Zum Inhalt springen

Aus dem Leben einer jüdischen Familie/Von den Studienjahren in Göttingen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Aus dem Tagebuch zweier Mädchenherzen Edith Stein
Aus dem Leben einer jüdischen Familie
Aus dem Lazarettdienst in Mährisch-Weisskirchen »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
[165]
VII
Von den Studienjahren in Göttingen


1.

Es war ein weiter Weg, den ich zurückgelegt hatte, von jenem Apriltage i.J. 1913, an dem ich zum erstenmal nach Göttingen kam, bis zum März 1921, als ich wieder einmal dorthinfuhr – der größten Entscheidung meines Lebens entgegen.

Das liebe Göttingen! Ich glaube, nur, wer in den Jahren zwischen 1905 und 1914, der kurzen Blütezeit der Göttinger Phänomenologenschule, dort studiert hat, kann ermessen, was für uns in diesem Namen schwingt.

Ich war 21 Jahre alt und voller Erwartung dessen, was nun kommen sollte. In den Ferien hatte ich noch einen Besuch in Hamburg gemacht. Vor Ende April waren keine Vorlesungen; aber am 15 . war offizieller Semesterbeginn, dann waren die Amtsräume der Universität in Betrieb, ich konnte die Immatrikulation und alle andern äußeren Geschäfte erledigen und gleich richtig mit der Arbeit einsetzen, wenn das Leben in den Hörsälen begann. Ich reiste also am 17. April von Hamburg ab. Mein Schwager Max war etwas besorgt, mich so allein in eine ganz fremde Umgebung ziehen zu lassen. Er fragte, ob ich nicht wenigstens die erste Nacht bei Courants schlafen könnte, statt in der Studentenwohnung, die sie für Rose und mich besorgt hatten. Das lehnte ich natürlich ab. Ich meldete mich nur bei ihnen an, und Richard holte mich am Bahnhof ab, obgleich er gerade einen schlimmen Fuß hatte. Es war schon Abend, und er führte mich in der Dunkelheit in das neue Heim. Rose sollte erst einige Tage später aus Berlin kommen. Ich war sehr erfreut, als eine junge Frau mit hübschem, freundlichem Gesicht die Tür öffnete. Später gestand sie mir, daß auch sie bei meinem Anblick angenehm überrascht war. Sie hatte noch nie Studentinnen im Haus gehabt und dachte, sie seien alle alt und häßlich. Fast in jedem Bürgerhaus in Göttingen wohnten Studenten. Viele Wirtinnen nahmen grundsätzlich keine Damen auf. Manche hatten moralische Vorurteile. Andere fürchteten, daß ihre Küche zuviel zum Waschen, Kochen und Bügeln in Anspruch genommen würde oder daß im Zimmer durch einen Spirituskocher Schaden angerichtet würde. Es war sehr peinlich, wenn man Wohnung suchte und dann ein [166] mürrisches Gesicht durch einen Spalt herausguckte, um ein paar abweisende Worte zu murmeln. Wir hatten es also sehr gut getroffen.

Das Haus lag in der Langen Geismarstr., einer engen Kleinstadtgasse, die vom Innern der Stadt zum Albanikirchhof herauf führte; es war No. 2., dicht am Kirchhof – mit „Kirchhof“ werden in Göttingen die Kirchplätze bezeichnet. Der Albanikirchhof liegt an der Grenze der alten Stadt. Weiter außerhalb ziehen sich nette Villenstraßen mit den Häusern der Professoren und den vornehmeren Pensionen hin. St. Albani ist die älteste Kirche, hat eine ganz glatte Fassade und einen schweren Turm. Die Glocke läutete noch dreimal am Tage den Angelus und verriet dadurch ihre katholische Vergangenheit. Ich hörte das Läuten; seine Bedeutung kannte ich nicht. Gleich am Tage nach meiner Ankunft begann ich meine Erkundungsgänge. Von Kindheit an hatte es mir Freude gemacht, auf Entdeckungen auszugehen. Wenn Erna und ich in Breslau oder Hamburg allein spazieren geschickt wurden, sagte ich gewöhnlich: „Heute wollen wir aber wohingehen, wo wir noch nie gewesen sind“. Jetzt hatte ich eine ganze Stadt und ihre nähere und fernere Umgebung zu erobern. Es gab genug zu sehen. Man brauchte nur die Lange Geismarstr. hinunterzugehen und rechts um die Ecke zu biegen, dann war man gleich am Marktplatz. Da stand das schöne gotische Rathaus; an seinen Fenstern blühten rote Geranien, die lustig von den alten, grauen Steinen abstachen. Davor war der reizende Gänseliesel-Brunnen von Schaper. Nicht weit davon in einer Seitenstraße lag das schönste alte Haus von Göttingen, die „Mütze“ genannt, eine altdeutsche Weinstube mit Fachwerkgiebel und Butzenscheiben. Vom Markt gerade nach Norden führt die Hauptstraße der Stadt, die Weenderstr., in der nachmittags der große „Bummel“ stattfindet, zum Weender Tor, Auf der rechten Seite, etwa in der Mitte, erhebt sich das Wahrzeichen von Göttingen, der hohe Jakobikirchturm. Zusammen mit den beiden weniger stattlichen Türmen der Johanneskirche bestimmt er das Stadtbild, wenn man aus der Ferne darauf sieht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist die berühmte Konditorei von Kron und Lanz, wo es die besten Torten gibt und wo Professoren und Studenten (soweit ihre Börse es erlaubt) den Nachmittagskaffee nehmen und Zeitungen lesen. Das letzte Haus am Weender Tor, auf der rechten Seite, ist das Auditorienhaus, der Mittelpunkt des Universitätslebens. Es ist kein Monumentalbau und kann sich weder mit unserer alten Breslauer Leopoldina noch mit den modernen Prunkbauten in Jena oder München messen: ein einfaches, nüchternes Haus mit einfachen, nüchternen Arbeitsräumen. Es liegt etwas zurück von der Straße, durch grüne Anlagen geschützt, in denen die Studenten in den freien Minuten zwischen [167] zwei Vorlesungen herumwandeln und ihre Zigaretten rauchen. Moderner und eleganter ist das nahegelegene Seminargebäude, rechts um die Ecke am Nikolausbergerweg; es war damals ganz neu. Dort waren die meisten Seminare untergebracht, ganz unter dem Dach – wie ich es fast überall gefunden habe – das Philosophische Seminar. Ganz getrennt davon war das Psychologische Institut: es lag in der Nähe der Johanniskirche, etwas westwärts vom Markt; ein altes Haus mit ausgetretenen Stufen und engen Zimmern. Die räumliche Trennung deutete schon an, daß Philosophie und Psychologie in Göttingen nichts miteinander zu tun hatten. Der Nikolausbergerweg führt vom Weender Tor in vielen Windungen ostwärts aus der Stadt hinaus und bergan. Wenn man die letzten Häuser hinter sich hat, sieht man auf der Höhe das reizende Dörfchen Nikolausberg liegen. Eingeweihte wußten, daß die Wirtin im Gasthaus besonders gute Waffeln zu backen verstand; wenn man sich vorher bei ihr zum Abendessen anmeldete und nach des Tages Last und Mühen hinaufstieg, bekam man eine dampfende Schüssel vorgesetzt. Das habe ich aber erst viel später erfahren. Links vom Nikolausberg erhob sich ein kahler Hügel mit drei windzerzausten Bäumen, die mich immer an die drei Kreuze auf Golgotha erinnerten.

Ich sah das alles gleich in den ersten Tagen, gelangte aber beim ersten Spaziergang vor die Stadt nicht hinauf, sondern seitwärts in einen Wiesengrund. Dabei machte ich mit der Bodenbeschaffenheit der Leineberge (auf Göttingisch: Laaneberge) Bekanntschaft: man kommt selten von einem Spaziergang ohne dicke Lehmklumpen an den Schuhen zurück. Auch das Straßenpflaster in der Stadt ist eigenartig – eine Sorte Asphalt, der abwechselnd von der Sonne und vom Regen aufgeweicht ist; häufiger vom Regen, da es in Göttingen sehr viel regnet. Die Einwohnerzahl betrug damals etwa 30000. Es gab keine Straßenbahn. Bis zum Kriege wurde immer darüber verhandelt, ob man eine bauen sollte. Nachher verbot es sich von selbst. Die Universität und die Studenten standen im Mittelpunkt des Lebens; es war eben eine „Universitätsstadt“, nicht – wie Breslau – eine Stadt, die u.a. auch eine Universität hatte.

Sehr auffallend waren mir die Gedenktafeln, die fast an jedem älteren Hause angebracht sind: sie berichten von früheren berühmten Bewohnern. So wird man auf Schritt und Tritt an die Vergangenheit erinnert: Die Brüder Grimm, die Physiker Gauß und Weber und die andern, die nicht zu den „Göttinger 7“ gehörten – alle, die einmal hier gelebt und gewirkt haben, werden den Nachlebenden beständig ins Gedächtnis gerufen. Es ist auch noch der alte Stadtwall erhalten, mit mächtigen, hohen Linden bepflanzt. Ihr Duft weht im Sommer in die Hörsäle herein (das Auditorienhaus [168] liegt dicht am Wall); und wenn ich drinnen von Heine sprechen hörte, dann dachte ich daran, daß auch er einst auf diesen Bänken gesessen hatte und daß ihm wohl der Göttinger Wall vorschwebte, wenn er in seinen Versen von den „Wällen Salamancas“ erzählte. Ich machte gern einen Spaziergang über den Wall: man sah so schön von dort nach der einen Seite auf die alten Häuser der inneren Stadt, nach der andern auf die Villen und Gärten weiter draußen. An einer Stelle stand auf dem Wall ein altes Borkenhäuschen; das hatte Bismarck als Student bewohnt.

Wenige Tage nach mir kam Rose an, und nun richteten wir uns miteinander häuslich ein. Wir hatten zusammen zwei Zimmer; in einem schliefen wir beide; das größere war unser gemeinsames Wohn- und Arbeitszimmer. Früh brachte uns unsere Wirtin heiße Milch und frische Brötchen; dann rührten wir uns selbst Kakao an. Zum Mittagessen trafen wir uns; wir nahmen es gewöhnlich in einem vegetarischen Speisehaus, das eine süddeutsche Wirtin mit drei netten Töchtern unterhielt. Es war sehr stark besucht. An einer langen Tafel, aus mehreren zusammengerückten Tischen gebildet, saßen die englischen und amerikanischen Studenten; ihre laute und harmlose Fröhlichkeit beherrschte den Raum. Das Abendessen – Tee und belegte Butterbrote – machte, wer zuerst aus der Vorlesung heimkam. Wer spät aus hatte, fand den gedeckten Tisch vor. Ich erinnere mich nicht, daß es in dem Sommer, den wir so gemeinsam lebten, einen Streit oder eine Verstimmung zwischen uns gegeben hätte. Soweit es ihre Zeit erlaubte, nahm Rose an meinen philosophischen Vorlesungen teil; ich trieb auch ein wenig mit ihr Mathematik. Unsere Stundenpläne waren aber doch sehr verschieden. Mittwoch- und Sonnabendnachmittags waren traditionell in Göttingen keine Vorlesungen, weil Studenten und sogar auch Professoren mit ihren Töchtern nach Maria Sprung zum Tanz gingen. Nur die Philosophen Nelson und Husserl nahmen darauf keine Rücksicht. Am Mittwochnachmittag hielt Husserl sein Seminar. Aber den Sonnabendnachmittag hatten auch wir frei. Nach Maria Sprung gingen wir nicht, aber doch – wenn es das Wetter irgend erlaubte – ins Freie. Vorher schrieben wir unsern Wochenbrief nach Hause und abwechselnd an die zurückgelassenen Freunde und Freundinnen. Sonntag waren wir bei gutem Wetter fast immer den ganzen Tag draußen. Manchmal blieben wir auch von Sonnabend mittag bis Sonntag abend fort.

Wir wollten doch in diesem Sommer die mitteldeutsche Landschaft kennenlernen. Das konnte man von Göttingen aus herrlich. Die Stadt lehnt sich im Südosten gegen einen Hügel; auf der Höhe steht der Bismarckturm. Schöne Parkanlagen führen vom Stadtrand hinauf und gehen in den Göttinger Wald über. Den kann man den ganzen [169] Tag durchlaufen, ohne an ein Ende zu kommen; meist auch, ohne einem Menschen zu begegnen. Die Göttinger machen keine weiten Märsche. Wenn wir am Sonntag erst nachmittags ausgingen, dann sahen wir sie in großen Scharen hinausziehen. Aber ihr Ziel war nur eine der beiden großen Kaffeestationen, die auf halber Höhe in angemessener Entfernung voneinander an jenem langgestreckten Hügel lagen: der „Rohns“ und der „Kehrs“. Die Bürgersleute waren von den Studenten deutlich zu unterscheiden dadurch, daß sie Hüte trugen, während Studenten und Studentinnen ohne Hut gingen. Außerdem waren sie alle mit großen Kuchenpaketen beladen. Wenn sie weiter wollten als bis zum Kehrs, dann fuhren sie in Kutschen. Die Sitte, den Kuchen aus der Stadt mitzunehmen, hatte zur Folge, daß man draußen in den Gasthäusern keinen bekam; es gab nur derbes Landbrot und Göttinger Wurst. Für größere Ausflüge nahmen wir unsern Proviant im Rucksack mit und hielten unsere Mahlzeiten im Walde: ein Schwarzbrot, eine Dose mit Butter, etwas Aufschnitt, Obst und Schokolade – das schmeckte besser als ein Diner im Gasthaus.

Auch nach den andern Seiten hin ist Göttingen von Hügeln und Wäldern umgeben; viel Buchenwald, der in Rot und Gold leuchtete, wenn man im Herbst zum Wintersemester kam. Und von den Höhen blicken alte Burgruinen ins Tal. Ich hatte eine besondere Vorliebe für die „Gleichen“, zwei Gipfel dicht nebeneinander, beide von Ruinen gekrönt. Auf dem Sattel zwischen den Gipfeln lag ein einfaches Gasthaus; darin war eine Chronik der Grafen von Gleichen, die einst da oben gehaust haben. Wenn wir von oben ins Tal hinabschauten, fühlte ich mich so recht im Herzen von Deutschland: eine liebliche Landschaft – an den Abhängen sorgfältig bebaute Felder, schmucke Dörfer und rings ein Kranz grüner Wälder. Es war, als könnte im nächsten Augenblick drüben am Waldrand ein Hochzeitszug heraustreten wie auf einem Bild von Ludwig Richter.

Auf den größeren Fahrten lernten wir Kassel und das Weserland, Goslar und den Harz kennen. Pfingsten machten wir eine mehrtägige Wanderung durch Thüringen. Wir stiegen von Eisenach zur Wartburg auf, gingen durch die Drachenschlucht zur Hohen Sonne, später auf dem Rennpfad zum Inselsberg. Streckenweise benützten wir die Bahn, um in den wenigen Tagen mehr kennenlernen zu können. Natürlich stand auch Weimar auf unserm Programm und den Abschluß sollte eine Besichtigung der Freien Schulgemeinde Wickersdorf bilden. Die ersten Tage hatten wir sehr schönes Wetter. Am dritten (wenn ich mich recht erinnere) begann es gegen Abend zu regnen. Wir waren seit dem Morgen unterwegs und wollten vor der Nacht Ilmenau erreichen, unser letztes Ziel vor Weimar. [170] Der Regen wurde stärker und stärker, die Landstraße dehnte sich länger und länger, unsere Füße wollten gar nicht mehr weiter, und kein Ort zeigte sich. Rose wurde vor Müdigkeit schweigsam und niedergeschlagen, ich kämpfte darum, bei guter Stimmung zu bleiben. Es war wohl schon acht Uhr, als wir endlich in ein langgestrecktes Dorf kamen. Es schien eine Sommerfrische zu sein, denn es lagen Fremdenpensionen am Wege. Aber, wo wir auch anklopften – es war nirgends ein Platz in der Herberge. Ich raffte mich bei jedem Haus von neuem wieder auf, nachzufragen, aber immer vergebens. Wir waren wohl eine halbe Stunde durch die ganze Ortschaft gegangen, als sich am Ende ein Gasthaus fand, das uns aufnahm. Die Fremdenzimmer waren in einem eigenen Gebäude, dem eigentlichen Wirtshaus gegenüber. Während die Betten für uns gerichtet wurden, gingen wir in die Gaststube. Ein kräftiges, warmes Abendessen weckte unsere Lebensgeister. Den freundlichen Wirt fragten wir, wo wir eigentlich wären. Manebach hieß das Nest. Manebach – das klang so langgedehnt wie der endlose Regen und die endlose Landstraße. Wir hatten schon wieder genügend Humor, um herzlich darüber zu lachen. Sobald unser Zimmer bereit war, schlüpften wir aus den durchnäßten Kleidern und in die warmen Betten. Nun mußte ein neuer Schlachtplan gemacht werden. Wir holten Richards schöne Generalstabkarte hervor – das Überbleibsel einer Truppenübung in Thüringen. Bis zu diesem Abend hatte sie uns trefflich geführt. Wo lag Manebach? Richtig: da war es. Wir waren nur eine Bahnstation von Ilmenau entfernt. Aber der Zeitverlust von heute war nicht mehr einzubringen. Wir verzichteten auf Ilmenau und den Gickehahn und beschlossen, am nächsten Morgen nach Weimar zu fahren. Auch ein Kursbuch hatten wir zur Hand, um den ersten Zug festzustellen.

In Weimar besuchten wir das stattliche Goethehaus am Frauenplan und das reizende Gartenhaus am Stern, das Schillerhaus mit dem rührend armseligen Sterbezimmerchen. Nachmittags gingen wir hinaus nach Tiefurt. Es war ein Sonntag und viele Spaziergänger strömten hinaus. Wir waren etwas kreuz- und lendenlahm von dem vorausgehenden Tagesmarsch und glaubten zu kriechen wie die Schnecken; trotzdem hatten wir bald alle Weimarer Bürger weit hinter uns. Im schönen Park von Tiefurt mußten wir uns auf eine Bank setzen und ein wenig poetisches Geschäft vornehmen: unsere Barschaft zählen. Ich hatte vor der Abreise eine für mich ausreichende Summe von der Bank geholt; aber Rose hatte sich den Weg sparen wollen und nicht genügend vorgesorgt. Nun stellten wir fest, daß der gemeinsame Kassenbestand nicht mehr für Wickersdorf reichte. Wir mußten uns dort telegraphisch abmelden. Dann [171] blieb uns noch soviel, um heute abend nach Jena hinüberzufahren und von dort aus am nächsten Tage geradewegs nach Göttingen. Ich freute mich, Jena kennenzulernen, und fühlte mich dort viel wohler als in Weimar. Man konnte in aller Stille die Erinnerungsstätten aufsuchen; es war hier alles weniger aufdringlich, und man stieß nicht überall auf ein andächtig staunendes Mädchenpensionat.

Als wir nach unserer Rückkehr die Generalstabkarte bei Courants ablieferten, mußten wir natürlich über unsere Wanderung Bericht erstatten. Wir hätten gern den blamablen Abschluß verschwiegen, aber Richard erkundigte sich sofort nach dem Besuch in Wickersdorf. Er hatte eine besondere Gabe, immer nach dem zu fragen, was man nicht gern sagen wollte.

Diese Fahrt hatten Rose und ich allein unternommen. Sonst hatten wir fast immer noch einen Begleiter mit: Dr. Erich Danziger, Assistent am Chemischen Institut. Er stammte aus Breslau; Rose hatte ihn dort beim Chemiestudium kennengelernt. Er war klein und unansehnlich und etwas linkisch; aber Rose erzählte, er habe die geschicktesten Hände im ganzen Institut gehabt und sei immer zu Hilfe gerufen worden, wenn etwas besonders zart behandelt werden mußte. Es lag immer ein Druck auf ihm, wohl die Folge sehr trauriger häuslicher Verhältnisse: seine Mutter war seit vielen Jahren dauernd in einer Nervenheilanstalt; er und seine einzige Schwester waren fast wie Waisenkinder aufgewachsen. Jetzt schloß er sich ganz an uns beide an, andern Verkehr hatte er kaum. Er war ein herzensguter und treuer Mensch. (Es schien mir, daß er eine stille Neigung für Rose hatte, aber gar nicht zu denken wagte, daß dieses geistvolle und elegante Mädchen für ihn in Betracht kommen könnte). Es bedrückte ihn aber immer etwas, daß er außerhalb der philosophischen Welt stand, in der wir lebten.

Etwas später als wir war auch Georg Moskiewicz angekommen. Er war erheblich älter als wir; im Mai feierten wir zusammen seinen 35. Geburtstag. Er bezog keine Studentenbude, sondern zwei geräumige, gut möblierte Zimmer in dem stillen Kirchweg in der Nähe der Kliniken. So entsprach es seiner Würde als Dr. med. et phil. und angehender Privatdozent. Doch auch für ihn waren wir der menschliche Halt. An unsern Ausflügen nahm er selten teil, weil zu einem solchen Unternehmen ein Entschluß nötig war, und den brachte er nicht leicht fertig. Wenn er aber mitkam, dann war er sehr fröhlich, ja übermütig wie ein kleiner Junge. Bei ihm war es ganz deutlich, daß er eine tiefe Neigung zu Rose gefaßt hatte. Aber wie konnte er es bei der Ungewißheit seiner Zukunft wagen, sie an sich zu binden? Mit mir verband ihn herzliche Freundschaft und das gemeinsame philosophische Interesse.

[172] Damit komme ich von den vielen Nebenumständen endlich zu der Hauptsache, die mich nach Göttingen geführt hatte: die Phänomenologie und die Phänomenologen. In Breslau hatte mir Mos die Anweisung gegeben: „Wenn man nach Göttingen kommt, geht man zuerst zu Reinach; der besorgt dann alles übrige“. Adolf Reinach war Privatdozent für Philosophie. Er und seine Freunde Hans Theodor Conrad, Moritz Geiger und einige andere waren ursprünglich Schüler von Theodor Lipps in München. Nach dem Erscheinen der „Logischen Untersuchungen“ hatten sie darauf bestanden, daß Lipps dieses Werk mit ihnen in seinem Seminar besprach. Nachdem Husserl nach Göttingen berufen war, waren sie i.J. 1905 zusammen dorthin gekommen, um sich von dem Meister selbst in die Geheimnisse der neuen Wissenschaft einweihen zu lassen. Das war der Anfang der „Göttinger Schule“. Reinach hatte sich als Erster aus diesem Kreise in Göttingen habilitiert und war nun Husserls rechte Hand, vor allem das Bindeglied zwischen ihm und den Studenten, da er sich vorzüglich auf Menschen verstand, während Husserl darin ziemlich hilflos war. Er war damals etwa 33 Jahre alt.

Ich befolgte Moskiewicz’ guten Rat aufs Wort. Ich glaube, schon am Tage nach meiner Ankunft machte ich mich auf den Weg nach dem Steinsgraben 28. Diese Straße führt bis ganz an den Rand der Stadt. Das Haus, in dem Reinachs wohnten, war das letzte. Dahinter dehnte sich ein weites Kornfeld; ein schmaler Fußweg führte daran vorbei zum Kaiser-Wilhelm-Park hinauf, durch den man zum Bismarckturm und in den Göttinger Wald gelangte. Als ich nach Herrn Dr. Reinach fragte, führte mich das blonde Dienstmädchen in sein Arbeitszimmer und nahm meine Visitenkarte, um ihn zu rufen. Es war ein schöner, großer Raum mit zwei hohen Fenstern, dunklen Tapeten und braunen Eichenmöbeln. Die beiden Wände links vom Eingang waren fast bis zur Decke hinauf von Bücherregalen verdeckt. Auf der rechten Seite führte eine große Schiebetür mit bunten Glasscheiben zum Nebenzimmer. Die große Ecke zwischen dieser Tür und dem einen Fenster füllte der mächtige Schreibtisch, und dem Schreibstuhl gegenüber standen Klubsessel für die Besucher bereit. In dem Winkel zwischen den beiden Bücherwänden war eine gemütliche Ecke hergerichtet: ein Tisch, ein Klubsofa und mehrere Sessel. Dem Schreibsessel gegenüber hing an der Wand eine große Reproduktion von Michelangelos „Erschaffung des Menschen“. Es war das behaglichste und geschmackvollste Arbeitszimmer, das ich je gesehen hatte. Reinach hatte ein halbes Jahr zuvor geheiratet, die ganze Einrichtung der ausgedehnten Wohnung war von seiner Frau mit der größten Liebe ausgedacht und nach ihren Weisungen angefertigt. Ich glaube übrigens nicht, daß ich [173] beim ersten Besuch schon viel von diesen Einzelheiten erfaßte. Denn ich hatte nur wenige Augenblicke gewartet, als ich am Ende des langen Ganges einen Ausruf freudiger Überraschung hörte; dann kam jemand im Laufschritt daher, die Tür öffnete sich, und Reinach stand mir gegenüber. Er war kaum mittelgroß, nicht stark, aber breitschultrig. Ein bartloses Kinn, ein kurzes, dunkles Schnurbärtchen, die Stirn breit und hoch. Durch die Gläser des umfaßten Kneifers blickten die braunen Augen klug und überaus gütig. Er begrüßte mich mit herzlicher Liebenswürdigkeit, nötigte mich in den nächsten Klubsessel und nahm selbst schrägüber an seinem Schreibtisch Platz. „Dr. Moskiewicz hat mir von Ihnen geschrieben. Sie haben sich schon mit Phänomenologie beschäftigt?“ (Er sprach mit starkem Mainzer Dialektanklang). Ich gab kurz Auskunft. Er war sofort bereit, mich in seine „Übungen für Fortgeschrittene“ aufzunehmen, konnte mir nur noch keinen Bescheid über Tag und Stunde geben, weil er das erst mit seinen Schülern vereinbaren wollte. Er versprach, mich bei Husserl anzukündigen. „Wollen Sie vielleicht jemanden von der ‚Philosophischen Gesellschaft‘ kennenlernen? Ich könnte Sie den Damen vorstellen“. Ich meinte, er brauchte sich darum nicht eigens zu bemühen, Dr. Moskiewicz würde mich einführen. „Richtig! dann lernen Sie ja bald alle kennen“.

