong Zing Hu, Payhang-fu –

Kakaho. Und andern Provinzen in Hu und Fu.

Puffapuff. Um Deiner Langenweile einige Kurzweil zu verschaffen, sind wir bereit, auf unsere Ohren zu verzichten, ja, wenn es Dir Spaß machen kann, auch auf unsere Nasen, unsere Zungen et cetera – und sie zu Deinen Füßen zu deponiren.

Volk. Es lebe Kakaho

Kakaho. Chinesen, ich bin gerührt! Stets mit neuem Vergnügen sehe ich mich von China umgeben! ja, China behagt mir täglich mehr. (Mit kläglicher Stimme.) Obgleich ein Ereigniß von höchstem Interesse meinen Körper jetzt belästigt. Ich schlafe nicht mehr, ich trinke nicht mehr, ich esse nicht mehr, überall in mir ist ein Stillstand eingetreten. Alle meine animalische Activität hat sich in meine Nase gezogen. Ich bin der wilden Raubbegierde einer Fliege preisgegeben – halt! halt! jetzt hat sie sich gesetzt. (Er versucht, sie zu fangen.) Wutsch – weg ist sie! – nun, komm mir nur wieder! ich erwische dich doch. – (Wieder kläglich.) Chinesen, Ihr seht den allerbeklagenswerthesten der Menschen vor Euch! Meine Nase ist dick, nicht wahr?

Puffapuff. Und wer hätte nicht eine dicke Nase?

Kakaho. Sie ist geschwollen, sehr geschwollen – und das geht ganz natürlich zu. (Er macht eine heftige [279] Bewegung, giebt sich einen bedeutenden Schlag auf die Nase und ruft wüthend aus:) Möge der große Tin dich annulliren, dich zerschmettern. (Gerührter.) Sie hat ihren Wohnsitz da aufgeschlagen, wo Ihr sie seht – und sie entwürdigt, degradirt diesen Ort. Meine Nase befindet sich gänzlich in der Lage des Prometheus – Ihr wißt nicht, wer Prometheus war, Ihr seyd krasse Ignoranten – Ihr seyd dumm, wie die Meilenzeiger! – Chinesen! Der Thron ist in Trauer gehüllt! Dieses Vieh sticht mich mit einer Blutgier, die in der allgemeinen Geschichte China’s ohne Beispiel ist. Und wenn ich in der Zukunft gedenke, die mir bevorsteht, so vergieße ich an Thränen so reichliche Ströme, um die ganze Umgegend von Peking unter Wasser zu setzen. Denn, Chinesen, wenn es mir gelingt, diese verhaßte Fliege zu fangen, wenn dieses Ungeheuer vielleicht gar andere ihr befreundete Thiere anlockt, – so wird meine Nase das Vaterland der Insekten – ihr schönes Vaterland – dann wird es keine Nase mehr seyn – nein, ein Bienenkorb, ein Wespenkorb, ein – oh! Chinesen! hab Ihr je etwas Entsetzliches erlebt? – Ich habe die berühmtesten Aerzte von Peking zu mir entboten; sie haben sieben Consilia gehalten, und endlich einmüthig beschlossen: das einzige Mittel, die fragliche Creatur zu vernichten, sey, meinen Kopf zwei Stunden lang in siedendes Wasser zu stecken. – Ich bin kein Mediziner, allein ich erkläre demungeachtet, daß dieses Mittel eine ganz besondere [280] Unbehaglichkeit für den Kopf darbieten müsse. Ah! für den Charakter der Fliege – ganz gut raisonnirt – für die Annehmlichkeit des Kopfes – ganz schlecht! – Siedendes Wasser der Fliege – sehr zuträglich – dem Kopfe aber – äußerst inconvenabel!

Alle (lachen mächtig). Hahahahaha!

Kakaho (ernst). Ich weiß nicht, weshalb Ihr lacht, Chinesen! Mein Zustand ist in der That keinesweges komisch. – Jetzt – Mandarinen, die keinen Begriff von Litteratur und Poesie habt – doch das thut nichts – ehe wir uns dem Interesse des Staates weihen – macht es mir Vergnügen, Euch eine Tasse Thee von der letzten Erndte zu offeriren. Einen großen Theil davon ließ ich hier in meine kaiserliche Theebüchse schütten.

Tutatu (den Kopf heraussteckend). Also darum stehe ich so weich! so elastisch! so aromatisch!

Kakaho. Ka–ut–tschu! laß siedendes Wasser herbeibringen.

Kauttschuh. Für Ew. Majestät Nase?

Kakaho. Nein, für meinen Thee.

Kauttschuh. Ich gehorche! (Ab.)

Kakaho (bei Seite). Ich habe da ein sehr geistreiches Mittel gefunden, ihn zu entfernen!

Tutatu (oben). Er gehorcht, der alte Dummkopf, und ich bebe!

[281]
Sechster Auftritt.
Kakaho. Puffapuff. Tutatu. Mandarinen. Volk (im Hintergrunde).

Kakaho. Mandarinen – leiht mir Euer Ohr.

(Alle erschrecken.)

Kakaho (lacht). Nein, figürlich, nicht wirklich – ich weiß nicht, aber ich habe die Idee – Ka–ut–tschu sey ein Schelm! – Ich habe nun einmal die Idee.

