Jüdische Altertümer/Buch XX

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Jüdische Altertümer
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[633]
Zwanzigstes Buch.

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 22 Jahren.

Inhalt.

1. Wie der Caesar Claudius nach dem Tode Agrippas den Fadus als Landpfleger nach Judaea schickte.

2. Streit der Bewohner von Philadelphia mit den peraeischen Juden wegen der Grenzen des Bezirkes Mia, und wie Fadus aus Zorn darüber, dass die letzteren viele Bewohner Philadelphias getötet hatten, die drei vornehmsten Männer aus den peraeischen Juden festnehmen und hinrichten liess.

3. Wie der Räuberhauptmann Tholomaeus, der die Araber beunruhigt hatte, gefangen vor Fadus geführt und hingerichtet wurde.

4. Wie Fadus und Cassius Longinus, der Statthalter von Syrien, nach Jerusalem zogen und den Vornehmsten der Juden befahlen, das hohepriesterliche Gewand in die Burg Antonia zu bringen, damit es dort wie früher unter Aufsicht der Römer verbleibe.

5. Die Juden richten an Fadus und Longinus die Bitte, ihnen zu gestatten, dass sie in der erwähnten Angelegenheit eine Gesandtschaft an den Caesar Claudius schickten.

6. Wie Fadus dies gegen Stellung von Geiseln erlaubte.

7. Wie der Caesar Claudius auf Verwendung des jüngeren Agrippa den Bitten der Juden willfahrte und deswegen an Fadus schrieb.

8. Wie Helena, die Königin der Adiabener, nebst ihren Söhnen Monobazus und Izates und ihrer ganzen Familie zum Judentum übertrat.

9. Wie Tiberius Alexander als Landpfleger nach Judaea kam und gegen die Söhne des Galiläers Judas, die das Volk aufgewiegelt hatten, einschritt.

10. Von der im Lande ausgebrochenen Hungersnot.

11. Ankunft des vom Caesar geschickten Landpflegers Cumanus in Judaea.

[634] 12. Wie nach Herodes, des Königs von Chalkis, Tod der jüngere Agrippa mit Bewilligung des Caesars Claudius dessen Reich übernahm.

13. Wie unter Cumanus viele Juden in der Nähe des Tempels umkamen.

14. Streit zwischen den Samaritern und Juden, und wie eine Menge Samariter getötet wurden.

15. Wie Ummidius Quadratus, der Statthalter in Syrien, auf die Nachricht hiervon nach Judaea kam und die Vornehmsten der Juden und Samariter sowie den Landpfleger Cumanus und den Tribun Celer nach Rom sandte, um sich vor dem Caesar Claudius zu verantworten. Wie er alsdann einige Juden selbst zur Strafe zog.

16. Wie Claudius, nachdem er die Juden und ihre Begleiter verhört hatte, die ersteren auf Verwendung des Königs Agrippa freisprach, den Cumanus aber verbannte und den Tribun Celer sowie die Vornehmsten der Samariter zum Tode verurteilte.

17. Wie nach des Claudius Tod Nero auf den Thron gelangte.

18. Wie Felix, der Landpfleger von Judaea, weil er das Land von Räubern bedrängt sah, diese vernichtete, dem Lande den Frieden wiedergab und den Räuberhauptmann Eleazar gefesselt nach Rom schickte.

19. Wie Felix, als ein aegyptischer Gaukler aufgetreten war und viele Juden zur Empörung verleitet hatte, dagegen einschritt und viele der Aufrührer niedermachen liess.

20. Wie Felix den Streit zwischen den vornehmsten Juden und Syrern zu Caesarea beilegte.

21. Wie unter dem Landpfleger Porcius Festus Judaea von den Sikariern beunruhigt wurde. Wie die Juden die äussere Säulenhalle des Tempels höher bauten.

22. Wie Festus im Unwillen darüber die Vornehmsten der Juden, die ihn wegen des Vorgefallenen beschwichtigen wollten, nach Rom zu Nero sandte.

23. Wie Festus in Judaea starb und Albinus ihm im Amt folgte.

24. Wie unter Albinus die Sikarier aufhörten, das Land zu schädigen.

25. Wie Florus, des Albinus Nachfolger, den Juden so viel Böses anthat, dass er sie zum Kriege trieb.

[635]
Erstes Kapitel.
Streit der Bewohner von Philadelphia mit den Juden.
Gesandtschaft nach Rom betreffs des hohepriesterlichen Gewandes.

(1.) 1 Als der König Agrippa, wie ich im vorigen Buch erzählte, aus dem Leben geschieden war, ernannte der Caesar Claudius den Cassius Longinus zum Nachfolger des Marsus und ehrte damit das Andenken des Königs, der ihn während seines Lebens öfters schriftlich gebeten hatte, er möge den Marsus nicht mehr als Statthalter in Syrien belassen. 2 Bei seiner Ankunft in Judaea nun traf Fadus die jüdischen Bewohner von Peraea in hellem Streit mit den Bürgern Philadelphias wegen der Grenzen eines Bezirkes, der Mia hiess und den jetzt das Getümmel des Krieges erfüllte. Das gemeine Volk in Peraea nämlich hatte ohne Vorwissen der Angesehenen des Landes zu den Waffen gegriffen und viele Bewohner Philadelphias niedergemacht. 3 Als Fadus davon Kunde erhielt, geriet er in Zorn, weil die Juden, wenn sie sich von den Bewohnern Philadelphias benachteiligt geglaubt, ihm die Entscheidung anheimgeben und nicht ohne weiteres zu den Waffen hätten greifen dürfen. 4 Er liess deshalb die drei Vornehmsten von ihnen, die auch den ganzen Streit angezettelt hatten, in Fesseln legen und den einen, der Annibas hiess, hinrichten; die beiden anderen aber, Amaram und Eleazar, verwies er des Landes. 5 Nicht lange nachher wurde auch der Räuberhauptmann Tholomaeus, der den Idumäern und Arabern beträchtlichen Schaden zugefügt hatte, gefesselt ihm vorgeführt und mit dem Tode bestraft, und bald war durch seine Energie ganz Judaea von den Räuberhorden befreit. 6 Darauf beschied er, wie der Caesar ihm befohlen hatte, die Priester und Vornehmen von Jerusalem zu sich und forderte sie auf, das lange Unterkleid und die übrigen heiligen Gewandstücke, welche nur der Hohepriester anlegen durfte, wieder nach der Burg Antonia zu bringen, [636] damit sie wie früher der Obhut der Römer unterstanden. 7 Diesem Ansinnen wagten die Versammelten nicht zu widersprechen, richteten aber an Fadus und Longinus, von denen der letztere in der Befürchtung, jenes Verlangen möchte das Volk zum Aufruhr treiben, mit grosser Truppenmacht nach Jerusalem gekommen war, die Bitte, ihnen zunächst die Abordnung einer Gesandtschaft an den Caesar wegen Überlassung der heiligen Gewänder zu gestatten und sich noch so lange zu gedulden, bis sie von Claudius Antwort erhalten hätten. 8 Die beiden entgegneten, sie hätten gegen die Gesandtschaft nichts einzuwenden, doch müssten die Bittsteller ihre Kinder als Geiseln stellen. Dazu verstanden sich die Juden gern, und so machten sich die Gesandten auf den Weg. 9 Als sie in Rom angelangt waren, bat der jüngere Agrippa, der Sohn des verstorbenen Königs, der, wie erwähnt, am Hofe des Caesars lebte, den letzteren, er möge den Wunsch der Juden betreffs der heiligen Gewänder erfüllen und den Fadus mit entsprechender Weisung versehen.

(2.) 10 Daraufhin liess Claudius die Gesandten zu sich kommen und erklärte ihnen, er wolle dem Gesuch stattgeben. Zu danken hätten sie dies aber nur Agrippa, auf dessen Verwendung er also handle. Ausser dieser Antwort erhielten sie noch einen Brief folgenden Inhalts: 11 „Claudius Caesar Germanicus, zum fünftenmal Tribun, zum viertenmal Konsul, zum zehntenmal Imperator, Vater des Vaterlandes, an den Magistrat, den hohen Rat und die Bürgerschaft zu Jerusalem und an das gesamte Volk der Juden. 12 Da mein lieber Freund Agrippa, der bei mir seine Bildung genoss und stets in meiner Nähe weilte, eure Gesandten, die mir für meine Sorge um euer Volk dankten und mich inständigst baten, das heilige Gewand und den Turban des Hohepriesters zu eurer Verfügung zu lassen, bei mir eingeführt hat, so gestatte ich hiermit, dass es bei der Anordnung des edlen und mir sehr werten Vitellius sein Bewenden habe. 13 Diesem eurem Verlangen gebe ich [637] nach, weil vor allem mein eigenes Gewissen mich dazu treibt, und weil ich will, dass alle meine Unterthanen die Gottheit nach ihren althergebrachten Satzungen verehren, sodann aber auch, weil ich überzeugt bin, dass ich damit dem Könige Herodes selbst und dem jungen Aristobulus, von deren Ergebenheit gegen mich und Wohlwollen gegen euch ich Beweise habe und denen ich um ihres Edelsinnes und ihrer Liebenswürdigkeit willen besonders zugethan bin, einen Gefallen erzeige. 14 Den Landpfleger Cuspius Fadus habe ich hiervon bereits in Kenntnis gesetzt. Die Namen der Überbringer dieses Schreibens sind: Cornelius, Sohn des Keron, Tryphon, Sohn des Theudion, Dorotheus, Sohn des Nathanaël, und Joannes, Sohn des Joannes. Gegeben am achtundzwanzigsten Juni unter dem Konsulat des Rufus und des Pompejus Silvanus.“

(3.) 15 Nun aber erbat sich Herodes, der Bruder des verstorbenen Agrippa und damalige Beherrscher von Chalkis, vom Caesar Claudius das Verfügungsrecht über den Tempel und die heiligen Gelder sowie die Vollmacht, die Hohepriester zu ernennen. 16 Das alles wurde ihm denn auch vom Caesar zugestanden, sodass bis zum Ende des Jüdischen Krieges seinen sämtlichen Nachkommen diese Befugnisse verblieben. Demzufolge entsetzte Herodes den Hohepriester mit dem Beinamen Kantheras seines Amtes und übertrug dasselbe an Joseph, den Sohn des Kamus.

[638]
Zweites Kapitel.
Wie Helena, die Königin von Adiabene, und ihr Sohn Izates zur jüdischen Religion übertraten, und wie erstere zur Zeit einer Hungersnot den Bewohnern von Jerusalem beistand.

(1.) 17 Um diese Zeit traten die Königin Helena von Adiabene und ihr Sohn Izates zum Judentum über,[1] und zwar aus folgender Veranlassung. 18 Monobazus, der König der Adiabener, der den Beinamen Bazaeus führte, verliebte sich in Helenas Schwester und heiratete sie. Es dauerte auch nicht lange, so wurde sie schwanger von ihm. Als er nun einst an ihrer Seite schlief und seine Hand auf ihren Leib legte, glaubte er im Schlaf eine Stimme zu hören, die ihm gebot, die Hand zurückzuziehen, damit er nicht das Kind im Mutterleibe beschädige, das durch Gottes Vorsehung ins Leben gerufen worden sei und einem glücklichen Dasein entgegengehe. 19 Durch diese Stimme erschreckt, wachte er auf und erzählte seiner Gattin, was er gehört habe. Als nun das Kind, ein Sohn, zur Welt kam, gab er ihm den Namen Izates. 20 Bereits hatte er aber von Helena einen älteren Sohn Monobazus und ausserdem auch noch Söhne von anderen Gattinnen. Dennoch erwies er dem Izates eine viel grössere Liebe, gleich als hätte er nur den einen Sohn. 21 Daher kam es, dass der Knabe von allen seinen Stiefbrüdern beneidet wurde, und der Neid wuchs schliesslich zu offenem Hasse an, weil alle sich durch die Bevorzugung des Izates gekränkt fühlten. 22 Obgleich nun dem Könige dieser Hass nicht entging, verzieh er ihnen doch ihre gereizte Stimmung, weil sie offenbar nicht aus Bosheit sich so benahmen, sondern alle in gleicher Weise auf ihres Vaters Liebe Anspruch machten. Da er aber sehr besorgt war, Izates möchte unter dem [639] Hasse seiner Brüder zu leiden haben, schickte er denselben mit reichen Geschenken zu Abennerig, dem Könige von Charax Spasini,[2] dem er das Heil seine Kindes anvertraute. 23 Abennerig nahm den jungen Mann freundlich auf, erwies ihm ganz besonderes Wohlwollen, gab ihm seine Tochter Symacho zur Ehe und schenkte ihm eine Provinz, die ihm reiche Einkünfte brachte.