Ich war nach dieser ersten Begegnung sehr glücklich und von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt. Es war mir, als sei mir noch nie ein Mensch mit einer so reinen Herzensgüte entgegengekommen. Daß die nächsten Angehörigen und Freunde, die einen jahrelang kennen, einem Liebe erweisen, schien mir selbstverständlich. Aber hier lag etwas ganz anderes vor. Es war wie ein erster Blick in eine ganz neue Welt. Nach einigen Tagen kam eine Postkarte mit der freundlichen Mitteilung, daß die Übungen für Montag abend 6-8 Uhr festgelegt seien. Leider hatte ich für diese Stunden schon etwas anderes, was ich nicht gerne aufgeben wollte: das historische Seminar von Max Lehmann. So verzichtete ich, wenn auch sehr ungern.

Bei Husserl machte ich zunächst keinen Antrittsbesuch in seiner Wohnung. Er hatte am Schwarzen Brett eine Vorbesprechung im Philosophischen Seminar angekündigt. Dort sollten sich auch die Neulinge zur Aufnahme vorstellen. Dort sah ich also zum erstenmal „den Husserl leibhaft vor mir stehen“. Es war nichts Auffallendes oder Überwältigendes in seiner äußeren Erscheinung. Ein vornehmer Professorentypus. Die Gestalt mittelgroß, die Haltung würdevoll, der Kopf schön und bedeutend. Die Sprache verriet sofort den geborenen Österreicher: er stammte aus Mähren und hatte in Wien studiert. Auch seine heitere Liebenswürdigkeit hatte etwas vom alten Wien. Er hatte gerade sein 54. Jahr vollendet.

[174] Nach den allgemeinen Besprechungen rief er die Neuen einzeln zu sich heran. Als ich meinen Namen nannte, sagte er: „Herr Dr. Reinach hat mir von Ihnen gesprochen. Haben sie schon etwas von meinen Sachen gelesen“ – „Die Logischen Untersuchungen“. (Der I. Band der „Logischen Untersuchungen“ erschien 1900 und wurde durch seine radikale Kritik an dem herrschenden Psychologismus und allen andern Relativismen epochemachend. Der II. Band folgte im nächsten Jahr. Er übertraf den I. Band an Umfang und Bedeutung bei weitem. Denn hier war zum erstenmal zur Behandlung logischer Probleme die Methode angewendet, die Husserl später als „phänomenologische Methode“ systematisch ausgearbeitet und auf das gesamte Gebiet der Philosophie ausgedehnt hat). – „Die ganzen Logischen Untersuchungen?“ – „Den II. Band ganz“. – „Den ganzen II. Band? Nun, das ist eine Heldentat“, sagte er lächelnd. Damit war ich aufgenommen.

Kurz vor Semesterbeginn war Husserls neues Werk erschienen: „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“. Es sollte im Seminar besprochen werden. Außerdem kündigte Husserl an, daß er regelmäßig an einem Nachmittag der Woche zu Hause sein wollte, damit wir zu ihm kommen und ihm unsere Fragen und Bedenken vortragen könnten. Natürlich kaufte ich mir das Buch sofort (d.h. den I. Band des „Jahrbuchs für Philosophie und phänomenologische Forschung“, den es eröffnete; dieses Jahrbuch sollte fortan die Arbeiten der Phänomenologen gesammelt herausbringen). Am ersten „offenen Nachmittag“ fand ich mich als erster Gast bei Husserl ein und trug ihm mein Bedenken vor. Bald fanden sich andere dazu. Alle hatten dieselbe Frage auf dem Herzen. Die „Logischen Untersuchungen“ hatten vor allem dadurch Eindruck gemacht, daß sie als eine radikale Abkehr vom kritischen Idealismus kantischer und neukantischer Prägung erschienen. Man sah darin eine „neue Scholastik“, weil der Blick sich vom Subjekt ab – und den Sachen zuwendete: die Erkenntnis schien wieder ein Empfangen, das von den Dingen sein Gesetz erhielt, nicht – wie im Kritizismus – ein Bestimmen, das den Dingen sein Gesetz aufnötigte. Alle jungen Phänomenologen waren entschiedene Realisten. Die „Ideen“ aber enthielten einige Wendungen, die ganz danach klangen, als wollte ihr Meister zum Idealismus zurücklenken. Was er uns mündlich zur Deutung sagte, konnte die Bedenken nicht beschwichtigen. Es war der Anfang jener Entwicklung, die Husserl mehr und mehr dahin führte, in dem, was er „transzendentalen Idealismus“ nannte (es deckt sich nicht mit dem transzendentalen Idealismus der kantischen Schulen), den eigentlichen Kern seiner Philosophie zu sehen und alle Energie auf seine Begründung zu [175] verwenden: ein Weg, auf dem ihm seine alten Göttinger Schüler zu seinem und ihrem Schmerz nicht folgen konnten.

Husserl hatte ein eigenes Haus am Hohen Weg, auch am Rand der Stadt, am Aufgang zum „Rohns“ gelegen. (Der Rohns spielte eine große Rolle in seinen philosophischen Gesprächen; er mußte sehr häufig als Beispiel dienen, wenn Husserl von Dingwahrnehmung redete). Es war nach den Anweisungen seiner Frau den Bedürfnissen der Familie entsprechend gebaut. Das Arbeitszimmer des Meisters lag im Oberstock; es hatte einen kleinen Balkon, auf den er hinausging, um zu „meditieren“. Das wichtigste Möbelstück war ein altes Ledersofa. Das hatte er als Privatdozent in Halle erstanden, als er einmal ein Stipendium bekam. Ich mußte gewöhnlich in einer Sofaecke sitzen. Noch später in Freiburg haben wir unsere Diskussionen über den Idealismus oft von einer Sofaecke zur andern geführt. Bei seinen Schülern hieß er, wenn sie unter sich waren, nur „der Meister“. Er wußte darum und mochte es gar nicht leiden. Seine Frau nannten wir unter uns mit ihrem poetischen Vornamen Malwine. Sie war klein und mager; ihre glänzend-schwarzen Haare trug sie glatt gescheitelt, ihre braunen Augen blickten lebhaft und neugierig und immer etwas erstaunt in die Welt. Ihre Stimme klang etwas scharf und hart und immer so, als ob sie einem zu Leibe rücken wollte; es war aber eine Beimischung von gutmütigem Humor darin, die mildernd wirkte. Man war in ihrer Anwesenheit immer etwas besorgt, was es wohl geben würde; denn sie sagte meist etwas, was einen in Verlegenheit brachte. Leute, die sie nicht leiden mochte, wurden sehr schlecht behandelt. Aber sie hatte auch sehr ausgesprochene Sympathien. Ich persönlich habe von ihr immer nur große Freundlichkeit erfahren. Wodurch ich es verdient habe, weiß ich nicht. In späteren Jahren hätte man es darauf zurückführen können, daß ich ihrem Mann wertvolle Dienste leistete. Aber sie kam mir schon so entgegen, als ich noch eine ganz kleine und unbedeutende Studentin war. Wenn ich bei ihrem Mann war, trat sie meist mitten drin ein und sagte, sie wollte mich begrüßen. (Die schönsten Gespräche wurden so plötzlich durchschnitten). Sie besuchte regelmäßig Husserls Vorlesungen und hat mir später gelegentlich gestanden (was wir aber alle längst wußten), daß sie die Hörer zu zählen pflegte. Ein inneres Verhältnis zur Philosophie hatte sie nicht. Sie betrachtete sie als das Unglück ihres Lebens, weil Husserl zwölf Jahre als Privatdozent in Halle leben mußte, ehe er einen Ruf bekam. Und dann war es kein reguläres Ordinariat, das er in Göttingen erhielt, sondern ein persönliches, das der tatkräftige und weitblickende, aber etwas selbstherrliche Kultusminister Althoff eigens für ihn schuf; und seine Stellung in der Fakultät war eine [176] sehr peinliche. Diese Erfahrungen bestimmten Frau Malwine, ihre drei Kinder der Philosophie fernzuhalten. Elli, die Älteste, war in meinem Alter. Sie studierte Kunstgeschichte. Äußerlich glich sie ihrer Mutter sehr, aber sie hatte etwas viel Weicheres und Zarteres in ihrem Wesen. Gerhart wurde Jurist, ließ sich aber in späteren Jahren doch nicht vom Philosophieren abschneiden. Wolfgang war damals noch auf dem Gymnasium; er hatte eine außerordentliche Sprachbegabung und wollte Sprachen studieren. Der Jüngste war der Liebling der Mutter. Wenn sie später, nach seinem frühen Tode – er fiel 17jährig als Kriegsfreiwilliger in Flandern – von ihm sprach, lernte man ihr Herz kennen. Sie sagte mir einmal, um Wolfgangs Zukunft habe sie sich nie Sorgen gemacht. Sie habe immer gewußt, wo und in welcher Stellung er auch sein werde, da werde er seine Umgebung glücklich machen.

Beide Husserls waren von Geburt Juden, aber frühzeitig zum Protestantismus übergetreten. Die Kinder wurden protestantisch erzogen. Man erzählte sich – für die Wahrheit kann ich mich nicht verbürgen – Gerhart sei mit sechs Jahren zusammen mit Franz Hilbert, dem einzigen Kind des großen Mathematikers, zur Schule gekommen. Er fragte den kleinen Kameraden, was er sei (d.h. welcher Konfession). Franz wußte es nicht. „Wenn du es nicht weißt, dann bist du sicher ein Jude“. Der Schluß war nicht richtig, aber charakteristisch. Später pflegte Gerhart sehr offen von seiner jüdischen Abstammung zu sprechen.

In jenem Sommer hielt Husserl seine Vorlesung über „Natur und Geist“, Untersuchungen zur Grundlegung der Natur- und Geisteswissenschaften. Diesen Gegenstand sollte auch der II. Teil der „Ideen“ behandeln, der noch nicht veröffentlicht war. Der Meister hatte ihn mit dem I. Teil zusammen entworfen, die Ausarbeitung für den Druck aber verschoben, um erst die Neuauflage der „Logischen Untersuchungen“ zu besorgen. Sie war dringend erforderlich, weil das Werk seit Jahren vergriffen war und beständig verlangt wurde.

Bald nachdem Moskiewicz in Göttingen eingetroffen war, fand auch die erste Semestersitzung der „Philosophischen Gesellschaft“ statt. Das war der engere Kreis der eigentlichen Husserlschüler, der jede Woche einmal abends zusammenkam, um bestimmte Fragen durchzusprechen. Rose und ich wußten gar nicht, wie kühn es von uns war, daß wir uns sofort bei diesen Auserwählten einfanden. Da Mos es für selbstverständlich fand, daß wir mitgingen, so sahen auch wir es so an. Sonst konnte es semesterlang dauern, ehe man von dieser Einrichtung erfuhr, und wenn man eingeführt wurde, dann hörte man monatelang ehrfürchtig schweigend zu, ehe man [177] es wagte, selbst den Mund aufzumachen. Ich aber sprach sofort keck mit. Da Moskiewicz bei weitem der Älteste war, übertrug man ihm für dieses Semester den Vorsitz. Aber es war wohl kaum jemand in diesem Kreis, der sich sachlich so unsicher fühlte wie er. Man sah ihm bei den Sitzungen an, wie unglücklich er in seiner Rolle war. Er präsidierte am Tisch, aber die Führung des Gesprächs entglitt ihm jedesmal sehr bald. Unser Versammlungsort war das Haus des Herrn von Heister. Das war ein junger Gutsbesitzer, der es sich zum Vergnügen machte, in Göttingen zu leben, philosophische Vorlesungen zu hören und mit den Philosophen persönlich zu verkehren. Es freute ihn, daß wir bei ihm zusammenkamen, und es störte ihn nicht, daß man seine Diskussionsbemerkungen meist als belanglos unter den Tisch fallen ließ. Seine zarte, blonde Frau war uns allen sehr viel lieber als er. Sie war eine Tochter des Düsseldorfer Malers Achenbach. Zahlreiche Gemälde ihres Vaters schmückten das Haus. Wenn wir kamen – oft genug bei echtem Göttinger Regenwetter mit unseren Mänteln und Schuhen – half uns der Diener mit schweigsamer Höflichkeit beim Ablegen. Aber es war ihm wohl anzumerken, daß er heimlich über die merkwürdigen Gäste den Kopf schüttelte. Auch wenn er uns dann in dem feudalen Eßzimmer Tee oder Wein – je nach Wahl – einschenkte, mußte er manches Ungewöhnliche beobachten. Ich werde es nie vergessen, wie Hans Lipps während eines eifrigen Gesprächs die Asche seiner Zigarre in die silberne Zuckerdose abstreifte, bis unser Lachen ihn aufschreckte.

Die Gründer der Philosophischen Gesellschaft waren damals alle nicht mehr anwesend. Reinach kam nicht mehr, seit er Dozent und verheiratet war. Conrad und Hedwig Martius lebten seit ihrer Verheiratung abwechselnd in München und in Bergzabern (Pfalz). Dietrich von Hildebrand war nach München gegangen, Alexander Koyré nach Paris. Johannes Hering wollte im nächsten Sommer Staatsexamen machen und hatte sich, um ungestörter arbeiten zu können, in seine Heimat Straßburg zurückgezogen. Es waren aber noch einige Leute da, die semesterlang mit diesen Koryphäen zusammengearbeitet hatten und jetzt die Tradition an uns Neulinge weitergeben konnten. Eine führende Rolle spielte Rudolf Clemens. Er war Sprachwissenschaftler. Sein dunkelblonder Bart und seine Krawatten, seine weiche Stimme und seine zugleich gemütvollen und schelmischen Augen erinnerten an die Zeit der Romantiker. Sein Ton war freundlich, aber es war eine Freundlichkeit, die mir kein unbedingtes Vertrauen einflößte. Fritz Frankfurther stammte aus Breslau und studierte Mathematik. Aus seinen braunen Augen schaute kindliche Offenheit, Treuherzigkeit und Güte. Die helle [178] Freude am Philosophieren, die den meisten von uns eigen war, trat bei ihm besonders liebenswürdig hervor. Als er mir einmal etwas aus Husserls Kant-Kolleg erzählte, das ich noch nicht gehört hatte, unterbrach er sich selbst plötzlich und sagte: „Nein, was jetzt kommt, ist zu schön, um es vorher zu verraten. Das müssen Sie selbst hören“. Am meisten Eindruck von allen machte mir Hans Lipps. Er war damals 23 Jahre alt, sah aber noch viel jünger aus. Er war sehr groß, schlank, aber kräftig, sein schönes, ausdruckvolles Gesicht war frisch wie das eines Kindes, und ernst – fragend wie die eines Kindes – blickten seine großen, runden Augen. Er sagte seine Ansicht gewöhnlich in einem kurzen, aber sehr bestimmten Satz. Bat man um nähere Erläuterung, dann erklärte er, mehr liesse sich nicht sagen, die Sache leuchte von selbst ein. Damit mußten wir uns zufrieden geben, und wir waren alle überzeugt von der Echtheit und Tiefe seiner Einsichten, auch wenn wir nicht imstande waren, sie mit zu vollziehen. Wenn er sich in Worten schwer ausdrücken konnte, so sprachen seine Augen und sein lebhaftes unwillkürliches Mienenspiel umso eindringlicher. Er konnte übrigens in jenem Sommer nicht regelmäßig an den Abenden teilnehmen, weil er damals sein Physikum und zugleich – mit einer pflanzenphysiologischen Arbeit – den philosophischen Doktor machte. Das medizinische und naturwissenschaftliche Studium betrieb er zur Ausfüllung der Stunden, in denen man nicht philosophieren konnte. Manches andere lag schon hinter ihm. Er hatte als Innenarchitekt und Kunstgewerbler begonnen, aber das konnte ihn nicht ausfüllen. Immerhin bastelte er auch später noch gern, und ein stark ausgeprägter künstlerischer Zug gehörte zu seiner Natur. Während er als Dragoner im Leibgarderegiment in Dresden sein Jahr abdiente, lernte er die „Logischen Untersuchungen“ kennen, und das wurde für ihn der Anfang eines neuen Lebens. So war er nach Göttingen gekommen. Er war der Einzige aus dem Kreis, der mit dem armen Mos öfters persönlich zusammenkam und ihn lieb hatte. Die andern machten sich heimlich über seine Unsicherheit und seine ewig ungelösten Fragen lustig.

Bei den bisher Genannten war die Philosophie das eigentliche Lebenselement, wenn sie auch anderes außerdem studierten. Dazu kamen einige andere, bei denen es umgekehrt war: ihre Spezialwissenschaft war ihnen die Hauptsache, aber sie wurde von der Phänomenologie wesentlich befruchtet. Dazu gehörten die Germanisten Friedrich Neumann und Günther Müller, die später beide verhältnismäßig früh ein Ordinariat in ihrem Fach erreicht haben.

Auch zwei Damen waren seit einer Reihe von Semestern Mitglieder der Philosophischen Gesellschaft: Grete Ortmann und Erika Gothe. Sie waren erheblich älter als ich; beide hatten schon einige Zeit [179] Schultätigkeit hinter sich, ehe sie sich entschlossen, zur Universität zu gehen. Sie stammten aus Mecklenburg: Fräulein Gothe aus Schwerin, Fräulein Ortmann von einem Gut. Sie war ein kleines, schmächtiges Persönchen, trat aber mit solchem Gewicht auf, daß ihr Mantel meist bis hoch hinauf von Göttinger Straßenschmutz bespritzt war. Ebenso sprach sie mit großer Eindringlichkeit, aber der Inhalt der Sätze, die wie feierliche Verkündigungen klangen, kam mir oft recht trivial vor. Sie sprach aber nicht oft, sondern hörte in den Seminaren und in der Philosophischen Gesellschaft mit dem Ausdruck schwärmerischer Andacht in ihren großen blauen Augen zu. Bei ihr erschien mir das komisch. Bei Erika Gothe dagegen zog mich die Haltung ehrfürchtigen Schweigens an. Fräulein Ortmann ließ sofort deutlich merken, daß ich ihr sehr unsympathisch sei. Sie selbst erzählte mir später in einer vertraulichen Stunde, Reinach habe ihr einmal eindringlich ins Gewissen geredet, warum sie so unfreundlich gegen Fräulein Stein sei, die sei doch so nett. Sie habe als Begründung angegeben: „Sie redet immer einfach mit. Und die Sachen sind doch so schwer“. Überdies hatte mich Mos gleich in der ersten Sitzung gebeten, die Protokollführung zu übernehmen, und ich hatte mich unbedenklich dazu bereit erklärt. Von den andern schien niemand an meiner Aktivität Anstoß zu nehmen. Sie waren sehr freundlich gegen mich und nahmen meine Diskussionsbemerkungen durchaus ernst. Immerhin hatte Fräulein Ortmanns Verhalten zur Folge, daß es zunächst zu keinem persönlichen Verkehr mit dem ganzen Kreis kam. Sie und Erika Gothe schienen unzertrennlich. Und es wäre die Aufgabe der Damen gewesen, mich näher heranzuziehen. Ich vermißte es in diesem Sommer nicht, weil mein Bedarf an menschlichen Beziehungen durch die Breslauer Bekannten reichlich gedeckt war. Außerdem erfuhr ich erst viel später von dem, was sich außerhalb der Philosophischen Gesellschaft und der Universität abspielte, und konnte daher gar nicht merken, daß ich ausgeschaltet war.

Außer Rose und mir gab es noch einige neu eingeführte Mitglieder. Betty Heymann war eine Hamburger Jüdin, klein und nicht ganz normal gewachsen, das feine, zarte Gesicht etwas entstellt durch zu große Zähne, die schönen Augen ungewöhnlich klug und klar. Sie war Schülerin von Georg Simmel, hatte auch vor, bei ihm zu promovieren, und kam zunächst nur für ein Semester, um auch Husserl kennenzulernen. Ebenso hatte Fritz Kaufmann schon eine philosophische Vergangenheit, auf die er mit einigem Stolz zurückblickte. Er kam aus Marburg von Natorp und hatte schon soviel Neukantianismus aufgenommen, daß ihm das Einleben in die phänomenologische Methode Schwierigkeiten machte. Er war der älteste [180] Sohn einer offenbar sehr wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus Leipzig. Da er noch zwei jüngere Brüder hatte, die das väterliche Geschäft übernehmen konnten, durfte er sich ganz der Philosophie widmen und geradewegs auf die Hochschullaufbahn zusteuern. Er war wohl der Einzige von uns, der auf gar kein Brotstudium Rücksicht zu nehmen hatte. In diesem Kreise, wo man sonst um äußere Dinge sehr unbekümmert war, fiel seine elegante Kleidung sehr auf. Alle freuten sich im stillen, als einmal sein Nachbar im Seminar, ein Amerikaner, recht energisch die Füllfeder ausspritzte und Kaufmann sichtlich besorgt um seinen hellgrauen Anzug war. Seine Sprache war ein tadelloses Hochdeutsch ohne den leisesten sächsischen Anflug, während Lipps zu seinem größten Kummer den Sachsen schon mit den ersten Worten verriet. (Er wollte durchaus keiner sein, sondern betonte immer, er sei Preuße, da er von seinem Vater die preußische Staatsangehörigkeit geerbt habe).

An dem Tage, an dem wir die Vorbesprechung bei Husserl hatten, gingen Rose und ich nachmittags zum erstenmal auf den Bismarckturm. Während wir unterwegs eifrig Veilchen pflückten, holte uns Kaufmann ein. Er erkannte uns von der Begegnung am Morgen wieder, grüßte und sagte freundlich: „Es sind eine Menge Veilchen da“. Damit war das erste Gespräch eingeleitet. Ich war sehr erstaunt, als er mir gelegentlich erzählte, Reinach habe ihn beim ersten Besuch „beinahe hinausgeworfen“ und ihm die Aufnahme in seine Übungen entschieden verweigert. Bisher war mir gar nicht der Gedanke gekommen, daß die Güte, mit der ich empfangen wurde, eine persönliche Auszeichnung sein könnte. Als ich später an Reinachs Übungen teilnahm, fand ich die Erklärung. Reinach wehrte bei aller Güte und Freundlichkeit jede Anmaßung, der er begegnete, sehr ernst ab. Und Kaufmann mochte sich mit einigem Selbstbewußtsein bei ihm vorgestellt haben. Er schadete sich durch die Haltung und durch eine gewisse Manieriertheit in seiner Sprache bei fast allen. Ich merkte aber ziemlich bald, daß dies nur die Oberfläche war. Ich nahm es mir heraus, ihn manchmal recht kräftig zu necken, ohne von seiner zur Schau getragenen Würde Notiz zu nehmen. Dann guckte er sehr erstaunt wie bei etwas ganz Ungewohntem, aber es schien ihm gutzutun; er taute allmählich auf, und es kam vor, daß sein Ton ganz schlicht und herzlich wurde.

Es gab in Husserls Seminar auch Leute, die bei ihm persönlich arbeiteten, aber nicht in die Philosophische Gesellschaft kamen. Als ich bald nach Semesterbeginn einen Abend bei Courants eingeladen war, sagte Richard: „Wenn du in Husserls Seminar bist, mußt du doch Bell kennengelernt haben“. Er sei ein Kanadier. Ich hatte einige Amerikaner und Engländer bemerkt, wußte aber nicht, [181] welchen er meinte. „Er ist der netteste Student in Göttingen. Du wirst ihn bestimmt herausfinden“. Bald danach sah ich auf der Rampe des Auditorienhauses einen Studenten in Sportanzug und ohne Hut stehen. Er schien nach jemanden auszublicken und hatte etwas gewinnend Freies und Ungezwungenes in seiner Haltung. „Das ist Bell“, dachte ich. Und es stimmte auch. Er kam nicht viel mit den andern Phänomenologen zusammen. Die Amerikaner und Engländer in Göttingen bildeten eigene Kolonien und hielten sehr zusammen. Außerdem hatte er einen Freundeskreis, der nicht durch das Fachstudium bestimmt war. Dazu gehörte mein Vetter. Durch ihn erfuhr ich auch Bells Vorgeschichte. Er war ursprünglich Ingenieur, aber bei Fahrten im nördlichen Eismeer – seine Heimat war Halifax – hatte er angefangen zu philosophieren. Er kam dann zunächst zum Studium nach England, später nach Deutschland. Er selbst erzählte mir gelegentlich, daß ihn eine Rezension von Moritz Schlick auf die „Logischen Untersuchungen“ aufmerksam gemacht und nach Göttingen geführt habe. Jetzt war er schon seit drei Jahren da und machte bei Husserl eine Doktorarbeit über den amerikanischen Philosophen Royce. Er war schon 31 Jahre alt, sah aber viel jünger aus.