Puffapuff. Und worauf gründet Deine Majestät diesen entsetzlichen Verdacht?

Kakaho. Als ich mich gestern in meinem großen Kiosk befand, erblickte ich genannten Ka–ut–tschuh, welcher gemächlich um den Rand des Marmorbassins promenirte, und mit einer ganz besonderen Aufmerksamkeit die, diesen Bassin bewohnenden Fische betrachtete.

Puffapuff. Darin sehe ich unterthänigst noch keine Veranlassung –

Kakaho. Schweig! – Warum promenirte Ka-ut-tschu so gemächlich um den Bassin, und besah sich mit einer ganz besonderen Aufmerksamkeit die Fische, die ihn bewohnen?

Puffapuff. Ah! – das weiß ich nicht!

Kakaho. Ah! – und ich auch nicht! – also!

Tutatu (oben). Ah! sind das einfältige bornirte Menschen!

[282] Kakaho. Denn ich sage, daß ein Mandarin, der da promenirt – um das was Ihr wisset, – und sich das besieht – was ich Euch auch nicht zu wiederholen brauche – und zwar mit einer Aufmerksamkeit – wie ich sie Euch beschrieb – daß dieser Mandarin ein Mann ist, welcher entsetzlich mitternächtliche Projekte im Schilde führt, um so mehr, als ich vor kurzem Lust verspürte, ihm die Ohren abschneiden zu lassen, und dieser Schalk scheinbar darüber durchaus nicht bekümmert schien. Ist das eine Aufführung, frage ich?

Puffapuff (sich verbeugend). Ich bin ganz der scharfsinnigen Meinung meines Fürsten – man muß diesen Mann streng beobachten lassen. (Für sich.) Ich glaube, die Sonne von Peking ist mit einem Schleier von Stumpfsinn überzogen!


Siebenter Auftritt.
Vorige. Kauttschu (von einigen Sclaven begleitet, welche heißes Wasser in einer enormen Kaffeekanne herbeitragen). Gleich darauf Gululi.

Kauttschuh. Hier ist kochendes Wasser zu Ew. Majestät Thee.

(Tutatu seufzt laut in seiner Theebüchse.)

Kakaho. Sclaven! gießt auf!

(Die Sclaven wollen gehorchen, als Gululi in großer Bestürzung herein eilt.)

[283] Gululi. Haltet ein! haltet ein!

Kauttschuh (für sich). Meine Tochter!

Kakaho. Warum schreiest Du: haltet ein!

Gululi. Ach, Majestät, verzeih’ –

Kakaho. Rede, ehe ich Dir verzeihe.

Gululi. Wo hat man das Wasser, womit man Deinen Thee bereiten will – wo hat man es geschöpft?

Kakaho.[WS 1] Aber welche Sapperments-Frage? Bin ich mein eigener Wasserträger? schöpfe ich mein Wasser selbst? Ich weiß nichts davon – daß ist die Sache meiner Minister. – He? wo hat man dieses Wasser geschöpft?

Puffapuff. Ich weiß es so wenig wie Du, mein Gebieter.

Kauttschuh. So geht es mir auch. Ich weiß es auch nicht.

Kakaho. Wie? Ihr alle wißt es nicht? Ihr lebt also wie die Dummköpfe in die Welt hinein, ohne das allermindeste Wissen?

Ein Sclave. Wenn mein allergnädigster Kaiser mir befiehlt zu reden –

Kakaho. Wirf Dich auf den Bauch und rede!

Sclave (wirft sich nieder). Dieses Wasser ist aus dem Marmorbassin geschöpft worden.

Gululi. Aus dem Marmorbassin? ach, Majestät, um des Himmelswillen, so trinke nicht davon. Seit gestern sterben die Fische dieses Bassins zu Hunderten,

Notes

  1. "Knkaho." zu "Kakaho." korrigiert.

[284] und Alles läßt mich glauben, dieses Wasser könne Dir äußerst verhängnißvoll werden!

Kakaho. Oh! (Zu den Sclaven.) Werft Euch auf Kauttschu! werft Euch auf ihn und ergreift ihn!

(Zwei Sclaven ergreifen Kauttschu.)

Kauttschuh. Mich? und warum?

Gululi. Mein Vater! (Freudig.) Tutatu ist gerettet!

Kakaho. Ah, ah, Freund Kauttschu! Du wolltest mich vergiften, ahntest nicht, Deine Missethat entdeckt zu sehen! – Man führe ihn in die neunzehnte Etage des Porzellanthurmes.

Kauttschuh. In die neunzehnte –

Kakaho. Ja, in die einundzwanzigste, wenn Du Dich sperrest –!

Kauttschuh. Ah! Du bringst mich aus der Fassung! – aber aus aller Fassung! Nun denn, so höre die Wahrheit! – Du hast keine Fliege auf Deiner Nase! – Unglückseliger! Du hast so wenig eine Fliege auf Deiner Nase, als ich einen Elephanten auf meiner Hand.

Kakaho. Ah! – ach!! – pschitt! – pschitt! – Ich habe keine Fliege auf meiner Nase? Chinesen, hört Ihr das?

Kauttschuh.[WS 1] Du bist Sclave einer schmählichen Einbildung – Du bist –

Notes

  1. "Kautschuh" zu "Kauttschuh" korrigiert.