(2.) 24 Als Monobazus nun zu hohem Alter gelangt war und das Ende seines Lebens herannahen fühlte, wünschte er vor seinem Tode noch einmal seinen Sohn zu sehen. Er beschied ihn deshalb zu sich, nahm ihn mit herzlicher Liebe auf und schenkte ihm die Landschaft Karrae. 25 Diese Gegend ist besonders ergiebig an Amomum,[3] und es befinden sich dort auch noch die Überreste der Arche, in welcher Noë der Sintflut entkommen sein soll.[4] Jedem, der sie sehen will, werden die Trümmer noch bis auf den heutigen Tag gezeigt. 26 In dieser Landschaft also hielt sich Izates auf, bis sein Vater das Zeitliche gesegnet hatte. An dem nämlichen Tage nun, da Monobazus starb, versammelte die Königin Helena alle Grossen, Satrapen und Heerführer des Reiches, 27 und als dieselben sich eingefunden hatten, sprach sie zu ihnen: „Es ist euch, wie ich glaube, wohlbekannt, das mein Gatte den Izates zu seinem Nachfolger gewünscht und ihn dieser Ehre würdig erachtet hat. Indes will ich auch eure Ansicht darüber hören. Denn glücklich ist derjenige, der nicht von einem einzigen, sondern von vielen und zwar mit ihrer vollen Einwilligung die Herrschaft erhält.“ 28 Das sagte sie, um die Stimmung der Versammelten zu erforschen. Als diese nun die Worte vernahmen, fielen sie zunächst nach Landessitte vor ihrer Königin nieder und erklärten dann, sie müssten dem Wunsche des Königs durchaus beipflichten und würden Izates, dem der Vater mit Recht und im [640] Sinne aller Unterthanen den Vorzug vor seinen Brüdern gegeben, mit Freuden als ihren Herrn anerkennen. 29 Obendrein versicherten sie auch noch, sie wollten des Izates Brüder und seine sonstigen Verwandten umbringen, damit er in Sicherheit regieren könne. Denn wenn man diese aus dem Wege geräumt habe, sei auch alle Furcht beseitigt, die ihm ihr Hass und Neid einflössen würde. 30 Helena sprach ihnen darauf für die freundliche Gesinnung gegen sie und Izates ihren Dank aus, beschwor sie aber zugleich, ihren Plan wegen der Tötung seiner Brüder zu verschieben, bis Izates käme und ihn billigte. 31 Da nun die Versammelten mit ihrer Ansicht nicht durchzudringen vermochten, rieten sie der Königin, um ihrer eigenen Sicherheit willen die Brüder wenigstens einkerkern zu lassen, bis Izates da wäre, und inzwischen jemand, dem sie besonderes Vertrauen schenke, zum Reichsverweser zu ernennen. 32 Diesen Vorschlag befolgte Helena und ernannte ihren ältesten Sohn Monobazus zum König, setzte ihm das Diadem auf, gab ihm den Siegelring seines Vaters sowie die sogenannte Sampsera[5] und befahl ihm, das Reich bis zur Ankunft seines Bruders zu verwalten. 33 Dieser aber traf schnell ein, als er den Tod seines Vaters erfahren hatte, und Monobazus trat ihm bereitwillig die Regierung ab.

(3.) 34 Zu der Zeit nun, als Izates sich in Charax Spasini aufgehalten hatte, waren die Frauen des dortigen Hofes durch einen jüdischen Kaufmann mit Namen Ananias, der daselbst Zutritt hatte, in der jüdischen Religion unterrichtet worden. 35 Durch Vermittlung der Frauen ward der Kaufmann auch mit Izates bekannt, und es gelang ihm, denselben ebenfalls für seine Religion zu gewinnen. Bald darauf wurde Izates von seinem Vater nach Adiabene zurückberufen, und nun begleitete ihn der Kaufmann auf seine inständigen Bitten dorthin. [641] 36 Inzwischen hatte auch Helena, die von einem anderen Juden unterrichtet worden war, den jüdischen Glauben angenommen. Als nun Izates beim Antritt seiner Regierung nach Adiabene kam und seine Brüder und übrigen Verwandten in Ketten sah, war ihm das keineswegs recht. 37 Sie hinzurichten oder weiterhin gefangen zu halten, erschien ihm unbillig; anderseits konnte er sich, da er ihres früheren Hasses gedachte, nicht entschliessen, sie frei neben sich zu haben, und so schickte er einige von ihnen samt ihren Kindern als Geiseln nach Rom zum Caesar Claudius, die übrigen aber in gleicher Eigenschaft zum Partherkönige Artabanus.

(4.) 38 Sobald Izates erfuhr, wie sehr seine Mutter den jüdischen Gebräuchen zugethan sei, wollte auch er selbst sich vollständig dazu bekennen, und da er sich für keinen rechten und vollkommenen Juden hielt, wenn er sich nicht beschneiden liesse, war er auch hierzu bereit. 39 Seine Mutter aber, der dies zu Ohren kam, suchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen, indem sie ihm zu bedenken gab, in wie grosse Gefahr er dadurch geraten würde. Es müsse ja bei seinen Unterthanen lebhaften Unwillen erregen, wenn sie vernähmen, dass er sich zu fremden und ihnen ganz widerwärtigen Gebräuchen bekenne, und sie würden gewiss nicht zugeben, dass ein echter Jude über sie herrsche. 40 Durch solche Vorstellungen suchte sie ihm seine Absicht zu verleiden. Izates aber teilte ihre Äusserungen dem Ananias mit, der wider Erwarten die Ansicht der Helena billigte und ihm zugleich ankündigte, er werde seinen Hof verlassen, wenn er nicht gehorche. 41 Er, Ananias, müsse ja selbst Gefahr für sein Leben befürchten, wenn die Sache in die Öffentlichkeit käme, weil man ihm dann gleich den Vorwurf machen würde, den König dazu verleitet und ihn in solchen, ihm so wenig anstehenden Dingen unterwiesen zu haben. Izates, fuhr er fort, könne Gott auch ohne Beschneidung verehren, wenn er nur die gottesdienstlichen Gebräuche der Juden befolgen wolle, die [642] viel wichtiger als die Beschneidung seien. 42 Dann fügte er noch hinzu, Gott selbst werde ihm wohl gern nachsehen, dass er von der Beschneidung Abstand nehme, weil er sich in einer Zwangslage befinde und Rücksicht auf seine Unterthanen nehmen müsse. Durch diese Worte liess der König sich einstweilen bereden. 43 Einige Zeit nachher aber machte ein aus Galilaea gekommener Jude mit Namen Eleazar, der für besonders gesetzeskundig galt, sein Verlangen nach der Beschneidung wieder rege. 44 Als dieser nämlich beim Könige Einlass erlangt hatte und ihn bei der Lesung des moysaischen Gesetzes antraf, sprach er zu ihm: „Du weisst nicht, o König, wie sehr du dich gegen das Gesetz und demnach auch gegen Gott verfehlst. Es ist nämlich nicht genug, das Gesetz zu lesen, sondern du musst auch alle seine Vorschriften befolgen. 45 Wie lange willst du denn noch ohne Beschneidung bleiben? Hast du die Bestimmungen über dieselbe noch nicht gelesen, so thu das gleich, damit du einsiehst, wie weit du noch von wahrer Frömmigkeit entfernt bist.“ 46 Als der König ihn so reden hörte, war er sogleich entschlossen, nicht länger zu säumen. Er begab sich daher in ein anderes Gemach und liess durch einen Arzt die Vorschrift des Gesetzes an sich vollziehen, worauf er seine Mutter und seinen Lehrer Ananias rufen liess und ihnen mitteilte, was er gethan habe. 47 Diese ängstigten sich hierüber beide nicht wenig und fürchteten, der König möchte, sobald die Sache ruchbar würde, Gefahr laufen, seinen Thron zu verlieren, weil die Unterthanen gewiss keinen Herrscher über sich dulden würden, der ausländische Sitten angenommen habe. Obendrein beschlich sie auch noch die Besorgnis, sie möchten als der Urheberschaft verdächtig in gleiche Gefahr geraten. 48 Gott aber liess ihre Befürchtungen sich nicht verwirklichen. Denn aus all den Gefahren, in denen Izates schwebte, rettete er ihn und seine Kinder, indem er ihnen, als sie schon fast verzweifelten, den Weg zum Heile wies und ihnen zeigte, dass die, welche zu Gott aufschauen und auf ihn allein ihr Vertrauen [643] setzen, den Lohn ihrer Frömmigkeit sicher erwarten dürfen. Doch hiervon später.

(5.) 49 Als nun des Königs Mutter Helena sah, dass im Reiche durchaus friedliche und geordnete Zustände herrschten und dass ihr Sohn glücklich und durch Gottes Fügung auch im Ausland überall hochangesehen war, regte sich in ihr das Verlangen, nach Jerusalem zu pilgern, um den von aller Welt gerühmten Tempel Gottes zu verehren und Dankopfer darzubringen. Dazu bat sie ihren Sohn um seine Einwilligung. 50 Dieser gewährte ihr die Bitte mit Freuden, liess grossartige Vorbereitungen treffen, versah sie reichlich mit Geld und gab ihr eine gute Strecke Wegs das Geleit. Den Bewohnern von Jerusalem aber konnte nichts erwünschter sein, als Helenas Ankunft. 51 Denn Hungersnot[6] bedrückte ihre Stadt, und da viele Bürger aus Mangel an Lebensmitteln umkamen, schickte die Königin einige aus ihrem Gefolge nach Alexandria, um grosse Mengen Getreide dort zu kaufen, und andere nach Cypern, um ganze Schiffsladungen Feigen herbeizuschaffen. 52 Als die Abgesandten, welche die Reise mit grösster Schnelligkeit zurückgelegt hatten, wieder da waren, liess sie den Notleidenden Lebensmittel austeilen, sodass sie sich durch ihre Wohlthätigkeit bei unserem ganzen Volke ein gesegnetes Andenken sicherte. 53 Auch ihr Sohn Izates säumte nicht, als er von der Hungersnot Kunde erhielt, an die Vornehmsten in Jerusalem grosse Geldsummen zu senden, welche unter die Darbenden verteilt wurden und viele vom Hungertod erretteten. Was diese Königsfamilie noch sonst für Wohlthaten unserer Hauptstadt erwies, und welche Dienste die letztere dafür leistete werde ich später mitteilen.[7]

[644]
Drittes Kapitel.
Wie der Partherkönig Artabanus aus Furcht vor einer Verschwörung seiner Satrapen sich zu Izates flüchtete und mit dessen Hilfe seinen Thron wieder bestieg.