Als Gegenstand der Besprechungen in der Philosophischen Gesellschaft wählten wir für jenen Sommer das zweite große Werk, das damals im Jahrbuch erschienen war und das auf das gesamte Geistesleben der letzten Jahrzehnte vielleicht noch stärker eingewirkt hat als Husserls „Ideen“: Max Schelers „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik“. Die jungen Phänomenologen standen sehr unter Schelers Einfluß; manche – wie Hildebrand und Clemens – hielten sich mehr an ihn als an Husserl. Er war damals persönlich in einer sehr üblen Lage. Seine erste Frau, von der er sich scheiden ließ, hatte ihn in München in einen Skandalprozeß verwickelt. Das belastende Material, das dabei zu Tage kam, hatte zur Folge, daß ihm die Universität die Venia legendi entzog. So war ihm die Lehrtätigkeit genommen; außerdem war er ohne festes Einkommen, lebte von seiner Schriftstellerei – meist in Berlin, mit seiner zweiten Frau (Märit Furtwängler) in einem bescheidenen Pensionszimmer, oft auch auf Reisen.

Die Philosophische Gesellschaft lud ihn jedes Semester für ein paar Wochen zu Vorlesungen nach Göttingen ein. Er durfte nicht in der Universität sprechen, wir durften auch nicht die Vorträge durch Anschlag am Schwarzen Brett bekannt geben, sondern konnten nur mündlich darauf aufmerksam machen. Wir mußten im Gesellschaftszimmer eines Hotels oder Cafés zusammenkommen. Auch am Ende dieses Semesters kam Scheler. Zunächst wurden einige Abende der [182] Woche für die Vorträge angesetzt; aber er verstand die Zeit nicht einzuteilen, und zum Schluß drängte sich der Stoff so, daß wir täglich kommen mußten. Wenn der offizielle Teil vorbei war, blieb er mit einem kleineren Kreis noch stundenlang im Café zusammen. Ich habe nur ein- oder zweimal an diesen Nachsitzungen teilgenommen. So sehr ich darauf aus war, möglichst viel sachliche Anregungen zu erhaschen, so stieß mich doch hier etwas ab: der Ton, in dem von Husserl gesprochen wurde. Scheler war natürlich auch scharf gegen die idealistische Wendung und äußerte sich fast von oben herab; manche von den Jungen erlaubten sich nun einen ironischen Ton, und das empörte mich als Ehrfurchtslosigkeit und Undankbarkeit. Die Beziehungen zwischen Husserl und Scheler waren nicht ganz ungetrübt. Scheler betonte bei jeder Gelegenheit, daß er nicht Husserls Schüler sei, sondern selbständig die phänomenologische Methode gefunden habe. Allerdings hatte er nicht als Student bei ihm gehört, aber Husserl war doch von seiner Abhängigkeit überzeugt. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren. Während Husserl noch Privatdozent in Halle war, lebte Scheler in dem nahen Jena; sie kamen häufig zusammen und standen in lebhaftem Gedankenaustausch. Wie leicht Scheler Anregungen von andern aufnahm, weiß jeder, der ihn gekannt oder auch nur seine Schriften aufmerksam gelesen hat. Es flogen ihm Ideen zu und arbeiteten in ihm weiter, ohne daß er selbst etwas von der Beeinflussung merkte. Er konnte mit gutem Gewissen sagen, es sei alles sein Eigentum. Zu diesem Wettstreit um die Priorität kam bei Husserl noch eine ernste Besorgnis für seine Schüler. Er gab sich die größte Mühe, uns zu strenger Sachlichkeit und Gründlichkeit, zu „radikaler intellektueller Ehrlichkeit“ zu erziehen. Schelers Art aber, geniale Anregungen auszustreuen, ohne ihnen systematisch nachzugehen, hatte etwas Blendendes und Verführerisches. Dazu kam, daß er von lebensnahen Fragen sprach, die jedem persönlich wichtig sind und besonders junge Menschen bewegen, nicht wie Husserl von nüchternen und abstrakten Dingen. Trotz dieser Spannungen bestand damals in Göttingen noch ein freundschaftlicher Verkehr zwischen beiden.

Der erste Eindruck, den Scheler machte, war faszinierend. Nie wieder ist mir an einem Menschen so rein das „Phänomen der Genialität“ entgegengetreten. Aus seinen großen blauen Augen leuchtete der Glanz einer höheren Welt. Sein Gesicht war schön und edel geschnitten, aber das Leben hatte verheerende Spuren darin hinterlassen. Betty Heymann sagte, er erinnere sie an das Bildnis des Dorian Gray: jenes geheimnisvolle Bild, in welches das wüste Leben des Originals seine entstellenden Linien zeichnete, während der Mensch seine unversehrte Jugendschönheit behielt. Scheler sprach [183] mit großer Eindringlichkeit, ja mit dramatischer Lebendigkeit. Die Worte, die ihm besonders lieb waren (z.B. „pure Wahrheit“) sprach er mit Andacht und Zärtlichkeit aus. Stritt er sich mit angenommenen Gegnern herum, so hatte er einen verächtlichen Ton. Damals behandelte er die Fragen, die auch das Thema seines unmittelbar vorher erschienenen Buches „Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle“ bildeten. Sie waren für mich von besonderer Bedeutung, da ich gerade anfing, mich um das Problem der „Einfühlung“ zu bemühen.

Im praktischen Leben war Scheler hilflos wie ein Kind. Ich sah ihn einmal in der Garderobe eines Cafés ratlos vor einer Reihe von Hüten stehen: er wußte nicht, welcher sein eigener war. „Nicht wahr, jetzt fehlt Ihnen Ihre Frau?“ sagte ich lächelnd. Er nickte zustimmend. Wenn man ihn so sah, konnte man ihm nicht böse sein – auch nicht, wenn er Dinge tat, die man bei andern Menschen verurteilt hätte. Selbst die Opfer seiner Verirrungen pflegten sich für ihn einzusetzen.

Für mich wie für viele andere ist in jenen Jahren sein Einfluß weit über das Gebiet der Philosophie hinaus von Bedeutung geworden. Ich weiß nicht, in welchem Jahr Scheler zur katholischen Kirche zurückgekehrt ist. Es kann damals nicht sehr lange zurückgelegen haben. Jedenfalls war es die Zeit, in der er ganz erfüllt war von katholischen Ideen und mit allem Glanz seines Geistes und seiner Sprachgewalt für sie zu werben verstand. Das war meine erste Berührung mit dieser bis dahin völlig unbekannten Welt. Sie führte mich noch nicht zum Glauben. Aber sie erschloß mir einen Bereich von „Phänomenen“, an denen ich nun nicht mehr blind vorbeigehen konnte. Nicht umsonst wurde uns beständig eingeschärft, daß wir alle Dinge vorurteilsfrei ins Auge fassen, alle „Scheuklappen“ abwerfen sollten. Die Schranken der rationalistischen Vorurteile, in denen ich aufgewachsen war, ohne es zu wissen, fielen, und die Welt des Glaubens stand plötzlich vor mir. Menschen, mit denen ich täglich umging, zu denen ich mit Bewunderung aufblickte, lebten darin. Sie mußten zumindest eines ernsten Nachdenkens wert sein. Vorläufig ging ich noch nicht an eine systematische Beschäftigung mit den Glaubensfragen; dazu war ich noch viel zu sehr von andern Dingen ausgefüllt. Ich begnügte mich damit, Anregungen aus meiner Umgebung widerstandslos in mich aufzunehmen, und wurde – fast ohne es zu merken – dadurch allmählich umgebildet.

Es fehlt in der Darstellung meiner ersten Göttinger Zeit noch etwas Näheres über die Beziehungen zu meinen Verwandten. Mein Vetter Richard Courant war damals 25 Jahre alt, seit kurzer Zeit [184] Privatdozent und verheiratet. Seine Frau, Nelli Neumann aus Breslau, war etwas älter als er. Sie hatte mit ihm zusammen Mathematik studiert, hatte in diesem Fach promoviert und auch ihr Staatsexamen gemacht. Justizrat Neumann hatte sehr lange gezögert, diesem jungen Menschen, der noch keine feste Existenz hatte, sein einziges Kind anzuvertrauen. Vater Neumann war ein überaus gütiger und edler Mensch. Schon seine äußere Erscheinung war vornehm und gewinnend: hochgewachsen, schlank, hellblond und blauäugig, wirkte er keineswegs wie ein Jude aus der Provinz Posen (das war er), sondern eher wie ein germanischer Aristokrat. Da Nellis Mutter starb, als das Kind erst zwei Jahre alt war, hatte er ihr Vater und Mutter sein müssen. Er umgab sie mit der zärtlichsten Liebe, teilte alle ihre Freuden und Leiden, arbeitete mit ihr wie ein Kamerad. Das Glück ihres Zusammenlebens wurde nur gestört durch seine Schwiegermutter, die er nach dem Tode seiner Frau im Hause behielt, obgleich sie ihn und das Kind mit ihren Launen beständig quälte. Sie starb erst, als Nelli bereits verheiratet war. Ich habe früher von der ernsten und schweren Jugend meines Vetters gesprochen. Er hatte sich ganz aus eigener Kraft emporgearbeitet, wir alle hegten die größte Bewunderung für seine ungewöhnliche Begabung und seinen Charakter. Das Vermögen seiner Frau verschaffte ihm zum erstenmal die Möglichkeit eines sorgenfreien Daseins und eines jugendlich unbekümmerten Lebensgenusses.

Ähnlich wie Anne Reinach hatte Nelli mit größter Sorgfalt eine schöne und behagliche Wohnungseinrichtung arbeiten lassen. Das Häuschen in der Schillerstraße, in dem sie zwei Stockwerke bewohnten, lag am Südrand der Stadt, dahinter dehnten sich Gärten und Felder. Dieses schöne Heim stand für eine ungezwungene Geselligkeit offen. Richard liebte es, unangemeldete Gäste mitzubringen. Er hatte einen großen Freundeskreis, Dozenten und ältere Studenten. Auch von seinen Schülern und Schülerinnen brachte er gern jemanden mit, wenn er etwas mit ihnen zu besprechen hatte. Nelli hatte mir ja die Anregung gegeben, nach Göttingen zu kommen, und nahm mich herzlich auf. Ich wurde öfters zum Essen eingeladen; das Badezimmer wurde mir zu beliebiger Verfügung gestellt; überhaupt liebte es Nelli, an dem Guten, was sie besaß, andere teilnehmen zu lassen. Sie war heiter und gesprächig, dabei aber ein Mensch, der allen Dingen auf den Grund gehen wollte. Besonders war sie für ethische Fragen interessiert und unternahm nichts, ohne alle Gründe für und wider eingehend erwogen zu haben. Sie hörte noch etwas Vorlesungen; einmal in der Woche hatten wir ein gemeinsames Kolleg und machten dann den Heimweg zusammen. Sie erkundigte sich dann genau nach allen meinen Angelegenheiten, verfolgte mein [185] Studium mit größer Teilnahme und hatte Freude daran, daß hier augenscheinlich ein Mensch den Weg gehe, für den er geboren sei. Zur Hausfrau war sie wenig geeignet, ihre ganze Erziehung war nicht darauf angelegt. Als sie einige Monate nach der Hochzeit zur Beerdigung ihrer Großmutter nach Berlin kam, erzählte sie mit viel Humor von allerhand Mißgeschick in dem jungen Haushalt und erklärte: „Die Dinge sind umso komplizierter, je weiter sie sich von der Mathematik entfernen, und der Haushalt ist am weitesten von der Mathematik entfernt“. Richard verkehrte mit ihr in dem neckenden Ton, der ihm überhaupt eigen war. Mit mir verband ihn die nahe Verwandtschaft; ohne es wahr haben zu wollen, hing er sehr an der Familie und fragte mich immer nach allen ihren Mitgliedern. Er sprach auch gern mit mir über die Sorge um seine Eltern, wie er sich früher in Breslau mit meiner Mutter beraten hatte. Auch er zeigte für meinen wissenschaftlichen Werdegang lebhafte Teilnahme.

Ich war der Philosophie wegen nach Göttingen gekommen und wollte ihr hier den größten Teil meiner Zeit widmen. Die andern Fächer aber sollten auch nicht vernachlässigt werden. Da ich ja vorhatte, nur den einen Sommer zu bleiben, wollte ich ihn auch gern ausnützen, um andere Germanisten und Historiker als die Breslauer kennenzulernen. Ein Kolleg über „Börne, Heine und das Junge Deutschland“ bei Richard Weißenfels war mehr Erholung als Arbeit. Auch den gestrengen und gefürchteten Edward Schröder genoß ich sorgenlos als „Phänomen“. Er war ein großer, kräftiger Mann mit breitem, graumeliertem, in der Mitte geteilten Bart. Es war sein Stolz, daß er eine „gewachsene Sprache“ – die Sprache seiner Heimat Hessen – besaß. Noch passender aber schien es mir, wenn er mittelhochdeutsch oder gar althochdeutsch redete –, ich freute mich jedesmal, wenn er in seinem Kolleg eine Textprobe vorlas. Wie sein Schwager Roethe in Berlin war er ein Gegner des Frauenstudiums und hatte bisher keine Damen in sein Seminar aufgenommen. Ich habe aber seine „Bekehrung“ miterlebt. Als er zu Beginn jenes Semesters die Seminarschlüssel an die Mitglieder verteilte – dazu mußten wir einzeln vortreten und ihm mit Handschlag versprechen, kein Buch aus der Seminarbibliothek mit nach Hause zu nehmen – erklärte er öffentlich, von nun an wolle er Damen in die Oberstufe des Seminars zulassen; sie hätten sich das durch ihren Fleiß und ihre tüchtigen Leistungen verdient. Überdies war er ein Gemütsmensch; als er einmal in seiner Vorlesung eines verstorbenen Kollegen gedachte, kamen ihm die Tränen.

Von den Philosophen hörte ich außer den Phänomenologen noch Leonard Nelson. Er war noch jung, kaum über die 30 Jahre alt, [186] aber schon in ganz Deutschland berühmt oder eher berüchtigt durch sein Buch über „das sogenannte Erkenntnisproblem“. Darin hatte er mit großem Scharfsinn alle bedeutenden Vertreter der neuzeitlichen Erkenntnistheorie einen nach dem andern durch Nachweis formaler Widersprüche „getötet“. In seinem Kolleg – ich hörte seine „Kritik der praktischen Vernunft“ – verfuhr er nicht glimpflicher. Er hatte zwei schematische Zeichnungen zur Darstellung der typischen Widersprüche; sie wurden fast jede Stunde für neue Gegner an die Tafel gemalt und hießen bei den Hörern die „Guillotine“. Der einzige Überlebende auf dem Schlachtfeld war der Kant-Schüler Fries, nach dem Nelson seine eigene Philosophie benannte. Seine Ethik gipfelte in der Ableitung eines etwas abgewandelten kategorischen Imperativs. Überhaupt war die ganze Vorlesung eine lückenlose Deduktion aus einigen vorausgeschickten Thesen. Seinen Schlußfolgerungen konnte man sich schwer entziehen, aber ich hatte durchaus den Eindruck, daß in den Voraussetzungen Fehler steckten. Das Gefährliche war, daß er das, was er in seiner Ethik theoretisch ableitete, auch unweigerlich praktisch durchführte und dasselbe von seinen Schülern verlangte. Er hatte einen Kreis von jungen Menschen um sich (hauptsächlich Jugendbewegte), die sich ganz von ihm führen ließen und ihr Leben nach seinen Leitsätzen gestalteten. Richard Courant, der zeitweise selbst stark unter seinem Einfluß gestanden hatte, pflegte zu sagen: „Wie die Corpsstudenten zum Frühschoppen gehen, so gehen die Freischärler ins Nelsonkolleg“. Er war eine echte Führernatur; die Festigkeit seines Charakters, die Unbeugsamkeit seines Willens, die stille Leidenschaft seines sittlichen Idealismus gaben ihm Macht über andere. Äußerlich hatte er wenig Bestechendes. Er war groß und breitschultrig, sein Gang war schwer, schwer lagen die Lider über den hellblauen Augen, und auch seine Sprache klang schwer und etwas müde trotz der Entschiedenheit und dem Nachdruck, womit er alles vorbrachte. Das Gesicht war häßlich, aber anziehend; das Schönste an ihm waren die dichten, welligen blonden Haare. Er sprach ganz nüchtern und trocken; den Hauptgedankengang skizzierte er an die Tafel; der Schrift und den schematischen Zeichnungen sah man es an, daß er die Hand eines Malers hatte.

Es gab wenige Menschen, die er seines Verkehrs würdigte, ohne daß sie sich seiner Philosophie und seiner Lebensweise bedingungslos verschrieben. Zu diesen wenigen gehörte Rosa Heim, eine russische Jüdin, die schon seit Jahren in Göttingen Psychologie studierte. Ich hatte sie im Psychologischen Institut kennengelernt, und eines Tages, als ich auf der Straße mit ihr ging, begegneten wir Nelson. Sie begrüßte ihn, stellte mich vor und erklärte, wir müßten uns [187] miteinander aussprechen. Darauf verabschiedete sie sich und ließ uns allein weitergehen. Nelson kannte mich vom Sehen aus seinem Kolleg und wollte gern hören, was ich dazu sagte, denn er wußte, daß ich Husserlschülerin war, und es verlor sich nicht oft jemand aus diesem Lager zu ihm. Er selbst kannte Husserls Schriften nicht genau und erklärte, es koste zuviel Zeit, sich in dessen schwierige Terminologie hineinzufinden. Ich fragte, ob er sich nicht einmal mit Reinach auseinandergesetzt habe; das ginge doch leichter. „Reinach ist klarer, aber dafür ist er weniger tief“, lautete die bündige Antwort. Damit war unser Gespräch zu Ende, denn wir waren vor dem Verlag von Vandenhoeck und Rupprecht angelangt, dem er zusteuerte. Es dauerte Jahre, bis ich noch einmal persönlich mit ihm zusammentraf.

Im Psychologischen Institut hörte ich „Psychophysik der Augenempfindungen“ bei Georg Elias Müller, einem Veteranen der alten, rein naturwissenschaftlich verfahrenden Methode. Es war eine Exaktheit darin, die mich anzog und mir vertrauenswürdiger war als das, was ich bei Stern kennengelernt hatte. Aber ich hatte daran nur Freude wie an theoretischer Physik oder Mathematik: es waren Arbeitsgebiete, über die ich mich gern unterrichten ließ, in denen aber für mich persönlich keine Aufgaben lagen. Müller war ein rabiater Gegner der Phänomenologie, weil es für ihn etwas anderes als Erfahrungswissenschaft nicht gab. Husserl dagegen empfahl uns, bei ihm zu hören, weil er Wert darauf legte, daß wir die Methoden der positiven Wissenschaften kennenlernten. David Katz, der als Privatdozent neben Müller im Institut wirkte, hatte sich in seiner Studienzeit auch mit Phänomenologie beschäftigt, und man merkte es seinen Vorlesungen an, daß sie davon befruchtet waren. Durch Moskiewicz und Rosa Heim (mit der er sich später verheiratete) lernte ich ihn auch persönlich kennen. Der Betrieb im Institut war sehr eigenartig. Müller hatte eine ganze Reihe von Schülern, die bei ihm promovieren wollten, obgleich das keine einfache Sache war. Es dauerte oft Monate, ehe man nur die Versuchsanordnung und die nötigen Apparate zusammenhatte. Keiner sagte dem andern, was er für eine Arbeit machte. In den verschiedenen Versuchsräumen des alten Gebäudes in der Paulinerstraße wirkten sie an ihren Maschinen geheimnisvoll herum. Einige Zeit diente ich einem dänischen Psychologen als Versuchsperson. Ich saß im verdunkelten Zimmer vor einem Tachistoskop, bekam nacheinander eine Reihe von verschiedenen grünen, leuchtenden Figuren jeweils einen Augenblick gezeigt und mußte nachher angeben, was ich gesehen hatte. Daran merkte ich, daß es sich um das Wiedererkennen von Figuren handelte, aber näheren Aufschluß erhielt ich nicht. Wir Phänomenologen [188] lachten über die Geheimniskrämerei und freuten uns unseres freien Gedankenaustausches: wir hatten keine Furcht, daß einer dem andern seine Ergebnisse wegschnappen könnte.

Neben der Philosophie war mir in Göttingen das Wichtigste die Arbeit bei Max Lehmann. Ich hatte in Breslau schon sein großes Werk über den Freiherrn von Stein durchgearbeitet und freute mich, ihn persönlich kennenzulernen. Ich hörte sein großes Kolleg über das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung und ein einstündiges über Bismarck. Ich freute mich an seiner Art, europäisch zu denken, einem Erbteil seines großen Lehrers Ranke, und war stolz, durch ihn eine Enkelschülerin von Ranke zu werden. Mit seinen Auffassungen konnte ich freilich nicht in allem übereinstimmen. Als alter Hannoveraner war er stark antipreußisch gesinnt; der englische Liberalismus war sein Ideal. Besonders stark trat das natürlich in der Bismarckvorlesung hervor. Da mich Einseitigkeiten immer dazu anregten, der Gegenseite gerecht zu werden, wurde ich mir hier mehr als daheim der Vorzüge des preußischen Wesens bewußt und wurde in meinem Preußentum bestärkt.

Ich habe schon erwähnt, daß ich auf Reinachs Übungen verzichtete, um das gleichzeitige Lehmannsche Seminar mitzumachen. Allerdings bereute ich es fast, als ich merkte, welche Arbeitsanforderungen hier gestellt wurden; denn soviel Zeit hatte ich in Göttingen nicht auf das Geschichtsstudium verwenden wollen. Unsere Aufgabe für das ganze Semester war ein Vergleich der damaligen Deutschen Reichsverfassung mit dem Verfassungsentwurf von 1849. Die wichtigsten Bücher für das Studium dieser Frage waren in einem kleinen Arbeitszimmer neben dem großen Übungsraum für unsern Gebrauch zusammengestellt. Ich habe manche Stunde dort zugebracht. Die peinlichste Überraschung aber war, daß jedes neue Mitglied eine große schriftliche Arbeit übernehmen mußte. Die Themen wurden gleich in der ersten Stunde verteilt, und zwar so, daß je zwei – möglichst ein Herr und eine Dame – dasselbe zu bearbeiten hatten. Auch der Ablieferungstermin wurde sofort festgesetzt. In der zweiten Semesterhälfte wurden die Arbeiten in den Seminarsitzungen besprochen. Dazu mußten die beiden Opfer an dem großen hufeisenförmigen Tisch die Plätze Lehmann gegenüber einnehmen und Rede und Antwort stehen. Das war für ihn die Gelegenheit, einen gründlich persönlich kennenzulernen. Er hatte sehr schwache Augen und konnte uns nicht sehen, wenn wir entfernter saßen. Zu Beginn jedes Semesters ließ er sich die Tische aufzeichnen und den Namen jedes Teilnehmers an seinem Platz eintragen. Dann kannte er uns als Funktion unseres Platzes, und wir durften die Reihenfolge nicht mehr ändern. Mein Thema hieß: [189] Die Verwirklichung der Parteiprogramme in dem Verfassungsentwurf von 1849. Mein Partner und ich kamen ganz am Schluß des Semesters an die Reihe. Wir hatten uns vorher nicht gekannt; aber da wir nun unter der gleichen Last seufzten, begleitete er mich einigemal nach Hause, um sich unterwegs mit mir über unsere Sorgen auszusprechen. Es war ein kluger und fleißiger Mensch; ich traute seiner Arbeit alles Gute zu. Unsere Aufgabe war mühsam. Man mußte sich über den Aufmarsch der Parteien in der Frankfurter Nationalversammlung genau unterrichten, mußte sich die Programme verschaffen: sie waren nicht alle ohne weiteres zugänglich, wenn auch die meisten in einer handlichen Sammlung abgedruckt waren; eines bekam ich erst nach langem Suchen in einem alten Zeitungsband von 1848 aus der Heidelberger Bibliothek. Und dann kam erst die Vergleichsarbeit. Ich stand das ganze Semester hindurch etwas unter diesem Druck. Endlich kam die Sitzung, in der Lehmann uns aufs Korn nahm. Er tat dies übrigens immer in sehr freundlicher Weise und äußerte sich diesmal auch recht zufrieden über den Verlauf des Gesprächs. Allerdings gab es eine tragikomische Schwierigkeit. Er hatte meine Arbeit nicht ganz entziffern können, weil die Tinte für seine schwachen Augen zu blaß war. Eine ältere Kollegin (studierende Lehrerin) gab mir den guten Rat, Lehmann aufzusuchen und zu fragen, ob ich die Arbeit noch einmal in Maschinenschrift abliefern dürfte. So machte ich mich auf den Weg nach der Bürgerstraße, wo er ein eigenes Haus bewohnte, ein älteres Haus, von einem Garten umgeben. Ich wurde in den Oberstock geführt. Schon der Vorplatz vor seinem Studierzimmer war bis zur Decke mit Bücherregalen umstellt. Lehmann empfing mich sehr gütig. Nein, es sei nicht nötig, die Arbeit abschreiben zu lassen. Er wüßte ja jetzt durch die Besprechung genau Bescheid und sei sehr befriedigt. Überhaupt die Damen! Was würde aus seinem Seminar, wenn er die Damen nicht hätte, die so fleißig und so tüchtig arbeiteten! Das schien mir nun etwas übertrieben und ich fühlte mich verpflichtet, für meine männlichen Kollegen einzutreten: es gäbe doch auch Herren, die etwas leisteten. Er war etwas erstaunt über diese Erwiderung, stimmte mir aber zu. „O ja, einzelne wohl. Ihr Partner z.B. hat ja auch eine gute Arbeit geliefert“. Nun aber kam eine große Überraschung. Lehmann eröffnete mir, da die Arbeit so gut ausgefallen sei, wolle er sie gern als Staatsexamensarbeit annehmen. Einige kleine Ergänzungen könnte ich noch anbringen. Das war keine ungewöhnliche Auszeichnung; Lehmann pflegte gute Seminararbeiten als Examensarbeiten einreichen zu lassen. Aber ich wußte nichts davon, da ich mich bisher um den Göttinger Examensbetrieb kein bißchen gekümmert hatte. [190] Einmal hatte ich das Staatsexamen als etwas sehr Fernliegendes betrachtet, da ich immer die Absicht hatte, zuerst den Doktor zu machen. Und außerdem war ich ja nur für diesen Sommer nach Göttingen gekommen und rechnete mit einem Staatsexamen in Breslau. Freilich, je näher das Semesterende kam, desto unmöglicher war mir der Gedanke, daß ich nun fortgehen und nicht wiederkommen sollte. Diese Monate, die hinter mir lagen, waren doch keine Episode, sondern der Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Nun kam mir Hilfe von einer Seite, von der ich sie nicht im mindesten erwartet hatte. Eine fertige Staatsexamensarbeit konnte man doch nicht ungenützt lassen. Das würde auch meinen Leuten einleuchten.