[285] Kakaho (außer sich). Oh! – führt ihn fort! schneidet ihm die Arme ab, den Kopf, die Füße, die Haare, die Nägel – und bringt mir seine Trümmer! alle seine Trümmer!

Arie mit Chor.

Kakaho.

Nehmt den Bösewicht gefangen,
Spießet ihn auf heiße Stangen,
Schnürt dann diesem Kauttschu
Die verwegne Kehle zu.

5
Ach, ich bebe! ich erliege!

Denn er streitet mir die Fliege
Kecklich von der Nase ab.
Ha! das bringet mich in’s Grab.
     Nehmt den Bösewicht etc.

(Er geht wüthend ab; die Sclaven wollen sich Kauttschuh’s bemächtigen, Gululi hält sie flehend zurück.)

Kauttschuh und Gululi.

Ha ich fühle mich erbeben!
Der Tyrann will mir (ihm) an’s Leben,
Und ich (er) muß mich (sich) drein ergeben,
Eine Fliege gräbt mein (sein) Grab.

Chor.

Nun fort! nun fort! nun fort!

[286] Gululi und Kauttschuh.

O Chinesen, laßt Euch rühren.

Chor.

Nein! nein! nein!

Gululi und Kauttschuh.

Könnt Ihr mich (ihn) zum Tode führen?

Chor.

Muß so seyn!

Kauttschuh und Gululi.

Denkt es muß mich sehr verdrießen!

Chor.

Schadet nicht!

Kauttschuh und Gululi.

Wolltet Ihr sogleich mich (ihn) spießen.

Chor.

Unsere Pflicht.

Kauttschuh und Gululi.

Gern noch weilt’ ich (er) hier auf Erden,
Ach zu früh trifft mich (ihn) der Tod!

Chor.

Nein, des Kaisers Machtgebot
Muß schnell vollzogen werden.

(Sie ziehen Kauttschuh hinaus; Gululi folgt händeringend.)

[287]
Achter Auftritt.
Tutatu (steigt aus der Vase).

     Sie sind fort! – uf! ich fing an, mich zu ennuyiren! stand da auf einem verwünschten Posten. – Zum erstenmale bewohnte ich einen Theekessel – und habe genug daran. – Wollte ich nicht überlaufen, mußte ich mich in diesem Logement entsetzlich einschränken – einen Arm im Henkel und den andern im Halse! – Ha! ohne die Dazwischenkunft meiner theuren Gululi wurde ich zu einem ungeheuren Thee präparirt – und ich bin gar kein Freund von Thee – reiner Anbeter des Kaffee’s. – Aber es kommt mir vor, als ob Kakaho durchaus keinen Spaß verstünde – wurde ich hier entdeckt – hätte er mich lebendig schinden lassen. – Ich möchte hier hinaus – denn ich habe die Schwachheit, sehr an meiner Haut zu hängen, – eine Neigung, die jeder rechtliche Mann begreifen wird – sie erscheint sogar natürlich, wenn man sieben und zwanzig Jahr des Lebens mit einander verbunden war. – Aber wohin rette ich mich? (Sieht hinaus). Nirgend ein unbesetzter Ausgang! Ueberall Chinesen! O wie langweilig!

[288]
Neunter Auftritt.
Gululi. Tutatu.

Tutatu. Ah, bist Du es, Engel meines Lebens! Jetzt bete ich Dich noch sechsmal mehr an, als vorher. Du mußt mir einen Plan zu meiner Flucht entwerfen.

Gululi. Du willst fliehen? O denke daran nicht. Besser wäre es, Du verstecktest Dich!

Tutatu. Mich wieder verstecken? Soll ich denn mein ganzes Leben damit zubringen, Versteck zu spielen? Das ist unwürdig! das ist keine Existenz! niemand kann mich zwingen, das eine Existenz zu nennen!

Gululi. Aber wenn man Dich findet? – In dem Stande der Aufregung, in dem der Kaiser jetzt sich befindet? Das Geringste, das Dir geschähe, wäre, Dich in den gelben Fluß zu stürzen.

Tutatu. In’s Wasser? wie? erst Wasser auf mich, dann mich in’s Wasser! Das fehlte mir noch! (Man hört großen Tumult.) Ha! Barmherzigkeit! welch’ ein Tumult! – Gululi! ich will fort von hier! verstecke mich, wo Du willst, aber nur fern von diesem grausen Orte! – Reiß mich fort! trag’ mich fort!

Gululi. Aber wo soll ich Dich denn hinlegen?

Tutatu. Mir gleichviel! Reiß mich fort, oder ich vernichte alles um mich her! ich überlasse mich den allerentsetzlichsten Verwüstungen. O Du weißt nicht, [289] was das sagen will, ein tartarischer Prinz – der sich fürchtet.

(Er packt die Kissen und wirft sie im Saal umher.)

Gululi. Um aller Götter willen! beruhige Dich!

Tutatu (exaltirt). Nimmermehr! (Er nimmt einen langen Stock und schlägt damit auf die Pagoden.) Da! da! ich werde lächerlich! ich schlage um mich herum! ich verachte alle Gegenstände. (Ein Kopf einer Pagode fällt herab.)

Gululi. Ha! was hast Du gethan? Diese Pagode zerschlagen! Tutatu! verlierst Du den Kopf?