(1.) 54 Inzwischen war der Partherkönig Artabanus zu der Überzeugung gekommen, dass seine Satrapen eine Verschwörung gegen ihn angestiftet hätten, und da er sich bei ihnen nicht länger mehr sicher glaubte, beschloss er, sich zu Izates zu begeben in der Absicht, dort Schutz zu suchen und mit dessen Hilfe womöglich seinen Thron wieder zu erlangen. 55 So kam er in Begleitung seiner Verwandten und Diener, ungefähr tausend an der Zahl, nach Adiabene und traf mit Izates, den er sehr gut kannte, während er selbst dem Izates noch völlig unbekannt war, auf dem Wege zusammen. 56 Als er nun in seine Nähe gekommen war, fiel er zunächst nach Landesbrauch vor ihm nieder und sprach zu ihm: „O König, verachte nicht deinen Diener und erhöre gnädig meine Bitte. Denn das Unglück hat mich schwer darniedergebeugt, und ich bedarf, von der Höhe des Thrones ins Privatleben gestossen, dringend deiner Hilfe. 57 Bedenke also, wie unbeständig das Glück ist, und dass auch du einmal in dieselbe Lage kommen könntest. Lässt du mich ungerächt, so werden sich viele finden, die gegen andere Könige mit noch grösserer Verwegenheit auftreten.“ 58 Diese Worte sprach Artabanus unter Thränen und gesenkten Hauptes. Sobald aber Izates seinen Namen hörte und ihn in so demütiger Stellung vor sich sah, sprang er vom Pferde und redete ihm zu: 59 „Sei gutes Muts, König, und lass dich durch dein jetziges Unglück nicht aus der Fassung bringen, als könnte demselben nicht abgeholfen werden. Bald nämlich soll deine Trauer sich in Freude verwandeln, und du sollst an mir einen besseren Freund und Bundesgenossen finden, als du vielleicht erwartet hast. Denn entweder [645] führe ich dich auf den parthischen Thron zurück, oder ich trete dir meinen eigenen ab.“

(2.) 60 Nach diesen Worten liess er den Artabanus zu Pferde steigen und folgte selbst zu Fuss nach, um ihm durch diese Ehrenbezeugung den Vorrang zuzuerkennen. Als aber Artabanus dies gewahrte, wollte er es durchaus nicht zugeben und schwur bei seinem gegenwärtigen Glück und der ihm zu teil gewordenen Auszeichnung er werde absitzen, wenn nicht auch Izates wieder zu Pferde steige und voranreite. 61 Izates gab nach, geleitete seinen Gast in die Königsburg und erwies ihm alle möglichen Ehren, räumte ihm auch bei allen Zusammenkünften und Gelagen den ersten Platz ein. Dabei sah er nicht auf die gegenwärtige Lage des Artabanus sondern nur auf dessen frühere Würde, und bedachte bei sich, dass den Wechselfällen des Glückes alle Menschen in gleicher Weise unterworfen seien. 62 Er schrieb darauf an die Parther, forderte sie auf, Artabanus wieder anzuerkennen, und liess ihnen unter Eid versichern, dass durch seine Vermittlung das Geschehene vergessen werden solle. 63 Die Parther weigerten sich nun zwar nicht, ihren König wieder aufzunehmen, erklärten aber, dass sie keine Verfügung mehr über den Thron besässen, weil sie denselben schon einem anderen, nämlich einem gewissen Kinnamus, anvertraut hätten und fürchten müssten, durch Änderung der jetzigen Lage einen Aufruhr hervorzurufen. 64 Als aber Kinnamus von diesem Bescheid Kenntnis erhielt, schrieb er selbst an Artabanus, dessen Pflegesohn er war, und bat ihn ehrlich und aufrichtig, seinem Worte zu vertrauen und wiederzukommen, um sein Reich in Besitz zu nehmen. 65 Artabanus verliess sich auf sein Versprechen und kehrte zurück. Kinnamus aber ging ihm entgegen und begrüsste ihn als König, indem er ihm das Diadem aufsetzte, das er von seinem eigenen Haupt genommen hatte.

(3.) 66 So gelangte Artabanus mit Hilfe des Izates wieder auf den Thron, den ihm seine eigenen Grossen entrissen [646] hatten. Übrigens bewies er Izates in der Folge seinen Dank, indem er ihm die höchsten Ehrenbezeugungen zu teil werden liess. 67 Besonders gestand er ihm das Recht zu, eine aufrechtstehende Tiara zu tragen und in einem goldenen Bett zu schlafen, Auszeichnungen, die sonst nur den parthischen Königen zukommen. 68 Ferner schenkte er ihm eine grosse und fruchtbare Landschaft, die er von dem Gebiete des armenischen Königs losgerissen hatte. Diese Landschaft hiess Nisibis, und in ihr hatten die Macedonier einst eine Stadt gegründet, die sie Antiochia Epimygdonia nannten. So vergalt der Partherkönig die ihm von Izates geleisteten Dienste.

(4.) 69 Nicht lange darauf starb Artabanus und hinterliess das Reich seinem Sohne Vardanes. Dieser kam zu Izates und wollte ihn bereden, zum Zweck eines Krieges gegen die Römer sich mit ihm zu verbünden und ihm Hilfstruppen zu stellen. 70 Das gelang ihm indes nicht, da Izates, der die Macht und das Kriegsglück der Römer kannte, wohl einsah, dass er etwas Unmögliches unternehme. 71 Statt dessen sandte er seine fünf Söhne, die sämtlich noch im Jünglingsalter standen, zu uns, um unsere Landessprache und unsere heimischen Gebräuche gründlich zu erlernen, liess seine Mutter, wie schon erwähnt, den Tempel besuchen und zog die Kriegsangelegenheit immer mehr in die Länge, indem er den Vardanes mit Berichten von der Macht und den Heldenthaten der Römer hinhielt, um ihm Furcht einzuflössen und seine Kriegsbegierde zu dämpfen. 72 Das aber erbitterte den Parther, und sogleich erklärte er Izates den Krieg. Doch brachte er diesen Feldzug nicht zustande, weil Gott seine ganze Hoffnung zu nichte machte. 73 Als nämlich die Parther die Absicht des Vardanes sowie seinen Entschluss, die Römer zu bekriegen, erfuhren, ermordeten sie ihn und übertrugen seinem Bruder Kotardes[8] die Königswürde. 74 Doch auch dieser fiel bald einer Verschwörung zum Opfer, und es folgte [647] ihm sein Bruder Vologeses,[9] der das Reich unter seine zwei rechten Brüder so teilte, dass der ältere, Pakorus, Medien, der jüngere, Tiridates, Armenien erhielt.[10]

Viertes Kapitel.
Kriegszug der Araber gegen Adiabene.
Izates entgeht durch Gottes Fügung den Händen der Parther. Sein Tod.

(1.) 75 Als des Königs Bruder Monobazus und seine übrigen Verwandten den Izates um seiner Frömmigkeit willen bei aller Welt so hochgeachtet sahen, ergriff sie ebenfalls das Verlangen, ihre heimischen Gebräuche aufzugeben und zur jüdischen Religion überzutreten. 76 Das thaten sie denn auch alsbald. Wie nun aber ihr Beginnen bekannt wurde, regte sich bei den Grossen des Landes heftiger Unwille, und wenn sie ihren Zorn auch nicht gerade offen zur Schau trugen, so wühlte derselbe doch in ihrem Innern, sodass sie nur auf den geeigneten Zeitpunkt warteten, um ihre Rache zu kühlen. 77 Endlich schrieben sie an den Araberkönig Abias und versprachen ihm eine grosse Summe Geldes, wenn er gegen ihren König zu Felde ziehen wolle. Beim ersten Zusammenstoss würden sie sogleich von Izates abfallen, um ihn für seinen Übertritt zum Judentum zu züchtigen, und sie wollten sich hierzu eidlich verpflichten, wenn Abias nur recht bald käme. 78 Der Araber ging darauf ein und rückte mit grosser Heeresmacht gegen Izates heran. Als nun die Schlacht beginnen sollte, wandte sich auf ein gegebenes Zeichen des Izates ganzes Heer zur Flucht und lief, wie von panischem Schrecken ergriffen, [648] auseinander. 79 Izates aber liess sich dadurch nicht einschüchtern, sondern da er einsah, dass Verrat von seiten seiner Grossen im Werke war, zog er sich auch selbst ins Lager zurück. Hier stellte er eine Untersuchung über die Ursache der Flucht an, und als das Einvernehmen mit dem Araber an den Tag kam, liess er die Urheber des Verrates hinrichten, zog dann am folgenden Tage wieder gegen den Feind und trieb dessen gesamte Streitmacht unter grossem Gemetzel in die Flucht. 80 Den feindlichen König selbst verfolgte er und drängte ihn in das Kastell Arsamus, welches er alsdann belagerte und erstürmte. Mit reicher Beute beladen, kehrte er darauf nach Adiabene zurück, ohne jedoch den Abias in seine Gewalt bekommen zu haben; denn dieser hatte, als er sich von allen Seiten umzingelt sah, sich selbst das Leben genommen, um nicht in Izates’ Hände zu fallen.

(2.) 81 Obgleich nun die adiabenischen Grossen diesen ihren ersten Anschlag vereitelt sahen, und Gott selbst sie in die Gewalt ihres Königs gegeben hatte, ruhten sie dennoch nicht, sondern schrieben jetzt an Vologeses, den König der Parther, er möge ihnen an stelle des Izates irgend einen parthischen Fürsten zum Herrscher geben. Denn ihr jetziger König sei ihnen verhasst, weil er ihre heimischen Satzungen abschaffen und fremde Sitten einführen wolle. 82 Dieser Antrag reizte den Parther zum Kriege, und da er keinen rechten Vorwand finden konnte, forderte er von Izates Verzichtleistung auf die ihm von seinem Vater zugestandenen Auszeichnungen, widrigenfalls er ihm den Krieg erklären werde. 83 Als Izates das vernahm, geriet er in heftige Bestürzung; die Verzichtleistung auf das ihm gemachte Geschenk aber konnte er nur als Schmach ansehen, weil er damit den Vorwurf der Zaghaftigkeit auf sich laden würde. 84 Da er jedoch einsah, dass der Parther auch nach einer solchen Verzichtleistung sich noch nicht zufrieden geben würde, beschloss er, sich in seiner Notlage dem Schutze Gottes an zu vertrauen, 85 und liess in der [649] Hoffnung auf dessen mächtige Hilfe seine Kinder und Gattinnen in ein sehr festes Kastell bringen, das vorhandene Getreide in die Festungen schaffen und alles Heu und Weidefutter verbrennen. Nach diesen Vorbereitungen sah er der Ankunft seiner Feinde entgegen. 86 Viel schneller, als man erwartete, war der Parther, der grosse Märsche gemacht hatte, mit bedeutender Truppenmacht zu Fuss und zu Pferde da und schlug sein Lager an dem Flusse auf, der Adiabene von Medien trennt. 87 Nicht weit davon lagerte auch Izates mit ungefähr sechstausend Mann, und alsbald kam ein Bote des Parthers zu ihm, der ihm die Grösse der parthischen Macht, welche sich vom Euphrat bis zu dem Gebiete der Baktrer erstreckte, und die Menge der den Parthern unterworfenen Fürsten schilderte. 88 Alsdann drohte ihm der Bote mit schwerer Strafe, weil er sich gegen seinen Herrn undankbar bewiesen habe, und fügte hinzu, selbst der Gott, den er verehre, vermöge ihn nicht den Händen des Partherkönigs zu entreissen. 89 Auf diese Prahlereien des Boten entgegnete Izates, er wisse wohl recht gut, dass die parthische Macht viel grösser sei als die seinige. Noch viel besser aber wisse er, dass Gott mächtiger als alle Menschen zusammen sei. Nachdem er diese Antwort erteilt, wandte er sich im Gebete zu Gott, warf sich zur Erde nieder, bestreute sein Haupt mit Asche und fastete mit Weib und Kind, und flehend erscholl sein Bitte zum Herrn: 90 „O höchster aller Herrscher, wenn ich nicht vergebens auf deine Güte vertraut habe, sondern dich mit Recht als einzigen und vornehmsten Helfer verehre, so eile, mir beizustehen, und vernichte meine Feinde, nicht sowohl meinetwegen, als weil sie wider deine Macht sich zu erheben gewagt und ihre prahlerische Zunge nicht im Zaum gehalten haben.“ 91 So flehte Izates unter Thränen und Wehklagen zu Gott, und dieser erhörte ihn. Noch in derselben Nacht nämlich erhielt Vologeses einen Brief, der ihm meldete, die Daher und Saker hätten sich seine Abwesenheit zunutze gemacht und seien mit grosser Heeresmacht in [650] Parthien eingefallen, das von ihnen geplündert und verwüstet werde. So musste er sich unverrichteter Sache zurückziehen, und Izates war durch Gottes Fügung der Gefahr entronnen.

(3.) 92 Nicht lange darauf starb Izates im sechsundfünfzigsten Jahre seines Lebens und im fünfundzwanzigsten seiner Regierung. Er hinterliess vierundzwanzig Söhne und vierundzwanzig Töchter, 93 bestimmte aber zu seinem Nachfolger auf dem Throne den Monobazus aus Dankbarkeit dafür, dass dieser ihm nach des Vaters Tod während seiner Abwesenheit so treu das Reich verwaltet hatte. 94 Als Helena den Tod ihres Sohnes erfuhr, trauerte sie freilich, wie das von einer Mutter zu erwarten war, die einen so edlen Sohn verlor; doch fand sie ihren Trost darin, dass die Regierung auf ihren ältesten Sohn überging, und sie begab sich sogleich zu ihm hin. In Adiabene angekommen, überlebte sie indes ihren Sohn Izates nicht lange, sondern schied, von Alter und Gram gebeugt, alsbald aus dem Leben. 95 Monobazus sandte ihre Gebeine mit denen seines Bruders nach Jerusalem und liess sie in den Pyramiden beisetzen, die seine Mutter, drei an der Zahl, drei Stadien von der Stadt entfernt hatte erbauen lassen. 96 Was Monobazus während seines übrigen Lebens gethan, will ich später erzählen.