Ich glaube, daß schon auf dem Heimweg von diesem folgenreichen Besuch mein Plan fertig wurde. Ich mußte nun vor allem mein Verhältnis zu Professor Stern in Ordnung bringen. Er bekam einen Bericht über den Verlauf dieses Semesters: An meiner psychologischen Arbeit hätte ich nichts getan, dagegen mich ganz in die Phänomenologie eingelebt; nun sei es mein dringender Wunsch, weiter bei Husserl zu arbeiten. Es kam eine sehr gütige Antwort: wenn ich diesen Wunsch hätte, so könne man mir nur raten, bei Husserl den Doktor zu machen. Auch bei meinen Angehörigen stieß ich auf keinen Widerstand. Nun kam der größte Schritt: ich ging zu Husserl und bat ihn um eine Doktorarbeit. „Sind Sie denn schon so weit?“ fragte er überrascht. Er war gewöhnt, daß man jahrelang bei ihm hörte, ehe man sich an eine selbständige Arbeit heranwagte. Immerhin wies er mich nicht zurück. Er stellte mir nur alle Schwierigkeiten vor Augen. Seine Ansprüche an eine Doktorarbeit seien sehr hoch; er rechne, daß man drei Jahre dafür brauche. Wenn ich die Absicht hätte, Staatsexamen zu machen, dann würde er mir dringend raten, dies erst zu tun, sonst käme ich zu sehr aus meinen andern Fächern heraus. Und er selbst lege großen Wert darauf, daß man in einer Spezialwissenschaft etwas Tüchtiges leiste. Es tauge nichts, nur Philosophie zu betreiben, als solide Grundlage brauche man gründliche Vertrautheit mit den Methoden der andern Wissenschaften. Das stieß zwar alle meine bisherigen Pläne um und machte mir das Herz etwas schwer; aber ich ließ mich durch nichts abschrecken, sondern wollte auf jede Bedingung eingehen. Nun wurde der Meister etwas entgegenkommender. Er hätte nichts dagegen, wenn ich mein Thema jetzt schon wählte und anfinge, daran zu arbeiten. Wenn ich dann mit meiner Vorbereitung zum Staatsexamen weit genug wäre, wolle er mir die Aufgabe für die Staatsarbeit so stellen, daß ich sie nachher zur Doktorarbeit ausbauen könnte.

Nun war also die Frage, worüber ich denn arbeiten wolle. Darum war ich nicht in Verlegenheit. In seinem Kolleg über Natur [191] und Geist hatte Husserl davon gesprochen, daß eine objektive Außenwelt nur intersubjektiv erfahren werden könne, d.h. durch eine Mehrheit erkennender Individuen, die in Wechselverständigung miteinander ständen. Demnach sei eine Erfahrung von anderen Individuen dafür vorausgesetzt. Husserl nannte diese Erfahrung im Anschluß an die Arbeiten von Theodor Lipps Einfühlung, aber er sprach sich nicht darüber aus, worin sie bestünde. Da war also eine Lücke, die es auszufüllen galt: ich wollte untersuchen, was Einfühlung sei. Das gefiel dem Meister nicht übel. Allerdings bekam ich nun gleich eine neue bittere Pille zu schlucken: er verlangte, daß ich die Arbeit als Auseinandersetzung mit Theodor Lipps durchführe. Er wollte nämlich gern, daß seine Schüler in ihren Arbeiten das Verhältnis der Phänomenologie zu den andern bedeutenden philosophischen Richtungen der Zeit klarstellten. Ihm selbst lag das wenig. Er war zu sehr von seinen eigenen Gedanken erfüllt, um sich für die Auseinandersetzung mit anderen Zeit zu nehmen. Aber auch bei uns stieß er mit dieser Forderung auf wenig Gegenliebe. Er pflegte lächelnd zu sagen: „Ich erziehe meine Schüler zu systematischen Philosophen, und dann wundere ich mich, daß sie keine philosophiegeschichtlichen Arbeiten machen mögen“. Fürs Erste aber war er unerbittlich. Ich mußte in den sauern Apfel beißen, d.h. daran gehen, die lange Reihe der Werke von Theodor Lipps durchzustudieren.

Das war nun wieder ein folgenschwerer Besuch. Ganz neue Pläne mußten gemacht werden. Aber ich war auch damit schnell fertig. Wenn ich das Staatsexamen vor dem Doktor machen sollte, dann wollte ich es mir so bald wie irgend möglich vom Hals schaffen. Ich hatte jetzt fünf Semester hinter mir. Damit durfte ich mich noch nicht zur Prüfung melden. Die vorgeschriebene Mindestzahl war sechs. Aber ich stammte aus alter Zeit, als noch nicht so viel Stoff zu bewältigen war. Jetzt nehmen sich die meisten Leute 8-10 Semester Zeit. Davon konnte bei mir keine Rede sein. Mein Entschluß war gefaßt: im kommenden Winter mußte der Entwurf der Einfühlungsarbeit fertig werden und ich mußte mit der Vorbereitung zur mündlichen Prüfung so weit kommen, daß ich mich am Ende des Semesters zur Prüfung melden könnte.

Das war das Ergebnis meines ersten Sommers in Göttingen. Anfang August reiste ich für die Ferien nach Hause. Ich weiß nicht mehr, ob ich diese Fahrt mit Rose gemeinsam machte. Für sie war es der endgültige Abschied von Göttingen. Wir gaben unsere Wohnung auf, weil sie für mich allein zu kostspielig war. Ich wollte mir im Herbst ein neues Quartier suchen.


[192]
2.

Anfang August reiste ich also für die großen Ferien nach Hause. Der Sommer 1913 war für Breslau eine große Zeit: Die Jahrhundertfeier der Befreiungskriege. Man hatte sich darum auch gewundert, daß ich gerade dies Semester außerhalb verbrachte. Manches von den Festlichkeiten hatte ich schon versäumt; vor allem das Festspiel, das Gerhart Hauptmann für diesen Zweck geschrieben hatte und das in der ebenfalls eigens neu erbauten „Jahrhunderthalle“, einem Kuppelbau aus Beton und Eisen, damals dem größten der Welt, aufgeführt wurde. Ich hatte die Dichtung in Göttingen gelesen, und die Lösung war mir genial erschienen: die denkwürdigen Begebenheiten, – Preußens Größe, Fall und Erhebung, Napoleons glänzender Aufstieg und sein Sturz – waren mit einem kecken Griff erfaßt, indem sie als ein Puppenspiel dargestellt wurden, wie sie sich, von oben gesehen, ausnehmen mochten. Diese Auffassung hatte aber allerhöchsten Orts Anstoß erregt. Es war ja in Berlin alte Tradition, daß kein Hohenzoller auf die Bühne gebracht werden durfte. Sie nun gar als Puppen auftreten zu lassen, das erschien als offene Majestätsbeleidigung. Der deutsche Kronprinz legte sein Protektorat über die Jahrhundertfeier nieder; um ihn und den Kaiser zu versöhnen, verzichtete die Festleitung auf weitere Aufführungen des Puppenspiels. Der Besuch des Kaisers fiel in die Zeit, während ich in Breslau war. Er hielt sich – wie gewöhnlich – nur sehr kurz dort auf. (Vor Jahren hatte einmal in unserer Stadt eine Frau ein Attentat auf ihn versucht, das mochte ihm den Besuch verleidet haben). Als er das Festgelände besichtigte, stand der Erbauer, Stadtbaurat Berg, bereit, um sich vorstellen zu lassen und ein freundliches Wort zu hören. Aber er wurde nicht beachtet und mußte die schroffen „Worte hören: der Magistrat hätte besser getan, die große Summe, die für diesen Bau verwendet wurde, der Universität zu überweisen. Der gekränkte Baurat wurde Sozialdemokrat. Der Kaiser hatte auch keine Zeit für ein Konzert in der Jahrhunderthalle, bei dem 10000 Volksschulkinder Volkslieder sangen. Der König von Sachsen hatte es sich kurz zuvor angehört und den kleinen Künstlern einige freundliche Worte gesagt. Ich fand das Verhalten des Kaisers unbegreiflich töricht. Ich dachte, mit ein paar Worten hätte er so viele Kinderherzen gewinnen und für ihr Leben zu treuen Untertanen machen können. Aber es war ihm nicht gegeben, solche Gelegenheiten zu erfassen.

Ich habe außer diesen Liederchören in der Festhalle noch manches andere Schöne gehört, z.B. ein großes Bachkonzert auf der eingebauten Riesenorgel. Natürlich sah ich auch die Jahrhundertausstellung. Die ebenfalls neuerbauten Ausstellungshallen, die historischen [193] Gärten und die andern schönen Anlagen um die Festhalle wurden als dauernder Schmuck der Stadt erhalten.

Zu Hause wurde ich mit herzlicher Liebe aufgenommen. Meine Zukunftspläne stießen auf gar keinen Widerstand. Ich hatte auch nicht mehr den Eindruck, daß meine Mutter das auswärtige Studium schmerzlich empfand. Als ich von meinen beiden Arbeiten berichtete, war Erna voll Bewunderung für diese selbständigen Leistungen. Ihre eigene Doktorarbeit kam ihr daneben wie ein Kinderspiel vor, da ihr die ganze Fragestellung fertig vorgelegt wurde und nur die Ausführung der Versuche ihr überlassen wurde. In dem alten Freundeskreis erregte meine wissenschaftliche Entwicklung einiges Aufsehen, ich wurde aber genau so wie früher „dazugerechnet“. Stern lud mich immer noch mit dem engsten Schülerkreis zusammen ein und zog mich heran, um eine große pädagogische Tagung und eine damit verbundene psychologische Ausstellung vorzubereiten. Im Mittelpunkt stand eine Auseinandersetzung zwischen Wyneken, der sein Ideal der Erziehung in Freien Schulgemeinden mit radikaler Entschiedenheit vertrat, und Stern, der sich in milderen Formen, aber nicht minder fest für die Familienerziehung einsetzte. Diesmal stand ich ganz auf seiner Seite. Wynekens düsteres Äußere, sein fanatischer Blick stießen mich ebenso ab wie seine Theorien, und die Wikkersdorfer Zöglinge, die er mitgebracht hatte, schienen mir in ihrer blinden Gefolgschaft kein vertrauenerweckendes Ergebnis der Erziehungskunst ihres Führers.

In der zweiten Oktoberhälfte, einige Tage vor Beginn der Vorlesungen, war ich wieder in Göttingen. Ich mietete ein Zimmer in der Schillerstraße, nur um einen Häuserblock von Courants entfernt. Die ganze Straße war neugebaut, das Zimmer modern und geschmackvoll mit weißer Decke, lichtgrauer Tapete und schmaler Goldleiste. Die Wirtsleute gehörten zum guten Mittelstand; Frau Mußmann war weder jung noch hübsch, aber sehr freundlich. Sie versorgte mich, wie ich es bisher gewohnt war, mit Milch zum Frühstück und Tee zum Abendessen. Nach einigen Monaten übernahm sie es auch, mir mittags eine Portion von ihrem Essen zu bringen; damit war ich für wenig Geld viel besser versorgt als in den Gasthäusern. Mein Zimmer lag außerhalb der Wohnung, hatte einen eigenen Eingang vom Treppenhaus; es war im Erdgeschoß, so daß man mir von der Straße mit einem Stock am Fenster klopfen konnte. Richard machte sich manchmal so bemerkbar, wenn er abends aus einem Konzert heimkam und bei mir noch Licht sah. Ich war in diesem Winter sehr einsam. So lange Rose mit mir zusammenlebte, hatten wir beide nichts von Heimweh gespürt. Ich vermißte sie jetzt sehr. Ich vermied es, durch die Lange Geismarstraße [194] zu gehen, weil der Anblick unseres alten Wohnhauses mir zu weh tat. Darum habe ich es auch niemals über mich gebracht, unsere guten früheren Wirtsleute zu besuchen. Der treue Danziger holte mich weiter zu Sonntagsspaziergängen ab. Ich konnte mir nur jetzt nicht mehr so viel Zeit dafür nehmen wie früher, weil ich ganz im Bann meines großen Arbeitsprogramms stand. Außerdem muß ich gestehen, daß der gute Junge mich etwas langweilte.

Moskiewicz war auch wiedergekommen; ich zog seine Gesellschaft bei weitem vor, obgleich der Verkehr mit ihm immer aufreibender wurde. Gewöhnlich bat er mich, den Sonntagnachmittag für ihn frei zu halten; aber ich mußte damit rechnen, daß am Vormittag ein Roter Radler einen Absagebrief brachte. Manchmal kam ein zweiter hinterher, der die Absage wieder zurücknahm. Ich nahm ihm das nicht übel, weil ich durchschaute, was dahinterstand. Die Phänomenologie war seine unglückliche Liebe. Sie hatte ihm die psychologische Arbeit verleidet, und er konnte dorthin nicht mehr zurückfinden; in der Phänomenologie aber kam er nie über die Anfangsschwierigkeiten hinaus und vermochte nichts Selbständiges darin zu leisten. Er glaubte, daß ich jetzt weiter sei als er und daß er jedes Zusammensein ausnützen müsse, um sich von mir vorwärtsbringen zu lassen. Anderseits fürchtete er diese Gespräche, weil sie ihn aufs neue entmutigten. Wenn wir von andern Dingen sprachen, war ihm wohl, aber das gönnte er sich selten. Er war hauptsächlich wieder nach Göttingen gekommen, weil Reinach ihm zugesagt hatte, daß er jede Woche einmal allein zu ihm kommen dürfe. Auf diese Nachmittage legte er den größten Wert, sie sollten ihm die Lösung aller Zweifel bringen. Ich erschrak darum heftig, als mir gegen Ende des Semesters Reinach einmal gestand, daß ihm diese Gespräche eine unerträgliche Last seien. Er wußte ja, daß ich Moskiewicz gut kannte, und wollte von mir ein Urteil hören. Er selbst hielt ihn für einen hoffnungslosen Fall. „Er soll doch bei seiner Psychologie bleiben, als Phänomenologe wird er nie etwas erreichen. Könnte man ihm das nicht einmal sagen?“ Ich bat ihn dringend, das ja nicht zu tun. So wie ich Moskiewicz’ nervöse Verfassung kannte, fürchtete ich, daß er einen solchen Schlag nicht überstehen würde. Reinach versprach auch gleich, nichts zu sagen und weiter geduldig immer wieder dieselben Zweifel und Bedenken anzuhören. Dagegen übernahm ich es, unauffällig dahinzuwirken, daß Mos seinen Aufenthalt in Göttingen nicht länger als diesen Winter ausdehne. Tatsächlich verbrachte er den folgenden Sommer in Frankfurt a.M., um sich dort durch die Anregungen bedeutender Psychologen (Wertheimer, Gelb, Köhler) weiterhelfen zu lassen.

Für mich brachte der Winter noch mehr philosophische Förderung [195] als der Sommer. Husserl las sein großes Kant-Kolleg. Vor allem aber erlaubte es mein Stundenplan, diesmal Reinachs Vorlesung (Einführung in die Philosophie) und seine Übungen für Fortgeschrittene mitzunehmen. Im Sommer hatte ich sein Kolleg nur manchmal gastweise gehört, wenn ich gerade die Stunde frei hatte. Es war eine reine Freude, ihm zuzuhören. Er hatte wohl ein Manuskript vor sich, schien aber kaum hineinzusehen. Er sprach in lebhaftem und fröhlichem Ton, leicht, frei und elegant, und alles war durchsichtig-klar und zwingend. Man hatte den Eindruck, daß es ihn gar keine Mühe kostete. Als ich später einmal diese Manuskripte ansehen durfte, bemerkte ich zu meinem größten Erstaunen, daß sie von Anfang bis zu Ende wörtlich ausgearbeitet waren, unter die letzte Vorlesung des Semesters pflegte er zu schreiben: „Fertig, Gott sei Dank!“ Alle diese Glanzleistungen waren das Ergebnis unsäglicher Mühen und Qualen.

Die Übungen hielt Reinach in seiner Wohnung. Da wir unmittelbar vorher Husserl-Kolleg hatten, gab es dann einen Dauerlauf von 20 Minuten hinauf zum Steingraben. Die Stunden in dem schönen Arbeitszimmer waren die glücklichsten in meiner ganzen Göttinger Zeit. Wir waren uns wohl alle darüber einig, daß wir hier methodisch am meisten lernten. Reinach besprach mit uns die Fragen, die ihn selbst in seiner eigenen Forscherarbeit gerade beschäftigten, in jenem Winter das Problem der Bewegung. Das war kein Dozieren und Lernen, sondern ein gemeinsames Suchen, ähnlich wie in der Philosophischen Gesellschaft, aber an der Hand eines sicheren Führers. Alle hatten vor unserem jungen Lehrer eine tiefe Ehrfurcht, hier wagte nicht leicht jemand ein vorschnelles Wort, ich hätte kaum gewagt, ungefragt den Mund aufzumachen. Einmal warf Reinach eine Frage auf und wollte wissen, wie ich darüber dächte. Ich hatte angestrengt mitüberlegt und sagte sehr schüchtern in wenigen Worten meine Ansicht. Er sah mich überaus freundlich an und sagte: „So habe ich es mir auch gedacht“. Eine höhere Auszeichnung hätte ich mir nicht vorstellen können. Aber auch diese Abende waren für ihn eine Qual. Wenn die zwei Stunden herum waren, wollte er das Wort „Bewegung“ gar nicht mehr hören. Es wurden ihm aus unserm Kreis damals gewisse Einwendungen gemacht, die ihn schließlich nötigten, den ursprünglichen Ansatz ganz aufzugeben. Er fing nach Ostern noch einmal ganz von vorn an. Auch diesen Bruch konnte ich später in seinen schriftlichen Entwürfen feststellen.

Abgesehen von der Philosophie beschränkte ich meine Vorlesungen jetzt auf ein Mindestmaß, um möglichst viel zu Hause arbeiten zu können. Ich begann mit der systematischen Vorbereitung für die mündliche Prüfung: für Geschichte, deutsche Literatur und [196] Philosophiegeschichte bedeutete das eine gewaltige Masse von Gedächtnisstoff. Es kam noch etwas anderes hinzu. Die Göttinger Philosophische Fakultät hatte sich vor einigen Jahren in eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine philosophisch-historische Sparte geteilt. Die Philosophen mußten sich entscheiden, welcher sie angehören wollten. Trotz seiner eigenen mathematischen Vergangenheit und zum Ärger der Mathematiker, die sich für seine Berufung nach Göttingen eingesetzt hatten, wählte Reinach die andere Sparte, aus der Überzeugung, daß die Philosophie mehr innere Zusammengehörigkeit mit den Geisteswissenschaften habe. Zur Promotion in der philologischen Sparte aber wurde das humanistische Abitur verlangt. Hedwig Martius, die ebenso wie ich ein Realgymnasium besucht hatte, war mit der Preisarbeit, die sie bei Husserl gemacht hatte, zur Promotion nach München gegangen, weil dort diese Schwierigkeit nicht bestand. Ich war sofort entschlossen, die Ergänzungsprüfung im Griechischen nachzumachen, aber ich wollte das bis nach dem Staatsexamen verschieben, um nicht zuviel auf einmal zu haben. Es war mir darum sehr peinlich, als Frau Husserl mir einmal sagte, das Graecum müsse sechs Semester vor der Promotion gemacht werden. Ich ging sofort zum Dekan der philologischen Sparte – es war damals der Archäologe Körte – um mich nach den Bestimmungen zu erkundigen. Er meinte, es möge wohl eine solche Vorschrift bestehen und er könne nicht wissen, wie ein späterer Dekan sich dazu verhalten würde; er persönlich würde immer dafür stimmen, von dieser Bedingung abzusehen. Um aber ganz sicher zu sein, könnte ich zu dem Philologen Hermann Schultz gehen, der hier in Göttingen die griechischen Anfängerkurse gab, und mir von ihm bescheinigen lassen, daß ich jetzt schon griechisch könne. Ich frischte nun einige Wochen lang meine Kenntnisse aus den ersten Breslauer Semestern auf und begab mich dann zu Herrn Dr. Schultz. Er war ein noch junger Privatdozent und wohnte bei seiner Mutter, die den ungewöhnlichen Titel „Frau Abt“ führte. Das ehemalige Benediktinerkloster Bursfelde an der Weser war nämlich nach seiner Säkularisation der Universität Göttingen überwiesen worden, einer, der protestantischen Theologen wurde jeweils mit der Verwaltung betraut und galt als „Abt“.

Hermann Schultz empfing mich freundlich. Als ich ihm mein Anliegen vortrug, bestellte er mich für den nächsten Tag zu einer kleinen Prüfung. Er legte mir Thukydides zur Übersetzung vor, von dem ich bisher noch nichts gelesen hatte, war aber von dem Ergebnis durchaus befriedigt. Er sagte, es freue ihn sehr, daß man mit Anfängerkursen doch soviel erreichen könne. Offenbar hatte er in seinem eigenen Unterricht bisher den Eindruck gehabt, daß [197] er sich ziemlich umsonst plage. Ich bekam ein nettes Zeugnis mit, von dem ich hoffen konnte, daß es mir später zum Ziel helfen werde.

Mit meiner übrigen Lernerei aber machte ich trübe Erfahrungen. Ich hatte gehofft, daß ein einmaliges Durcharbeiten genügen würde. Nach einigen Wochen aber stellte ich mit Entsetzen fest, daß vieles schon wieder meinem Gedächtnis entschwunden war. Wie sollte man es dann anstellen, um all diesen Kram zur rechten Stunde gegenwärtig zu haben? Diese Sorge aber wog noch leicht im Vergleich zu den Schmerzen, die mir meine philosophische Arbeit bereitete. Sie war ja bei weitem der größte Berg, den es in diesem Winter zu bewältigen galt. Ihr wurde auch der größte Teil des Tages gewidmet. Meine Tage waren recht lang; ich stand früh um sechs auf und arbeitete bis Mitternacht, fast ohne Unterbrechungen. Da ich meist allein aß, konnte ich auch während der Mahlzeiten nachdenken. Und wenn ich zu Bett ging, legte ich mir Papier und Bleistift auf dem Nachttisch zurecht, damit ich Gedanken, die mir nachts kämen, gleich festhalten könnte. Oft fuhr ich auf, weil mir im Traum etwas eingefallen war, was mir recht gescheit dünkte. Wenn ich es aber im Wachen fassen wollte, blieb mir nichts Greifbares. Auch auf dem Wege zur Universität grübelte ich beständig an meinem Einfühlungsproblem herum. Ich verbrachte oft einen großen Teil des Tages im Philosophischen Seminar, um dort die Werke von Th. Lipps zu studieren. Manchmal ging ich gar nicht zum Mittagessen, sondern nahm mir etwas Backwerk mit, das ich in einer kleinen Arbeitspause verspeiste. Wenn ich zur festgesetzten Zeit von der philosophischen Arbeit zu den andern Fächern überging, hatte ich immer das Gefühl, als ob mein Gehirn sich um 180° herumdrehen müßte. Ich las Buch um Buch, machte große Auszüge, und je mehr Material sich ansammelte, desto wirbliger wurde es in meinem Kopf. Was Husserl sich – nach seinen spärlichen Andeutungen – unter „Einfühlung“ dachte und was Lipps so nannte, hatte offenbar wenig miteinander zu tun. Bei Lipps war es geradezu der Zentralbegriff seiner Philosophie, es beherrschte seine Aesthetik, Ethik und Sozialphilosophie, spielte aber auch in der Erkenntnistheorie, Logik und Metaphysik eine Rolle. So mannigfaltig diese Gebiete, so vielfarbig schien mir der Begriff zu schillern, und ich quälte mich damit ab, etwas Einheitliches und Festes in den Griff zu bekommen, um von da aus alle Abwandlungen verstehen und entwickeln zu können. Zum erstenmal begegnete mir hier, was ich bei jeder späteren Arbeit wieder erfahren habe: Bücher nützten mir nichts, solange ich mir die fragliche Sache nicht in eigener Arbeit zur Klarheit gebracht hatte. Dieses Ringen nach Klarheit vollzog sich nun in mir unter großen Qualen und ließ mir Tag und [198] Nacht keine Ruhe. Damals habe ich das Schlafen verlernt, und es hat viele Jahre gedauert, bis mir wieder ruhige Nächte geschenkt wurden.