Tutatu. Ich nicht! diese Pagode verlor ihn! Aber mir gleichviel! Ich dürste nach Köpfen! Ganz China ist mir odiös! Ich könnte China pulverisiren!

Gululi. Da kommt der Kaiser!

Tutatu. Schon? Der Ungeheure! und was will er hier? (Wüthend.) Ich frage, was will er hier?

Gululi. Verbirg Dich, geschwind!

Tutatu (ängstlich). Aber wo? aber wo? (Er steigt in den gehöhlten Leib der Pagode, dessen Kopf er zerschlug.) Ha! Gululi! der Himmel begeistert mich! (Steckt seinen Kopf heraus.) So! was sagst Du dazu?

Gululi. Aber Deine Perücke!

Tutatu. Du hast recht! – (Er nimmt sie ab.) Weg damit!

[290]
Zehnter Auftritt.
Vorige. Kakaho.

Kakaho (noch immer zornig). Der Nichtswürdige! der Elende! – streitet mir meine Fliege ab – die Fliege, die ich mit meinen eignen beiden Augen sehe – pschitt! – ich muß deshalb schielen – ja, ich schiele – und dieses giebt meinen Ansichten eine ganz verkehrte Richtung.

Tutatu (bei Seite). Der Schreck fährt mir in meine Waden – und mit dem Schreck zugleich ein widerwärtiger Krampf.

Kakaho. Ah, sieh’ da, Du hier, junges Mädchen? – Betrachte mich! siehst Du meine Fliege?

Gululi. Ich sehe sie auf das Deutlichste!

Tutatu (bei Seite). Schmeichlerin! verkauft sich der Gewalt!

Kakaho. Gute Chineserin! – Ach! aber ich bin untröstlich! ich weiß nicht mehr, was ich beginnen soll, um mich zu zerstreuen. Zum Glück habe ich hier diese Pagoden, die müssen mir zuweilen etwas vornicken und vorwackeln – darüber lache ich – und dann bekomme ich etwas Appetit.

Tutatu (für sich). Welch ein abgeschmacktes Magen-Reizungs-Mittel!

Kakaho. Betrachte sie, Gululi! es sind Meisterstücke! Werke des berühmten Bildhauers Tschi-tschi-fu! [291] Er hat einen Ausdruck der Fröhlichkeit in’s Gesicht gelegt, der mir gemüthlichen Frohsinn bereitet. Hast Du diese Pagoden schon jemals nicken und wackeln gesehen?

Gululi. Niemals, – aber ich liebe das nicht. (Für sich.) Ich zittere.

Tutatu (für sich). In diesem Augenblick tanze ich auf dem Krater eines Vulkans! ich tanze darauf!

Kakaho. Oh, ich kenne nichts putzigeres, als dieses Divertissement! Ich gewähre es Dir, als eine besondere Gnade. Ping–pang–bum–paff! (Er stößt mit dem langen, dazu bereit liegenden Stocke an die Pagoden, also auch an Tutatu, und er muß mit den übrigen hin- und herwackeln und nicken. NB. Mit Musik.) Hahahahaha – Hahahaha! Deliziös! Unvergleichlich! Die Bildnerkunst hat unter meiner Regierung ungeheure Fortschritte gemacht.

Tutatu (versucht es, wie die übrigen, ein lachendes Gesicht zu schneiden, und wackelt hin und her.) Ich kann nicht mehr! mir wird schwindlich!

Kakaho (stößt zum zweitenmale an Tutatu’s Backe). Immer zu! klipp! klapp! klipp! klapp! Der hier ist wirklich göttlich. Der ist am allernatürlichsten gemacht.

Tutatu (wackelnd). O säße ich noch in meinem Theekessel!

Kakaho. Hahahaha! Daß ist äußerst drollig! – Ich werde vergnügt! ich finde die Pagode wunderhübsch – und Dich, Gululi, wunderschön! (Er umfaßt sie.)

[292] Tutatu (für sich). Götter! jetzt wird meine Stellung unwürdig!

Kakaho. Wunderschön, sage ich! Du gefällst mir – Du gefallst dem Kaiser von China – ich gebe Dir mein Herz, und so viel Nanking, als Du nur begehrst – die Lust übermannt mich – ich vergesse meine Nase – ich öffne meinen Busen süßen Empfindungen.

(Will sie küssen.)

Tutatu (schreit). Halt ein, Unbändiger! hör’ auf! wart’! wart’! ich komme! (Steigt herab.)

Kakaho. Was ist das? eine Pagode, die da red’t! eine Pagode, die da klettert und geht? – Wachen! her zu mir! Ganz China eile herbei! ich bin in der allerentsetzlichsten Gefahr!

Gululi. Du bist verloren, Tutatu!

Tutatu (heroisch). Mir recht! Ich sterbe für Gululi.

Kakaho (schreit). Herbei, Millionen! oder ich lasse Euch alle umbringen.


Eilfter Auftritt.
Vorige. Puffapuff. Mandarinen. Sclaven. Soldaten (stürzen herbei).

Puffapuff. Was befiehlst Du, Kaiser!

Kakaho. Ergreift diesen Pagoden, und speißt ihn – spießt ihn auf der Stelle!

[293] Gululi. Götter!

Tutatu. Wie? speisen? mich speisen?

Kakaho. Nicht speisen! spießen! spießen!

Puffapuff (mächtig). Sclaven! man spieße ihn!