Fünftes Kapitel.
Von Theudas und den Söhnen des Galiläers Judas.
Cumanus verhütet einen Aufruhr der Juden.

(1.) 97 Noch während Fadus Landpfleger von Judaea war, bewog ein Betrüger mit Namen Theudas[11] eine ungeheure Menschenmenge, ihm unter Mitnahme ihrer gesamten [651] Habe an den Jordan zu folgen. Er gab sich nämlich für einen Propheten aus und behauptete, er könne durch sein Machtwort die Fluten des Jordan teilen und seinem Gefolge einen bequemen Durchgang ermöglichen. 98 Durch solche Spiegelfechtereien gelang es ihm, viele zu täuschen. Indes duldete Fadus nicht, dass ihr sinnloses Treiben Schaden stifte, indem er eine Abteilung Reiter gegen sie aussandte, die unversehens über sie herfiel, viele von ihnen tötete und andere in Gewahrsam brachte. Theudas selbst geriet ebenfalls in Gefangenschaft, worauf er enthauptet und sein Kopf nach Jerusalem gebracht wurde. 99 Das sind die Hauptbegebenheiten während der Amtsführung des Landpflegers Cuspius Fadus.

(2.) 100 Auf Fadus folgte Tiberius Alexander,[12] der Sohn des Vorstehers Alexander zu Alexandria, der durch Edelsinn und Reichtum sich vor allen Einwohnern dieser Stadt auszeichnete und an Frömmigkeit seinen Sohn Alexander weit übertraf, da dieser den väterlichen Gebräuchen und Satzungen nicht treu blieb. 101 Unter Tiberius Alexander dauerte die oben erwähnte Hungersnot, während welcher die Königin Helena Getreide in Aegypten kaufte und an die Notleidenden verteilen liess, noch an. 102 Alexander liess auch Jakobus und Simon, die Söhne des Galiläers Judas, der, wie schon in einem der vorhergehenden Bücher erwähnt, während der Einschätzung des Quirinius das Volk zum Aufruhr verleitete, ans Kreuz schlagen. 103 Herodes aber, der König von Chalkis, entsetzte um diese Zeit Joseph, den Sohn des Kemede, der hohepriesterlichen Würde und ernannte zu seinem Nachfolger Ananias, den Sohn des Nebedaeus. Tiberius Alexander wurde übrigens nach kurzer Amtsführung durch Cumanus ersetzt.[13] 104 In diese Zeit fällt auch der Tod Herodes’, des Bruders Agrippas des Grossen. Er starb nämlich im achten Jahre der Regierung [652] des Claudius und hinterliess drei Söhne, Aristobulus, der ihm von seiner ersten Gemahlin Mariamne geboren war, sowie Berenikianus und Hyrkanus, die er von Berenike, der Tochter seines Bruders, erhalten hatte. Sein Reich übertrug der Caesar Claudius dem jüngeren Agrippa.

(3.) 105 Unter Cumanus brach in Jerusalem eine Empörung aus, bei der viele Juden umkamen. Zunächst will ich die Ursache darlegen, aus welcher dieselbe hervorging. 106 Als das sogenannte Paschafest, an dem wir nur ungesäuertes Brot zu essen pflegen, bevorstand und eine ungeheure Menschenmenge zu demselben herbeiströmte, befürchtete Cumanus, es möchten Unruhen entstehen, und gab deshalb einer Kohorte Soldaten den Befehl, in Wehr und Waffen die Säulenhallen des Tempels zu besetzen, um etwa ausbrechende Ruhestörungen gleich zu unterdrücken. 107 Das hatten auch die früheren Landpfleger an Festtagen stets angeordnet. 108 Am vierten Tage des Festes nun liess sich ein Soldat beifallen, im Angesichte des Volkes seine Schamteile zu entblössen. Die Menge geriet hierüber in Erbitterung und schrie, nicht ihnen sei damit Schmach angethan, sondern Gott selbst sei gelästert. 109 Als Cumanus den Vorfall vernahm, erzürnte auch er nicht wenig über diese Verhöhnung, bat jedoch die Juden, sich aller Unruhen zu enthalten und während des Festes keine Empörung anzuzetteln. 110 Da man ihm aber nicht gehorchte, sondern ihn nur noch mit desto grösseren Schmähungen überhäufte, liess er die gesamte Streitmacht zu den Waffen rufen und in die Antonia rücken; es war dies, wie oben erwähnt, die den Tempel beherrschende Veste. 111 Beim Anblick der in Masse heranziehenden Soldaten ward das Volk in Schrecken versetzt und ergriff die Flucht. Weil aber die Strassen eng waren und die Juden sich von Feinden verfolgt glaubten, entstand bei der Flucht ein fürchterliches Gedränge, und viele wurden von den ungestüm Nachfolgenden erdrückt. 112 Die Zahl der auf diese Weise Umgekommenen betrug an zwanzigtausend, und so [653] wandelte sich die Festesfreude in tiefe Trauer. Opfer und Gebet waren vergessen, und die Stadt hallte wieder von Jammer und Wehklage. So grosses Unglück brachte der Mutwille eines einzigen Soldaten über die Juden.

(4.) 113 Noch aber war dieses Leid nicht vorüber, als auch schon ein anderes Unglück hereinbrach. Einige Unruhstifter nämlich griffen auf öffentlicher Landstrasse, hundert Stadien von der Stadt entfernt, wie Wegelagerer den Stephanus, einen Diener des Caesars, an und raubten ihm alles, was er bei sich hatte. 114 Als Cumanus hiervon Kenntnis erhielt, schickte er sogleich Soldaten ab mit dem Befehl, die benachbarten Dörfer zu plündern und die Vornehmsten aus denselben gefesselt ihm vorzuführen, damit sie zur Verantwortung gezogen würden. 115 Bei dieser Plünderung nun fand ein Soldat in einem Dorf die moysaischen Gesetze und zerriss das Buch vor aller Augen unter den mannigfaltigsten Verhöhnungen und Schmähungen. 116 Sowie die Juden dies vernahmen, rotteten sie sich zusammen, zogen nach Caesarea, wo Cumanus sich aufhielt, und baten ihn, er möge doch nicht etwa ihnen, sondern Gott, dessen Gesetz so unwürdig behandelt worden sei, Genugthuung verschaffen. Denn sie wollten lieber ihr Leben dahingeben, als ihre heimischen Gesetze so geschmäht wissen. 117 Da nun Cumanus fürchtete, das Volk möchte abermals in Unruhe geraten, liess er auf den Rat seiner Freunde den Soldaten, der das Gesetz verhöhnt hatte, mit dem Beil hinrichten und unterdrückte so die Empörung in dem Augenblick, als sie auszubrechen drohte.

[654]
Sechstes Kapitel.
Streit zwischen den Juden und Samaritern. Claudius legt denselben bei.

(1.) 118 In der Folge kam es zu Feindseligkeiten zwischen Juden und Samaritern, und zwar aus folgender Veranlassung. Die Galiläer, die zu den Festen nach Jerusalem zogen, pflegten ihren Weg durch Samaria zu nehmen. Als sie nun auch jetzt wieder dieses Weges kamen, wurden sie von einer Anzahl Bewohner des Dorfes Ginaea, welches auf der Grenze zwischen Samaria und der grossen Ebene[14] liegt, überfallen, und es kamen viele von ihnen um. 119 Auf die Nachricht von dieser That begaben sich die angesehensten Galiläer zu Cumanus und baten ihn, den Tod der Gefallenen zu rächen. Cumanus aber liess sich von den Samaritern mit Geld bestechen 120 und schenkte den Klagen der Galiläer keine Beachtung. Hierüber erbittert, riefen diese das ganze jüdische Volk zu den Waffen, um die Freiheit zu schützen. Denn die Knechtschaft, führten sie aus, sei schon an und für sich bitter genug; um wie viel unerträglicher müsse sie also sein, wenn noch schmachvolle Beleidigungen hinzukämen? 121 Um ihre Aufregung zu beschwichtigen, versprachen ihnen die Beamten, bei Cumanus die Bestrafung der Schuldigen zu erwirken. Darauf aber hörten sie nicht, sondern sie griffen zu den Waffen, riefen des Dinaeus Sohn Eleazar, einen Räuber, der sich schon eine Reihe von Jahren im Gebirge umhertrieb, zu Hilfe und äscherten einige Dörfer der Samariter ein. 122 Sobald Cumanus hiervon Kunde erhielt, zog er mit der Truppe von Sebaste, vier anderen Kohorten Fusssoldaten und den bewaffneten Samaritern gegen die Juden und machte eine Menge von ihnen nieder und eine noch grössere Anzahl zu Gefangenen. 123 Als nun die Angesehenen und Vornehmen [655] zu Jerusalem merkten, in wie grosse Drangsal das Volk geraten sei, legten sie Säcke an, bestreuten ihr Haupt mit Asche und beschworen die aufrührerische Menge aufs dringendste, im Hinblick auf die drohende Zerstörung ihrer Vaterstadt, die Einäscherung des Tempels und die eigene sowie ihrer Weiber und Kinder Wegführung in die Sklaverei von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen, die Waffen fortzuwerfen und ruhig nach Hause zu gehen. 124 Diesen Vorstellungen fügte man sich, und die Menge ging auseinander, während die Banditen sich wieder in ihre Schlupfwinkel zurückzogen. Von dieser Zeit an war Judaea fortwährend der Schauplatz räuberischer Streifzüge.

(2.) 125 Nun aber wandten sich die Häupter der Samariter an den syrischen Statthalter Ummidius Quadratus, der sich damals gerade in Tyrus befand, und klagten die Juden wegen der Plünderung und Einäscherung samaritischer Dörfer an. 126 Das Unrecht, sagten sie, das sie selbst dabei erlitten hätten, wollten sie nicht so sehr in Betracht ziehen als die Missachtung der Römer, an deren Richterspruch die Juden, falls ihnen selbst ein vermeintlicher Nachteil entstanden sei, sich hätten wenden müssen, anstatt feindliche Einfälle zu unternehmen, als ob sie von einer römischen Oberhoheit nichts wüssten. Sie bäten daher, ihnen zu ihrem Recht verhelfen zu wollen. In dieser Weise stellten die Samariter die Sache dar. 127 Die Juden dagegen behaupteten, die Samariter seien die Urheber des Aufstandes und der Feindseligkeiten, denn sie hätten den Cumanus mit Geschenken bestochen und ihn dadurch veranlasst, bezüglich der Ermordung der Galiläer ein Auge zuzudrücken. 128 Als Quadratus so die beiderseitigen Klagen angehört hatte, setzte er die weitere Verhandlung aus und versprach, das Urteil zu fällen, wenn er in Judaea anwesend sei und die Sache genauer untersucht habe. Damit mussten die Parteien sich vorläufig zufrieden geben. 129 Bald darauf kam Quadratus nach Samaria, wo er nach eingehender Untersuchung die Samariter für [656] die Urheber der Unruhen erklärte. Sobald er aber vernahm, unter den Juden seien wieder aufrührerische Gelüste bemerkbar, liess er die von Cumanus gefangen genommenen Juden ans Kreuz schlagen. 130 Alsdann begab er sich nach einem Flecken, der Lydda hiess und einer Stadt an Grösse nicht nachstand. Hier hielt er Gerichtssitzung ab, in der die Klage der Samariter abermals zur Verhandlung kam. Dabei erfuhr Quadratus von einem der letzteren, ein vornehmer Jude mit Namen Dortus habe mit einigen anderen Unruhstiftern, vier an der Zahl, das Volk zum Abfall von den Römern zu verleiten gesucht. 131 Diese Rädelsführer liess der Statthalter hinrichten; den Hohepriester Ananias und den Hauptmann Ananus aber sandte er gefesselt nach Rom, wo sie vor dem Caesar Claudius Rechenschaft ablegen sollten. 132 Ebenso befahl er den Vornehmsten der Juden und der Samariter sowie dem Landpfleger Cumanus[15] und dem Tribun Celer, sich nach Italien zum Caesar zu verfügen, um ihre Streitigkeiten vor dessen Richterstuhl zu bringen. 133 Er selbst begab sich, da er einen neuen Aufstand der Juden befürchtete, nach Jerusalem, fand das Volk aber ruhig bei der Feier eines religiösen Festes versammelt und kehrte in der Überzeugung, dass weitere Unruhen jetzt nicht zu erwarten seien, nach Antiochia zurück.