Nach und nach arbeitete ich mich in eine richtige Verzweiflung hinein. Es war zum erstenmal in meinem Leben, daß ich vor etwas stand, was ich nicht mit meinem Willen erzwingen konnte. Ohne daß ich es wußte, hatten sich die Kernsprüche meiner Mutter: „Was man will, das kann man“ und „Wie man sich’s vornimmt, so hilft der liebe Gott“ ganz tief in mir festgesetzt. Oft hatte ich mich damit gerühmt, daß mein Schädel härter sei als die dicksten Mauern, und nun rannte ich mir die Stirn wund, und die unerbittliche Wand wollte nicht nachgeben. Das brachte mich so weit, daß mir das Leben unerträglich schien. Ich sagte mir oft selbst, daß das ja ganz unsinnig sei. Wenn ich die Doktorarbeit nicht fertig brächte – fürs Staatsexamen würde es doch wohl reichen; und wenn ich keine große Philosophin werden könnte, dann doch vielleicht eine brauchbare Lehrerin. Aber die Vernunftgründe halfen nichts. Ich konnte nicht mehr über die Straße gehen, ohne zu wünschen, daß ein Wagen über mich hinwegführe. Und wenn ich einen Ausflug machte, dann hoffte ich, daß ich abstürzen und nicht lebendig zurückkommen würde.

Es ahnte wohl niemand, wie es in mir aussah. In der Philosophischen Gesellschaft und in Reinachs Seminar war ich glücklich bei der gemeinsamen Arbeit; ich fürchtete nur das Ende dieser Stunden, in denen ich mich geborgen fühlte, und den Wiederbeginn meiner einsamen Kämpfe. Einigemal im Semester verlangte Husserl Rechenschaft über den Fortgang meiner Arbeit. Ich mußte dann abends zu ihm kommen. Aber eine Erleichterung brachten diese Gespräche nicht. Wenn ich ein paar Worte gesagt hatte, so fühlte er sich selbst angeregt zu reden und sprach nun so lange, bis er zu müde war, um die Unterredung fortzusetzen. Ich ging fort und konnte mir sagen, daß ich manches gelernt hatte – aber wenig für meine Arbeit. So war auch der gewöhnliche Verlauf seiner Semestersitzungen.

Hans Lipps hatte durch Mos von meinem Thema gehört und ließ mir sagen, er interessiere sich sehr dafür und wolle gern etwas von mir darüber hören. Einmal nach Husserls Seminar bat er mich, mit ihm zu kommen. Er führte mich auf dem nächsten Weg zu seiner Wohnung: d.h. im Dauerlauf durch das Botanische Institut, das dem Seminar gegenüberlag und den Botanischen Garten zur „Unteren Karspüle“. Im Institut flüsterte er mir zu: „Wenn wir jemanden begegnen, müssen wir sagen, daß wir Fräulein Ortmann besuchen, denn wir dürfen eigentlich hier nicht durchgehen. Die [199] Untere Karspüle war ein enges, gewundenes Gäßchen. Hier wohnte Lipps in einem kleinen Häuschen bei Frau Maaß, einer Tischlersfrau von wenig einnehmenden Manieren, vor der er sich sehr fürchtete. Solange Hering in Göttingen war, hatte er auch hier gewohnt; wenn ich mich recht erinnere, auch noch einige ältere Phänomenologen. Wir stiegen eine sehr steile und enge Treppe hinauf und kamen in das „Arbeitszimmer“: ein winziges Stübchen mit spärlichem und armseligem Hausrat. Lipps stieß mit dem Kopf fast an die Decke, und wenn er in der Mitte des Zimmers die Arme ausbreitete, berührten seine Hände fast die Wände. Ein kleines Türchen führte in das noch winzigere Schlafkämmerchen. Ich mußte mich in die Sofaecke setzen, Lipps zog einen weißen Ärztekittel an, stopfte sich eine Pfeife, setzte sich an seinen kleinen, gelben Klapp-Schreibtisch und sah mich aus seinen großen, runden Augen erwartungsvoll an. Jetzt gab es kein Entrinnen: ich mußte Rede und Antwort stehen, was ich mir unter Einfühlung dächte. Er schien nicht sehr befriedigt und hatte Einwände. Als ich aber sagte, Reinach habe mir zugestimmt, rief er lebhaft: „Dann durchstreichen Sie alles, was ich gesagt habe. Vor Reinach habe ich den größten Respekt“. Mit Reinach hatte ich zu Ende des Sommersemesters gesprochen, ehe ich es wagte, Husserl das Thema vorzuschlagen, und er hatte mich dazu ermutigt. Die Unterredung mit Lipps wirkte aber doch niederschmetternd auf mich. Ich kam mir im Vergleich zu ihm noch wie ein Neuling in der Phänomenologie vor, und der Eindruck verstärkte sich, daß ich mich an etwas herangewagt hätte, was über meine Kräfte ging.

Ich traf Lipps damals manchmal mit einem seiner Bekannten beim Mittagessen. Ich hatte in jenen Monaten kein Stammlokal, sondern ging – wenn überhaupt – dann zu irgendeinem Mittagtisch, der mir gerade am Weg lag. Wenn die beiden mich bemerkten, mußte ich mich mit an ihren Tisch setzen; das war dann auch eine kurze Zeit der Entspannung. Einmal entschuldigte sich Lipps, daß er mich hinterher nicht nach der Schillerstraße begleitete. Er müsse jetzt schnell nach Hause gehen und sich schlafen legen. Er probiere es eben aus, möglichst viel zu schlafen und die übrige Zeit ganz konzentriert zu arbeiten. Auf 14 Stunden Schlaf habe er es schon gebracht, er hoffe aber allmählich bis zu 21 zu gelangen. Er führte in jenem Winter den Vorsitz in der Philosophischen Gesellschaft; gegen Ende des Semesters mußte er die Vorbereitungen für Schelers Gastvorlesungen treffen und war sehr dankbar, daß ich auch meine Bekannten darauf hinwies. Im Sommer aber wollte er nicht wiederkommen, er wollte dann zu Hering nach Straßburg gehen. Es tat mir sehr leid, als ich das hörte. Ich dachte, ich würde mir noch verlorener vorkommen, [200] wenn keine Aussicht mehr bestand, seine hohe Gestalt und seine marineblaue Jacke irgendwo auftauchen zu sehen.

Kurz vor Weihnachten wurde der ganze Schülerkreis bei Reinachs zum Abendessen eingeladen. Ich hatte Frau Dr. Reinach bisher keinen Besuch gemacht, wie es die älteren Studentinnen taten. Vom Sehen kannte ich sie aus der Vorlesung ihres Mannes, die sie regelmäßig besuchte. Sie war groß und sehr schlank, ihre Bewegungen hatten etwas von der Anmut eines Rehs. Am meisten entzückte uns ihr unverfälschter schwäbischer Dialekt. Einmal ging sie den Steinsgraben hinauf vor mir her, als ich Reinach besuchen wollte. Vor der Tür zu ihrer Wohnung drehte sie sich um, begrüßte mich freundlich und sagte: „Sie wollen gewiß zu meinem Mann“. Dann nahm sie mich mit hinein und meldete mich gleich selbst bei ihm an. Nach Jahren erzählte sie mir, was ich damals nicht bemerkt hatte: Reinach hatte damals oben am Fenster gestanden und ihr entgegengesehen; sie rief nun halblaut hinauf: Adole (die Koseform von Adolf), Büble, Herzle! Er winkte entsetzt ab, weil er mich hinterherkommen sah, und machte ihr oben Vorwürfe, wie sie ihn so vor einer Schülerin blamieren könne.

An jenem Abend wurden wir im Salon empfangen, der mit seinen großen silbergrauen Plüschsesseln sehr vornehm, aber weniger behaglich wirkte als die andern Räume. Zum Essen wurden wir in Reinachs Arbeitszimmer gerufen – wohl, weil es geräumiger und heimelicher war als das Speisezimmer. Es war an kleinen Tischen gedeckt, und auf jedem stand ein brennendes Bäumchen; kein elektrisches Licht störte den warmen Kerzenschein, Wir standen vor dem entzückenden Anblick überrascht wie Kinder am Weihnachtsabend. Da unter den Gästen nur drei Damen waren, bestimmte Frau Reinach, daß jede sich an ein Tischchen setzen sollte; die Herren sollten sich dann nach eigener Wahl dazufinden. Sie selbst mußte den größten Tisch wählen, da die Hausfrau natürlich den Hauptanziehungspunkt bildete. Dort ging es auch am lustigsten zu. Einmal schnappte ich etwas von der Unterhaltung auf: Man sprach vom „Kampf um Rom“ – wahrscheinlich, mit welcher Begeisterung man früher die vier Bände verschlungen habe. Da tönte Frau Reinachs Stimme durchs ganze Zimmer: „Den hab’i nie kriegt!“ – Ich hatte das kleinste Tischchen gewählt, an dem nur drei Plätze waren. Meine Kavaliere waren Awkford, ein reicher Amerikaner, der auch in Lehmanns Kolleg mein Nachbar war, und Dr. Mense, den ich aus der Philosophischen Gesellschaft kannte – ein etwas düster und unstet aussehender Mensch, von dem wir später nie mehr etwas hörten.

Solche gesellige Veranstaltungen waren damals Lichtpunkte für [201] mich. Ich freute mich lange darauf und zehrte hinterher davon. Sie boten mir auch Stoff für meine Wochenberichte nach Hause, da ich von meinen Sorgen und Schmerzen doch nicht schreiben mochte.

Der Einzige, der wußte, daß ich mit dem Fortgang meiner Arbeit nicht zufrieden war – ohne aber zu vermuten, welche seelischen Qualen mir das bereitete – war Moskiewicz. Der Arme konnte mir natürlich selbst nicht helfen, aber einige Wochen vor Semesterschluß sagte er zu mir: „Warum gehen Sie eigentlich nicht einmal zu Reinach“. Und er redete mir solange zu, bis ich mich entschloß, seinem Rat zu folgen. Am nächsten Freitag, nach den Übungen, fragte ich, statt mich zu verabschieden, ob ich Reinach noch einen Augenblick allein sprechen könnte. Er sagte freundlich zu, aber ich mußte etwas warten, da noch andere Leute mit persönlichen Anliegen da waren. Er ging mit einem von ihnen in ein anderes Zimmer. Nach einer Weile holte er mich. Nun sagte ich ihm, daß ich gern einmal über meine Arbeit sprechen würde. „Aber es ist alles noch so unklar!“ fügte ich kleinlaut hinzu. „Nun, über die Unklarheiten wird man sich doch klar werden können“, erwiderte er. Das klang so herzlich und so fröhlich aufmunternd, daß ich mich schon etwas getröstet fühlte. Ich wurde zu einer ausführlichen Unterredung bestellt – ich weiß nicht mehr, ob schon für den nächsten Morgen. Als ich mit beklommenem Herzen kam, wurde ich in den bequemsten Klubsessel, dem Schreibtisch gegenüber, genötigt. Nun berichtete ich von den Stoffmassen, die ich angesammelt hatte, und von dem Plan, der mir vorschwebte, um in dieses Chaos Ordnung zu bringen. Reinach fand, daß ich doch schon sehr weit gekommen sei, und redete mir eindringlich zu, jetzt mit der Ausarbeitung zu beginnen. Es waren noch drei Wochen bis zum Semesterschluß. Dann sollte ich wiederkommen und berichten, was ich zustande gebracht hätte. Das war ein großer Entschluß, aber ich ging unverzüglich an die Ausführung. Es kostete eine so große geistige Anspannung wie noch nichts, was ich bisher gearbeitet hatte. Ich glaube, es kann sich davon kaum jemand eine Vorstellung machen, der nicht selbst schon schöpferisch-philosophisch gearbeitet hat. Dabei erinnere ich mich nicht, daß ich damals schon etwas von jenem tiefen Glück empfunden hätte, wie ich es später stets beim Arbeiten fühlte, wenn einmal die erste schmerzhafte Anstrengung überwunden war. Ich hatte noch nicht jene Stufe der Klarheit erreicht, auf der der Geist in einer gewonnenen Einsicht ruhen kann, von da aus neue Wege sich Öffnen sieht und sicher fortschreitet. Ich tastete wie im Nebel voran. Was ich niederschrieb, erschien mir selbst seltsam, und wenn jemand anders alles für Unsinn erklärt [202] hätte, so hätte ich ihm sofort geglaubt. Vor einer Schwierigkeit blieb ich bewahrt: ich brauchte kaum je nach Worten zu suchen. Die Gedanken formten sich mir wie von selbst leicht und sicher zum sprachlichen Ausdruck und standen dann so fest und bestimmt auf dem Papier, daß der Leser von den Schmerzen dieser geistigen Geburt keine Spur mehr fand. Ich verbrachte jede Stunde, die ich dafür erübrigen konnte, an meinem kleinen Schreibtisch. Nach Ablauf der drei Wochen hatte ich etwa 30 große Aktenseiten voll.

Nun ging ich zu Reinach. Es war am Morgen. In seinem Arbeitszimmer war noch der Frühstücktisch gedeckt. Ich hatte mein Manuskript mitgebracht und wollte Reinach bitten, es dazubehalten und durchzulesen. Zu meiner großen Überraschung forderte er mich auf, dazubleiben; er wolle es sofort lesen. Mir gab er indessen Hegels „Phänomenologie des Geistes“, die gerade auf seinem Schreibtisch lag, zur Unterhaltung. Ich schlug das Buch auf und versuchte, etwas zu lesen, aber es war mir unmöglich, meine Aufmerksamkeit darauf zu richten. Es war doch zu aufregend, dabeizusitzen, während mein Richter sich den Urteilsspruch über mein Werk zu bilden suchte. Er las eifrig, nickte manchmal beifällig, ließ auch bisweilen einen Ausruf der Zustimmung hören. Erstaunlich schnell war er fertig. „Sehr schön, Fräulein Stein“, sagte er. War es möglich? Ja, er hatte wirklich nichts auszusetzen und redete mir nur zu, die Arbeit nicht zu unterbrechen. Ob ich nicht in Göttingen bleiben könnte, bis ich fertig wäre? Zu Hause wäre ich doch gewiß nicht so ungestört. Er wisse ja, wie es sei, wenn er nach Mainz komme. Dann müsse man alle Tanten besuchen. Ich war sofort entschlossen, seinem Rat zu folgen. Er war eben im Begriff, zu seinen Eltern nach Mainz zu fahren, aber nur für etwa acht Tage. Wenn ich fertig wäre, könnte ich ihm den zweiten Teil meiner Arbeit bringen.

Die Ferien begannen, und Göttingen wurde leer. Ich blieb allein zurück und saß in meinem Stübchen am Schreibtisch. Da ich keine Vorlesungen mehr hatte, konnte ich fast ohne Unterbrechung schreiben. Nach einer Woche war ich fertig. Es war etwa acht Uhr abends, ein feiner Regen begann herabzurieseln. Aber ich konnte es nicht mehr im Zimmer aushalten, ich mußte hinausgehen und feststellen, wann Reinach zu erwarten sei. Als ich zum Steinsgraben kam, bog gerade eine Taxe vom Friedländerweg her ein und fuhr die Straße hinauf. Sie hielt vor Reinachs Haus – einige Augenblicke später wurde in seinem Arbeitszimmer Licht. Nun wußte ich genug. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging heim. Mit welcher Freude und Dankbarkeit, das vermag ich nicht zu sagen. Noch heute, nach mehr als zwanzig Jahren, spüre ich etwas von dem tiefen Aufatmen.

[203] Am nächsten Morgen war ich mit meinem Manuskript zur Stelle und schellte an der Tür. Reinach öffnete mir selbst. Er war ganz allein zu Hause; seine Frau war in Stuttgart, um seiner Schwester beizustehen, die dort ihr Abitur machte. Pauline war älter als er; sie hatte sich so spät noch zum Studium entschlossen und das gedächtnismäßige Lernen war ihr sehr mühsam. Beim ersten Versuch war sie durchgefallen, der zweite war nun um so aufregender. Als ich kurze Zeit da war, schellte es nochmals und Reinach mußte wieder an die Tür. Als er zurückkam, berichtete er im Ton eines Kindes, das einen eingelernten Auftrag hersagt: „Der Metzger! Nein, wir brauchen nichts“. So hatte es ihm Auguste eingeschärft, ehe sie zum Markt ging.

Diesmal war ich nicht mehr ganz so ängstlich wie bei der ersten Prüfung. Reinach war sehr befriedigt. Ich fragte ihn, ob die Arbeit wohl fürs Staatsexamen ausreichen würde. O gewiß! Husserl werde sich darüber freuen, er bekäme nicht oft solche Arbeiten. Ich könnte nun völlig unbesorgt in die Ferien fahren. Wir nahmen fröhlichen Abschied bis zum April.

Nach diesen beiden Besuchen bei Reinach war ich wie neugeboren. Aller Lebensüberdruß war verschwunden. Der Retter aus der Not erschien mir wie ein guter Engel. Es war mir, als hätte er durch ein Zauberwort die ungeheuerliche Ausgeburt meines armen Kopfes in ein klares und wohlgeordnetes Ganzes verwandelt. An der Zuverlässigkeit seines Urteils zweifelte ich nicht. Ich legte die Arbeit beruhigt bei Seite, um nun alle Anstrengungen auf die Vorbereitung zur mündlichen Prüfung zu verwenden. Wenn ich auch erst sechs Semester hinter mir hatte, so war ich doch insofern gut dran, als mir fast die ganze Zeit zur Verfügung stand, die man sonst für die beiden großen Arbeiten verwenden mußte. Daß ich diese Arbeiten schon fertig hatte, entsprach ja nicht den Prüfungsbestimmungen.

Die offizielle Meldung zum Staatsexamen war beim Provinzialschulkollegium einzureichen; Lebenslauf, genaue Darlegung des Studiengangs, Nachweis der nötigen Vorlesungen und Übungen und die Exmatrikel waren beizufügen. Dann wurde die Prüfungskommission zusammengestellt, die ernannten Examinatoren hatten die Themen zu stellen und man bekam für jedes drei Monate Zeit. Erst wenn sie abgeliefert waren, wurde der Termin für die mündliche Prüfung festgesetzt. Man durfte keine Wünsche für die Zusammensetzung der Kommission äußern. Das Kunststück war, den Studiengang und die speziellen Arbeitsgebiete so darzustellen, daß sachlich niemand anders als die eigenen Lehrer, die man wünschte, für die Abnahme der Prüfung in Frage kommen konnte. Dieses Kunststück brachte ich fertig: Husserl wurde für Philosophie, Weißenfels für Germanistik [204] und deutsche Literatur bestimmt. Übrigens hatte ich den Termin für die Meldung verpaßt. Ich wußte nicht einmal, daß es einen Schlußtermin dafür gab und einen Anschlag in der Universität, der darauf aufmerksam machte. Der Sekretär der Prüfungskommission, ein Lehrer des Göttinger humanistischen Gymnasiums, wies mich in ungnädigen Worten darauf hin, ließ sich aber doch noch herbei, die Papiere anzunehmen. Ich weiß nicht mehr, wann ich den Bescheid aus Hannover erhielt. Wahrscheinlich erst nach den Ferien. Lehmann hatte das Thema genau so formuliert, wie ich es schon bei ihm im Seminar bearbeitet hatte; hier war nur noch etwas Literatur hineinzuarbeiten; das konnte ich ruhig bis vor dem Ablieferungstermin – das war im November – verschieben. Husserl aber bereitete mir eine unangenehme Überraschung. Sein Gedächtnis hatte ihn wohl etwas im Stich gelassen, und er hatte das Thema so gestellt, daß nicht nur Theodor Lipps, sondern auch die übrige Einfühlungsliteratur zu berücksichtigen war, wenn auch Lipps in erster Linie. Ich konnte wohl die sachliche Einteilung und den ganzen Aufbau lassen, wie er war, mußte aber neue Massen von Literatur durchstudieren und hineinarbeiten.


3.

Von den Ferien habe ich in Erinnerung, daß gerade Ernas praktische Prüfung begonnen hatte, als ich heimkam. Die Mediziner müssen ja im Staatsexamen in sämtlichen Kliniken ihre Fertigkeit beweisen, und das zieht sich durch Monate hin. Erna war nicht zur Bahn, als ich abends anlangte; sie hatte sich zu Bett legen müssen, weil sie darauf gefaßt war, nachts zu einer Entbindung in die Frauenklinik gerufen zu werden. Ich wurde aber gleich zu ihr geführt. Die ganze Familie war ganz erfüllt von ihren Examensangelegenheiten; die meinen traten dem gegenüber zurück, und ich war froh, daß sich bei mir alles weit von zu Haus entfernt in aller Stille abspielen würde.

Kurz, ehe ich nach Göttingen zurückkehrte, lud mich Rose Guttmann für einen Abend ein, um eine Dame kennenzulernen, die auch im Sommer nach Göttingen gehen wollte. Ihr selbst war Toni Meyer durch Moskiewicz zugeführt worden, und sie hatte schon im Winter mit ihr etwas Phänomenologie gearbeitet. Die Familien Meyer und Moskiewicz waren miteinander befreundet, Toni und Georg kannten sich schon sehr lange und waren etwa im gleichen Alter, damals im 36. Jahr. Ich bin später, nachdem wir uns in Göttingen nahegekommen waren, viel bei Meyers gewesen und in ihrer schönen Häuslichkeit [205] stets mit warmer Herzlichkeit aufgenommen worden. Toni lebte allein mit ihrer Mutter, einer überaus klugen, alten Dame. Sie hatte nach dem Tode ihres Mannes dessen blühendes Geschäft – Militäruniformen– übernommen und mit großer Umsicht geführt. Jetzt war längst ihr einzige Sohn Inhaber und Leiter, sie war aber noch an dem Gewinn beteiligt. Heereslieferungen während des Siebziger Krieges hatten ihnen ein beträchtliches Vermögen eingetragen. Auch jetzt machte alles bei ihnen den Eindruck großer Wohlhabenheit, aber frei von allem Protzentum. Wenn ich zu einer Mahlzeit bei ihnen war, freute ich mich an dem schön gedeckten Tisch, dem feinen Porzellan und Leinen. Die alte Dame machte selbst noch die kunstvollsten Handarbeiten. Ihr Nähtischchen stand auf einem erhöhten Platz am großen Fenster des behaglichen Speise- und Wohnzimmers. Sie ging nicht sehr viel aus, weil sie einen lahmen Fuß hatte. Immerhin bewegte sie sich an ihrem Stock sehr sicher und lehnte fremde Hilfe ab. Sie liebte anregende Unterhaltung. Ihr Sohn, seine Frau und seine fünf Kinder besuchten sie häufig, ebenso eine Reihe von Freundinnen, die ihre bestimmten Tage hatten. Ihr Haushalt ging wie am Schnürchen, die beiden Dienstmädchen wurden aufs genaueste unterwiesen und angeleitet, dafür allerdings auch mit Güte und Freigebigkeit behandelt.