Tutatu. Willst Du wohl schweigen, abscheuliges Hippopotam oder Seekalb! für wen seht Ihr mich an? Glaubt Ihr, ich wäre in der Laune, mich einem so widerwärtigen Zeitvertreibe hinzugeben?

Kakaho. Du weigerst Dich? – Kurios! – Aber kühn! – So tritt zu mir Fremdling, und sprich, wer bist Du?

Gululi[WS 1] (leise zu Tutatu). Nenne Deinen Namen nicht!

Tutatu (leise zu ihr). Sey unbesorgt! ich habe einen Plan! eine voluminöse Idee! – (Zu Kakaho). Großer Beherrscher! angebeteter Kaiser von China! – Du siehst vor Dir eine demüthige Schnecke ohne Haus, die Du mit Deinen zartgeformten Füßen zertreten kannst.

Kakaho. Das ist hübsch gesagt – zart ausgedrückt –! aber Schnecke? Du bist eine Schnecke – das kann ich auch nicht fassen.

Tutatu. Ist auch sehr schlüpfrig zu fassen – So will ich denn ohne Metapher zu Dir reden. Ich bin einer von den dreitausend Millionen Europäern, welche das Erdreich ihres schönen Vaterlandes unter allerhand Vorwänden betreten, wechseln und vertauschen. Der eine nennt sich Geschäfts-Makler, und wirklich trifft

Notes

  1. "Gnluli" zu "Gululi" korrigiert.

[294] ihn kein anderer Makel als der, daß er keine Geschäfte macht, der andere unternimmt Subscriptionen auf Eisenbahnen und Dampfwagen, die nie angelegt werden, der dritte wird Schauspiel-Director in der Provinz und läßt Manuscripte aufführen, die er mit schweren Kosten – (Pantomime) an sich gebracht hat. Wieder andere bieten jungen heirathslustigen Männern in den Zeitungen Wittwen mit eingerichteten Wirthschaften und einigen hundert Thalern baaren Geldes zu Ehefrauen an; noch andere kuriren den Schnupfen und alle mögliche Hinfälligkeiten des Körpers durch das bloße Vorlesen des verschriebenen Rezeptes, u.s.w. Dieses Alles, o großer Mann, sind Variationen auf dasselbe Thema, das wir im Grunde alle mehr oder weniger executiren. Es heißt Industrie! Ich zum Beispiel bin Jongleur, Escamoteur, Tafelkünstler, Bauchredner, Advocat und Equilibrist! Eine ausgezeichnete, bewunderungswürdige Profession, und von unglaublichem Nutzen, namentlich für diejenigen, die sie ausüben.

Kakaho (zu Puffapuff). Das ist über alle Maaßen drollig, was er da sagt! – Dieser Fremdling hat mich in die allervollständigste Verblüffung versenkt! – Hört es, Chinesen! ich bin verblüfft! Und Du, gelehrter Ausländer, gehörst wirklich zu jenen außerordentlichen Menschen? Bist, wie ich mich auszudrücken pflege, ein Barbaren-Auge?

[295] Tutatu. Ja, Souverain! ein Barbaren-Auge; und ich kam nach China, um meine oben spezifizirten Künste zu produziren.

Kakaho. Deine oben – spezifizirten Künste? Wie so? Du hast mir einen Ueberfluß von Redensarten vorgesprochen – das ist ergreifend, sehr ergreifend – aber es verkündet mir durchaus nicht genau die Zweige, auf welchen Du Dich wiegst, (wohlgefällig, sich zu den Mandarinen wendend, wiederholend) auf welchen er sich wiegt!

Alle (bewundernd). Auf welchen er sich wiegt!

Tutatu. Die Zweige, auf welchen ich mich wiege, remarkabler Monarch? das ist außerordentlich witzig bemerkt. Kein Europäer würde sich so geistreich ausdrücken können.

Kakaho. Hehehe! Das glaube ich wohl. Der Witz kommt selten aus leeren Magen, und Ihr Europäer pflegt öfter zu hungern. Ich hingegen esse mich nicht allein täglich satt, sondern ich ernähre und erhalte auch innerhalb und außerhalb des himmlischen Reiches, alle Menschen. Ha! Ihr müßtet ja alle verhungern, wenn ich mich nicht herabließe, Euch Thee, Rhabarber und rohe Seide zu überlassen.

Tutatu. Allerdings trägt Thee, Rhabarber und namentlich rohe Seide sehr viel zu der Europäer Leibesnahrung bei.

Kakaho.[WS 1] Aus Euren unwichtigen Tuchen und Zeugen machen wir uns nichts, und die wenigen Hunderttausende,

Notes

  1. "," zu "." korrigiert.

[296] die an Handels-Abgaben von den Barbaren-Nationen eingehen, vermehren den Glanz des himmlischen Reiches nicht um ein Haar oder eine Flaumfeder. Doch, kommen wir wieder auf den Zweig zurück, (wohlgefällig) auf welchen Du Dich wiegest.

Tutatu. Erlaubst Du mir, Monarch, Dir eine Probe meiner Kunst vorlegen zu dürfen?

Kakaho. Eine Probe? vorlegen? Bist Du ein Musterreiter?

Tutatu (verächtlich). Fällt mir nicht ein. Ich bin ein Tausendkünstler.

Kakaho. Der Tausend!