(3.) 134 Als Cumanus mit den Vornehmsten der Samariter in Rom anlangte, wurde ihnen vom Caesar ein Tag bestimmt, an welchem über die Streitigkeiten verhandelt werden sollte. 135 Mit äusserster Anstrengung verwandten sich nun die Freigelassenen und Vertrauten des Caesars für Cumanus und die Samariter, und diese hätten gewiss Recht bekommen, wenn nicht der jüngere Agrippa, der sich gerade zu Rom befand und die üble Lage der jüdischen Vornehmen gewahrte, Agrippina, die Gattin des Caesars, inständigst gebeten hätte, auf ihren Gemahl einzuwirken, dass er bei der Entscheidung des Streites die wirklich Schuldigen zur gerechten Strafe ziehe. 136 Durch [657] diese Verwendung schon vorbereitet, liess Claudius, der in den Samaritern die Urheber der gesamten Feindseligkeiten erkannte, diejenigen von ihnen, die sich bei ihm eingefunden hatten, hinrichten, schickte Cumanus in die Verbannung und liess den Tribun Celer nach Jerusalem bringen, dort öffentlich durch die ganze Stadt führen und dann enthaupten.

Siebentes Kapitel.
Felix zum Landpfleger ernannt. Nachrichten von Agrippas Familie.

(1.) 137 Claudius schickte alsdann Felix, den Bruder des Pallas, als Landpfleger nach Judaea,[16] 138 und überwies im dreizehnten Jahre seiner Regierung dem Agrippa die Tetrarchie des Philippus nebst Batanaea, gab ihm auch noch obendrein Trachonitis sowie Abila, die ehemalige Tetrarchie des Lysanias, nahm ihm aber Chalkis, das er vier Jahre lang beherrscht hatte. 139 So reichlich vom Caesar beschenkt, vermählte Agrippa mit Azizus, dem Könige von Emesa, der zur Annahme der Beschneidung bereit war, seine Schwester Drusilla. Epiphanes nämlich, der Sohn des Königs Antiochus, hatte ihre Hand zurückgewiesen, weil er trotz eines ihrem Vater gegebenen Versprechens nicht zur jüdischen Religion übertreten wollte. 140 Weiterhin gab Agrippa die Mariamne dem Archelaus, dem Sohne des Helkias, zur Ehe, dem sie schon von seinem Vater Agrippa verlobt worden war; aus dieser Ehe entspross eine Tochter Berenike.

(2.) 141 Nicht lange nachher aber wurde Drusillas Ehe mit Azizus aus folgender Veranlassung aufgelöst. 142 Felix, der Landpfleger von Judaea, hatte Drusilla, die sich durch hohe Schönheit auszeichnete, kaum gesehen, als er auch schon in heftiger Liebe zu ihr entbrannte. Er [658] schickte daher einen ihm befreundeten Juden mit Namen Simon[WS 1], der aus Cypern stammte und sich für einen Mager ausgab, zu ihr und liess ihr zureden, ihren Gatten zu verlassen und sich mit ihm (Felix) zu vermählen.[17] Wenn sie ihn nicht verschmähe, liess er ihr sagen, werde er sie glücklich machen. 143 Drusilla beging auch wirklich das Unrecht, dass sie sich, um dem Neide ihrer Schwester Berenike, von der sie ihrer Schönheit wegen viel auszustehen hatte, zu entgehen, zur Übertretung ihres heimischen Gesetzes verleiten liess und sich mit Felix vermählte. Diesem gebar sie einen Sohn, den sie Agrippa nannte und der zur Zeit des Caesars Titus bei einem Ausbruch des Vesuv mit seiner Mutter umkam, wie ich später noch erzählen werde.

(3.) 145 Was Berenike betrifft, so lebte sie nach dem Tode des Herodes, der zugleich ihr Gatte und ihr Oheim gewesen war, lange Zeit im Witwenstande. Da aber das Gerücht ging, sie unterhalte sündhafte Beziehungen zu ihrem Bruder, beredete sie Polemon, den König von Cilicien, die Beschneidung anzunehmen und sich mit ihr zu vermählen; denn hierdurch glaubte sie alle Verleumdungen am sichersten aus der Welt schaffen zu können. 146 Polemon ging darauf ein, vornehmlich um ihres Reichtums willen; indes war die Ehe nicht von Dauer, da Berenike sich bald wieder von Polemon trennte, wie man sagte, aus Unenthaltsamkeit. Nach Auflösung der Ehe kehrte sich Polemon nicht weiter an die Gebräuche und Satzungen der Juden. 147 Um dieselbe Zeit vermählte sich Mariamne, die von Archelaus nichts mehr wissen wollte, mit Demetrius, der unter den Juden zu Alexandria durch edle Abkunft und Reichtum sich auszeichnete und damals die Steuern gepachtet hatte. Den Sohn, welchen sie von ihm erhielt, nannte sie Agrippinus. Über alle diese Personen wird sich noch Gelegenheit finden näher zu reden.

[659]
Achtes Kapitel.
Claudius’ Tod und Neros Thronbesteigung.
Auftreten von Räubern, Mördern und Betrügern in Judaea unter Felix und Festus.

(1.) 148 Inzwischen starb der Caesar Claudius nach einer Regierung von dreizehn Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen.[18] Einige behaupten, er sei von seiner Gemahlin Agrippina vergiftet worden.[19] Diese war eine Tochter von Germanicus, dem Bruder des Claudius, und in erster Ehe mit Domitius Ahenobarbus, einem adligen Römer, verheiratet gewesen. 149 Nach dessen Tod lebte sie lange Zeit als Witwe und vermählte sich dann mit Claudius, dem sie einen Stiefsohn Domitius zubrachte. Claudius nämlich hatte seine Gattin Messalina, von der er den Britannicus und die Octavia erhalten hatte, aus Eifersucht verstossen. 150 Ausserdem war er schon früher mit Petina verheiratet gewesen, die ihm seine älteste Tochter Antonia geboren hatte. Diese Antonia gab Claudius sogleich dem Nero zur Ehe; so nannte er nämlich den Domitius, als er ihn an Sohnesstatt annahm.

(2.) 151 Da also Agrippina befürchtete, Britannicus möchte, wenn er erwachsen sei, von seinem Vater den Thron erben, brachte sie, wie die Sage geht, um ihrem eigenen Sohne zur Herrschaft zu verhelfen, dem Claudius das todbringende Gift bei. 152 Sogleich nach seinem Ableben sandte sie alsdann Burrus, den Oberbefehlshaber des Heeres, nebst den angesehensten Tribunen und Freigelassenen zu Nero, um ihn in die Praetorianerkaserne geleiten und dort zum Caesar ausrufen zu lassen. 153 Als Nero auf diese Weise den Thron bestiegen hatte, liess er den Britannicus heimlich vergiften. Seine Mutter aber brachte er bald nachher öffentlich um und dankte ihr auf so schnöde Weise nicht nur dafür, dass sie ihm das Leben gegeben, sondern auch dafür, dass sie ihm durch [660] ihre Ränke auf den Thron geholfen hatte. Ebenso tötete er auch seine Gattin Octavia sowie viele edle Römer unter dem Vorwand, sie hätten sich gegen ihn verschworen.

(3.) 154 Doch ich will hierüber nichts weiter berichten. Denn Neros Geschichte haben viele geschrieben, von denen die einen aus Dankbarkeit für seine Gunstbezeugungen die Wahrheit absichtlich verschleierten, die anderen aber aus Hass und Feindseligkeit ihn derart mit Lügen verfolgten, dass sie dafür volle Verachtung verdienen. 155 Freilich zu verwundern braucht man sich über diesen Mangel an Wahrheitsliebe nicht, da die betreffenden Geschichtschreiber nicht einmal bei der Schilderung der Thaten seiner Vorgänger der Wahrheit die Ehre gaben, obwohl sie doch gegen diese keine persönliche Abneigung haben konnten, weil sie so lange Zeit nach ihnen lebten. 156 Mögen indes die Geschichtschreiber, denen an der Wahrheit nichts liegt, schreiben, wie es ihnen beliebt, da sie nun einmal an willkürlichen Berichten Freude zu haben scheinen. 157 Ich dagegen, der ich es mit der Wahrheit genau nehme, habe mich entschlossen, alles, was zu meinem Hauptgegenstande nicht gehört, nur kurz zu berühren und lediglich das, was meine Landsleute, die Juden, betrifft, ausführlicher zu erzählen, weil ich mich nicht scheue, auch unser Unglück und unsere Schuld offenkundig zu machen. Ich nehme daher jetzt den Faden meiner Erzählung wieder auf.

(4.) 158 Im ersten Jahre von Neros Regierung starb Azizus, der König von Emesa, und es folgte ihm auf dem Thron sein Bruder Soëmus. Die Herrschaft über Kleinarmenien aber wurde von Nero an Aristobulus, den Sohn des Königs Herodes von Chalkis, übertragen, 159 und Agrippa erhielt vom Caesar einen Teil von Galilaea nebst Tiberias und Taricheae, die sich seiner Botmässigkeit unterwerfen mussten, sowie die Stadt Julias und vierundzwanzig Dörfer in Peraea.

(5.) 160 Die Verhältnisse Judaeas wurden inzwischen von Tag zu Tag zerrütteter. Denn das Land war abermals [661] voll von Räubern und von Betrügern, die das Volk irreleiteten. 161 Felix nun liess von diesen wie von jenen tagtäglich eine grosse Anzahl ergreifen und hinrichten. So nahm er auch Eleazar, den Sohn des Dinaeus, der eine ganze Räuberbande um sich gesammelt hatte, mit List gefangen. Er lockte ihn nämlich unter Zusicherung voller Straflosigkeit an seinen Hof und schickte ihn alsdann sogleich in Fesseln nach Rom. 162 Ganz besonders aber erregte den Unwillen des Felix der Hohepriester Jonathas, weil er den Landpfleger oft zurechtwies, er solle Judaea besser verwalten, damit er selbst, der seine Ernennung vom Caesar erbeten hatte, unter den Klagen des Volkes weniger zu leiden habe. Felix sann daher auf Mittel, den unbequemen Tadler aus dem Wege zu räumen. Denn nichts ist denen, die Böses im Schilde führen, lästiger als stete Ermahnungen. 163 Er bestach also durch Zusicherung einer grossen Geldsumme den vertrautesten von Jonathas’ Freunden, einen Bürger von Jerusalem mit Namen Doran, den Jonathas durch gedungene Mörder töten zu lassen. Doran ging auf den Vorschlag ein und lieferte den Hohepriester wirklich in die Hände der Meuchler. 164 Einige von diesen nämlich zogen mit Dolchen unter den Kleidern nach Jerusalem, als wollten sie dort Gott anbeten, mischten sich dann unter Jonathas’ Dienerschaft und machten ihn nieder. 165 Und da man den Mord ruhig geschehen liess, kamen in der Folge die Räuber an Festtagen mit grosser Dreistigkeit zur Stadt, verteilten sich, den Dolch im Gewande, unter dem Volk und stachen bald ihre eigenen Feinde, bald andere nieder, gegen die sie sich für Geld dingen liessen, und das nicht nur in der Stadt, sondern öfters sogar auch im Tempel. Denn selbst die Heiligkeit dieses Ortes vermochte ihrem Blutdurst keine Schranken zu setzen. 166 Deshalb hat auch Gott, wie ich glaube, im Zorn über solche Greuel seine Hand von Jerusalem weggezogen und, weil er den Tempel nicht mehr als seine unbefleckte Wohnstätte anerkannte, die Römer gegen uns herangeführt, über die Stadt das läuternde Feuer geschickt [662] und uns mit Weib und Kind der Sklaverei preisgegeben, um uns durch Unglück zur Erkenntnis unserer Schuld zu bringen.

(6.) 167 Infolge des Treibens der Räuber war die ganze Stadt ein Schauplatz der nichtswürdigsten Verbrechen. Gleichzeitig traten auch Gaukler und Betrüger auf und beredeten die Menge, ihnen in die Wüste zu folgen, 168 wo sie mit Gottes Beistand offenbare Zeichen und Wunder thun würden. Viele glaubten ihnen, mussten aber für ihren Unverstand schwer büssen, da Felix sie zurückholen und hinrichten liess. 169 Um diese Zeit kam auch ein Mensch aus Aegypten nach Jerusalem, der sich für einen Propheten ausgab und das gemeine Volk verleiten wollte, mit ihm auf den Ölberg zu steigen, der in einer Entfernung von fünf Stadien der Stadt gegenüber liegt. 170 Dort, sagte er, wolle er ihnen zeigen, wie auf sein Geheiss die Mauern Jerusalems zusammenstürzten, durch welche er ihnen dann einen Eingang in die Stadt bahnen würde. 171 Als Felix hiervon Kunde erhielt, liess er die Besatzung alarmieren, machte mit einer starken Abteilung von Reitern und Fusssoldaten einen Ausfall aus Jerusalem und griff den Aegyptier und dessen Anhänger an. Von den letzteren fielen viertausend, und zweihundert wurden gefangen genommen; 172 der Ägyptier selbst aber entkam aus dem Treffen und wurde unsichtbar. Jetzt reizten die Banditen abermals das Volk zum Kriege gegen die Römer, denen man keinen Gehorsam erweisen dürfe, und wo man auf ihre Hetzereien nicht einging, verheerten sie die Dörfer durch Brandstiftung und Plünderung.