Schrägüber von Frau Meyers Arbeitplatz hing an der Wand ein Ölgemälde – ein Kinderbild von Toni. Es war ein ungewöhnlich schöner, zarter und durchgeistigter Kinderkopf. Aber von dieser Jugendschönheit war zur Zeit, als ich sie kennenlernte, kaum etwas übrig geblieben als das reiche, wellige, kastanienbraune Haar. Sie trug es schlicht gescheitelt, die langen Zöpfe waren so aufgesteckt, daß sie den Hinterkopf bedeckten. Die Lider lagen schwer auf den Augen, der Gesichtsausdruck war manchmal sehr müde, mitunter wechselte er plötzlich und überraschend. Sie war gut mittelgroß, die Gestalt kräftig und ebenmäßig, aber der Gang so schwer und schleppend, als ob die Füße gefesselt wären. Ihre Kleidung war immer geschmackvoll und von vorzüglichem Material, aber einfach und unauffällig. Sie konnte sehr lebhaft und fröhlich, ja übermütig sein, aber wenn sie eine Stunde angestrengt gearbeitet oder angeregt gesprochen hatte, mußte sie sich für ein paar Minuten hinlegen; dann ging es wieder weiter. Sie hatte eine große Liebe zu Kindern und jungen Menschen. Vor Jahren hatte sie versucht, einen Kindergarten zu leiten, es war aber zu anstrengend für sie. Psychologische Studien führten sie zu Stern; bald war sie in seiner Familie zu Hause und stellte aus Frau Sterns Tagebüchern das Buch „Aus einer Kinderstube“ zusammen. Nun war sie durch Moskiewicz auf die Phänomenologie hingewiesen worden und hatte den kühnen Entschluß [206] gefaßt, sie an der Quelle zu studieren. Ein kühner Entschluß war es, weil sie kein Abitur hatte und nur mit persönlicher Erlaubnis der Dozenten Vorlesungen hören konnte. Diese Erlaubnis erhielt sie von Husserl und Reinach, und ich mußte ihr „Stunden“ geben, um ihr über die Anfängerschwierigkeiten hinwegzuhelfen. Ich las mit ihr die „Logischen Untersuchungen“. Sie war sehr glücklich über diese Stunden. Ich mußte mich auch entschließen, ein Honorar dafür anzunehmen. Sie bestand darauf – Rose hätte es ja auch getan – und bestimmte selbst die Höhe, die mich erst recht beschämte. Ich hatte mein Zimmer in der Schillerstraße behalten; Toni nahm eine geräumigere und elegantere Wohnung am Feuerschanzengraben, nicht sehr weit von mir entfernt. Sie war entsetzt über meine Lebensweise: die lange Arbeitszeit, den kurzen Schlaf, die Gleichgültigkeit gegen die Verpflegung, die mangelnde Erholung. Die Dame, bei der sie wohnte, empfahl ihr einen guten Privatmittagtisch am Friedländerweg, und sie bat mich, doch mit dort zu essen. Da ich in Dingen, die ich für unwesentlich hielt, nicht eigenwillig war, ging ich ohne weiteres darauf ein. Meist holte sie mich dazu ab und begleitete mich auch wieder nach Hause. Bald bat sie auch um die Erlaubnis, mich zu einem kleinen Abendspaziergang abholen zu dürfen. Nach einiger Zeit sagte sie mir auf einem solchen Abendspaziergang: so glücklich sie über diese beginnende Freundschaft sei, so müsse sie mir doch etwas sagen, was mich vielleicht veranlassen werde, den Verkehr mit ihr aufzugeben. Sie sei zeitweise geisteskrank gewesen; ihre Ermüdbarkeit und andere Störungen, z.B. neuralgische Schmerzen im Kopf und im Arm, die Hemmungen beim Gehen, hingen damit zusammen. Die Krankheit hatte auch ein regelrechtes Studium und die Ablegung von Prüfungen unmöglich gemacht. Ich konnte ihr beruhigend sagen, daß mir die Tatsache längst bekannt sei (meine Mutter hatte sie durch einen Geschäftsfreund erfahren, der nahe Beziehungen zur Familie Meyer hatte) und daß sie mich durchaus nicht abschrecke. Das nahm ihr offenbar einen Stein vom Herzen. Nun erst konnte sie das Glück der Freundschaft ungestört genießen. Sie betrachtete es schon als ein großes Geschenk, daß ein junger, gesunder und gut begabter Mensch mit ihr wie mit seinesgleichen verkehren mochte. Dazu kam, daß sie schon eine große persönliche Zuneigung zu mir gefaßt hatte und eine Hochschätzung, die sie zu mir, der so viel Jüngeren, verehrungsvoll aufblicken ließ. Das hing wohl damit zusammen, daß infolge ihres Geisteszustandes bei ihr alle Gefühle etwas gesteigert waren. Er machte sie allerdings auch sehr empfindlich gegen menschliche Schwächen und hemmungslos in der Kundgabe ihrer Gesinnungen. Dieser Sommer in Göttingen ist wohl der glücklichste ihres Lebens [207] gewesen. Nie vorher und niemals später war sie so leistungsfähig und so frei von den Depressionszuständen, von denen sie sonst in kürzeren oder längeren Abständen heimgesucht wurde. Sie besuchte Vorlesungen und Übungen bei Husserl und Reinach, ging mit mir in die Philosophische Gesellschaft, nahm an meinen Sonntagsspaziergängen mit dem guten Danziger teil, der sofort bereit war, alle Rücksichten zu nehmen, deren sie bedurfte, und war dabei fröhlich wie ein Kind. Einmal trafen wir uns mit meiner Schwester Else in Hildesheim. Die wunderschöne alte Stadt kennenzulernen, war für uns alle ein Fest. Dazu kam noch für Else die Gelegenheit einer gründlichen Aussprache, wonach sie sich immer sehnte. Toni verstand es, den etwas unbeholfenen Danziger zu beschäftigen, so daß wir uns ungestört sprechen konnten. Sie versäumte es aber nicht, manchmal eine Strecke mit Else allein zu gehen, um sie kennenzulernen und ihr herzliche Teilnahme zu zeigen.

In diesen Sommer fiel auch der Besuch von Erna und Hans Biberstein, über den ich früher berichtete. Ich habe erzählt, wie Toni und Erich Danziger mir halfen, meine Gäste zu versorgen und zu unterhalten. Hans wurde bei Danziger einquartiert, für Erna konnte mir Frau Mußmann, meine gute Wirtin, ein Zimmer zur Verfügung stellen. Das Abendessen nahmen wir meist zu viert in meinem Zimmer, manchmal waren wir auch alle bei Toni eingeladen. Mittag waren meine Gäste meist ausgeflogen, sonst gingen wir, wenn ich mich recht erinnere, wieder in das nette vegetarische Speisehaus. Unser Privatmittagtisch war für diese Tage nicht geeignet, weil man dort an einer langen Tafel aß, an der keine vertrauliche Unterhaltung möglich war.

Die liebevolle Fürsorge, mit der mich Toni umgab – sie hatte z.B. bald eine Gärtnerei in unserer Nähe entdeckt und versorgte mein Zimmer mit frischen Blumen – ihr warmer Anteil an allem, was mich betraf, hat sicher dazu beigetragen, daß dieser Sommer wieder recht sonnig für mich wurde. Natürlich kam dazu, daß ich die schwere Last des letzten Winters los war. Es blieb zwar ein großes Arbeitspensum für die mündliche Prüfung zu bewältigen, außerdem die Überarbeitung der philosophischen Staatsarbeit mit Rücksicht auf das veränderte Thema, aber das alles war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was hinter mir lag. Eine wesentliche Erleichterung für das rein gedächtnismäßige Einprägen des Prüfungsstoffes war es, daß sich Arbeitsgefährtinnen zu mir fanden.

Für Geschichte war es eine Studierende Lehrerin aus Lehmanns Seminar: Käthe Scharf aus Hirschberg, also eine schlesische Landsmännin. Sie war ein fröhlicher Mensch und wollte sich auch das Examen möglichst gemütlich machen. Die Meldung schob sie noch [208] etwas auf, um sich erst in aller Ruhe vorzubereiten. Über alle Prüfungsbedingungen, um die ich mich nie gekümmert hatte, wußte sie genau Bescheid. So erfuhr ich, daß Lehmann sich bei der mündlichen Prüfung genau nach seinen Vorlesungen richte, daß man bei ihm zwei seiner großen und eine der kleineren Vorlesungen als Spezialgebiet angeben müsse; außerdem habe man in der Geschichtsprüfung auch Kenntnis des Griechischen nachzuweisen, wenn man nicht vom humanistischen Gymnasium käme; Lehmann pflegte stets den Anfang Xenophons Anabasis vorzulegen. (Diesen Anfang konnte ich auswendig, noch von dem Breslauer Anfängerkursus her). Wir wählten als Spezialgebiete die Zeit des Absolutismus und das Revolutionszeitalter, ferner die Revolution von 1848/49, aus der wir unsere Staatsarbeiten hatten. Wir arbeiteten unsere sorgfältigen Kollegnachschriften miteinander durch. Die angegebenen Quellenschriften und die wichtigsten Werke über jene Zeitabschnitte ließen wir uns aus der Bibliothek wagenweise in den Lesesaal fahren. Es war unmöglich, alles ganz zu lesen, aber wir wollten doch die Sachen alle einmal gesehen und in der Hand gehabt haben. Soviel sich bewältigen ließ, nahm ich mit nach Hause und las es in den Abendstunden oder sonst zu einer Zeit, in der ich zu anstrengenden Leistungen nicht mehr fähig war. Viel Ranke habe ich damals gelesen, besonders die Staatengeschichten mit großer Freude. Dazu Voltaire, Rousseau, Montesquieu und noch viele andere. Es gab ein großes, farbenreiches Bild, eine wirkliche Berührung mit dem geschichtlichen Leben. Sehr vergnüglich war das gegenseitige Abhören. An schönen Tagen liefen wir dabei über die Göttinger Hügel. Ich kam nun auch hinter die Technik der Examenspaukerei. Die wichtigsten Tatsachen in unsern Heften mußten rot unterstrichen werden, eine noch engere Auswahl rot und blau, die engste rot, blau und grün. Mit dieser Hilfe konnte man in den allerletzten Tagen unglaublich viel noch einmal überfliegen und kam tatsächlich dahin, daß man so ziemlich alles bei der Hand hatte, als es galt.

Wenn wir abends zusammen arbeiteten, luden wir uns schon zum Nachtessen ein. Bei Käthe Scharf war das besonders gemütlich. Sie hatte nämlich ihre Mutter bei sich, die richtig Haushalt für sie führte. Diese gute Frau war mit ihrem Kind auf die Universität gekommen und ließ lieber ihren Mann allein daheim als die Tochter in der fremden Stadt. Das kam mir sehr merkwürdig vor, und der Vater tat mir immer leid. Aber wahrscheinlich waren beide Eltern sich darin einig, daß sie ihr Kind so vor den Gefahren des Studentenlebens schützen wollten.

Philosophiegeschichte und Germanistik arbeitete ich mit Lotte Winkler, die ich im Psychologischen Institut kennen gelernt hatte. [209] Hier führte die gemeinsame Arbeit zu etwas mehr als fröhlicher Kameradschaft. Lotte Winkler war wohl auch gern lustig, aber sie hatte tiefgehende wissenschaftliche Interessen. Außerdem hatte sie persönlich Schweres zu tragen und sprach sich mit mir darüber aus: sie war Protestantin, war aber mit einem jüdischen Rechtsanwalt verlobt, dessen Vater entschieden gegen die Heirat war. Wir blieben nach ihrer Verheiratung noch längere Zeit in Briefwechsel.

In diesem Sommer kam Pauline Reinach nach Göttingen, um ihr Studium zu beginnen. Sie besuchte nun mit ihrer Schwägerin zusammen das Kolleg ihres Bruders. Persönlich lernte ich sie wohl zuerst bei der üblichen Semesterschluß-Einladung bei Husserl kennen. Sie war in Gesellschaft überaus temperamentvoll, witzig und schlagfertig. Aber wenn man allein mit ihr sprach, bekam man Einblick in eine tiefe, stille und wahrhaft beschauliche Seele. Ihr Kopf erinnerte an gotische Holzskulpturen, und ihre Hände waren so zart und beseelt wie die einer präraffaelitischen Heiligen. Dem entsprach auch die Art, wie sie ihr Studium auffaßte. Sie hatte klassische Sprachen gewählt und konnte sich mit ganzer Seele in einen Schriftsteller vertiefen, der ihr Freude machte; ein schulmäßiges Arbeiten für praktische Zwecke lag ihr ganz fern. Ihr Bruder Ado pflegte scherzend von ihr zu sagen: „Paulinchen – eine Welt für sich!“ Und Hein, der Jüngste der drei Geschwister Reinach, rief ihr einmal zu, als er sie still dasitzen und vor sich hingucken sah: „Pauline, nimm wenigstens ein Buch in die Hand!“ Wenn man ein paarmal mit ihr in der Familie zusammengewesen war, fing man ganz von selbst an, sie mit ihrem Vornamen zu nennen. Es kam einem unnatürlich vor, „Fräulein Reinach“ zu ihr zu sagen.

Noch einige andere Leute waren in diesem Sommer neu nach Göttingen gekommen. Reinach berichtete mir gleich darüber, als ich ihn am Anfang des Semesters besuchte. Ein russischer Professor wollte die Phänomenologie an der Quelle studieren, ein General a.D. von Gründell und ein junger Herr von Baligaud. Der General, ein kleiner weißköpfiger Herr, durfte natürlich nur am Anfängerseminar teilnehmen. Er war sehr bescheiden im Auftreten, seine Fragen kamen aber immer noch in kräftigem, militärischem Ton heraus. Herr von Baligaud meinte es ernst mit dem Studium; er nahm an allem teil, was es gab, auch an der Philosophischen Gesellschaft. Wenn er noch etwas zu selbstbewußt und naseweis daherredete, wurde er von Reinach sehr bestimmt in seine Schranken gewiesen, und gegen Ende des Sommers zeigten sich schon die Früchte dieser Erziehung.

In diesem Semester kam auch Hering für einige Wochen, um sein Staatsexamen zu machen. An jenem Abend bei Husserl wurde die [210] bestandene Prüfung gefeiert, und ebenso die von Fräulein Ortmann. In ihrer Freude war sie auch gegen mich liebenswürdiger als bisher. Mit Hering brauchte man nicht lange zusammen zu sein, um mit ihm Fühlung zu haben. Er kam jedem mit einer kindlich-offenen Art entgegen, hinter der eine tiefe und zarte Güte stand. Dabei war er ein Schalk und hatte beständig die erstaunlichsten Einfalle, so daß seine Gegenwart alle bösen Geister der Schwermut, der Verstimmung, der Lieblosigkeit bannte. Sein schmales Gesicht, sein blonder Spitzbart, seine dünne Stimme hatten etwas vom tapferen Schneiderlein. Husserl liebte ihn sehr und schätzte zugleich seine philosophische Begabung. Er hatte eine Arbeit über Lotze als Thema zum Staatsexamen gehabt. Seine Abhandlung über Wesen, Wesenheit und Idee, die später im Jahrbuch gedruckt wurde, ist daraus hervorgegangen.

Mit Bell wurde ich seit dem Winter dadurch etwas näher bekannt, daß auch er eine Doktorarbeit bei Husserl hatte. Das verband uns als „Leidensgefährten“. Er liebte es durchaus nicht, wenn „der Meister“ ihn bestellte, um über seine Fortschritte Bericht zu erstatten. Am besten ginge es noch, wenn man einen gemeinsamen Spaziergang mache. Beim Hinaufsteigen zum Rohns ginge Husserl der Atem aus und dann könne man selbst reden. Am Ende des Winters gab Bell die erste Fassung seiner Arbeit ab. Der Meister nahm sie als Reiselektüre mit, als er zum 80. Geburtstag seiner Mutter nach Wien fuhr. (Zu diesem Fest schrieb Reinach in unser aller Namen einen sehr liebenswürdigen Glückwunschbrief, den wir alle eigenhändig unterzeichneten). Bell sagte mir damals: wenn gar nichts oder wenn sehr viel an seiner Arbeit zu ändern wäre, dann wollte er erst einmal nach Hause fahren, ehe er weitermachte. Er hatte seit fünf Jahren seine kanadische Heimat und seinen Vater nicht mehr gesehen. Aber es war weder das eine noch das andere der Fall: es wurden eine Reihe von kleinen Änderungen verlangt, und so entschloß er sich, noch den Sommer dazubleiben. Zu Beginn des Sommers erzählte er mir, sein Vater wolle nun nach Deutschland kommen, um die Kur in Bad Nauheim zu gebrauchen. Er wolle ihn in Antwerpen am Schiff abholen und auch in Nauheim meist bei ihm sein, da er gar kein Deutsch könne. Einige Zeit später erfuhr ich in einer dieser kleinen Unterhaltungen vor Beginn der Vorlesung, sein Vater habe eine Fahrkarte für die „Empress of India“ gehabt, konnte aber die Reise wegen eines Herzanfalls nicht antreten. Nun war das Schiff untergegangen, und jenes so unwillkommene Hindernis hatte ihm das Leben gerettet. Dem Wiedersehen zwischen Vater und Sohn aber stellte sich bald eine ganz andere unüberwindliche Schwierigkeit in den Weg.


[211]
4.

Mitten in unser friedliches Studentenleben hinein platzte die Bombe des serbischen Königsmordes. Der Juli war erfüllt von der Frage: Wird es zu einem europäischen Kriege kommen? Alles sah danach aus, als ob ein schweres Gewitter heraufzöge. Aber wir konnten es nicht fassen, daß es wirklich dazu kommen sollte. Wer im Kriege oder nach dem Kriege herangewachsen ist, der kann sich von der Sicherheit, in der wir bis 1914 zu leben glaubten, keine Vorstellung machen. Der Frieden, die Festigkeit des Besitzes, die Beständigkeit der gewohnten Verhältnisse waren uns wie eine unerschütterliche Lebensgrundlage. Als man schließlich merkte, daß der Sturm unaufhaltsam näher kam, suchte man sich den Verlauf klar zu machen. Das stand fest, daß er ganz anders würde als alle früheren Kriege. Eine so entsetzliche Vernichtung würde es sein, daß es nicht lange dauern könnte. In ein paar Monaten würde alles vorbei sein.

Wenn Toni und ich um 7 Uhr abends aus Reinachs Kolleg kamen, holten wir uns in einem Zeitungsverkauf in der Judenstraße die „B.Z. am Mittag“, die um diese Zeit mit dem Berliner Zug ankam. Manchmal war sie noch nicht da, wenn wir kamen. Dann gingen wir plaudernd vor der Türe auf und ab, bis sie eintraf. Andere machten es natürlich ebenso. Einmal begegneten wir dabei Reinach mit Frau und Schwester. Wir hatten uns gerade aus einem Obstladen Kirschen geholt und aßen davon zum Zeitvertreib. Im Vorbeigehen reichte ich Reinach und den beiden Damen die offene Tüte, und sie langten hinein. Ein paar Augenblicke später lief Frau Reinach hinter uns her und bot uns von ihrem Vorrat an, den sie indessen erstanden hatte. Sie mußte sich aber von ihrem Mann sagen lassen, Fräulein Steins Kirschen seien viel besser als ihre.

Als ich zur letzten Seminarsitzung in Reinachs Arbeitszimmer trat, war noch niemand da. Auf seinem Schreibtisch lag ein großer, aufgeschlagener Atlas. Bald nach mir kam Kaufmann. Auch er bemerkte die aufgeschlagene Landkarte. „Reinach studiert auch den Atlas“, sagte er. Es wurde an diesem Abend nicht mehr philosophiert. Man sprach nur noch von den kommenden Ereignissen. „Sie müssen auch mit, Herr Doktor?“, fragte Kaufmann. „Ich muß nicht, ich darf“, gab Reinach zurück. Ich freute mich herzlich über diese Antwort. Sie entsprach durchaus meinem eigenen Empfinden.

Von Tag zu Tag steigerte sich die Erregung. Ich verhielt mich aber schon damals so, wie ich es später in solchen Krisentagen ganz bewußt zu tun pflegte: ich blieb ruhig bei meiner Arbeit, obwohl innerlich bereit, jeden Augenblick abzubrechen. Es widerstrebte mir, [212] durch Herumlaufen und unnützes Gerede die allgemeine Aufregung zu vermehren. Es hat mich immer gefreut, wenn ich bei Homer las, wie Hektor seine Gattin ins Haus und an ihre Arbeit weist, nachdem er von ihr und seinem Söhnlein für immer Abschied genommen hat.

So saß ich am 30. Juli nachmittags um 4 Uhr an meinem kleinen Schreibtisch und vertiefte mich in Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Um 5 Uhr wollte ich noch eine Vorlesung besuchen. Da klopfte es an meine Tür, und Fräulein Scharf kam mit ihrer Freundin, Fräulein Merk, auch einer Schlesierin, herein. Sie berichteten, daß ich mir den Weg sparen könnte. Es sei ein Anschlag am Schwarzen Brett, daß der Kriegszustand erklärt sei und alle Vorlesungen aufhörten. Sie beide wollten heute abend heimfahren. Während wir noch sprachen, klopfte es zum zweitenmal. Es war Nelli Courant. Richard hatte seinen Stellungsbefehl bekommen. Wenn die Mobilmachung angeordnet würde, müßte er sich nach wenigen Tagen bei seinem Ersatzbataillon in Thüringen als Offizierstellvertreter einfinden. Sie sollte nicht allein in Göttingen bleiben, sondern bei ihrem Vater in Breslau das Ende des Krieges erwarten. Und da Richard meinte, daß bald nach Beginn der Mobilmachung die Bahnen für den Privatverkehr gesperrt würden, sollte sie schon heute abend abreisen. Ob ich mitfahren wolle. Ich überlegte einen Augenblick. Göttingen lag im Herzen Deutschlands und hatte wenig Aussicht, einen Feind zu Gesicht zu bekommen, es sei denn als Gefangenen. Breslau dagegen war nur wenige Stunden von der russischen Grenze entfernt und war die wichtigste Festung des Ostens; es war nicht ausgeschlossen, daß es bald von russischen Truppen belagert würde. Mein Entschluß war gefaßt. Ich klappte die „Welt als Wille und Vorstellung“ zu; seltsamerweise habe ich das Buch nie wieder vorgenommen. Es war jetzt etwa 5 Uhr, um 8 ging unser Zug. Ich hatte noch viel bis dahin zu erledigen. So sagte ich, wenn ich mit allem fertig würde, wollte ich um 18 Uhr bei Courants sein, um mit ihnen zur Bahn zu fahren. Damit trennten wir uns. Ich glaube, mein erster Weg war jetzt zu Toni Meyer. Ich durfte sie nicht allein zurücklassen. Sie konnte sich freilich nicht so schnell entschließen wie ich. Da ich keine Zeit hatte, das Ende ihrer Bedenken abzuwarten, bestellte ich auch sie zu Courants, falls sie sich fürs Mitfahren entschied. Sie ging nun zu andern schlesischen Freunden (Professor Lichtwitz und Frau), um sich weiter beraten zu lassen. Ich setzte meinen Weg fort: zur Bank, um Geld zu holen, zum Mittagtisch, um meine Monatsrechnung zu bezahlen, dann zu Reinach. Ich ließ mir sein Kolleg und Seminar testieren. Er tat es, sagte mir aber, ich brauche mir sonst nirgends mehr Testate zu holen, es werde später niemand danach fragen. Er erkundigte sich, was ich [213] vorhätte. Ich wollte zum Roten Kreuz. Er hatte nicht gedient, aber natürlich würde er sich als Kriegsfreiwilliger melden; und wenn man ihn nicht nehmen wollte, müßte General von Gründell, der jetzt wieder aktiv würde, ihm dazu verhelfen. Er schrieb sich meine Adresse auf: wir wollten einander doch Nachricht geben, was aus uns würde. Zum erstenmal wurde mir klar, daß seine Freundlichkeit mir gegenüber nicht nur einer allgemeinen Menschenliebe entsprang, sondern herzlicher freundschaftlicher Zuneigung.

Nun eilte ich in meine Wohnung zurück, packte das Nötigste für die nächste Zeit zum Mitnehmen ein, verstaute alles andere schnell in meinen Reisekorb und übergab ihn meiner Wirtin zur Verwahrung. Schnell rechnete ich auch mit ihr noch ab und verabschiedete mich. Es war gerade Zeit, zu Courants hinüberzulaufen. Der Wagen stand schon vor der Tür, auch Toni war zur Stelle. Nelli aber ließ noch lange auf sich warten. Richard wollte zwar ein Stück mit uns fahren, aber sie nahmen schon jetzt in seinem Arbeitszimmer Abschied. Und das ging nicht so schnell. Ich war voller Teilnahme für beide. Eigentlich war es ja erstaunlich, daß Nelli abreiste, ehe ihr Mann fortgehen mußte. Ich hätte das an ihrer Stelle bestimmt nicht getan. Es geschah wohl aus Besorgnis um ihren Vater. Und dann war sie überhaupt anders als andere Menschen.

Der Bahnhof und der Zug waren natürlich voll von Reisenden. Wir konnten nicht nach Eidenberg fahren, wo wir sonst den Anschluß an die große Bahnstrecke Kassel-Breslau fanden, sondern mußten nach Kassel. Soweit begleitete uns Richard. In Kassel war die Aufregung und Verwirrung noch größer. Es war nicht einmal zu ermitteln, ob der Zug, in den wir stiegen, wirklich nach Breslau ging. Die Beamten wußten selbst nicht Bescheid und ließen sich schließlich gar nicht mehr blicken, um nicht immer wieder gefragt zu werden. An jeder Eisenbahnbrücke, über die wir fuhren, stand ein Wachtposten. Das war ein kleiner Vorgeschmack des Krieges. Im übrigen wurde es immer ruhiger und geordneter, je weiter wir nach Osten kamen. Dieselbe Beobachtung habe ich später bei Beginn der Revolution gemacht. Einmal mußten wir unterwegs längere Zeit Halt machen, weil an der Maschine etwas auszubessern war. Das war schon am nächsten Tag. Aus allen Abteilen kletterten die Reisenden hinaus und lagerten sich am Wegrand im hellen Juli-Sonnenschein. Es war ein friedliches und fröhliches Bild und berührte einen seltsam, wenn man daran dachte, daß man in den Krieg hineinfuhr. Irgendwo unterwegs fand sich der treue Danziger zu uns. Am späten Nachmittag des 31. Juli langten wir in Breslau an. Meine Hauptsorge galt Nelli. Ich wollte sie ihrem Vater abliefern, ehe ich selbst nach Hause fuhr. Ich glaube, ich bat Danziger, indessen an meine Leute zu [214] telephonieren, daß ich eingetroffen sei und bald käme. Justizrat Neumann schloß in seiner Freude erst seine Tochter und dann mich in die Arme. Ich hielt mich nicht lange auf; ich hatte die Taxe vor dem Haus warten lassen und fuhr gleich weiter. Meine Mutter wartete am Fenster und kam mir auf die Straße entgegen. Sie stand schon am Wagenschlag, als ich ausstieg. „So gut hast du noch nie gefolgt“, sagte sie freudestrahlend. Ich mußte das Lob ablehnen: ihre Weisung, schleunigst nach Hause zu kommen, hatte mich in Göttingen nicht mehr erreicht.

Die ganze Familie war zusammen. Selbst Bibersteins waren da. Zu meinem Erstaunen war man gar nicht so erfüllt von den Ereignissen wie ich. „Nur keine Angst“, sagte meine Mutter. „Ich habe keine Angst“, erwiderte ich, „aber es ist doch durchaus möglich, daß die Russen in ein paar Tagen über die Grenze kommen“. „Dann nehmen wir einen Besenstiel und hauen sie wieder raus“. – Ich konnte es kaum ertragen, am Teetisch zu sitzen und Frau Biberstein ihre alltäglichen Geschichten erzählen zu hören. Es war für mich geradezu eine Befreiung, als meine Mutter mich zu Bett schickte, um mich nach der durchreisten Nacht auszuschlafen. An Schlaf war freilich nicht zu denken. Ich war in einer fieberhaften Anspannung, sah aber mit großer Klarheit und Entschlossenheit den Dingen ins Auge. „Ich habe jetzt kein eigenes Leben mehr“, sagte ich mir. „Meine ganze Kraft gehört dem großen Geschehen. Wenn der Krieg vorbei ist und wenn ich dann noch lebe, dann darf ich wieder an meine privaten Angelegenheiten denken“.