Tutatu. Vergönnst Du mir, Dir eine oder zwei von meinen tausend Künsten zu produziren?

Kakaho. Wenn ich kein Entreegeld zu zahlen habe, recht gern.

(Tutatu produzirt nun das Becherspiel etc.)

Kakaho (nach dem Kunststück). Ah! ah! bravo! Das ist also der Zweig, auf welchen Du Dich wiegest?

Tutatu. Dir die offene Wahrheit zu sagen, erhabener Monarch, außer diesem Zweige cultivire ich auch noch andere Branchen. Ich durchsäusle nemlich den Erdball um die Vertilgung schädlicher Säugethiere zu bewirken.

Kakaho (mit Enthusiasmus). Schädlicher Säugethiere?! Oh?

[297] Tutatu. Als da sind, Mäuse, Ratten, Tyger, Wanzen, Löwen, Motten, Hühneraugen und andere mehr oder weniger vierfüßige Thiere.

Kakaho. Und die Fliegen? die Fliegen?

Tutatu. Auch den Lebensfaden der Fliegen schneide ich mit derselben Lebhaftigkeit ab!

Kakaho (im Delirio). Er schneidet den Lebensfaden der Fliegen ab! ich habe meinen Mann gefunden. Gefunden hab’ ich meinen Mann! Noch niemals sah man einen Kaiser von China in solcher Begeisterung, wie jetzt mich! – Jongleur und Equilibrist! Du siehst vor Dir den mächtigsten Monarchen der Erde – den nur ein etwas das Leben vergiftet – und dieses etwas ist eine Fliege, die auf seiner Nase thront! – Schau her Barbaren-Auge! siehst Du diese befliegete Nase?

(Er bückt sich.)

Tutatu (zieht ein Perspectiv aus der Tasche und betrachtet damit des Kaisers Nase). So soll mir doch der Teufel den Hals umdrehen, wenn ich etwas sehe –

(Bückt sich auch.)

Kakaho (schießt wüthend in die Höhe). Du siehst nichts?

Tutatu (erhebt sich auch). Laß mich ausreden, Majestät!

Kakaho (bückt sich wieder). Nun?

Tutatu (bückt sich auch und betrachtet ihn wieder). Wenn ich etwas sehe – das einer Fliege gleicht; [298] das, was ich äußerst deutlich unterscheide – ist ein Maikäfer.

Kakaho. Ein Maikäfer? – Da haben wir’s! (Zu den Mandarinen.) Nun, Ihr Elenden! Ihr sah’t nichts, Ihr? (Heftig bewegt.) Also ein Maikäfer ist mein Miethsmann, ein Maikäfer!

Puffapuff (sehr dehmüthig). Ich habe ein so schwaches Auge.

Kakaho. Nun denn, Escamoteur! wenn es Dir gelingt, sey es mit Gewalt oder durch Ueberredung, dieses verhaßte Insekt aus seiner Behausung zu exmittiren, so gewähre ich Dir Alles, was ein Mensch auf Erden nur immer wünschen kann. Ich vertraue Dir meine geheiligte Nase an.

Tutatu. Ich werde sie nicht mißbrauchen. (Leise zu Gululi.) Wir sind gerettet – schaffe mir einen Maikäfer – die Bäume im Garten sind voll davon.

(Gululi eilt verstohlen hinaus.)


Zwölfter Auftritt.
Vorige, ohne Gululi.

Kakaho. Ich bin über allen Ausdruck froh und heiter. Ich genieße bereits das Vorgefühl der Freiheit meiner Nase.

Puffapuff (bei Seite). Ich fasse die Absicht des Jongleurs noch nicht!

[299] Tutatu (bei Seite). Bis Gululi zurückkehrt, muß ich Zeit zu gewinnen suchen.

Kakaho. Nun, Tausendkünstler, beginne Dein Werk.

Tutatu. Sogleich! Ich bedarf nur einiger Vorbedeutungen. – Ein wenig Platz, wenn ich bitten darf. (Er macht sich mit seinem Taschenspielerstocke Platz, indem er, ihn im Kreise schwingend, rund herum die Anwesenden zurückdrängt.) Bewohner dieses weitläuftigen Reichs, classischer Boden der Pagoden und Affen, unvertilgbare Quelle des schwarzen Tusches mit goldnen Zierrathen, Original-Vaterland der Palankine, der colossalen Sonnenschirme und der Nanking Beinkleider – es ist kein gewöhnlicher Mensch, den ich mir die Freiheit nahm, in meiner Person in dieses noch nicht gänzlich cultivirte Land zu introduziren. (Für sich.) Wenn Gululi sich in dem Studium der Naturgeschichte vernachlässigt hat und keinen Maikäfer kennt, bin ich verloren! (Laut.) Nein, urtheilsfähige, aufgeheiterte Chinesen! schreibt nach Paris, nach Berlin, nach den Marianen-Inseln, nach Prenzlau, nach Rotterdam, und außerhalb Europa, selbst nach Italien, wo die Sängerinnen wachsen, – überall wird man Euch sagen, wer ich bin. Ich besaß drei Schiffe von 250 Lasten ein jedes, einzig und allein befrachtet mit den ehrenvollsten und wahrhaftesten Attesten, ausgestellt von Medizinalräthen und Professoren, Burgemeistern und Kapellmeistern, Hospodaren, Friedensrichtern, Scheriffs, Regimentstambouren, [300] Tabackshändlern und andern öffentlichen Beamten. Die Schiffe aber gingen unter, und die Certificate verbrannten in den Flammen – in den Fluthen vielmehr – und deshalb kann ich nicht die Ehre haben, sie Euch in diesem Augenblicke vorzulesen, es wäre denn, daß Ihr in Eurer Bibliothek ein vollständiges Exemplar des Berliner Intelligenzblattes vorräthig hättet (Für sich). Gululi kommt nicht zurück, mein Verstand fängt an, stillzustehen. (Laut.) Dann, hellsehende Chinesen, würdet Ihr erfahren, daß es in den zahlreichen Ländern, die ich durchstrich, mir gelang, die gänzliche Zerschmetterung übelwollender, dem Menschen feindlich gesinnt seyender verstandsloser Kreaturen zu praktiziren, und wenn dennoch eine bedeutende Anzahl davon übrig blieb, so geschah es, weil diese mit Arglist sehr begabten Thiere sich meinen Vertilgungsmitteln durch den Genuß solcher Kräuter, die ihrer Natur heilsam waren, zu entziehen wußten. Darauf werdet Ihr mir erwidern – „o Jongleur! –“ (Er hält inne.)