(7.) 173 Auch zwischen den Juden in Caesarea und den dort wohnenden Syrern entstanden Streitigkeiten wegen gleicher Beteiligung am Bürgerrecht. Die Juden nämlich beanspruchten ein Vorrecht für sich, weil ihr König Herodes, der Gründer von Caesarea, jüdischer Abstammung gewesen sei. Die Syrer wollten das gelten lassen, behaupteten aber, die Stadt sei schon lange vorher Stratonsturm genannt worden, ehe noch ein einziger Jude dort [663] gewohnt habe. 174 Als dies den römischen Beamten zu Ohren kam, liessen sie die Hauptschreier auf beiden Seiten festnehmen und geisseln, wodurch die Unruhen für kurze Zeit unterdrückt wurden. 175 Die Juden indes, die sich auf ihren Reichtum etwas einbildeten und deshalb die Syrer verachteten, verfolgten diese bald wieder mit Schmähungen, um sie zu Thätlichkeiten zu reizen. 176 Die Syrer ihrerseits, die zwar nicht so reich waren, sich aber darauf verliessen, dass die in der Nähe stehende römische Heeresabteilung zum grössten Teil aus Bürgern von Caesarea und Sebaste bestand, erwiderten eine Zeitlang die Schmähungen der Juden mit ähnlichen Beleidigungen. Dann aber kam es zu Steinwürfen, bis auf beiden Seiten viele verwundet und getötet waren. Der Vorteil war jedoch auf seiten der Juden. 177 Als nun Felix sah, dass der Streit sich kaum noch von offenem Kriege unterschied, eilte er herbei und beschwor die Juden, sich ruhig zu verhalten. Da diese sich aber an seine Vorstellungen nicht kehrten, liess er eine Truppenabteilung gegen sie ausrücken, eine Menge von ihnen niedermachen, eine noch grössere Anzahl gefangen nehmen und etliche ihrer Häuser in Caesarea, die mit Schätzen aller Art gefüllt waren, von seinen Soldaten ausplündern. 178 Da richteten die gemässigten und einflussreichen Juden, die um ihre und ihrer Angehörigen Sicherheit besorgt waren, an Felix die Bitte, er möge doch den Soldaten durch Trompetensignale Einhalt gebieten lassen und ihrer schonen, um ihnen Gelegenheit zur Sühne für die begangenen Fehler zu geben. Diesem Verlangen willfahrte Felix sogleich.

(8.) 179 Um diese Zeit übertrug der König Agrippa die hohepriesterliche Würde an Ismaël, den Sohn des Phabi. 180 Übrigens gerieten jetzt auch die Hohepriester mit den Priestern und den Vornehmsten zu Jerusalem in Streit, sodass jeder von ihnen eine Schar verwegener und aufrührerischer Gesellen um sich sammelte, die, wo sie sich trafen, sich gegenseitig mit Beschimpfungen und Steinwürfen überschütteten. Niemand fand sich, der sie zurechtgewiesen hätte, sodass die Willkür sich immer breiter [664] machte, als sei keine Obrigkeit mehr vorhanden. 181 Schliesslich gingen die Hohepriester in ihrer Dreistigkeit und in ihrem Übermut so weit, dass sie sich nicht scheuten, ihre Knechte auf die Tennen zu schicken und die den Priestern zustehenden Zehnten wegnehmen zu lassen, was zur Folge hatte, dass die ärmeren Priester aus Mangel an Lebensmitteln dem Tode verfielen. So war an die Stelle von Recht und Gerechtigkeit die zügelloseste Tyrannei unruhiger Köpfe getreten.

(9.) 182 Inzwischen folgte im Landpflegeramte dem Felix der von Nero ernannte Porcius Festus.[20] Kaum war dieser eingetroffen, als sich die Häupter der in Caesarea wohnenden Juden nach Rom begaben, um Felix anzuklagen, und es fehlte nicht viel, so hätte dieser die den Juden zugefügten Kränkungen schwer gebüsst. Doch gelang es seinem Bruder Pallas, der bei Nero damals in hohem Ansehen stand, durch inständige Bitten den Caesar gnädig zu stimmen. 183 Ja, die beiden vornehmsten der in Caesarea wohnenden Syrer suchten sogar den Burrus, der Neros Lehrer gewesen war und jetzt dessen griechische Korrespondenz besorgte, durch eine ungeheure Geldsumme zu bewegen, dass er ihnen einen Brief von Nero auswirke in welchem den Juden die Gleichberechtigung mit den Syrern aberkannt werde. 184 Burrus setzte auch wirklich durch seine Verwendung beim Caesar die Ausfertigung eines solchen Briefes durch, und damit nahm das Leid, welches später über unser Volk hereinbrach, seinen Anfang. Als nämlich die Juden zu Caesarea den Inhalt dieses an die Syrer gerichteten Briefes erfuhren, verharrten sie im Aufruhr, bis zuletzt der förmliche Krieg sich daraus entwickelte.

(10.) 185 Bei seiner Ankunft in Judaea fand Festus das Land in stetem Schrecken vor den Banditen, welche allenthalben die Dörfer einäscherten und plünderten. 186 Diese sogenannten Sikarier waren allmählich zu einer gewaltigen Menge angewachsen. Sie führten kleine Dolche, [665] die sich der Grösse nach nicht viel von den persischen Akinaken unterschieden, aber gekrümmt waren wie die römischen „sicae“, woher auch die Banditen den Namen Sikarier erhielten. 187 An Festtagen mischten sie sich, wie schon erwähnt, unter die Volksmenge, die von allen Seiten zum Gottesdienst in die Stadt strömte, und erdolchten so viele von den Andächtigen, als ihnen beliebte. Oft brachen sie auch bewaffnet, in die Dörfer ihrer Opfer ein, plünderten alles und warfen den Feuerbrand in die Häuser. Um diese Zeit trat wieder ein Gaukler auf, welcher der Menge Glückseligkeit und Befreiung von allem Elend verhiess, wenn sie ihm in die Wüste folge. 188 Festus aber sandte sogleich gegen den Betrüger und dessen Anhang Abteilungen zu Fuss und zu Pferde aus, die den ganzen Haufen niedermachten.

(11.) 189 Ebenfalls um diese Zeit errichtete der König Agrippa ein weitläufiges Gebäude auf der ehemaligen Königsburg der Asamonäer 190 nahe bei der Ringschule, und da das Gebäude in bedeutender Höhe lag, genoss man von hier aus einen reizenden Ausblick auf die Stadt. Daran hatte der König seine Freude, und wenn er hier auf einem Polster lag, konnte er alles übersehen, was im Tempel vor sich ging. 191 Als dies die Vornehmsten von Jerusalem gewahrten, wurden sie sehr unwillig, weil es durchaus ungebräuchlich und ungesetzlich war, die Vorgänge im Tempel, besonders während der heiligen Handlungen, zu beobachten. Deshalb liessen sie oberhalb der Halle, welche im Innern des Heiligtums gegen Westen lag, eine hohe Mauer aufführen, 192 die nicht nur dem Ruheplatz des Königs, sondern auch der westlichen Halle ausserhalb des Tempels, von wo aus die Römer an Festtagen die Vorgänge im Tempel überwachen liessen, jeden Ausblick versperrte. 193 Hierüber geriet nicht nur Agrippa, sondern in noch höherem Grade auch der Landpfleger Festus in Erregung, und der letztere gab Befehl, die Mauer niederzureissen. Die Juden jedoch baten um die Erlaubnis, wegen dieser Angelegenheit Abgeordnete an Nero schicken zu dürfen, weil sie lieber [666] sterben als einen Teil ihres Tempels zerstört sehen wollten. 194 Da Festus dies gestattete, ordneten sie zehn vornehme Bürger aus ihrer Mitte sowie den Hohepriester Ismaël und den Tempelschatzmeister Helkias an den Caesar ab. 195 Nero erteilte ihnen Audienz und verzieh ihnen nicht nur das Geschehene, sondern gestattete auch, dass das Bauwerk stehen blieb, und zwar that er das seiner Gemahlin Poppaea zu Gefallen, die eine gottesfürchtige Frau war und sich deshalb für die Juden ins Mittel legte. Poppaea liess alsdann nur die zehn Vornehmen heimkehren, behielt aber Helkias und Ismaël als Geiseln zurück.[21] 196 Als dies der König erfuhr, übertrug er die Hohepriesterwürde an Joseph mit dem Beinamen Kabi, den Sohn des ehemaligen Hohepriesters Simon.

Neuntes Kapitel.
Albinus wird Landpfleger. Steinigung des Jakobus.
Weitere Ereignisse unter Albinus.

(1.) 197 Bald darauf gelangte die Nachricht vom Tode des Festus nach Rom, und nun schickte der Caesar den Albinus als Landpfleger nach Judaea.[22] Der König aber entsetzte den Joseph wieder des Hohepriesteramtes und übertrug dasselbe dem Sohne des Ananus, der gleichfalls Ananus hiess. 198 Dieser ältere Ananus soll einer der glücklichsten Menschen gewesen sein. Er hatte nämlich fünf Söhne, die alle dem Herrn als Hohepriester dienten, nachdem er auch selbst diese Würde lange Zeit hindurch bekleidet hatte, und so etwas war noch bei keinem unserer Hohepriester der Fall gewesen. 199 Der jüngere Ananus jedoch, dessen Ernennung zum Hohepriester ich soeben erwähnt habe, war von heftiger [667] und verwegener Gemütsart und gehörte zur Sekte der Sadducäer, die, wie schon früher bemerkt, im Gerichte härter und liebloser sind als alle anderen Juden. 200 Zur Befriedigung dieser seiner Hartherzigkeit glaubte Ananus auch jetzt, da Festus gestorben, Albinus aber noch nicht angekommen war, ein günstige Gelegenheit gefunden zu haben. Er versammelte daher den hohen Rat zum Gericht und stellte vor dasselbe den Bruder des Jesus, der Christus genannt wird, mit Namen Jakobus,[WS 2] sowie noch einige andere, die er der Gesetzesübertretung anklagte und zur Steinigung führen liess. 201 Das aber erbitterte auch die eifrigsten Beobachter des Gesetzes, und sie schickten deshalb insgeheim Abgeordnete an den König mit der Bitte, den Ananus schriftlich aufzufordern, dass er für die Folge sich ein ähnliches Unterfangen nicht mehr beifallen lasse, wie er auch jetzt durchaus im Unrecht gewesen sei. 202 Einige von ihnen gingen sogar dem Albinus, der von Alexandria kam, entgegen und stellten ihm vor, dass Ananus ohne seine Genehmigung den hohen Rat gar nicht zum Gericht habe berufen dürfen. 203 Diesen Ausführungen pflichtete Albinus bei und schrieb im höchsten Zorne an Ananus einen Brief, worin er ihm die gebührende Strafe androhte. Agrippa aber entsetzte ihn infolge dieses Vorfalls schon nach dreimonatlicher Amtsführung seiner Würde und ernannte Jesus, den Sohn des Damnaeus, zum Hohepriester.

(2.) 204 Als nun Albinus in Jerusalem angelangt war, gab er sich alle erdenkliche Mühe, das Land zu beruhigen und geordnete Zustände in demselben zu schaffen, indem er eine grosse Menge Sikarier niedermachen liess. 205 Der (frühere) Hohepriester Ananias aber stieg mit jedem Tage im Ansehen des Volkes und wurde stets mehr und mehr ausgezeichnet und geehrt. Er verstand es nämlich sehr gut, Geldgeschäfte zu machen, und wusste durch Geschenke sowohl den Landpfleger Albinus, als auch den Hohepriester für sich einzunehmen. 206 Dabei aber hatte er nichtswürdige Knechte, die sich mit den verwegensten [668] Menschen ins Einvernehmen setzten, um von den Tennen die den Priestern gehörigen Zehnten zu rauben, und wer ihnen Widerstand zu leisten wagte, wurde mit Schlägen misshandelt. 207 Die Hohepriester machten es ebenso, wie Ananias’ Knechte, und da niemand sich ihnen widersetzen mochte, konnte es nicht ausbleiben, dass die Priester, die sich sonst von den Zehnten ernährten, aus Mangel zu Grunde gingen.