Der nächste Tag war der Sonntag der Kriegserklärung. Rose kam mich begrüßen. Von ihr erfuhr ich, daß ein Krankenpflegekursus für Studentinnen eingerichtet werde. Ich meldete mich sofort dafür, und bald war ich jeden Tag im Allerheiligenhospital, hörte Vorträge über Kriegschirurgie und Kriegsseuchen und lernte Verbände anlegen und Einspritzungen machen. Meine alte Klassengefährtin Toni Hamburger nahm an dem Kurs teil und bemühte sich im Wetteifer mit mir um eine gute Ausbildung. Unser Krankenpflegelehrbuch genügte mir nicht. Ich nahm daheim Ernas anatomischen Atlas und ihre dicken medizinischen Grundrisse zu Hilfe. Ich suchte auch sie und Lilli häufig in der Frauenklinik auf, um mich im Verbinden zu üben. Sie hatten große Freude an meinem Eifer für ihr Fach. Während des Kursus mußten wir angeben, ob wir uns dem Roten Kreuz zur Verfügung stellen wollten; ob nur für das Festungsgebiet Breslau, für die Heimat oder ganz ohne Bedingung.

Natürlich stellte ich mich bedingungslos zur Verfügung. Ich hatte ja keinen anderen Wunsch als möglichst bald und möglichst weit hinaus zu kommen, am liebsten an die Front in ein Feldlazarett. [215] Aber so rasch ging das nicht. Es war Überfluß an Hilfskräften. Nach vierwöchentlicher Ausbildung bestanden wir die Helferinnenprüfung. Aber es kam keine Einberufung. Ich durfte mich zur Übung im Allerheiligenhospital weiter betätigen. Einige Wochen war ich auf einer Tuberkulosenstation, dann auf einer chirurgischen Station in einem Zimmer, in dem meist überfahrene Kinder lagen. Zuletzt half ich in der chirurgischen Poliklinik. Überall fand ich reichlich Arbeit. Nirgends brauchte man sich als fünftes Rad am Wagen zu fühlen. Das Allerheiligenhospital ist ein großes Städtisches Krankenhaus. Es beschäftigt verhältnismäßig wenig voll ausgebildete Krankenschwestern; die meiste Arbeit wird von „Wärterinnen“ gemacht: Mädchen ohne Vorbildung, die zunächst für die häuslichen Arbeiten angestellt werden, aber allmählich unter der Leitung der Stationsschwester oder Stationswärterin die praktischen Handgriffe der Krankenpflege erlernen und verrichten. Ich bekam den Eindruck, daß die Kranken wenig an liebevolle Aufmerksamkeit gewöhnt waren und daß freiwillige Hilfskräfte an solchen Stätten des Leidens dauernd ein reiches Feld für werktätige Nächstenliebe finden würden. Freilich wäre es wohl eine dornenvolle Aufgabe, und es würde wahrscheinlich auch erst einen Kampf kosten, um überhaupt Zutritt zu erlangen. Uns machte man damals keine Schwierigkeiten, weil wir ja zum Zweck unserer Ausbildung und nur für ein paar Wochen da waren.

Meine freiwillige Tätigkeit fand dadurch ein Ende, daß ich mir dabei im Oktober einen schweren Bronchialkatarrh holte. Als er vorbei war, stand der Beginn des Wintersemesters unmittelbar bevor. Ich hatte im August nicht daran gedacht, im Winter wieder nach Göttingen zu gehen. Da aber keine Aussicht auf Einberufung zum Lazarettdienst zu bestehen schien, hatte ich während meiner Krankenhauszeit in den Mittagpausen meine Staatsarbeiten vorgenommen und die letzte Hand daran gelegt. Im November waren sie abzuliefern. Und nun fand ich, wenn ich doch vorläufig im „Heeresdienst“ keine Verwendung finden könnte, so wäre es das Gescheiteste, nach Göttingen zu gehen und während der Wartezeit die Prüfung zu erledigen. An meiner Einstellung hatte sich nichts geändert. Ich hätte mich jeden Tag gefreut, wenn man mich von meinen Büchern abgerufen hätte. Die Prüfung erschien mir als etwas lächerlich Unwichtiges im Verhältnis zu den Zeitereignissen, die uns natürlich während dieser Monate dauernd in Spannung hielten. Ich hatte in Breslau manches an Kriegseindrücken erlebt. Die Russen waren zwar nicht gekommen. Wohl hatten sie gleich in den ersten Augusttagen in Oberschlesien die Grenzen überschritten, waren aber schnell zurückgedrängt worden. Dafür erfand die [216] Kriegspsychose die erstaunlichsten Schreckbilder. Das Gerücht, die Russen hätten uns das Trinkwasser vergiftet, führte sogar zu sehr peinlichen obrigkeitlichen Verordnungen. Wir bekamen kein Wasser aus dem Städtischen Wasserwerk, man mußte wie in alten Zeiten von den Brunnen an den Straßenecken Wasser holen; um Wasser zu sparen, sollte man das Baden auf ein Mindestmaß einschränken, keine weißen Kleider und keine weißen Schuhe tragen.

Indessen verfolgten wir im Siegesjubel den Vormarsch unserer Armeen in Frankreich, bezeichneten sie mit bunten Stecknadelköpfen auf unsern Landkarten und warteten auf den Tag, wo „wir“ in Paris einrücken könnten. Es war wie eine glanzvolle Wiederholung des Feldzugs von 1870, den wir aus den Schulbüchern im Kopf hatten und unsere Eltern aus eigenem Miterleben. Ganz unfaßlich war der große Rückschlag der ersten Marneschlacht.

Eines meiner ersten niederdrückenden Kriegerlebnisse war der Anblick einer langen Reihe von Pferden, die für den Heeresbedarf eingefordert waren und durch die Straßen geführt wurden. Ich mußte an eine große Saugpumpe denken, die alle Kraft aus dem Lande herausholte. Ähnlich beklemmend wirkte einige Monate später der Anblick des völlig toten Hamburger Hafens mit seinem Wald von starren Schornsteinen und segellosen Masten.

Meine Brüder waren nicht im Feld. Paul wurde bei jeder Musterung für dienstuntauglich erklärt. Arno wurde im Sanitätsdienst verwendet, und zwar so, daß er nicht dauernd abwesend zu sein brauchte, sondern nur Transportzüge zu begleiten hatte. Aber viele meiner Vettern waren im Feld und die Göttinger Studiengefährten wohl alle. Ein ganzes Göttinger Freiwilligenregiment stand in den heißesten Kämpfen in Flandern. Viele Studenten waren dort eingetreten, andere hatten sich in ihrer Vaterstadt gemeldet und waren in die Heimatregimenter eingereiht worden. Reinach wurde als Kanonier in Mainz ausgebildet. Moskiewicz hatte sich als Arzt zur Verfügung gestellt. Felddiensttauglich war er nicht; er wurde als Oberarzt in der Städtischen Irrenanstalt für den Kollegen, der ins Feld mußte, verwendet.

Die erste Todesnachricht aus unserm Bekanntenkreis kam schon im August: Robert Staiger, der Göttinger Privatdozent für Kunstgeschichte, zugleich Leiter des akademischen Orchesters, das aus Studenten gebildet war und mit Eifer edelste Klassische Musik pflegte. Jahrelang war er heimlich mit Elisabeth Klein verlobt, der Tochter des Mathematikers Felix Klein. Der Vater war gegen die Heirat und verbot dem Bewerber das Haus. Felix Klein spielte durch seine überragende Persönlichkeit eine beherrschende Rolle in Göttingen. Man wagte ihm nicht zu widersprechen. Elisabeth (in der [217] Familie und von ihren Freunden „Putti“ genannt) hatte etwas von der mathematischen Begabung ihres Vaters geerbt, hatte auch studiert und das Staatsexamen gemacht, war aber dann nicht in den Schuldienst gegangen, sondern zum Musikstudium nach Leipzig. Unter dem Göttinger Professorennachwuchs war sie ähnlich tonangebend wie ihr Vater unter den „Bonzen“, allerdings nicht durch gebieterisches Wesen, sondern durch Anmut, Geist und Liebenswürdigkeit. Sie und ihr Verlobter waren mit Reinachs befreundet und trafen sich öfters bei ihnen. Ehe Staiger ins Feld mußte, ließen sie sich kriegstrauen. Nun war er nach wenigen Wochen gefallen.

Diese Nachricht brachte mir Nelli Courant zugleich mit einer andern, die sie in der „Schlesischen Zeitung“ gefunden hatte. Dieses konservative Blatt brachte eine abfällige Notiz über die „vaterlandslose Gesinnung“ einiger Göttinger Professoren. Sie hätten sich zu einem Engländer, der wegen deutschfeindlichen Äußerungen in Schutzhaft war, begeben, um ihm die mündliche Doktorprüfung abzunehmen. Der „deutschfeindliche Engländer“ war unser Freund Bell, die „vaterlandslosen Professoren“ unser alter Meister Husserl und die beiden Kollegen, die Bell in den Nebenfächern zu prüfen hatten. Ihre Namen waren alle angeführt. Ich war sofort überzeugt, daß es sich um eine Entstellung der Tatsachen handle, und wollte mir Aufklärung verschaffen. Ich schrieb an Bell, welche „Schauermär“ wir gelesen hätten, und bat ihn um Mitteilung des wahren Sachverhalts. Die Antwort trug den Stempel der Polizeidirektion Göttingen und kam aus dem Gefängnis. Bell war als Kanadier zunächst in Freiheit geblieben. (Die Kolonialengländer wurden erst Anfang 1915 interniert). Eines Tages kam ein Bekannter (ein Deutscher) an seiner Wohnung vorbei und fragte ihn zum Fenster hinauf – das war echt Göttinger Stil, aber bei der Gemütsverfassung des Volkes in den ersten Kriegsmonaten höchst unvorsichtig –: „Was sagen Sie zur japanischen Kriegserklärung?“ Bell antwortete ebenso unüberlegt zum Fenster hinaus: „Für uns ist sie natürlich sehr vorteilhaft“. Eine vorübergehende Dame hörte das, geriet in die größte Erregung, erstattete sofort Anzeige. Dabei wurde die Äußerung erheblich entstellt, so daß sie als deutschfeindliche Kundgebung erschien. Bell wurde in Schutzhaft genommen, durfte aber in seiner Wohnung bleiben. Da er sie nicht verlassen durfte, konnte er sich auch nicht an dem festgesetzten Prüfungstage in die Universität begeben, und seine wohlwollenden und teilnahmsvollen Lehrer beschlossen, die Prüfung in seiner Wohnung vorzunehmen.

Damit erregten sie heftigen Anstoß bei ihren nationalistischen Kollegen, es wurde eine Fakultätssitzung einberufen, die Prüfung wurde für ungültig erklärt und sogar auch die Annahme der Arbeit, [218] die schon vor Kriegsausbruch abgeliefert war. Als ich nach Göttingen kam, erzählte mir Husserl, daß Bell jetzt im „Karzer“ in Haft gehalten werde. Er habe ihn schon dort besucht und ich könne es wohl auch tun, man müsse sich aber dazu die Erlaubnis des Polizeidirektors holen. Natürlich war ich sofort entschlossen, mir diese Erlaubnis zu erbitten. Außer der freundschaftlichen Teilnahme für den Gefangenen spielte wohl auch ein wenig die Romantik eines „Besuchs im Karzer“ mit. Dieses Lokal hatte ich bisher noch nicht gesehen. Es lag im obersten Stock der „Aula“, die ich bisher nur bei festlichen Anlässen betreten hatte und zu Beginn jedes Semesters, um meine Kolleggelder zu bezahlen, denn in diesem Gebäude waren die Geschäftsräume der Universität. Der Polizeidirektor bewilligte mir die Erlaubnis ohne Schwierigkeiten. Ich erhielt einen Schein mit dem Vermerk, daß ich am folgenden Sonntag vormittag von 111/2-12 h im Karzer sein dürfte. Mit diesem Schein meldete ich mich am Sonntag beim Hausverwalter der Aula. Dessen freundliche Frau führte mich hinauf, schloß die Tür auf und – zu meiner großen Überraschung hinter mir wieder zu. Ich war also für eine halbe Stunde mitgefangen. Bell begrüßte mich mit Freude. Die Handbewegung, mit der er mich zum Platznehmen einlud, verwandelte den rohen Holzstuhl in einen Korbsessel. Ich mußte zunächst den Raum besichtigen: es sei kein übler Aufenthalt. In der Tat – ein helles, geräumiges Zimmer; an einer Wand ein kunstvolles Gemälde, von einem früheren Bewohner herrührend: die „Mütze“, jene berühmte Göttinger Weinstube, das netteste alte Haus der Stadt. Dazu manche andere Wandzeichnungen von weniger kunstgeübter Hand. Viel Hausrat war nicht da, aber alles Notwendige: eine eiserne Bettstelle mit einer groben Wolldecke, zwei Holzstühle und ein fester Holztisch mit vielen Büchern darauf.

Der Gefangene war durchaus zufrieden mit seinem Los und ohne jede Bitterkeit gegen die Leute, die seine Haft veranlaßt hatten. Man hatte ihn nicht länger in seiner Wohnung lassen wollen und seine Überführung ins Polizeigefängnis beantragt. Das war aber in Göttingen nicht für längeren Aufenthalt eingerichtet. Es diente nur dazu, gelegentlich einen Betrunkenen für eine Nacht zu beherbergen o.dgl. Längere Haft mußte in Hannover abgebüßt werden. In dieser Verlegenheit hatte sich der Rektor der Universität, der Mathematiker Runge, ins Mittel gelegt. Er erklärte, er könne ein geeignetes Lokal – eben den Karzer – zur Verfügung stellen. Professor Runge war ein gütiger und edler Mensch, Patriot, aber kein Nationalist. (Er hatte alles, was er an Barvermögen besaß, in Kriegsanleihe verwandelt in dem Gedanken: wenn Deutschland zu Grunde geht, brauchen wir auch unser Privatvermögen nicht mehr). Für Bell [219] trat er aber nicht nur aus Gerechtigkeit ein, sondern aus persönlichen Gründen. Bell war mit seinen beiden Söhnen Wilhelm und Bernhard befreundet. Es war wohl eine Art Führerverhältnis, denn er war ganz erheblich älter als sie. Die beiden Brüder waren in das Göttinger Freiwilligenregiment eingetreten, und Bernhard war 17jährig in Flandern gefallen. Seine Eltern erhielten seine Briefe; darunter auch die, die ihm Bell ins Feld geschrieben hatte. Daraus sahen sie erst, wie liebevoll er sich um ihn angenommen hatte und sahen ihn nun selbst wie einen Sohn an.

Nach jenem Besuch im Karzer hörte ich einige Monate nichts mehr von Bell. Im Januar begegnete ich ihm plötzlich auf der Straße. Er machte mit Runge einen Spaziergang, ich hatte Erika Gothe bei mir. Er kam von der andern Straßenseite zu uns herüber und erzählte von seinen jüngsten Erlebnissen. Man hatte ihn nicht lange in dem freundlichen Karzer gelassen. Seine „Freunde“, die Philologen, fanden, daß er kein Anrecht auf diesen Aufenthalt habe, da er ja von der Universität verwiesen sei. Er wurde nun ins Gefängnis nach Hannover gebracht. Dort aber brauchte er auch nur zwei Wochen zu bleiben. Professor Runge hatte eine Eingabe gemacht und sich die Erlaubnis erwirkt, ihn in sein Haus aufzunehmen. Er selbst leistete Bürgschaft für ihn, in seiner Begleitung durfte er auch ausgehen. Doch auch diese glückliche Lösung dauerte nicht lange. Einige Wochen später wurde die Internierung aller Kolonialengländer verfügt. Bell kam in das große Konzentrationslager nach Ruhleben und mußte bis zum Ende des Krieges dort bleiben.


5.

Ich war in der zweiten Oktoberhälfte nach Göttingen gekommen. Nelli hatte mir ihre Wohnung mit allem Hausrat zur Verfügung gestellt. Da sie selbst keinen Genuß davon haben konnte, sollte ich mich daran freuen. Ich ließ also meine Sachen von der Schillerstraße 32 nach Nr. 42 bringen. Es war ein ziemlich neues, zweistöckiges Häuschen. Im Erdgeschoß wohnte das Ehepaar Pabst, dem das Häuschen gehörte. Den ersten und zweiten Stock hatten Courants gemietet. Das war nun mein Reich. Im ersten Stock waren Speisezimmer, Empfangzimmer, Nellis Arbeitszimmer und Küche. Von diesen Räumen benützte ich nur die Küche. Mein Aufenthalt wurde der Oberstock: Richards Arbeitszimmer und das danebenliegende Schlafzimmer. Beide hatten die großen Fenster nach Süden mit freiem Ausblick über Gärten und Felder nach den „falschen Gleichen“, einem Hügelpaar, das den „richtigen“ Gleichen ähnlich [220] war. Jetzt im Winter konnte man von hier aus Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sehen. Der mächtige Eichenschreibtisch war so vor die Fenster gerückt, daß man beim Arbeiten die Aussicht vor sich hatte. Rechts neben dem Schreibtisch stand an der Wand eine Chaiselongue, darüber hing Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“. Die andern Wände waren mit Büchern bestellt. Es war nicht nur mathematische Fachliteratur, sondern vieles dabei, was ich brauchen konnte. In der Ecke zwischen den beiden Bücherwänden stand ein rundes Tischchen. Das benützte ich abends als Eßtisch.

Natürlich mußte ich jemanden haben, der die Zimmer reinhielt; außerdem hatte ich für die Bedienung der Zentralheizung zu sorgen, da Pabsts ihre Heizkörper abgestellt hatten und Öfen benützten. Nelli hatte mir dafür ihre Aufwärterin, Frau Hartung, empfohlen, die ihr volles Vertrauen besaß. Ich bestellte sie durch eine Postkarte, und sie erschien zu einer Besprechung: eine stattliche Dame, groß und mächtig breit, so daß ich ganz daneben verschwand. Sie ließ sich auf die Chaiselongue nieder und erklärte, da Frau Doktor es wünsche, müsse sie dies ja übernehmen. Auf die Heizung verstand sie sich noch nicht. Nachmittags kam sie mit ihrem Mann wieder, um sich von ihm die Behandlung des Kessels erklären zu lassen. Auch das Ehepaar Pabst fand sich zu dieser Beratung ein, und ich kam mir sehr wichtig da unten im Keller vor, da eine ganze Versammlung sich darum bemühte, mir für die nötige Wärme zu sorgen. Von nun an kam Frau Hartung jeden Morgen, ehe der Tag graute. Ich hörte es oben in der Heizung, wenn sie unten das Feuer anmachte; das war für mich das Zeichen zum Aufstehen. Dann begab sie sich in die Küche und kochte für mich Kaffee; Milch und Brötchen brachte sie mit. Während ich frühstückte, machte sie das Arbeitszimmer fertig, so daß ich mich dann sofort an den Schreibtisch setzen konnte. Ich hörte sie noch eine Weile nebenan im Schlafzimmer herumwirken. Dann verabschiedete sie sich, und ich war für den Rest des Tages allein. Öfters klingelte es unten, und es kamen Angelegenheiten, die Courants betrafen. Wenn ich keinen Bescheid wußte, holte ich mir in Breslau Weisungen. Sonst erledigte ich die Sachen, wie es mir am besten schien. Nelli war sehr dankbar dafür, und ihr Vater erklärte, sie brauche keinen Rechtsvertreter in Göttingen, solange ich da sei. Öfters bat sie mich, ihr etwas von ihren Sachen zu schicken, und vielleicht noch häufiger hatte Richard Wünsche. Ich erfüllte sie immer so schnell wie möglich, und eines Tages schrieb er, da er von mir alles so viel schneller bekäme als aus Breslau, werde er sich jetzt immer an mich wenden, wenn er etwas brauchte. Es waren manchmal erstaunliche Dinge, die er verlangte, und mitunter kostete es ziemlich viel Zeit und Mühe, [221] sie zu beschaffen, zu verpacken und auf den Weg zu bringen. Ich war aber froh, wenn ich etwas für ihn tun konnte. Pauline Reinach wunderte sich, daß es Nelli recht war, so ausgeschaltet zu werden. Aber ich war überzeugt, daß sie mir nur dankbar für die Entlastung war. Sie war ja so sehr unpraktisch und machte alles so umständlich, daß ihr diese Dinge alle viel mehr Zeit genommen hätten als mir.

Der nächste Weg von der Schillerstraße zur Stadt führte über den Albanikirchhof und am Feuerteich vorbei. Als ich einige Tage nach meiner Ankunft auf dem Heimweg an den Teich kam, ging eine Dame vor mir her, deren grüner Mantel mir bekannt war. Sie war eben in den Hainholzweg eingebogen (entgegengesetzt zu der Richtung, die ich einschlagen mußte) – da drehte sie sich um, und als sie mich erblickte, blieb sie stehen, um auf mich zu warten. Es war Erika Gothe. Außer uns beiden war niemand von dem engeren Husserlkreis nach Göttingen zurückgekehrt. So war es selbstverständlich, daß wir uns aneinander anschlossen. Sie ging eben zu ihrem Mittagtisch bei Frau Gronerweg am Hainholzweg. Ich hatte an diesem Tage schon gegessen, aber von nun an sollte ich doch auch hinkommen. Pauline Reinach war ganz in Pension bei Gronerweg. Die Wohnung am Steingraben war abgeschlossen, Frau Reinach war bei ihrer Mutter in Stuttgart. Bald war ich in diesem Haus am Hainholzweg ebenso heimisch wie in der Schillerstraße. Ich ging nur mittags hin, abends sorgte ich wie früher für mich selbst. Regelmäßig einmal in der Woche kam ein Päckchen von zu Hause. Wenn meine Mutter Freitag früh die Striezel für den Sabbat auf die vorgeschriebene Weise flocht, da machte sie auch einen kleinen für mich (ebenso für die Hamburger Kinder und Enkel je einen), und mittag wurden sie frisch gebacken zur Post gebracht; dazu kam als Beilage eine Gänseleber oder ein Stück vom Sonntagsbraten.

Frau Gronerweg war eine ältere Dame, etwas verkümmert und verbittert, weil sie früher bessere Tage gesehen hatte und es jetzt sehr schwer hatte. Ihr Mann lebte noch, aber er hatte vor Jahren einen Schlaganfall gehabt, konnte sich nur mühsam bewegen und schwer sprechen, war auch geistig nicht mehr normal. Er aß mit am allgemeinen Tisch, und das war eine starke Zumutung für die fremden Gäste. Aber es war uns noch leichter, den Anblick des alten Mannes zu ertragen als die Gemütsverfassung der vergrämten Frau, die durch seine Unbeholfenheit offenbar beständig gereizt wurde und das mühsam unter tadellosen gesellschaftlichen Formen zu verbergen suchte. Außer Pauline gab es noch eine Vollpensionärin: Liane Weigelt. Sie war mir ein wenig bekannt aus Husserls Seminar und der Philosophischen Gesellschaft. Sie war aber dort nur zu sehen, [222] und nicht zu hören gewesen. Sie hatte sich von dem Philosophen Heinrich Maier das Thema zu einer philosophischen Arbeit geben lassen, die Philosophie lag ihr aber offenbar gar nicht. Für ihr anderes Fach, Kunstgeschichte, brachte sie sicher mehr Begabung mit. Aber im Grunde war sie wohl überhaupt nicht zum Studium geschaffen. Sie verstand es, ein Heim behaglich zu machen – das sah man an ihrer Studentenwohnung im romantischen Gartenhäuschen des Gronerwegschen Grundstücks – andere zu verwöhnen und sich verwöhnen zu lassen. Leider hatte sie weder Eltern noch Geschwister und stand eigentlich ganz allein auf der Welt. Ihre freundschaftlichen Beziehungen mußten daher für sie sehr viel mehr bedeuten als für den andern Teil und brachten ihr manche Enttäuschung. Pauline Reinach nahm sich liebevoll um sie an. Paulines Arbeitszimmer wurde überhaupt für uns ein Mittelpunkt. Nach dem Mittagessen fanden wir uns gewöhnlich noch für eine Weile dort zusammen: Erika, Liane und ich. Sogar der Fortmeister, der noch zu unserer Tafelrunde gehörte, kam manchmal dazu. Er hatte als Landwehrhauptmann in Göttingen Rekruten auszubilden und war für diese Zeit bei Frau Gronerweg untergebracht. Er war ein älterer, verheirateter Mann, fühlte sich aber sehr wohl in unserer Gesellschaft. Es gab damals immer so viel, worüber man sich aussprechen mußte: die Kriegsereignisse, die Nachrichten aus dem Feld, die Studienangelegenheiten. Wie glücklich waren wir, wenn eine Feldpostkarte oder gar ein Brief von Reinach kam! Er stand in der Gegend von Verdun. Einmal schickte er in einem Brief für jede von uns ein Schneeglöckchen mit. Er hatte sie selbst gepflückt, sie kamen ganz frisch an. Erika und ich verschafften uns auch die Feldadressen unserer Studiengefährten und begannen sie mit Feldpostpaketen zu versorgen. Dafür kamen dann Briefe zurück: von Hering, von Lipps, von Kaufmann. Der Herbst brachte auch die ersten Verluste in unserm Kreis: Fritz Frankfurther und Rudolf Clemens. Frankfurthers Mutter lebte in Breslau, bei Kriegsbeginn ging auch ihre Tochter Magda Frei zu ihr. Sie war Ärztin und mit einem Arzt in Göttingen verheiratet, ihr Mann war aber jetzt auch im Feld. Nach dem Krieg siedelten Freis ganz nach Breslau über. Tony Meyer war mit Frau Frankfurther und Frau Dr. Frei befreundet und veranlaßte mich, sie zu besuchen, als ich wieder nach Breslau kam. Die beiden konnten sich jahrelang über den Verlust des einzigen Sohnes und Bruders nicht trösten. Es war ihnen von großer Bedeutung, daß ich zu ihnen kam und daß sie durch mich Fühlung mit dem Kreis behielten, in dem ihr Fritz so glücklich gewesen war. Ich bekam sein Kriegstagebuch zu lesen und seinen ganzen literarischen Nachlaß durchzusehen. Gar zu gern hätten sie seine hinterlassenen [223] Arbeiten veröffentlicht gesehen, aber ich konnte das nicht durchsetzen.