Kakaho. Ganz recht! Diese Bemerkung wollte ich so eben aussprechen. „O Jongleur! –“

Tutatu (nach einer Pause). Und ich antworte darauf, daß diese Reflexion durchaus richtig ist, und mir einen deutlichen Begriff von der Eurem National-Charakter so eigenthümlichen durchdringlichen Scharfsichtigkeit giebt.

Kakaho. Ich fühle mich, o Barbaren-Auge, äußerst geschmeichelt von der günstigen Meinung, die Du von [301] meinen Völkern hegest. – Chinesen, bedankt Euch! – Allein, ich begreife nur nicht, in welcher Beziehung dies Alles zu meiner Nase steht?


Dreizehnter Auftritt.
Vorige. Gululi (schleicht sich herein).

Tutatu (für sich). Ach! Gululi naht! es war die höchste Zeit. (Laut). Unglaublich weise bemerkt. Was ich bisher sprach, Chinesen, waren nichts als Worte, den befreundeten Winden Zephyr und Boreas zum Spielwerk hingeworfen. Jetzt aber handelt es sich um die Expedition der Befreiung der Nase Eures Herrn, oder vielmehr (zu Kakaho) des Herrn Eurer Nase.

Kakaho. Vortrefflich ausgedrückt!

Tutatu. Da die Gesetze Eures Landes mir nicht verbieten, schädliche Geschöpfe auszurotten, so schreite ich mit Vertrauen zu dieser Operation. (Leise zu Gululi.) Hast Du den Maikäfer?

Gululi (giebt ihn ihm). Da ist er!

Tutatu (leise und bewegt) Ich segne Dich, wohlthätige Naturforscherin! (Laut.) Illustrer Potentat, flammender Morgen- und Abendstern, der Du mit Deinen Strahlen ganz China und Cochinchina belebest; glücklicher Eigenthümer der großen Mauer, werthvoller Besitzer des [302] weißen Elephanten und der – der – (halb leise) ich weiß nicht genau, wie viele Parasolls Du besitzest? –

Kakaho (ruhig und im kläglichen Tone) Vier und zwanzig.

Tutatu (laut) – und der vier und zwanzig Parasolls; setze Dich nieder, erhebe den Kopf, schließe die Augen und rühre Dich nicht von der Stelle!

Kakaho. Welche grandiose Epoche meiner Regierung! (Er setzt sich und thut, was Tutatu ihm vorschrieb.)

Tutatu. Doch – einen Augenblick noch! – Daß es evident ist, daß eine Operation an dem Kaiser von China vollzogen, die Mexicanischen Staaten nicht zur Discussion eines Preises dafür veranlassen kann – schon wegen der großen Entfernung –

Kakaho (ohne sich zu rühren). Was willst Du damit sagen, Jongleur? Ich begreife Deinen Scrupel nicht.

Tutatu. Wohlan – verwandle Dein Versprechen in einen Schwur. Schwöre mir, wenn ich Dich von dem Ungeheuer, das Dich peinigt, befreie, Du mir Alles gewähren wirst, was ich verlange.

Kakaho. Ich schwöre es – bei’m Kopfe Puffapuff’s!

Puffapuff (bei Seite). O weh! mein Kopf ist in Gefahr!

Tutatu. Gieb mir diesen Schwur schriftlich.

Kakaho. Nein. Es hat noch nie eine Correspondenz mit einem Barbaren-Auge Statt gefunden. [303] Doch, mein Wort ist Gesetz, und meine Gesetze sind furchtbarer als das Brüllen des Donners. – Aber nun beeile Dich, Equilibrist – der Hals wird mir steif.

Tutatu Desto besser! (Er schwingt seinen Stock einige male und hält dann plötzlich inne.) Bemerkt, Chinesen, daß die hier gegenwärtige Nase durchaus nicht vorher von mir präparirt worden ist.

Kakaho (immer steif sitzend). Ich schwöre es, bei’m Kopfe Puffapuff’s!

Puffapuff (für sich). Aber was Teufel hat er denn immer bei meinem Kopfe zu schwören? Kann er sich denn nicht einen andern Gegenstand wählen? Das incommodirt mich.