(3.) 208 Bei einem Feste nun, das um diese Zeit gefeiert wurde, kamen auch die Sikarier wieder zur Nachtzeit in die Stadt, ergriffen den Schreiber des Tempelvorstehers Eleazar, der des Hohepriesters Ananias Sohn war, und führten ihn gebunden von dannen. 209 Alsdann schickten sie einen Boten zu Ananias und versprachen, ihm den Schreiber zurückzuschicken, wenn er den Landpfleger veranlasse, zehn ihrer Genossen, die dieser gefangen hielt, freizugeben. Ananias, der keinen anderen Ausweg wusste, verwendete sich bei Albinus, und es gelang ihm, sein Gesuch bewilligt zu erhalten. 210 Indes war das nur der Anfang von noch grösserem Übel. Denn die Banditen suchten jetzt auf alle mögliche Weise irgend einen von Ananias’ Angehörigen oder Freunden in ihre Gewalt zu bekommen und hielten ihre Opfer jedesmal so lange gefangen, bis einige ihrer Genossen freigegeben wurden. So wuchs ihre Zahl wieder an, und mit noch grösserer Dreistigkeit als bisher verwüsteten sie das ganze Land.

(4.) 211 Um diese Zeit hatte der König Agrippa die Stadt Caesarea Philippi erweitert und nannte sie nun dem Nero zu Ehren Neronias. Auch erbaute er zu Berytus mit grossen Kosten ein Theater, in welchem er unter Aufwendung ungeheurer Summen alljährlich Schauspiele aufführen liess, 212 wobei er das Volk mit Getreide und Öl beschenkte. Dann schmückte er die ganze Stadt mit Statuen und Bildwerken nach den Originalen früherer berühmter Künstler und verlegte überhaupt fast den gesamten Glanz seiner Regierung in diese Stadt. Dadurch aber erregte er den Unwillen seiner Unterthanen, weil [669] er ihnen das Ihrige nehme und eine fremde Stadt damit verschönere. 213 Übrigens erkannte der König um diese Zeit dem Jesus, Sohn des Damnaeus, die hohepriesterliche Würde wieder ab und übertrug dieselbe dem gleichfalls den Namen Jesus führenden Sohne des Gamaliel, woraus sich zwischen den beiden ein Streit entspann. Jeder von ihnen sammelte eine Schar verwegener Menschen um sich, die sich gegenseitig in gröbster Weise schmähten und schliesslich mit Steinen bewarfen. Allen zuvor aber that es Ananias, indem er durch seinen Reichtum die meisten Anhänger auf seine Seite brachte. 214 Ebenso hatten Kostobar und Saulus je eine Rotte verbrecherischer Menschen in Dienst genommen. Diese beiden stammten aus königlichem Geschlecht und standen ihrer Verwandtschaft mit Agrippa wegen in hohem Ansehen, waren aber übermütig und gewaltthätig und auf die Ausplünderung der Schwächeren erpicht. Von dieser Zeit an kam unsere Stadt aus den Drangsalen nicht mehr heraus, und alle Verhältnisse trieben dem Untergang zu.

(5.) 215 Da Albinus jetzt die Nachricht erhielt, Gessius Florus sei zu seinem Nachfolger ernannt und schon unterwegs, wollte er sich den Anschein geben, als habe er etwas für die Juden gethan, und liess daher alle Gefangenen, die offenbar den Tod verdient hatten, hinrichten, während er diejenigen, die wegen leichterer Vergehen im Kerker sassen, gegen Entrichtung einer bestimmten Geldsumme freigab. So leerten sich zwar die Gefängnisse von Übelthätern, das Land aber füllte sich mit Banditen.

(6.) 216 Unterdessen begaben sich aus der Mitte der Leviten, die einen besonderen Stamm bilden, sämtliche Psalmensänger zum König und baten ihn, er möge den hohen Rat zusammenberufen und ihnen bei demselben das Recht erwirken, ebenso wie die Priester leinene Gewänder tragen zu dürfen. Denn es werde, meinten sie, seinen Regierungsjahren zum Ruhm gereichen, wenn er eine neue Einrichtung für ewige Zeiten treffe. 217 Ihr [670] Verlangen wurde ihnen auch wirklich erfüllt; denn der König verlieh mit Zustimmung der Mitglieder des hohen Rates den Psalmensängern die Befugnis, ihre ehemalige Kleidung mit der gewünschten leinenen zu vertauschen. 218 Einem anderen Teil des Stammes, dem die niederen Dienstverrichtungen im Tempel oblagen, gestattete er auf diesbezüglichen Antrag, die heiligen Gesänge zu erlernen. Das alles aber stand mit unseren althergebrachten Satzungen im Widerspruch, und so konnte es nicht ausbleiben, dass der Gesetzesübertretung die verdiente Strafe folgte.

(7.) 219 Um diese Zeit ward der Tempel vollendet. Als nun das Volk die Handwerker, mehr denn achtzehntausend an der Zahl, müssig gehen sah, musste es befürchten, dass sie um Verdienst verlegen sein würden, da sie bisher durch die Arbeit am Tempel sich ihren Lebensunterhalt erworben hatten. 220 Nun wollte man auch aus Furcht vor den Römern keine Tempelgelder mehr ansammeln und deshalb den vorhandenen Schatz zur Beschäftigung der Handwerker verwenden. Denn wenn einer von ihnen auch nur eine Stunde am Tempel gearbeitet hatte, erhielt er den Lohn dafür auf der Stelle ausgezahlt. Deshalb ging man den König mit der Bitte an, die östliche Halle wiederherzustellen. 221 Das war ein Säulengang aussen am Tempel, der sich längs eines tiefen Abgrundes hinzog und darum auf Mauern von vierhundert Ellen Höhe ruhte. Die Halle bestand übrigens aus blendend weissen Quadersteinen von je zwanzig Ellen Länge und sechs Ellen Höhe und war noch ein Werk des Königs Solomon, der zuerst einen einheitlichen Tempelbau hergestellt hatte. 222 Da aber der König, dem vom Caesar Claudius die Sorge für den Tempel anvertraut war, bei sich überlegte, wie leicht es sei, ein Bauwerk zu zerstören, wie schwer dagegen, es dann wiederherzustellen, zumal eine solche Halle, deren Erneuerung viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen würde, gab er dem Verlangen der Juden nicht nach, erlaubte ihnen aber, die Stadt mit weissem Marmor zu [671] pflastern. 223 Alsdann entsetzte er Gamaliels Sohn Jesus wieder seines hohepriesterlichen Amtes und übertrug dasselbe an Matthias, den Sohn des Theophilus, unter dem der Krieg zwischen Römern und Juden zum Ausbruch kam.

Zehntes Kapitel.
Überblick über die sämtlichen Hohepriester bis zum Ende des Krieges.

(1.) 224 Ich halte es nunmehr für notwendig und dem Zweck dieses Geschichtswerkes besonders dienlich, von den Hohepriestern anzugeben, woher sie stammten, wem es gestattet war, die Würde zu bekleiden, und wie viele derselben es bis zum Ende des Krieges gab. 225 Der allererste Hohepriester Gottes war, wie berichtet wird, Aaron, der Bruder des Moyses. Diesem folgten, als er gestorben war, seine Söhne, und von da an blieb die Würde erblich bei seinen Nachkommen. 226 Es gilt daher bei uns das Gesetz, dass niemand Hohepriester Gottes werden kann, der nicht von Aaron abstammt. Aus einer anderen Familie darf niemand, und wenn es der König selbst wäre, auf diese Würde Anspruch machen. 227 Von Aaron also, dem ersten Hohepriester, an zählte man bis auf Phineës, der während des Krieges von den Empörern eingesetzt wurde, im ganzen dreiundachtzig Hohepriester. 228 Von diesen bekleideten seit der Zeit, da die von Moyses dem Herrn errichtete Hütte in der Wüste stand, bis zur Ankunft in Judaea, wo der König Solomon Gott den Tempel erbaute, dreizehn das Hohepriesteramt. 229 Anfangs behielten sie die Würde bis zum Ende ihres Lebens, während sie später auch schon zu Lebzeiten durch Nachfolger ersetzt wurden. Jene dreizehn nun, die von den beiden Söhnen Aarons abstammten, erhielten ihr Amt in regelmässiger Nachfolge. Während ihrer Amtsführung war die Verfassung zunächst eine aristokratische, dann eine solche der Regierung [672] eines Einzigen, und endlich die des Königtums. 230 Die Zahl der Jahre, während welcher jene dreizehn die Würde bekleideten, belief sich von dem Tage, da unsere Väter unter Moyses’ Anführung Aegypten verliessen, bis zur Grundsteinlegung des vom Könige Solomon zu Jerusalem erbauten Tempels auf sechshundertzwölf.

(2.) 231 Nach diesen dreizehn Hohepriestern hatten das Amt achtzehn inne, die seit der Zeit des Königs Solomon zu Jerusalem aufeinander folgten, bis der babylonische König Nabuchodonosor gegen die Stadt zog, das Heiligtum den Flammen preisgab, unser Volk nach Babylon wegführte und den Hohepriester Josadak gefangen nahm. 232 Die Dauer ihrer Amtsführung betrug vierhundertsechsundsechzig Jahre, sechs Monate und zehn Tage, während welcher Zeit die Juden unter Königen standen. 233 Siebzig Jahre nach der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier liess der Perserkönig Cyrus die Juden aus Babylon in ihre Heimat zurückkehren und erlaubte ihnen, den Tempel wieder aufzubauen. 234 Jetzt erhielt Josadaks Sohn Jesus, einer von den Heimgekehrten, die hohepriesterliche Würde. Dieser und seine Nachkommen, fünfzehn im ganzen, regierten bis auf den König Antiochus Eupator den nunmehr wieder demokratischen Staat vierhundertzwölf Jahre hindurch.

(3.) 235 Jener Antiochus und sein Feldherr Lysias waren die ersten, die einen Hohepriester, nämlich den Onias mit dem Beinamen Menelaus, seiner Würde beraubten, indem sie ihn zu Beroea umbringen liessen und mit Umgehung seines Sohnes den Jakim zum Hohepriester machten, der zwar aus Aarons Geschlecht, aber nicht aus dem Hause des Onias stammte. 236 Deshalb zog Onias, der Vetter des verstorbenen Onias, nach Aegypten, erwarb sich hier die Gunst des Ptolemaeus Philometor und seiner Gemahlin Kleopatra und bewog dieselben, ihn im Bezirk von Heliopolis Gott einen ähnlichen Tempel, wie der zu Jerusalem war, erbauen zu lassen, sowie ihn selbst zum Hohepriester zu ernennen. 237 Von diesem in Aegypten erbauten Tempel habe ich schon wiederholt gesprochen. [673] Jakim aber, um wieder auf ihn zurückzukommen, starb schon nach dreijähriger Führung des Hohepriesteramtes. Er erhielt nicht sogleich einen Nachfolger, sondern die Stadt blieb nun sieben Jahre lang ohne Hohepriester. 238 Später aber, als den Asamonäern die Leitung des Volkes anvertraut war, ernannten diese nach Beendigung des Krieges mit den Macedoniern den Jonathas zum Hohepriester, der sieben Jahre lang die Würde innehatte. 239 Als dieser nun, wie ich schon früher irgendwo erwähnt habe, von Tryphon mit List aus dem Wege geräumt worden war, erhielt sein Bruder Simon das Amt. 240 Simon wurde ebenfalls, nachdem er ein Jahr länger wie sein Bruder die Würde bekleidet hatte, hinterlistigerweise beim Mahle umgebracht, und es folgte ihm sein Sohn Hyrkanus. Als Hyrkanus dreissig Jahre lang Hohepriester gewesen war, starb er in hohem Alter und hinterliess als Nachfolger den Judas, der auch Aristobulus genannt wurde. 241[WS 3] Dieser bekleidete zugleich mit der hohepriesterlichen auch die königliche Würde, denn er war der erste, der sich die Krone aufsetzte. Doch regierte er danach nur noch ein Jahr, und als eine Krankheit ihn dahingerafft,

(4.) 242 folgte ihm sein Bruder Alexander, der siebenundzwanzig Jahre lang Hohepriester und König blieb und sterbend seiner Gemahlin Alexandra die Befugnis übertrug, einen neuen Hohepriester zu ernennen. Alexandra übergab alsdann das Amt ihrem Sohne Hyrkanus, und als sie nach neunjähriger Regierung starb, war es auch mit des Hyrkanus Hohepriestertum aus. 243 Denn nach dem Tode der Mutter erregte sein Bruder Aristobulus Krieg gegen ihn, besiegte ihn und entsetzte ihn seiner Würde, um an seiner Stelle Hohepriester und König zugleich zu werden. 244 Drei Jahre und drei Monate nach seiner Thronbesteigung indes kam Pompejus nach Judaea, eroberte Jerusalem mit stürmender Hand und sandte Aristobulus samt seinen Kindern gefangen nach Rom. Nun wurde Hyrkanus wieder in sein Amt als Hohepriester eingesetzt und erhielt auch die Regierungsgewalt, aber nicht die [674] Königskrone. So herrschte Hyrkanus weitere vierundzwanzig Jahre. 245 Dann aber überschritten die parteiischen Fürsten Barzapharnes und Pakorus den Euphrat, überzogen Hyrkanus mit Krieg, nahmen ihn gefangen und setzten Aristobulus’ Sohn Antigonus als König ein. 246 Nachdem dieser drei Jahre und drei Monate regiert hatte, eroberten Sosius und Herodes die Stadt Jerusalem, worauf er nach Antiochia gebracht und dort auf Antonius’ Befehl hingerichtet wurde.