Auch Erikas Bruder Hans Gothe war im Feld. Er und der jüngere Bruder Georg stammten aus ihres Vaters zweiter Ehe, ihre Schwester Lene und sie selbst aus der ersten. Nun war auch der Vater längst tot, aber die zweite Mutter war für Erika eine wirkliche Mutter, und auch das Verhältnis zu den Brüdern war ein sehr inniges. Ich habe Frau Gothe und ihr Haus in Schwerin nie gesehen, aber durch Erikas Erzählungen wurde ich mit beiden ganz vertraut. Sie war eine tiefgläubige Protestantin, und von der warmen Güte ihres Wesens strahlte etwas bis zu uns herüber.

Trotz der lastenden Kriegssorgen ist wohl dieser Winter die glücklichste Zeit während meiner Göttinger Studienjahre gewesen. Die Freundschaft mit Pauline und Erika war tiefer und schöner als die alten Studienfreundschaften. Es war zum ersten Mal, daß nicht ich der führende und umworbene Teil war, sondern daß ich in den andern etwas Besseres und Höheres sah als ich selbst war.

Die Arbeit mit meinen beiden Lehrkameradinnen ging weiter. Wenn Fräulein Scharf und ich jetzt in meinem gemütlichen Arbeitszimmer abends zusammensaßen, strickten wir eifrig Strümpfe und andere warme Sachen für die Feldgrauen. Ich hatte es als Schulkind im Handarbeitsunterricht nicht sehr weit in dieser Kunst gebracht und sie seither längst vergessen. Jetzt lernte ich sie neu bei meiner geschickten Gefährtin, und die Nadeln klapperten geschäftig, während wir unser Geschichtspensum durchsprachen und einprägten.

An bestimmten Abenden arbeitete ich mit Erika zusammen Philosophie. Für die letzte Wiederholung erhielt ich von ihr drei Blätter, auf denen Hering einen Abriß der Geschichte der Philosophie aufgezeichnet hatte. Er selbst und Frankfurther hatten ihn schon fürs Staatsexamen benützt, und nun vererbte er sich weiter. Als Letztes war darauf das Zeitalter der Phänomenologie vermerkt; dabei stand: Ende aller übrigen Philosophie. Pauline hatte eine Arbeitsverabredung zwischen Liane und mir vermittelt, und sie selbst las manchmal mit mir Homer. Wenn zwei von Frau Gronerwegs Abendgästen außerhalb eingeladen waren, dann lud ich die dritte zu mir ein, damit sie nicht mit der alten Dame allein sein müßte. Ich kaufte dann reichlicher als sonst zum Essen ein und schmückte das runde Eßtischchen, so schön ich konnte. Es war alles dazu im Hause, und Nelli freute sich, wenn ich ihre Sachen benützte. Der Leinenschrank im Schlafzimmer war übervoll von schöner Wäsche; und wenn ich eine nette Obstschale oder einen silbernen Kuchenkorb herbeiwünschte, so brauchte ich nur ins Eßzimmer [224] hinuntergehen und in das große Büffet hineinlangen; es fand sich immer, was ich gerade brauchte.

In Husserls Seminar war es ziemlich leer in diesem Winter. Anfangs fand sich von alten Bekannten nur der Germanist Günther Müller wieder ein. Während des Semesters kam noch der Pole Roman Ingarden. Er hatte in der Polnischen Legion gestanden, mußte aber wegen eines Herzfehlers entlassen werden. Früher hatte er sich an seine Landsleute gehalten. Jetzt war er allein und freute sich, wenn er ein paar Worte mit uns sprechen konnte. Zwei neue Leute waren aufgetaucht, dabei einer, der Philosophie als Fach hatte und zielbewußt auf die akademische Laufbahn lossteuerte: Helmut Pleßner. Mit ihm kam ich auch manchmal außerhalb der Universität zusammen. Ich hatte damals als Vertreterin von Frau Dr. Reinach und Nelli Courant die Berufsberatungsstelle für Studentinnen übernehmen müssen. Diese Stelle war vom Verein „Frauenbildung -Frauenstudium“ eingerichtet und brachte mich in Verbindung mit der Vereinsvorsitzenden, Frau Justizrat Steinberg. An das Ehepaar Steinberg wurde nun auch Herr Pleßner von seinen Eltern empfohlen, und die freundlichen Leute machten es sich zum Vergnügen, uns manchmal zusammen zum Mittag- oder Abendessen einzuladen. Sie hörten andächtig zu, wenn die beiden Philosophen beim Gänsebraten unverständliche Gespräche führten. Ich mußte später immer lächeln, wenn ich an diese Einladungen dachte. Denn es kam mir nachträglich der wohl nicht unbegründete Verdacht, die gute Justizrätin habe wohl gehofft, es werde sich in ihrem gastlichen Hause ein Pärchen zusammenfinden. Uns beiden aber lag nichts ferner als das. Wenn Herr Pleßner mich aus dem alten Bürgerhause im Innern der Stadt zur Schillerstraße hinausbegleitete, entwickelte er mir sein „System“ und suchte mir zu erklären, in welchen Punkten er nicht mit Husserl gehen könne, aber es war ihm noch nicht gegeben, sich verständlich zu machen.

Einige Wochen vor Weihnachten stellten wir unsere Weihnachtspakete ins Feld zusammen. Die Gaben wurden mit der größten Liebe ausgesucht, aus den Konditoreien die erlesensten Leckerbissen zusammengeholt. In jedes große Paket kamen viele kleine, einzeln in schönes Papier gehüllt und mit bunten Seidenbändern umwickelt. Reinach bekam lauter goldgelbe Bänder, Kaufmann violette, Hans Gothe, der zur Jugendbewegung gehörte, Bauernbänder: schwarz mit bunten Blümchen darauf. Das Schwerste war die äußere Umhüllung: es war Vorschrift, daß alles in Sackleinwand eingenäht werden müsse. In Paulines Zimmer lagen wir bis nach Mitternacht auf dem Boden, um diese Arbeit kunstgerecht zu erledigen. Als ich dann allein über den dunklen Kirchhof heimging, begegnete mir [225] zwischen den Gräbern ein Offizier, wohl auf dem Wege zur nahen Kaserne. Er war ganz verdutzt, als er mich bemerkte. „Na, Sie haben aber Courage!“ sagte er im Vorübergehen.

Im November hatte ich meine Arbeiten abgeliefert und um einen möglichst frühen Termin für die mündliche Prüfung gebeten. Sie wurde auf den 14./15. Januar festgesetzt. Nur die nächsten Freundinnen in Göttingen wurden davon unterrichtet; nach Hause schrieb ich nichts davon; es sollten möglichst wenig Leute in Aufregung versetzt werden. Über Weihnachten wollte ich in Göttingen bleiben. Alle andern fuhren natürlich nach Hause; Liane, die kein Zuhause hatte, wenigstens zu Bekannten. Ehe sie abreisten, hörte ich eines Abends viele Füße die Treppe heraufkommen: Pauline, Erika und Liane brachten mir ein reizend geschmücktes Weihnachtsbäumchen. Das sollte mich trösten, wenn ich allein den Heiligen Abend feierte.

Vor der Prüfung mußte ich den Examinatoren Besuch machen. Am wenigsten bekannt war ich noch mit dem Literaturhistoriker Weißenfels. Da Edward Schröder, sein gewaltiger Kollege, als Hauptmann im Feld war, hatte er jetzt das germanistische Oberseminar und war stellvertretender Direktor. Er hatte mich zu Beginn des Semesters mit Freuden aufgenommen, ohne eine Zulassungsarbeit zu verlangen. Er versicherte mir, daß er mich von seinen Übungen über „Faust“ aus dem vorhergehenden Semester gut kenne und wisse, daß ich etwas könne. Diesmal hielt er Übungen über Heinrich von Kleist. In den ersten Wochen ging ich hin. Da ich es aber langweilig und nutzlos fand, sagte ich ihm dann, er würde wohl verstehen, daß ich so dicht vor der Prüfung notwendig zu Hause arbeiten müsse, und bat, mich von der Teilnahme zu befreien. Kurz vor meinem Besuch sagte mir jemand, wenn man die Prüfung in Deutsch für Oberstufe machen wolle und keine Staatsarbeit aus diesem Fach gemacht habe, müsse man eine Klausurarbeit schreiben. Ich fragte Weißenfels, als ich bei ihm war – seine Villa lag unmittelbar neben der Husserlschen am Hohen Weg – ob das stimme. Ja, sagte er, aber das sei nichts Gefährliches; man brauchte nur in 3 Stunden einen kleinen Aufsatz zu schreiben. In drei Stunden, meinte ich, könne man doch nichts Rechtes zustande bringen. Es werde auch nichts Großes erwartet, war die Antwort. Es handle sich nur darum, den Stil kennenzulernen. Das, fand ich, könnten wir leichter haben. Ich machte ihm den Vorschlag, doch eine meiner beiden großen Arbeiten zu lesen. Er fand dies ganz praktisch und war sofort bereit, darauf einzugehen. Er erkundigte sich nach den Themen. Ich nannte sie ihm und empfahl ihm die geschichtliche Arbeit, da die philosophische ja doch für Nicht-Phänomenologen schwer zugänglich sei. Er interessierte sich aber gerade für dieses Thema und versprach, sie [226] sich von Husserl geben zu lassen. Damit war die mündliche Prüfung so weit wie nur möglich vereinfacht. Es gab damals neben der Prüfung in den eigenen Spezialfächern noch eine in „allgemeiner Bildung“, die Philosophie, Deutsch und Religion umfaßte. Philosophie und Deutsch fielen für mich fort, weil es meine Fächer waren; Religion, weil Juden darin nicht geprüft wurden. So blieb es mir erspart, „allgemeine Bildung“ nachzuweisen. Ich brauchte mich nur in meinen Spezialfächern prüfen zu lassen; allerdings, da ich alle für Oberstufe haben wollte, in jedem eine ganze Stunde. Als Spezialgebiet in Deutsch gab ich Lessing an. Ich hatte seine Werke gut durchgearbeitet und auch Weißenfels’ Lessing-Kolleg. Dieses hatte ich zwar nicht selbst gehört, aber eine Nachschrift davon geliehen bekommen, meine Schwester Frieda hatte sie in den Ferien für mich abgetippt. Ich mußte noch angeben, was ich an mittelhochdeutschen Epen gelesen hatte. Es war eine ganz stattliche Anzahl, darunter der „Meier Helmbrecht“ von Werner dem Gartenaere, den ich aus einem Breslauer Kolleg gut kannte und der mir in Göttingen schon zur Aufnahme ins Seminar verholfen hatte.

Sehr ergötzlich fand ich den Besuch bei Max Lehmann. Der alte Mann hatte es damals sehr schwer in Göttingen. Als alter Liberaler und begeisterter Englandfreund litt er sehr unter dem Krieg mit England. Die fürchterliche Grußformel „Gott strafe England!“, die damals in gewissen Kreisen aufgekommen war, regte ihn immer wieder von neuem auf. Er stand aber in seiner Fakultät fast allein mit seiner Überzeugung und war bei den Kollegen „unten durch“. Über all das sprach er ganz offen mit mir. Sein ganzer Trost war sein Seminar. Ohne diese schönen Montagabendstunden wäre es kaum auszuhalten. Er äußerte sich auch sehr kritisch über die Haltung der deutschen Regierung. Als ich mich verabschiedete, sagte er: „Am Freitag werden wir uns nicht über diese Dinge unterhalten“. „O, das wäre mir aber viel sympathischer als das andere“, antwortete ich lächelnd. Meine Spezialgebiete hatte er sich auf meine Visitenkarte notiert. In der Prüfung hielt er sie in der Hand, um ja bei der Stange zu bleiben. Daß ich auch für griechische und römische Geschichte ein Spezialgebiet haben sollte, merkte ich erst daraus, daß Lehmann sich danach erkundigte. Ich ließ mich aber dadurch nicht einschüchtern, sondern nannte sofort die Punischen und die Perserkriege, weil mir diese Entscheidungskämpfe von der Schule her noch am besten in Erinnerung waren. Besonders die Punischen Kriege waren mir aus unserer jahrelangen Liviuslektüre vertraut. In den nächsten Tagen las ich noch eifrig in Mommsens Römischer Geschichte, um meine Kenntnisse aufzufrischen und mir einen großen Überblick zu verschaffen.

[227] Am Morgen des ersten Prüfungstages vertraute ich Frau Hartung meine Sorgen an. Sie ließ sich wieder breit und schwer auf die Chaiselongue nieder und sprach mir Mut zu. Durch ihre Arbeit kannte sie fast die ganze Fakultät; bei Frau Weißenfels war sie regelmäßig beschäftigt. „Weißenfels läßt Ihnen nicht durchfallen“, versicherte sie mit der größten Bestimmtheit. „Und bei Husserl ist es ja sowieso ausgeschlossen, daß es Ihnen schlecht geht“.

Die Prüfung war im Humanistischen Gymnasium, Gymnasialdirektor Miller war der sehr gefürchtete Vorsitzende der Prüfungskommission. An diesem Tage bekam ich ihn noch nicht zu sehen. Ich wurde ganz allein geprüft, aber zur gleichen Zeit kamen andere Kandidaten in andern Klassenräumen in ihren Fächern an die Reihe. Wir warteten zusammen in einem dafür bestimmten Zimmer. Um 5 Uhr kam Weißenfels mich selbst abholen. Es hätte noch ein anderes Mitglied der Prüfungskommission als Beisitzender zugegen sein sollen; da niemand kam, blieben wir allein. Er holte ein kleines Büchlein hervor: den mittelhochdeutschen Text. Was mochte es wohl sein? „Meier Helmbrecht“ – ich mußte mich beherrschen, um meine Freude nicht zu verraten. Ich las und übersetzte fließend und konnte auch alle grammatischen Fragen beantworten. Nun begann ein Spaziergang durch die deutsche Literatur. Ich sollte angeben, was aus den mittelhochdeutschen Epen später geworden sei; das gab Gelegenheit, über die Volksbücher zu sprechen. So kamen wir auf das Faustthema und seine verschiedenen Behandlungen. Als ich über Lessings Faustfragment etwas sagen wollte, unterbrach mich Weißenfels. „Sie haben allerdings Lessing als Spezialgebiet angegeben, aber ich möchte doch jetzt lieber noch einige Fragen über die Romantik stellen“. „Bitte!“ sagte ich ruhig und ergeben. Nachdem ich auch diese Fragen noch beantwortet hatte, war die Stunde herum. Der freundliche Examinator wünschte mir Glück und sagte, er freue sich, daß ich die Prüfung so gut begonnen hätte.

Freitag von 11-12 war die Philosophieprüfung angesetzt. Diesmal war Direktor Miller Beisitzer. Ich wußte, daß Husserl das sehr unangenehm war, er mußte den Vorwurf fürchten, daß er seine Schüler zu milde behandle, und prüfte darum scharf. Eine ganze Stunde lang stellte er Fragen über Geschichte der Philosophie. Ich hatte sehr viel Plato gelesen, aber nun fragte er gerade nach dem „Timaeus“, den ich nur aus Darstellungen kannte; das wagte ich jedoch nicht zu sagen, um meinen guten Meister nicht vor dem gestrengen Vorsitzenden zu blamieren, sondern begann kühn den Gedankengang des Dialogs zu konstruieren, indem ich die gestellten Fragen als Anhaltspunkte benützte. Ebenso machte ich es, als ich über die verschiedene Stellungnahme David Humes zur Mathematik [228] in seinen „Essay“ und „Treatise“ Auskunft geben sollte. Ich hatte den Essay gar nicht, den Treatise nur teilweise gelesen, ging aber mutig an den Vergleich heran. Diese geistigen Akrobatenstücke machten mir sogar Freude, sie kosteten aber eine große Anspannung, und ich war froh, als Husserl endlich zur Logik überging. Zum Schluß kamen noch einige harmlose Fragen aus der Geschichte der Pädagogik. Fünf Viertelstunden hatte ich standhalten müssen. Als ich den schmalen Feldweg vom Albanikirchhof zur Schillerstraße entlang ging, lag Erika schon mit halbem Leibe zum Küchenfenster heraus und winkte mir mit beiden Armen entgegen. Das Mittagessen war fertig und vortrefflich gelungen, das Tischlein für uns beide gedeckt, und während wir uns beide stärkten, mußte ich getreu den Gang der Schlacht von Anfang bis zu Ende erzählen.

Ich war ziemlich erschöpft, hatte aber noch keine Zeit, müde zu sein, denn nachmittags um 5 kam der letzte Akt, die Geschichtsprüfung. Diesmal sollte Weißenfels Beisitzer sein. Da er sich etwas verspätete, begann Lehmann zunächst mit dem griechischen Text. Es war wie immer der Anfang der Anabasis, den ich auswendig wußte. Als Weißenfels hereinkam, empfing ihn der Prüfende mit den Worten: „Die Dame weiß sehr gut Bescheid im Griechischen“. „Die Dame weiß überhaupt sehr gut Bescheid“, kam es mit gemütlichem Lachen zurück. Dann ging es weiter. Eine kurze Frage über die Perserkriege. Nun kam etwas Überraschendes: „Was halten Sie für Hannibals größte Tat?“ Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Ich wußte auch nicht, daß es eine beliebte Frage war und daß Lehmann als Antwort wollte: „Den Alpenübergang“. Ich überlegte einen kleinen Augenblick und sagte dann mit großer Bestimmtheit: „Daß er den Kriegsschauplatz nach Italien verlegt hat“. Jetzt war wohl Lehmann überrascht. Er merkte daran wahrscheinlich, daß ich mich nicht darum bemüht hatte, mir eine Sammlung früherer Examensfragen mit den dazugehörigen Antworten zu verschaffen und einzuprägen, sondern daß ich ganz unbefangen nachdachte und urteilte. So ließ er meine Antwort gelten und brachte mich durch eine kleine Zwischenfrage auf den Alpenübergang; darüber wußte ich aus Livius ganz genau Bescheid. Die alte Geschichte war nur Vorspiel. Nun ging es an Lehmanns eigentliche Arbeitsgebiete, aus denen ich die meinen gewählt hatte. Wieder kam ein überraschender Anfang: „Wie steht es mit dem Vorwurf des preußischen Militarismus?“ Ich dachte: „Wie nett! Jetzt denkt er daran, daß ich neulich bei meinem Besuch gesagt habe, es wäre mir lieber, ein politisches Gespräch zu führen als mich prüfen zu lassen“. Die Frage selbst aber war brenzlich. Sie klang wie eine Aufforderung zur Kritik an den bestehenden Zuständen, [229] und das mochte ich nicht. Ich antwortete also zunächst diplomatisch: „Das kommt darauf an, was man unter ,Militarismus’ versteht“. Weißenfels lachte laut auf. Lehmann aber sagte mir geduldig seine Definition: Von Militarismus spreche man, wo ein stehendes Heer in Friedenszeiten gehalten werde. Unter dieser Voraussetzung konnte ich nun unbedenklich zugeben, daß es berechtigt sei, von preußischem Militarismus zu reden. Danach mußte ich die Gründe angeben, aus denen man sich in England bisher so sehr gegen den Militarismus gewehrt habe. Jetzt waren wir in glattem Fahrwasser, und es ging Schlag auf Schlag weiter, bis es sechs Uhr war.

Draußen erwartete mich Pauline Reinach. Sie führte mich zunächst zu „Kron und Lanz“, um mich nach der geschlagenen Schlacht mit Kaffee und Kuchen zu stärken. An einem benachbarten Tisch saßen der Mathematiker Landau und der Psychologe Katz. Nach ein paar Minuten kam Katz zu uns herüber und sagte, Herr Professor Landau habe ihm erzählt, er habe mich soeben noch im Gymnasium gesehen, ich müsse wohl eben Examen gemacht haben. Nun wollte er mir gleich gratulieren. Das ließ ich mir natürlich gern gefallen. An diesem Abend sollte ich bei Gronerweg essen. Unterwegs habe ich wohl an der kleinen Post in der Wendenstraße das Telegramm mit der Freudenbotschaft nach Breslau aufgegeben. Pauline mußte mich noch ein wenig in ihrem Zimmer unterhalten, weil Erika und Liane mit ihren Vorbereitungen im Eßzimmer noch nicht fertig waren. Als wir schließlich zum Nachtessen gerufen wurden, brannten an meinem Platz viele kleine Kerzen in einem gemalten Holzreifen, wie man ihn für Geburtstagskuchen hat; rings herum lagen Veilchensträuchen. Frau Gronerweg hatte für ein Festmahl gesorgt. Erika saß mir gegenüber und ihre dunklen Augen strahlten vor Liebe und Freude.

Am nächsten Tag fuhr ich nach Hamburg. Meine Schwester Rosa war gerade für einige Wochen bei Else, und beide waren froh, daß ich zu ihnen kam, um sie an meiner Freude teilnehmen zu lassen. Hier erhielt ich auch die Glückwünsche aus Breslau. Der Brief meiner Mutter enthielt jene Stelle, die ich früher einmal erwähnte: sie würde sich noch mehr freuen, wenn ich daran denken wollte, wem ich diesen Erfolg verdankte. Aber so weit war ich noch nicht. Ich hatte in Göttingen Ehrfurcht vor Glaubensfragen und gläubigen Menschen gelernt; ich ging jetzt sogar mit meinen Freundinnen manchmal in eine protestantische Kirche (die Vermischung von Politik und Religion, die dort in den Predigten vorherrschte, konnte mich freilich nicht zur Kenntnis eines reinen Glaubens führen und stieß mich auch oft ab); aber ich hatte den Weg zu Gott noch nicht wiedergefunden.

[230] Lange wollte ich meinen Besuch nicht ausdehnen. Am Samstag war ich gekommen, und am Mittwoch nachmittag, zu Husserls Seminar, war ich pünktlich wieder zur Stelle. Er legte Wert darauf, daß man seine Übungen regelmäßig besuchte; jetzt, wo so wenige von seinen alten Schülern da waren, noch mehr als sonst. Ich hatte ihn nach der Prüfung noch nicht wieder gesehen und ging am Schluß zu ihm ins Direktionszimmer, um zu fragen, wann ich ihn besuchen und etwas Näheres über meine Arbeit hören dürfte. Der sonst so freundliche Meister war merklich verstimmt. Ich hatte einen Fauxpas begangen, indem ich nicht sofort nach der Prüfung zu ihm ging. Nun erklärte er mir, er hätte mir viel zu meiner Arbeit sagen wollen, aber nun habe er es vergessen. Zur Doktorarbeit reiche sie noch nicht aus (Das war mir auch nie in den Sinn gekommen). Und da ich in Geschichte und Literatur so ausgezeichnet bestanden habe, könne ich mir ja noch überlegen, ob ich den Doktor nicht lieber in einem dieser Fächer machen wolle. Schwerer hätte er mich nicht kränken können. „Herr Professor“, sagte ich ganz empört, „es kommt mir nicht darauf an, mir mit irgendeiner Doktorarbeit den Titel zu erwerben. Ich will die Probe machen, ob ich in Philosophie etwas Selbständiges leisten kann“. Das schien ihn zur Besinnung zu bringen. Sein Ärger war auf einmal verflogen; in ganz verändertem Ton sagte er: „Jetzt müssen sie sich erst einmal richtig erholen, Fräulein Stein. Sie sehen ja ganz angegriffen aus“. Ich war noch nicht so schnell versöhnt und verabschiedete mich. Am nächsten Tag wartete er nach seiner Vorlesung vor der Tür des Hörsaals auf mich. Seine Frau ließe mich herzlich grüßen und für Sonntag nachmittag zum Kaffee einladen. Wir mußten doch die bestandene Prüfung etwas feiern. Fräulein Gothe, Fräulein Reinach und Weigelt seien auch eingeladen. Wenn ich noch jemanden anders gern dabeihätte, sollte ich es nur sagen.

Vor dem Sonntag machte ich noch meine Abschiedsbesuche bei Lehmann und Weißenfels. Beide sprachen mir noch einmal ihre Zufriedenheit aus. Weißenfels verriet mir, daß der Prüfungsvorsitzende gegen das Prädikat „Mit Auszeichnung“ Einwendungen erhoben habe, weil ich es durch den Fortfall der Prüfung in allgemeiner Bildung besonders leicht gehabt hätte. Die Examinatoren aber wollten darauf bestehen, daß ich die Note l bekäme. Husserl versicherte mir am Sonntag lachend: „Tatsächlich enthielt das Zeugnis als Ergebnis der schriftlichen und mündlichen Prüfung den Vermerk: „Mit Auszeichnung bestanden“.



« Aus dem Tagebuch zweier Mädchenherzen Edith Stein
Aus dem Leben einer jüdischen Familie
Aus dem Lazarettdienst in Mährisch-Weisskirchen »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).