Tutatu. Achtung jetzt! ich fange an!

(Er schwingt abermals den Stock um die Nase Kakaho’s, der unbeweglich sitzen bleibt. Melodram und Beschwörungs-Musik.)

Kakaho. Ah – oh – Du kitzelst mich! – oh! Hanswurst von Jongleur, Du kitzelst! – Ich bekomme Lust zu niesen.

Tutatu (lebhaft). Niese nicht!

Kakaho. Ah! – oh! – Satans Gaukelspieler! Hahaha! er prickelt mich! er prickelt! Hahaha! (Er lacht.) Ach, Jongleur! seit drei Jahren habe ich nicht mehr gelacht! Er bringt mich zum Lachen, der Stockschwinger! Hahaha!

Tutatu (lebhaft). Lache nicht!

[304] Kakaho (sitzt wieder unbeweglich). Bravo!

(Tutatu giebt ihm einen Schlag hinter den Kopf. Kakaho schreit laut auf. Alle Anwesenden nahen sich und stoßen gleichfalls einen lauten Schrei aus.)

Kakaho. Donnerwetter! was war das?

Tutatu (thut, als hebe er etwas vom Boden auf). Vernichtet! Auf ewig vertrieben! Ohne Schmerz und Narbe! – Hier sind die Manen des Insektes.

(Er zeigt der Menge den Maikäfer.)

Allgemeiner Chor.

(Während der Maikäfer im Triumph und mit Tanz umhergetragen wird.)

Heil Dir, Kakaho! Befreit ist Deine Nase!
Heil dem großen Mann, dem solche That gelang!

Tutatu.

In Spiritus verwahrt in einem großen Glase
Dieses Ungethüm, das meine Kunst bezwang.

Chor.

Maikäffer schwinden
Vor seinen Gründen.
Preis’t den gewalt’gen Mann,
Der die Natur bezwingen kann.

(Tanz und Jubel.)

[305] Kakaho. Das war eine kuriose Empfindung! als ob man seine Nase zwischen eine Thüre klemmt; accurat so! (Zu den Chinesen.) Ihr habt Eure Nasen gewiß schon manchmal zwischen Thüren geklemmt? nicht wahr?

Alle. Sehr oft!

Kakaho. Ja, das fällt sehr häufig vor. – Doch zeige mir das corpus delicti, Barbaren-Auge! (Nimmt den Maikäfer und betrachtet ihn mit Rührung.) Ja, das ist der nunmehr verblichene Bewohner meiner frei gewordenen Nase.

Tutatu (bei Seite). Unsinn, du siegst! und ich werde nicht untergehen!

Kakaho. O großer Tien! ich danke Dir! Es kommt mir vor, als ob meine Nase dreiviertel Pfund weniger wiege. (Zu Tutatu.) Umarme mich, mein Erretter! (Tutatu stürzt sich mit Exstase in seine Arme.) Dieser Tag ist der schönste Abend meines Lebens! Sprich nun, was begehrst Du von mir?

Tutatu. Gululi’s Hand.

Kakaho. Gewährt.

Tutatu. Und Gnade für Ka-ut-tschuh, meinen Schwiegervater.

Kakaho. Gewährt.

Tutatu. Endlich und letztens – Gnade für mich selbst.

[306] Kakaho. Für Dich selbst?

Tutatu. Der Jüngling, der Dich von Deinem Maikäfer befreite, ist kein Europäer, kein Barbaren-Auge, nein, der unglückselige Tu-ta-tu, Tu-ta-ti-ta’s Sohn, Flügel-Adjutant und General-Major der Tartaren.

Kakaho. Du, Tu-ta-tu, Tu-ta-ti-ta’s, meines Erzfeindes Sohn? Hatte ich denn den Staar?

Tutatu. Du hattest nur den Maikäfer. – Mächtiger Ka-ka-ho – ich vertraue mich Deiner ungeheuren Großmuth.

Kakaho (erhaben). Hersteller der Unabhängigkeit meines Geruchswerkzeuges, ich verzeihe Dir!

Tutatu (zärtlich). O Gululi!

Gululi (eben so). O Tutatu!

Kakaho. Auch befehle ich, daß das besiegte Insekt ausgestopft und in das zoologische Museum aufgestellt werde. Seine Geschichte zu schreiben und, zur Belehrung aller unserer Nachkommen mit psychologischen Anmerkungen zu versehen, sey Dein Werk, Prinz der Tartarei! Bis dahin überlasse sich ganz China der zügellosesten Freude, denn Ka-ka-ho ist gerührt!

Alle. Es lebe Ka-ka-ho der zweiundsechszigste hoch!

[307]
Schluß-Chor.

Tutatu und Gululi (zum Publicum).

     Fürst Kakaho ließ sich rühren
Und durch Possen sich verführen,
Lachend hat er uns vergeben,
Schenkte Tutatu das Leben.

5
     Könnten wir auch Sie erweichen,

Unser Glück kann nur bestehn,
Wenn Sie dem Kakaho gleichen,
Lassen Gnad’ für Recht ergehn.

Chor.

     Könnten wir auch Sie erweichen,
Unser Glück kann nur bestehn.
Wenn Sie dem Kakaho gleichen,
Lassen Gnad’ für Recht ergehn.


Ende.