(5.) 247 Nun erhielt Herodes von den Römern die Herrschaft und ernannte keine Angehörigen des Asamonäergeschlechtes mehr zu Hohepriestern, sondern mit Ausnahme des Aristobulus Männer aus unberühmten und nur priesterlichen Familien. 248 Aristobulus aber, den Enkel des von den Parthern gefangen genommenen Hyrkanus und Bruder seiner späteren Gattin Mariamne, machte er nur deshalb zum Hohepriester, weil er sich die Gunst des Volkes, bei dem das Andenken des Hyrkanus in Ehren stand, verschaffen wollte. Da er jedoch später befürchtete, es möchten alle zu Aristobulus halten, räumte er denselben aus dem Wege, indem er ihn zu Jericho beim Baden ertränken liess, wie ich schon früher mitgeteilt habe. 249 Nach ihm erhielt kein Asamonäer mehr die hohepriesterliche Würde. Ebenso wie Herodes verfuhren bei Ernennung der Hohepriester auch sein Sohn Archelaus und nach diesem die Römer, als sie das jüdische Reich erobert hatten. 250 Von der Zeit des Herodes nun bis zu dem Tage, da Titus den Tempel und die Stadt einäscherte, gab es im ganzen achtundzwanzig Hohepriester, deren Amtsführung sich über eine Zeit von hundertundsieben Jahren erstreckte. 251 Einige von diesen bekleideten die Würde noch unter Herodes und seinem Sohne Archelaus, nach deren Ableben der Staat aristokratisch verwaltet würde, während die Aufsicht über das Volk den Hohepriestern anvertraut war. Das mag über die Hohepriester genügen.

[675]
Elftes Kapitel.
Vom Landpfleger Florus, der die Juden zum Kriege gegen die Römer trieb.

(1.) 252 Was nun Gessius Florus anlangt, den Nero als Nachfolger des Albinus gesandt hatte,[23] so verhängte er unsägliches Leid über die Juden. Er stammte aus Klazomenae und brachte seine Gattin Kleopatra mit, die als Freundin und an Gottlosigkeit[24] ebenbürtige Genossin von Neros Gemahlin Poppaea ihm das Amt eines Landpflegers von Judaea verschafft hatte. 253 Mit der ihm hierdurch verliehenen Gewalt trieb er nun einen so schmählichen und nichtswürdigen Missbrauch, dass die Juden gegenüber seiner Schlechtigkeit Albinus noch als ihren Wohlthäter priesen. 254 Denn dieser hatte wenigstens seine Bosheit zu verbergen gesucht und sich sorgfältig in acht genommen, um nicht überall in Verruf zu geraten. Gessius Florus dagegen prahlte mit der Misshandlung unseres Volkes, als wäre er nur geschickt worden, um seine Bosheit an den Tag zu legen, und es lässt sich keine Art von Erpressung oder sonstiger Ungerechtigkeit denken, deren er nicht fähig gewesen wäre. 255 Denn er war grausam und hartherzig und so unersättlich in seiner Habgier, dass er zwischen wenig und viel gar keinen Unterschied kannte und selbst mit Banditen zu teilen sich nicht scheute. Diese gingen daher in grosser Anzahl dem Raube nach, weil sie sicher sein konnten, dass ihnen gegen Abgabe eines Teiles der Beute nicht das mindeste zuleide geschah. 256 Damit aber war das Mass des Elendes noch nicht voll, sondern da die unglücklichen Juden die Plünderungen seitens der Räuber nicht mehr ertragen konnten, mussten sie sämtlich [676] ihre Wohnsitze verlassen und ihr Heil in der Flucht suchen, weil sie überall im Ausland ein besseres Los erhoffen durften. 257 Kurz, Florus war es, der uns so weit brachte, dass wir den Krieg mit den Römern aufnahmen, weil wir lieber auf einmal als in langsamem Todeskampf untergehen wollten. Dieser Krieg nahm seinen Anfang im zweiten Jahre der Amtsführung des Florus und im zwölften der Regierung des Nero.[25] 258 Was wir während desselben zu thun gezwungen waren und was wir Schreckliches erdulden mussten, darüber kann sich jeder genaue Kenntnis verschaffen, wenn er meine Bücher über den Jüdischen Krieg lesen will.

Zwölftes Kapitel.
Schlusswort.

(1.)[WS 4] 259 Somit will ich denn mein Werk über die Jüdischen Altertümer beendigen, an welche sich das Werk über den Krieg sogleich anschliessen soll.[26] Die Altertümer enthalten die überlieferte Geschichte von der Erschaffung des ersten Menschen bis zum zwölften Regierungsjahre des Caesars Nero und berichten, was uns Juden in Aegypten, in Syrien und in Palaestina widerfahren ist, 260 ferner die Drangsalierungen von seiten der Assyrier und Babylonier, dann der Perser und Macedonier, und endlich die Unterjochung durch die Römer. Das alles glaube ich mit grösster Genauigkeit geschildert zu haben. 261 Auch habe ich mir Mühe gegeben, die Reihenfolge sämtlicher Hohepriester anzuführen, die es in zweitausend Jahren gegeben hat. Weiterhin habe ich wahrheitsgetreu die Geschichte der Könige, ihre Thaten, Regierungsart und Machtstellung nach Anleitung unserer heiligen Schriften auseinandergesetzt, wie ich dies gleich zu Anfang dieses Werkes versprochen habe. 262 Ich darf nun am Schlusse meiner Geschichte wohl zuversichtlich behaupten, dass selbst beim besten Willen kein anderer, sei er Jude oder Ausländer, den Inhalt dieses Werkes so getreu in griechischer Sprache wiederzugeben imstande [677] gewesen wäre. 263 Denn wie meine Landsleute mir das Zeugnis geben können, dass ich mich in den Wissenschaften meines Vaterlandes besonders hervorgethan habe, so habe ich mich auch mit der griechischen Sprache eingehend befasst und ihre grammatischen Regeln gründlich erlernt, wiewohl das geläufige Sprechen derselben mir durch die Sitte meiner Heimat unmöglich gemacht wird. 264 Bei uns sind nämlich diejenigen nicht besonders angesehen, die in vielen Sprachen bewandert sind und auf Schönheit im Ausdruck Wert legen, da diese Kunst als Gemeingut nicht nur der Freien, sondern auch der Sklaven gilt. Vielmehr geniessen nur diejenigen bei uns den Ruf von Weisen, die eine gründliche Kenntnis des Gesetzes verraten und die Bedeutung der heiligen Bücher nach Wort und Inhalt zu erklären vermögen. 265 Obwohl sich nun gar viele den grössten Fleiss in diesem Fache nicht haben verdriessen lassen, haben doch kaum zwei oder drei eine besondere Vollkommenheit darin erreicht und alsbald die Frucht ihrer Mühen eingeheimst. 266 Vielleicht aber wird es nicht unpassend erscheinen, wenn ich über meine Herkunft und über das, was ich während meines Lebens gethan habe, einiges mitteile, so lange es noch Zeugen giebt, die meine Angaben entweder, wenn sie auf Wahrheit beruhen, bestätigen, oder, wenn sie falsch sind, widerlegen können. 267 Hiermit beschliesse ich also meine Altertümer, die aus zwanzig Büchern und sechzigtausend Zeilen[27] bestehen, und so Gott will, erzähle ich später in kurzer Darstellung den Hergang des Krieges[28] und meinen eigenen Lebenslauf bis auf den heutigen Tag, der in das dreizehnte Regierungsjahr des Caesars Domitianus[29] [678] und in das sechsundfünfzigste Jahr meines Lebens fällt. 268 Ich habe die Absicht, auch noch vier Bücher über die Lehre der Juden von Gott und seinem Wesen nach altehrwürdiger Überlieferung zu schreiben, sowie ferner ein Werk über die Gesetze und den Grund zu verfassen, weshalb uns nach deren Vorschriften das eine erlaubt und das andere verboten ist.


  1. Vergl. hierzu den Jerusalemitischen Talmud, Sukka, 1 und Nazir, 3, 6, sowie das Erbauungsbuch Midrasch Bereschit Rabba.
  2. Vergl. I, 6, 4.
  3. Ein würziger Balsam.
  4. Vergl. I, 16, 1 und 19, 3 (Charra).
  5. Sampsa heisst bei den Arabern die Sonne. Die Sampsera wird also ein goldener Schild in Sonnenform gewesen sein, der als Herrscherabzeichen getragen wurde.
  6. Vergl. Apostelgeschichte 11, 28.
  7. Wo, ist unbekannt.
  8. Gotarzes bei Tacitus.
  9. Nach Tacitus (Annalen, XII, 14) erlag Gotarzes einer Krankheit, und es folgte ihm zunächst Vonones und dann erst Vologeses.
  10. Vergl. Tacitus, Annalen, XII, 50.
  11. Soll das der Betrüger sein, von dem Apostelgeschichte 5, 36 die Rede ist, so müsste man annehmen, Josephus habe sich in der Zeit geirrt, da die Rede des Gamaliel viele Jahre früher gehalten wurde, als der hier erwähnte Vorgang sich abspielte.
  12. 45 n. Chr.
  13. 49 n. Chr.; vergl. über letzteren Tacitus, Annalen, XII, 54.
  14. Jezreël oder Esdraëlon.
  15. S. die Anmerkung zu XVIII, 4, 2.
  16. 53 n. Chr. Vergl. hierzu Tacitus, Annalen, XII, 54; Apostelgeschichte 23 und 24.
  17. Vergl. Tacitus, Historien, V, 9.
  18. 54 n. Chr.
  19. Vergl. Tacitus, Annalen, XII, 66 f.
  20. 61 n. Chr.
  21. Offenbar den Juden zulieb, denen diese beiden Personen wegen ihrer Willkür verhasst waren.
  22. 63 n. Chr.
  23. 64 n. Chr.
  24. Vergl. hierzu XX, 8, 11, wo Josephus genau das entgegengesetzte Urteil über Poppaea fällt.
  25. 66 n. Chr. Vergl. Tacitus, Historien, V, 10.
  26. Geschrieben ist das Werk über den Krieg indes vor den „Altertümern“ (vergl. z. B. XII, 5, 2).
  27. στίχοι. Jede dieser Zeilen war somit um neun Buchstaben kleiner als eine griechische Zeile der Dindorfschen Text-Ausgabe (Paret).
  28. D. h. soweit er bei der Abfassung des Lebenslaufes in Betracht kam, denn die eigentliche Geschichte des Krieges war ja schon erschienen.
  29. 93 n. Chr.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der griechischen Ausgabe von Niese lautet der Name Ἄτομον (S. 300), Dindorf, dem Clementz folgt, bietet Σίμωνα (S. 781).
  2. Ab „den Bruder“ bis „Jakobus“ ist der Text im Original in Sperrschrift gesetzt. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund Clementz dies gemacht hat.
  3. Geringe Umstellungen in diesem Paragraphen.
  4. Im Original erscheint dieser Abschnitt wie bei Dindorf als XI, 2. Hier verbessert nach der Ausgabe von Niese und der Auflage 2004.
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